Inhaltsverzeichnis
Teil 1- Wie Alles Begann
1. Die Party
2. Der Traum
3. Im Versteck
4. Unerwarteter Besuch
5. Der Aufbruch
Teil 2- Das Orakel der Penelopa
6. Leandro
7. Das Orakel
Teil 3 – In der Unterwelt
8. Gefangen
9. Das Böse in Person
10. Die Rettung
11. Und Jetzt?
Teil 1 - Wie alles begann
Kapitel 1 Die Party
„Komm endlich, Marilies! Sonst kommst du noch zu spät zu deiner eigenen Geburtstagsparty!“, rief mein Vater. Schnell warf einen letzten Blick in den Spiegel, bevor ich hinunter zum Auto rannte. Dort blickte mir ein sommersprossiges Mädchen mit roten lockigen Haaren entgegen. Die grünen Augen leuchteten aus Vorfreude auf das Bevorstehende, und wurden von langen, schwarzen Wimpern umrandet. Meine Lippen waren meistens trocken vom vielen Querflöte üben, das hatte ich von meinem Vater, der dieses Instrument ebenso wie ich beherrschte, aber heute hatte ich ein spezielles Lippenbalsam aufgetragen, und das hatte dafür gesorgt, dass meine Lippen nun schön rot und weich waren! Ich hatte mich kaum geschminkt, einerseits, weil ich es nicht konnte, andererseits, weil es mir zuwider war, zusammengemischte Walkotze und Seehundinnereien ins Gesicht zu schmieren. Um meinen Hals baumelte das Amulett, das einzige Erinnerungsstück, das ich noch von meiner Mutter besaß. Es bestand aus einer dünnen, filigranen Silberkette, auf der ein kleiner, ebenfalls silberner Anhänger hing. In der Mitte dieses Anhängers befand sich ein herzförmiger Stein in der Farbe meiner Haare, ein Granat vermutlich, der in ein feines, silbernes, Gewirr aus gekringelten Silberfäden eingewoben war. Auf der Rückseite dieses Steines waren in einer verschlungenen Schrift Worte aus einer fremden Sprache eingraviert. Sie lauteten: Ferelefe Migathitun. Ihr müsst wissen, dass meine Mutter kurz nach meiner Geburt gestorben ist, ich wusste nicht, wie oder ob meine Geburt daran schuld war, denn mein Vater sprach nicht oft von ihr. Ich kannte diese Frau nur von einigen Fotos, doch man sah schon auf den ersten Blick, dass sie mir sehr ähnlich gesehen haben musste. Und dass sie wunderschön gewesen war.
Dieses Amulett war eine Art Talisman für mich, den ich immer, außer beim Duschen, um den Hals trug, und zwar genau seit dem Tag, an dem mein Vater und ich haarscharf am Tod vorbeigeschrammt waren. Wir hatten übers Wochenende einen Campingausflug gemacht, und waren nur knapp, und zwar dank eines Traumes, einem Steinschlag und damit unserem sicheren Tod entkommen. Natürlich kommt es Unwissenden ziemlich blöd, vor blindlings einem Traum zu folgen, um so herunterfallenden Felsbrocken auszuweichen, aber in dieser Hinsicht habe ich eine sehr besondere Eigenschaft, die mich von all meinen Freunden und Klassenkameraden unterscheidet: Ich kann träumen. Nicht so wie andere träumen, sondern auf meine ganz eigene Art und Weise. In meinen Träumen kommen manchmal Fantasiewesen zu mir und warnen mich, wenn bald etwas Schlimmes passiert, oder ich sehe Bilder, die mir zeigen, was bald passieren wird. Aber natürlich habe ich das noch nie jemandem erzählt, die Leute würden mich ja für verrückt halten und mich in eine Irrenanstalt einweisen lassen.
Hinter den Fenstern unserem gelben VW- Bus wartete mein Vater schon sehnsüchtig auf mich. Meine beste Freundin Amelie und er hatten beschlossen, zu meinem 16. Geburtstag, also heute, eine Party für mich zu veranstalten, wobei mein Vater den Sponsor und Amelie die Designerin spielte. Doch als wir bei der Wiese am See, wo das Fest stattfinden sollte, ankamen, staunte ich nicht schlecht. Amelie hatte nicht übertrieben, als sie meinte, dass mir vor Staunen der Mund offen stehen bleiben würde: Die Bäume am Rand der Wiese hatte sie mit bunten Lampions geschmückt, und darunter hatte sie ein großes Buffet errichtet, wo sich Speisen und Getränke auftürmten. Der Rest der Wiese war zur Tanzfläche umdekoriert worden, was man unter anderem an der riesigen Stereoanlage, die auf einem weiterem, dekorierten Tisch, am Rande der Wiese aufgebaut worden war, oder an den bunten Strahlern, die rote, blaue, violette, gelbe,... Lichter auf die Wiese warfen. Da entdeckte ich Amelie, die am gegenüberliegenden Ende der Wiese mit der Musik beschäftigt gewesen war, und lief ihr entgegen. „Und, wie gefällt´ s dir?“, fragte sie, „Bevor du fragst, die Lichter hat mir mein Vater aus dem Theater mitgebracht, der arbeitet ja dort, und die Stereoanlage hat mir Marion geborgt, die aus der Parallelklasse, die braucht so was für ihre Bandproben. Ich hoffe, das mit der Stromversorgung klappt, wir haben nämlich die Kabel bis zum Freibad gelegt, die waren einverstanden, dass wir das bei ihnen anschließen, natürlich müssen wir den Strom bezahlen, aber die anderen , wie zum Beispiel die Seewiese,“, fügte sie mit einem bösen Blick hinzu,“ wollten das trotzdem nicht,….“ „Ami, es ist einfach Wahnsinn!“, rief ich, voll Freude über fantastische Gestaltung und Umdekorierung der Wiese. „Danke!“; sagte sie, und viel mir um den Hals. „Hast du dich den überhaupt schon umgedreht?“ Ohne dass ich antworten konnte, packte sie mich an den Schultern und drehte mich schnell herum. “Wow!“ brachte ich nur heraus. Die sonst schon malerische, kleine Bucht war mit kleinen hölzernen Schiffchen übersäht, auf denen brennende Kerzen standen. Das Licht wurde vom Wasser reflektiert und verbreitete auf der gesamten Wiese einen wunderschönen Schein, der mir bisher noch gar nicht aufgefallen war. Es war einfach wunderschön, wie die Schiffchen auf den kleinen Wellen hin und her tanzten, und wie sich ihr warmes Licht auf der Wasseroberfläche spiegelte. Ich fragte mich verblüfft, wie so kleine Lichtlein es wohl schafften, Menschen so zu verzaubern, ich konnte gar nicht genug von diesem herrlichen Anblick bekommen! Fasziniert überlegte ich mir, dass es wahrscheinlich noch schöner aussehen würde, wenn die Sonne bereits untergegangen wäre, dann wäre nämlich das Licht der Kerzen das einzige, mit Ausnahme der Discostrahler, was die Wiese erhellen würde, es wäre wahrscheinlich bis ans andere Ende des Sees zu sehen.
Nach einem viel zu kurzem Augenblick drängte Amelie mich schon: „Genug geschaut, komm, die ersten Gäste können jeden Moment auftauchen!“ Wie Amelie gesagt hatte, kamen auch schon die ersten Autos um die Ecke. Ich beobachtete, wie meine kleine Freundin in ihrem mit Pailletten besetztem Cocktailkleid zu den Fahrzeugen hinüberflitzte, um die ersten Gäste zu begrüßen, und schnell lief ich ihr hinterher.
Nachdem endlich alle Gäste angekommen waren und sich die Menschen halbwegs auf der Wiese verteilt hatten, beschlossen Amelie und ich, uns eine kleine Pause zu gönnen. Wir setzten und auf einen Felsen, der halb im Wasser lag, hielten unsere Füße ins kühle Nass, und beobachteten all unsere Freunde und Bekannte aus der Schule, die sich auf der Tanzfläche drängten oder bei den Speisen standen und ihre Teller mit Früchten, Senfeiern oder sonstigen Speisen, die Amelies Mutter (sie war Köchin in einem der besten Restaurants der Gegend) zubereitet hatte. Plötzlich entdeckte ich im Schatten der ersten Bäume meinen Schwarm Lars, einen verdammt gut aussehenden, blonden Jungen, doch da war noch jemand. Als sich die beiden drehten, erkannte ich genau wer das war! Lea, die Wasserstoffblondine, die schon mit mir in die Volksschule gegangen war, und die nie einen Gelegenheit ausgelassen hatte, mich zu übertreffen und bloß zu stellen. Lea war früher, in den ersten Jahren der Volksschule, meine beste Freundin gewesen, doch irgendwann hatte Amelie, die ich damals nicht leiden konnte, darauf aufmerksam gemacht, dass die blond Kuh, wie sie sei damals nannte, mich immer nur ausnutzte und hinter meinem Rücken über mich lästerte. Seitdem war Amelie meine beste Freundin und Lea meine größte Feindin. und nun knutschte diese eingebildete Ziege (oder Zicke, sie war beides!!) gerade mit dem Jungen, mit dem ich schon fast zusammen war, und das auf meiner eigenen Geburtstagsparty! Von ihr war ich nichts anderes erwartet, aber wie konnte er mir das nur antun! Das konnte ich nicht verkraften! Ich sprang auf und landete mit den Füßen im Wasser, sodass ich, mein Kleid und sogar Ami nass wurden, doch das beachtete ich gar nicht. Ich zitterte am ganzen Körper und instinktiv schloss ich die Augen. In meiner blinden Wut spürte ich, wie immer größer werdende Wellen um meine Füße schlugen, ich spürte (ja, ich SPÜRTE!!), wie sich langsam Wolken am wunderschönen Abendhimmel bildeten, wie sich die Gräser vor dem nun aufkommenden Wind verbeugten und wie einer der Lampions zu flackern begann und schließlich erlosch. Doch da sagte eine zornige, aber wunderschöne Stimme in meinem Inneren: „Beruhige dich! Oder willst du, dass ein Unglück passiert?“ doch ich ließ mich nicht beruhigen, und neben den Worten meiner Freundin, die mich ebenfalls beruhigen wollte, dem Partylärm und dem Plätschern der Wassers spürte ich, wie sich meine Füße langsam vom Boden lösten und zu schweben begann. Ich wunderte mich noch nicht einmal, es kam mir fast selbstverständlich vor. Da ertönte die innere Stimme noch einmal, diesmal etwas lauter und bestimmter: „Beruhige dich! Willst du in eine Irrenanstalt eingewiesen werden? Wenn ja, dann mach nur so weiter, dann kommst du sogar in ein wissenschaftliches Versuchslabor!“ Ich wusste nicht, ob das wirklich sein konnte, aber trotzdem wurde ich langsam wieder ruhiger. Meine Füße berührten wieder den Grund des Sees, der Wind flaute ab, und das Wasser lag wieder still da. Endlich öffnete ich meine Augen. Entsetzt starrte meine Freundin mich an, aber ich sagte nur ausweichend: „Ich hab´ keine Ahnung, was das gerade war“, was ja auch der Wahrheit entsprach. Zum Glück fragte sie nicht weiter nach, denn ich wollte auch nicht weiter über diesen Vorfall reden. Ich wusste, dass sie bald einen Erklärung von mir verlangen würde, aber ich würde wahrscheinlich sowieso die ganze Nacht darüber nachdenken, was für ein Problem ich wohl hatte, dass ich zu schweben anfing. So dünn, dass ich der Schwerkraft wiederstehen konnte, war ich auch wieder nicht, und ich war mir sicher, dass mein Vater mir auch keinen
Anti-Gravitationsmechanismus in mein Essen geschmuggelt hatte.
Als Amelie ihr Entsetzen abgeschüttelt hatte, nahm sie mich an der Hand, und zog mich auf die Tanzfläche. Im Gehen sagte sie etwas wie „Mach dir nichts daraus, lass uns den Abend genießen“ und wir mischten uns unter die Leute, Meine Freundin fragte zwei Jungs, die in eine Klasse unter uns gingen, ob sie mit uns tanzen wollen, und sie bejahten. Amelie wusste einfach immer, was mich ablenken konnte, und sie schaffte es auch, ihre Neugier und wahrscheinlich auch etwas Angst vor mir zu verbergen. Alles in allem wurde es trotzdem noch ein schöner Abend, doch der Wutanfall am See machte mir ganz schön zu schaffen. Was war bloß los mit mir?
Kapitel 2 Der Traum
Zwei Wochen nach meinem Geburtstag hatte ich einen Traum:
Es war halb elf in der Nacht, ich war auf dem Nachhauseweg von meiner Freundin. Wir hatten uns einen schönen Freitagabend gemacht, mit DVDs Popcorn, gut aussehenden Schauspielern und allem, was sonst noch so dazugehört. Nach Sonnenuntergang war es sehr kalt geworden und der Wind blies mir die Haare ins Gesicht. Plötzlich schreckte mich ein Geräusch hinter meinem Rücken auf, und hastig drehte ich mich um, doch da war nichts. Ich beschleunigte meine Schritte und war unendlich erleichtert, als ich den Feldweg erreichte, an dessen Ende unser Haus stand. Doch was war das! Plötzlich entdeckte ich überall an den Häuserwänden und sogar auf der Straße kleine schwarze Schatten, die sich zu bewegen schienen, und zwar in meine Richtung! Blitzschnell rannte ich auf das Gartentor zu, und stürmte in unser Haus.
Da änderte sich das Bild schlagartig. Jetzt saßen mein Vater und ich auf der Couch vor dem Kamin und unterhielten uns. Aber auch diesmal waren wieder diese beweglichen kleinen Schatten an den Wänden. Auf einmal lösten sich die Schatten vom Boden und von den Wänden und wurden zu kleinen schwarzen Figuren, die auf uns zurasten. Schließlich erreichten die unheimlichen Kreaturen meinen Vater und umhüllten ihn in Finsternis wie in einen Kokon, bis er plötzlich ganz verschwand. Ich schrie, aber niemand hörte mich.
Da änderte sich das Bild erneut. Ich saß auf etwas beweglichen, haarigen, es fühlte sich an wie eine Horde übermäßig großer Ameisen. Ich war gefesselt und neben mir saß mein Vater. Ich konnte in zwar nicht sehen, aber ich konnte spüren dass er da war, ebenfalls gefesselt. Ich hatte meinen traurigen Blick starr auf unser Haus gerichtet, doch bevor ich erkannte, warum mein Traum-Ich so traurig aussah, roch ich es: Es brannte! Unser schönes Haus brannte!
Schweißgebadet lag ich in meinem Bett und versuchte, meine Offenbarung zu verdrängen, doch es wollte mir nicht gelingen.
Ich schlief in dieser Nacht nicht mehr ein, sondern überlegte mir, wie ich das Unvermeidliche verhindern konnte. Schließlich fasste ich einen sehr schwierigen Entschluss: Ich würde fortlaufen. Um meinen Vater, unser Haus und mich zu schützen! Schon in der nächsten Nacht, ich konnte ja kein Risiko eingehen. Schließlich hatten es die Schattenwesen auf mich abgesehen, sonst wären sie mir ja nicht den Weg von meiner Freundin zu mir nach Hause gefolgt, folglich würden sie meinen Vater und unser Haus in Ruhe lassen, wenn ich nicht mehr dort wäre. Ich plante alles ganz genau: Ich würde mich heute Abend sehr früh ins Bett legen, die paar Stunden Schlaf würde ich sicher brauchen können. Wenn ich sicher sein würde, dass mein Vater schlief, würde ich meine Sachen packen: Einen Schlafsack, jede Menge Wasser und Nahrung, etwas Geld, und ein Buch. Das klingt zwar komisch, aber ich wusste, dass ich ohne Buch nicht weit kommen würde. Schließlich brauchte ich die Tipps und Tricks, die die Figuren in meinen Fantasieromanen anwendeten, um in der Wildnis zu überleben. Außerdem würde mir ohne Buch schnell langweilig werden. Vermutlich würde ich nicht weit weggehen, ich musste nur weg von unserem Haus. Und mir fiel auch schon eine Stelle ein, wo ich mich für eine Weile verstecken konnte: Amelie und ich hatten, als wir noch kleine Kinder waren, eine Höhle in einem Felsen bei einer Wiese, auf der im Sommer ein kleines Wirtshaus stand, und die, genau wie die Wiese meiner Geburtstagsparty, an den See angrenzte, entdeckt. Wir mussten zwar etwas klettern, um zum Eingang zu gelangen, aber ich würde das schon schaffen. Die kleine Höhle fiel innen kurz steil ab, auch da musste man klettern, aber so konnte ich wenigstens von außen nicht gesehen werden. Amelie und ich hatten den Eingang immer mit kleinen Felsen verstopft, damit niemand den Unterschlupf finden konnte, und auch das würde ich wieder machen. Zu meinem Glück hatten wir in der Höhle immer einige Kerzen und Streichhölzer versteckt, die ich nun benutzen würde, sie würden für mindestens drei Tage reichen, dann musste ich neue besorgen.
Weiters würde ich meinem Vater und Amelie einen Brief schreiben, natürlich nicht mit der Wahrheit, aber mir würde schon irgendeine Geschichte in den Sinn kommen, zu hoher Leistungsdruck oder so etwas, schließlich verließen aus diesem Grund Tausende von Kindern in New York ihr Zuhause.
Als mir nichts mehr einfiel, was ich noch planen konnte, stand ich auf. Nur noch ein Tag Schule, dann würde ich dieses Gebäude für längere Zeit nicht sehen. Es kam mir vor wie Sommerferien, nur dass meine schon ein bisschen früher anfingen, was wahrscheinlich der einzige Vorteil an der ganzen Sache war. Natürlich war es schade um Amelie, um meinen Vater und um all die anderen Sachen, die mir immer Spaß gemacht hatten, aber das Leben meines Vaters war mir eindeutig wichtiger als Kino oder so etwas.
Während ich meine Bluse zuknöpfte, fiel mein Blick plötzlich auf meinen Kalender, und ich hielt mitten in der Bewegung inne. Oh Nein, das darf ja nicht wahr sein! Ein Tag Schule und genau an diesem Tag Physik- Prüfung, die hatte ich ja vollkommen vergessen. Jetzt konnte ich es nicht mehr ändern. Aber vielleicht unterstrich eine Fünf meine Ausrede ja noch. Wütend zog ich mich fertig an, aß schnell mein Frühstück auf und machte mich dann auf den Weg zur Schule.
Mit einem betont fröhlichen „Guten Tag, bitte setzt euch!“ begrüßte uns die Physikprofessorin und teilte mit, wie die Prüfung von Statten gehen würde. Wir würden (wie immer) zu zweit nach vor zum Lehrertisch kommen, mündlich geprüft werden, dann würden die Nächsten an die Reihe kommen, und zwar in alphabetischer Reihenfolge. Währenddessen sollten sich die Anderen ruhig verhalten.
Eine Reihe hinter mir hörte ich ein leises Stöhnen. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu wissen, von wem dieser Laut kam: Lea. Wie es der Zufall wollte, waren genau wir hintereinander im Alphabet, was mich noch weniger freute als sie. Das würde sicher eine angenehme Stunde werden.
Nach gut einer Viertelstunde waren wir schließlich an der Reihe. Frau Professor Dillaubet begrüßte uns mit einem „Hallo, meine Damen“, wir setzten uns, und schon fing sie an, uns mit Fragen zum Stoff zu bombardieren.
Wütend stürmte ich aus dem Klassenraum. „Das ist so unfair!“, schrie ich im Weglaufen. Ich wusste ja selbst, dass ich nicht für den Test gelernt hatte, und ich wusste auch, dass Frau Prof. Dillaubet Lea geradezu vergötterte, im Gegensatz zu mir, und dass ich normalerweise fast alles wusste, passte ihr gar nicht. Aber das war nun das Höchste! Nur weil sie mich mochte, hieß das noch lange nicht, dass nur ich die schwierigen Fragen bekam, und dass sie dann noch auf mir rumhackte, war echt das Äußerste. Die Tatsache, dass ich heute mal nichts konnte, hatte sie schamlos ausgenutzt, und als Lea dann noch anfing, leise zu kichern, und Lars dann mit einstimmte, hielt ich das einfach nicht mehr aus.
Ich rannte schnurstracks auf die Mädchentoilette zu. Dort ließ ich meinen Tränen, die mir aus Wut in die Augen gestiegen waren, freien Lauf. Als ich mich halbwegs beruhigt hatte, bemerkte ich, dass sich am ganzen Körper zitterte. „Na wenigstens fang´ ich nicht wieder zu schweben an“, dachte ich mit einem grimmigen Lächeln auf dem Lippen. Da kam Amelie auf die Toilette, um nach mir zu sehen. Sie fragte mich wie es mir ginge, und was das eben gewesen sein sollte. Da packte mich erneut ein Wutanfall, und ich fauchte ihr, schärfer als beabsichtigt, ins Gesicht: „Was geht dich das an?“ „Das geht mich was an, weil ich deine Freundin bin“, antwortete sie mir besorgt. Plötzlich durchlief mich ein ganz besonders starker Zitteranfall, und ein Wasserstrahl aus dem Wasserhahn rechts neben mir schoss mitten in Amelies Gesicht. Ich war mindestens so erstaunt wie Amelie, aber trotzdem nützte ich den Augenblick und lief an meiner klitschnassen Freundin vorbei nach Hause. Doch schon auf dem Weg zu unserem Haus bereute ich es, mich so von ihr verabschiedet zu haben.
Kapitel 3 Im Versteck
Ich hatte den ganzen Nachmittag damit verbracht, die Abschiedsbriefe zu schreiben, und wider Willen waren mir dabei die Tränen in die Augen gestiegen. So gegen Sechs kam mein Vater dann nach Hause, und wir aßen schweigend zu Abend. Ich war ihm sehr dankbar, dass er nicht fragte, was mich bedrückte, denn ich hätte es, glaub ich, nicht übers Herz gebracht, ihn anzulügen. Ich legte mich, wie geplant, schon um acht ins Bett, und stellte mir den Wecker für ein Uhr, fünf Stunden Schlaf mussten genügen, dann hatte ich ausreichend Zeit, zu verschwinden, bevor es hell wurde.
Als ich dann das laute Klingeln des Weckers vernahm, hatte ich kein Auge zugetan, ich war einfach zu aufgewühlt zum Schlafen gewesen. Mit großer Überwindung stand ich auf, und nachdem ich ein wärmeres Ersatzgewand eingepackt hatte, ging ich auf leisen Sohlen hinunter, um meinen Vater nicht aufzuwecken. Ich verstaute den Schlafsack und eine Matte in meinen riesigen Wanderrucksack, und holte dann aus einem Versteck im Keller den Proviant, den ich gekauft hatte, bevor ich die Briefe an meinen Vater und an Amelie geschrieben hatte; und den kleinen Campingkocher, mit dem wir bei Zeltausflügen immer gekocht hatten. Bevor ich mich endgültig auf den Weg machte, stibitzte ich mir noch ein paar hundert Euro aus einem der Verstecke, in denen mein Vater sein Vermögen versteckte, da man seiner Meinung nach Banken nicht trauen durfte, und steckte sie in eine Innentasche meines Rucksacks. Plötzlich fiel mein Blick auf ein kleines silbernes Etui: Da drin lag meine Querflöte, und mit kurzem Zögern packte ich auch diese in den Rucksack. Dann legte ich die Briefe auf den Küchentisch und verließ mit einem Seufzer mein Zuhause.
Nach etwa einer halben Stunde war ich bei dem Felsen angekommen. Vorsichtig schaute ich mich um, ob niemand in der Nähe war, der mich sehen konnte, dann warf ich den Rucksack ins Versteck und kletterte selbst hinein. Drinnen zündete ich eine der Kerzen an, die auf dem Boden lagen, und im Schein des geheimnisvollen Lichts, das unheimliche Schatten an die Höhlenwände warf, schichtete nach und nach die Steine vor dem Eingang auf. Als ich endlich fertig war, es war etwa drei Uhr morgens, packte ich schnell den Schlafsack und die Matte aus, und schlief auf der Stelle ein.
Kapitel 4 Unerwarteter Besuch
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als ich aufwachte, ich hatte trotzt Schlafsack außerordentlich gut geschlafen. Ich fischte mir zwei Scheiben Brot und etwas Käse aus meinem Rucksack, um meinen Hunger zu stillen, und spülte mir dann den Mund kräftig mir Wasser aus, da ich ja in meiner unendlichen Weisheit keine Zahnputzsachen eingepackt hatte. Zu gern wäre ich jetzt hinausgegangen, um ein bisschen im See zu schwimmen, doch ich wusste, dass sie Gefahr, entdeckt zu werden, zu groß wäre. Als schnappte ich mein Buch, kauerte mich auf meiner Matte zusammen, und begann, im Schein der Kerze zu lesen.
Nach etwa einer halben Stunde ging ich dann doch hinaus, da ich unbedingt mein Geschäft erledigen musste, und ich nutzte die Gelegenheit gleich, um mir ein bisschen die Beine zu vertreten. Vorsichtig entfernte ich die Steine, und spähte hinaus – die Luft war rein, und schnell huschte ich hinaus.
Doch als ich nach etwa einer halben Stunde in mein Versteck zurückkehrte, bekam ich einen riesigen Schreck: Auf der Matte saß meine Freundin Amelie!
„Hallo Marilies!“ begrüßte sie mich mit einem freundlichen Lächeln. Ich war noch immer unfähig, ein Wort zu sprechen, doch so langsam konnte ich mich wieder rühren. Ich setzte mich ihr gegenüber, und schließlich antwortete ich mit einem „Hallo Ami“, und versuchte, dabei so ruhig wie möglich zu bleiben. Schließlich fing sie an: „Ich glaub, du bist mir einige Erklärungen schuldig!“
Ich brachte nur stotternd heraus: „Ami, ich kann dir das nicht erzählen. Ich würde es zu gerne, aber es geht einfach nicht.“ „Du bist auf Drogen stimmt´s? Ich wusste es, ich wusste es die ganze Zeit. Du bist andauernd so gereizt und wütend, und jetzt bist du abgehauen, weil du nicht willst, dass dein Vater oder irgendwer sonst etwas davon mitbekommt“ sagte sie mit trauriger Stimme. Als ich ihr schließlich tief in die Augen blickte, und die unendliche Trauer, Besorgnis und wohl auch etwas Wut erkannte, konnte ich einfach nicht länger widerstehen. Es machte mich fertig, dass sie so über mich dachte, aber noch schlimmer war, dass sich solche Angst um mich hatte. Also sprudelten die Wörter nun einfach aus mir heraus. Ich erzählte ihr von meinen Träumen, von der inneren Stimme, und auch davon, dass ich selbst keine Ahnung hatte, was mit mir los war. Dann gestand sie mir: „Ich habe das mit dem Schweben und dem Wasser deinem Vater gesagt, und er tat plötzlich so, als ob er schon davon gewusst hätte. Als ich ihn danach fragte, sagte er mir nur, dass das mit deiner Mutter zu tun hätte.“ „Auf diese Idee bin ich noch gar nicht gekommen!“, sagte ich erstaunt, und fügte dann noch schnell hinzu. „Tut mir wirklich leid, dass du nass geworden bist, aber glaubst du wirklich, dass ich daran schuld war? Und noch etwas anderes: Wie hast du mich eigentlich gefunden?“ „Marilies, wir sind nun seit über sieben Jahren beste Freundinnen, wir haben dieses Versteck zusammen gefunden, und ich kenn dich wahrscheinlich besser als du dich selbst kennst. Glaubst du wirklich, dass ich dann nicht auf die Idee komme, dass du dich an dem Ort versteckst, an dem wir uns schon zusammen verkrochen haben, um unsere Eltern zu ärgern oder wenn es irgendwelche Probleme gegeben hat? An dem einzigen Ort auf dieser Welt, der nur uns gehört?“ Eigentlich hätte ich mir das denken können, schalt ich mich selbst in Gedanken, doch nach einer kurzen Pause lenkte ich auf ein anderes Thema ein. „ Amelie, du musst jetzt in die Schule, der Nachmittagsunterricht fängt gleich an.“ Und dann sagte ich noch mit einem erzwungen fröhlichen Blick: „Danke, dass du gekommen bist, das hat mich wirklich sehr gefreut.“ Doch meine Freundin starte mich nur entsetzt und zu gleich belustigt an. Schließlich antwortete sie mir, den seltsamen Ausdruck noch immer auf dem Gesicht: „ Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dich in deinem Zustand allein lasse. Am Ende ertrinkst du dich noch selbst, wenn du plötzlich wütend wirst und den See übers Ufer treten lässt, und außerdem gehe ich sicher nicht in die Schule, wenn du nicht da bist. Vielleicht hast du ja auch plötzlich einen Traum und bist nicht mehr da, wenn ich dich besuchen komm. Sicher nicht! Ich geh noch einmal weg, hol mir meinen Schlafsack, plünder´ unseren Kühlschrank und hol noch mehr Kerzen. Dann komm ich wieder, und wenn du dann weg bist, weil du glaubst, dass ich das nicht durchhalte, weil ich nicht so oft wandern geh´ wie du, du mein Leben nicht zerstören willst, oder sonst was, ruf ich die Polizei, damit sie das gesamte Gelände absucht. Schließlich hat man ja Freunde, damit man so etwas nicht allein durchstehen muss, und außerdem möchte ich bitte selbst entscheiden, wann ich mein Leben zerstöre, danke.“ Als sie ihrem Ärger Luft gemacht hatte, machte sich ein gewinnendes Grinsen auf ihrem Gesicht breit. Ich wusste, dass Widersprechen keinen Sinn hätte, außerdem wollte ich das ja gar nicht. Es war nur schade um Amelie, ihr Leben und ihre Familie, doch wenn sie das wollte, hatte ich nichts dagegen. Glücklich fiel ich ihr um den Hals, und sicherlich bedankte ich mich bei ihr an die tausend Mal, bevor sie noch einmal nach Hause ging und ihre Sachen holte. Diesmal war es ein Vorteil, dass ihr Vater fast jeden Tag im Theater verbrachte, worüber sie sich sonst immer ärgerte, denn so konnte sie ungesehen ihre Sachen zusammenpacken, ohne das ihr Vater etwas davon bemerken würde. Während sie unterwegs war, schob ich meine Matte von der Mitte der Höhle zur Seite in eine Nische, die genau der Größe meines Schlafsacks entsprach. Auf der anderen Höhlenseite befand sich noch eine weitere, dort würde Amelie schlafen. Dann rollte ich einen großen Stein, den ich im hinteren Höhlenteil gefunden hatte, in die Mitte, wo vorher mein Schlafplatz gewesen war, und baute uns so einen kleinen Tisch. Nun hatten wir fast eine kleine Wohnung im Inneren eines Felsen, wo wir es eine Weile aushalten konnten. Den Supermarkt im Ort konnten wir ja noch immer besuchen, wenn wir Nahrung brauchten, und unser Geschäft konnten wir problemlos im Wald verrichten. Das einzige Problem bestand im Duschen, da musste wohl das Seewasser ausreichen, und bis es zu kalt zum Baden wurde, würden wir wahrscheinlich längst wieder in unseren Häusern leben. Mit Amelie würde dies wahrscheinlich sogar eine relativ angenehme Zeit werden. Doch ich wusste nicht, dass keiner von uns so schnell wieder in unseren Heimatort zurückkehren würden.
Kapitel 5 Der Aufbruch
„Du musst dich auf den Weg machen! Sofort, sonst wirst du bald entdeckt werden. Der Menschling darf auch mitkommen. Gehe immer Richtung Süden, bis du zum Orakel der Penelopa kommst. Mach keine Umwege, und beeil dich, denn sie sind dir auf den Fersen!“ Dann sah ich wieder das Bild, auf dem mein Vater und ich von den übergroßen Ameisen entführt werden, nur viel mein Blick diesmal nicht auf unser brennendes Haus, sondern auf einen großen, hageren Mann mit einem fiesen Grinsen im Gesicht, der in einem großen Raum mit blauen Wänden und drei Steinen hinter ihm stand. Dann wurde plötzlich alles schwarz und ich hörte nur noch ein lautes, fieses Lachen.
Mit einem Schrei fuhr ich aus meinem Traum hoch und war sofort hellwach. „Was ist los?“, fragt Amelie, die ich wohl mit meinem Schrei aufgeweckt hatte, mit verschlafener Stimme. „Wir müssen sofort weg von hier, sonst entdecken sie uns!“, rief ich nervös, „Ich hatte einen Traum, ich erklär in dir unterwegs, dazu ist jetzt keine Zeit.“ Jetzt war auch sie hellwach, schnell packten wir unsere Sachen zusammen und kletterten ins Freie. Wir versuchten erst gar nicht, auf Wegen zu fliehen, da würden wir zu leicht entdeckt werden, sondern gingen einfach direkt in den Wald, immer weiter bergauf. Währenddessen erzählte ich Amelie meinen Traum. Was mich allerdings wunderte, war, dass sie sich keineswegs Sorgen um uns machte, wo wir die nächste Nacht verbringen sollten oder was wir tun würden, wenn uns die Vorräte ausgingen, im Gegenteil, ihr schien das alles sehr zu gefallen. Schließlich fragte ich sie danach, und nach langem Zögern gestand sie mir: „Weißt du, ich komm mir vor, wie in einem meiner Fantasie- Bücher, irgendetwas, passiert, die Hauptpersonen machen sich auf den Weg, sie bestehen Abenteuer und retten die Welt oder sonst was, und währenddessen verlieben sie sich. Deshalb mach ich mir auch keine Sorgen, in den Büchern überleben sie auch alle, sondern freu mich eigentlich auf die nächsten Tage.“
„Und wenn du schon mit was Mystischen zu tun hast, kannst du es dir natürlich nicht entgehen lassen, mittendrin im Geschehen zu sein“, sagte ich mit einem Grinsen auf dem Gesicht. „Natürlich nicht“, stimmte sie mir zu, „Schließlich wäre das unfair, wenn nur eine der beiden größten Fantasiefans in ein solches Abenteuer verwickelt wird, während die andere zuschauen darf.“ Da mussten wir beide lachen, doch nachdem wir uns beruhigt hatten, sagte ich: „Amelie, das Leben ist nicht wie ein Buch, es geht nicht immer alles gut aus, nicht immer überleben alle. Ich weiß, dass das alles einfach Wahnsinn ist, aber wir dürfen die Gefahr dennoch nicht unterschätzen, und das weißt du.“ „ Da blieb Amelie stehen und sagte: „Marilies, ich weiß, wie groß die Gefahr ist, dass wir uns im Wald verirren und nicht mehr herausfinden, oder von irgendeinem anderen Fantasiewesen gefressen werden oder so was, aber wir schaffen das schon. Wenn ich nicht tief in meinem Inneren wüsste, dass wir beide überleben werden, dann wäre ich gegangen, als du mich darum gebeten hast, ich hätte dich sogar wenn nötig mit Gewalt zurück nach Hause gebracht. Aber ich spüre einfach, dass das alles wieder ordnen wird, und was wäre das Leben ohne Abenteuer?“
Plötzlich kamen Ami und ich aus dem Wald heraus, und traten auf ein großes Felsplateau, von dem man das ganze Tal, den Ort und den See sehen konnte. Von Osten kam ein schwacher Lichtschein, der den baldigen Sonnenaufgang ankündigte, und wir gönnten uns eine Pause, um diesen Anblick zu genießen. Und während die Sonne mit ihren Strahlen den See rosa färbte, konnte ich sehr gut nachvollziehen, wieso Amelie glaubte, dass alles gut werden würde. Wir waren zwar auf der Flucht vor irgendwelchen Schattenwesen, die uns in eine gruslige Höhle bringen wollten, vermutlich glaubten fast alle in der Schule, dass ich drogensüchtig war (Amelie war sicher nicht die Einzige, die auf diesen Gedanken gekommen war), ich hatte so ein unangenehmes Bauchgefühl, dass meine Rettungsaktion für meinen Vater nicht gefunkt hatte, und meine beste Freundin und ich waren auf dem Weg ins Ungewisse, doch als ich so neben Ami saß und wir den Sonnenaufgang bewunderten, überkam mich auf einmal richtige Abenteuerlust, und ich wusste mit einer unerklärlichen Bestimmtheit, dass Amelie recht hatte.
Teil 2 – Das Orakel der Penelopa
Kapitel 6 Leandro
Amelie und ich wanderten noch bis fünf Uhr am Nachmittag, bis unsere Kräfte endgültig aufgebraucht waren. Wir waren zu einem kleinen See gekommen, und beschlossen, hier zu übernachten. Hier oben in den Bergen brauchten wir uns keine Sorgen zu machen, ob wir entdeckt werden würden, schließlich verlief an dieser Stelle noch nicht einmal ein Pfad. Amelie und ich packten unsere Schlafsäcke aus, und machten es uns am Ufer gemütlich. Als ich jedoch zum Wasser ging, um mir das Gesicht und die Hände zu waschen, fiel mir plötzlich eine Gestalt am anderen Seeufer auf. Hier, an diesem abgelegenen Ort? Als ich jedoch aufblickte, um diese genauer zu betrachten, war sie plötzlich verschwunden. Ich inspizierte das andere Seeufer genau, aber da war niemand zu sehen. War ich nun schon so verrückt, dass ich unter Halluzinationen litt?! Doch plötzlich vernahm ich eine Stimme hinter mir. Es war die Gestalt vom anderen Ufer. „Hallo Ladies, na, feiern wir eine kleine Party am See?“ Blitzschnell drehten wir uns um, doch wir musste schon ziemlich blöd dreingeschaut haben, denn als er unsere zugleich erschrockenen Gesichter erblickte, fing die der Junge, den ich gerade noch am anderen Ufer entdeckt hatte, plötzlich an zu lachen. „War doch nur ein kleiner Scherz! Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen, wenn ich euch Gesellschaft leiste, an meinem kleinen Bergsee kommt nicht so oft jemand vorbei, und wenn, dann sicherlich keine solch hübsche Mädels wie ihr es seid!“ Da fingen wir alle drei an, zu lachen. Normalerweise hatte ich was dagegen, wenn irgendwelche Fremden einfach so mit mir flirteten, aber diesen Jungen umgab eine seltsame, aber jedoch freundliche Aura, sodass es mir nichts ausmachte. „Ja klar. Ich bin Amelie und das ist Marilies“, antwortete meine Freundin, während ich verlegen zur Seite schaute. „Hallo, ich bin Leandro und wohne hier… in der Nähe“, sagte dieser. „Sag mal“, fragte ich, immer noch etwas verlegen, „der See gehört nicht dir, so wie du gesagt hast, oder? Nur falls wir stören, dass du uns nicht gleich wegen Hausfriedensbruch anzeigst.“
„Laut den Dokumenten habe ich, beziehungsweise mein Vater, den See gekauft, aber ich hab nichts dagegen, wenn mal Leute hier vorbeikommen, hier übernachten oder so.“ Wir setzten uns auf die Matten, auf denen wir sonst schliefen, und fingen erstmal an, zu erzählen. Leandro, was meiner Meinung nach ein sehr außergewöhnlicher Name war, fragte viel über unser Leben, was ich jedoch nicht verstand, da wir beide ja, bis vor ein paar Wochen, ein vollkommen normales Teenagerleben geführt hatten, und von der Zeit nach meiner Geburtstagsparty erzählten wir ihm lieber nicht. Dann erklärte er uns, wie man ein Feuer machte, und bastelte uns aus zwei Stöcken, die er in der Nähe gefunden hatte, zwei Angeln. Nachdem er zwei Angelhaken, die er wie durch Zufall dabeihatte, an Schnüren befestigt hatte, und diese an den Stock gebunden hatte, zeigte er uns noch, wie man damit Fische fing: Er befestigte einen Wurm, den er aus der Erde ausbuddelte, an dem Haken (bzw. er spießte ihn auf!!) stellte sich ans Ufer und warf das eine Ende die Schnur ins Wasser. Schon nach kurzer Zeit biss ein Fisch an, Leandro zog den Fisch an Land und schlug in mit einem Stein tot. „So ein Tierquäler!“, dachte ich mir, doch eine gemeine, fiese innere Stimme raunte mir zu, dass ich das wohl bald selber machen müsse, wenn ich noch lange in der Wildnis bliebe. Als Leandro dann den Fisch aufschlitzte, seine Innereien herausholte und in den Wald warf, wurde musste ich dann doch wegsehen. Ich hatte zwar schon viele solche Sachen erlebt, aber ich war einfach keiner, der mit Freude zusehen konnte, wie ein Tier getötet und ausgehöhlt wurde. Amelie hingegen schaute fasziniert zu, allerdings wusste ich nicht, ob sie das tat, um ihn zu beeindrucken, oder ob unsere Biologieprofessorin Recht hatte, als sie meinte, dass Amelie mal eine Biologin werden würde.
Nachdem Leandro fertig war, stellten sich auch Amelie und ich in den See, um einen Fisch zu fangen, und obwohl es mir deutlich gegen den Strich ging, fing ich ein relativ großes Tier. Was allerdings für eine Art war, konnte ich bis jetzt nicht herausfinden. Er war blaugrün und hatte dunkelrote Punkte auf der Unterseite. Seine Augen waren ebenfalls von einem schönen Weinrot, und seine Flossen waren fast durchsichtig und fast so groß wie der Fisch selbst. Auch Amelie fing einen dieser Fische, aber auch sie hatte keine Ahnung, welcher Art der wohl angehören könnte. Das Aushöhlen überließ ich dann Leandro und meiner Freundin, und sammelte währenddessen noch etwas Feuerholz.
Als es dunkel wurde, setzten wir uns rund um das Lagerfeuer und brieten die Fische in dessen Glut, und obwohl ich Fisch eigentlich mindestens so sehr verabscheute wie Spinat, fand ich diesen äußerst wohlschmeckend. Mit vollem Bauch fragte ich Leandro dann, was er so bis jetzt getrieben hatte schließlich war es mehr als ungewöhnlich, dass ein Sechzehnjähriger allein in den Bergen lebte. Als Leandro nur ausweichend antwortete, fragten (bzw. nervten) wir ihn so lange, bis er schließlich sagte: „Ich erzähle euch, was ich hier zu suchen habe, aber zuerst müsst ihr mir verraten, warum ihr von zu hause weggelaufen seid.“ Ich war nicht minder verwundert als Amelie, dass er wusste, dass wir abgehauen waren, doch schließlich begann ich zu erzählen. Ich ließ nichts aus, keinen der Träume, und auch nicht das finstere Lachen am Schluss der letzten Nacht. Als ich schließlich geendet hatte sagte er: „Dann dürfte euch meine Geschichte ja nicht mehr wundern, aber seid trotzdem gefasst: Ich bin eigentlich kein Mensch, ich bin ein Wassermann.“ „Haha, sehr lustig. Und ich bin im Sternzeichen Waage und so unmenschlich!“, sagte Amelie sarkastisch, doch Leandro überging die Stichelei einfach. „ Sozusagen eine männliche Nixe. Ich lebe in diesem Teich hier, beziehungsweise in diesem Teich in einer Parallelwelt, der Feenwelt. Ihr müsst wissen, dass diese Welt wie ein Spiegel ist, unter dessen Oberfläche eine andere Welt ruht. In dieser Welt gibt es jeden Teich, jedes Gebirge, jedes Tal, das es bei euch gibt, noch einmal, die Unterschiede liegen lediglich in dem, was ihr oder wir in der jeweiligen Welt erschaffen. Ihr Menschen habt vergessen, dass es diese Welten gibt, genauso wie ihr uns vergessen habt, da ihr nicht akzeptieren konntet, dass es andere, selbstständig denkende Lebewesen außer euch gibt, die Feen, Elfen, Nixen, und noch viele andere. Ihr wolltet nicht wahr haben, dass ihr nicht die Besten, die Stärksten oder die Klügsten seid, aber so ist der Mensch nun mal, unfähig, sich unterzuordnen oder seine Schwächen einzugestehen. So sind wir zu Märchen geworden.
Selbst in meiner Welt, wo es neben den Wassermännern und Nixen auch Feen, Elfen, und Einhörner, aber auch Grechse, Ilmixe und Platonen (Letztere kennt ihr wahrscheinlich nicht, und ich sage euch, seit froh, wenn ihr es niemals kennen lernt. Diese Wesen könnten euch schneller töten als ihr deren Namen sagen könnt) gibt, haben nur wenige die Fähigkeit, in andere Welten zu wechseln, und ich gehöre glücklicherweise dazu. Ich komme selten auf diese Seite des Teiches, doch auch dieser Bereich gehört zu meinem Verwaltungsgebiet, da die beiden Teiche zusammenhängen wie zwei Magnete. Viele meiner Artgenossen haben es verlernt, den Teich in dieser Welt wahrzunehmen. Aber meine Familie hat einen sehr weit zurückreichenden Stammbaum, sodass mir mein Großvater vor langer Zeit beigebracht hatte, wie man die beiden Teiche (bzw. den Teich), die im Besitz unserer Familie sind, richtig verwaltet, damit jeder Fisch der nicht gerade gefangen wird) und jede Nixe zufrieden ist. So kann ich auch wahrnehmen, wenn jemand beispielsweise seine Füße ins Wasser hält, so habe ich auch euch entdeckt, und ich dachte mir, ich schau mal rüber, wer da gerade sein hübsches Gesicht ins Wasser gehalten hat.“ Wir waren sprachlos. Dieser Junge war ein Wassermann, so einer, der im Wasser eine Schwanzflosse hat und der Unterwasser atmen kann. Da war unsere Geschichte ja im Vergleich eine schöne Gute-Nacht-Geschichte! Während ich Leandro noch fassungslos anstarrte, rief Ami auf einmal mit schriller Stimme: „Er. ist. Ein. Wassermann. Das ist so UNFAIR! Wieso dürfen alle anderen, die ich treffe, irgendein cooles Fantasiewesen sein oder irgendwelche krassen Fähigkeiten hat, nur ich nicht!! Ich bin nur so ein blöder, stinkiger, beschissener Mensch! Fehlt nur noch; dass Lea in Wirklichkeit eine Hexe ist! Das Ist so gemein!“ Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf den Boden, und ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen und fügte lachend hinzu: „Das ist sie doch schon, oder?“, und Leandro stimmte in mein Lachen ein. Als sie sich wieder halbwegs beruhigt hatte, viel mir ein, dass der junge Wassermann uns ja vielleicht den Weg zum Orakel der Penelopa zeigen konnte, schließlich müsste er sich ja mit Fantasiezeugs auskennen. Ich fragte ihn und er antwortete, dass er zuhause in der Bibliothek seiner Familie nachsehen könnte, wenn er wieder zu hause wäre. Er beschloss, sofort nachzusehen, verabschiedete sich und sprang mit einem großen Platschen ins Wasser. Ich konnte nur noch etwas rot Glitzerndes ausmachen, dann war er auch schon verschwunden. Auch Amelie und ich gingen sofort schlafen, da es mittlerweile sehr spät war. Aber bevor Amelie eingeschlafen war, murmelte sie noch etwas wie „So eine Frechheit, das gibt’s ja nicht!“, und mit einem Lächeln auf den Lippen schlief ich ein.
Kapitel 7 Das Orakel
Als ich am morgen aufwachte, war Amelie bereits dabei, das Frühstück zu machen. „Guten morgen, Schlafmütze. Sag mal, hab ich das nur geträumt, oder war gestern wirklich so ein netter, irrsinnig gut aussehender Junge da, der uns Angeln gemacht hat, und uns dann erzählt hat, dass er eine männliche Nixe ist?“, begrüßte sie mich aufgeregt. Verschlafen deutete ich auf die Aschereste des Lagerfeuers und die zwei Holzstäbe daneben, mit denen wir die Fische gefangen hatten. „Der war doch uuuurr süß, nicht wahr?“, sagte sie fröhlich. Ich bejahte, in der Hoffung, sie würde nun den Mund halten, damit ich in Ruhe aufwachen konnte. Leandro hatte schwarzes, längeres Haar, das er offen trug. Er war schlank, groß und muskulöser als die meisten Jungen in unserem Alter, doch das Bemerkenswerteste an ihm waren sein Augen: Sie waren blaugrün, genau wie die Farbe des Teiches, in dem er lebte, und strahlten eine Stärke und Intelligenz aus, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Während Ami weiterhin davon plapperte, wie toll Leandro doch sei, stapfte ich zum See, um mir den Schlaf aus den Augen zu waschen. Auf einmal sah ich wieder dieses rote Glitzern, das ich gestern schon gesehen hatte, und Leandro schoss vor mir aus dem Wasser. Er spritzte mich von oben bis unten an, und ich war pitschnass. „Danke fürs Duschen, ich denke, das muss ich heute nun nicht mehr machen!“, sagte ich sarkastisch. Er sagte, mit einem belustigten Schmunzeln auf den Lippen: „T´schuldigung. He Ladies, ich habe beschlossen, euch zu begleiten. Mit meiner Familie ist schon alles abgeklärt, um die Teiche kümmert sich meine Schwester, und ich hab auch herausgefunden, wo das Orakel liegt. Nun steht uns, bzw. mir, nichts mehr im Wege.… Es sei denn, ihr wollt nicht, dass ich mitkomme.“ Amelie war sofort Feuer und Flamme, als sie das hörte und auch ich stimmte zu. Wir frühstückten, packten wir unsere Sachen zusammen und machten uns auf den Weg Richtung Süden, wo das Orakel laut Leandros Karte lag.
Wir wanderten durch einen lichten, hellgrünen Wald, und trotz unseres leichten Beinmuskelkaters hatten wir viel Spaß. Nach einer Weile fragte ich Leandro auch nach dem roten Glitzern, dass ich immer entdeckte, und er erklärte mir, dass das bloß seine Schwanzflosse sei, die im Licht der Sonne rot glänzte.
Zu Mittag machten wir wieder Halt, und Amelie zauberte uns mit dem Gaskocher Spagetti Bolognese auf den Tisch, bzw. auf den Stein, auf den wir uns gesetzt hatten. Leandro gestand, dass er noch nie in seinem Leben Spagetti Bolognese gegessen hatte, aber er war mutig genug, um sie zu kosten. Im Endeffekt verschlag er drei Portionen, und Amelie und ich kugelten uns vor Lachen über seinen Appetit. Während ich die Plastikteller und den Topf, die ich ebenfalls mitgebracht hatte, im See abschwemmte, verschwand Amelie kurz im Wald, vermutlich um ihr Geschäft zu erledigen. Da sagte Leandro, ja, er flüsterte fast: „Du musst mir unbedingt helfen, es geht um deine Freundin. Sie ist… ich meine, ich bin… du musst verstehen…hilf mir. Deine Freundin ist der netteste Mensch, den ich je getroffen habe. Sie ist so lustig und so natürlich, nicht wie alle anderen Mädchen, die sich verstellen, um einen Jungen zu beeindrucken, sich so kurz wie möglich anziehen und versuchen cool zu sein und sich in Wirklichkeit nur zum Affen machen. Ich kann es nicht beschreiben, aber wenn sie mich auch nur ansieht, geschweige denn berührt, schlägt mein Herz so schnell, dass ich befürchte, dass es jeden Augenblick zerspringt. Ich weiß überhaupt nicht, was mit mir los ist, ich hab so was noch nie erlebt!“ Mit einem Schmunzeln auf den Lippen antwortete ich: „Ich schon, Leandro, du bist Hals über Kopf in Ami verliebt! Das ist immer so beim ersten Mal. Aber leider kann ich dir nicht sagen, wie sie sich fühlt, das musst du sie schon selber fragen.“ „Aber ich glaube, es ist mehr als das, schließlich war auch ich schon ein paar Mal verliebt, aber es war nie so…so…impulsiv. Es ist einfach Wahnsinn. Sag mal, kannst du sie nicht vielleicht für mich fragen, wie sie sich fühlt, ich glaub, ich schaff das nicht. Bitte!“ „Tut mir leid, aber das musst du schon selbst machen. Du weißt, dass sie sich das von dir erwartet, aber ich kann dich gut verstehen. Du schaffst das schon!“ In Wirklichkeit wusste ich genau, was in Ami vorging, schließlich waren wir schon ewig beste Freundinnen, und ich kannte sie wahrscheinlich genauso gut wie sie sich selbst.
Nach etwa zwei Stunden kamen wir zu einem kleinen Haus. „Hier sind wir“, sagte Leandro, „Das ist das Orakel der Penelopa!“
So hatte ich mir das garantiert nicht vorgestellt, eher so einen griechischen Tempel oder so etwas, aber das?! Es sah aus wie eine von diesen Selbstversorger-Almhütten mit Holzfassade und so. An den kleinen Fenstern mit grün gestrichenen Fensterläden hingen Blumenkisten mit Pflanzen in allen Farben, und aus dem Kamin am Dach sah man Rauch aufsteigen. Leandro forderte uns auf, hineinzugehen, er würde in der Zwischenzeit nachsehen, ob bei ihm zu hause alles nach Plan laufe. Also öffneten Amelie und ich die Tür, und sie schwang mit einem lauten, unheimlichen Quietschen auf. Wir traten in einem großen, zu unserer Überraschung leeren Raum, der nur durch das Licht, das durch die Fenster einfiel, erhellt wurde. Am anderen Ende des Raumes machte ich eine alte, wunderschön verzierte Holztruhe aus, die diesmal wirklich griechisch aussah. Meine Freundin und ich gingen langsam auf die Truhe zu und öffneten den schweren Deckel. Plötzlich erschien wie aus dem nichts eine Frau, und ihr langes, blondes Haar, das im schwachen Licht zauberhaft glänzte, flatterte in dem nun (in einem Haus!!) aufkommenden Wind. Sie trug ein langes weißes Kleid, das ihre perfekte Figur unterstrich, und auch ihre Augen waren schöner als alle, die ich je gesehen hatte, sogar schöner als die von Leandro: Sie waren von einem hellen Blau, das unglaublich rein war und zu Leuchten schien. Sie wurden von einem Kranz aus dichten, langen, schwarzen Wimpern umrandet, für die viele Mädchen aus meiner Klasse alles geben würden. Schließlich öffnete sie ihre vollen, roten Lippen und enthüllte eine Reihe perfekter, weißer Zähne. Sie sprach: „Willkommen, Fremdlinge, willkommen im Orakel der Penelope. Wählt drei Fragen, und ich werde sie beantworten, aber wählt sie mit bedacht, denn ihr habt nur diese drei!“ Sofort rief ich: „Wie geht es meinem Vater? Bitte sagt mir, ob meine Rettungsaktion funktioniert hat!“ Die weiße Frau sprach: „Es tut mir wirklich sehr leid, aber dein Vater ist nun in der Gewalt des Herrn der Unterwelt. Du konntest ihm nur entkommen, weil du rechtzeitig geflohen bist.“ Wieder rief ich, ohne zu zögern: „Wie kann ich ihm helfen? Ich muss ihn doch befreien können!“ „In der Prophezeiung von Migath steht geschrieben: „Wenn sich alle Lichter auf ihn gerichtet haben, wenn die drei Kräfte des Lebens vereint sind, wenn vier Gefährten auf den Steinen ihren Platz eingenommen haben und der fünfte sein Leben für die anderen gelassen hat, erst dann wird er überwältigt werden können.
Aber du darfst nicht vergessen, Fremdling, dass der Herr der Unterwelt nur dann endgültig besiegt werden kann, wenn seine Armee noch nicht vollständig ist, dann kann er zwar besiegt werden, aber ein neuer Anführer wird seinen Platz einnehmen und den Plan weiterverfolgen.“
Aha, das brachte mich zwar nicht viel weiter, aber ich wusste wenigstens, wo ich hin musste – in die Unterwelt! Da drängte Amelie mich, dass ich schnell die letzte Frage stellen sollte, sie fand es hier nämlich ziemlich unheimlich. Also fragte ich, diesmal nach kurzem Zögern: „Was ist mit meiner Mutter passiert, nachdem ich geboren wurde?“ „Dien Mutter war eine Fee, Marielis, ein sehr mächtige sogar. Doch sie entschied sie, mit deinem Vater in die Welt der Menschlinge zu gehen, warum wirst du später selbst erfahren. Doch das passte dem Herrn der Unterwelt natürlich gar nicht, denn er wollte Eleanors wertvollsten Besitz stehlen, um damit Herr dieser Welt zu werden, nein, Herr aller Welten zu werden: Ihr Amulett. Doch sie versteckte es gut, und nicht einmal die Sethings konnten es finden. In seinem Zorn tötete er deine Mutter, doch es gelang ihr, dir in dem letzten Moment ihres Lebens das Amulett umzuhängen. So vererbte sie es dir, und du und dein Vater waren gerettet, zumindest vorübergehend. Seitdem ist das Amulett in deinem Besitz, und beschützt dich in jedem Moment deines Lebens. Der Herr der Unterwelt hat nun schon zweimal versucht, dich in die Finger zu kriegen, doch er hat nur deinen Vater erwischt, den er nun als Geisel gefangen hält. Nun geht, denn die Zeit drängt, dein Vater schwebt in großer Gefahr, denn der Herr der Unterwelt ist nicht gerade sehr geduldig!“ Plötzlich schloss sich die Truhe wieder und die wunderschöne Frau war verschwunden. Schnell eilten Ami und ich aus der unheimlichen Hütte, und auch Leandro war schon wieder zurück. Wir erzählten ihm alles, was wir in der Hütte erfahren hatten, selbst das, was wir nicht verstanden hatten, doch auch er wusste, nicht was diese Prophezeiung zu bedeuten hatte. Aber wir waren einer Meinung: Wir mussten uns auf den Weg in die Unterwelt machen, um meinen Vater zu retten und den Herrn der Unterwelt besiegen.
Teil 3 - In der Unterwelt
Kapitel 8 - Gefangen
Als es Abend wurde, wussten wir noch immer nicht, wie wir in die Unterwelt kommen sollten. Leandro war den ganzen restlichen Tag ungewöhnlich still und nachdenklich gewesen, und als wir schließlich um ein kleines Lagerfeuer, dass er angezündet hatte, setzten, sagte er uns, was ihn schon die ganze Zeit beschäftigt hatte: „Dort, wo ich herkomme gibt es eine Legende über die Unterwelt. Ihr zufolge gibt es einen „Kreis der Dämmerung“, ein Kreis aus Steinen, der hier ganz in der Nähe sein sollte. Wenn man um Mitternacht auf die Lichtung dieses Kreises kommt, vorausgesetzt sie liegt im Mondlicht, und die magischen Worte spricht, gelangt man in die Unterwelt. Allerdings kenne ich diese Worte nicht, und nun denke ich schon die ganze Zeit nach, wie sie heißen könnten. Wenn sie mir nicht einfallen, gibt es wohl keine Hoffnung mehr für deinen Vater.“ Nun schwiegen wir alle betroffen, irgendwie musste man doch diese verflixten, magischen Wörter herausfinden können. Schließlich schlug Amelie vor, dass wir ja trotzdem zur Lichtung gehen könnten, vielleicht gäbe es dort einen Hinweis, oder so was. Wir stimmten, nicht immer nicht ganz überzeugt, zu, und als es auf meiner Uhr, die ich sicherheitshalber noch immer trug, elf Uhr anzeigte, machten wir uns auf den Weg. Nach einer knappen Stunde waren wir an unseren Ziel angekommen, und wir hatten Glück, sie lag im Mondschein, aber leider auch Unglück: Es gab keinen Hinweis auf die magischen Worte oder so etwas. Plötzlich spürte ich, dass der Stein in meinem Amulett zu glühen anfing, und fast gleichzeitig kam mir eine fantastische Idee. Blitzschnell drehte ich das Amulett um, da war sie. Ich schaute auf meine Uhr, es war genau punkt Mitternacht, und fasste meine Freunde an den Händen. Dann las ich laut die Inschrift vor:
„Ferelefe Migathitun!“
Plötzlich fingen die Steine an, zu glühen, einer nach dem anderen, und als jeder wie eine einzelne Sonne strahlte, hoben sich unsere Füße vom Boden und wir schwebten für ein paar Augenblicke in der Luft. Auf einmal wurden wir wie von einer riesigen Schleuder zurück auf den Boden geschossen, ich schloss instinktiv meine Augen und bereitete mich auf einen so harten Aufprall vor, der mir wahrscheinlich alle Knochen brechen würde, doch dort, ich spürte nichts, keinen Schmerz, gar nichts. Schließlich wagte ich es, die Augen wieder zu öffnen, und bereute es sofort. Wir schossen noch immer auf den Boden zu, nur dass der Boden diesmal nicht die Erdoberfläche war, sondern (hoffentlich) eine Fläche tief unter der Erde, die ich noch nicht einmal sehen konnte! Schnell schloss ich meine Augen wieder, und verabschiedete mich in Gedanken von allen, die ich jemals gekannt hatte, sowie von der Hoffnung, lebend auf dem Grund des Schachtes, durch den wir nun flogen, aufzukommen. Plötzlich wurden wir von einer warmen Luftströmung erfasst, die uns in einen schmalen Gang, der auf einmal mitten in einer der Schachtwände auftauchte blies. Doch nun schwebten wir waagrecht in der Luft und wurden, zwar etwas langsamer, weiter durch die Gänge getrieben. Plötzlichflaute der seltsame Wind, der uns in der Höhe gehalten hatte, ab und wir krachten mit voller Kraft auf den Boden.
Als ich aufwachte befand ich mich in einem halbdunklen Raum, der von einer Fackel erleuchtet wurde. Es war eine Gefängniszelle. Auf einer Seite waren Gitterstäbe aus Blei angebracht, hinter denen sich ein Gang befand, dessen Wände leicht orange leuchteten (was mich aber dank meinem bisherigen Erlebnissen nicht weiter verwunderte), sonst wurde der Raum durch Gestein aus dem Erdinneren abgegrenzt. Ich bemerkte leise Stimmen im Hintergrund, und schloss sofort, dass hier auch andere Menschen sein mussten. Ich konnte die Stimme meiner Freundin Amelie ausmachen, aber da war noch eine, nach kurzem Nachdenken erinnerte ich mich, wem diese Stimme gehörte: Leandro. Plötzlich vernahm ich auch noch einen dritte und eine vierte Stimme, und bemerkte nun fast sofort, dass eine davon meinem Vater gehörte, die andere kannte ich nicht. Bei dem Gedanken an meinen entfuhr mir ein erleichterter Seufzer – er war noch am Leben. Als meine Freunde und mein Vater das hörten, wandten sich alle, inklusive der vierten Stimme, mir zu, doch bevor irgendjemand etwas sagen konnte, schloss mich mein Vater auch schon in seine Arme. „Es tut mir so leid, Marli, ich hätte dir alles sagen sollen. Aber ich bin froh, dass es dir, na zumindest halbwegs, gut geht. Deine Freunde haben mir schon erzählt, was du in der Zwischenzeit alles erlebt hast, wow, ich muss schon sagen! Aber du hättest mir von deinem Traum erzählen sollen. Doch wahrscheinlich konntest du das gar nicht, du bist dir selbst sicher wie eine Verrückte vorgekommen. Ach, es tut mir so leid, ich hätte dir sagen sollen, wer diene Mutter war!“ Als mein Vater aus seinen Redeschwall unterbrach, versuchte ich vergebens, ihn von seinen Schuldgefühlen zu befreien, und als mir das nicht gelang, fragte ich, um von diesem Thema abzulenken, was seit unserem Sturz passiert sei. Amelie erzählte mir, dass wir nach dem Aufprall alle drei bewusstlos gewesen wären, Leandro sei als erstes aufgewacht, dann sie (logischerweise), und sie hätte sich riesengroße Sorgen um mich gemacht. Plötzlich seien ungefähr fünf Soldaten, oder besser gesagt Ritter, in vollkommen schwarzen Rüstungen gekommen, und hätten sie in diese Zelle gesperrt. Dort hätten sie dann auch meinen Vater und Nemorian gefunden. Nemorian, schloss ich, war die vierte Stimme, die ich vernommen hatte, aber sicherheitshalber fragte ich noch einmal nach. Da flatterte auf einmal ein kleiner Vogel auf meine Schulter. Es war ein Eichelhäher, wie ich, dank der regelmäßigen Ausflügen in die Natur mit meinem Vater, erkannte. Doch plötzlich fing der Vogel an zu sprechen!
Es sollte mich zwar nicht mehr wundern, dass ein Vogel sprechen konnte, denn schließlich reiste ich mit einem Wassermann, meine Mutter war eine Fee, und ich konnte anscheinend schweben und Wasser bändigen, (war ich ein Avatar!?), aber trotzdem erschreckte mich dies, da ich irgendwie geglaubt hatte, dass die Natur selbst in Leandros Welt gewisse Grenzen hatte, die sie nicht überschreiten konnte.
Ich bemühte mich, ruhig durchzuatmen, damit ich nicht schon wieder umkippte, und versuchte, dem Vögelchen aufmerksam zuzuhören: „Hallo, ich bin Nemorian, aber wahrscheinlich kennst du mich eher unter dem Namen „Tod“. Du wirst dich jetzt wahrscheinlich ziemlich wundern, nehme ich an, also fang ich am besten gleich ganz vorne an. Ich bin eigentlich gar nicht mehr der „Herr der Unterwelt“, wie alle Sagen und Legenden von mir erzählen. Denn vor vielen, vielen Jahren kam ein fremder Mann zu mir. Er stellte mir eine Falle und sperrte mich in einen Käfig aus Blei, das einzige Material, gegen das ich machtlos bin. Er wollte unbedingt der Herr aller Welten werden, und so nahm er mir meine Macht, wie gesagt, wenn ich in einem Bleikäfig stecke, kann man praktisch alles mit mir machen, und begann die Welten zu erobern, eine nach der anderen. Als erster die der Sphinxen und die der Steinernen Löwen, dann die Welt der Lamina, und immer so weiter, indem er dafür sorgte, dass ihre Bewohner sterblich wurden. Denn alle Wesen, die einmal gestorben sind, verwendet er für seine Armee der Toten, und wenn er genügend Gestorbene gesammelt hat, will er sie auf alle Welten loslassen, um sie endgültig und nicht mehr nur durch den Tod, zu kontrollieren und zu beherrschen. Die letzte ‚Welt, die er eingenommen hatte, war die Erde. Du musst nämlich wissen, das früher, viel, viel früher, niemand so einfach gestorben ist, weil er alt wurde oder so. Manchmal holte ich eine Kreatur, egal aus welcher Welt, denn im Grunde genommen sind sie ja nur eine, zu mir, um ihn von seinen Leiden zu erlösen, und manchmal bestrafte ich auch jemanden, indem ich mir eine ganz persönliche, jedoch auf gewisse Weise grausame Aufgabe überlege, die dieser nun für immer und ewig machen muss. Ein gutes Beispiel dafür sind Sisyphus und Tantalus. Denn wenn die Lebewesen nicht etwas besonders Schreckliches taten und zumindest versuchten, ein glückliches Leben zu führen, wurden sie auch vom Tode verschont.
Nun jedoch ist nur noch die Feenwelt übrig, um ihm, dem Grausamsten Herrscher , den Migath je gesehen hatte, Widerstand zu leisten, und auch diese besteht nur noch deshalb, weil dein Amulett, und damit natürlich auch du selbst, sie beschützt. Aus diesem Grunde hat der Herr der Unterwelt, wie er sich jetzt nennt, deine Mutter getötet, doch sie hat dir das Amulett rechtzeitig vermacht, weshalb die Feenwelt weiter geschützt blieb. Sie hat im Prinzip ihr Leben für die Welt gelassen, sie schon immer gehasst hatte (wieso, werde ich später erfahren, nehme ich an), Nun liegt es an dir, den Herrn der Unterwelt zu besiegen und die Feenwelt vor ihrem Schicksal zu bewahren.
Glücklicherweise hat mir dieser Idiot nicht meine ganze Macht abgenommen, dafür war er nämlich nicht klug genug, und deshalb könnte ich jemanden zum Beispiel, nur indem ich ihn berühre, töten, indem ich ihm deinen gesamten Lebenssaft aus dem Blut sauge, doch das ist langwierig und sehr qualvoll.“
Als er geendet hatte, musste ich erst einmal verdauen, was der kleine Vogel auf meiner Schulter gerade gesagt hatte. Folglich musste ich nun diesen überaus mächtigen Herrscher besiegen um somit eine Welt zu retten, die ich
gerade erst kennen gelernt hatte und in die ich noch nicht einmal einen Fuß gesetzt habe, und womöglich könnte ich dabei mein Leben und das meiner Freunde verlieren. Doch ich wusste, dass ich es trotzdem tun würde, für Leandro (beziehungsweise für Amelie), für meine Mutter und für all die Wesen, die ich bis jetzt nur aus Büchern kenne, auch wenn es mich mein Leben koste würde.
Kapitel 9- Das Böse in Person
Als ich etwas Wasser, das dort in einer Ecke stand und nicht gerade sonderlich sauber aus sah, getrunken hatte, konnte ich endlich eine klaren Gedanken fassen: Ich war nun in der Unterwelt, das hatte also funktioniert, aber ich wurde von meinem angeblichen Feind gefangen gehalten, mit meiner Freundin, einem Wassermann meinem Vater und dem Tod höchstpersönlich. Währenddessen stellte irgendeine dreckige Kakerlake eine Armee aus Toten zusammen, um damit die Welt (ich korrigiere, die Welten) zu erobern. Ich führte mir das, was mir das Orakel der Penelope gesagt hatte, noch einmal vor Augen, und da begriff ich in meiner unendlichen Weisheit, dass wir die fünf Freunde aus der Prophezeiung waren und dass wir uns dem Herrn der Unterwelt stellen mussten, auch wenn einer von uns seine Leben lassen würde, um die anderen zu retten. Ich teilte meinen „Plan“ den anderen mit, aber auch sie hatten keine Idee, wie wir aus dem Bleigefängnis herauskommen könnten. Entmutigt wollte ich schon wieder aufgeben, als mir plötzlich ein brillanter Einfall kam. Ami hatte doch behauptet, dass ich sie mit Wasser voll gespritzt hätte, und hier unten musste es doch irgendwo eine unterirdische Quelle geben, und wenn ich es schaffen würde das Wasser irgendwie zu „orten“, könnten wir versuchen, mit der Kraft des Wassers aus unserem Gefängnis zu entkommen. Ich dachte daran, dass ich damals irrsinnig wütend gewesen war, und nun konzentrierte ich mich darauf, möglichst viel Wut in mir aufkochen zu lassen. Ich dachte daran, dass der Herr der Unterwelt, der meine Mutter getötet hatte mich gefangen hielt, dass, ich wegen ihm nie wieder ein ganz normales Teenagerleben führen konnte, und dass wegen ihm einer von uns sterben musste. Als ich schließlich genug Wut aufgestaut hatte, und ich wieder einmal zu Zittern begann, versuchte ich, durch das Gestein rund um uns Wasser ausfindig zu machen. Nach einer Weile vernahm ich ein leises Rauschen, und ich versuchte, dieses Geräusch langsam zu mir herzuziehen. Das Rauschen wurde immer lauter und lauter, und schließlich hörte ich ein Leises knacken hinter mir. Ich rief den anderen zu, sie sollen sich dicht an die Wand pressen, und da brach auch schon ein riesiger Wasserschwall aus der in Stücke gerissenen Wand hinter mir. Die Wasserfontäne stürmte weiter gegen die Gitterstäbe, und ich hörte das grauenhafte Knirschen und Knacken des zerberstenden Metalls, das unsere Freiheit bedeutete. Als sich das Wasser am Boden verteilt hatte, kletterten wir durch die Überreste des Gefängnisses hinaus aus dem Gang, drei trockenen Gestalten, ein trockener Vogel und ein pitschnasses Mädchen (wieder Mal typisch).
Nemorian zeigte uns den Weg durch das Labyrinth der orange leuchtenden Gänge, bei denen ich mir nun sicher war, dass der Schein nicht auf Grund eins Feuers entstand. Wir liefen schnell, aber so leise wie möglich, durch unzählige Gänge und kletterten tausende Stufen hinauf und hinunter, doch die Gänge wollten kein Ende nehmen. Hin und wieder begegneten wir einigen der Soldaten, doch Nemorian warnte uns früh genug, sodass wir uns immer wieder rechtzeitig verstecken konnten. Mein herz klopfte bei diesen Aktionen so laut, dass ich fürchtete, es würde zerspringen. Zum Glück konnten diese gefühllosen, düsteren Kreaturen, die als Soldaten durchgingen, nur Bewegungen wahrnehmen, was uns einen erheblichen Vorteil verschaffte, schließlich mussten wir uns nur unbeweglich hinkauern, und sie konnten uns nicht entdecken.
Nach gut einer halben Stunde kamen wir schließlich in einen großen Saal, und sofort erkannte ich ihn: Es war der dunkelblaue Saal aus meinem Traum. Die dunkelblauen Wände verliehen dem Raum etwas Düsteres, Gefährliches, dass einen kalten Schauer auf meinem Rücken verursachte. Mutig trat ich, gefolgt von meinen Freunden und meinem Vater in den Raum und schließlich sah ich ihn. Er stand mit dem Rücken zu uns, doch ich konnte die tiefschwarze Aura, die ihn umgab, förmlich spüren. Er war selbst für einen Mann wie ihn sehr groß, hatte breite, muskulöse Schulten und langes, schütteres Haar, die ihm bis zum Hals herunterhingen, und die ihm in dem Wind, der hier ständig wehte, einen höchst gefährlichen und wilden Eindruck verschafften. Von seinen Schultern bis zu seinen Knien hing ein tiefblauer Umhang, der ebenfalls im Wind gespenstisch um seine langen Beine strich. Plötzlich drehte sich der Herr der Unterwelt zu uns um und sagte mit einer spöttischen, aber bedrohlichen Stimme: „Hallo Marilies, endlich sehen wir uns wieder!“ Als er meinen verwunderten Gesichtsausdruck betrachtete, stahl sich ein herablassendes Lächeln in sein Gesicht. „Er hat es dir also noch immer nicht erzählt, was? Als ich mir das Amulett des ewigen Lichts von deiner Mutter holen wollte, da warst du gerade Mal zwei Wochen alt. Doch dieses dumme Weibsstück hat sich vor meinen Augen mit einem lächerlichen Küchenmesser erstochen! Aus LIEBE!! In ihrem letzten Atemzug hatte sie ihre Macht und ihr Amulett, das diese speicherte, an dich, ihre Tochter, abgegeben. Sie wollte dein Leben und das Leben ihres Reiches, das sie so abgrundtief gehasst hatte, retten, indem sie sich selbst umbrachte. In Wirklichkeit war ihre Verbindung zu dem Land der Feen, Elfen und sonstigen Ungetüm doch etwas stärker als sie dachte, tja, blöd für sie. So dumm, so dumm. Jedenfalls wusste sie von den einzigen drei Mächten, die mich in Kombination umbringen könnten, und sie hatte sich für die erste und stärkste entschieden. Von der Liebe zu dir geblendet, wurde ich fast bei lebendigem Leibe verbrannt, denn den Kräften des Lichts bin ich nicht gewachsen. So eine unsinnige Erfindung, diese Liebe, so töricht, so töricht. Doch eigentlich hätte dieses dumme Ding wissen müssen, dass ich dich früher oder später finden und umbringen werde, sie kann das Amulett ja nicht ewig vor mir verstecken.
So genug geplaudert, wenn du mir das Amulett gibst, mach ich dich vielleicht zu einem Offizier meiner Armee, wenn ich dich getötet, habe.“, sagte er und zeigte in seinem abgrundtief bösen Lächeln seine grauenhaften, fast schwarzen Zähne. Ich war so wütend, dass ich erneut am ganzen Körper zu Zittern begann. „Du wirst das Amulett niemals in die Finger bekommen!“. Ich spuckte ihm die Wörter förmlich an den Kopf, und sein eben noch spöttisches Gesicht verwandelte sich in eine wutentbrannte Miene. Nun war es an mir, spöttisch zu Lächeln. Doch plötzlich schoss sein langer, krummer Zeigefinger nach oben und aus dem dreckigen Nagel schoss ein greller Blitz hervor, direkt, auf mich zu.
Wenn man in hoher Gefahr schwebt, scheint es, al ob der Körper plötzlich mehrer Momentaufnahmen gleichzeitig macht, vielleicht wegen des Adrenalinstoßes, vielleicht aber auch nur, weil es vermutlich die letzten Momente eines Lebens sind.
Ich sah Die Gesichter meiner Freunde, erschreckt, entsetzt, zu einer grotesken Maske verzogen, ich sah das hochkonzentrierte Gesicht meines Erzfeindes, und ich sah meinen Vater. Ich sah wie er, ohne zu zögern, zum Sprung ansetzte, seine angestrengte Miene, in der ich nur Sorge um seine einzige Tochter und den endlosen Willen, dass ich am Leben bleiben sollte, lesen konnte. Er warf sich vor mich, direkt in den Strahl, der aus der Hand des Mörders schoss. Vor meinen Augen durchzuckte ein greller Blitz meinen Vater, der auf der Stelle verbrannt wurde und leblos zu meinen Füßen sank. Ich schrie auf und bückte mich zu der einzigen Person, die mir noch aus meiner Familie geblieben war, hinab. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, doch nichtsdestotrotz hatte es einen befriedigten Ausdruck angenommen, denn er hatte erreicht, was er wollte: Er hatte mich vor dem Tode bewahrt. Er war die fünfte Person, die sich für das Leben der anderen opferte. Ich küsste ihn, auf den Mund, auf die Augen, die ich sanft geschlossen hatte, auf die Stirn, und verabschiedete mich voll unendlicher Trauer von dem einzigen Menschen, den ich jemals so geliebt hatte.
Dann wandte ich mich wieder dem Herrn der Unterwelt zu. Scheinbar war er genauso überraschst wie ich, sonst hätte er den Augenblick, genutzt, um uns alle zu töten, doch nun ließ ich meiner Wut und meiner Trauer freien Lauf. Ich dachte an all die glücklichen Jahre, die ich mit meinem Vater verbracht hatte, an die Fotos, die ich von meiner Mutter gesehen hatte. Und ich dachte an die letzte Sekunden, als der Herr der Unterwelt vor meinen Augen meinen Vater ermordet hatte, der sich für mich geopfert hatte. „Du wirst dieses Amulett niemals in die Finger bekommen. Wenn es eine Welt gibt, die du nie beherrschen wirst, dann ist es die meiner Mutter! Ihr Opfer wird nicht umsonst gewesen sein, genauso wie der Tod meines Vaters. Denn du bist das Böse in Person, und das Böse wird niemals siegen!“
Kapitel 10– Die Rettung
Ich ließ eine gewaltige Flutwelle auf ihn herabstürzen, doch plötzlich merkte ich, dass ich nicht nur das Wasser um mich herum wahrnehmen konnte, auch die Luft und das Gestein um mich herum schien zu atmen. Ich versuche dasselbe, was ich schon mit dem Wasser gemacht hatte, mit der Luft, und ließ meine Wut in Form eines Hurrikans auf ihn hinabsausen. Ich wusste, dass ich ihn damit nicht töten konnte, doch ich wollte ihn zumindest so lange ablenken, bis meine Freunde aus dem Saal geflohen wären. Doch als ich mich so konzentrierte, fielen mir hinter dem Herrn der Unterwelt drei große Gesteinsbrocken mit jeweils einem Loch in der Mitte auf. „„Wenn sich alle Lichter auf ihn gerichtet haben, wenn die drei Kräfte des Lebens vereint sind, wenn vier Gefährten auf den Steinen ihren Platz eingenommen haben und der fünfte sein Leben für die anderen gelassen hat, erst dann wird er überwältigt werden können“, rief ich. Ich brauchte genau eine Hundertstel-Sekunde, bis ich begriffen hatte, was zu tun war. „Amelie, Leandro, Nemorian, schnell zu den Steinen dort hinten!“, rief ich meinen Freunden zu, und rannte selbst blitzschnell los, während das Böse noch immer mit dem Hurrikan zu kämpfen hatte.
Als ich auf der anderen Seite des Saales angekommen war, entdeckte ich auf jedem der Steine ein Wort. Auf dem ersten stand: „Liebt!“. Blitzschnell dachte ich nach, wie wir wohl diesen Stein aktivieren sollten, doch da fiel mein Blick auf Leandro, der ebenfalls auf den Stein starrte. „Leandro“, rief ich, „Schnell! Tu es! Jetzt sofort!“ Er zögerte kurz, dann jedoch packte er Amelie entschlossen am Handgelenk und zog sie auf den Stein. Er legte ihre Hände um seinen Hals und seine an ihr Gesicht. Dann presste er seine Lippen an ihren Mund und küsste sie so innig, wie ein Mann nur eine Frau küssen konnte. Plötzlich fing der Stein genau wie vorher zu glühen an, und ein hellrosa Lichtstrahl traf den Fiesling genau an die Stelle, wo sich sie Herz befinden sollte. Mit einem lauten Schmerzenschrei sackte er auf die Knie und begann, von innen heraus zu verbrennen! So grausam wie es auch war, wusste ich, dass eine Macht nicht reichen würde, um ihn auszuschalten, also lief ich mit entschlossenen Schritten zum zweiten Stein.
Auf diesem stand: „Sterbt!“. Schnell rief ich: „Nemorian, komm und setz dich auf den Felsen!“ Der kleine Vogel flatterte auf den Stein und plötzlich färbte sich dieser schwarz, bis er auf einmal zu Staub zerfiel. Aus dem kleinen Kieselstein, der von dem Stein übrig geblieben war, nachdem Nemorian ihm wörtlich den Saft ausgesogen hatte, kam erneut ein Lichtstrahl, diesmal ein hellgrüner, heraus und auch dieser traf den Herrn der Finsternis genau an die Stelle des ersten Lichtstrahls. Erneut vernahm ich einen grellen Schrei, und der Herr der Unterwelt fiel vornüber. Nun waren das einzige, was ihn noch in der Höhe hielt, seine Arme, auf denen nun sein gesamtes Gewicht lag, und ich nahm einen leicht verfaulten, modrigen Duft wahr. Verfaulte der Herr der Unterwelt gerade vor unseren Augen? Ich wusste es nicht, und ich legte es auch nicht darauf an, s herauszufinden.
Schnell rannte ich zum dritten und letztem Stein. Auf diesem stand: „Träumt!“ Dieser Stein war flacher als die anderen, doch ich hatte keine Ahnung, wie ich die dritte Macht aktivieren konnte. Da vernahm ich die Stimme meines Vaters, der mir noch ein letztes Mal helfen wollte: „Träume , Marilies, tu, was der Stein dir sagt!“ und da wusste ich, was zu tun war: Ich legte mich in die muldenförmige Vertiefung im Stein, die wie für ein Mädchen meiner Größe geschaffen war, und schloss meine Augen. Ich versuchte, tief durchzuatmen, die Schreie des fast verendeten Herrn der Unterwelt auszublenden und mich auf das gleichmäßige Atmen der Dinge um mich herum zu konzentrieren. Als ich fast in die Welt der Träume hinabgesunken war, spürte ich, wie sich der Stein unter mir bewegte, und ich wusste, dass nun ein hellblauer Strahl auf den Herrn der Unterwelt gerichtet worden war, und dass dieser reglos am Boden liegen würde, während Nemorian meinen Freunden den Weg nach draußen beschreiben würde. Ein kleiner Teil meines Bewusstseins nahm noch wahr, wie ich hochgehoben wurde, vermutlich von Leandro, und aus dem Saal getragen wurde, doch dann wurde alles schwarz. Vor meinen geschlossen Augen sah ich eine Frau, die meiner Mutter im Entfernten ähnlich sah, und sie sagte: „Das hast du gut gemacht, Marilies. Nun ist es endlich vorbei!“
Kapitel 11 – Und jetzt ?
Als ich erwachte, befand ich mich in meinem Schlafsack an der Oberfläche. Es schien, als ob die Sonne jeden Moment aufgehen würde, und langsam setzte ich mich auf. Naben mir saß meine Freundin Ami, die mich mit dem schönsten Lächeln der Welt anstrahlte. Noch bevor ich auf ihren Gesichtsausdruck einging, fragte ich sie, was passierte sei, nachdem ich eingeschlafen war. Sie erzählte mir das, was ich eigentlich schon wusste: Der Herr der Unterwelt war besiegt, und nun konnte endlich alles wieder so werden, wie es einmal war. Komischerweise empfand ich bei der Vorstellung des gestrigen Abends nicht einmal annähernd so viel Freude wie Ami. Ich wurde erneut von einer Welle großer Traurigkeit erfüllt, als ich daran dachte, wie mir mein Vater das Leben gerettet hatte. Wir hatten zwar den Herrn der Unterwelt besiegt und die Feenwelt gerettet, doch ich überlegte mir, ob sich das wirklich gelohnt hatte. All der Schmerz und die Trauer, die ich nun für eine Welt, die ich noch nicht einmal kannte, ertragen musste, all das Leid, was ging mich das eigentlich an?! „Weil du selbst aus dieser Welt kommst!“, sagte ich mir und tröstete mich mit dem Gedanken, dass das, was ich getan hatte, das richtige war, und dass meine Mutter und mein Vater sicher stolz auf mich wären.
Als Leandro schließlich zu uns kam, er war im Wasser fischen gewesen, fragte er uns, was wir jetzt machen wollten. Und ich sagte schon mit fast so etwas wie Vorfreude: „ Ich möchte etwas über mich erfahren, ich möchte lernen, wie ich meine Kräfte steuern kann, vielleicht kann ich auch etwas über meine Mutter herausfinden, und ich möchte deine Welt kennen lernen. Lasst uns in die Feenwelt gehen.“ Und dann erblickten das junge Paar und ich den schönsten Sonnenaufgang, den wir je gesehen hatten.
The End
Tag der Veröffentlichung: 31.03.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
"Wenn du glaubst, dass nun alles vorbei ist, dass du nichts mehr ändern kannst, dass nun deine Kräfte aufgebraucht sind, dann hast du schon verloren. Lass dein Schicksal dich führen, durch die Berge und Täler deines Lebens,, und vertraue immer darauf,, dass alles besser wird."