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Die Drachenseherin.

Komme zu uns Kind! Riefen sie mir zu. Du allein kannst uns beschützen! Es ist dein Schicksal! Dein Vermächtnis! Du kannst uns sehen! Du kannst uns hören! Wir sind real! Folge unseren Stimmen und du wirst uns bald finden! Es ist so weit! Der Tag ist gekommen! Die Geschichte wird fortgesetzt werden! Freudenschreie werden wieder durch unsere Wälder Hallen. Denn du wirst das Glück wieder zu uns bringen.
Schweißgebadet wie jeden Morgen wache ich in meinem Bett auf. Ich habe schon wieder von ihnen geträumt. Ich sehe sie jetzt schon seit mehreren Jahren aber in letzter Zeit werden sie wirklich lästig.
Sie sind doch sowieso nur auswüchse deiner Fantasie, ermahnte ich mich selbst. Seufzend stehe ich auf und werfe beiläufig einen Blick auf den Kalender. Oh… heute ist ja mein Geburtstag. Mein 16ter um genau zu sein. Merkwürdig, normalerweise vergesse ich meinen eigenen Geburtstag eher selten. Na ja egal, da mir heute so wie so niemand gratulieren wird, macht es auch nicht das ich meinen Geburtstag selbst vergessen habe. Ich gehe hinunter in die Küche und mache mir einen Kakao. Während die Milch zum erwärmen in der Mikrowelle steht gehe ich die Post holen. Unter den diversen Rechnungen finde ich auch 2 Geburtstagskarten und ein kleines Päckchen. Neugierig lese ich zuerst die Karten. Die eine ist von meiner Mum, sie ist grade in Brasilien und versucht dort den Regenwald zu retten. Die andere von meinem älteren Bruder Stan, der im Moment als Techniker mit einer Band durch Australien tourt. Und das Päckchen, ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen, ist von meinem Vater aus New York. Er lässt sich jedes Jahr etwas Neues einfallen um mir eine Freude zu machen. Wenn ich nicht auf das Haus aufpassen müsste wäre ich in spätestens einer Woche bei ihm in Amerika, wie letzten Sommer. Etwas wehmütig widme ich mich der Verpackung des Packest. Ich hänge noch immer meinen Gedanken nach, als ich den Inhalt des Paketes zum ersten Mal bewusst wahrnehme. Was hatte mein Vater mir denn da geschickt? Ich halte ein, in Luftpolsterfolie gewickeltes, metallisch glänzendes Kästchen in Händen. Als ich die Luftpolsterfolie endlich abbekomme, natürlich nicht ohne ein oder zwei Blase zu zerdrücken, fallen mir die kunstvollen Verzierungen auf der Kiste auf. Mir stockt der Atem, das konnte nur ein schlechter Scherz sein, die kunstvollen Linien ergeben tatsächlich das Bild eines Drachen. Eines wunderschönen, fliegenden , feuerspeienden, Drachen. In diesem Moment bekomme ich es mit der Angst zu tun, das konnte doch beim besten Willen kein Zufall sein. Ausgerechnet ein Drache? Seit ich denken kann suchen mich Drachen in meinen Träumen heim! Ach was, nicht nur in meinen Träumen, ich leide regelrecht unter Wahnvorstellungen. Seit ich ungefähr 6 bin sehe ich immer und überall, wenn ich alleine bin, den Schatten von Drachen. Sie reden mit mir und als ich noch kleiner war habe ich mit einigen von ihnen gespielt. Besonders Lolo, ein goldbrauner Drache mit einem goldenen und einem dunkelbraunen Auge, war immer in meiner Nähe. Hör auf damit! Rufe ich mich selbst zur Ordnung! Du hast dir geschworen nie wieder über sie nachzudenken! Erinnere ich mich an meinen Schwur. So viel zu dem Thema. Seufzend betrachte ich die Schatulle in meiner Hand. Kaum sehe ich das Bild eines Drachen verliere ich wieder die Kontrolle über mich. Eigentlich ja kein Wunder wenn man bedenkt, dass ich seit ungefähr 2 Wochen wieder von ihnen träume.
Ich will die Schatulle schon ungeöffnet in ihrem Paket verschwinden lassen, als mir ein Brief auffällt der unter ihr in dem Päckchen gelegen hatte. Ich nehme ihn heraus. Ich öffne den Umschlag. Als ich mit zitternden Händen das kleine Papier aus dem Umschlag ziehe, auf dem mehrere kunstvoll verzierte Worte geschrieben stehen, beschleicht mich ein Gefühl, das auf dem Zettel etwas von großer Bedeutung stehen muss. Ich beginne zu lesen und mir bleibt die Luft weg.
Freya,
die Kiste die du so eben erhalten hast, hat die Macht dein Leben für immer zu verändern. Wenn du dich gegen das Öffnen der Schatulle entscheidest, wird dein Leben für immer bleiben wie es ist, und du wirst nie wieder von den Träumen unter denen du so leidest heimgesucht werden. Es liegt bei dir mein Kind, ich wünsche dir, dass du die richtige Entscheidung triffst.
In Liebe, eine Freundin
Verwirrt und mit zitternden Händen setze ich mich auf einen der Küchenstühle. Wer hatte diesen Brief geschrieben? Und vor allem woher wusste diese Person von den Drachen, die sie heim suchten? Diese Schatulle soll mein Leben verändern? Mein Leben… Nun ja… Veränderungen schaden nie. Ich habe kaum Zeit nachzudenken, bis die Neugierde mich packt. Egal wie unvernünftig es ist, ich will wissen was das Geheimnis dieser Kiste ist. Mit noch immer zitternden Fingern greife ich nach dem Schlüssel. Ich brauche mehrere Anläufe doch dann steckt er in dem kleinen Schloss der Schatulle. Ich halte die Luft an, öffne vorsichtig den Deckel des Kästchens und erhasche noch einen kurzen Blick auf eine wunderschöne grüne Lichtung, bis ich kopfüber in das Kästchen gesogen werde.
Als ich wieder aufwache, liege ich auf dem Rücken. Ich öffne vorsichtig die Augen. Es blicken mich ein goldenes und ein dunkelbraunes Auge an. Mir entfährt ein lauter Schrei, als mir auffällt, die Augen zu einem riesigen, Echsenartigen Kopf gehören. Als ich schreie schreckt auch der Kopf des Wesens zurück und auch es reißt sein Maul auf, nur das aus seinem Mund kein Schrei, sondern ein tiefes Brüllen zu vernehmen ist. Aus der Entfernung erkenne ich auch um was genau es sich bei dem monströsen Vieh handelt. Mir stockt der Atem. Vor mir im Gras hockt ein riesengroßer, goldbrauner Drache. Seine klugen Augen beobachten mich und er zeigt eine Reihe seiner spitzen strahlend weißen Zähne. Es sieht fast aus als würde er Lächeln. Als ich ihn so ansehe, erinnere ich mich plötzlich an etwas und ein Funke des Erkennens flammt durch meinen Geist. „Lolo?“ frage ich ungläubig. Der Drache grinst jetzt noch breiter. „Na das hat ja gedauert. Ja ich bin‘s. Und jetzt los, wir müssen zum Orakel“ „W…Welches Orakel… und überhaupt? Wo bin ich eigentlich… und wie kommt‘s das sich das alles so real anfühlt? Du bist doch nur in meinem Kopf!“ „Willst du mich jetzt beleidigen oder was? Ich bin ein realer Drache, realer geht’s ja wohl kaum! Schau! 4 Beine, Klauen, Zähne, Stacheln, Hörner und…“ Er breitet seine majestätischen goldenen Schwingen aus. „… Flügel!“ hauche ich voller Ehrfurcht. „Richtig! So… genug gestaunt? Wir müssen los!“ Kaum das Lolo sein letztes Wort gesagt hat knackt es hinter ihm im Gebüsch und ich reiße entsetzt die Augen auf. Aus dem Schatten der Bäume taucht ein riesiger, pechschwarzer Drache auf. Ich kenne diesen Drachen fast so gut wie Lolo. Ich hasse ihn abgrundtief und er mich. Immer wenn ich Angst hatte war er in meiner Nähe, Fenrir, der Drache der mich mehrere Male in seiner Schattengestalt durch den Wald gejagt hatte, mit dunkelroten Flammen, die hinter mir her züngelten und diesem boshaften Lachen, dass mich mein Leben lang verfolgt hatte. Lolo spürt meine Furcht und er stellt sich zwischen mich und den größeren, schwarzen Drachen. „Was willst du Fenrir?“ knurrt er warnend. „Spielen.“ Antwortet dieser und bleckt seine messerscharfen Zähne zu einem höhnischen Grinsen. „Verschwinde!“ zischt Lolo und ich beobachte wie sich die Stacheln auf seinem Rücken aufstellen wie das Fell einer Katze! „Was willst du tun Kleiner? Du kannst nicht mal Feuer speien, fühl dich nicht wichtiger als du bist, nur weil du jetzt ein Schutzdrache bist!“ Kaum ist das letzte Wort aus Fenrirs Maul, badet Lolo ihn auch schon in einer Säule aus goldenen Flammen. Erschrocken zischend zieht sich der schwarze Drache zurück und verschwindet mit den Worten, „das wirst du bereuen Lolo!“
„Immer zum falschen Zeitpunkt…“ knurrt Lolo und sieht mich an. Dann hebt er mich auf seinen Rücken und wir schwingen uns den Wolken entgegen. Nach einem, meiner Meinung nach viel zu kurzem Flug landen wir vor eine Höhle. Zögernd gehe ich hinein und als meine Augen sich langsam an das dämmrige Licht gewöhnt haben, sehe ich mich einem riesigen, weißen Drachen gegenüber. Dieser schwingt nun seinen Kopf in meine Richtung und beginnt zu sprechen.
„Meine Tochter, Freya, Erbin des Drachenauges, die du uns zeit dem Beginn deines Lebens Sehen kannst. Ich, Farithea, bin die letzte überlebende, des großen Umschwungs und ich rate dir, lausche meinen Worten Kind, bevor das ewige Feuer mich zurück zu den meinen bringt. Seit Anbeginn der Zeit, waren wir Drachen in dieser Welt, doch der Unglaube der Menschen zwang uns in das Reich der Fantasie. Nur wenige Auserwählte haben die Macht und zu sehen, und du meine Tochter gehörst dazu. Wie jede Drachenseherin zuvor, erbst auch du das Vermächtnis unsere Gattung und wenn du dich entschließt, den Versuch zu wagen, können unsere Welten vielleicht eines Tages wieder vereint sein. Es liegt bei dir junge Freya, dein Schicksal zu wählen. Geht nun, und schreibt die Geschichte unsere Volkes neu, sodass sich die Menschen eines Tages wieder Legenden über die Drachen erzählen.“
Mit einem schaurigen Geräusch, öffnet der alte Drache sein Maul, und ein Wirbel aus silber-weißen Flammen schließt ihn ein. Lolo schiebt mich rasch aus der Höhle, und als ich mich umsehe stehe ich vor einer Wand aus Kristall.
Bedrückt murmelt Lolo „Das waren die Flammen des ewigen Feuers, die letzten Flammen die ein Drache in seinem Leben speit und in die er sein ganzes restliches Leben legt, auf das er zum ewigen Feuer zurückkehrt, um in den Weiten, des Sternenbesetzten Himmels zu fliegen.“
„Sie… ist tot?“ frage ich ihn bestürzt. „Sie hat auf dich gewartet Freya, nun liegt es an uns, ihr Vermächtnis zu tragen, vorausgesetzt du nimmst es an!“ „Habe ich denn eine Wahl?“ „Es gibt immer eine Wahl!“ ich denke einen Moment darüber nach. „Ich habe meine Wahl getroffen!“ Lolo schaut mich eindringlich an, dann nickt er, und gemeinsam schwingen wir uns in den Nahtschwarzen Himmel hinauf, einer ungewissen Zukunft entgegen.

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Tag der Veröffentlichung: 08.06.2012

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