Umgänglich.
So beschrieben ihn die meisten, denen er begegnet war. >Umgänglich< war nicht unbedingt das Wort, das er erwarten würde. Aber ihn interessierte es sowieso nicht, was andere von ihm hielten.
Mit der Grazie einer blinden Elefantenkuh stapfte er durch den langen Flur. Noch immer benebelt von den Unmengen schlechten Scotchs, die er sich letzte Nacht in einer Stripbar in der Stadt genehmigt hatte, suchte er das Zimmer, dass er per Funk durchgesagt bekam. Da er nicht annähernd irgendetwas hatte, was ihn entweder ausmachte oder zu etwas befähigte, entschloss er sich, einen Beruf zu wählen, der seinen Fähigkeiten und Interessen entsprach. Genauer betrachtet hatte er gar keine Interessen, abgesehen von Scotch und gelegentlichem Sex, den er mit Frauen hatte, die er nicht mal ausstehen konnte.
Terence Carter war früher durchaus mal ein attraktiver Mann gewesen. Sein kurzes schwarzes Haar, dass er schon länger nicht mehr professionell schneiden ließ, ist schon seit geraumer Zeit mit grauen Strähnen durchzogen und seinen Bart rasierte er sich nur noch flüchtig. Die stechend blauen Augen, der Trenchcoat und die schwarzen Stiefel, dazu noch genauso versoffen, wie man es von verlassenen, heruntergekommenen kleinen Versagern aus dem Fernsehprogramm von schlechten Krimis kennt.
Terence Carter - von allen nur beim Nachnamen genannt - schleichte nun im Flur des örtlichen Polizeireviers entlang und suchte nun das Zimmer mit dem Typen, den er sich vornehmen sollte. Eigentlich war er viel zu betrunken, um überhaupt auf Arbeit gehen zu dürfen, aber das kümmerte hier sowieso keinen. Zumindest niemanden, auf dessen Meinung Carter Wert gelegt hätte.
Mit der Hand schon am Türgriff, sammelte sich Carter noch einmal, gefasst auf die Ausreden und Lügen der anderen kleinen Versager, die er jetzt ausquetschen sollte, um an Informationen, für den Fall "S.M.23..." zu kommen. Die Kürzel hatte er sich eigentlich noch nie merken können. Er nannte das Kind lieber beim Namen.
Carter zog ruhig die Tür auf, setzte sich an den Tisch, zündete sich unverholen eine Zigarette an und atmete ein paar mal tief ein und aus.
Er hatte einen kleinen Drogenjunkie erwartet, den er etwas einschüchtern, erpressen und ausquetschen würde, um an die gebrauchten Informationn zu kommen. Stattdessen sah ihn leicht verärgert eine hübsche Blondine an.
Es war sofort klar, welchen Beruf sie ausübte. Oder besser gesagt, welcher "Profession" sie nachging.
Sie hatte wirklich versucht, ihr Äußeres so konservativ wie möglich aussehen zu lassen, doch Carter hätte mit verbundenen Augen erkannt, wie sie ihr Geld verdient. Er war ja selbst oft genug bei solchen Frauen gewesen.
Nun ja. Zu seinem Vergnügen war diese hier ja nicht da, also zog er noch ein paar Mal an seiner Zigarette und widmete sich dann dem Wesentlichen : dem Ausquetschen, Erpressen und Einschüchtern. Nur eben weniger bourgios. Also verzichtete er auf einen Faustschlag auf's Nasenbein und begann eine Konversation, wie es normale Menschen - mit einer Frau - auch tun würden. Ein großer Redner war Carter noch nie, doch er war sich sicher, dass er bisher immer die richtigen Worte fand. Zumindest schien ihn noch nie einer missverstanden zu haben.
"Nun, Kleines. Was weißt du über Samantha Mayer? So viel ich weiß, seid ihr ziemlich eng befreundet."
Die Blondine namens Tina Firnd beugte sich über den Tisch, an den man sie gesetzt hatte, und ließ Carter mit überzeugendem Hochmut wissen, dass sie nicht bereit ist, eine Antwort zu geben. Sie sah ihn einfach nur an.
Carter fand Gefallen an ihren hübschen grünen Augen und den vollen Lippen.
"Pass auf, Kleines. Noch legt man dir nichts zur Last, ich will einfach nur wissen, ob du weißt, wer am letzten Abend mit Samantha unterwegs war. Und wo sie waren."
Tina Firnd sah Carter kurz etwas unentschlossen an und kam dann zu der Überzeugung, dass es nicht schaden könnte, zu reden.
"Ich weiß nicht wie der Typ heißt. Sie hatte ihn in letzter Zeit öfter getroffen, mir aber nie etwas über ihn gesagt, wenn ich sie danach gefragt habe. Es schien ihr offensichtlich peinlich zu sein. Wirklich hübsch war der Typ ja auch nicht grad.
Und sagen sie nicht >KleinesSuche nicht, denn finden wirst du nur die Hölle
Und darunter, an den Ketten, die Carter noch vor ein paar Stunden in der Hand hielt, hing sie.
Die Tote, in der Pose des Gekreuzigten.
Das schimmernde Weiß ihrer Haut wirkte bizarr und die blutige, zerfetzte Kleidung, die an ihr herunter hing, bedeckte nur noch das Nötigste.
Fünfzehn Minuten später stand die halbe Polzei der Stadt einsatzbreit vor Ort und gaffte auf das Opfer. Ein paar jüngere Polizisten, die noch nicht lange genug dabei waren, hatten sich übergeben müssen und der Geruch der Toten und des Erbrochenen machte das Arbeiten nicht wirklich einfacher.
Carter wurde von seinem Vorgesetzten Holdfield gerufen, um das übliche bei einem solchen Tatbestand abzuklären.
Wer war das Opfer? Wo kommt sie her? Was ist passiert? Die üblichen Fragen eben.
"Verdammt, Carter! Was wollten sie hier?!"
Carter fuhr sich mit einer Hand durch die Haare.
"Ich hatte mir eine Nutte hier her bestellt. Was glauben Sie?!"
"Verflucht, Carter! Hören Sie auf mit dem Scheiß. Sie finden eine Leiche und werden direkt danach niedergeschlagen. Und während sie neben dem Flussbett pennen, nagelt ein Verrückter die Leiche an die gottverdammte Brücke. Und da Sie die Tote auch noch angefasst haben, haben wir jetzt überall ihre Spuren. Ich kann nur hoffen, dass der Täter seine auch hinterlassen hat. Sonst sieht es verdammt noch mal beschissen für Sie aus."
Carter musste nichts mehr erwidern. Holdfield hatte recht. Seine Spuren waren auf der Leiche.
"Ach ja, Carter: Lassen Sie sich von einem Arzt untersuchen, vielleicht sehen wir ja, mit was er Sie geschlagen hat."
09.30 Uhr. Carter hatte sich auf den Weg zu Dr. Carson gemacht. Die Pathologin Dr. Carson leitete die Autopsie und erzählte Carter von ihrem Befund. Carter merkte, dass Dr. Carson sehr blass war und sichtlich von dem Fall ergriffen. Sie versuchte es zu kaschieren, indem sie überschnell sprach.
"Die Autopsie der Leiche ergab, dass die Frau nicht ertrunken war. Sie wurde gefesselt und man hatte ihr in die Haut gekratzt. Es waren lateinische Textstellen, aber übersetzt hat es noch niemand. Ihr wurde an manchen Stellen des Kopfes Haare ausgerissen und an den kahlen blutigen Stellen, wurden Holzsplitter gefunden. Sie wurde anscheinend über einen Holzfußboden gezogen, als man sie gefesselt hatte. Sie hatte innere Blutungen. Zu den inneren Blutungen kommt noch eine Verletztung von ihrem Uterus dazu. Wir haben außerdem noch etwas gefunden. Das sollten sie sich vielleicht ansehen, Carter."
Dr. Carson ging zu ihrem Schreibtisch und holte ein Schale, die sie Carter reichte. In der Schale lag ein Kruzifix. Ein umgekehrtes Kruzifix, an dem das Wort >Sünder
< eingraviert war.
Die Pathologin beobachtete Carter beim Begutachten des Kreuzes.
"Wir haben das in ihrem Unterleib gefunden. Es wurde dort mit enormer Kraft hineingerammt. Deshalb hatte sie auch diese starken Blutungen."
Carter hob den Kopf und sah Dr. Carson an, die mittlerweile jegliche Farbe in ihrem Gesicht verloren hatte. Carter merkte, dass es ihr ziemlich nahe ging.
"Die Leiche war außerdem schwanger. In der 11. Woche."
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Tag der Veröffentlichung: 27.07.2009
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