Diese Kurzgeschichte handelt 20 Jahre nach Sascha, Kyel und Kilrian, Tom.
Es geht um Sascha und Kyels Tochter Viviane. Diese Geschichte ist nur aus Vivianes Sicht geschrieben und ist für junge Leser geeignet.
Vivianes 18. Geburtstag:
Mein Leben konnte nicht besser sein. Seit ich denken konnte, hatte ich alles und doch, das wurde mir beigebracht, war alles, was ich besaß nicht umsonst gewesen.
Sicherlich hatte ich sehr reiche Väter. Japp die Betonung lag auf ›Väter‹. Ich war eins der wenigen Kinder auf der Welt, die mit zwei Vätern aufgewachsen war. Und meine Väter hatten mir nie vorenthalten, dass sie mich adoptiert hatten. Zumindest einer hatte mich adoptiert, der andere wurde ins kalte Wasser geschmissen.
Ich liebte die Geschichte, ganz besonders, wenn sie Opa Lenard erzählte. Wer meine Väter waren, nun dreimal dürft ihr raten. Na, na schon erraten?
Okay, nun war die Zeit gekommen, dass ich endlich meinen bestehenden Schulabschluss entgegennehmen konnte, und blickte mich in meiner Reihe um. Die Schüler und Schülerinnen aus meinem Jahrgang sahen teils gelangweilt aus und teils nervös und andere wiederum hatten wohl so eine Art Hoffnungsface, was sie immer ins Gesicht bekamen, wenn sie Daddy zu sehen bekamen. Manchmal fragte ich mich wirklich, was Daddy an sich hatte, dass jeder und alles auf ihn flog. Okay, er sah wirklich gut aus und es gab auch Zeiten, in denen ich mir gewünscht hätte, seine Gene vererbt bekommen zu haben, aber leider war dem nicht so. Dennoch, der Mann war über 50. Also bitte!
Oder wenn Papi in der Nähe war, da konnte die meisten auch nicht ihren Blick von ihm wenden, obwohl er noch normaler aussah, als Daddy. Okay was war normaler? Nein eigentlich himmelten sie eher Papi an, der war ja auch noch nicht so alt. Nun gut, er hat ja auch erst die 40 überschritten. Dennoch gehörte er zum alten Eisen. Gruselig wie die Weiber in meinem Alter auf einen alten Mann abfuhren.
Also gut ich Schweiftee ab. Heute war also meine Abschiedsfeier und mein 18. Geburtstag und wieder erwischte ich mich dabei, wie ich um die Runde schaute. Papi und Daddy hatte ich schon erblickt, auch Raoul, Mike, Patin Emily und wow John hatte es auch geschafft hier zu sein. Für ihn war es nicht leicht, mal einen Tag Ausgang von den Navi Seals zu bekommen. Aber ich glaubte sogar, dass da jemand seine Hand im Spiel hatte. Zu dem schaute ich gerade rüber. Onkel Anthony, der wie üblich einen Finger an seinem Headset hatte. Da waren meine anderen Onkels, Loris, Hilal und Robert nicht weit entfernt. Parker war auch anwesend. Er lehnte etwas abseits am Podium und ich erfreute mich, dass er nun nicht so griesgrämig aussah. Obwohl ihm Jaydons Verlust arg zugesetzt hatte. Auch ich trauerte noch um Onkel Jaydon. Er war, auch wenn er an dem Rollstuhl gefesselt war eine wirkliche Frohnatur. Oma Janet und Loren, Opa Clive und Lenard hatten auch ihren Platz gefunden.
Nur den, den ich heute wirklich dabei gehabt hätte, war nicht da, obwohl er es mir versprochen hatte.
Plötzlich spürte ich eine Hand auf die Meine und ich blickte in zwei himmelblaue Augen.
»Nervös?«, fragte mich mein Freund Elija und ich nickte und schüttelte den Kopf gleichzeitig.
»Nicht wirklich!« Er kicherte.
»Ich an deiner Stelle würde total nervös werden, wenn ich das Zeugnis von meinem Vater überreicht bekommen würde. Ich werde schon nervös, wenn ich deinem Vater in die Augen blicken muss, wenn er mir das Zeugnis überreicht. Er schaut mich immer so ... so ... grrrr mäßig an!« Nun musste ich lachen. Es stimmte, Elija, der nicht der einzigste auf der Welt war, hatte totalen Schiss vor meinem Daddy. Nun die Frage lautet wohl eher, wer hatte keinen Schiss vor meinem Daddy und ich blickte zu Papi, der wohl der einzige Mensch auf der Welt war, der ihm immer und immer wieder die Stirn bot. Im innern musste ich kichern, nein Papi war nicht der einzige Mensch, da gab es noch einen. Mich.
»Ach quatsch. Er ist gar nicht so ...«
»Nicht?!« Das war wohl eher eine lapidare Frage mit einer Feststellung die mit meiner Aussage, überhaupt nicht übereinstimmte und ich schaute mich weiter um.
»Wo bleiben die?«
»Wer?«, fragte Elija und drückte meine Hand. Ich schaute ihn an und atmete tief ein. Elija war so süß eifersüchtig. Okay ich würde wohl auch eifersüchtig werden, wenn in seiner Familie mehr Frauen wie Männer waren. Wie es in meiner Familie war, mehr Männer wie Frauen. Wir waren gerade mal fünf Frauen. Oma Loren, Oma Janet, Patin Emily, Tante Sarah und ich. Alles andere waren nur Männer. Selbst Sarah hatte nur Söhne auf die Welt gebracht und von Onkel Aidens Seite kam noch seine Mutter, also gut sechs Frauen.
»Mein Pate Kilrian und Onkel Tom. Sie wollten heute kommen.«
»Pate? Ich dachte, die Frau da drüben ist deine Patin?« Kurz schüttelte ich den Kopf.
»Nein ist sie nicht. Ich nenne sie nur so, weil sie eigentlich meine Patin werden sollte, aber durch diverse Umstände, meine Väter und sie es irgendwie nie geschafft hatten, einen Termin zu machen. Ich wurde ja erst getauft, da war ich schon im Kindergarten. Aber sie ist trotzdem irgendwie meine Patin, auch wenn sie nicht mit auf dem Taufschein steht.« Nun kicherte er und schüttelte leicht seinen Kopf. »Was ist?«
»Nichts! Du hast schon eine wirklich außergewöhnliche Familie!«, sagte er und ich dachte nur: »Außergewöhnlich in der Tat und das was sie alle durchgemacht haben und jetzt so glücklich zu sein, wünsche ich meinem schlimmsten Feind nicht.« Jeder in meiner Familie hatte einen Schicksalschlag erfahren, der weit mehr als nur unter die Gürtellinie reichte. Allein schon Papi ... ich war 16 Jahre, als ich es erfahren hatte.
Ja ich kannte ihre Vergangenheit und auch wie ich zu ihnen kam, doch auch wenn es mich manchmal brennend interessierte so konnte ich meine Väter nie fragen, wer mein leiblicher Vater überhaupt war. Ich hatte dann immer das Gefühl gehabt auf ein verbotenes Terrain zu treten.
Und schon erblickte ich die beiden und wie automatisch musste ich grinsen, als Kilrian mir zuwinkte. Ich winkte zurück und wieder verstärkte Elija seinen Griff.
»Sie sind da?« Elija folgte meinen Blick und als Kilrian ihn erblickte, hob er beide Daumen hoch. Sofort wurde ich feuerrot und ich fragte mich, wie er das alles so schnell erraten konnte. Nicht nur das, Tom boxte ihm in die Seite und Kilrians Blick blieb an Elija haften. Ich fühlte mich wie eine Maus und doch war ich glücklich, dass die beiden überhaupt da waren.
»Warum schaut der mich so an? Ich habe das Gefühl, dass ich deinem Vater gegenüber stehe«, grummelte Elija und gedanklich entschuldigte ich mich bei Elija. Kilrian war nicht mein Vater. Nein ganz und gar nicht. Er war schlimmer.
Und ich musste meine vorherige Aussage revidieren. Es gab mehr Menschen, die meinem Daddy die Stirn boten. Kilrian war einer davon.
Ich sah, wie Papi auf die beiden zuging und erst Kilrian herzlich umarmte und dann Tom. Sofort fingen sie zu tuscheln an und ich konnte mir denken, um was es ging. Um mich und um Elija. Tief schnaufte ich ein, denn nun hieß es für mich Rede und Antwort zu stehen. Alles aber auch wirklich alles wollten sie von mir über Elijas wissen. Kilrian war da überaus sehr hartnäckig.
Sicherlich skypten wir sehr oft und da hatte ich ihm auch erzählt, dass ich einen Freund habe, der nun ja mehr Freund war, als Freund. Er wurde sehr neugierig und meinte, dass ich ihn ihm vorstellen sollte, wenn er das nächste Mal in Amerika war. Nun war es wohl soweit und mein Herz wummerte auf.
Gott nun war ich wirklich sehr nervös und Gedanken kamen hoch, gefiel Kilrian mein Freund, war er mit ihm zufrieden usw. Seine Meinung war mir doch sehr wichtig, denn er hatte mir schon mehr als einmal geholfen, die richtige Entscheidung zu treffen.
Die Zeremonie begann und alle wurden aufgerufen. Wie sollte es auch anders bei mir sein, kam ich als Letztes dran. Nach W kam irgendwie immer niemand mehr.
»Viviane Wagner-Kastner«, wurde ich gerufen und ich nahm mir vor, meinen doppelten Nachnamen in einfach nur Kastner zu ändern, doch dann würde ich wohl Papi traurig machen. Denn er hatte mir meinen vollständigen Namen gegeben. Ich wurde nach meiner leiblichen Mutter genannt. Nach Viviane Wagner. Sie hatte meine Geburt nicht überlebt und war gerade mal 16 Jahre, als sie starb. Papi sprach immer sehr ehrfürchtig von ihr und deshalb schüttelte ich den dunklen Gedanken ab.
Langsam erhob ich mich und Elijas nickte mir aufmunternd zu. Der hatte gut reden, der hatte sein Zeugnis ja schon, dachte ich und schlängelte mich durch die vielen Fußpaare, die mir den Weg versperrten. Ich hoffte nur, dass ich über keine paar Füße stolperte, denn das passierte mir öfters.
Aber nein, ich kam gut am Ende an und stieg schon die Treppe, neben der Parker stand, der mir schmunzelnd zunickte, nach oben. Kurz suchte ich meinen Papi, der stand neben Kilrian und auch er grinste, wie das Zeug hielt.
Geschafft, die letzte Stufe und nur noch ein paar Schritte und ich stand Daddy gegenüber.
Daddy leierte seinen Text, denn er den anderen 20 Absolventen entgegengebracht hatte runter und ich antwortete standartgemäß mit ›Danke Sir‹. Nur und das hatte er bei den anderen nicht gemacht, zog er mich in seine Arme und gab mir einen Schmatzer auf die Wange.
»Gut gemacht Kleines!« Aus den Augenwinkel sah ich, wie Papi noch mehr grinste, als was er schon tat und mir kam eine Geschichte, die sie mir mal erzählt hatten in den Sinn. Daddy hatte die Carmen Norm Privatschule übernommen und Papi sollte der Represätand sein. Doch durch einige Umstände kam es dann doch nicht dazu. Wie hatte Daddy erzählt: Es wäre schon ne Aktion gewesen, dich vor all dem ganzen Publikum zu küssen ...
Nun gut, was er bei Papi nicht machen konnte, machte er eben bei mir. Es war bekannt, dass ich seine Tochter war und ich fühlte mich überglücklich.
»Das habe ich euch zu verdanken, Daddy!«, sagte ich, drehte mich zu Papi um und winkte ihm mein Zeugnis zu. Er fing zu klatschen an. Kilrian nahm seine Finger in den Mund und Pfiff. Komisch aber mir war das nicht peinlich, denn die mich kannten, wussten, dass ich absolut chaotisch war. Dass ich normal war, und das ich total auf dem Boden blieb. Dafür sorgte Papi schon. Mein Papi Sascha Kastner. Noch einmal umarmte ich meinen Daddy. Daddy Kyel Kastner. Ich liebte meine Väter, auch wenn sie nicht meine leiblichen Väter waren, waren sie doch alles für mich. Bessere Eltern hätte ich mir nie wünschen können.
Die offizielle Feier neigte sich dem Ende und ich sah, dass schon viele Familien den Heimweg antraten. Elija kam auf mich zu und ich atmete tief ein. Nun hieß es Abschied nehmen für den heutigen Tag, obwohl ich ihn gerne noch mit Elija verbracht hätte.
»Hey, meine Eltern haben nicht viel organisiert, denn Dad muss in die Nachtschicht und Mom hat nur einige Verwandte eingeladen. Ich denke, das geht heute nicht sehr lange ...«
»Dann komm halt, wenn du Zeit hast, zu mir!«, warf ich ein und Papi, der das mitbekommen hatte, trat auf uns zu.
»Du kannst gerne noch zu uns kommen und deine Mom kannst du auch mitbringen. Morgen habt ihr eh frei!«, sagte er und zwinkerte mir zu. Was von Papi so viel hieß wie, Elijas Mutter kann oben bei Oma Loren schlafen und er bei mir. Und wenn Papi das schon so sagte, dann hatte Daddy nichts mehr zu sagen. Hoffnungsvoll blickte ich zu Elija, der nur zustimmend nickte.
Daheim angekommen wurde ich mit einer Fanfare von Glückwünschen begrüßt und sogleich aufgefordert, diverse Geschenke für meinen bestehenden Abschluss und für meinen Geburtstag zu öffnen. Es waren nur Kleinigkeiten und ich freute mich trotzdem über jedes einzelne Geschenk. Aber auf das wichtigste Geschenk freute ich mich noch immer.
Elija.
Ja er war meine wirkliche große Liebe. In ihm hatte ich mein Gegenstück gefunden und laut Papi sollte ich ihn mir halten. Daddy sah das etwas anders, aber was Papi sagte, hatte sogar für ihn Priorität.
»Auf was wartest du?«, fragte mich Kilrian und ich schaute ihn etwas verlegen an. Nun grinste er. »Auf Elija, nicht war!«, meinte er und nahm mich in die Arme. »Die Liebe kann was Wundervolles sein und wenn er nach deiner Meinung nach der Richtige ist, dann halte ihn. Komme, was wolle!« Ich schaute ihn an.
»Wie hast du gewusst, dass Onkel Tom der Richtige für dich ist?«, fragte ich und Kilrian blickte mich mit seinen sehr dunklen braunen Augen an.
»Ich habe es nicht gewusst. Mein Verstand hatte immer wieder Nein gesagt, aber mein Herz sagte immer, ja, er ist es. Immer und immer wieder. JA! Es ging in meinen Körper über und ich konnte mich dem nicht mehr erwehren. Es war damals sehr schlimm für mich. Ich wollte Tom nicht, aus Gründen, die du schon kennst, aber wie gesagt, das Schicksal meinte es wohl anders. Und jetzt bin ich sehr glücklich darüber, meinem Herzen nachgegeben zu haben. Sonst würde Tom noch heute Selter heißen und nicht Ford. Und du würdest ohne Pate rumlaufen. Deshalb sage ich dir, höre auf dein Herz, denn das leitet dir deinen Weg in Sachen Liebe. Wenn du meinst, dass Elija der Richtige ist, dann ist er das auch und niemand wird was anderes dazu sagen. Niemand, verstehst du?« Ich nickte und gab ihm einen Kuss auf seine Wange.
»Danke Kili.«
»Och nö, nenn mich nicht so!«
»Soll ich dich lieber mit Pate Kilrian anreden?«, fragte ich und steckte mir den Zeigefinger in den Mund.
»So nun auch wieder nicht!«, sagte er und kicherte.
Plötzlich trat Papi mit Daddy auf mich zu und anhand ihren Gesichtern zu beurteilen war die Sache ernst.
»Vivi!«, sprach Daddy mich an und Papi lächelte leicht. »Hier haben wir noch ein letztes Geschenk für dich.«
»Es ist ein Geschenk von deiner Mom!«, warf Papi ein. »Es ist deine Entscheidung, ob du es annimmst!«, meinte er und ich sah, dass ein mir fremder Mann in der Küche erschien.
»Hallo mein Name ist Silvio Grott, Notar von Beruf. Ich bin hier um den letzten Willen Viviane Wagner vor Gott und dem Staate Amerika zu bezeugen«, sagte er und mir wurde schlecht. Was hatte Mom mir nur hinterlassen? Mit 16, als Waise, würde sie nicht sehr viel gehabt haben und doch überwog die Neugierde. Denn der Notar stand mit nichts da. Nicht einmal einen Aktenkoffer hatte er und ich war schon gewillt, das Erbe zu verweigern als in diesem Moment es an der Tür klingelte.
Elija mit seiner Mom kam in die Küche und ich sah, dass seine Mom Oma Loren herzlich umarmte. Doch meine Aufmerksamkeit galt Elija, den ich an meine Seite wissen wollte. Kurz umarmten wir uns und er setzte sich neben mich.
»Was geht hier vor?«, fragte er und ich lächelte gequält.
»Ich soll etwas von meiner Mutter bekommen.«
»Deiner Mutter?«
»Ja, das ist ein Notar, der den letzten Willen meiner Mutter hat!«, sagte ich und Elija nahm meine Hand in seine Hand und lächelte mir zu.
»Du hast die besten Väter der Welt, die man sich wünschen kann. Hab keine Angst etwas zu bekommen, was von deiner leiblichen Mutter kommt. Ich denke, sie wollte nur das Beste für dich.«
»Wie kommst du darauf?«
»Das ist doch ein Notar, oder?«, fragte er und ich nickte. »Da hast du schon deine Antwort. Ich glaube kaum, dass Mr. Kastner oder dein Vater, was geschehen lassen, was nicht mit rechten Dingen zugeht. Mhh!«, wieder nickte ich. »Also!«
Nachdem sich alles beruhigt hatte, gab ich meine Zustimmung. Mit Elija an meiner Seite, war es nur noch halb so schwer und ich schaute kurz zu Kilrian, der mich anlächelte.
»Nun in Kraft meines Amtes überreiche ich Ihnen Miss. Viviane Wagner-Kastner den letzten Willen, von Viviane Wagner der notarische festgehalten wurde um ...« Er blickte auf seine Uhr. »05.38 ortsansässige Zeit, am heutigen Tage Ihres 18. Geburtstag, den ...« Mehr bekam ich nicht mit. Seine Bewegungen fesselten mich und er fasste in seine Jacketttasche, zog einen kleinen Umschlag heraus, den er mir entgegenhielt.
Mein Körper fing zu zittern an. Ich wusste nicht, ob ich den Brief annehmen sollte oder nicht. Und doch, war das das Einzige, was ich von meiner leiblichen Mutter jemals bekommen würde. Langsam stand ich auf, trat auf den Mann zu, der den Brief in der Hand hielt und nahm ihn an.
Es war von meiner Mutter, den einzigen Lebensbeweis, den es gab und ich drückte es an mich. Ich bekam nicht mit, dass sich der Notar verabschiedet hatte, ich drückte den Brief immer noch an mich.
Nach Minuten, nein Stunden schaffte ich es, den Brief von meiner Brust zu nehmen und öffnete ihn.
Ich zog einen Zettel heraus und mir viel auf, dass die Schrift kaum anders war als meine.
Ich fing zu lesen an.
»Hallo mein kleiner Schatz;
Wenn du den Brief in den Händen hältst, dann bist du schon 18 Jahre. Älter als wie ich es war, als ich dich bekommen habe.
Mein Schatz, es war für mich nicht leicht, die Entscheidung zu treffen, dich in meinem Bauch heranwachsen zu lassen, denn es hat meinen Tod bedeutet. Ich hatte die Wahl gehabt, ich selbst oder dich. Ich habe mich für dich entschieden.
Doch jetzt, da dich der Brief erreicht hat, heißt es das mein Betreuer Sascha Fleischhauer, dich angenommen hat. Ich hoffe, er ist ein guter Vater. Ja er ist ein guter Papa, denn sonst würdest du den Brief nicht in der Hand halten und ihn lesen.
Und hier will ich mich entschuldigen, dass ich dich einfach als leiblicher Vater angegeben habe. Tschuldige Sascha.
Wo wir schon dabei sind, Dr. Lenard Marker und Stationsschwester Loren sind meine Zeugen, hier werde ich dir sagen, wer dein leiblicher Vater ist.
Ab hier, wenn du es nicht wissen willst, dann zerknülle das Papier und Dr. Marker, (er hat mir versprochen, dass er an deinem Ehrentag da sein wird, hoffentlich ist er das auch), wird dir das Schriftstück aus der Hand nehmen und zerschreddern. Wenn du es wissen willst, falls du es nicht schon weißt, dann lies weiter.«
Ich hielt inne zu lesen und schaute zu Opa Lenard.
Sein Blick war traurig, er wusste was in dem Brief stand, doch er wartete auf meine Reaktion. Kurz lächelte ich und senkte meinen Blick.
»Du hast dich entschieden weiterzulesen. Du bist genauso neugierig wie ich. Wie gerne hätte ich dich aufwachsen sehen. Ja sehr gerne sogar, doch es bleibt mir verwehrt.
Nun bevor ich dazu komme, wer dein Vater ist, denn du hast schon einen wundervollen, nein du hast zwei, soweit sich nichts geändert hat. Habe ich ein paar Fragen. Wie ist dein Name? Was hast du für ein Geschlecht? Bist du gut in der Schule? Hast du schon deinen Abschluss? Hast du tolle Freunde? Wie schaust du aus? Bist du mit deinen Eltern zufrieden, wenn nicht, Kopf hoch, ich denke, so schlimm sind sie gar nicht, denn ich hatte keine. Ich wünschte, ich hätte meine Eltern länger gehabt ...«
Tränen liefen mir den Wangen runter und ich rieb mir über die Nase. Ich schaute in der Runde um, in der ich mich befand und fing leise zu flüstern an:
»Hey Mom, mein Name ist Viviane Wagner-Kastner. Ja ich heiße wie du. Sascha mein Papi wollte es so. Ja, wie du aus dem Namen schon erraten kannst, bin ich ein Mädchen. Meine Schule habe ich heute abgeschlossen und halte ein sehr gutes Abschlusszeugnis in der Hand. Okay das beste ist es nicht, aber es ist für mich gut genug. Papi und Daddy haben sich total Mühe gegeben und ich will keine anderen haben. Ja Mom ich habe einen Freund, er heißt Elija und ich fühle mich sehr arg zu ihm hingezogen. Kilrian mein Pate hat gesagt, dass ich auf mein Herz hören soll und nicht auf meinen Verstand, und das werde ich auch tun. Mom ...
Weiter kam ich nicht, denn die nächsten Zeilen stachen mir ins Auge.
»..., leider ist das Vergangenheit, denn ich habe einen sehr guten Erziehungsberechtigten und den will ich nicht missen. Er war genauso oft im Krankenhaus wie Sascha. Alle beide habe ich lieb gewonnen.
So nun zu der Frage die dich wohl am meisten beschäftigt oder auch nicht. Wie gesagt, ich weiß nicht, inwiefern du bereits Bescheid weißt.
Dein leiblicher Vater ist Marcel van Diggens.
Nach all den Wochen und Monaten, in denen er mich ignorierte hatte, als ich mit dir schwanger war, wünschte ich mir, es wäre ein anderer gewesen.
Es tut mir wirklich leid meine kleine Maus. Ich wünschte wirklich, dass es ein anderer gewesen ist, aber wie das Leben so spielt, kann man es sich einfach nicht aussuchen und ich habe deinen leiblichen Vater zu diesem Zeitpunkt wirklich geliebt.
Ich hoffe, du hast ein sehr gutes Leben bis jetzt gehabt und allein dieser Gedanke daran, dass es so ist, macht mich glücklich. Ich hoffe es wirklich für dich.
In liebe deine Mom.
Viviane Wagner«
»Sie hat eine schöne Schrift!«, sagte ich nur, drückte den Brief an meine Brust, stand vom Stuhl auf und ging in mein Zimmer. Nach einer kurzen Zeit kam Elija in mein Zimmer und setzte sich neben mich. Er sagte kein Wort, nahm mich nur in seine Arme und hielt mich fest. In diesem Moment wusste ich, Elija war der Richtige. Ich legte den Brief in meine Schublade in mein Nachtkästchen. Danach ließ ich meine Tränen wirklich freien Lauf. Ich fühlte mich schuldig, schuldig dafür, dass meine Mom nie in den Genuss kam, mich jemals kennenzulernen. Mich nie erziehen durfte, sich nie als meine Mom bekennen durfte. Und ich hingegen kannte ihre letzten paar Monate. Diese Monate, die sie mit meinem Papi verbracht hatte. Die sie veranlasst hatte ihn als den leiblichen Vater zu benennen.
Ich heulte mir die Seele aus dem Leib und Elija wiegte mich in seine Armen. In dieser Nacht zeigte er mir, wie sehr er mich liebte.
Ein paar Jahre Später:
Ich war mit Elija verheiratet und stillte unsere Tochter Alexa. Ich wohnte noch immer in Daddys Villa. Nein er hatte die Villa ausbauen lassen. Hinter dem Atelier hatte er noch eine komplette zwei Etagenwohnung mit extra Eingang anbauen lassen, das ich mit meiner kleinen Familie nun bewohnte. Inzwischen wohnten vier Generationen in seiner Villa und je mehr es wurde, umso glücklicher wurde Daddy. Nur bedauerte er manchmal, dass Sarah sich nicht bereitschlagen ließ, hier mit einzuziehen. Nun jeder wie er oder sie es wollte. Dafür war sie fast jeden Tag mit ihren Söhnen Malte, Cedric und Fabio da.
Raoul der sich darum gerissen hatte, obwohl er schon zwei Patenkinder hatte, wurde der Pate für Malte, Sascha für Cedric und wie sollte es auch anders sein, wurde Mike der Pate für Fabio. Die beiden waren oftmals schlimmer als Mike und Raoul zusammen. Immer wenn es zu einem Familientreffen kam, ertappte ich mich, wie ich anfing, meinen Paten zu vermissen. Kilrian. Auch wenn er es versuchte zwei bis dreimal im Jahr nach Amerika zu fliegen, so war es mir manchmal wirklich zu wenig. Denn nur ihm konnte ich meine Ängste und meine Gefühle mitteilen. Er verstand mich in jeglicher Hinsicht.
So wie in diesem Moment. Ich stillte meine Tochter und meine Gedanken schweiften ab. Er hatte sich nicht dazu bereitschlagen lassen ein Kind zu adoptieren. Er sagte immer wieder, er war Vater für so viele Kinder, denen er eine Zukunft ermöglichte und in Gedanke nickte ich. Ja er war Vater von so vielen Kindern, die er von Straßenstrich geholfen hatte. Einige arbeiteten für ihn, und andere hatten es geschafft ein eigenes Leben aufzubauen.
Nachdem Alexa in meinen Armen eingeschlafen war, legte ich sie auf die Couch. In ihrem Bettchen brauchte ich sie nicht zu legen, denn dann war sie wach. Ich bettete sie so ein, dass sich nicht runterfallen konnte und schob anschließend meinem Laptop auf meine Beine. Ließ ihn hochfahren und wählte mich in Skype ein.
Es dauerte eine Zeit lang, bis Kilrian ranging. Er sah müde aus.
»Hey Mausi was gibt´s denn?«, fragte er auf Deutsch und Gott sei Dank verstand ich es. Ich war Dolmetscherin bei Kastner Import und Export und Deutsch war ein Klacks für mich. Auch wenn ich gerne gesagt hätte, dass ich die Affinität von Sascha meinem Papi geerbt hätte, so musste ich dies revidieren. Sascha war nicht mein leiblicher Vater und doch beherrschte ich über vier Sprachen fließend.
»Sorry das ich störe, aber ich habe eine Frage.«
»Dann schieß los!«
»Ich weiß nicht so recht ... Pate, was würdest du machen, wenn, wenn, ...« Ich hielt inne und er schaute in die Kamera. Seine dunklen braunen Augen schlugen über mich ein. »Ich glaube, es ist nicht der richtige Zeitpunkt um dich das zu Fragen.«
»Wenn nicht jetzt? Wann dann?«, fragte er zurück und ich atmete tief ein.
»Tschuldige, aber ich glaube, ich muss selbst darauf eine Antwort finden. Sorry das ich gestört habe!«, sagte ich und loggte mich aus Skype aus. Ich rieb mir die Augen und in dem Moment klingelte mein Handy. Ich brauchte nicht raufzuschauen, anhand des Klingeltons wusste ich bereits, wer mich anrief. Kurz lächelte ich, ich hätte es mir denken können, dass Kilrian sich nicht einfach so abspeisen ließ.
»Hey, sorry noch mal das ich dich geweckt habe!«, sagte ich ohne ein Hallo.
»Nicht wirklich. Wir haben ein Event laufen und ich habe mich jetzt einfach mal zurückgezogen.«
»Na ja, du bist ja der Chef, du kannst es dir leisten!«
»Hmm, würde ich nicht so sagen. Also Mausi, sag was dich bedrückt!«
»Lass gut sein Pate. Ich will dich damit nicht behelligen!«
»Mich behelligst du mit nichts und wenn du jetzt nicht mit der Sprache rausrückst, werde ich dir, solange auf die Nerven gehen, bis du es mir erzählt hast. Hast du Ärger mit Elija? Stresst dich Kyel, weil wieder ein Abgabetermin ranrückt, oder ist es Sascha mit seiner Überfürsorge ... na ...?« Unwillkürlich musste ich kichern. Meistens lag Kilrian mit seiner Mutmaßung richtig, aber nun, hatte ich ein ganz anderes Problem. Das Problem, dass ich seit meinem 18 Geburtstag mit mir rumschleppte. Mal rückte das Wissen in die tiefste Ecke meines Gehirns, doch wenn ich meine Tochter Alexa ansah, überkam mich immer ein schlechtes Gewissen. Wenn ich ihn schon nicht kennenlernen wollte, so konnte ich es doch meiner Tochter nicht vorenthalten, wo ihre Wurzeln lagen.
Kurz blickte ich zu ihr und atmete tief ein.
»Es geht um meinen Vater ...«
»Welchen?«
»Meinem leiblichen Vater!«
»Ahh, du willst ihn kennenlernen?«, fragte er mich und ich schüttelte den Kopf. Doch dann fiel mir ein, dass Kilrian es ja nicht sah, und sagte leise ins Handy: »Eigentlich nicht, aber um Alexas Willen! Ich mein, sie hat ein Recht darauf, zu wissen, wer sie eigentlich ist ...«
»Bist du dir da so sicher?«
»Sicher bin ich mir nicht. Ich mein, nur weil ich ihn nicht kennenlernen will, kann ich es ihr doch nicht vorenthalten und vor allem, kann ich es dem Mann auch nicht vorenthalten. Er weiß, dass er eine Tochter hat, aber was ist mir seiner Enkelin? Hat er nicht auch das Recht zu wissen, wohin seine Wurzeln reichen? Aber und das verunsichert mich, will er es überhaupt wissen? In den letzten 24 Jahren hat er sich um mich nicht gescherrt ...«
»Laut Beschluss darf er und seine Familie es nicht«, ging Kilrian dazwischen. »Aber du hast die Erlaubnis und das Recht, wenn du ihn kennenlernen willst, dann darfst du Kontakt mit ihm aufnehmen. Hör zu Mausi, gehe zu Sascha und sage es ihm.«
»Och ich fühle mich aber dann Schlecht, wenn ich Papi nach meinem Vater frage ...«
»Hast du deshalb nie nah ihm gefragt? Weil du dich dann gegenüber deiner Väter schlecht fühlst?«
»Ja!«
»Ach Mausi! Das brauchst du nicht. Sie werden es dir überhaupt nicht übel nehmen, wenn du mit deinem leiblichen Vater kontakt aufnehmen willst. Sascha und Kyel werden dich dabei tatkräftig unterstützen. Glaube mir. Sie lieben dich über alles.« Ja das war es ja. Papi und Daddy liebten mich und ich wollte ihre Liebe einfach nicht überstrapazieren, nur, weil ich einfach zu egoistisch war.
Nach noch etwas kurzen small Talk legte ich auf und kuschelte mich an Alexa. Sanft strich ich ihr über ihre kleine Nase und fasste endlich meinen Entschluss.
Am nächsten Tag ging ich total gerädert in unsere Gemeinschaftsküche und Oma Loren schmunzelte mich nur an.
»Na, hat dich Alexa nicht schlafen lassen?«, fragte sie und ich rieb mir die Augen. Oma Loren nahm mir Alexa ab und setzte sie in den Autositz, den sie auf den Küchentisch stellte. Ich setzte mich auf meinem Platz und zog den Autositz an mich heran.
»Ist Papi schon wach?«, fragte ich und Oma blickt auf die Uhr.
»Hmm, ich denke, er schläft noch. Du kennst doch Papi ...«, doch ein herzliches Lachen ließ Oma unterbrechen und meine Väter kamen in die Küche. Noch immer bewunderte ich die beiden, wie sie in aller Herrgottsfrüh so fitt sein konnten. Papi erblickte mich und seine Fröhlichkeit nahm zu. Er kam auf mich zu, hauchte mir einen Kuss auf die Stirn und sagte: »Moing Vivi!«, beugte sich über Alexa und auch sie küsste er. »Moing mein Engel!« Daddy hingegen ging an die Kaffeemaschine und ließ sich Kaffee raus. Nahm die Tasse an seinen Mund und trank einen Schluck. Wie immer ließ er Papi den Vortritt und wartete bis er sich an seinen Platz gesetzt hatte. Erst dann kam er zu mir und wünschte mir und Alexa einen guten Morgen.
»Na Alexa hat wohl die Nacht durchgefeiert?«, grinste Papi mich an. »Wie die Mutter so die Tochter. Du hast uns auch nie schlafen lassen.«
»Wer ist denn immer aufgestanden?«, stänkerte Daddy und Papi grinste ihn an.
»Na ich, du bist doch nie aufgestanden!« Papi grinste breiter.
»Ach ja. Du hast mich jedes Mal aus dem Bett geboxt und in deinen Bart gegrummelt: ste duf auf ... vivi isch wa ... schnarch«, meinte Daddy und stellte Papi eine Tasse Kaffee vor die Nase.
»Also meine Lieben, wer hier aufgestanden ist, das war wohl ich! Vivi hat so laut gebrüllt, dass ich das oben auch noch gehört habe und ihr beiden habt seelenruhig geschlafen!«, warf Oma ein und stemmte ihre Hände in die Hüfte. Papi und Daddy grinsten sich an und zuckten ihre Schultern.
»Och Mom, das ist nur einmal vorgekommen!«, kicherte Papi.
»Nur einmal?«
Jeden Früh das gleiche. Hier herrschte eine ausgelassene Stimmung und jeder Trübsal wurde sofort weggefegt. Daddy war mit seinem Frühstück fertig, räumte sein Geschirr weg und trat auf Papi zu.
»Also ich gehe dann mal!«
»Warum? Heute ist Sonntag!« Daddy zuckte entschuldigend die Schulter und gab Papi einen langen Kuss. »Wann bist du wieder zuhause?«
»So spät wird es nicht!«
»Okay bis dann«
Nachdem Daddy die Villa verlassen hatte, schob sich mein Entschluss wieder weiter in die hinterste Ecke meines Gehirns. Gerne hätte ich Daddy dabei gehabt, doch Papis Blick war eindeutig.
»Dir liegt was auf dem Herzen!«, sprach er mich an und ich erschrak leicht. Ihm konnte ich nie was vormachen. Wobei bei Daddy ... nein Daddy konnte mich auch immer durchschauen, hatte aber nie was gesagt oder mich gleich nach meinen Sorgen gefragt, das machte immer Papi. So wie eben. »Oder willst du warten, bis Daddy wieder da ist!«, fragte er ich und ich war gewillt, dem zuzustimmen, doch dann und das wusste ich, würde ich meinen nicht vorhandenen Schwanz einziehen und nie mit der Sprache rausrücken.
»Es geht um Marcel van Diggens!« Ich vermied es ihn in der Gegenwart meines Vaters als Vater zu bezeichnen.
»Hmm!«
»Papi ich weiß nicht ... ich mein, ich will ihn nicht kennenlernen ...!« Ich stockte.
»Du musst es auch nicht. Es ist deine Entscheidung!«
»Das weiß ich. Aber Alexa ... ich mein, ich bin seine Tochter, die er nicht kennt und Alexa ist seine Enkelin ... die er auch nicht kennt. Ich mein hat der nicht auch ein Recht darauf?«
»Och mein Schatz!«, sagte er, nahm seinen Stuhl und stellte ihn neben mich. Danach nahm er mich in seine Arme, küsste mir auf die Stirn und blickte mir dann tief in die Augen.
»Es ist deine Entscheidung. Wenn du Kontakt mit deinem leiblichen Vater aufnehmen willst, dann werde ich dir helfen und Daddy ebenfalls.« Ich nickte nur.
»Papi!«
»Hmm!«
»Danke das ihr meine Väter seid. Andere will ich gar nicht.« Er kicherte.
»Danke mein Schatz. Eine andere Tochter hätte ich nie gewollt. Ich bin sehr stolz auf dich.«
»Oh man!«, kam Elija fluchend in die Küche und band sich seine Krawatte. Etwas leicht irritiert schaute ich ihn an, als er auf mich zukam und mir einen Kuss auf die Lippen setzte.
»Was ist los?«, fragte ich und sah, wie Papi tief einatmete.
»Es ist was mit der Firma. Es sieht so aus, dass Daddy jeden zusammenruft. Vivi Schatz, sieht so aus, dass wir den Sonntag wohl alleine verbringen müssen. Vor heute Abend werden unsere Ehemänner nicht daheim sein.« Ich fing zu lachen an, wenn Papi versuchte Onkel Raoul nachzumachen. »Und haben die verehrten Damen heute schon was vor? Das Wetter schreit nach einem Eis!«, fragte er und zuckte mit seinen Augenbrauen.
»Aber das von Tim!«, forderte ich.
»Von niemanden anderem, aber wir laufen.« Seit Alexa auf der Welt war, verzichtete Papi auf sein Motorrad, obwohl ich schon gerne mal wieder den Wind durchs Gesicht wehen lassen wollte. Mit Papi wieder eine Spritztour zu machen, wäre schon ganz schön gewesen, doch wie gesagt, seit Alexa auf der Welt war, gingen wir meist nur spazieren oder wenn das Wetter nicht passte, fuhren wir mit dem Auto.
Nachdem ich Alexa gestillt und gewickelt hatte, machte ich mich fertig. Es war wirklich ein heißer Sommertag und ich entschied mich für einen kurzen Rock und einem Spaghettitop. Meine Figur war zwar nicht mehr so schlank wie vor meiner Schwangerschaft, aber ich konnte mich dennoch sehen lassen. Legte mir etwas Schminke auf und ging zu meiner Haustür. Dort stand der Kinderwagen und ich legte Alexa rein. Lief die paar Meter zur Villatür, die bereits offen stand und wartete auf Papi. Es dauerte auch nicht lange und er kam. Er war wie immer eine Augenweide und ich war stolz auf ihn, dass er selbst in den Jahren noch echt jung aussah. Die meisten schätzten ihn auf Mitte Dreißig, doch wenn ich ihnen dann sein richtiges Alter sagte, kamen sie aus den Staunen nicht raus.
Sarah hatte auch immer wieder genörgelt und schimpfte, dass er die besseren Gene geerbt hatte, wobei er dann immer einen kalten Ausdruck bekam. Inzwischen wusste ich auch darüber bescheid und ich konnte ihn verstehen, wenn er seine Schwester kalt anblickte und sie anfuhr, dass sie ihre vorlaute Klappe halten sollte. Damals als ich es erfahren hatte, war er überhaupt nicht gut drauf und hatte seine Schwester angeschrien. »Du kannst es einfach nicht lassen! Du verletzt nicht nur mich damit, sondern Mom auch. Wann geht das endlich in dein kleines Spatzenhirn mal rein, dass Mom von vier Männern vergewaltigt wurde, davon einer dein Vater ist und der, der mich entführt und vergewaltig hatte, mein Vater ist. Lass es einfach mal!«
Das war ein Schock für mich. Oma und Papi wurden von der gleichen Person ... ich konnte es nicht verstehen und als Papi gemerkt hatte, dass ich mit im Raum war, war er dann total am Ende. Daddy hatte ihn am Arm gepackt, aus dem Zimmer gezerrt und Sarah die ihre unüberlegten Worten schmerzten, nahm mich in die Arme und entschuldigte sich unter Tränen. Noch am selben Abend, Papi schien wieder gefasst zu sein, wurde ich aufgeklärt und Sarah versprach nie wieder so etwas daherzulabbern. Seitdem kam auch nie wieder über ihre Lippen, wie besser Papi aussah als sie. Obwohl sie auch eine schöne Frau war.
Papi kam auf mich zu und lächelte mich an.
»Wollen wir? Eischschlabbern!«, jauchzte er und ich nickte.
Tims Eis war wie immer hervorragend und ich blickte zu meiner schlafenden Tochter.
»Also gell, schlafende Schönheit. Dich lassen sie nicht mal vom Eis probieren. Das ist so was von fies!«, flüsterte Tim und zur Bestätigung rekelte sich Alexa kurz. Danach lächelte er in unsere Richtung: »Wenn ihr was braucht, ruft mich einfach, oder Sascha, du weißt ja, wo das Zeug ist. Bedien dich einfach!«
»Das werde ich nicht. Denn ich bin Gast!«
»Du und Gast? Du gehörst zu Alessandros Café, wie die Faust aufs Auge, mein Lieber!«
»Schon lange nicht mehr!«
»Ha, wers glaubt! Gibs zu, du willst dich auch mal wieder hinter den Tresen stellen und ein wundervolles Eis zaubern. Vor allem, deine Kreationen Sommertraum und Se(x)chs sind bis heute noch die Verkaufsschlager.« Papi grinste und es schien, dass er sich an etwas erinnerte, denn seine Wangen bekamen einen leichten rötlichen Touch.
»Das hast du mir noch gar nicht erzählt, dass du Eis kreiert hast.« Verschmitzt schaute er mich an.
»Nicht?«, fragte er plötzlich auf unschuldig und grinste breiter. »Du musst nicht alles wissen!«
»Och man Papa!«
»Also wie es damals geknistert hat zwischen dir und Kyel, da war es kein Wunder, dass du so ein Eis zaubern konntest!«, warf Tim ein und Papi glühte nun echt rot auf. Tim kicherte nur und musste sich plötzlich um seine anderen Gäste kümmern.
Nun ich glaubte nicht dass es nur damals geknistert hatte. Manchmal so hatte ich das Gefühl, knisterte es noch immer, ganz besonders wenn Daddy diesen bestimmten Blick drauf hatte.
Elija schaute mich auch immer so an und unsere Stunden waren dann sehr gefühlvoll. Doch meine Gedanken wurden unterbrochen als mir zwei sehr bekannte Männer, unseren Tisch immer näher kamen.
»Das gibts nicht. Kili und Onkel Tom!«, rief ich, stand auf, ging den beiden entgegen und umarmte sie mit einem Küsschen sehr herzlich.
»Hey was macht ihr denn ihr?«, nahm Papi die Frage aus meinem Mund. Er war wohl genauso überrascht wie ich und auch er umarmte die beiden zur Begrüßung.
Als sie sich zu uns gesetzt hatten, fing ich zu fragen an: »Also was macht ihr hier?« Kilrian lächelte leicht.
»Nun ich war der Meinung, mal so einen spontanen Kurzurlaub in Amerika, lässt müde Knochen wieder aufleben.«
»Woher habt ihr gewusst, dass wir hier sind?«
»Gar nicht. Wir hatten nur mal Lust, nach dem Flug uns ein Eis zu gönnen, bevor wir zu euch weiterfahren.«
»Du wolltest ein Eis, ich bekomme nichts runter!«, murrte Tom und mir fiel ein, dass er schreckliche Flugangst hatte.
»Hey Tom, Kilrian, was für ein seltener Besuch!«, kam Tim wieder an unseren Tisch und stellte Tom zwinkernd einen Kaffee hin, der dankend annahm.
»Genau richtig!«, seufzte er und Kilrian schüttelte nur den Kopf.
»Sieht so aus, dass ich wohl dann weiterfahren muss!«, stöhnte er. »Ich hasse hier den Verkehr!«
Papi wurde ruhig und beobachtete nur, atmete tief ein und fragte wieder, nur diesmal war seine Tonlage etwas kühler. Kilrian schien die Veränderung auch gemerkt zu haben und er schnaufte verdrossen ein.
»Ich wollte nur mal Vivi besuchen und fragen, wie es ihr geht und wie es der kleinen Alexa geht.« Kaum ausgesprochen schon war er über den Kinderwagen gebeugt und schaute rein. »Tzz du machst es mir aber auch nicht leicht. Das letzte Mal hast du auch nur geschlafen. Schlafmütze!«
»Dafür war sie die ganze Nacht wach!«, sagte ich und Kilrian grinste.
»Ganz die Mama, was?« Und er zwinkerte mir zu. Irgendwie lockerte sich Papi wieder und es kamen Gespräche in zwei verschiedenen Sprachen auf. Ich war zwar fitt in Deutsch, aber das ständige Wechseln von Deutsch ins Englischen und dann wurden auch noch deutsch-englisch in einem Satz gesprochen, war mir dann doch etwas zu hoch und ich klinkte mich raus. Außerdem war Alexa wieder erwacht, der ich ganz ungeniert die Brust gab.
Papi und ich spazierten mit Alexa nach Hause. Kilrian und Tom fuhren zur Villa.
Daddy und Elija waren wohl noch nicht zurück und ich zog mich in meine eigenen vier Wände zurück. War ich geschafft und Alexa schlief den Schlaf des Gerechten auf meinen Arm.
»Ja ja, meine Kleine und nachts bist du wieder putzmunter!«, murmelte ich und döste ein.
Eine leichte Bewegung auf meinem Arm weckte mich und ich sah Elija, wie er Alexa vorsichtig hochnahm.
»Hey!«, murmelte ich schläfrig.
»Sorry, wollte dich nicht wecken!«
»Schon gut! Wie spät ist es denn?«
»Viertel vor fünf!«, flüsterte er und küsste seine Tochter.
»Doch schon so spät!« Kurz streckte ich mich durch und lief Elija hinterher, der ins Kinderzimmer ging.
»Ja, Kyel wollte die Ungereimtheit aus dem Weg haben.«
»Und was war es?« Er lächelte seine Tochter an, die wie immer sehr friedlich bei ihrem Papa war.
»Nichts weiter, nur ein Systemfehler. Tom hat es herausgefunden.«
»Tom?« Er zog seine Tochter aus und machte einige Grimassen.
»Pfui, was hat denn Mama gegessen. Ich wette, das war ein sehr gutes Eis von Tim. - Ja, Tom, er ist in die Firma gekommen.«
»Typisch Onkel Tom. Der ist auch ein Workaholicer!«
»Nicht wirklich. Als Kyel erfahren hat, dass er und Kilrian in Amerika sind, hat er ihn gleich herbeordert. Tja, was bleibt einem Vizechef denn schon übrig, wenn der Chef ruft und das in seinem Urlaub.« Ich kicherte. So war das irgendwie immer. Daddy war ein totaler Familienmensch, aber wehe, etwas war mit seiner Firma, dann kannte er keine Familie mehr. »So fertig meine Schöne. Jetzt kannst du wieder unter die Leute treten.« Er nahm Alexa hoch und drehte sich zu mir. Herzlich lächelte er mich an und trat auf mich zu. »Komm her!«, murmelte er und unsere Lippen trafen sich.
Elija schmeckte einfach herrlich und sein Duft, Parfüm gemischt mit seinen eigenen Körpergeruch, weckte meine Lebensgeister. Als wir wieder voneinander losgelassen hatte, sah ich seinen Schelm in seinen Augen aufblitzen.
»Hmm Alexa, ich glaube, du schläfst heute Nacht bei Opa Papi und Opa Daddy. Mama braucht ganz dringend ihren erholsamen Schlaf.« Ich spürte, wie meine Wangen zu glühen anfingen und in meinem ganzen Körper wollige Reizströme durchzogen.
»Marcel van Diggens. Das ist der Grund, warum wir hier sind. Ich will Vivi und euch nicht damit alleine lassen. Er ... er ist ein hohes Tier im Bankgeschäft und sein Weg bis nach oben, war nicht immer sauber gewesen«, hörte ich Kilrian aus der Küche sprechen.
»Das habe ich mir schon gedacht!«, kam von Papi. »Und wie kommst du darauf, dass sein Weg nicht immer sauber war?«
»Ab und an hat Hilal ihn durchleuchtet.«
»Sag mal, wann gehen die endlich mal in den Ruhestand?«, fragte Papi leicht genervt.
»Niemals - solange du lebst wohl nie?«
»Tzz ...!«
»Weißt du, wo er sich gerade aufhält?«, fragte Daddy ihn.
»In New York, er ist dort Leiter der national Bank! Seine Kandidatur zum Senator hat er vor ein paar Jahren in den Sand gesetzt.«
»Ja ich erinnere mich. Bordellbesuche und abstürze mit Drogenkonsum war wohl doch nicht der richtige Lebenswandel um Senator zu werden!«, warf Papi ein.
»Hey nichts gegen Bordelle ...!«, hörte ich Kilrian und als ich die Küche betrat, sah ich, wie Papi leicht lächelte. »An was denkst du? Hä! Raus mit der Sprache!«, stänkerte Kilrian ihn an.
»Wohl daran, dass er nie in den Genuss eines Bordellbesuchs kommen würde«, meinte Kyel und Kilrian kicherte.
»Wer dich als Mann hat, braucht kein Bordell!«, grölte Kilrian weiter und grinste breiter, als er mich sah. »Vivi Mausi!«, sagte er, stand auf, trat auf mich zu und nahm mich in die Arme. »Hast du gut geschlafen?« Kurz nickte ich und ließ Elija vorbei, der Alexa in den Babyhochstuhl setzte.
»Ihr habt ja ein schönes Thema!«, meinte ich und ging an die Arbeitsplatte und betätigte den Wasserkocher. Ein Tee, ja das war wirklich das Richtige. Da ging ich wohl nach Papi. Wenn er etwas gestresst war, machte er sich auch immer Tee.
Nun um diese Zeit vertrug ich Kaffee nicht, denn dann hieß es, ›hallo Sandmann, wann willst du mal kommen?‹
Daddys Augen nahmen einen leichten kalten Touch an, Papi atmete tief ein, Tom rieb sich die Augen, nur Kilrian schien, als ob ihm es nicht peinlich wäre, hinter meinem Rücken über meinen richtigen Vater zu sprechen. Aber das war Kilrian.
Nachdem ich das heiße Wasser in meine Tasse mit dem Tee gefüllt hatte, setzte ich mich zu ihnen an den Tisch. Inzwischen hatte sich ihr Gesprächsthema schon wieder geändert. Als eine kleine Pause entstand und Tom aufstand, um Bier zu holen, fasste ich meinen Mut zusammen. Denn so wie ich es mitbekommen hatte, waren Kilrian und Tom nur in Amerika, weil ich mit meinem leiblichen mehr oder weniger Kontakt aufnehmen wollte.
»Also, wie ihr schon alle wisst, will ich mit meinem leiblichen Vater kontakt aufnehmen. Na ja wollen ist zuviel gesagt. Eigentlich ...«
»Möchtest du es Alexas wegen und das er auch weiß, was aus dir geworden ist. Beziehungsweise, dass er auch schon Großvater ist«, meine Kilrian und ich nickte.
»Es ist kein Problem, dann setze ich ein Schriftstück auf ...«
»Nein Papi, nicht bürokratisch. Er soll nicht erschrecken, wenn er ein offizielles Schriftstück bekommt!« Daddy schmunzelte leicht und setzte seine Flasche Bier an.
»Also dann meine Kleine, wie möchtest du es handhaben?«, fragte er, nachdem er ein paar Schlucke genommen hatte. Etwas überfordert schaute ich ihn an und er nickte nur leicht. Irgendwie kam wieder eine rege Unterhaltung zustande und am Ende hatte Tom die beste Idee, mit der sogar ich mehr oder weniger einverstanden war.
Ich sollte meinem leiblichen Vater einen Brief schreiben.
Elija war mit Alexa bereits ins Bett gegangen und ich dachte, als ich die beiden schlafen sah, ›Alexa du Verräterin und wenn ich wieder ins Bett gehe, bist du wach‹. Aber ich brauchte mich nicht zu beschweren, immerhin hatte sie mich Nachmittag ein paar Stunden schlafen lassen. So ging ich zurück ins Wohnzimmer und setzte mich auf die Couch, zog den Laptop auf meine Beine und öffnete ein Schreibprogramm. Ich fing zu schreiben an.
»Hallo Dad ...« Nein und ich löschte Dad. Er war vielleicht mein biologischer Vater, aber hatte mit mir sonst nichts gemeinsam.
»Hallo Mr. van Diggens ...« Wieder lag mein Finger auf der Löschtaste und ich atmete tief ein. Wie sollte ich einen Menschen anschreiben, der eigentlich der wichtigste Mensch in meinem Leben sein sollte? An meinem Geburtstag, als ich den Brief von meiner Mutter erhalten hatte, erfuhr ich, wie mein leiblicher Vater hieß. Zuvor hatte es mich nicht im Geringsten interessiert und nun war ich 24. Verheiratet und hatte selbst eine Tochter. Ich lehnte mich zurück und rieb mir die Augen. Gedanken kamen auf, welche ich zuvor für gut befunden hatte, doch nun versanken sie in Dunkelheit.
Hatte er überhaupt ein Recht, es zu wissen? Sicherlich wusste er, dass er eine Tochter hatte und durch diverse Paragrafen es im verboten war, mit mir Kontakt aufzunehmen, aber hätte es ihn gehindert, wenn er es wirklich gewollt hätte? So weit ich erfahren hatte, war sein Vater ein Senator gewesen und dieser hätte die Paragrafenwelt gut umgehen können.
Ich wusste vielleicht mehr über ihn, als er über mich, oder etwa nicht? Oder hatte er sich insgeheim auch darum gekümmert zu erfahren, wer ich war? Wie seine Tochter aufwuchs, was aus ihr geworden ist ... Viele Fragen kamen auf und keine konnte ich so recht beantworten. Für mich selbst beantworten. Ganz besonders für meine Tochter beantworten.
Tief atmete ich ein und ungewollt, kullerte eine Träne über meine Wange.
Warum weinte ich? Das lag doch total auf der Hand. Insgeheim wollte ich meinen leiblichen Vater schon immer kennenlernen, ihn fragen, warum er mich abgeschoben hatte, warum er meine Mutter mit mir alleine gelassen hatte, warum er überhaupt so leben konnte, ohne sich um sein eigenes Fleisch und Blut zu kümmern.
Wenn ich an meinen kleinen Schatz dachte, und versuchte mir vorzustellen, dieses wunderbare Geschöpf einfach ihrem ungewissen Schicksal zu überlassen, da zog sich in mir alles zusammen. Nie im Leben will oder wollte ich sie mehr missen. Sie war mein Herz, meine Seele mein ein und alles.
Wie können Menschen nur so leben?
Sicherlich gab es auch welche, die sich um ein Baby kümmern wollten, es aber finanziell, krankheitsbedingt oder aus privater Natur es eben nicht konnten, dann war es verständlich, ein Baby zur Adoption freizugeben, aber wenn man schon die Mittel dazu hatte, warum verweigerte man es dann? Oder Paare, die sich sehnlichst ein Kind wünschten, es die Natur aber verwehrte ... Ich durfte mich nicht reindenken, denn sonst würde ich wütend werden. Ganz besonders auf meinem leiblichen Vater, auf dem ich sowieso schon stinksauer war.
»Hallo Mr. Diggens;
Sie kennen mich nicht, aber Sie kannten meine Mutter Viviane Wagner. Mein Name ist Viviane Franklin. Mein Papa hat mir am Tage meiner Geburt den Namen meiner Mutter gegeben, da meine Mutter dazu nicht in der Lage war und er meine Mutter dadurch in Erinnerung behalten wollte. Viviane Wagner-Kastner. Mit diesem Namen lebte ich 22 Jahre und jetzt bin ich glücklich verheiratet und habe selbst eine Tochter. Ihr Name ist Alexa Sarah Franklin und ist 3 Monate. Ich selbst, sehe keinen Grund, Sie Mr. Diggens kennenlernen zu wollen, da Sie sich um meine Mutter, während ihrer schweren Schwangerschaft nicht gekümmert haben und sie die Geburt nicht überlebt hat. Außerdem hatte ich eine wundervolle Kindheit mit meinen Adoptiveltern erlebt, die ich durch Ihnen nicht zerstören lassen wollte. Aber im Sinne meiner Tochter und vielleicht in Ihrem Interesse, gehe ich diesen Schritt und dadurch ist es Ihnen nicht mehr verwehrt, mit mir Kontakt aufzunehmen. Insofern Sie es wollen und Sie Ihre Enkeltochter Alexa kennenlernen möchten.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Tochter V. Franklin«
Immer und immer wieder las ich den Brief durch. Rieb mir die Augen und egal was ich daran veränderte, löschte oder neu schrieb. Er gefiel mir nicht. Aber das war mir nun egal. Ich speicherte das Dokument ab und ließ den Laptop runterfahren. Am nächsten Tag, irgendwann, würde ich es abschreiben und den Brief zur Post bringen. Da kam ich wohl nach Daddy. Auch wenn wir im elektronischen Zeitalter lebten und alles übers Internet ging, so war ich doch auch der Auffassung, solche privaten Angelegenheiten sollten einen persönlichen Touch haben.
Wenn er mein Gesicht nicht kannte, so kannte er dann meine Schrift und eine Handschrift sagte meist schon viel über einen Charakter aus.
Ich schlich mich ins Schlafzimmer und sah, das Alexa mit im Bett schlief und unwillkürlich musste ich schmunzeln. Elija liebte seine Tochter abgöttisch. Ich war glücklich solch einen wunderbaren Mann gefunden zu haben.
Sicherlich in der Anfangsphase war es auch für uns nicht leicht. Kurz vor meinem 18 Geburtstag waren wir zusammengekommen, aber gekannt hatten wir uns schon lange. Wir hatten uns kennengelernt, da war ich 14-15 und kamen in eine Klasse.
Nun da ich eh eine Spätzünderin war, dank meinen Vätern ... Okay ich wollte sie nicht verurteilen, aber es war für mich einfach das Normalste auf der Welt, zwei Väter zu haben und es hatte echt lange gedauert, bis ich es kapiert hatte, dass in der Regel eigentlich Mann und Frau zusammengehörten. Wobei ich mich selbst schellen musste, da Oma Loren und Opa Lenard oder Sarah und Aiden auch Mann und Frau waren, aber irgendwie wollte ich es halt nicht begreifen.
Ich hatte zwei Papas und meine Mama war im Himmel, Punkt und aus.
Dennoch hatte ich auch unschöne Momente gehabt, wo ich sogar im Kindergarten von ein paar Kindern als schwule Tusse bezeichnet wurde oder als abnormal galt und ich dann nach dem Kindergarten mein Papi gefragt hatte, was eine schwule Tusse überhaupt war, ich dann mehr oder weniger, wohl eher weniger aufgeklärt wurde. Papi hatte es in etwas so gesagt: »Nun das ist wohl, weil Papi und Daddy sich sehr arg lieb haben.«
»Und was ist dann Tusse?«
»Ein böses Schimpfwort
Da ich von Anfang an auf die Carmen Norm Privatschule ging, hatte ich in meiner ganzen Schulzeit keine Probleme mit homophoben gehabt. Im Gegenteil, ich glaubte sogar, ich hatte mehr Freunde an einem Finger, als es Menschen auf dem Planeten gab. Okay übertrieben, aber manchmal konnte ich mich echt zerteilen, um es jeden auf irgendeiner Weise recht machen zu können.
Vorsichtig kuschelte ich mich zu meinen Liebsten, schaltete das Nachttischlämpchen aus und glitt wirklich schnell in den Schlaf über.
Am nächsten Tag, weckte mich ein Geräusch, das ich wirklich lange nicht mehr gehört hatte. Gehört schon, aber davon wurde ich lange nicht geweckt. Elijas Wecker und ich schaute zu meinen beiden schlafenden Schönheiten. Ich musste schmunzeln, seit Monaten durfte ich mal durchschlafen und ich fühlte mich, auch wenn es noch ziemlich früh war, ausgeschlafen. Doch an Aufstehen dachte ich gar nicht. Meine beiden zu beobachten war einfach zu schön.
Der Wecker ging wieder los und Elija grummelte. Er war ein Morgenmuffel und eigentlich langte ich immer zu ihm rüber, bevor der Wecker mich zu nerven anfing. Doch diesmal dachte ich gar nicht daran. Irgendwie freute es mich, darauf zu warten, bis der Wecker erneut losging. Und ja ... Elija schälte sich quälend langsam aus dem Bett, streckte sich und ich bekam einen tollen Blick auf seine Kehrseite. Danach drehte er sich um und sah, wie ich ihn beobachtete. Er lächelte mich an und fuhr mit seiner Hand durch seine abstehenden Haaren.
»Sorry, habs verpeilt Sascha zu fragen, ob Alexa ...«
»Kein Problem, ich hatte gerade was viel Besseres!«
»So?«, fragte er und sein Blick wurde dunkel. »Was denn?«
»Alexa hat durchgeschlafen und sie schläft immer noch.« Sein Blick wurde leicht enttäuschend.
»Och ich dachte, dich hat mein Hintern gerade angemacht«, meinte er und ich kicherte. Ja ich erinnerte mich. Sein Hintern sah in Badehosen oder Pants immer so knackig und umwerfend aus, dass ich mich selten wie nie zurückhalten konnte, ihn zu kneifen, zu tatschen oder einfach mal zu streicheln. »Aber ich verspreche dir, dass du heute mal so richtig verwöhnt wirst.«
»Hmm hört sich verlockend an, aber heute ist Montag!«
»Kein Problem, ich reiche Urlaub ein!«
»Ach und du meinst, das du ihn einfach mal so bekommst!« Tief atmete er plötzlich ein und fuhr sich wieder durch die Haare.
»Hmm, dann klimpere ich mit meinen Augen, wie du es immer machst, wenn du was willst und Kyel wird schon weich werden.« Mein Grinsen wurde breiter.
»Dann hoffe ich, dass Daddy darauf anspringt, obwohl ich da eher wenig Hoffnung habe.« Eigentlich bekam Elija immer mal frei, das war wohl der Vorteil zu Kyel Kastner Familie zu gehören. Nein, Daddy hatte ihn gern und ihn schon lange als Schwiegersohn akzeptiert, schon vom ersten Moment an, als ich Elija als meinen Freund vorgestellt hatte. Wieder umspielten meine Mundwinkel ein Lächeln, als Aiden uns von der Schule abgeholt hatte und Elija das erste Mal mit zu mir kam. Er kam aus seiner Starre überhaupt nimmer raus, als ›der große Kyel Kastner, der Vater der Carmen Norm Privatschule, der Geschäftsguru schlecht hin, der in der ganzen Stadt irgendwie seine Hände mit im Spiel hatte und als Legende galt‹, vor ihm stand und ihm seine Hand reichte.
Alexa hatte sich auch mal bequemt aufzuwachen und bevor ich rüber zur Küche meiner Väter ging, um zu frühstücken, versorgte ich erst meine Tochter, sie dann auch gleich wieder während des Stillens einschlief.
»Hey meine Kleine, holst du wohl die ganzen drei Monate nach, in denen du mich wachgehalten hast. Aber mal richtig ausschlafen, schadet niemanden«, murmelte ich ihr zu und küsste ihr auf die Nase. Kurz gähnte sie und ihr kleiner Mund verzog sich zu einem süßen Grinsen. »Ja, Mama ärgern. Das hat man gerne!«
Als ich die Küche betrat, saßen Kilrian und Tom schon am Tisch und mir viel auf, dass sie immer, wenn sie da waren, immer auf den gleichen Plätzen saßen. Kilrian erhob sich und kam auf mich zu. Küsste mir auf die Stirn und begrüßte sehr liebevoll meine schlafende Alexa. Doch als ich Alexa in ihren Sitz setzen wollte, forderte Kilrian mich auf hinzusetzen und Alexa schlafen zu lassen. Auch Tom gab mir einen Kuss und streichelte Alexa über ihr kleines Gesicht. »Guten Morgen meine Hübschen!«
»Kaffee?«, fragte Kilrian mich und ich nickte. Egal ob er hier Gast war oder ich bei ihnen auf Besuch in Deutschland, er umsorgte mich immer. Er stellte die Tasse vor mich hin. »Hmm ich denke, du willst heute French Toast!«
»Wie du das immer weißt!«, gab ich drauf und er erhob sich mit einer Pfanne in der Hand.
»Tja, was soll ich sagen, meine French Toast sind einfach die Besten.«
»Gib nicht so an, nur weil du deine fünf Sterne über 20 Jahre halten konntest und auch noch das Ticket bekommen hast.«
»Tja wer kann, der kann!« Tom schüttelte den Kopf.
»Vergiss es, das hast du nur Leo zu verdanken. Wenn er nicht gewesen wäre, würdest du nur noch Rumtümpeln!«, sagte Tom und schüttelte wieder den Kopf.
»Ja ich war selbst überrascht, dass er seine gute Anstellung in Vendôme sausen lassen hat, als ich ihn angerufen habe, ob er wieder für mich arbeiten will. Dort hat er um einiges mehr verdient, als bei mir.«
»Und Sam und Mario nicht zu vergessen. Sam schickt dir noch immer die monatlichen Abrechnungen, obwohl er Kinderarzt ist und Mario seine Zeit mehr in den Hotelzimmern verbringt, als in der Universität, in der er Kunst unterrichtet.«
»Dafür hat er den Preis, für den besten Pagen bekommen.« Kilrian drehte sich um und stellte mir meinen French Toast hin. Ich fing zu essen an und es war eine Gaumenfreude für mich. Kilrians French Toast waren einfach die besten. Obwohl das Essen von Oma Loren oder von Papi auch sehr lecker war, ging doch nichts über Kilrians Gerichten, wenn er für uns alle kochte.
Er hatte nicht nur für mich welche gemacht, auch für Tom und sich selbst.
Nachdem ich fertig gegessen hatte, wollte ich mich mit meine Tochter zurückziehen, doch Kilrian kam mir zuvor und meinte, dass er mit Tom und Alexa in die Stadt wollte und ich sollte mir ein paar Stunden für mich gönnen. Dabei zwinkerte er mit dem Auge.
Nun gut, was machte ich mit meiner freien Zeit und mir fiel den Brief ein, den ich am Abend auf dem Laptop geschrieben hatte und ich schimpfte mit mir selbst, weil ich den nicht schon gleich handschriftlich aufs Blatt gebracht hatte.
Okay, ich ließ den Laptop hochfahren und kramte Papier und Stifte hervor. Fing an den Brief aufs Blatt zu übertragen. Als ich fertig war, las ich ihn nicht mehr durch, faltete ihn sogleich zusammen und steckte ihn in ein Umschlag. Es fehlte nur noch die Adresse von meinem leiblichen Vater und die hatte ich nicht. Ich atmete ein und rief Papi an, der wohl in seiner Praxis war.
»Hey!«, meldete er sich. »Guten Morgen Schatz!«
»Moing Papi, ich hab ne Frage!«
»Welche denn?«
»Ich brauche die Adresse von Marcel van Diggens.«
»Wofür?«, fragte er schnell und ich hörte, dass er mit sich rang.
»Ich habe einen Brief geschrieben und ...«
»Also willst du wirklich mit ihm den Kontakt herstellen?«
»Eigentlich nicht, aber es ist für Alexa ...«
»Ah ... warte kurz, ich schaue in den Computer ... hmm, ich habe nur seine alte Adresse. Die wird dir nichts nützen, denn die Diggens sind schon vor Jahren weggezogen. Ich rufe dich zurück!«, sagte er und legte auf. Irgendwie fing ich zu lauschen an, denn ich hatte das Gefühl, dass entweder Anthony plötzlich auftauchte oder Loris.
Ich hatte recht, keine zehn Minuten später kam nicht Loris, sondern Hilal. Ja stimmte, da Kilrian und Tom in Amerika waren, war Hilal nicht weit weg. Auch wenn er schon zum alten Eisen gehörte und seinen Ruhestand genoss, behielt er dennoch seine Aufgabe als Bodyguard bei.
Kurz umarmten wir uns und dann zog er einen Zettel aus seiner Hosentasche.
»Das ist Diggens aktuelle Adresse!«, sagte er und übergab mir den Zettel. »Du solltest vielleicht wissen, dass er zwei Töchter hat und geschieden ist. Die Älteste ist 18 und die Jüngste 16. Die beiden gehen in New York auf ein Internat für hochbegabte. Seine Exfrau leitet eine Boutique.«
»Hört sich ziemlich klischeehaft an!«, murmelte ich und Hilal lachte auf. »Was denn?«
»Du bist selbst reich und sagst, dass das klischeehaft ist!«
»So habe ich das nicht gemeint. Wie in einer Seifenoper, die typische Vorzeigefamilie.« Er zuckte nur die Schultern, hauchte mir einen Luftkuss zu und drehte sich um.
»Wir sehen uns!«, sagte er und ließ mich mit dem kleinen Zettel zurück. Den ich etwas angewidert anblickte. Aber was blieb mir denn übrig? Ich hatte es mir vorgenommen, also musste ich da nun durch, ob ich wollte oder nicht.
Noch am gleichen Tag, brachte ich den Brief zur Post und nun hieß es warten, ob mein leiblicher Vater sich meldete oder nicht. Ich persönlich hatte alles getan, was getan werden musste, um so eine Art Kontakt zu knüpfen. Allerdings hätte ich das nicht geschafft, wenn Kilrian mir mit seiner Anwesenheit nicht unter die Arme gegriffen hätte. Er hatte mich nicht mit Worten oder Taten aufgemuntert, nein es war nur seine Anwesenheit und ich fühlte mich für diesen Schritt bereit.
Keine Woche später und ich saß mit meiner Familie in der großen Küche. Alexa wurde von Kilrian getragen und mein leiblicher Vater war in die hinterste Ecke meines Verstandes gerückt, als Daddy einen Brief vor mich auf den Tisch legte. Ich nahm ihn und schaute auf den Absender. Mir blieb fast das Herz stehen und ich schaute Daddy an. Sein Blick sagte alles und es schien, dass die anderen diese Spannung auch mitbekommen hatte, denn es wurde sehr still in der Küche.
Ohne ein Wort von mir zu geben, öffnete ich den Brief und las.
»Hallo Viviane,
ich habe lange auf den Tag gewartet, bis du dich meldest und ich muss sagen, ich freue mich sehr darüber, dass du dich gemeldet hast.
Anhand des Inhaltes verstehe ich es sehr gut, dass du mich nicht kennenlernen willst, oder wolltest und ja, ich habe deine Mom in Stich gelassen. Es tut mir wirklich sehr leid und keine Entschuldigung rechtfertig mein damaliges Handeln.
Ich würde gerne sagen, lassen wir die Vergangenheit ruhen, doch ich kann es nicht, denn es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an dich denke. An dem ich mir nicht die Schuld gebe, was ich deiner Mom und dir angetan habe.
Es hat lange gedauert, bis ich es richtig verstanden habe, was ich in meinem Leben alles falsch gemacht habe und es hat mit deiner Mom und dir angefangen.
Ich würde dich gerne kennenlernen, deinen Mann und deine Tochter Alexa. Es ist vielleicht viel verlangt, mich selbst, mit Dad zu bezeichnen, aber wenn du mir die Erlaubnis gibst, würde ich gerne der Großvater von Alexa sein.
In liebe (dein Dad) Marcel van Diggens.«
Ich faltete den Brief zusammen. Die Tränen kullerten über meine Wange und ich musste die Augen zusammenkneifen, um meine Tochter klar sehen zu können.
»Ich muss ihn kennenlernen!«, sagte ich nur. Doch was dann geschah, überstieg eindeutig der normale Alltag der Kastner Familie. Jeder schmiedete plötzlich Pläne, was er oder sie alles in New York sehen oder besuchen wollte. Am lautesten war Kilrian, der der Meinung war irgendeinen alten Freund namens Chairman besuchen zu wollen und dass er seinen Gefallen nun endlich mal einlösen wollte.
Es vergingen keine drei Tage und ich saß mit Elija und meiner Tochter im Auto nach New York. Daddy hatte vorgeschlagen gehabt, mit dem Flugzeug zu fliegen, aber ich meinte, wenn wir alle schon nach New York wollten, dann sollte es auch ein Kurzurlaub werden. Komischerweise waren alle damit einverstanden. Vor allem freute sich Tom über das Nichtfliegen und er übernahm sogar die Führung des Autokonvois.
So kamen wir sicher und glücklich im Hotel an und Tom checkte uns alle ein.
Am Abend war mit meinem leiblichen Vater in der Lounge ausgemacht worden und so stand ich nun vor dem Spiegel und machte mich fertig. Elija der manchmal im Anzug schlief, war schon fertig und versorgte Alexa.
Je näher das Treffen heranrückte, umso nervöser wurde ich. Eigentlich wollte ich ihm arrogant und abweisend entgegenkommen, aber nachdem ich seinen Brief gelesen hatte, wollte, nein musste ich ihn persönlich kennenlernen und erfahren, warum, warum man ein junges schwangeres und vor allem schwer krankes Mädchen einfach fallen lassen konnte? Und warum die Einsicht erst sehr viel später kam. Okay vielleicht verurteilte ich vorschnell, immerhin hatte er die Auflage und durfte sich bei mir nicht melden.
Somit betraten Elijas, Alexa und ich die Lounge und warteten auf ihn. Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich auf die Uhr blickte und es keine Minute vergangen war, bis ein sehr gepflegter und wie Papi sportlich, jung auf uns zutrat.
»Hallo, du musst Viviane sein. Du siehst deiner Mutter wirklich sehr ähnlich!«, sagte er und ich nickte nur. Ich konnte nichts sagen, ich war sprachlos und ich konnte nichts verstehen. Er sah, wirklich gut aus. Wirklich sehr gepflegt und ich fragte mich, wie ich ihn mir überhaupt vorgestellt hatte.
Sicherlich hatte ich schon mal von einem Marcel van Diggens gehört und vielleicht auch mal im Fernsehen gesehen, doch wie das so war, mich interessierte die Politik nicht. Dennoch dieser Mann war ganz und gar nicht so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Er war sehr freundlich und mir fiel auf, dass er Lachfalten an seinen Augen hatte und irgendwie verschwanden meine dunklen Fragen in ein Eck des Vergessens.
»Und Sie sind?«, fragte er Elija und reichte ihm die Hand.
»Elija Franklin, Vivianes Mann!«
»Und diese Kleine ist dann Alexa. Was für ein hübsches Mädchen!« Da ich immer noch Nebel im Hirn hatte, übernahm Elija das Reden und auch wenn ich es kaum mitbekam, gingen wir an die Hotelbar.
Langsam taute ich auf und ich bekam das Gespräch wieder mit.
»Wow, da haben Sie es sehr weit geschafft, wenn Sie der Privatsekretär des berühmten Kyel Kastner sind.«
»Nun ja, es hat sich so ergeben. Ich war nach meinem Abschluss auf Jobsuche und habe nur Absagen bekommen. Sicherlich hätte ich auch Studieren können, aber Sie wissen ja, wie es so ist, als junger Kerl, hat man irgendwann auf Schule keine Lust mehr.«
»Ja ich weiß, und ich beneide Sie, dass Sie Ihren eigenen Weg gehen konnten.«
»Sie nicht?«
»Nicht so, wie ich es wollte. Aber das ist Vergangenheit. Jetzt bin ich da, wo ich hinwollte und das reicht mir.«
»Aber allein schon für die Kandidatur zum Senator aufgestellt zu werden, ist schon eine große Sache.«
»Nicht, wenn es dir vorgeschrieben wird.«
»Es wurde Ihnen vorgeschrieben?«, mischte ich mich nun ein. Und ich dankte meinem Kopf, wieder klar denken zu können. Er lächelte mich an.
»Sei nicht so formell. Nenn mich Marcel! Und nein, ich wollte nie Senator werden«, sagte er. »Ich wollte, nachdem ich meine Lisa verloren habe, ehrliche Arbeit nachgehen, aber als Sohn eines Senators wurde es von mir verlangt.«
»Hmm das ist komisch, ich kenne auch einen Sohn von einem ehemaligen Senator aber er ist Friseur geworden, obwohl er Lehrer werden wollte und von seinem Vater aus Staatsanwalt, aber wie es so ist, hatte auch er keine Lust mehr auf Schule.«
»Dann hatte dein Freund sehr viel Glück gehabt. Wie heißt er denn, vielleicht kenne ich ihn sogar.«
»Mike Mitches!«, sagte ich und Marcel überlegte kurz.
»Hmm Mitsches, Gregor Mitsches, ja den kenne ich. Nicht persönlich eher von meinem Vater her. Er hatte mit ihm sehr viel zutun gehabt. Aber Senator Mitches ist vor sechs Jahren gestorben.«
»Ja ist er!«, sagte ich und laut Mike, war es um ihn nicht schade. Er gehörte zu den Politikern, die mehr Dreck am Stecken hatte als eine Schlammpfütze. Da war wohl mein leiblicher Vater nur ein kleines Licht, weil er mit Drogen und bordellbesuchen in die Zeitung kam und daraufhin nicht kandidieren durfte. Aber so wie es sich im Laufe des Gesprächs herausstellte, war das von ihm die totale Absicht gewesen, um wirklich nicht kandidieren zu müssen. Langsam fing ich an, ihn etwas zu bemitleiden. Sicherlich wusste ich, dass auch meine Väter oft in der Öffentlichkeit waren und noch sind, aber sich so davon abhängig zu machen, hatten sie nie. Sie lebten ihr leben und mehr nicht.
»Nun habe ich eine Frage. Viviane wie heißen deine Eltern die dich adoptiert haben. Es müssen wunderbare Eltern sein, so wunderbar wie du dich entwickelt hast.«
»Meine Väter heißen Sascha und Kyel Kastner!«
»Sascha ... Fleischhauer, er, er ...«
»Ja, Papi hat mir die Geschichte erzählt, wie er mit dir zum Friedhof gefahren ist und ich verteidige ihn nicht und es war eine böse Aktion, aber verstehen tue ich ihn. Er stand Mom während der ganzen Schwangerschaft bei!«, sagte ich mit fester Stimme und Marcel schloss kurz seine Augen.
»Verstehe, also warst du bereits seine Tochter!«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Nein ich verurteile ihn nicht. Ich war jung und dumm und er hatte damit recht getan. Mr. Fleischhauer ...«
»Kastner. Er heißt Sascha Kastner!«, sagte ich.
»Okay, Mr. Kastner hat schon damals gewusst, was gut für dich ist und er hat laut seinen Möglichkeiten richtig gehandelt. Hätte ich mich damals gegen meinen Vaters Anweisungen gestellt ...«
»Wäre es genauso gekommen, wie es gekommen ist!«, mischte sich Papi ein. »Guten Abend Marcel. Lange nicht mehr gesehen«
»Mr. Fleischhauer!«
»Kastner, Sascha Kastner mein Name!« Und wie Papi so war, obwohl Marcel geschockt war, schaffte er es, in null Koma nichts die Situation aufzulockern, und die beiden kamen in ein tiefes Gespräch. Nein, nicht die beiden, irgendwie gesellten sich alle zu uns und die Stimmung wurde ausgelassen.
Sechs Jahre später:
Es war Alexas Einschulung, Elija stand mit seiner Kamera vor uns und gab uns Anweisungen, wie wir uns stellen sollten, damit auch alle auf das Bild passten.
Daddy, Papi, Oma Loren, Opa Lenard, Opa Clive, Oma Janet, Onkel Parker, Onkel Raoul, Onkel Mike, Onkel Tom, Pate Kilrian, Onkel Anthony, Tante-Pate Emily, Cousin John, obwohl er nicht mein Cousin war, aber ich sah ihn so an mit seiner Frau Klara. Die beiden hatten vor Kurzem geheiratet und sie war im neunten Monat schwanger. Tante Sarah, Onkel Aiden, Cousin Malte, Cousin Cedric, Cousin Fabio, Onkel Loris, Onkel Hilal, Onkel Gerbert, Onkel Robert, Opa Marcel mit meinen beiden Halbgeschwister, Tante Veronika und Tante Amely, neben mir reihte sich Elija ein, ich mit meinem dreijährigen Sohn Tobias und ganz vorne Alexa.
Die Kamera blitzte.
Ich betrachtete das Foto und musste schmunzeln. In den letzten sechs Jahren war unsere Familie um fünf weitere Personen gewachsen und wir warteten auf den Anruf. Ich musste sagen, ich hatte einen totalen falschen Eindruck von meinem leiblichen Vater gehabt, aber in den letzten Jahren, waren wir doch zusammengewachsen. Er hatte mir viel von sich erzählt und manchmal hatte er sich gewünscht, einfach nur normal zu sein, was er bei uns gefunden hatte.
Ich saß in der Küche, als Daddys Handy klingelte.
»Ja ich höre, John«, sagte er und nickte. »Sie sind da. Zwillinge? Zwei Mädchen! Glückwunsch.« Er legte auf und grinste über seine vier Backen. »Klara hat zwei gesunde Mädchen auf die Welt gebracht.«
Sofort wurde angestoßen und wir hießen unsere neuen Familienmitglieder willkommen.
Ende
Texte: (2018) (c) Conny J. Gross
Lektorat: Keins
Tag der Veröffentlichung: 29.07.2018
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