Manchmal schreibt das Leben die spannendsten Geschichten.
Der Roman ist inspiriert durch eine wahre Begebenheit.
Das Zimmer war frisch renoviert. Blau tapezierte Wände – ihre Lieblingsfarbe mit leicht weiß untersetzter Struktur. Eine weiße Holzpaneele zierte die Wand an der das Bett stand. Ein weißes Einzelbett. Sie hatte es neu erworben. Die Möbel wurden im Schwedenstil gehalten, weiß getüncht. Ein weißer Sekretär schmückte die Ecke links von den zwei Fenstern mit Blick auf den großen wild romantisch gewachsenen Garten. Sie liebte dieses Zimmer, denn es symbolisierte Ihren Neuanfang. Vielleicht auch daher die dominierende weiße Farbe. Es war ein Rückzugsort, Ihr eigenes Zimmer. Die Spuren Ihrer zweiten Ehe waren verschwunden. Einzig ein Bild hatte sich in die neue Zeit herüber gerettet. Es hatte einen verwitterten Holzrahmen und zeigte einen Fischkutter der vor Anker lag.
Langsam schloss sie die Haustür auf, stapfte müde in den kleinen aber gemütlichen Eingangsbereich ihres Häuschens. Die Arbeit heute hat sie geschafft. Es war anstrengend, auch wenn sie gerne zur Arbeit geht. Durchaus, als Familienhelferin hat sie das Gefühl noch etwas bewegen zu können im Leben anderer Menschen. Sie seufzte, vielleicht wäre vieles anders gekommen, wenn Sie damals auch eine Familienhelferin gehabt hätte. Damals, als sie noch mit Ihm zusammen lebte. Ja, lange ist das her, jetzt schon über 10 Jahre...
Je wurde Sie aus Ihren Gedanken gerissen. Sie hörte Ihren Hund bellen, es konnte der verspätete Postbote sein oder eines Ihrer Kinder.
Drei Jungs an der Zahl im Alter von 13, 15 und 18. Sie vermutete den Ältesten und behielt recht. Simon kam aufgrund seiner Mobilität schneller nach Haus als seine Brüder. Erst wenige Wochen alt war sein Führerschein. Das Auto das er fährt ist jedoch umso älter. Aber es war günstig und aus der Nachbarschaft.
Senta bellte immer noch, doch jetzt ging sie langsam in ein Jaulen über. Untrügliches Zeichen dafür das sich ein Familienmitglied dem Haus nähert. Schnell legte sie Ihre Jacke ab, zog die Schuhe aus und ging in die Küche und fing an das Essen vorzubereiten. Gefüllte Paprika mit Hackfleisch und Ofenkartoffeln. Das mochten die Jungs ganz gern.
Ihr Blick fiel auf das Küchenfenster, die Eiche auf dem Nachbargrundstück thronte majestätisch im Garten. Dann sah sie ihr Spiegelbild. Müde blickte es ihr entgegen, ein wenig rundlich aber immer noch hübsch trotz Ihrer schon 43 Jahre.
Ihre blonden langen Haare schimmerten leicht und wurden von einem einfachen Zopf gebändigt.
Die Tür knarrte und laut polternd bewegten sich Schritte die hölzerne, knarrende Treppe hinauf. Ja, es konnte nur Simon sein. Wenige Minuten später dasselbe Spiel zurück. Simon polterte die Treppe hinunter, mindestens 3 Stufen auf einmal nehmend, und knallte die Toilettentür zu. Aus Erfahrung wusste Sie, das dies nicht Ausdruck einer Verstimmung war, sondern vielmehr Ausdruck völligen Wohlbefindens frei nach dem Motto: "Zuhause kann ich sein wie ich bin". Auch wenn dadurch eventuell Treppen und Türen in Mitleidenschaft gezogen werden.
Sie schmunzelte, gleich würde er durch die Küchentür einfallen.
Die Tür flog auf und Ihr Sohn strahlte sie an. "Hi Mom, was gibts zu Essen" keuchte er, während er sich eine dunkle Strähne aus dem Gesicht strich.
Seine dunklen Augen funkelten, er war das Ebenbild seines Vaters. Nur wenig größer als sie selbst, braungebrannt und muskulös. Die Mädchen standen auf Ihn, aber er war viel zu kindlich noch in seinem Wesen. Sobald sie Interesse zeigten, zog er sich zurück. Das machte Ihn noch interessanter für sie und es schien als ob sie sich einen wahren Wettstreit lieferten, welche es wohl bis zu seinem Herz schaffen würde.
Sie lächelte „ Das Essen ist gleich fertig, ich ruf Dich dann!“
„ Ok, Mom, ich geh schon mal hoch!“ rief er zurück und war schon halb auf der Treppe.
Bedächtig schob sie die Auflaufform mit den kunstvoll gefüllten Paprika in den vorgeheizten Ofen. Die Kartoffeln hatte sie schon vorbereitet – sie war ganz in Gedanken, während sie das Essen vorbereitete.
Was für ein Jahr lag hinter Ihr. Vor einem Jahr unterbreitete Ihr Mann das er die Scheidung wolle. Er hielt es nicht mehr aus, würde kaputt gehen wenn er blieb. So waren seine Worte. Thomas lernte sie vor 7 Jahren im Internet kennen. Christ sucht Christ – das war so eine christliche Partnerschaftssuche. Damals war sie schon einige Jahre alleinerziehend mit Ihren drei Kindern und sehnte sich nach einer Partnerschaft. Auch die Kinder wollten einen Vater – denn der Kontakt zu Ihrem leiblichen Vater riss vor vielen Jahren ab.
Ihr Glaube war Ihr Halt, schon immer gewesen. Auch als Ihre erste Ehe in die Brüche ging. Ja, ohne Ihren Glauben an Gott wäre sie vermutlich zerbrochen.
Jetzt war Ihr Leben geordnet. Sie hatte das Gefühl endlich Grund unter Ihren Füssen zu haben. Auch wenn sie immer rechnen mussten, nicht im Luxus lebten, aber es gehörte Ihr. Sie hatte sich Ihr eigenes kleines Reich für sich und die Kinder geschaffen.
Nach der Trennung von Thomas fing sie an das komplette Haus zu renovieren zusammen mit den Kindern. Die gemeinsame Arbeit half und langsam spiegelte das Haus Ihr innerstes wieder. Das Schlafzimmer – Ihr Zimmer – das kam zuletzt. Die blauen Tapeten und die weißen Holzmöbel waren genau Ihr Stil.
Ein geordnetes Chaos, so konnte man wohl Ihr Zuhause beschreiben. Ein geschlossener Kreis, sie war sich sicher das niemals mehr ein Mann, ein Ehemann an Ihrer Seite Platz finden würde. Und sie war nicht traurig darüber. Sie wollte es so. Der Mann denn sie zu lieben glaubte als junge Frau, den hatte sie vor vielen Jahren verloren. Irgendwann ging es nur noch darum heil da raus zu kommen. Mit Schaudern erinnerte sie sich an Ihre Flucht mit den drei kleinen Kindern damals.
Thomas hatte sie nie geliebt sondern vielmehr aus rationalen Gründen der Heirat zugestimmt. Aber das beruhte auf Gegenseitigkeit. Dessen war sie sich sicher. Sie hatte vielmehr gehofft, das sich im Laufe der Jahre so etwas wie Liebe entwickeln würde.
Thomas hatte sich selbst und seine Tochter vor allem gesehen. Sie hatte sich immer gefragt warum er sie überhaupt geheiratet hatte. Denn alles was sie oder ihre Jungs taten war in seinen Augen falsch. Nein, die Trennung war für sie ein Befreiungsschlag, ja eine Gebetserhörung.
Ein durchdringendes Klingelgeräusch riss sie aus Ihrer Gedankenwelt. Die Küchenuhr machte sie darauf aufmerksam jetzt die gefüllte Paprika und die Ofenkartoffeln rauszuholen. Sie atmete tief durch und schüttelte die Gedanken aus der Vergangenheit ab.
„Simon, Essen ist fertig!“ Stille - dann wurde die Tür oben aufgerissen und es polternden leichtfüßig mehrere Stufen nehmend zwei Füße die Treppe runter.
„ Jaaaa, super Mom !“ , zwei hungrige Augen blitzten, während sich der Teller samt Inhalt kunstvoll schon auf dem Weg nach oben befand. Unglaublich wie er das ohne Scherben hin bekam. Ein Naturtalent, dachte Sie bei sich.
Sie schaute auf die Uhr. In zwei Stunden würden Ihre anderen beiden Kinder Nachhause kommen. Jonah, mit seinen 15 Jahren mitten in der Pubertät, ging noch zur Schule. Er war handwerklich sehr begabt und übernahm seit der Trennung von Thomas den handwerklichen Part in der Familie. Sobald eine Schublade auseinander fiel oder ein Schrank aufgebaut werden musste. Jonah war der Mann dafür. Ansonsten war er ein ganz normaler Teenager der gern vorm PC hockt oder lange schläft.
Aron war der jüngste und ging auch noch zur Schule, in eine Förderschule. Er hatte durch einen Sauerstoffmangel während der Geburt eine geistige Behinderung bekommen. Er war anders und doch wieder nicht. Seine Behinderung fiel kaum auf im Alltag.
Er konnte unheimlich hilfsbereit und lieb sein, aber auch sehr zickig und anstrengend. Da konnte er gut mithalten mit seinen Brüdern. Viele Arztbesuche und Therapiebesuche lagen hinter Ihnen. Jetzt hatte sich alles eingespielt und man wusste womit man rechnen musste. Andre wird niemals selbständig leben können. Aber er war dafür so charmant, das er immer Wege fand andere Menschen für sich zu gewinnen.
Ja sie war stolz auf Ihre Jungs. Als sie noch klein waren, dachten viele Menschen es wären Drillinge. So ähnlich sahen sie sich. Jetzt unterschieden sie sich natürlich durch Ihre Größe aber die Ähnlichkeit war geblieben. Alle drei waren vom Hauttyp eher dunkel, was besonders im Sommer sichtbar wurde. Mit dunklen Augen und dunkelbraunen Haaren konnte man den fremdländischen Einfluss kaum übersehen.
Sie schloss den Ofen wieder, damit das Essen warm blieb. Seit langer Zeit fühlte sie sowas wie ein Glücksgefühl. Ihr Leben gefiel Ihr so wie es jetzt war. Sie hatte einen netten Freundeskreis und eine nette Gemeinde. Eine Arbeitststelle die Ihr gefiel und gute Kollegen. Regelmäßig besuchte sie Ihren Hauskreis und arbeitete ehrenamtlich in Ihrer Gemeinde mit, wenn es Ihre Zeit erlaubte.
Sie fühlte sich gebraucht und beliebt und genoss es. Freilich hatte sie noch so viele Ideen. Studieren würde sie gern, beruflich weiterkommen. Aber privat hatte sie mit den Kindern Ihr Glück und Ihren Frieden gefunden. Gerne zog sie sich zurück in ihr Zimmer. Da hatte sie die Freiheit über die Vergangenheit nachzudenken, ohne sich erklären oder rechtfertigen zu müssen.
Als Christin hatte sie natürlich Halt in Ihrem Glauben und auch durch die Glaubensgeschwister. Aber im laufe der Jahre hatte sie auch negative Erfahrungen gemacht. Trennung und Scheidung als Christ war in bestimmten Kreisen ein No Go.
Es hatte viele Jahre gebraucht für sie um zu erkennen das Gott Menschen nicht in Schubladen steckt und vorverurteilt. Die Gnade der Vergebung war auch für Sie greifbar geworden.
Die wenigen Menschen mit denen Sie persönliches teilte und die Einblick in Ihr Leben hatten, lebten diese Einstellung. Dort fand sie Annahme ohne Verurteilung und echte Freundschaft.
Sie war kein regelmäßiger Gottesdienstbesucher. Auch das hatte sie irgendwann als Zwang empfunden und besuchte jetzt nur noch sporadisch Ihre Hausgemeinde. Lieber traf sie sich in persönlicher kleiner Runde im Hauskreis um in der Bibel zu lesen und gemeinsam zu beten. Oft gab es danach noch ein gemeinsames Abendbrot und man tauschte sich ungezwungen aus.
Ihr erster Mann konnte mit Christen und allem was damit zusammen hing überhaupt nichts anfangen. Er lebte ein völlig anderes Leben. Hüseyin war türkischer Abstammung und wuchs in einer gläubigen muslimischen Familie auf. Allerdings wurde er als Kind durch seinen Vater zum beten durch körperliche Züchtigung gezwungen und auch sonst schwer misshandelt, so das er jede Art von Glauben ablehnte. Das hatte natürlich Spuren hinterlassen in seiner Persönlichkeit. Narzisstische Persönlichkeitsstörung fiel irgendwann mal als Begriff.
Ihr zweiter Mann war ein Christ. Zumindest schien es so als sie ihn kennenlernte. Er entpuppte sich jedoch als egoistischer Tyrann mit narzisstischen Zügen – schwer atmend erinnerte sie sich an die Zettel die überall an jeder Tür klebten mit Anordnungen an die Kinder und sie selbst. Nicht überall wo Christ draufsteht ist eben auch Christ drin.
Jetzt war sie frei, zusammen mit Ihren Kindern fing sie ein neues Leben an.
Sie beschloss noch einen Spaziergang mit Ihrer Hündin Senta zu machen. Es war windig draußen und kalt denn der Winter stand vor der Tür. Sie zog sich ihre dicke, unechte Pelzjacke über und Ihre bunte Norwegermütze mit den langen Bommeln. Die skandinavischen Länder mit Ihrer Mode und Ihrem Stil hatten es Ihr angetan. Schnell noch in die warmen Boots und raus zu Senta die schon ungeduldig in dem eingezäunten Hundeauslauf wartete.
Der Wind hatte schon fast alle Blätter von den Bäumen gefegt. Nur die Eiche stand noch sehr prachtvoll, bräunlich schimmernd im Garten des Nachbarn – so majestätisch das man den Eindruck gewinnen konnte der Baum könne einfach alles überstehen.
Sie zog die kalte winterliche Luft tief in sich ein und steuerte mit Senta die nahen Felder an.
Das Meerwasser spritze an ihren Beinen hoch. Immer schneller rannte sie an der Brandung entlang, den Dünen entgegen. Doch sie fühlte das Wasser nicht. Immer schneller ging Ihr Atem - ist er noch hinter Ihr? Sie traute sich nicht zurück zu schauen.... Dort hinter der Düne würde sie sich verstecken. Ihr Herz pochte heftig. Schnell rannte sie um die Düne und lies sich in den Sand fallen. Sie wollte husten, aber unterdrückte das harte Pochen Ihrer Lunge und das kratzen im Hals. Stille... dann leise Schritte – „oh Gott“ dachte sie , die Schritte kamen langsam näher....
„Riiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiing“, laut riss Ihr Wecker sie in die Wirklichkeit. Ausnahmsweise war sie diesmal heilfroh, was für ein furchtbarer Alptraum. Sie wurde verfolgt von einem dunkelhaarigen Mann, der Ihr völlig unbekannt war. Sie sein Gesicht im Traum nicht sehen. Noch nie hatte sie einen solche Angst verspürt. Es war nackte Todesangst. Ein Traum – es war nur ein Traum.
Langsam schälte sie sich aus Ihrem Bett und knipste das Licht an. Sie versuchte Ihre Gedanken zu sammeln – Aron , sie musste Ihn wecken. Jonah war schon wach, sie konnte Ihn in der Küche hören.
Sie schwang Ihre Beine aus dem Bett und zog sich ihren flauschigen, sandfarbenden Morgenmantel über. - Stille - Sie schloss die Augen zum Gebet und bat Gott Sie an diesem Tage zu begleiten, ja und auch dieses unangenehme Gefühl des Traumes zu verscheuchen.
Dann ging sie in Gedanken kurz durch was heute auf Ihrer ToDo Liste stand. Ach ja, Thomas wollte sich mit Ihr treffen. Er hätte Ihr was zu sagen, „Na, dann mal los „ flüsterte sie angriffslustig. Sie strich sich über die Haare und bändigte es mit einem Haargummi.
Dann stand sie auf.
Es war jeden Morgen eine Kunst die drei Jungs zu wecken und zum Frühstücken zu bewegen. Mindestens einer hatte schlechte Laune und so war es oft Ihr besonnendes Eingreifen, das eine Eskalation am frühen Morgen verhinderte. Am Ende saßen alle zufrieden mampfend am Tisch und verschwanden wenig später aus der Haustür.
Dann konnte sie aufatmen und in Ruhe Ihren Kaffee trinken. Gerne saß sie dazu in der Küche am kleinen Tisch und schaute aus dem Fenster auf die wunderschöne Eiche die in jeder Jahreszeit majestätisch aussah.
Genau das tat sie jetzt, und begann dabei noch ein wenig in der Bibel zu lesen als plötzlich Ihr Handy summend eine SMS ankündigte...
„Wann treffen wir uns, und wo. Thomas“
Kurz und bündig. Hatten wir das nicht schon besprochen? Eigentlich war Ihr das Geld für eine SMS zu schade für eine Antwort an Ihren „EX“ Mann , sie seufzte und tippte schnell die Antwort.
„ Um 12 Uhr am Marktplatz, wie schon besprochen. Janni“
Janina zupfte sich den Schal zurecht und überlegte was sie bis 12 noch erledigen musste. Sie hatte heute zwar frei, aber wirklich frei waren diese Tage dann doch nicht. Es fiel Ihr ein, das sie vorher noch zur Bank musste um einige Überweisungen einzureichen. Ach und Milch fehlte auch... also los , dann musste sie jetzt aufbrechen.
Die Kasse war voll, Langsam bewegte sich das Laufband mit der Milch und den anderen noch schnell für wichtig befundenen Sachen in Richtung Kassiererin. Janina war in Gedanken und bemerkte nicht, das sie intensiv beobachtet wurde. Plötzlich riss eine Stimme sie aus Ihren Gedanken.
„ Hey kennst mich noch?“
Keine Reaktion, Janina hörte die Worte zwar, aber schaute nicht auf. Sie nahm die unbekannte Stimme meinte jemand anders.
„Hey Janni, kennst mich noch“ Janina drehte sich abrupt um und blickte in das Gesicht eines Mannes, wenig älter als sie so schien es.
Kurze braune Haare die in alle Richtungen abstanden. Seine Augen stachen hervor als wollten sie auf den Grund einer Seele schauen.
„ Ja Mensch, was für ein Zufall – du bist doch die alte Freundin von meiner Schwester Sille“ maulte er fast beleidigt und schob seinen sportlichen Körper in Ihre Richtung.
Janina machte einen Schritt zurück. „Sille ?“ ... Sille, Sille natürlich – Ihre alte Klassenkameradin. Und das war Ihr großer Bruder – ach Herrje
„Stefan, oh tut mir leid, ich habe Dich wirklich nicht erkannt und noch weniger hier erwartet. Du kannst Dich nach so langer Zeit noch an mich erinnern?“
„ Ja klar, du warst ja ständig bei uns“ grinste Er. „ fast schon ein Teil der Familie, ich kann mich noch gut erinnern....“
Janina unterbrach Ihn schnell, „ Wie geht es Sille?“
Stefan schien sich zu winden, „ Sille geht es soweit gut, wieder gut sozusagen. Sie und Andreas sind nicht mehr zusammen. Sie sind geschieden.“
„Was - die beiden?“ Janina rang mit sich, die beiden waren ein Traumpaar!
„Kannst du mir bitte Silles Nummer geben? Ich würde Sie so gern wieder sehen. Mensch was ist das alles lange her.“
Janina schüttelte immer noch den Kopf, welch ein Zufall.
Inzwischen war Ihre Milch, Eier und noch Unmengen von Käse auf dem Laufband bei der Kassiererin angekommen.
„Janina, ich muss los! Gib mir Deine Handynummer, Sille wird Dich anrufen ok? Versprochen.“ raunte Stefan Ihr zu, während er bezahlte.
Janina nickte, da sie es eilig hatte wollte sie jetzt nicht diskutieren mit Stefan. Sie gab ihm Ihre Nummer und verabschiedete sich schnell.
Draußen vor dem Einkaufscenter schlug Janina der kalte Wind entgegen. Was für ein Zufall. Wie kann es sein das der Bruder Ihrer langjährigen Schulfreundin auf einmal hier – über 400 km weg von Ihrem Heimatort – vor Ihr an der Kasse steht. Was hatte das zu bedeuten? Das war doch nicht möglich, aber alles kneifen nützte nichts.
„Wie seltsam doch manchmal die Wege im Leben sein können“, sinierte sie leise vor sich hin.
Sie schaute auf die Uhr und stellte fest das sie sich beeilen musste, wenn sie pünktlich beim Treffen mit Ihrem Mann sein wollte. Sie musste zugeben das es sie schon interessierte was er Ihr sagen wollte.
Seitdem er vor gut einem dreiviertel Jahr ausgezogen ist, ging er Ihr eher aus dem Weg. Das war Ihr nur Recht so , aber ewig konnte das ja nicht weiter gehen. Irgendwann musste man auch darüber sprechen wann die Scheidung eingereicht werden sollte. Vielleicht war das sein Thema.
Sie war am Auto angelangt und machte sich auf den Weg. Mit Schrecken stellte sie fest, das es zu schneien anfing. Das kann ja heiter werden. Sie hatte zwar Allwetter-Reifen drauf, aber auch damit rutschte sie im letzten Winter in einen Graben.
Langsam bog sie links ein, um auf den Parkplatz des Marktplatzes zu gelangen. Sie manövrierte Ihren kleinen blauen Skoda in die größte Parklücke die sie finden konnte. Weiter hinten konnte sie das Auto Ihres Mannes erkennen. Er war also schon da. Es muss ihm sehr wichtig sein was er Ihr zu sagen hat.
Langsam bahnte Sie sich den Weg durch die parkenden Autos und steuerte ein kleines Cafe gegenüber dem Parkplatz an. Das Cafe hatte weiter keine Bedeutung für Sie. Es hatte den Zweck eines neutralen Ortes, für den beide etwa denselben Anfahrtsweg hatten. Draußen saß er nicht, also ging sie hinein. Das Cafe war unübersichtlich, es gab viele Ecken und Nischen.
Schließlich entdeckte Sie Ihn an der Theke stehend. Er bestellte gerade Kaffee, ganz offensichtlich für Sie auch, denn es waren zwei Tassen. „Wozu diese Freundlichkeit“ – dachte sie bei sich.
Langsam steuerte sie auf einen kleinen Tisch in der Ecke zu und setzte sich. Dort hing bereits seine Jacke über dem Sessel.
Thomas kam freudig auf sie zu und gab Ihr die Hand.
„Hallo Janina, schön das Du kommen konntest. Wie geht es Dir?“ flötete er.
Innerlich verkrampfte sie sich „ Es geht uns gut Thomas, was gibt es denn so wichtiges, erzähl!“ Sie wollte nicht länger als nötig hier mit Ihm plaudern.
„Janina, ich möchte das Du es als erste erfährst.“ er hielt inne und schaute Sie prüfend an. Janinas verzog keine Miene. Er fuhr fort.
„Ich habe vor einigen Monaten jemanden kennengelernt. Wir beide sind ja nun schon seit letztem Jahr Oktober getrennt. Nicht das du das falsch verstehst. Ich werde immer für Euch da sein, wenn Du oder Deine Jungs Hilfe brauchen“ Janina verriet mit keiner Miene, das sie einen plötzlichen Brechreiz verspürte.
„Ja und jetzt wollte ich Dich fragen, ob wir nicht langsam überlegen sollen, unsere Scheidung auf den Weg zu bringen.“
Janina holte langsam tief Luft.
„Thomas das ist überhaupt kein Problem.“ Janine rang sich ein Lächeln ab, „Das möchte Ich auch. Aber eine Scheidung kostet Geld. Ich mache Dir einen Vorschlag. Da ich mich ja nun ein letztes Mal um unsere letzte gemeinsame Steuererklärung kümmere und wir davon ausgehen können eine Rückzahlung zu bekommen, schlage ich vor dieses Geld für die Scheidung zu benutzen. Ich kümmere mich darum.“
Thomas sah unglaublich erleichtert aus. „ Danke Janina, ich wusste das ich auf Dich zählen kann.“
Janina war klar, das es nicht nur die baldige Scheidung ist, die Ihn erleichterte. Nein, die Tatsache das Sie die Scheidung einreichte, war für Ihn von noch wichtigerer Bedeutung.
So würde seine Scheidung in christlichen Kreisen anerkannt werden und er hätte den Segen nochmal zu heiraten. Zumindest ist das seine kranke Vorstellung.
Das Gott längst wusste wer die Ehe kaputt machte und wer die Trennung vollzog, davon war Janina überzeugt. Und daran änderte dieses Blatt Papier auch nichts.
„Also abgemacht. Ich kümmere mich darum. Sobald das Geld vom Finanzamt da ist, suche ich uns einen Anwalt. Einverstanden?
Thomas nickte „ Einverstanden, du bist übrigens eingeladen.“ fügte er unnötiger Weise hinzu und nickte gönnerhaft in Richtung Ihrer Kaffeetasse.
Janina ignorierte seinen letzten Satz und erwiderte
„ Ich muss los, Thomas. Wenn Du nicht noch was zu besprechen hast, würde ich jetzt gerne fahren. Ich melde mich sobald es los geht.“
Thomas stand auf und half Ihr in die Jacke.
„ Vergiss nicht, wenn Ihr Hilfe braucht...“ sagte er noch schnell während er zu grinsen versuchte.
„ Danke Thomas, aber das ist nicht nötig. Wir haben alles im Griff. Ich melde mich.“ Sie lächelte freundlich gequält.
Sie gaben sich die Hand und Janina verließ das Cafe. Thomas setzte sich offensichtlich wieder hin.
„Na, er wird sich gleich mit seiner neuen hier treffen.“ Sie dachte den Gedanken nicht mal zu Ende, da fiel Ihr eine hochgewachsene schlanke Blondine auf die zielstrebig auf das Cafe zu ging. Und richtig, als Janina sich umdrehte, sah sie noch wie die beiden sich umarmten.
Janina drehte sich um. Der Wind fuhr Ihr durch die Haare und wehte ein paar Schneeflocken in Ihr Gesicht. Wie war das? Heute morgen beim Bibel lesen stolperte sie über einen Vers: „den Staub abschütteln“ , genau das würde sie jetzt tun. Nach vorne schauen.
Sie stieg in Ihr Auto und fuhr nachhause.
Ihre Gedanken wanderten zu Sille und die Begegnung am Vormittag mit Ihrem Bruder. Die Erinnerung daran war wie aus einem früheren Leben.
Sille und Sie kannten sich noch von der Schulzeit. Aufgewachsen im südlichen Nordrhein-Westfalen, gingen sie dort in die Klasse einer lokalen Gesamtschule.
Ja was hatten Sie da nicht alles für Blödsinn gemacht. Manchmal übernachtete Janina bei Sille zuhause und dann schlichen die beiden Mädchen sich nachts nach draußen und liefen leise gickelnd durch die Strassen. Janina schüttelte lächelnd den Kopf, wie leichtsinnig sie damals waren.
Sille hatte also auch eine Scheidung hinter sich und wohl einiges durchgemacht.
Was war da passiert? Die beiden waren doch ein Herz und eine Seele.
Langsam steuerte Janina Ihr Auto auf Ihren Hof. Die Haustür flog auf und Ihr Sohn Jonas kam Ihr entgegen gelaufen.
„Mom, da hat eine Frau angerufen. Ich weiß nicht wer das war, aber sie hat mir Ihre Nummer gegeben. Du sollst zurückrufen.“
Janina stieg aus dem Auto und sammelte Ihren Einkauf ein.
„Danke Jonas, ich glaube ich weiß wer das ist. Leg mir die Nummer in die Küche, ich komme sofort.“ Janina dachte bei sich, das dies nur Sille sein konnte.
Stefan hatte offensichtlich keine Zeit verloren. Um so besser, denn Janina wollte lieber gestern als heute mit Sille sprechen. Irgendwie hatte sie das Gefühl es sei wichtig.
Jonas kam auf Sie zu und nahm Ihr Einkaufstaschen ab. „ Mom, ich wollte nochmal weg, zu Peter, ist das ok? „
„ Ja geh nur“ lächelte Sie, „ aber du bist um 10 Uhr spätestens zuhaus.
„ Jaaaa, tschüß Mom“ Jonas knallte die Haustür zu und verschwand.
Ruhe – genau das brauchte sie jetzt. Geschwind räumte Sie den Einkauf weg und nahm die Telefonnummer und das Telefon an sich. Janina machte es sich auf dem Sofa gemütlich und wählte die Nummer.
„ Hallo ? „ , ertönte es am anderen Ende der Leitung.
„Sille bist du es?, ich bin's Janina, Mensch ich kann es nicht fassen.“
„Jaaaaaaaaaaaaa, hey Janina wie schöööön. Es ist so lange her und ich muss dir so viel erzählen.“ Sille quietschte fast am Telefon.
Janina lachte, oh war das ein gutes Gefühl. Es war als ob sie sich nie aus den Augen verloren hätten. Sie unterhielten sich über alles quer Beet und der Gesprächsstoff schien niemals auszugehen.
„Janina, was sagst du, wenn ich Dich besuchen komme. Ich bringe meinen beiden Kinder mit und wir kommen zwischen den Jahren zu Euch. Wäre das nicht ne super Idee?“
Janina musste nicht lange überlegen,
„Natürlich machen wir das, eine tolle Idee. Pass auf, ich habe vom 27.12. - 29.12 frei. Möchtest Du da vorbei kommen?“ Janina blätterte schon in Ihrem Terminkalender.
„ Ja das klingt gut. Also abgemacht. Ich freue mich total.“ quietschte Sille, „ wir sehn uns, ich muss auflegen leider.“ meinte Sille.
„ Ist ok, Sille wir sehen uns und ich freu mich wirklich ganz ganz dolle. Kurz vorher telefonieren wir nochmal ok?“ Janina nickte und lächelte.
Wunderbar – sie würden beide über alte Zeiten klönen können und Janina könnte Sille alles erzählen über Ihr Leben. Was es wohl für Geschichten gibt aus Ihrer alten Heimat. Sie würde sich jede einzelne mit Spannung anhören.
Der Tag neigte sich dem Ende zu. Jetzt würde sie sich ums Abendbrot kümmern.
An den anfänglichen Alptraum musste sie überhaupt nicht mehr denken. Erst als sie ins Schlafzimmer ging und das zerwühlte Bett sah, fiel Ihr der Traum wieder ein. Aber - es war ja nur ein Traum.
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Tag der Veröffentlichung: 13.12.2012
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