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Sie stockte kurz als sie beim schreiben den blauen Fleck an ihrem rechten Handgelenk sah.
Sie schloss die Augen, atmete tief durch. Sie musste weiterschreiben, musste den Bericht abgeben. Sie wusste nicht, was es nutzen sollte, doch aus irgendeinem Grund wollte die Polizei ihren gesamten… Aufenthalt…

geschildert bekommen.
Sie war schon froh gewesen, zu Hause am PC schreiben zu können, damit sie ihre Hand nicht anschauen musste, doch die Schmerzen, die sie beim Tippen überfielen ließen sich nicht ausschalten.
Sie wollte das bisher geschriebene nicht noch einmal lesen, wollte so schnell alles schreiben, was geschehen war, den Bericht abgeben und sich in einer Ecke verkriechen, doch als sie ihre Augen wieder öffnete flogen ihre Augen über das Textdokument.
Sie kannte die Wörter auswendig und während sie las sah sie das geschehen wieder vor sich.
Wie sie, am hellen Tage von hinten geschnappt wurde, wie alles schwarz wurde…
Sie machte den Bildschirm ihres Computers aus und schloss die Augen wieder.
Sie stand auf und beschloss duschen zu gehen. Sie fühlte sich dreckig, schmutzig…
Mit geschlossenen Augen tastete sie sich durch die Wohnung zum Badezimmer, zog sich unter Schmerzen aus, stieg in die Dusche und ließ das Wasser laufen.
Es half wenigstens für kurze Zeit, auch wenn das heiße Wasser an ihren Beinen und auf dem Rücken wegen der Verbrennungen schmerzte.
Sich mit geschlossenen Augen abtrocknend und anziehend versuchte sie einerseits über nichts nachzudenken, andererseits musste sie überlegen, wie sie weiterschreiben sollte, was sie, wieder in ihrem Zimmer angekommen, auch tat:

„Ich wachte in einem kleinen Raum auf, wusste nur noch schemenhaft, was in der Nacht geschah. Ich setzte mich auf und ein fast erwartetes Schwindelgefühl brach über mich herein. Ich bemühte mich, nicht umzukippen und legte meinen Oberkörper wieder auf den Betonboden. Ich bewegte meine Füße, die Fußgelenke schmerzten. Anfangs, weil ich mich wehrte, und dann, weil er sie verdreht und so die Bänder wahrscheinlich überdehnt und zum reißen gebracht hat. Auf meinem rechten Schienbein merkte ich die Stellen, wo er die Zigarettenstummel ausdrückte, die blauen Flecken überall. Meine Oberschenkel waren wahrscheinlich geschwollen. Von den Schmerzen zwischen meinen Beinen abgesehen…
Ich war den dritten Tag in diesem Kellerloch, doch mir kam es länger vor…
Mein Bauch schmerzte ebenfalls. Und die Brust wurde gequetscht.
Meine Arme waren verdreht worden. Die Gelenke schmerzten, sie waren ebenfalls mit blauen Flecken übersät.
Mein Rücken schmerzte entsetzlich, auch hier waren Zigaretten ausgedrückt worden, und doch konnte ich mich nicht bewegen.
Alles tat weh, also war es mir egal, ob ich auf dem Rücken lag oder nicht.
Der Peiniger war nicht da. Ich wusste nicht, wo er war, doch ich war einfach nur glücklich allein zu sein. Warum nur musste ausgerechnet ich an diesem Tag an dieser Stelle sein?
Doch während ich mir wünschte, dass ich nicht da gewesen wäre, tut es mir für diejenige leid, die es an meiner Stelle getroffen hätte.
Wahrscheinlich war dies der einzige Grund, weshalb ich mich nicht dafür verfluche.“



Sie seufzte schwer.
Sie musste weiterschreiben, wie sie aufstand, das Schwindelgefühl bezwang, wie er die Tür öffnete, als sie gerade stand, wie sie dann alles über sich hat ergehen lassen, um möglich wenig Schaden zu nehmen, dass sie nie die Kraft gehabt hätte, sie weiter zu wehren, wie sie wieder in Ohnmacht fiel, wie es ihr beim nächsten Mal, als sie aufwachte noch schlechter ging, wie sie dachte, dass ihre Fußgelenke wieder in Ordnung waren, wie sie sich getäuscht hatte, als sie aufstand und gegen die Wand stürzte und wieder auf dem Boden war, wie sie sich wieder hochzog, sie das Gefühl hatte, dass ihre Arme dabei rissen, wie sie die Tränen mit dem Schmutz in ihrem Gesicht vermischte…
Sie hatte gedacht, dass sie sterben würde, dass sie umfallen, einschlafen und nie wieder aufwachen würde.
Doch sie hatte sich irgendwie aus der Hütte gezogen, war mehr gekrochen als gelaufen, hatte sich noch mehr Wunden zugefügt, als Büsche und Bäume ihr Hände, Gesicht und alles andere aufschürften. Klamotten hatte sie keine mehr angehabt. Sie war ausgehungert, fühlte sich schwach…
Doch sie hatte Glück im Unglück und erreichte die Straße, auf der, wie durch ein Wunder, gerade ein Auto unterwegs war. Es hielt, die Fahrerin stieg aus und eilte panisch auf sie zu, das Handy in der Hand.
Sie musste aufschreiben, wie sie dann Ohnmächtig wurde, und dann im Krankenhaus, mit ihrer Mutter an der Seite aufwachte, bis dann die Polizei sie befragte.
Doch sie konnte nicht. Sie war so am zittern, dass sie die Tasten nicht treffen, dass sie sich pausenlos vertippen würde.
Warum nur musste ihr das passieren?
Warum nur musste es solche Menschen geben?
Sie hatte es geliebt, ihren Körper nach neuen Leberflecken zu untersuchen, hatte sich über jeden gefreut, der neu war.
Besonders liebte sie drei kleine Flecken, die eine Linie mit ihrem Bauchnabel waren. Die drei hatte sie alle auf einmal vor fünf Monaten entdeckt und sie immer wieder angestarrt.
Sie wusste, dass das bescheuert war, doch sie hatte sie geliebt!
Und nun? Nun hatte sie die Augen geschlossen, hatte Angst, sich unter all dem Blau nicht wiederzuerkennen.
War das gerecht? Natürlich war es das nicht und doch ließ es sich nicht ändern…
Sie sollte sich beruhigen! Sie hatte keine Zeit für… so etwas…
Sie musste ihren Text weiterschreiben, musste ihn abgeben… und irgendwie weiterleben.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.01.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An all jene, die dies durchmachen: Stellt euch, ihr seid nicht allein!

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