Ein Sonntag auf dem Lande.
Es ist Mitte Mai. Im Ort ist Meile angesagt. Bei diesem Volksfest wird die etwa 1 Meile lange Hauptstraße im Ort für einige Stunden am Samstag und Sonntag gesperrt und rechts und links, auf dem breiten Streifen aus Fahrrad Weg, Bürgersteig und Park Buchten machen sich nun Marktstände breit. Buden von Schaustellern, die alles anbieten, von der Waffel und den gebrannten Mandeln über Eis, Reibekuchen, Bratwurst, Currywurst und Pommes, Getränken und Pilzen und Crepes. Und nicht zu vergessen der ewige Hit: Die Zuckerwatte! Kurz alles, was das Herz begehrt.
Und dazwischen stehen Kinder Karussell für die Kleinsten oder auch Fahrgeschäfte für die Größeren, Hüpfburgen und … die Hauptsache an diesem Tag: Flohmarkt Stände.
Für ein paar Mark Standgebühr kann hier jeder, der etwas verkaufen will, dass er nicht mehr braucht, etwa Omas Schallplattensammlung samt Abspielgerät, oder altes und aussortiertes Porzellan aus allen Generationen, Kunstvolles oder Kitschiges anbieten. Praktisches für Haus und Garten, oder unnützen Nippes. Es gibt wohl nichts, was man hier nicht finden kann.
Vor allem Spielzeug. Jede Menge Spielzeug, das aussortiert wurde, weil die Kinder raus gewachsen sind. Genau so, wie aus ihren Kinderklamotten und den abgelegten Kleidern der Großen, die nun hier als Second Hand Ware nach neuen Trägern suchen. Hier wird gefeilscht und gehandelt. Flohmarkt, das ist ein Markt mit eigenen Gesetzen. Preisbindung gibt es nicht. Wer nicht handeln will, oder kann, wie ich, der wird hier mit Sicherheit und viel Schwung über den Tisch gezogen, was die Preise angeht.
Den ganzen Tag schiebt sich eine große Menschenmenge durch die Gasse aus Buden und Ständen auf der Hauptgeschäftsstraße, die sonst den Autos vorbehalten ist. Heute dürfen die Fußgänger dort nach Herzenslust flanieren. Alle Seitenstraßen dürfen als Parkfläche genutzt werden.
Als ich am Nachmittag meinen Sonntagsnachmittags Ausflug in die Marsch machen will, muss ich Slalom fahren, um mein Ziel zu erreichen.
Ich fahre den Weg an der Kirche vorbei, vorbei an der Klostermühle und überquere die Aue. Selbst hier, wo es sonst so ruhig und still ist, stehen heute die Autos bis zu dem Schild, das anzeigt, dass hier das Naturschutzgebiet beginnt und Autofahren nicht mehr erlaubt ist. Dieses kleine Naturparadies besteht aus einer Anzahl von mehreren alten Baggerseen die ringsum von Bäumen und vielfältigem dichtem Gebüsch umgeben, mitten in der Feldmark liegen. Umflossen von dem kleinen Flüsschen Aue, die hier einen großen Bogen schlägt, von Nord – Süd Richtung auf Ost – West Richtung hin zur großen Fluss Schwester Weser, die sie unweit des Ortes mit sich nimmt auf ihrem Weg zur Nordsee.
Ein Paradies für Tiere und Menschen, die Ruhe und Natur suchen.
Aber an diesem Tage treffe ich auch hier, auf meiner Radtour mehr Menschen als gewöhnlich. Ich fahre den Asphaltweg bis zum Ende der Seenplatte und dann weiter in die Felder, die sich zwischen den drei Dörfern erstrecken, die hier an einander grenzen. Längst hat sich der Anblick der Landschaft verändert. Das satte Gelb blühender Rapsfelder ist verschwunden. Abgelöst von dem Grün weiter Kornfelder.
Selbst dort, wo vor wenigen Wochen noch leere Felder braun zwischen dem ersten Grün der Kornfelder lagen, schauen heute Kartoffeln, Mais und Rüben aus der Erde. Die letzten Tage hat das gute Wetter die Kältewelle abgelöst und viele Pflanzen aus der Erde gelockt.
An den Wegrändern, wo ich noch vor wenigen Wochen die ersten Veilchen und Schneeglöckchen des Jahres freudig begrüßt habe, blüht nun die Wilde Möhre und bestimmt das Bild der Feldränder. Darunter leuchten die weißen Sterne der Sternenblume zwischen den blauen Blüten von Gundermann und Ehrenpreis. Dazwischen entdecke ich Taubnesseln und gelb blühenden scharfen Hahnenfuss. Überall wiegen sich blühende Gräser im leichten Wind.
Auch das leuchtende Gelb des Löwenzahns ist längst vergangen. Nur hin und wieder kann man noch eine einsame goldgelbe Blüte im Gras entdecken. Selbst seinen Samen hat dieser üppige Blüher längst mit einem Schirmchen dem Wind anvertraut, damit wir uns auch im nächsten Frühjahr am Anblick all der vielen Gelben Flächen erfreuen können. Obwohl, in unserem eigenen Rasen ist er uns ja nicht so willkommen.
Aus dem Buschwerk, dass die Baggerseen umrandet, schauen nun die ersten Heckenrosen. Sie haben längst den weißen Schlehdorn und die Blüten der Wildkirschen abgelöst. Und die Kastanie hat ihre Blüten Leuchter, die noch vor 14 Tagen hell weiß aus dem Blattwerk blitzten, aus geknipst. Sie bastelt nun an den mahagonifarbenen Früchten in ihrer grünen Stachelhülle. Wenn sie fertig ist mit ihrer Arbeit dann wissen wir: Es ist Herbst.
Aber noch leuchten die ersten weißen Teller des Holunders aus den Büschen am Wegesrand
„Wenn der Holler blüht, hat der Sommer seinen Höhepunkt erreicht.“ So sagt man. Er blüht sehr früh in diesem Jahr! Hoffentlich kein schlechtes Zeichen, dass auch der Sommer in diesem Jahr nur ein kurzer sein wird.
Als ich den Weg den Hügel hinauf radele, der hier in der Feldmark, die in dem alten Urstromtal der Weser liegt, einen seltsamen Hucken bildet, dessen Entstehung inmitten dieses uralten Flussbettes sich niemand so richtig erklären kann, bin ich mitten zwischen den Feldern. Vor mir, am fernen südlichen Horizont zieht sich die blaue Linie des Wesergebirges und des Wiehengebirges hin. Getrennt durch das natürliche Tor, das sich die Weser in Jahrtausenden durch den Höhenzug gegraben hat. Die Porta Westfalica mit dem Fernsehturm auf der einen Seite und dem unverwechselbaren Porta Denkmal auf der anderen Seiten. Durch diese Scharte in dem Gebirgszug der Mittelgebirge bahnt sie sich den Weg hinein in die Norddeutsche Tiefebene bis sie in die Nordsee mündet.
Auf einem gut zu fahrenden Asphaltweg fahre ich in einem großen Bogen auf die Bundesstraße zu, und erreiche unterhalb dieser Straße den Radweg, der mich wieder zurück führt zur Seenplatte.
Das Vogelleben auf den Seen ist ruhig geworden nach den Revierkämpfen der ersten Monate im Jahr.
Die Elternvögel ziehen mit ihren geschlüpften Jungen die ersten Runden über die großen Wasserflächen. Schwäne, Wasserhühner und Graugänse bevölkern vor allem die Baggerseen, an deren Rand die gelbe Iris ihre ersten Blüten öffnet. Es ist eine Blühpflanze des Frühsommers
Dort, wo die Seen etwas flacher sind, breiten sich die ersten Blätter der Wasserrosen aus. Bald werden sie Blüten treiben und ein Blickfang für alle Menschen sein, die in diesem Natur Kleinod vor ihrer Haustür Ruhe und Erholung suchen. Und über allem tanzen die Mücken und jagen die ersten Libellen über die Wasserflächen um Beute zu machen.
Ich stelle mein Rad ab und schaue für einen Moment auf das Wasser des Baggersees und genieße die Ruhe und den Anblick der scheinbar unberührten Natur aus zweiter Hand.
Am Schützenhaus vorbei überquere ich wieder die Aue,und fahre unter dem „Berge“, wie sich das hohe Ufer auf der Nordseite dieses kleinen Nebenflüsschens der Weser nennt, bis zum "Mönnichgarten", einer kleinen Nebenstraße, die mich wieder auf die Hauptstraße zur Meile hin führt. Schon früh in der Besiedlung dieser Gegend haben sich hier, an dem hochwasserfreien hohen Ufer Mönche angesiedelt. Die Klostermühle und dieser Straßenname erinnern an die Keimzelle des Ortes der um die Klosteranlage herum entstanden ist. Sonst erinnert nichts mehr an diese alte Geschichte. Das Kloster wurde schon vor langer Zeit verlassen und verfiel. Die Kirche, die dort heute steht, wurde viel später gebaut. Rings um die Kirche liegen auch die alten Höfe. Es ist der älteste Teil eines Dorfes, das seinen ursprünglichen dörflichen Charakter längst verloren hat.
Als ich die Hauptstraße erreiche umfängt mich nach der Stille und Ruhe der Marsch das laute Treiben und die Volksfeststimmung der Meile.
Ich schiebe mein Rad durch die Menschenmenge. Hier treffen sich alle Altersklassen. Vom kleinen eben geborenen Baby, bis zu uns Alten ist alles auf den Rädern oder Beinen. Rechts und links gibt es vieles zu schauen und zu entdecken bei den Flohmarkt Händlern. Ich finde dort manches alte Schätzchen mit Wiedererkennungswert.
Aber... ich beschränke mich beim Einkaufen lediglich auf drei Reibekuchen und eine Tüte Schmalz Gebackenes, die ich mir zu Hause schmecken lasse.
Ein Sonntag auf dem Lande. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es auf der Münchener Wie`sn interessanter ist. Hektischer, ja. Aber gemütlicher geht es bestimmt hier auf der Meile zu. Wo man sich kennt, Wo man auch mal stehen bleibt und ein Schwätzchen hält, mit guten Bekannten, die man lange nicht gesehen hat. Einem Volksfest auf dem Lande, gleich neben einem kleinen Paradies , wo die Kühe auf der Wiese wiederkäuend den sonnigen Tag genießen. Zwischen ihnen stolziert Vater Storch nach Mäusen und Engerlingen, um sie seiner brütenden Gattin in dem Nest auf dem abgebrochenen Wipfel der alten Erle, die am Rande der Aue steht, zum Nachmittag zu servieren. Vielleicht sind die Jungen ja auch bereits geschlüpft?
Und oben hoch am Himmel zieht ein roter Milan seine Bahn. Schon seit Jahren brütet er hier mit seinem Weibchen im großen Aue Bogen. Einer der letzten seiner Art.
Ein Sonntag auf dem Lande, eine kleine entschleunigte Zeitinsel in in der Hektik unserer modernen Zeit in einer globalisierten Welt.
Texte: © bei der Autorin
Bildmaterialien: © Cover: "Die Klostermühle" Eine kombinierte Wasser-und Windmühle. Privatfoto der Autorin.
Lektorat: bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 19.05.2014
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