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Sie sahen sich jeden Abend.
Sie wusste nicht, wer er war, woher er kam und auch sah sie ihn nie wirklich. Doch sie wusste, dass er da war. Immer wenn sie zu Bett ging und fast eingeschlafen war merkte sie, dass er da war!
Jeden Morgen wenn sie aufwachte war er bereits weg. Anfangs dachte sie, sie hätte sich das eingebildet. Dass sie nur einsam war, sich nach Zweisamkeit sehnte und ihn sich nur einbilden würde. Doch nun war er schon so lange bei ihr, dass sie nicht anders konnte. Er musste einfach da sein!
Doch sie wollte es genau wissen, ihn sehen, sich mit ihm unterhalten.
So kam es, dass sie eines Abends wach blieb. Sie setzte sich auf ihr Bett, und wartete. Sie vertrieb sich die Zeit mit lesen, Hörbuch und Musik hören…
Die meiste Zeit jedoch ging sie in ihrem Zimmer auf und ab. Sie war immer zu unterschiedlichen Zeiten eingeschlafen und er war immer da gewesen, kurz bevor sie schlief, sodass sie nicht mehr reagieren konnte… Schon im Halbschlaf war.
Hatte sie so lange im Halbschlaf verbracht, bis er da war?
Woher sollte er wissen, dass sie nur im Halbschlaf war?
Sie hatte so viele Fragen und er war der einzige, der sie ihr beantworten konnte.
Wie gelangte er überhaupt ins Zimmer? Sie schlief oft mit offenem Fenster, doch nicht immer. Außerdem befand sich ihr Zimmer im dritten Stock!
Es war nach Mitternacht und er war immer noch nicht da.
Sie seufzte doch sie blieb wach auf ihrem Bett sitzen.
Wenn sie sich jetzt hinlegen und schlafen würde war er bestimmt da, doch sie wollte mit ihm reden! Im wachen Zustand!
Sie stand auf um der Versuchung des Schlafens zu entgehen und ging wieder auf und ab.
Immer sah sie wieder aus dem Fenster. Gegen vier Uhr fragte sie „Wo bleibst du nur?“ in die Stille hinein, seufzte und setzte sich auf ihr Bett. Sie war müde und enttäuscht. Er war seit zwei Monaten jeden Abend da gewesen, warum nur heute nicht?
Sie konnte es sich nicht erklären.
Ihr Bus fuhr um sechs Uhr und sie beschloss duschen zu gehen.
Ausgelaugt von der Nacht machte sie sich für die Arbeit fertig, Frühstückte, trank mehr Kaffee als sonst und hoffte, dass sie sich gut genug würde konzentrieren können.
Der Tag war sehr anstrengend. Sie musste alles was sie gemacht hatte zigmal kontrollieren und nachrechnen und es waren immer noch Fehler vorhanden.
Als sie am Nachmittag völlig geschafft nach Hause kam wollte sie nur noch essen und schlafen.
Sie hatte sich im Laufe des Tages viele Vorwürfe an den Kopf geworfen.
Was, wenn er sie nun nichtmehr besuchen würde?
Was, wenn ihre Aktion dazu geführt hat, dass er sich nun jemand anders suchen würde?
Dann war sie wieder allein.
Dabei wollte sie doch nur mit ihm reden!
Vielleicht hatte er aber letzte Nacht einfach keine Zeit gehabt.
Vielleicht war es Zufall, dass er nicht da war!
Sie wollte diese Nacht auch warten. Es war Wochenende und sie hatte am nächsten Tag nichts vor, weswegen sie am Mittag ein wenig schlafen konnte.
Und wenn sie ihn damit vollständig vertreiben würde?
Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie wollte nicht allein sein, doch sie wollte wissen, warum er da war. Warum bei ihr? Und warum nur in der Nacht? Und warum…
Sie seufzte schwer.
Noch unentschlossen, was sie tun sollte ging sie die Treppen hinauf. Sie war so müde und obwohl es noch früh war zog sie sich um. Sie konnte auch ein anderes Mal warten, oder nicht?
Im Schlafzimmer angekommen erstarrte sie. Da stand er. Mit dem Rücken zu ihr.
„Was…“ Mit einem Mal war sie vollkommen wach. Da stand er, vor ihren Augen!
Sie hoffte so sehr, dass sie nicht bei der Arbeit eingeschlafen, sondern wach und in ihrer Wohnung war. Und sie hoffte so sehr, dass er wirklich vor ihr stand.
Er dreht sich zu ihr um und sah sie aus unnatürlich strahlend blauen Augen an. Sein Haar war dunkel und es passte perfekt zu seinem gut gebräunten Teint. Sie wusste, dass er es war, auch wenn sie ihn zum ersten Mal wirklich sah. Er lächelte nicht, sah eher besorgt aus. Als würde er nicht wissen, was er tun sollte, was für ihn ungewöhnlich schien.
Sie ging einen Schritt auf ihn zu, lächelte ihn an. „Du hast nach mir gerufen“, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen. Er schien unsicher. War ihm nicht bewusst, dass sie ihn bemerkt hatte? Dachte er, sie hätte schon geschlafen? Sie wollte sich das nicht fragen, sie würde ihn fragen… später!
Sie lächelte weiter, ging zu ihm und umarmte ihn. Leicht verwirrt stand er stocksteif da. Doch nur für wenige Sekunden, die sich für sie wie Tage anfühlten. Dann endlich erwiderte er ihre Umarmung und sie hatte das Gefühl, endlich zu Hause zu sein.


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Tag der Veröffentlichung: 05.12.2010

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