Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden. Ähnlichkeiten zu existierenden Personen sind rein zufällig.
Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.
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Und denkt daran, im REALEN Leben gilt SAVER SEX, also achtet immer darauf. AIDS ist keine Krankheit, die man auf die leichte Schulter nehmen darf. Auch die anderen Geschlechtskrankheiten nicht.
Also schützt euch!!!!
Danke
Ich hatte keine Ahnung, wie oft ich schon, wie ein Tiger, mein Wohnzimmer durchschritten und versucht hatte, Sascha zu erreichen, aber jedes Mal nur die Mailbox antwortete. Wütend schmiss ich mein Handy auf den Tisch und fluchte vor mich hin.
»Verfluchte Scheiße, wo ist Sascha?« Loren saß auf der Couch und ich ertappte sie dabei, dass sie öfter als normal auf die Uhr sah. Wir beide erschraken, als plötzlich mein Handy klingelte. Mein Herz raste und ich hoffte, dass es Sascha sei. Ein kurzer Blick genügte und ich erkannte, dass es Raoul war. »Habt ihr ihn gefunden?«, schrie ich schon fast. Raoul verneinte es und meinte aber im gleichen Atemzug, dass Saschas Moped bei der Kneipe High Skills gefunden worden war. »High Skills? Was machte Sascha denn da?«, zischte ich und Loren erwachte aus ihrer Starre.
»Sascha hat eine Nachricht auf sein Handy bekommen und ist kurz darauf losgefahren!«, sagte sie und folgte mir mit ihrem intensiven Blick.
»Weißt du, wer ihm die Nachricht geschickt hat?« Sie blickte mich durchdringend an und sagte: »So schnell, wie er gegangen ist, dachte ich, sie wäre von dir.« Ich verneinte es und ertappte sogar mich dabei, auf meine Wanduhr zu starren.
Sascha war nun seit fast 20 Stunden verschwunden und der Zeiger zog seine Bahn. Er wurde nicht müde, blieb nicht einfach mal stehen oder drehte die Zeit zurück. Er hatte absolut kein Verständnis.
Verdrossen ging ich in die Küche, um mir den x-ten Kaffee einzuschenken. Ich war seit kurz vor halb zwölf abends zurück und wollte mit Sascha seinen restlichen Geburtstag feiern. Meine Gedanken schweiften zu dem Geschenk, welches ich ihm in Deutschland gekauft hatte. Einen kleinen Teddy und musste unwillkürlich schmunzeln, als ich an unser erstes Mal zurückdachte. In seinem ganzen Zimmer waren überall solche kleinen Teddys verstreut gewesen. Als Schlüsselanhänger, als Kuscheltier, die er allerdings ganz Teenagerlike, irgendwo in die hinterste Ecke seines Zimmers verstaut hatte, dennoch hatte ich sie entdeckt. Sogar als Buchbeschwerer fand ich so einen Teddy aus Porzellan vor, den er liebevoll, vor ein paar Tagen, auf mein Regal gestellt hatte. Sogar einige Teddysticker zierten seinen alten Monitor, der nun achtlos in der Ecke in unser Schlafzimmer stand.
Gott, ich vermisste ihn. Wo war er?
Inzwischen waren Raoul und Anthony von ihrer Suchaktion zurück. Das Moped hatten sie beim High Skills stehen lassen und meinten, dass die Polizei bald kommen würde.
Ich ließ Anthony nicht mehr aus den Augen und dennoch schien mir meine eigene Vermutung viel zu abwegig. Warum sollte Anthony mir in den Rücken fallen oder seine Frau? Ganz besonders, wenn ich an John dachte! Ich konnte mich damit einfach nicht abfinden, dass er es sein sollte. Und doch? Die dunklen Gedanken, die einen runterzogen, die einen fertigmachten, die einen an den Rand des Wahnsinns trieben, waren stetig da. In der Nähe.
»Schon wieder Polizei!«, dachte ich leicht angewidert und meine Gedanken schweiften zu dem etwas dickeren Bullen, woraufhin ich die Lippen zusammenpresste. Dieser Bulle würde es nicht einmal schaffen, einen Wald vor seiner Nase zu finden, geschweige denn Sascha.
›Tja, wenn man vom Teufel spricht.‹
Es klingelte an der Haustür und Anthony ließ die Polizei rein. Raoul kümmerte sich inzwischen um Loren, die auch langsam ihre Fassung verlor und unentwegt auf die Uhr blickte.
Ltd. Shmitz reichte mir ihre Hand, die ich zögerlich annahm, denn ihr Ausdruck, während sie die Fotos angesehen und die Nachrichten gelesen hatte, drang unaufhaltsam vor mein inneres Auge.
Anthony bot ihr Platz an und sie blickte sich in der Küche um. Ich sah es ihr an, dass sie mit so viel Luxus nicht gerechnet hatte. Mir war es egal. Am liebsten hätte ich das Treffen außerhalb meiner vier Wände veranstaltet, aber Anthony bestand darauf. Weshalb auch immer.
»Ich komme gleich zum Punkt. Es ist das eingetreten, was wir als den Worst Case vermutet hatten«, fing die Polizisten sogleich an.
»Ja, das vermuten wir auch«, nahm Anthony das Gespräch in die Hand. »Wir denken, dass der Stalker ihn sich geholt hat.« In mir brodelte es. Immer wieder schob ich diesen Gedanken von mir weg und redete mir ein, dass Sascha die Nacht durchgezecht und bei einem Freund übernachtet hatte. Aber wäre das der Fall gewesen, so wäre er schon längst nach Hause gekommen. Außerdem hatte Sascha keine Freunde. Und inzwischen war es schon fast acht Uhr abends. Ich ballte meine Hand zu einer Faust und schlug hinter mir auf eine Schranktür. Der Krach ließ alle erschrecken und gleich kam Raoul auf mich zu. Leider nahm meine Wut nicht im Geringsten ab. Sie nahm höchstens noch zu.
»Mr. Kastner, seien Sie bitte so freundlich und setzen sich zu uns an den Tisch. - Wir haben gestern, während der Hausdurchsuchung etwas gefunden.« Ich tat, worum Ltd. Shmitz mich gebeten hatte und setzte mich an den Tisch. Sie kramte inzwischen in ihrer Aktentasche, holte einen kleinen Plastikbeutel heraus und legte ihn vor mir auf den Tisch.
»Das ist eine Hightech Kamera. So etwas wird ausschließlich in der Spionage verwendet!«, rief Anthony aus und schloss seine Augen. »Die ist klein und kann sehr gut in der Wand versteckt werden. Sie funktioniert über Funk und die Akkus laden sich, während des Betriebes selbst auf. Diese Kamera kann sich in sämtliche Netzwerke einwählen, um ihre Bilder zu senden, und hat eine Reichweite, einmal um die Welt und wieder zurück. Der Typ kann überall sein!«
»Sie wissen also was das ist? Wegen der Aussage unserer Spezialisten vermuteten wir, dass es eher eine Minibatterie sei«, meinte Ltd. Shmitz beiläufig.
»Ihr habt absolut keine Ahnung. Das ist Hightech und simple Standardausrüstung der Red Eyes!«, ging er dazwischen und schloss wieder seine Augen.
»Also, wenn das so ist, verstärkt sich der Verdacht, dass Mr. Fleischhauer entführt wurde!«, sprach Ltd. Shmitz eher zu sich selbst. Doch ihr Ausdruck rief einen keimenden Verdacht in mir wieder hoch. Anthony?! Nicht schon wieder diese düsteren Gedanken. Es konnte einfach nicht sein. Nein, es durfte einfach nicht sein. Anthony war einer meiner besten Freunde.
»Nun gut, bevor wir es der SPA übertragen, brauchen wir noch einige Antworten!« Und sie fing mit ihren Fragen an. Ich bekam nur noch die Hälfte mit. Allein das, was sie zuvor gesagt hatte, beschäftigte mich zusehends. Sascha und entführt. Das konnte nicht sein. Ich holte mein Handy aus der Jacketttasche und wählte wieder seine Nummer.
Nichts! Wieder die Mailbox und ich schnaubte resigniert.
Nachdem Ltd. Shmitz sich verabschiedet hatte, ging ich zur Bar, die sich im Wohnzimmer befand, und holte zwei Flaschen des besten Cognacs heraus. Ein Schrei riss mich aus meinen Gedanken und ich rannte in die Küche.
Sarah saß auf dem Boden und heulte sich die Augen, an der Schulter ihrer Mutter, aus.
»Ist das wahr? Ist Sascha wirklich entführt worden? Aber warum? Wer tut denn so was?«
»Liebes, schsch. Beruhige dich bitte. Ich erkläre dir alles, aber dafür musst du dich erst einmal beruhigen.« Die beiden unterhielten sich auf Deutsch und ich nahm mir vor, einen intensiven Sprachkurs zu belegen.
Ich ging an den Küchenschrank und holte drei Cognacgläser raus, die ich füllte und Loren sowie Sarah unter die Nase hielt.
»Hier!«, sagte ich nur und kippte mir den Ersten rein. Irgendwann verabschiedeten sich die zwei Frauen und ich saß alleine in meinem Wohnzimmer und blickte wieder zur Uhr. Die Zeiger standen inzwischen schon auf halb zehn abends. Ich schnappte mein Handy, wählte und sofort war Tom dran.
»Haben Sie getrunken?«, hörte ich ihn.
»Japp!«
»Das sollten Sie nicht. Sie haben morgen ein wichtiges Meeting und die Ausstellung steht auch noch an.« Welche Ausstellung. Ich hatte keinen Plan.
»Tom, übernehmen Sie morgen die Ausstellung!«, sagte ich und fragte mich noch mal, welche verdammte Ausstellung es war.
»Was? - Es kommen Bänker von diversen Banken und …« Bänker? Was war denn das für ein Wort und ich wiederholte es.
»Bänker?«
»Tschuldigung, das war Deutsch oder zumindest Deutsch mit Dialekt. Bankkaufleute …« - Ah! Mir dämmerte es. Die wollten in meine Aktienfonds einsteigen. Deswegen, diese sinnlose Ausstellung, die Fleischhauer organisiert hatte.
»Sagen Sie den Termin ab. Ich habe sowieso nicht vor, diese Aasgeier teilhaben zu lassen.« Empört schnaubte Tom.
»Sie sollten sich hinlegen.«
»Und Sie sollten nach Hause fahren und nicht ständig im Büro schlafen.« Er legte einfach auf und ich schmunzelte kurz. Ich gönnte mir noch ein paar Gläser und sah, dass die erste Flasche schon fast leer war.
Das Warten auf eine Nachricht machte mich so was von irre. Vor allem aber, die Sorge um Sascha. Ich hoffte für den Typen, dass er Sascha kein Haar krümmte.
Etwas zwischen Wut und Verzweiflung wanderte in meinem Innersten stetig auf und ab. Am Ende setzte ich die Flasche nur noch an meinem Mund, und versuchte, die kalte Berührung in eine warme sanfte Erinnerung zu verwandeln.
Sascha.
Irgendwann mitten in der Nacht weckte mich der Klingelton meines Handys. Der Ton, den Sascha überhaupt nicht leiden konnte und ich suchte es. Das Geklingel hörte auf, um auch gleich wieder von vorne anzufangen. Ich brauchte einen Moment, um zu wissen, wo ich war. Es war auf jeden Fall nicht mein Bett. Nein. Anscheinend war ich wohl auf der Couch eingeschlafen sein, ich drehte mich auf die Seite und die leere Cognacflasche fiel zu Boden. Der Krach weckte mich schließlich endgültig auf. Das Handy klingelte wieder und ich nahm den Anruf an.
»Ja!«
»Anthony hier!«
»Anthony, hey! Wie spät ist es denn?«
»Drei Uhr nachts.« Hoppla, ich hatte gerade mal zwei Stunden geschlafen, wenn man den komatösen Zustand als schlafen bezeichnen konnte.
»Bist du wach?«, fragte er mich.
»So halbwegs.«
»Hau dich unter die kalte Dusche und komm her.« Ich begriff gar nichts.
»Ich kann nicht. Ich habe gerade eine komplette Flasche Cognac geleert«, erwiderte ich darauf und fasste mir an die Stirn.
»Wow, Kyel, dass du noch lebst … !«
»Schon, aber die Flasche hat es nicht überstanden.« Er gluckste kurz. Was mir total auf den Magen schlug. Immerhin schwirrten immer noch diverse Hintergedanken in der hintersten Ecke meines Gehirns rum.
»Okay, ich komme, … Was … nee … Emily.« So wie es aussah, sprach er wieder mit seiner Frau.
»Wir kommen alle. Richte das Gästezimmer her und ich brauche einen Extraraum, wo wir uns aufhalten können.«
»Was?«
»Das erkläre ich dir später. Du begreifst es jetzt eh nicht. Ach, weißt du was? Liegt der Ersatzschlüssel noch immer da, wo er sonst liegt?« Was für eine bescheuerte Frage. Aber ich wusste, was er meinte.
»Ja, der liegt noch immer da, wo er sonst liegt.«
»Gut. Schlaf deinen Rausch aus. Wir regeln das schon. Gute Nacht.« Er legte auf und ich hievte mich von der Couch. Die Flasche, die auf dem Boden gelandet war, ignorierte ich gewissenhaft und ging in die Küche. Dort kramte ich meine Schubfächer durch, um die Packung Aspirin zu finden.
Ich warf mir gleich zwei Tabletten auf einmal rein und schlurfte zurück in mein Wohnzimmer. Den Weg ins Schlafzimmer fand ich nicht mehr und schlief auch gleich wieder ein, kaum das mein Körper auf der Couch lag.
Der Jetlag, die schlaflose Nacht und der Cognac forderten ihren Tribut.
Mehr oder weniger war mein Schlaf traumlos. Nur hin und wieder drangen wundervolle braungrüne Augen durch. Ein schmollendes Lächeln und laszives Stöhnen.
Der unmögliche Klingelton meines Handys jagte mich aus dem Schlaf und ich ging ran.
Es war Tom, der mir irgendwie die Hölle heißmachte und verlangte, ich solle meinen Arsch endlich in die Firma schieben, um dann einfach aufzulegen. Ich blickte auf mein Handy und war etwas sprachlos. Dennoch schob sich ein Grinsen in mein Gesicht. Langsam kam Tom aus sich heraus. Krächzend hievte ich mich von der Couch hoch und schleppte mich in die Küche. Mein erster Handgriff war an die Kaffeemaschine und es war sehr angenehm, dass der Kaffee schon fertig war. Langsam gewöhnte ich mich daran, dass nun Frauen im Haus wohnten.
Von irgendwoher vernahm ich Babyweinen. Das müsste aus dem linken Flügel kommen. Ein Teil, den ich nachträglich anbauen ließ, weil Paul dort sein »Atelier« haben wollte. Egozentrischer Künstler. Aber malen und zeichnen konnte er sehr gut. Einige seiner Bilder waren schon sehr berühmt und ein Einziges davon wurde mit über 50 000 $ gehandelt.
Mit meinem Kaffee in der Hand ging ich dorthin und meine Augen wurden groß. Im Namen Gottes, was war denn hier los?
»Guten Morgen, Kyel!«, lächelte Emily mich an und ich schaute mich um.
»Moing, Kyel!«, nörgelte Anthony und er sah sehr übernächtigt aus. Ich antwortete nur mit einem Nicken und drehte mich wieder um. Es war zu viel und meine Gehirnzellen standen noch auf ›ja nicht so viel arbeiten, man könnte ja wach werden‹. »Hey Kyel!«, rief Anthony mich zurück und ich wandte nur meinen Kopf in seine Richtung.
»Hmm …!«
»Du siehst scheiße aus!«
»Danke …! Was ist hier los?«, fragte ich schließlich. Meine Gehirnzellen fingen langsam zu arbeiten an.
»Das, was ich mit dir letzte Nacht besprechen wollte. Du aber zu klinisch tot warst, um überhaupt etwas zu verstehen«, legte er los und ich ließ ihn. »Wir, also Emily, ich und die anderen, haben beschlossen, dass wir unser Lager hier aufschlagen.«
»Sehe ich«, und blickte mich wieder um. Das ganze 'Atelier' sah wie eine Einsatzzentrale aus. 'Lager' nannten die das. Überall hingen Kabel und Drähte. Diverse Rechner, Laptops und sogar einen Beamer hatten sie aufgebaut.
»Check - Satellitenverbindung steht.« Anthony nickte dem Mann zu und wandte sich wieder zu mir.
»Die Polizei, also Ltd. Shmitz hat uns den Einsatz erteilt«, teilte Anthony mir weiter mit.
»So schnell?« Er grinste etwas und schaute verlegen zur Seite.
»Ja, also. Sie bestand darauf mit dabei zu sein.«
»Ah ha!«, sagte ich nur und zuckte mit den Schultern. Mir war das egal. Inzwischen musste schon die ganze Welt Wind davon bekommen haben, dass der große Kyel Kastner Erpressungsopfer eines sadistischen und perversen Stalkers geworden war. Der sich die Frechheit herausgenommen hatte, dessen Lebensgefährten zu entführen.
Ich nippte an meiner Tasse und machte mich wieder auf den Weg in die Küche.
Loren und Sarah waren schon außer Haus und ich blickte wieder auf die Uhr. Ich hatte noch eine halbe Stunde und dann musste ich in die Höhle des Löwen. Wie ich 'Bänker' hasste. Komisch, dass ich mir ausgerechnet dieses Wort so gut merken konnte.
Im Jaguar fuhr ich zur Firma und meine Gedanken, die nun der Meinung waren Überstunden zu schieben, überschlugen sich. Meine Villa wurde zu einer Einsatzzentrale. Die Bullen und die SPA-Agenten gingen ein und aus, wie es ihnen gefiel. Anthony, Emily und Raoul zogen bei mir mit ein. Parker fluchte stetig vor sich hin und meine Eltern wollten auch ihren Teil dazu beitragen. Und von Sascha fehlte jegliches Lebenszeichen. Ich war von meinem Leben so was von »fasziniert« und schloss für einen kurzen Moment meine Augen um das herannahende Brennen zu unterdrücken.
Scheiße, ging es mir dreckig.
Ich parkte mein Auto und stieg aus. Kurzzeitig musste ich mich an der Tür festhalten, der Alkohol war wohl noch nicht vollständig aus meinem Körper heraus und ich kniff die Augen zu.
Tom kam wild gestikulierend aus der Firma, und als er mich sah, schüttelte er nur den Kopf.
»Langsam wird das zur Gewohnheit, Mr. Kastner!«, sagte er und ich blickte in seine blaugrauen Augen.
»Tom, wie ich sehe, haben Sie den Termin nicht abgesagt.«
»Nope, dieses Vergnügen hob ich für Sie auf.«
»Verstehe!«, meinte ich nur, ließ endlich die Autotür los und knallte sie zu.
Als ich zur Firma ging, rasselte Tom sämtliche Termine, die für heute anstanden, runter und davon bekam ich keinen Einzigen mit. Vor allem war mir das scheißegal.
»Herr Hoffmann, der direkt aus Deutschland kam, fiel aus sämtlichen Wolken, als er hörte, dass Mr. Fleischhauer nicht zugegen ist!«, sagte Tom, und als er weiterreden wollte, unterbrach ich ihn.
»Was meinen Sie, wie mich das interessiert!?«
»Herr Gott! Mr. Kastner, jetzt reißen Sie sich am Riemen!« Ich lachte auf.
»Ich soll mich am Riemen reißen? Was glauben Sie, wie ich es versuche! Ich bin auf über 360. Wenn mir einer, mit einer dämlichen Bemerkung zu nahe kommt, dann werde ich dem, wohl oder übel, den Kopf abreißen!«, sagte ich und lächelte Tom süffisant an. Er hielt zu meinem Glück endlich den Mund und ging hinter mir her.
Ohne anzuklopfen, ging ich in den Konferenzsaal und meine Vorstandsmitglieder, die nun aus Mr. Freim, Mr. Houer und Nicole bestanden, erhoben sich.
Monoton begrüßte ich alle und nahm am Kopf des Tisches meinen Platz ein.
Nach nur zweieinhalb Stunden waren die Verhandlungen vorüber und ich war ziemlich zufrieden. Ungereimtheiten, die Mr. Fleischhauer nicht aus der Welt geräumt hatte, wurden geklärt und der Schaden, den er noch verursacht hatte, wurde von Nicole ausgemerzt. Sie war wirklich eine Bereicherung meines Teams und ich hegte den Gedanken, Markus Fleischhauer endgültig zu feuern.
Die restlichen Termine ließ ich auf Mr. Freim und Nicole verteilen und machte mich wieder auf den Weg nach Hause. Das nun wirklich zu einer Einsatzzentrale geworden war.
»Habt ihr Nachricht von Sascha?«, war das Erste, dass ich fragte, als ich die Tür aufschloss und in die Küche ging.
Wie lange lag ich schon auf dem Bett, an die Decke starrend und immer wieder versuchend, mir eine bessere Liegemöglichkeit zu verschaffen. Die Handschellen an meinen Handgelenken, die meine Bewegungsfreiheit einschränkten, schnitten allmählich in mein Fleisch. Ab und zu schloss ich meine Augen und versuchte, zu schlafen. Anweisung von meinem 'Master'. Ich fasste es nicht. Ich war immer noch sprachlos und total perplex davon, dass ich, nachdem ich halbwegs aus der Betäubung erwacht war, in seine starren, grauen Augen schaute.
Angst erfüllte mich seitdem und ich konnte nichts dagegen tun. Schleichend und unbarmherzig schob sie sich in meinen Verstand, der zu zerbersten drohte.
»Es wird alles gut. Alles wird gut!«, wiederholte ich diese paar Wörter, wie ein Mantra immer wieder und schaffte es dennoch nicht, dieses beklommene Gefühl zu verscheuchen. Das Gegenteil war der Fall, je öfters ich es vor mich hinmurmelte oder es mir gedanklich vorsagte, umso schlimmer wurde der Zustand.
Nackt lag ich auf dem Bett, meine Arme über dem Kopf an die Eisenstangen gefesselt und hatte keine Kraft mehr, um meinen Kopf zu heben. Alles war schwer und vom vielen Liegen eingeschlafen. Kalt fühlten sich meine Füße, meine Glieder, mein ganzer Körper an und ich wünschte mir nichts sehnlichster, als eine Decke über meine Nacktheit. Dies hatte er mir verwehrt.
Der Grund so banal wie absurd. 'Ich war nicht gehorsam.' Gehorsam?? Wann war ich ungehorsam? Ich wusste es nicht. Ich konnte mich nicht erinnern und wieder schloss ich meine Augen, um wenigstens etwas Schlaf zu finden. Selbst der Schlaf war für mich nicht erholsam. Immer wieder schreckte ich auf, in der Hoffnung, in zwei meeresblaue Augen zu blicken.
Schreien konnte ich nicht mehr. Meine Kehle brannte, meine Stimmbänder waren überstrapaziert, vom vielen Weinen und ja, Schreien. Ich hatte mir die Seele aus dem Leib geschrien. Für was? Niemand hatte mich gehört. Nur er.
Die Strafe folgte gleich darauf. Durst war seitdem mein Begleiter. Nur hin und wieder kam er und gab mir ein paar Tropfen aus einem Waschlappen.
Wieder einmal schreckte ich hoch, etwas Kaltes und Nasses war an meinem Intimbereich und schon spürte ich einen fürchterlichen Schmerz. Mit brutaler Gewalt zog er mir die Vorhaut runter. Wieder schrie ich oder war es nur ein Krächzen?
»Halt still oder willst du, dass ich dich verletze?«, hörte ich nur und blinzelte meine Tränen weg. Versuchte krampfhaft, meine Atmung abflachen zu lassen. Was schier unmöglich war. Meine Atmung und mein Herzschlag rannten um die Wette. Wer konnte es schneller, hektischer? Langsam hob ich meinen Kopf, soweit es meine Kraft zuließ, und sah, dass er mich rasierte.
»Bitte lassen Sie mich frei!«, flehte ich. Ich wusste nicht, wie oft ich ihn schon angebettelt oder angefleht hatte. Er ignorierte mich nur, rasierte weiter und fuhr ab und zu mit seinen Fingern meinen Schaft rauf und runter. Unsere Blicke trafen sich und ich sah etwas in seinen Augen, das mich anwiderte. Er lächelte mich an und beugte sich zu mir runter. Sein Mund kam mir zu nah und ich drehte meinen Kopf von ihm weg. Er kicherte nur, nahm ein Handtuch in die Hand und trocknete mich ab. Die Waschutensilien räumte er weg und kam mit einer Flasche Wasser zurück ans Bett. Durst! Ich hatte Durst, und wenn ich gekonnt hätte, wie ich wollte, hätte ich ihm die Flasche aus der Hand gerissen. Er setzte sich an den Bettrand und öffnete die Flasche. Ich verfolgte jeden Handgriff, den er tat.
»Hast du Durst?«, fragte er mich lüstern.
»Lassen Sie mich frei!« Wieder lächelte er und seine Augen blitzten unheimlich auf.
»Ich habe dich etwas gefragt!«, meinte er nur und brutal zwirbelte er meine Brustwarze. Ich keuchte auf. »Antworte mir!« Sein Ton wurde schärfer und ich drehte meinen Kopf von ihm weg. Sofort griff er mein Kinn und drückte in meinen Kiefer. Durch den Druck öffnete ich meinen Mund. »Weißt du, Sascha. Ich kann dich wochenlang so leiden lassen. Dein Körper braucht Flüssigkeit und Nahrung. Ich kann deinen Körper am Leben erhalten, aber du wirst Qualen erleiden. Du wirst durstig sein, Hunger haben. Auch der niedrigste Instinkt wird unbefriedigt bleiben. Wenn du das so willst, wenn das dein Wunsch ist, werde ich ihn dir erfüllen«, sagte er und nahm seine Hand von meinem Gesicht. Kurz lockerte ich meinen Kiefer und sah, wie er die Flasche wieder zudrehte. Sie neben mich hinlegte. Der Durst bereitete mir wirklich langsam höllische Qualen. Ich schloss meine Augen, ich durfte keine Schwäche zeigen und selbst, wenn das wirklich heißen sollte, hier qualvoll zu sterben. Ich würde ihm nicht nachgeben.
»Leck mich am Arsch!«, murmelte ich nur und wieder kicherte er.
»Ist das dein Ernst?«, hauchte er und schon spürte ich Bewegung auf dem Bett. Er schob sich zwischen meine Beine und wollte sie anheben.
»Nein!«, keuchte ich und zappelte meine Beine aus seinem Griff. Ich zog meine Beine an, so gut es ging, und verhakte sie miteinander. Die heftigen Bewegungen von mir ließen mich aufstöhnen, da die Handschellen dadurch tiefer in mein Fleisch schnitten.
»Ich sagte doch, du sollst ruhig liegen bleiben.« Er stand auf, nahm die Wasserflasche und stellte sie auf das Nachtkästchen. »Noch etwas, sei mit deinen Forderungen und Wünschen vorsichtig. Die könnten in Erfüllung gehen. Zumindest einige davon.«
»Was wollen Sie von mir?«, fragte ich, obwohl ich absolut keinen Mut mehr besaß.
»Das weißt du … das weißt du schon, seit du 14 Jahre alt bist«, sagte er, stand auf und verließ das Zimmer. Was hatte das alles zu bedeuten? Was sollte ich schon seit ich 14 war wissen?
Das alles bilde ich mir nur ein. Es war nichts weiter als ein hirnloser Albtraum und am nächsten Morgen, wenn ich aufwachte, lag ich im Bett und blickte in das wunderschöne Gesicht von Kyel.
Viele Gedanken schwirrten in meinem Kopf, einige waren schön, andere wiederum schrecklich. Ich wusste nicht, was ich gerade sah, war es real oder nur ein verkorkster Traum, aber immer wenn ich dachte, jetzt wachst du auf, sah ich es durch meine Lider rötlich schimmern. Wenn ich dann meine Augen öffnete, war da wieder die gleiche Decke, das gleiche Zimmer, der gleiche Spiegel, der mich nackt zeigte, die gleichen rötlichen Vorhänge, die wenig Licht hereinließen und diese Wasserflasche, die keinen halben Meter entfernt von mir stand. Meine Kehle war trocken, meine Lippen rissen allmählich auf und die wenige Spucke in meinem Mund, half auch nicht mehr, um dieses Gefühl loszuwerden.
Mein Durst wurde immer unerträglicher und wieder dämmerte ich weg. Ich spürte etwas Nasses auf meinen Lippen und gierig leckte ich mit meiner Zunge darüber.
»So ist es gut …« Mir wurde übel, wenn ich nur den Klang dieser Stimme vernahm und ich schlug meine Augen auf, die ich allerdings gleich wieder schloss. Ich hasste dieses Rot. Ich hasste den Spiegel, der alles von mir preisgab.
»Bekomme ich eine Decke? Mich friert es. Bitte!«, nur noch ein Flüstern war meine Stimme und ich schluckte trocken.
»Nein!« Die Antwort von ihm kam scharf und ich zuckte zusammen. Oder vielleicht kam es mir nur so vor. Um mich herum war nur diese Leere, diese absolute Stille, sodass selbst mein zu schneller Herzschlag in meinen Ohren dröhnte. »Dir wird es wieder warm werden, wenn du genügend Essen und Trinken zu dir genommen hast. Öffne deine Augen, ich will deine Augen sehen!« Widerwillig gehorchte ich.
»Na geht doch. Und jetzt schau mich an!« Bitte nicht und doch tat ich es. »Sehr schön! Den ersten Schritt hast du bald geschafft. Wenn du ihn vollständig beherrschst, werde ich dich mit den Regeln vertraut machen. Die Regeln, denen du zu gehorchen hast. Doch bis dahin … !«, sagte er und ich hörte, wie er einen Lappen auswrang. » … fangen wir mit den Grundkenntnissen an. Laut Vertrag hast du mich als deinen Master anerkannt …!« WAS?? Hatte ich richtig gehört? Ich glaube kaum. Mein Durst wirkte sich anscheinend schon auf mein Gehör aus und doch kam die Frage einfach über meine Lippen.
»Welchen Vertrag?«, krächzte ich und musste an mich halten. Nicht, dass mein Körper auf sein sanftes Waschen, ja wirklich, er war sehr sanft, reagierte. Er lächelte.
»Schön, dass du es ansprichst, aber dazu später. Ich weiß, dass du es vergessen hast. … Also wo war ich stehen geblieben? Und wenn es geht, unterbrich mich nicht mehr!« Den letzten Satz zischte er und schon drückte er mir meine Hoden zusammen. Keuchend zog ich die Luft ein. Schreien konnte ich nicht mehr. Selbst meine Stimme blieb mir versagt und die Handschellen schnitten wieder in mein Handgelenk.»Laut Vertrag, den du freiwillig unterschrieben hast, bin ich dein Herr und Gebieter, dein Master. Aber dazu später.«
»Ich soll was?«, durchschoss es mich. Noch bevor ich was erwidern konnte, erinnerte sich mein Verstand an die zusammengequetschten Hoden mit der dazugehörigen Warnung, dass ich ihn nicht mehr unterbrechen sollte. Also schwieg ich.
»Im Moment ist es für dich nur wichtig, mich nicht zu erzürnen. Mit anderen Worten, du lässt dich, wie jetzt, von mir waschen und du wirst aus meiner Hand essen und trinken. Diese Hände, die dich waschen und füttern werden. Die dafür da sind, dich zu belohnen oder auch zu bestrafen. Wenn du alle meine Wünsche erfüllst, werde ich dir vielleicht die Handschellen abnehmen und dich im Zimmer herumlaufen lassen. Allerdings darfst du dieses Zimmer niemals alleine verlassen!«, erklärte er und trocknete mich ab.
»Decken und Kleidung sind für dich Luxus, den du nicht brauchst. Also achte darauf, dass dein wunderschöner Körper niemals mit solchem Zeug bedeckt ist. Außerdem möchte ich, dass du mich mit meinem Namen ansprichst. Ab sofort nennst du mich Master Clancy. Das ist im Moment alles, was du zu beachten hast.«
»Sie sind ja irre, krank …!«, zischte ich. Clancy stand vom Bett auf, legte eine Hand auf meinem Bauch und mit der anderen suchte er meinen Eingang.
Unsagbare fürchterliche Angst kam in mir hoch und die Vorahnung bestätigte ich mit einem Schrei.
Brutal schob er mir gleich zwei Finger rein, wartete nicht, sondern stieß sie ein paar Mal tief in mich.
»Wie ich schon sagte. Achte darauf, dass du mich nicht erzürnst und diese Hände werden dich nur belohnen, anstatt zu bestrafen!« Wimmernd schloss ich meine Augen und drehte meinen Kopf zur Seite.
»Haben wir uns verstanden?«, fragte er mich, und als ich keine Antwort gab, drückte er seinen dritten Finger auch noch in mich rein. Der Schmerz überrannte mich und meine Atmung kam nur noch stoßweise. »Ja«, keuchte ich und wieder stieß er zu.
»Das heißt, ja, Master Clancy.«
»Ja, Master Clancy!«, wimmerte ich und die Tränen flossen unaufhörlich in das Kissen. Langsam zog er seine Finger wieder aus mir raus und mir stieg Galle hoch. Hätte ich Essen im Magen, hätte ich die mit edlem Satin bezogene Matratze versaut.
Ich hatte keine Ahnung, dass Finger solche höllischen Schmerzen verursachen konnten. Ich war ihm ausgeliefert und eins wurde mir bewusst. Egal, ob ich mich wehrte, er würde es dennoch schaffen sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Das da vorhin, als ich gezappelt hatte, ließ er auch nur zu, weil er es wollte. Er hätte mich mit Leichtigkeit überwinden und mir meinen Anus ablecken können.
Es ging auf Abend, der rötliche Schimmer verwandelte sich in Violett und am Ende war es nur noch schwarz in dem Zimmer. Mein Durst war inzwischen nicht nur quälend, sondern unerträglich grausam. Ich hörte, wie er den Schlüssel umdrehte und das Licht anschaltete. Automatisch wandte ich mich von seinem Anblick ab.
»Sieh mich an!«, befahl er mir und mit Widerwillen tat ich es.
»Guten Abend, Sascha.«
»Bitte lassen Sie mich frei!«, flehte ich ohne Tränen. Sie waren versiegt. »Lassen Sie mich heimgehen, bitte!«, bettelte ich, doch er blickte mich nur an. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Keine Mimik, keine Regung kam von ihm und er blieb an der Tür stehen. Er musterte mich, und wenn ich nicht schon nackt wäre, würden mich seinen starren, grauen Augen ausziehen. Langsam machte er einen Schritt in das Zimmer, dann den Nächsten, bis er an der Kommode stand und eine Schublade hervorzog. Dort kramte er und holte irgendetwas hervor. Es sah aus, wie ein Lineal nur hatte das Ding keine Zentimeterskala.
Mir wurde schlecht, er benahm sich so ganz anders als sonst, so kalt und er drehte sich zu mir hin und kam auf das Bett zu. Mein Herz hüpfte mir bis zum Hals und meine Atmung hatte sich um einiges beschleunigt.
Abwechselnd blickte ich zu dem Ding in seiner Hand und zu seinem Gesicht. Noch bevor ich es richtig registrierte, landete die flache Seite auf meinem Bauch. Ich zuckte zusammen und durch den Schock versagte meine Stimme. Mit der freien Hand streichelte er über die Fläche, die er gerade geschlagen hatte und sogleich folgte der Zweite, diesmal schrie ich auf.
»Aufhören … bitte …!« Wieder streichelte er über meinen Bauch und noch bevor er den nächsten Schlag ansetzten konnte, flehte ich: »Aufhören, bitte ich flehe Sie an. Nicht Schlagen. Ich mach alles, was Sie wollen …!« Doch der Dritte landete auf meinen Bauch und die Tränen schossen mir in die Augen. Wieder streichelte er mich und ich machte mich auf den Nächsten gefasst. Flehen und betteln half nichts und ich biss mir auf die Lippen. Der Schlag blieb aus.
»Guten Abend, Sascha«, sagte er, aber mein Körper blieb angespannt.
»G… Gu … Guten Abend …!« Wieder schlug er mir dieses ›Lineal‹ auf meinen Bauch und ich wusste nicht mehr, wie oft ich ihn angefleht hatte, damit aufzuhören. Ich wollte mich von ihm wegdrehen, doch die einschneidenden Handschellen hielten mich davon ab und am Ende hörte ich ein Klacken an meinen Fesseln. Mit einem Ruck zog er mich runter und ein fürchterliches Ziehen durchzogen meine inzwischen schon schmerzenden Armen und als ich versuchte, meine Beine anzuziehen, ging es nicht. Er hatte mich vollkommen an dieses Bett fixiert.
»Wie lange soll ich dich noch bestrafen?«, fragte er und verließ das Zimmer. »Scheiße …«, fluchte ich und mein Bauch brannte. »Der ist total durchgeknallt!« Angst, unsagbare Angst umschlich mein Herz. Dunkelheit umhüllte mich und ich versank in mein Innerstes. ›Kyel. Wo bist du? Hilf mir? Der Typ ist total verrückt und ich kann mich nicht wehren. Gott, ich will hier raus!‹
»Ich will hier raus. Lass mich hier raus. Du Arsch, lass mich endlich frei!« Die Tür wurde aufgestoßen, das Licht angemacht und Clancy stürmte auf das Bett zu. Beugte sich über mich und schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Einmal, zweimal ich wusste nicht wie oft. Irgendwann packte er mich an den Haaren und zwang mich so, ihn anzusehen.
»Du gehörst mir. Je schneller du es begreifst, umso besser für dich. Oh Sascha, ich hätte nie gedacht, dass ich zu solchen Mitteln greifen muss, aber du lässt mir keine Wahl!«, zischte er und meine Atmung kam nur noch stoßweise. Es war unbeschreiblich, wie ich mich in diesem Moment fühlte. Ekel, Scham, Hass, Angst, Leere, keine Ahnung. Ich zitterte nur noch und blickte ihn aus angstgeweiteten Augen an.
Er wurde ruhiger und ein freundlicher, wenn nicht sogar ein liebevoller Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit.
Er blickte mich an, wie ein Kind, das etwas Grundlegendes für sein Leben erlernen musste. Mir wurde flau im Magen und ich schluckte die wenig angesammelte Spucke in meinem Mund runter.
»Eigentlich wollte ich dich ruhig heranführen, aber du lässt mir wirklich keine Wahl, also spitz deine Ohren und hör mir genau zu!« Nebenbei streichelte er mir über die Wange, hinab zu meinem Hals, zu meinem Adamsapfel und dann hoch bis hin zu meinen Lippen.
Das war ja wohl wirklich die Höhe. Seit über einer Woche lungerte ich in dieser Zelle herum. Was wollten die alle nur von mir? Veruntreuung?! Dass ich nicht lachte!
Vor einer Woche geriet mein Leben völlig aus den Fugen. Zuerst fand ich den Vaterschaftstest, den Loren schon seit Jahren gewissenhaft vor mir versteckt hielt. Dann bekam ich von Kastner Import Export eine Anzeige wegen Veruntreuung und am Ende wurde ich auch noch wegen versuchten Mordes, an meiner eigenen Frau, angeklagt.
Sicher ich hatte mit dem Gedanken gespielt, sie zu töten. Seit ich sie kannte, bestand mein Leben nur aus Heuchelei und Lügen. Die Zwillinge waren nicht von mir … war ja kein Wunder, dass Sarah eine Hure wurde und Sascha eine Schwulette, bei so einer Mutter, die ihre Beine für jeden breitmachte.
Ich fasste mir an die Stirn um den drohenden Kopfschmerz wegzuwischen, der sich langsam, aber unaufhörlich weiter zu den Schläfen zog.
»Hey, Markus! Du hast einen Brief bekommen. Der Chef sagte, dass ich ihn dir gleich geben soll, nicht erst Morgen bei der Postausgabe!«, sprach Harry, der Wachmann, mich an. Er war eine gute Haut, aber er konnte auch sehr böse werden, das hatte ich schon bald herausgefunden. Nicht am eigenen Leibe, aber es reichte schon, um den Gedanken, ihn um den Finger wickeln zu wollen, beiseitezuschieben.
»Hey, Harry, was gibt's heute Abend zu essen? Ich hoffe, nicht wieder der gleiche Fraß wie gestern und vorgestern«, ertönte es aus einer anderen Zelle. »Ich wette, deine Frau hat den Kochkurs total versemmelt.« Harry verdrehte die Augen und legte den Brief durch den Schlitz.
»Danke, Harry!«
»Nichts zu danken und hier hast du noch 'ne Packung Beruhigungstabletten. Ich denke, dass du die gut gebrauchen kannst.« Sein Blick sprach Bände und ich schnaubte schon, noch bevor ich den Brief gelesen hatte.
Langsam erhob ich mich vom Bett und ging zu dem Schlitz, in dem der Brief lag. Holte ihn hervor, entnahm dem schon geöffneten Umschlag den Brief und las die große Überschrift: 'Kastner Import Export'. Schon wieder verdrehte ich die Augen und hieß ihn, Kyel, in Gedanken einen Flachwichser und Riesenarsch.
»Sehr geehrter Mr. Markus Fleischhauer!
Leider muss ich Ihnen, unter den gegebenen Umständen, mitteilen, dass ich unser beiderseitiges Geschäftsverhältnis nicht weiter aufrechterhalten kann … - Die Firma Kastner Import Export wünscht Ihnen alles Gute auf Ihrem weiteren Lebensweg …« und so weiter und so fort.
Scheiß auf die Kündigung und scheiß auf den erlogenen und erstunkenen Grund. ›Preisgabe interner Informationen. Nachgewiesene Veruntreuung und Nichteinhaltung diverse Paragrafen und Firmenregelungen‹. Ey, da hatte sich aber jemand wirklich ins Zeug gelegt, um so eine Sesselfurz Kündigung zu schreiben. Ich blickte auf die Unterschrift, da war die von Freim und eine i. A. T. Se. Wer zum Teufel ist T. Se? Ach ja, das müsste die von Tom sein. Die Schwuchtel war auch nur gut, um Kyel in den Arsch zu kriechen. Hatte nichts Besseres zu tun als einen auf Hausmeister und Wachhund zu spielen. ›Hallo Schleimspur, ich komme …‹
Ich schmiss den Brief auf den einzigen Tisch in der Zelle und legte mich auf das Bett. Eine Zeit lang starrte ich auf die dreckige durchlöcherte Decke und zur Lampe. Bis mir das Licht in den Augen brannte und ich nur noch die zurückgebliebenen lila Kreise vor den Augen hatte.
Kurz schloss ich diese und hievte mich schließlich doch wieder aus dem Bett. Ich ging an die Zellentür und rief Harry.
›Die Idioten haben sich eindeutig mit dem Falschen angelegt.‹
»Was gibt's, Fleischhauer?«, rief Harry schon von Weitem.
»Ich muss mal telefonieren «, sagte ich und Harry pfiff überrascht.
»Das kann sich aber unser Staat nicht leisten.«
»Bezahle ich selbst«, meinte ich und Harry grinste auf eine Art und Weise, die mich schaudern ließ.
»Kannst du dir nicht mehr leisten. Laut Strafanzeige wurden deine Konten eingefroren.« Ja stimmte, hatte ich vergessen.
»Dann gib mir mein Handy!«, sagte ich schließlich. Selbst da schüttelte Harry mit dem Kopf.
»Liegt bei der Polizei in der Beweisaufnahme.«
»Ja, Herr Gott. Es ist mein gutes Recht mir einen Anwalt zu nehmen!«
»Schon, aber einen der innerhalb deiner finanziellen Möglichkeiten liegt, sprich einen vom Staat gestellten Verteidiger und den brauchst du nicht anrufen, der meldet sich bei dir.« Verflucht, dachte ich. Wie ein Lichtblitz durchfuhr es mich. Es gab jemanden, der mir noch einen Gefallen schuldete.
»Ich will Weller. Ethan Weller! Er ist mir noch was schuldig«, sagte ich und Harry nickte.
Keine halbe Stunde später wurde ich zu dem separaten Telefon, welches nur für Gefangene zugelassen war, geführt und wählte die Nummer von Weller.
Seine Sekretärin meldete sich und verband mich sogleich weiter. Ich wunderte mich, dass es so schnell ging. In der Regel musste ich meistens auf einen Rückruf warten oder wurde in die Warteschleife gesteckt oder musste es noch zehnmal versuchen, diese Person zu erreichen.
Aber sicher hatte er seine Tageszeitung schon während seiner Arbeitszeit gelesen und wusste über die Lügen längst Bescheid. Kastner schaute doch immer darauf, dass alles schön in die Öffentlichkeit getragen wurde.
Ich erinnerte mich noch, wie ganz groß, sogar auf der ersten Seite, die Überwachung des Kastner Konzerns durch die SPA wegen Verdacht auf Spionage in den Schundblättern stand.
»Ich grüße Sie, Mr. Fleischhauer! Was kann ich für Sie tun?« Oh je, war der enthusiastisch. Wahrscheinlich hatte er bei mir Dollarzeichen in seinen Augen.
Kurz und bündig legte ich meine Sachlage dar und am Ende hatte ich einen Termin bei ihm. Was für ein Wunder!
Ich ging aus dem Raum, in dem sich das separate Telefon befand und Harry eröffnete mir sogleich, dass ich Besuch von meiner Ehefrau hatte. Ja, meine Fresse, was wollte denn die Schlampe von mir? Also machte ich gute Miene zum bösen Spiel und nahm mir vor, sie einfach zu ignorieren. Jeder auf der Welt konnte zu mir kommen, aber nicht diese Hure mit ihren abgefuckten Kindern.
Mein erster Blick verriet mir, sie war beim Friseur, hatte sich ihre Haare machen lassen und sie trug, … Wow, ein fantastisches Make-up. Sie sah einfach umwerfend in ihren neuen Designerklamotten aus. Woher verdammt, hatte sie das Geld? Sie verdiente als Krankenschwester doch nicht so viel und ich hatte immer geschaut, dass sie von 'meinem' Geld, nie was bekam. Warum sollte ich ihr auch was abgeben. Immerhin war sie es, die ihre verfluchten Beine für jeden aufgemacht hatte. Und das schon immer.
Schlechte Gedanken hin oder her, als ich sie sah, regte sich meine Libido und ich wollte nichts mehr, als kräftig in sie reinstoßen und ihr zeigen, wie der Hase lief. Es ihr richtig besorgen, dass sie noch Tage danach daran dachte.
»Guten Tag!« Ein mir völlig fremder Mann reichte mir die Hand. Widerwillig tat ich es ihm gleich. Loren stand neben ihm und machte keine Anstalten mich zu begrüßen. »Mein Name ist Garret Grant. Ich vertrete Mrs. Fleischhauer.« Bitte, wie bitte? Warum vertreten? »Wollen wir uns setzen?«, fragte dieser.
Völlig verblüfft trat ich an den, für unser Gespräch vorgesehenen, Tisch. Der Mann wies meine Frau an, sich neben ihn zu setzten. Nein, nicht nur das, er zog ihr sogar den Stuhl hin. Was war denn das für einer? Ich glaubte, zu spinnen! Wer zum Teufel war der überhaupt?
Ich blickte abwechselnd zwischen dem Kerl, der sich als Garret Grant vorgestellt hatte und meiner Frau hin und her. Sie sah fantastisch aus. Lange hatte sie sich nicht mehr so rausgeputzt und ich spürte schon, wie meine Knasthose langsam zu eng wurde. Je öfters ich die beiden ansah, umso unaufhaltsamer drang das eine Wort in mir hoch, das schon immer da war, das mich schon immer antrieb und mich bei ihr hielt.
»Meins!« Sie gehörte mir und das hatte ich ihr schon mehrfach gezeigt.
Sie blickte zu mir und es kam keine Regung von ihr. Nichts! Kein Lächeln, wie sie es sonst immer zeigte und das schon lange nicht mehr bis zu ihren Augen drang. Ich setzte mich ihr gegenüber.
Nur ein knappes 'Hallo' kam über ihre perfekt dezent geschminkten Lippen, … und ja, ich will da rein beißen. Die teuren und nervigen Klamotten von ihrem Leib reißen und sie nehmen, dass sie nur noch wimmert.
Ich grüßte knapp zurück.
Harry bezog wie üblich seinen Posten an der Tür und hielt seine Arme vor der Brust verschränkt.
»Was willst du?«, fragte ich und bemerkte, dass sie ihren Blick fest auf mir haften ließ. Sehr untypisch für sie. Im normalen Fall schaute sie einem immer über die Schulter und vermied direkten Blickkontakt.
»Ich bin hier, weil ich es für richtig erachte …!«
»Was ist für dich schon richtig?«, schnitt ich ihr das Wort ab und sah Zorn in ihren Augen aufblitzen. Oh ja! »Ich sehe keinen Grund mehr darin, mich noch länger, als wirklich nötig ist, mit dir abzugeben.« Sie lächelte, aber es war nicht freundlich, es war ganz anders.
»Geht mir genauso! Also, warum ich hier bin …!«
»Interessiert mich nicht! Bespreche das alles mit meinem Anwalt. Mr. Weller!«, fuhr ich ihr wieder über den Mund, der mich anziehend anleuchtete.
»Meine Klientin hegte den Wunsch, Ihnen persönlich ihr Anliegen zu überbringen!«, mischte sich der Kerl ein. »Moment mal! Noch einmal zurückspulen. Klientin? Habe ich irgendetwas nicht mitbekommen?«, fragte ich mich im Gedanken. Loren räusperte sich kurz.
»Ich will die Scheidung!«, sagte sie mit einem Anflug von Angst und ich sah, wie der Typ ihre Hand leicht drückte. Sie schien eine Veränderung durchzumachen, nur durch die Berührung dieses Schweins.
»Was?!« Als Bestätigung schob Loren mir eine Akte entgegen und ich lachte auf. Ey, es war wirklich nicht zu fassen. Die Schlampe wollte sich von mir scheiden lassen und dieser Typ war wahrscheinlich auch mit ein Grund. Mich durchzog es wie ein elektrischer Schlag. Selbst für meine Maßstäbe musste ich zugeben, dass der Mann was hatte. Er sah sehr gut aus. Vielleicht war er in meinem Alter, aber die grau melierten Schläfen könnten über das Alter täuschen. Und verdammt, er war genau der Typ Mann, den Loren sich immer gewünscht hatte. »Wie oft?«, fragte ich abrupt, als mein künstliches Lachen erstarb. Loren blickte mich fragend an. »Ist das so schwer zu verstehen? Wie oft hast du ihn schon rüber gelassen, damit er dich vertritt. Immerhin kannst du dir keinen Anwalt leisten. Schon gar nicht so einen, der nur so nach Geld stinkt!«
»Mr. Fleischhauer, darf ich Sie daran erinnern, wo Sie sich befinden. Vor allem, dass Beleidigungen, von Ihrer Seite, gegen Sie verwendet werden können. Ich unterstütze Mrs. Fleischhauer nicht nur in der Scheidungssache, sondern auch wegen Ihres Mordversuches an ihr!«
Ihr Lächeln wurde süffisanter und sie stand auf.
»Ich habe es nicht anders erwartet. Ich will die Scheidung und es ist mir egal, wie du darüber denkst!«, sagte sie und ging vom Tisch weg. Ich blickte ihr hinterher und ihr Hinterteil kam in diesem Rock sehr gut zur Geltung. Loren trug einen Rock, was wieder sehr untypisch für sie war. Oh man, hatte sie noch eine aufreizende Figur. Ja, ich würde sie leiden lassen, bis sie mich anflehte, wie damals, dass ich sie zurücknahm. Scheidung hin oder her. Loren war heiß, sie war geil, und zwar auf mich, das sah ich ihr an.
Kurz drehte sie sich zu mir um und ich sah in ihren grünlichen Augen nur noch Kälte. Gott, machte mich das an.
»Eins will ich dich noch wissen lassen, … Sascha wird seit mehr als vier Tagen vermisst. Du weißt nicht zufällig, wo er sein könnte?«
»Und? Der wird schon mit so einer Tunte durchgebrannt sein. Was interessiert mich das!«
»Wohl kaum, Markus. Ich dachte nur, dass du es vielleicht wissen könntest. Aber darum wird sich jetzt mein Rechtsanwalt kümmern.« Kurz hob sie ihre Hand und verließ den Raum.
Was sollte das denn jetzt? Sascha war erwachsen und es war normal, dass sich Menschen nicht jeden Tag bei einem meldeten. Außerdem woher sollte ich wissen, wo sich die Schwulette aufhielt? Ich war froh, wenn ich von diesen Bastarden nichts mehr hörte.
Dennoch kam ich nicht drum rum auf die Tür zu starren, durch die Loren gegangen war. Dies war auf jeden Fall nicht meine Frau. Diese Frau war viel zu selbstbewusst, nicht so, wie meine Loren, die nervös an ihren Finger knetete und kaum in der Lage war ihre Stimme zu erheben. Es gab mir einen Stich in das Herz. Vor allem, weil sie Sascha mir vorzog. Wer war denn in den letzten Jahren immer für sie da? Ich! Und sonst niemand. Und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Aber bis dahin, werde ich dieses verkorkste Spiel mitspielen, an dem kein Geringerer als Kyel Kastner schuld war.
Er war es doch, der mir Loren weggenommen hatte. Wie sollte sie sich sonst diese teuren Designerklamotten ganz nach Kastners Geschmack leisten können? Vor allem, diesen ... diesen Anwalt.
Die ganze Scheiße hatte mit dem Meeting angefangen. Das war mal sicher. Ich hatte ihre Augen gesehen, ihren Blick, der schmachtend an ihm hing. Aber so leicht werde ich mich nicht abschieben lassen. Loren, du gehörst mir!
»Mr. Fleischhauer, hören Sie mir zu. Mrs. Fleischhauer hat gerade, wegen Ihrer Unkooperativität, die ganze Angelegenheit mir übertragen«, sagte er und schob die Unterlagen weiter zu mir hin. »Ich würde Ihnen raten, sich dies genau durchzulesen. Sie haben natürlich das Recht, es mit Ihrem Anwalt durchzugehen«, war das Letzte, das er sagte. Dann ging er, genauso wie Loren, durch diese beschissene Tür.
Sicherlich fiel sie ihm gerade um den Hals und er schob seine dreckige Zunge in sie rein. Zorn kam in mir hoch und ich war dabei auf die Tür zuzustürmen als zwei kräftige Arme mich umgriffen und zu Boden schleuderten. Etwas verwirrt und verschwommen erkannte ich Harry, wie er über mir stand und leicht seinen Kopf schüttelte.
In meiner Zelle saß ich auf meinem Bett und konnte nicht fassen, was ich da las.
Ich hielt einen Brief von diesem Rechtsanwalt in der Hand. Der Typ war wirklich ein Anwalt und Loren wollte sich tatsächlich scheiden lassen. Die Gründe absurd. Ich sollte sie regelmäßig geschlagen haben. Ja, immer wenn sie es gebraucht hatte. Jedes Kind bekam Schläge, wenn es unartig war. Auch Vergewaltigung war aufgelistet und ich schüttelte nur innerlich meinen Kopf. Ich hatte, verdammt noch mal, das Recht mit meiner Frau Sex zu haben und dann noch der absurdeste Grund, Mordversuch. Als ich das las, fiel die Decke über mir zusammen. Ich hatte gedacht, ich hätte sie in der Hand! Wegen ihrer Untreue. Weil sie, diese Schlampe, mit dem Macholehrer Clancy ins Bett gestiegen war. Der auch noch meiner Tochter Sarah schöne Augen gemacht hatte. Meiner Tochter?! Wieder nur eine Lüge. Sarah und Sascha waren nicht meine Kinder.
Die Nächte waren die Hölle. Immer wenn ich meine Augen schloss, sah ich ihn. Ich sah ihn, wie er lächelte, lachte, weinte, fluchte und vor allem sah ich ihn, wie er stöhnte. Laut, leise und mal verhalten. Mein Bett war kalt und leer. Es war nicht mein Bett, dieses Bett gehörte mir nicht. Nicht solange er nicht neben mir lag. Keine Anzeichen von ihm. Keine Nachricht vom Entführer. Keine neuen Informationen von der SPA oder der Polizei. Es war zum Verzweifeln. Mehr. Es war zum Verrücktwerden. Ich hatte keine Ahnung, wie oft ich in mich hinein geweint hatte. Wie oft ich seinen Namen gerufen, nein, geschrien hatte oder auch nur gedacht: »Sascha, wo bist du? Ich vermisse dich! Ich brauche dich! Komm endlich wieder zu mir zurück! Bitte, wenn es einen Gott gibt, bitte gib mir Sascha zurück!«
Wieder spürte ich, wie mir die Tränen aus den Augen liefen. Wie sie sich ihren Weg über mein Gesicht, bis hin zu meinen Ohren bahnten, mich auslachten, mich auf der Haut kitzelten und ich fing an, meine Tränen zu hassen. Ich hasste jede Träne, die ich verloren hatte, die mit Verzweiflung, Trauer oder Wut zu tun hatte. Hasste alles, das dafür sorgte, dass sich die Leere in meinem Inneren immer weiter ausbreitete. Ich drehte mich auf den Bauch und vergrub mein Gesicht in das Kissen.
Vor wem versteckte ich mich? Versteckte ich mich vor der Dunkelheit, die mir sowieso ins Gesicht lachte, oder versteckte ich mich vor mir selbst? Ich wusste es nicht. Meine Hände ballte ich zu Fäusten und schlug auf mein Kissen ein. Ich schlug, bis ich keine Kraft mehr hatte und ich das Kissen aus meinem Bett schleuderte. Nach endlosen Minuten stand ich auf und ging zum Fenster. Selbst der Mond schien mich auszulachen und ich streckte ihm die Zunge entgegen.
»Schau gefälligst woanders hin!«, zischte ich und ging aus dem trostlosen Schlafzimmer. Keine Sekunde länger hielt ich es hier drinnen aus. Egal, wohin ich sah, alles erinnerte mich an Sascha. Selbst der verstummte Monitor mit den Teddystickern, der letztens auch meine Faust gespürt hatte. Der Monitor war es, der angefangen hatte, mir Sascha wegzunehmen. Er mit seinen verkackten E-Mails. Langsam, wie automatisch, ging ich in die Richtung, in der meine Küche lag und mir schlug bei jedem Schritt, den ich machte, kalter Zigarettengeruch entgegen. »Parker!« Ich betrat die hell erleuchtende Küche. Sogleich kam Raoul auf mich zu und nahm mich wie immer in die Arme.
»Darling, kannst du wieder nicht schlafen?« Was für eine idiotische Frage das war, doch ich schnaubte nur und schütteltet den Kopf. Ich spürte, wie er den nassen Spuren in meinem Gesicht nachging und mir die Oberarme drückte. Dies bekam ich allerdings alles nur am Rande mit. Seine Mitleidsbezeugung konnte er sich allmählich an den Hut stecken und ich ließ ihn stehen.
Ich ging zu der Kaffeemaschine, die ihre Aufgabe, immer fertigen und heißen Kaffee bereitzuhalten, sehr ernst nahm und schenkte mir Kaffee ein. Es ging schon automatisch. Jeder Griff, ob zur Tasse oder zur Milch oder zur Kanne. Automatisch, alles einfach automatisch und ich setzte mich an den Küchentisch. Wie immer war mein Stuhl frei und der Stuhl neben mir auch. Niemand setzte sich oder wagte es sich, sich auf einen der beiden Stühle zu setzen. Mein letzter Ausraster musste ihnen noch in den Knochen hängen. Ich hatte mich bis heute noch nicht bei, wie hieß Sarahs neuer Typ, ach war das mir egal, entschuldigt. Wie sollte oder konnte ich auch, er war da, wenn ich in meiner Firma war und er war nicht da, wenn ich daheim war und mir die Decke auf den Kopf fiel.
Fehl am Platz, so fühlte ich mich und ich konnte nichts dagegen tun. Anthony, Emily und Raoul hatten ihre Aufgaben sowie die vielen SPA-Agenten und die Polizei, die immer noch durch meine Villa wanderten, als ob sie ihr Eigentum wäre. Als ob es das Normalste auf der Welt wäre.
War ich aus dem Atelier raus, so hörte ich, wie sich die Leute über Sascha und mich unterhielten und wenn ich das Atelier betrat, wurde sofort ein anderes Thema angeschnitten oder alle verstummten. Ich wollte auch über den neuesten Stand informiert werden und mir wurde es langsam leid immer nachzuhaken, zu fragen. Und dann wurde man angesehen wie eines der Weltwunder.
So wie in dem Moment.
Auch wenn mir die Frage auf den Lippen brannte, ich würde nicht mehr nachfragen.
Anthony musterte mich und legte seinen Stift auf die Seite.
»Kyel!«, sprach er mich an und ich hob langsam meinen Kopf. Obwohl mir mein Verdacht, Anthony gegenüber, leidtat, er war immer noch da.
»Hmm«, murmelte ich in meine Kaffeetasse.
»Ltd. Shmitz ist mit mir einer Meinung. Wir werden anfangen, die ehemaligen Red Eyes Mitglieder zu observieren.« Was?! Ich hörte wohl nicht richtig. Warum Red Eye?
»Warum? Habt ihr einen Verdacht?« Er schüttelte den Kopf.
»Nein, leider. Aber im Moment ist es das Naheliegendste. Und Ltd. Shmitz besteht auch darauf, dass Loren an die Öffentlichkeit tritt und Sascha als vermisst meldet mit dem Verdacht auf eine Entführung.«
»Was heißt hier Verdacht! Sascha ist entführt worden, das wissen wir«, fing ich an, etwas lauter als normal die Unterhaltung zu führen. Sofort spürte ich den warmen Druck von Raouls Fingern auf meinem Arm.
»Kyel, wie oft soll ich es dir noch sagen. Solange wir keine Bestätigung vonseiten der Entführer haben, IST Sascha nicht entführt worden.«
»Herr Gott und was sagt ihr zu den Mails, den Anrufen, den Bildern und zu unseren Drohbriefen. Das heißt wohl nichts, oder was. Von der Kamera in der Wand ganz zu schweigen. Ich bitte dich, Anthony!«, schrie ich nun. Ich verstand es nicht. Ich verstand die ganze Bürokratie nicht. Was brauchten die denn noch alles, um endlich in die Gänge zu kommen.
Fast eine Woche, der fünfte Tag brach an. Solange war Sascha wie vom Erdboden verschluckt. Ich hatte noch nicht einmal die Hoffnung, dass er überhaupt noch lebte und nun kam er mit »an die Öffentlichkeit treten«, daher.
»Kyel uns rennt die Zeit davon. Wir wissen nicht einmal, ob Sascha überhaupt noch am Leben ist …!« Nun war es raus. Nun hatte er das ausgesprochen, woran ich die ganze Zeit vermieden hatte, zu denken, und ich spürte, wie meine Hand, die die Tasse Kaffee hielt, zu zittern anfing. Plötzlich zitterte sie, sodass mir die Tasse aus den Fingern glitt und klirrend, in vielen wunderschönen, mit Kaffeeflecken versehenen Bruchstücken, auf dem Boden aufschlug.
Das Gleiche geschah mit dem Stuhl, der nach hinten kippte, als ich abrupt aufstand. Meine Hände zu Fäusten ballte und Anthony wütend anblickte.
»Sascha ist nicht tot. Der Kerl hat ihn. Und in der Zeit, in der ihr euch seelenruhig über irgendwelche Strategien und was weiß ich noch unterhaltet, vergnügt sich das perverse Schwein mit ihm.« Anthony wollte widersprechen und ich zeigte mit dem Finger auf ihn. »Komm mir nicht damit, dass ich nicht weiß, was ich sage. Ich weiß es sehr gut. Ein normaler Psychopath ist vielleicht leicht zu finden, aber nicht der Typ der Sascha zu sich geholt hatte. Hättest du früher geschaltet, wäre es erst gar nicht so weit gekommen. Schon vor zwei Wochen hattest du den Verdacht, dass es ein Ehemaliger sein müsste. Die Kamera hat es dir sogar bestätigt und jetzt … jetzt nach all den Tagen, fällt dir ein, deine ehemaligen Kameraden zu observieren. Anthony, ich fasse es nicht. Ist das der Standard, nach dem ihr verfahrt? Sag mir, ist das euer normales Verfahren, wie ihr die Leute ausfindig machen wollt?«
»Kyel, Darling, beruhige dich wieder«, hörte ich die ganze Zeit Raoul, doch ich ignorierte ihn. Ich sah nur Anthony und stellte mir vor, wie er früher selbst solche Methoden angewandt hatte, um einen Menschen gefügig zu machen. Und mir wurde schlecht.
Anthony schnaubte und stand auf. Er schnappte sich ein Tuch und wischte meine Sauerei auf. Ich selbst ging ans Fenster und betrachtete den Sonnenaufgang. Ich starrte wohl eher zum Horizont, aber in Wahrheit bekam ich von der Schönheit nichts mit.
Irgendwann stieg ich, wie jeden Morgen, in mein Auto und fuhr in die Firma. Wie jeden Morgen, überhäufte mich Tom mit Terminen und Meetings. Selbst davon bekam ich, wie die letzten Tage, nichts mit. Ich ging in die Firma, um den Anschein zu wahren, um die Firma, so gut, wie es mir im Moment möglich war, aufrechtzuerhalten.
Houer hatte seine Kündigung eingereicht. Die Ärzte hatten seiner Frau nur noch ein paar Monaten gegeben und die wollte er mir ihr verbringen. Freim, der langsam auch zwischen Gut und Böse schwebte, hatte die Aufgaben von Houer übernommen, bis wir über einen würdigen Nachfolger entschieden hatten. Nicole, die auf Fleischhauers Platz, sozusagen ins kalte Wasser geworfen wurde, entpuppte sich als ein wahrer Schatz. Ich schrieb in der letzten Woche über 150 % Plus.
In der Zwischenzeit hatte ich wahr gemacht, womit ich die ganze Zeit schon gerechnet hatte. Ich hatte für Tom eine eigene Etage eingerichtet und er wurde offiziell von Parker unter die Fittiche genommen. Wie mir schien, war Parker mit Tom sehr zufrieden und schlug mir auf die Schulter, als ich kurz nach dem Rechten sah.
»Hier läuft alles glatt, Junge. Tom ist doch nicht so eine Niete, wie ich gedacht hatte. Der hat sich ganz schön selbst geholfen und kennt sich mit der Mechanik und Elektrik schon bestens aus. Manchmal frage ich mich wirklich, woher du die Leute nimmst«, meinte er und ich lächelte.
»Tom habe ich mir selbst erzogen und ich muss sagen, ich bin froh, dass ich ihn habe«, sagte ich gedankenverloren und Parker hob kurz seine Augenbrauen. Ich verdrehte meine Augen. Diese Aussage, die ich vom Stapel ließ, konnte man auch anders verstehen. Aber er klopfte mir nur auf die Schulter und grinste schließlich.
»Verstehe, deswegen hast du dich breit schlagen lassen, ihm im Bürogebäude eine Wohnung einzurichten.«
»Bleibt mir was anderes übrig? Der Kerl geht doch nie heim. Außerdem wird ihm die Miete vom Lohn abgezogen.«
»Wann? Soviel ich weiß, hat er noch nie für seine Übernachtungen gezahlt.«
»Parker!«, sagte ich nur und schüttelte den Kopf. »Glaubst du wirklich, dass ich von Tom nichts verlangen werde? Wie sieht es denn aus, wenn ich die anderen Wohnungen, sobald sie mit dem Ausbau fertig sind, vermiete und es kommt ein Gespräch unter Nachbarn auf?« Er schaute mich verdattert an.
»Irgendwer wird dich schon verstehen. Ich tue es nicht«, sagte er und ließ mich stehen. Nach einer kurzen Weile kam er zurück. »Sag mal! - Andere Wohnungen? - Ausbau fertig?« Ich nickte. »Für wie alt hältst du mich überhaupt?«, fragte er mehr oder weniger sprachlos.
»Keine Sorge, die Stunden werden dir extra bezahlt und Jaydon wird in dieser Zeit auch hier wohnen. Dad wird kommen und am Montag eine Umbaufirma.« Ich ließ ihn, nun wirklich sprachlos, stehen. Eigentlich würde ich in mich hinein schmunzeln, weil Parker aus der Fassung zu bringen, erstens sehr schwer und zweitens wirklich sehr selten und unbezahlbar war. Aber die Tatsache, dass ein trüber Schein über allem lag, nahm mir ein Stück meiner Freude über Parkers Reaktion. Ich ging in mein Büro und ignorierte die inzwischen reingekommenen Telefonate.
Nach einer Weile sah ich, dass die blinkenden Telefonate weniger wurden. Nicole oder Mr. Freim nahmen sie entgegen. Und wieder dankte ich Gott, dass ich so gute Mitarbeiter hatte. Allerdings konnte ich nicht alles auf meine Mitarbeiter abschieben und raffte mich auf, den nächsten Anruf entgegenzunehmen.
»Kastner Import Export, Sie sprechen mit Kyel Kastner …!«
Auch, wenn meine Gedanken vermehrt bei Sascha und seinem Verbleib waren, so halfen mir die wenigen Gespräche, halbwegs, auf andere Gedanken zu kommen. Und je weiter der Abend und die Nacht heranrückte, umso verzweifelter wurde ich wieder.
Ich wusste, dass die kommende Nacht wieder einsam sein würde. Mein Bett leer und mein Körper und meine Seele in ein dunkles Loch versinken würden.
Sascha …
Aus Angst wieder Schläge zu bekommen, versuchte ich, so aufmerksam es ging, ihm zuzuhören. Dennoch versanken seine Wörter im Nebel und ich bekam weniger als die Hälfte mit.
»Erstens: Das habe ich schon angesprochen, nennst du mich nur Master Clancy.
Zweitens: Wenn ich dich anspreche oder dich etwas frage, hast du zu antworten. Ansonsten ist dir sprechen untersagt.
Drittens: Du kannst Wünsche äußern, aber auch nur welche, die dir im Rahmen deines Standes zustehen. Essen, Trinken, Cremes oder sonst irgendwelche Pflegeprodukte und Sexpraktiken, die du gerne hättest. Du hast sogar zu fragen, ob du kommen darfst.
Viertens: Solange du nicht aufgefordert wirst, hast du deinen Blick gesenkt zu halten.
Fünftens: Hast du darauf zu achten, dass ich zu jeder Tages- und Nachtzeit an deinem Körper herankomme.
Sechstens: Ist es dir verboten mit anderen zu reden.
Siebtens: Dir ist es verboten, ohne Erlaubnis aus diesem Zimmer oder aus der Wohnung zu gehen.
Achtens: Dir ist es verboten die Elektrogeräte zu benutzen. Handy, Computer oder die Waschmaschine, nichts.
Neuntens: Du wirst nur essen und trinken, was ich dir gebe. Besteck und Geschirr gehören wie Kleidung zum Luxus.
Zehntens: Wenn du auf die Toilette musst, hast du mich, um Erlaubnis zu fragen. Ich hoffe, wir haben uns jetzt endlich verstanden. Schlaf jetzt und sei leise.
Gute Nacht, Sascha!«
Mir war schlecht, die vereinzelten Tränen waren wieder versiegt und ich starrte ihn nur noch an. Mein Herz pochte mir bis zum Hals, meine Atmung war nur noch rasselnd. Nach ewigen Sekunden schloss ich meine Augen, und als ich sie wieder öffnete, blickte ich wie damals, als ich meine Gefühle runterfuhr, auf irgendeinen Punkt an der Wand.
»Gu … te Nach … t … Ma … Ma … Master Cla … ncy«, stotterte ich und wünschte mir, ich würde in Ohnmacht fallen.
Ohne ein weiteres Wort ging er aus dem Zimmer. Egal, wie ich versuchte mich zu richten, die Schellen an meinem Handgelenk und nun auch noch an meinen Fußgelenken schnitten bei jeder Bewegung in mein Fleisch.
Taub waren meine Arme und Beine. Mein Steißbein tat mir höllisch weh und ich drehte meinen Kopf zu dem Fenster mit den violetten Vorhängen. Ich sah, dass der Morgen graute und in der Wohnung, in der ich mich befand, war es ruhig. Für meine Bedürfnisse zu ruhig.
Wie gerne würde ich die Uhrzeit wissen. Vor allem aber würde ich gerne meine Position verändern, die seit mehreren Stunden stetig die Gleiche war. Mein Körper schmerzte höllisch und ich musste auf die Toilette. Ich wusste nicht, wie ich mich zu verhalten hatte. Zumal Clancy mir befohlen hatte, leise zu sein und andererseits könnte ich diverse Wünsche äußern. Zu was gehörten noch einmal natürliche Bedürfnisse, ich konnte mich nicht daran erinnern.
Kurz erschrak ich, als ich seinen Wecker aus dem Nachbarzimmer vernahm. Sein Zimmer müsste also direkt neben meinem liegen. Und ich räusperte mich. Erst leise doch dann wurde ich immer lauter. Langsam konnte ich dem Druck meiner Blase nicht mehr standhalten.
»Ich muss aufs Klo!«, rief ich und schon wurde die Tür geöffnet. Kalte graue Augen blickten mich kopfschüttelnd an. Innerlich zuckte ich zusammen und wiederholte es, nur um einiges leiser. Wieder schüttelte er den Kopf und ich schloss meine Augen. »Heißt das jetzt, dass ich ins Bett pinkeln soll?«, flüsterte ich. Ob er wieder seinen Kopf geschüttelt hatte, wusste ich nicht. Ich vernahm nur, dass er sich auf den Rand des Bettes setzte.
»Schau mich an!«, wies er mich an und ich biss mir kurz auf die Lippen. Ich wollte nicht, doch kamen mir die ziehenden Schmerzen auf meinen Bauch wieder in die Erinnerung und ich schaute ihn an. »Gut! Da du gerade gehorsam warst, gebe ich dir einen Tipp. Regel Zehn!« Und schon spürte ich, seine warme Hand auf meiner Brust, die mich streichelte. Meine Gedanken schwirrten und ich versuchte mich verzweifelt daran zu erinnern, was zum Teufel Regel zehn war. »Hör zu, wenn du es nicht mehr weißt, kann ich dir auch ein Katheder legen, dann erübrigt sich das. Aber dann wirst du Schmerzen haben. Und glaube mir, ich werde, nur weil du zu faul bist, um auf die Toilette zu gehen, nicht auf meinen Spaß verzichten.«
Verdammt, was wollte der von mir? Kräftig schluckte ich und schüttelte verängstigt mit dem Kopf.
»Ich weiß es nicht mehr. Ich muss auf die Toilette. Bitte lassen Sie mich gehen!«, flüsterte ich nur und biss mir sogleich auf die Lippen. Irgendwie spannte sich mein Körper wieder an, als er seine Hand von meiner Brust nahm. Bewegung kam auf und sein übel riechendes Parfüm stieg mir in die Nase, als er sich über mich beugte. Ich hörte es klicken und automatisch blickte ich zu dem Geräusch. Er hatte bei einem Gelenk die Handschelle gelöst und bei dem anderen ließ er sie dran. Damit zog er mich nach oben und ich schrie auf. Nadelstiche oder waren es doch Dolche, die sich durch meine Arme und Oberkörper stießen. Meine Muskeln rissen innerlich und ich verkrampfte mich. Keuchend stieß ich meinen Atem aus und ich spürte, wie er mir über den Rücken streichelte.
»Schsch, es ist gleich vorbei. Mach erst einmal langsam. Du hast dich, seit vielen Stunden nicht mehr bewegt«, murmelte er.
»Ach ja und warum war das so? Du Arsch!«, dachte ich und kämpfte, damit ich nicht weinte. Mein kalter Körper und die eingeschlafenen Muskeln spannten. Ich konnte keine Bewegung machen, ohne dass es irgendwo zog und ich musste umso dringender auf die Toilette.
In der Zwischenzeit hatte er meine Fußgelenke auch von den Schellen gelöst und half mir beim Aufstehen. Meine Beine gaben nach und ich sank in seine Arme. Alles war eingeschlafen und ich hatte kein Gefühl, keine Kraft, um mich selbstständig auf den Beinen halten zu können. Gott, was tat er mir an und ein Schluchzen kam meine Kehle hoch.
Sanft umgriff er mich und führte mich aus dem Zimmer. Das Bad befand sich am anderen Ende der Wohnung, und als ich eintrat, folgte er mir. Er brachte mich zur Toilette und machte keine Anstalten mich alleine zu lassen. Es schien, als ob er meine Gedanken lesen konnte und meinte: »Erst, wenn ich dir vollständig vertrauen kann und du die Regeln beherrscht, werde ich darüber nachdenken, dich alleine in der Wohnung rumlaufen zu lassen. Aber jetzt noch nicht. Ich weiß, wie fit du bist und ich kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass das taube Gefühl bei dir schon nachgelassen hat. Und jetzt mach dein Geschäft. Du hast noch einen langen Weg vor dir und so wenig Zeit.«
Ich setzte mich auf die Toilette und sogleich kam auch die Erleichterung. Viel länger hätte ich es nicht mehr ausgehalten. Und wie sollte es auch anders sein, die ganze Zeit verlangte er von mir, dass ich ihn ansah.
Danach führte er mich zurück in das Zimmer, verfrachtete mich wieder aufs Bett und legte, nur an einer Hand diesmal, die Handschellen an. Dann verließ er mich. Ich hatte etwas mehr Spielraum und konnte auch vom Bett aufstehen, aber weiter als einen kleinen Schritt konnte ich mich nicht davon wegbewegen. Die Kette, die an den Handschellen befestigt war, war zu kurz.
Nun hatte ich die Gelegenheit mich in dem Zimmer umzusehen und sah auch gleich die Wasserflasche, die immer noch auf dem Nachttisch stand. Durst!
Ich kletterte über das Bett und nahm diese, drehte den Deckel ab und er flog mir natürlich aus der Hand. In diesem Moment war es mir egal und ich setzt die Flasche an meinen Mund. Fast die ganze Flasche trank ich aus, und als mein Durst halbwegs gestillt war, stellte ich die Flasche offen zurück. Der Verschluss war außerhalb meiner Reichweite gerollt.
Nach einer Weile roch ich frisch gebrühten Kaffee und kurz darauf kam er mit einem Tablett, wie es mir schien mit Frühstück, zurück. Stellte das Tablett auf das Nachtkästchen und mir wurde es kalt. Er bedachte mich wieder mit diesem Blick und in mir zog sich alles zusammen. Doch dann lächelte er.
»Wo ist der Deckel?«, fragte er mich und ich erschrak leicht.
»Der ist mir aus Versehen aus den Fingern geglitten«, antwortete ich leise und mied es, ihn anzusehen. Irgendwie dämmerte es mir, dass ich ihn nicht ohne Aufforderung ansehen durfte. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er sich zu dem Verschluss beugte, die Flasche zudrehte und dann flog ich nach einem fürchterlichen Schmerz nach hinten. Ich war zu geschockt, um zu registrieren, was gerade geschehen war. Dennoch wusste ich, dass er mir die Wasserflasche ins Gesicht geschlagen hatte. Meine Wange brannte höllisch und er zog mich brutal am Schopf zu sich hoch. Zwang mich so, ihn anzusehen, und er lächelte immer noch. Abwehrend griff ich an seinen Arm und wollte ihn so von mir wegbekommen.
»Sag mal, wie oft soll ich es dir eigentlich noch sagen?« Er zog fester und ich war gezwungen, meinen Kopf weiter nach hinten zu dehnen. Mit der anderen fuhr er über meinen Rücken bis hin zu meinem Hintern. Ich fing zu zappeln an und versuchte mich mit meinem ganzen Körper zu wehren. Er war stärker. Nein, er war nicht stärker. Es war sein Griff. Clancy hatte mich vollständig mit diesem Griff, den er anwendete, an sich fixiert. Ich spürte seine Härte an meinem Bauch reiben und meine Atmung tanzte Cha-Cha-Cha mit meiner Angst. Tränen schossen mir in die Augen, doch das alles hielt ihn nicht ab, mir mit seinem Gesicht immer näherzukommen. Er flüsterte mir ins Ohr.
»Du trinkst, isst, wäschst dich, gehst aufs Klo, cremst dich ein oder besorgst es dir selbst, immer erst dann, wenn ich es dir erlaube, wenn ich es dir befehle und hier die erste Lektion. Frage mich, ob ich dich füttere.«
Seine Atmung kam nur noch stoßweise, seine Augen starrten mich ekelerregend lüstern an. Er drückte sich fester an meinen Bauch und mich schmerzte seine Härte. Ich wollte nicht fragen, ich konnte nicht fragen. Mir blieb alles in der Kehle stecken und nichts wollte raus. Ich spürte, wie seine Hand, die auf meinen Hintern lag, langsam noch vorne wanderte.
Vergebens versuchte ich den Kopf zu schütteln, ging nicht und er umgriff mich. Rieb auf und ab und knetete mich ab und zu.
Nur zu einem krächzenden »Nicht!«, war ich imstande und spürte, wie meine Kraft nachließ. Ich atmete im Takt mit meinem schlagenden Herzen. Verstand nicht, warum mein Körper mit totaler Wucht auf seine Berührung reagierte. Ich hing nur noch in seinen Armen. Meine Tränen kullerten mir bis zu den Ohren und ein Schauer durchlief meinen Körper.
Sein Griff wurde lockerer und ich sank aufs Bett zurück. Zitternd rollte ich mich wie ein Embryo zusammen. Dem nicht genug, löste er mich von der einen Handschelle, schob meine Arme hinter meinen Rücken und fesselte sie wieder. Ich bekam von alldem nicht viel mit. Mein Verstand war in die verschiedenen Facetten des Graus versunken.
Clancy hatte mich berührt. Meinen Körper ausgenutzt, gewusst, wie er mich zu berühren hatte, damit ich … ich … ich habe es zugelassen … ich hatte mich nicht gewehrt. Er hatte mich berührt. Er hatte diese Gefühle, die ich nur für Kyel empfinden wollte, hervorgerufen …
»Setzt dich auf!«, herrschte er mich an und ich kam in die Realität zurück.
Langsam drang auch sein Befehl zu mir durch, und ich versuchte, mich aufzusetzen. Ging nicht. Ich konnte meine Beine nicht so bewegen, wie ich wollte, geschweige denn, ausstrecken. Ich blickte an mir hinab und sah, dass er mir irgendetwas um den Bauch geschnallt hatte, von dem auf jeder Seite Ketten zu den Schellen an meinen Fußgelenken führten.
Er half mir, und als ich richtig saß, betrachtete er sein Kunstwerk. Ich mied es immer noch, ihn anzusehen.
»Nun zu deiner Lektion. Weißt du, warum ich dich mit der Flasche geschlagen habe?«, fragte er mich und ich schüttelte den Kopf. Ich hörte, wie er schnaubte und sich neben mir aufs Bett setzte. »Sascha, ich sage es jetzt zum letzten Mal. Ich frage dich, du antwortest und schüttelst nicht nur den Kopf.« Ein kurzer Moment verstrich, bis ich meine Stimme wieder fand.
»Nein, ich weiß es nicht … Master Clancy.«
»Ich erkläre es dir jetzt noch einmal …!«, sagte er und fing an die Regeln noch einmal zu rezitieren.
Tief atmete ich ein, als ich verstand, was er von mir wollte. Das letzte Mal hatte ich so gut wie gar nichts mitbekommen.
»Es tut mir leid … Master Clancy!«, murmelte ich, als er fertig war.
»Schon gut und jetzt, kannst du mir wenigstens jetzt sagen, warum ich dich so wunderschön hingesetzt habe?«, hauchte er und ich spürte seinen Blick zwischen meine angezogenen, aufgestellten und weit auseinandergesetzten Beine.
»Ich glaube, weil ich Sie nicht gebeten habe, mich zu füttern.«
»Ist ein Grund mit, ja. Ich erkläre es dir. Du hast einfach anzunehmen, was ich dir gebe und dich danach zu bedanken.« Mir viel es wie Schuppen von den Augen.
»Sie haben mich gefesselt, weil ich mich nicht bedankt habe, als ich den … Orgas … mus hatte und weil ich einfach getrunken habe, ohne Sie vorher zu fragen … zu erbitten …!« Mir war schlecht und mein Magen knurrte auf einmal los.
»Du hast es erfasst«, meinte er und hielt mir ein Toast mit etwas Marmelade unter die Nase. Ich war schon gewillt reinzubeißen und mein Mund zuckte.
»Hast du Hunger?«
»Ja, ich habe Hunger. Bitte füttern Sie mich … Master Clancy.«
»Du darfst ein Stück abbeißen.« Ich tat es und spürte, wie tief in mir meine Seele zu schluchzen anfing, mir dies bis zum Herzen zog und weiter zu meiner Kehle. Meine Tränen flossen schlimmer als ein Wasserfall und ich tat es. Ich ließ mich von ihm füttern.
Ich konnte es kaum noch erwarten. Heute war mein Geburtstag und ich fragte mich die ganze Zeit, ob er kommen würde. Aiden. Was für ein Name. Ich murmelte ihn, ich summte ihn, ich schrie ihn in meinen Gedanken laut heraus. Und immer hüpfte mein Herz hoch in meinen Kopf, um dort pochend noch einmal einen Salto zu schlagen.
Am Freitag hatte ich ihn eingeladen und seitdem saß ich auf glühenden Kohlen. Ich hatte noch immer keine Absage geschweige denn eine Zusage von ihm erhalten. Schwitzig waren meine Hände und es war gar kein Ausdruck, wie aufgekratzt ich war. So nervös war ich noch nie und wieder legte ich meine Klamotten, die ich mir rausgesucht hatte, beiseite und stöberte von Neuem meinen Schrank durch. Ich fand einfach nichts Passendes und fluchte, dass Sonntag war und alle Modegeschäfte geschlossen hatten.
Wie ein Lichtblitz durchschoss es mich und ich rannte in die Küche.
»Raoul, ist Raoul hier?!«, rief ich schon von Weitem und er erschien an der Tür.
»Schätzchen, was ist denn?«, fragte er mich und nahm mein Gesicht in die Hände. »Du bist ja völlig durcheinander!«, hauchte er und ich kicherte los. Durcheinander war kein Ausdruck. Er lächelte mich verständig an und wartete, bis mein Anfall vorbei war.
»Raoul, ich brauche deine Hilfe.«
»Ah und wobei brauchst du meine Hilfe, Schätzchen?«, meinte er und ging einen Schritt von mir weg.
»Du musst mir helfen, die richtigen Klamotten zu finden …!«, rief ich, packte seine Hand und zog ihn zu meinem Zimmer. Er trat ein und gab ein überraschendes Glucksen oder was es auch sein sollte, von sich. Unwirsch blickte er sich um und tippte mit dem Zeigefinger an seine Lippen. Verlegen grinste ich in mich hinein und eine leise Entschuldigung huschte mir raus. » … aber wie du siehst, brauche ich wirklich deine Hilfe. Heute sehe ich ihn wieder und … und ich habe absolut keine Ahnung, was ich anziehen soll.«
»Du siehst ihn wieder?«, fragte Raoul mich und seine Tonlage war wie die eines Schleifsteins. Nebenbei hob er einige Klamotten vom Boden hoch und betrachtete sie. Ich nickte und grinste schlimmer als ein Honigkuchenpferd.
»Ja, Ihn …, Aiden.«
»Aiden?!«, wiederholte er den Namen und sein gedämpfter Ausdruck, woraus ich schließen konnte, dass er an David gedacht hatte, verflog wie nie aufgekommener Nebel.
»Ja, Aiden, er ist so …!«
»Wow?« Ich nickte.
»Er ist der totale …!«
»Wahnsinn?« Wieder nickte ich.
»Er ist so ganz anders als …!«
»David?« Nun blickte ich ihn an und er schmunzelte. »Tschuldige, ist eine Gewohnheit von mir«, meinte er und beförderte mich auf einen Stuhl. Sofort fing er an, in meinen noch nassen Haaren rumzuwuscheln. Meinen Kopf hin und her zu drehen und mir nebenbei Klamotten vor den Körper zu halten.
Hin und wieder vernahm ich, als er mich schminkte und meine Haare frisierte, ein »Hmm« oder »Noch nicht ganz« oder »Etwas fehlt noch«. Aber als er mich anwies, den Zweiteiler, den er mir entgegenhielt, anzuziehen, wusste ich, dass er sich bestimmt wieder selbst übertroffen hatte.
Langsam drehte ich mich in die Richtung des Spiegels, in den er mir verboten hatte zu schauen, bis er fertig war, und kam aus dem Staunen nicht mehr raus, als ich mich sah.
»Perfekt!«, jubelte ich und fiel ihm um den Hals.
»Schon gut, Schätzchen und jetzt lass deinen Angebeteten nicht so lange warten«, flötete er und grinste mir hinterher, als ich ihm zuwinkte.
Wie auf Kohlen stand ich in an der Wand, immer darauf bedacht, die Tür im Blickfeld zu haben. Hin und wieder unterhielt ich mich mit meinen Gästen und nahm Glückwünsche entgegen.
Sue Nick-Freim zog wie immer alle Aufmerksamkeit auf sich. Umso besser, so konnte ich mich verstärkt auf die Tür konzentrieren.
Hin und wieder wanderte mein Blick auf die Armbanduhr, die mir Raoul noch mitgegeben hatte und der Minutenzeiger war wieder um einen Strich weitergezogen. Dann schnaufte ich langsam ein.
Seit über 15 Minuten stand ich schon, wie ein Volltrottel, an der Wand und wartete auf jemanden, der wahrscheinlich nie kommen würde.
Ich stieß mich ab und ging an das reich verzierte Buffet. Alles wurde angeboten, von Shrimps bis hin zu … äh, Kaviar. Isst man so was in der gehobenen Gesellschaft? Ich konnte es gar nicht glauben, wendete mich leicht angewidert vom Tisch ab und ertappte mich dabei, wie ich wieder verstohlen zur Tür blickte.
Aiden. Er würde nicht kommen. Wäre auch zu schön, um wahr zu sein, dass ich einen Jungen bekommen würde, der sich nicht ständig die Finger nach mir ableckte, mich mit Liebesbriefen überhäufte und mich mit billigen Anmachen zu überreden versuchte.
Ich schenkte mir etwas Bowle ein und nippte gerade, als neben mir ein leises »Hallo«, mit diesem besonderen Timbre in der Stimme, erklang. Aiden! Meine Härchen stellten sich sofort auf und Gänsehaut überzog meinen Körper.
Leicht erschrocken verschluckte ich mich etwas an der Bowle und drehte mich zu ihm um. Ich spürte, wie ein Lächeln meine Mundwinkel nach oben zog und meine Temperatur über den Siedepunkt stieg.
»Hi!«, flüsterte ich und konnte es nicht glauben, dass er wirklich gekommen war.
Gerade als ich die Hoffnung aufgegeben hatte, erschien er.
Aiden.
Es war der schönste Geburtstag meines bisherigen Lebens. Dass Aiden tanzen konnte, hatte er mir schon auf dem Konzert bewiesen. Aber dass er wirklich mich mit Adleraugen bedachte, war der Himmel auf Erden. ›Ja Aiden, ich will immer bei dir bleiben.‹
Da Aiden noch ein paar Tage »Urlaub« hatte, verabredeten wir uns für den nächsten Tag. Leider verging dieser viel zu schnell und ich wollte mich nicht von ihm losreißen, als er mich heimgefahren hatte.
»Also hier wohnst du?«, fragte er mich leicht verblüfft und ich nickte.
»Nicht sehr lange. Eigentlich erst seit letzter Woche.«
»Wow, deine Eltern müssen reich sein …!« Ich schüttelte den Kopf.
»Nein, diese Villa gehört Kyel, dem Freund meines Bruders.«
»Und er lässt euch einfach bei sich wohnen?« Ich zuckte mit den Schultern und bemerkte, dass die Tür sich öffnete. Meine Mutter trat raus, und als ich sie sah, erschrak ich. Sie war blass und hatte verheulte Augen.
»Herr Gott, was hatte Dad jetzt schon wieder angestellt?«, fragte ich mich und mein Zorn auf ihn wuchs wieder weiter an. Sie bedeutete mir, dass ich reingehen sollte. Kurz wandte ich mich wieder Aiden zu, gab ihm noch einen Hauch von einem Kuss auf seine wunderbaren Lippen und verabschiedete mich, aber ohne mit ihm wieder ein Date für den nächsten Tag auszumachen.
Ich blickte ihm noch so lange hinterher, bis er die Ausfahrt erreicht hatte, und ging anschließend rein. Ich war so glücklich und wollte es mir, mit dem Ärger von Mom und Dad, nicht trüben lassen.
Also sprudelte alles sofort aus mir heraus. Kurz lächelte sie und nickte, doch dann nahm sie mich in die Arme und was ich dann zu hören bekam, war schlimmer als alles Übel auf der Welt.
»Warum? Warum mein Bruder? Er tut doch niemanden etwas …!«, keuchte ich und dann ließ ich alles heraus.
Hemmungslos weinte ich und nicht einmal der starke, brennende Schnaps den Kyel mir gab, brachte Linderung.
Inzwischen war schon fast eine Woche vergangen und von Sascha fehlte immer noch jegliche Spur.
Trauer hing über der gesamten Villa. Die Polizisten, von denen ich die meisten schon mit Namen kannte, gingen und kamen. Raoul hatte sein Geschäft seinen Angestellten überlassen und wohnte in der Zeit bei Kyel. Ich musste sagen, er war der ruhige Pol, der es immer irgendwie schaffte, Kyel zu beruhigen. Emily tat auch ihr Bestes und überließ John die meiste Zeit seinem Paten. Mom, sofern sie nicht arbeiten musste und ich, sofern ich Zeit hatte, versuchten auch Kyel auf andere Gedanken zu bekommen, aber meistens endete es damit, dass er sich einen komatösen Rausch antrank.
Ich fühlte mich hier in dieser Villa fehl am Platz.
Als ich aus dem Polizeirevier heraus war, musste ich mich erst einmal mit einer Zigarette beruhigen. Wie erwartet, nahm Markus alles mit einem ›Leck mich am Arsch‹ Gefühl auf. Langsam fragte ich mich wirklich, was ich in ihm gesehen hatte. Wie konnte ich fast 20 Jahre meines Lebens mit ihm verschwenden?
Während ich so darüber nachdachte, wurde es mir immer unbegreiflicher, wieso ich bei ihm geblieben war. Warum hatte ich mich so behandeln lassen, wie einen Gegenstand, der einfach immer da war und genommen wurde, wenn man ihn brauchte. Hatte ich wirklich geglaubt, er wäre der Mann fürs Leben? Meine andere Hälfte? War ich wirklich davon überzeugt gewesen, dass sich alles zum Guten wenden würde, wenn er mit seinem Alkoholkonsum aufhörte?
Lange Gespräche hatten wir geführt. Mit Partnerbetreuung und verschiedenen Psychologen. Wir saßen oft nächtelang im Bett und sprachen über uns. Über die Kinder, über seine Sucht und über meinen Fehltritt. Was hatte es am Ende gebracht? Nichts.
Markus konnte es mir bis heute nicht verzeihen, dass ich fremdgegangen war. Aber ich musste seine Ausraster mir gegenüber immer wieder verzeihen. Wie oft hatte er mir versprochen, dass es nie wieder vorkommen würde. Ich hatte mit dem Zählen aufgehört und das Verzeihen wurde zur Tagesordnung.
Die Zigarettenkippe schmiss ich weg und blickte auf meine Armbanduhr. Ich hatte noch eine halbe Stunde Zeit bis Schichtbeginn.
Eigentlich wollte ich daheimbleiben und auf Sascha warten. Aber die ganzen Polizisten und anderen Beamten ließen mir Schauer über den Rücken laufen und schafften es, dass ich mich noch unruhiger fühlte. Fühlen musste. Sicherlich war das nur eine verrückte Einbildung von mir. Den Polizisten war bestimmt nicht geholfen, wenn ich alle fünf Minuten fragen würde, ob es etwas Neues gab.
Kyel ging ja auch in seine Firma, und auch wenn ich ihn nur wenige Tage kannte, also persönlich kannte, gefiel mir sein Gemütszustand immer weniger. Er war aggressiv, brauchte in der Früh ewig lang, um aus dem Bett zu kommen, oder war schon Stunden, bevor der Morgen graute auf den Beinen. In den ersten Tagen beteiligte er sich immer noch an irgendwelchen Gesprächen, doch das hatte auch nachgelassen. Es sah so aus, als ob er aus seinem eigenen Haus flüchten würde. Als ob er resignierte und sich mit seinen dunklen Gedanken auseinandersetzte.
War ja verständlich. Die ganze Situation rieb einem den Nerv auf. Mir erging es nicht anders und so hart es auch klingen musste, bei der Arbeit konnte ich etwas abschalten. Wenn auch nur ein bisschen, aber vielleicht bildete ich mir das ja auch nur ein.
Wie immer ging ich ins Krankenhaus und wie immer nahm ich mir den Tagesplan zur Hand. Laut Plan hatten wir nur einige Entlassungen und eine kleine interne Willkommensparty für den neuen Arzt. Dr. Lenard Marker. Eine Augenweide. Sein herbes Parfüm unterstrich sein elegantes und markantes Äußeres. Dunkles, etwas längeres Haar, strahlende Augen in einem Zwischending von Braun und Blau. Sein Blick intensiv und zurückhaltend, wissend. Ich schätzte, bei ihm konnte man das Sprichwort »Reden ist Silber und Schweigen ist Gold« anwenden.
Es reichte schon in seine Augen zu schauen, seinen Blick in mich aufzunehmen, und ich kam auf andere Gedanken. Die Trüben verschwanden und in seiner Nähe hatte ich das Gefühl, auf irgendeine Weise geborgen und gut aufgehoben zu sein.
Ich schaute in den Tagesplan und schenkte mir wie üblich einen Kaffee ein. Marion, unsere Praktikantin hatte es doch irgendwie geschafft, im neuen Quartal, eine Anstellung hier im Krankenhaus zu bekommen. Obwohl ich immer noch der Meinung war, dass dies nicht der richtige Job für sie sei. Aber sie meinte, sie wolle keine Krankenschwester bleiben, sondern noch eine Ausbildung zur Hebamme machen. Mir egal, war ihr Ding. Ich hatte mich für sie mit eingesetzt, weil sie dennoch ihre Arbeiten sorgsam erledigte. Ich schnaufte und lauschte wieder den Gesprächen.
Ich fragte mich, wann es den Damen zu dumm wurde, schwärmerisch über den neuen Arzt zu reden. Ich schmunzelte in mich hinein, laut der Besprechung, in der nur die Ärzte und die Stationsschwestern anwesend sein durften, würde Dr. Lenard Marker unser neuer Stationsarzt. Denen würden die Augen übergehen und rückwärts rausfallen.
»Auf ein Wort!«, sprach mich eine tiefe, wohlklingende und gleichzeitig herausfordernde Stimme an. Sie gehörte Lenard und war harmonisch mit einem Timbre, das tief in die Seele eindrang. Ich musste mir eingestehen, dass mich dieser freundliche, charmante Mann in seinen Bann zog und mich aus meinen eigenen wirren und traurigen Gedanken riss. Auch wenn ich es, während der Arbeit, versuchte, Saschas Verbleib zu verdrängen, drang es dennoch stetig immer in mir hoch. Eine Träne kullerte mir die Wange runter, die ich verstohlen wegwischte, bevor ich zu ihm hochblickte.
Kurz bemerkte ich, wie er seine Augenbrauen verzog und ich bereitete mich schon seelisch darauf vor, irgendeine Frage, die ich vermeiden wollte, beantworten zu müssen. Er schwieg und ich war, in gewisser Weise, sehr erleichtert. Noch wusste niemand, dass mein Sohn Sascha verschwunden war.
Langsam stand ich auf und richtete mein Oberteil, das mir etwas zu weit geworden war. Ich hatte abgenommen, nicht viel aber es reichte schon, um mir neue Klamotten kaufen zu müssen.
Janet, die Mutter von Kyel hatte mich letzten Freitag zu einer Shoppingtour mitgenommen und ich bewunderte ihren Elan. Ich hätte schon lange die Segel gestrichen und wäre unverrichteter Dinge nach Hause gegangen, nur um wieder vor meinem Kleiderschrank zu stehen und nicht zu wissen, was ich anziehen sollte. Viele Kleider und Hosen waren darin verstaut, doch die meisten waren älter als zwanzig Jahre. Sicherlich wurde immer wieder die alte Mode modern, sodass der Schnitt dieser Jeans, die älter als meine Kinder war, wieder in Mode war.
Mit einigen Schritten Abstand folgte ich dem Arzt und er führte mich in das Schwesternzimmer. Umsehen brauchte ich mich nicht, um diese Zeit war niemand dort anwesend und Dr. Marker drehte sich zu mir um. Für mein Befinden benahm er sich etwas unschlüssig und zurückhaltend, wenn nicht sogar schüchtern. So ganz anders, als sein normales, gewissenhaftes und geschäftliches Auftreten, das ich so an ihm bewunderte. Es gab nicht viele Ärzte, die sich voll und ganz für ihre Patienten einsetzten. Er war einfühlsamer und hatte immer Zeit, sich um die Belange der Menschen zu kümmern. Den Älteren zuzuhören oder sogar mit ihnen zu lachen.
»Miss Fleischhauer …!« Miss? Moment! War das nicht die Bezeichnung für eine unverheiratete Frau? Hatte er mich jemals mit Miss angesprochen oder hatte ich das immer überhört.
»Miss?«, fragte ich flüsternd nach und er legte seinen Kopf etwas schief.
»Sind Sie etwa keine Miss?« Ganz leicht geschockt, als mir bewusst wurde, dass er mich gehört hatte, zuckte ich zusammen. Vage schüttelte ich den Kopf, sah dann, wie seine Gesichtszüge ihm entglitten und seine wunderbaren Augen einen traurigen Ausdruck annahmen.
»Oh, ich bitte um Verzeihung. Ich dachte, Sie sind nicht verheiratet.« Verstohlen blickte er auf meine Hände und mir wurde bewusst, dass ich während der Arbeitszeit nie meinen Ehering trug.
»Scheiße«, durchfuhr es mich. Da sprach mich so ein Typ von einem Mann an, in so einer verzwickten und verkackten Situation und ich hatte nichts Besseres zu tun, als ihn anzustarren.
Plötzlich kam er auf mich zu und strich mir über das Gesicht. Ich erschrak fürchterlich und es gab mir den Rest, als ich seinen Blick sah. Er war traurig, verzweifelt.
»Es tut mir leid, wenn ich Sie geschockt habe. Ich Sie … zum Weinen gebracht habe. Es ist unverzeihlich«, flüsterte er. Was?
›Nein … nein … es ist nur … ich kann nicht … ich mein … ich will, ja … ich … Herr Gott, ich weiß nicht, was ich will‹, stammelte ich in Gedanken.
Leicht schüttelte ich den Kopf und unverhofft formten meine Lippen diese Worte.
»Sascha ist verschwunden …!« Er trat einen Schritt zurück und nun wusste er überhaupt nicht mehr, wie er sich mir gegenüber verhalten sollte.
»So, Ihr Mann ist verschwunden!« Wieder schüttelte ich den Kopf und spürte sogar, dass mir meine Tränen nur so über die Wangen liefen.
»Sascha ist mein Sohn … Mein Mann sitzt im Gefängnis. Er hat versucht mich zu töten … Kyel Kastner wohnen wir. Sarah …!« Keine Ahnung, was ich alles von mir gegeben hatte und ich bekam nicht einmal mehr mit, wie ich auf dem Stuhl, auf den ich mich gesetzt hatte, zusammensank und er mich in die Arme nahm.
Hemmungslos weinte ich mich an seiner Schulter aus. Ich hatte einfach keine Kraft mehr, irgendwann führte er mich zum Auto und nahm sich die Freiheit, mich nach Hause zu fahren.
Ich saß am Küchentisch und beobachtete Kyel, wie er vom Fenster zur Kaffeemaschine ging, sich hinsetzte, wieder aufstand und die gleiche Tour stetig wiederholte.
»Also, habe ich jetzt alles richtig verstanden?«, riss mich Dr. Marker aus meiner stummen Beobachtung von Kyel heraus, der durch sein hin und her Laufen mein aufgewühltes Inneres nicht beruhigen konnte, eher das Gegenteil war der Fall.
Emily nickte ihm zu und fütterte ihren kleinen John.
»Ja, Sascha, der entführt worden ist, ist der Lebensgefährte von Kyel. Mr. Fleischhauer sitzt in U-Haft, wegen versuchten Mordes und Veruntreuung und wir, die Polizei, die SPA-Agenten, Anthony und ich sind auf der Suche nach ihm.«
»Wie lange, ist Sascha schon …!«
»Vier Tage …!«, sagte ich und sah wie Kyel, der die ganze Zeit geschwiegen hatte, aus der Küche ging.
»Und Mr. Kastner ist der Geschäftsführer von Kastner Import Export?« Alle nickten.
Vor allem aber lichtete sich mein Nebel und ich hätte mich am liebsten in ein Mäuseloch verkrochen. Ich schüttete einem wildfremden Mann mein Herz aus und brachte ihn hierher. Ich fasste es nicht und schaute mich in der Runde um. Irgendwie schien es niemanden etwas auszumachen, dass noch ein Mensch davon erfahren hatte. Dennoch wurde es mir nicht leichter ums Herz. Ich hatte das Gefühl, dass dies alles nur der Anfang sei und Gott uns auf eine harte und schreckliche Probe stellte.
Sanft, er war sanft. Nigel wusste, wie er mich anzufassen hatte und seine Berührung verursachte in mir liebliche elektrische Schläge, die sich zwischen meinen Schenkel an einem Punkt sammelten. Leise stöhnte ich auf. Darauf bedacht, nicht zu laut zu sein.
Um diese Zeit, machten meine Kinder ihre Hausaufgaben und Sarah übte die Aufgaben, die ihr Nigel Clancy aufgetragen hatte.
Ich hörte sie fluchen und biss mir auf die Lippen. Seine Zunge trieb mich in den Wahnsinn und es dauerte nicht allzu lange, bis ich explodierte.
Nicht genug. Fordernd schob er seinen Finger in mich hinein und brauchte nur wenige sanfte Bewegungen um mich wieder heiß werden zu lassen. Wie immer gluckste er auf und nahm seinen Finger aus mir heraus. Hielt ihn mir an den Mund und ich leckte meinen eigenen Saft ab.
»Oh Loren, du bist so gut. Warum unterdrückst du deine Gefühle. Ich will dich hören …«, flüsterte er mir ins Ohr und als Bestätigung drang er mit ganzer Kraft in mich ein.
Scharf sog ich die Luft ein und ein etwas lauteres Keuchen drang aus meiner Kehle.
»Komm, du kannst es besser«, murmelte er an meinem Hals und stieß kräftiger. »Du bist wahnsinnig eng. Ungewöhnlich für eine Frau, die schon Kinder geboren hat.« Ich wurde lauter und am Ende konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Er bescherte mir ein Gefühl, das ich noch nie erlebt hatte. Mit seinen sanften und brutalen Stößen brachte er meinen Körper dazu, sich in Orgasmen hinzugeben.
»Mama ist mit dir alles in Ordnung …!«, hörte ich Sarah fragend ins Schlafzimmer kommen.
Schweißgebadet wachte ich auf und fuhr mir mit der Hand über meine Stirn. Ich hatte es vergessen. Sarah hatte uns erwischt und in mir brach eine Welt zusammen. Meine kleine scheinheilige Welt. Dennoch war dies der Anstoß, um mich zu verändern. Lange hatte es gedauert, viel Schmerz musste ich noch ertragen und nun saß ich in meinem Bett und der Schmerz schien mich zu überrennen.
Ich hatte viele Fehler in meinem Leben gemacht, welche die in der dunklen Vergangenheit lagen und nie wieder ausgegraben werden dürften. Und doch überwältigte mich gerade so ein Teil meiner dunklen Vergangenheit und ich fragte mich, was wäre gewesen, wenn ich Nigel nicht in mein Bett gelassen hätte.
Aber ich war eine Frau und als solche hatte ich auch diverse Bedürfnisse, die mein Mann nicht befriedigte. Schon gar nicht in der Zeit, wo er sich seiner Flasche zugewandt hatte und mich links liegen ließ.
Geschlagen liegen ließ und manchmal sogar vergewaltigt.
Markus hatte es nie als eine Vergewaltigung angesehen, sondern als meine eheliche Pflicht.
Nun fragt ihr euch bestimmt, warum ich mich in die Arme eines fremden Mannes flüchtete. Die Frage war einfach zu beantworten. Ich hatte Geborgenheit gesucht und sie bei Nigel Clancy gefunden.
Nun fragte ich mich schließlich, als die Erinnerungen durch einen Traum emporkamen, was ich in diesem Mann gesehen hatte. Seine Augen, dieses starre Grau war unheimlich und es schüttelte mich innerlich.
Dennoch fehlte etwas, etwas Ausschlaggebendes, das ich, wie so vieles, verdrängt hatte. Selbst den Schmerz und die Demütigung während der Vergewaltigung hatte ich vergessen. Ich wusste nur noch, dass es drei Männer waren, aber wie sie aussahen oder was sie anhatten, daran erinnerte ich mich nicht mehr.
Nachdem Clancy mich gefüttert und mit seiner Lektion ziemlich fertig gemacht hatte, saß ich immer noch in dieser Position auf dem Bett. Mir war es unmöglich mich zu rühren. Nicht nur, weil ich gefesselt war, - auch so könnte ich mich einfach auf die Seite fallen lassen und mich auf dem Bett zusammenrollen -, sondern, weil er es mir verboten hatte und meine Angst mir mehr denn je in den Knochen steckte.
Meinen Kopf hielt ich gesenkt und hatte somit einen freien Blick auf meinen Intimbereich. Ich folgte den getrockneten Spuren auf meinem Bauch, die nicht nur aus Tränen bestanden. Keine Ahnung, wie spät es war, aber in der Wohnung war es ruhig. Ich hörte keine Tür, die geschlossen wurde oder sonst irgendein typisches Geräusch, das mir mitteilte, dass jemand hier wäre. Mein inneres Zeitgefühl war auch verschwunden und welcher Tag es war, wusste ich auch nicht. Ich schloss meine Augen, denn der Anblick meines Schwanzes machte mich krank, mehr als wenn Clancy damit spielen würde. Seine Berührung drang in mir hoch. Egal, wie sehr ich versuchte, diese Erinnerung zu verdrängen, sie war in meinem Körper verankert. Mein Freund reagierte darauf und ich schüttelte den Kopf. Ich war erregt, mehr als das, ich war geil und hatte keine Hoffnung auf Erlösung.
»Willst du mehr?«, hauchte er mir entgegen, nachdem ich den ersten Bissen runtergeschluckt hatte. Ich nickte, denn ich hatte wirklich Hunger. Clancy hielt mir den Toast so weit vom Mund weg, dass ich nicht herankam.
»Ja … bitte … Master Clancy«, flüsterte ich, doch anstatt mir den nächsten Bissen zu gönnen, fing er an, mich an der Innenseite meiner Schenkel zu streicheln. Von meinem Knie bis zu meiner Mitte. Kurz hielt er inne und schlug zu. Ich zuckte zusammen und unterdrückte einen Aufschrei. Gleich darauf folgte der Nächste und automatisch drückte ich meine Beine zusammen, so weit es mir möglich war. Er dehnte sie wieder auseinander und fing das Streicheln von Neuem an und gleich kam der nächste Schlag. Diesmal schrie ich auf und meine Tränen quollen hervor. Immer wieder wiederholte er dieses Spiel und je öfters er über meine Innenschenkel strich, umso mehr, reagierte mein Körper darauf. Ich bettelte und flehte, er möge aufhören. Er schüttelte nur den Kopf. Herr Gott, was hatte ich wieder falsch gemacht?
»Dir scheint es zu gefallen! Schön zu wissen, dass dich Schmerz anmacht«, säuselte er.
»Bitte aufhören, ich kann nicht mehr …!«
»Was? Bist du kurz vorm Kommen?« Ich schüttelte den Kopf und doch musste ich es mir eingestehen. Das Abwechseln von Streicheln und Schlagen, darauf reagierte mein Körper ungewöhnlich.
Ich verstand es nicht und er hörte abrupt auf. »Du darfst nicht kommen. Immerhin sind wir hier beim Essen …!«
»Bitte … was habe ich falsch gemacht … Master Cl …?«, stotterte ich flüsternd und er lachte auf.
»Du hast vergessen, dich zu bedanken und das schon ein paar Mal hintereinander«, meinte er, und wieder fing er an, meine Innenseite zu streicheln.
»Danke, Master Clancy«, sagte ich hastig und er hörte auf.
»Möchtest du noch mehr essen?«
»Ich bitte darum … Master Clancy …!« Er ließ mich wieder abbeißen. Ich kaute und schluckte es runter. Er wartete.
»Danke … Master Clancy!« Wieder fragte er mich und ich bat und bedankte mich, immer und immer wieder. Das Gleiche erlebte ich mit dem Kaffee, der inzwischen schon kalt geworden war. Er fragte, ich antwortete, nicht fähig ›Nein‹ zu sagen, denn von kaltem Kaffee wurde mir immer schlecht. Obwohl es in dieser Situation wohl nichts ausmachte, weil mir sowieso schon übel genug war.
Irgendwann ließ er mich alleine, doch kurz darauf kam er wieder zurück. Angst keimte wieder hoch, ich zitterte und meine Übelkeit stieg ins Unermessliche an.
»Da du so schön brav warst …!«, fing er an und ich zuckte zusammen. Seine Stimme war schlimmer, als tausend Nadelstiche, die sich unaufhörlich, immer weiter in mein Herz bohrten. » … werde ich dich jetzt belohnen. Willst du belohnt werden?« Ich reagierte nicht darauf und wieder formte mein Verstand das Wort »Nein«. »Schau mich an!«, befahl er und ich gehorchte. »Du hast so wunderschöne Augen!« Er setzte sich neben mich auf das Bett. Ich will diese Wörter nicht hören. Nicht aus seinem Mund. Nicht von ihm.
»W… was ist die Belohnung … Master Clancy?«, stotterte ich mehr die Frage und er lächelte.
»Das wirst du schon noch herausfinden!«, meinte er und sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Ich wollte von ihm nichts, gar nichts. Ich wollte raus. Zu Kyel, zu meiner Familie und doch hatte ich das unangenehme Gefühl, dass er sich mit einem »Nein« nicht zufriedengeben würde.
»Ja … ich möchte belohnt werden … Master Clancy«, wie ich dieses Master Clancy hasste. Selbst diese Ansprache würgte mir die Galle hoch. Er stand auf und ging um das Bett. Wie er mir befohlen hatte, wagte ich es nicht meinen Blick von ihm zu nehmen und folgte ihm. Er ging zu dem Nachtkästchen, wo die Flasche immer noch stand, zog eine Schublade hervor und holte eine Tube heraus. Gott, nein … ich erkannte diese Tube. Es war die Gleiche, wie auf dem einem Foto, welches er mir einmal geschickt hatte und mein Zittern wurde stärker.
Es konnte nicht sein, das durfte einfach nicht sein. Er würde doch nicht … nein, kein Sex. Ich wollte absolut keinen Geschlechtsverkehr mit ihm.
Ich schüttelte den Kopf und meine Lippen formten das Wort, dieses eine einzige Wort, was stetig in meinem Kopf hauste. Nein … nein … und irgendwann fand ich meine Stimme und krächzte »Nein!« Er blickte auf und ich sah in seinem Blick, dass ihm das nicht in den Kram passte oder doch? Dann lächelte er wieder.
»Och, Sascha, du hast mich darum gebeten, dass ich dich belohne und jetzt willst du nicht mehr? Was für ein böser Junge …«, sagte er und legte die Tube wieder zurück. Ich hatte das Gefühl, dass er genau darauf spekuliert hatte, denn er hatte einen Ausdruck in seinem Gesicht, der in mir etwas auslöste, was mit Gänsehaut nicht mehr zu beschreiben war. Ich empfand panische Angst.
Langsam kam er auf mich zu, streckte seinen Arm aus und fing an, seine Finger über meinen ganzen Körper gleiten zu lassen. Nebenbei flüsterte er immer wieder, was für ein böser Junge ich war.
Mit der anderen Hand griff er mir in den Nacken und sein Kopf kam mir immer näher. Automatisch drückte ich mich weiter von ihm weg, was mir nicht gelang. Sein Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt und ich roch seinen süßlichen Atem, Kaffee und Wurst. Ich roch alles, was er selbst gegessen oder getrunken hatte. Und dann spürte ich seine rauen Lippen, seine Zunge, wie sie bohrend Einlass wollte. Kurz öffnete ich meinen Mund und erwischte ein Stück von seiner Lippe, biss rein und warf meinen Kopf nach hinten. Mein Atem überschlug sich, mein Herz setzte aus, um dann seine Schläge auf das Dreifache zu erhöhen. Es war ein Fehler, ein sehr großer Fehler, ich wusste es und doch kam es einfach über mich. Es war purer Selbsterhaltungstrieb, der mit mir durchging und Clancy ließ von mir ab.
Ich blickte in sein Gesicht, in seine Augen und er lachte laut los. Ja, es schien, als ob es ihm gefallen hatte, mehr noch. Er hatte buchstäblich darauf gewartet, so kam es mir vor.
Clancy stand vom Bett auf, ging zu der Kommode, in der das Lineal lag, und kam mit etwas zurück. Es war nicht das Lineal, es war etwas anderes. Bei näherem Hinschauen erkannte ich es. Eine Kerze?
Der widerliche eiserne Geschmack von seinem Blut breitete sich in meinem Mund aus und ich spuckte etwas Speichel aus. Er leckte sich über seine Lippen und betrachtete mit voller Inbrunst die rote Kerze.
»Du machst mich so was von heiß …!«, murmelte er und kam mir wieder zu nah. » … ich werde dich jetzt wegen deiner Aufmüpfigkeit bestrafen.« Er kramte in seiner Hosentasche und holte ein Feuerzeug hervor, mit dem er die Kerze anzündete. Wie weggetreten betrachtete er das Züngeln der erwachten Flamme und fördert mit geübten Bewegungen mehr Wachs.
»Was will er mit der Kerze? Will er mich verbrennen?«, huschte dieser und noch viele andere Gedanken durch mich durch. Mein sowieso schon erhöhtes Adrenalin schoss mir durch den ganzen Körper. Nun zitterte ich nicht nur, ich war wie gelähmt und sah nur noch die Flamme, wie sie immer näherkam.
Vorsichtig, fast schon bedacht darauf, setzte er sich wieder zu mir aufs Bett. Seine Augen waren wie gefesselt von der Flamme und ich sah, dass er nur noch stoßweise atmete.
Er war erregt und ich fragte mich, warum?
Wieder leckte er sich über seine Lippen und verzog kurz sein Gesicht. Die Wunde, die ich ihm zugefügt hatte, schien ihn zu schmerzen. Ich konnte nicht glauben, wie mich das erfreute. Diese kleine versteckte Mimik erfüllte mich mit so einer Wucht an Schadenfreude, dass ich beinahe hysterisch aufgelacht hätte.
Doch dies blieb mir im Hals stecken, als etwas Heißes auf meinem Bauch tropfte. Scharf zog ich die Luft ein und verschluckte mich an meiner Spucke. Krachend hustete ich und Clancy hielt schützend die Hand vor die Flamme. Er wartete, bis ich mich wieder beruhigt hatte, und lächelte mich entschuldigend an.
»Verzeih, ich hätte dich vorwarnen sollen … aber ich glaube, jetzt kannst du dir vorstellen, wie deine Strafe aussieht.« Er flüsterte nur noch und ich sah sehr deutlich die Beule in seiner Hose. Angewidert wandte ich meinen Blick von ihm ab und schloss meine Augen.
»Schau mich an!«, herrschte er mich an. Ich tat es nicht. Ich konnte seinen Anblick nicht mehr ertragen. Und wieder spürte ich etwas Heißes auf meinen Bauch tropfen und keuchte. Meine Atmung konnte ich nicht mehr kontrollieren.
»Schau mich an!«, befahl er wieder. Schon lag seine Hand, sie war ungewöhnlich warm, was mir reizende Ströme rauf und runter jagte, auf meinem Glied. Kurz stöhnte ich, was ich mit zusammengebissenen Lippen zu unterdrücken versuchte. Und sofort erinnerte ich mich an den Schmerz, den er mir bereitet hatte, als ich nicht gehorcht hatte. Ich öffnete meine Augen und blickte in ein freundliches Gesicht.
»So ist es gut. Außerdem, wenn du hinschaust, kannst du dich besser darauf einstellen«, sagte er und nahm seine Hand von mir. »Ich werde damit anfangen, dass ich etwas Wachs auf deinem Bauch tropfen lasse. Und wenn du dich daran gewöhnt hast, werde ich den Bereich erweitern. Einmal über deine süßen Stupswarzen und dann wieder zurück auf deinen Bauch. Immer so weiter und wenn du das überstanden hast, kommt der eigentliche Teil der Bestrafung.« Ich sah, wie er die Kerze etwas schief hielt und sich heißer Wachs am Rand bildete. Er sie weiter in die Waagerechte brachte, bis sich ein Tropfen löste. Wie er es gesagt hatte, konnte ich mich darauf einstellen und war auf das kommende kurzzeitige heiße Ziehen gefasst. Wieder spürte ich, wie mir die Spannung von unten nach oben jagte und sich bei mir in der Mitte sammelte. Nebenbei streichelte er mir die Seite, und immer, wenn er meine Stelle reizte, tropfte er Wachs auf meinen Bauch. Es dauerte nicht lange, bis aus meinem scharfen Luftholen nur noch ein Keuchen wurde und ich nicht einmal hinsehen brauchte, um zu wissen, dass ich erregt war. Mein Körper reagierte auf diese Art von Bestrafung und ich kam nicht drum rum, mir Kyel vorzustellen. Wie er mich so auf eine besondere Art und Weise verwöhnte.
Kyel! Ich schämte mich dafür. Ich schämte mich für meinen Körper und ich schrie kurz auf. Clancy hatte eine Brustwarze getroffen und die Hitze, welche von dem Wachs ausging, reizte mich aufs Äußerste.
»Gott!«, keuchte ich und wollte die Augen schließen.
»Schau mich an! Sascha, deine Bestrafung ist noch nicht beendet.« Und die Hand, die meine besonderen Stellen reizte, wanderte wieder zu meinen Hoden. Sofort öffnete ich meine Augen und in dem Moment sah ich, dass er die Kerze über meinen Penis hielt.
»Nein!«, keuchte ich und Clancy griff um mein besagtes bestes Stück.
»Drei Tropfen. Und wenn du artig bist, ist die heutige Lektion vorbei«, raunte er und rieb mich. Scheiße, war ich geil und ich wollte nichts weiter, als nur Erlösung. Dennoch wagte ich nicht zu fragen, ob ich kommen darf.
Ich sah, wie er die Kerze wieder schief hielt und wie sich das Wachs verflüssigte. Wie sich ein Tropfen löste und sich wie in Zeitlupe, langsam und unaufhaltsam seinen Weg nach unten bahnte. Ich schrie vor Schmerzen auf.
Clancy wartete wieder, bis ich mich beruhigt hatte, und streichelte sanft meine malträtierte Haut.
»Weißt du, wie schön du bist. Wie herrlich deine Eichel glänzt. Ein Anblick. Wie gerne würde ich dich in meinen Mund versenken. Aber es ist deine Bestrafung und du hast noch zwei Tropfen vor dir. Das sollte genügen, um dich nicht so weit zu bringen.« Was murmelte er? Hatte ich das richtig verstanden? Er brachte mich anhand der Schmerzen, die er mir bereitete und sein stetiges Reizen meiner Stellen dazu, geil zu werden, mich in Scham versinken zu lassen, meinen Körper so zu malträtieren, dass er nicht anders konnte, als auf das Äußerste erregt zu sein und am Ende ließ er mich kalt liegen. Da verstand ich.
Das war die Strafe.
Es war schon zur Gewohnheit geworden, dass ich ständig in meiner Villa hin und her spazierte und gewissenhaft überhörte ich die Türklingel. Warum sollte ich auch aufmachen? Die Leute, die hierher kamen, wollten nichts von mir. Brachten keine neuen Nachrichten.
Anthony war auf dem Weg zur Tür und sprach wie üblich mit irgendjemandem.
» … verstehe, Loris … danke. Wann kann ich damit rechnen? … - heute Abend schon? … Mal schauen …!«, hörte ich einige Fetzen seines Gespräches, während er dem Pizzaboten den Karton mit der Pizza aus der Hand nahm und ihm das Geld überreichte. Ich wollte mich schon wieder auf meinen typischen Weg durch die Villa machen, als er mich zurückrief.
»Kyel, wie viele Gästezimmer hast du noch frei?« Überrascht blickte ich ihn an und zuckte anschließend mit den Schultern.
»Ich habe keine Ahnung, wie viele Gästezimmer von euch in Beschlag genommen wurden«, murrte ich und er wandte sich wieder seinem Handy zu.
»Ja … ich denke, ihr könnt hier unterkommen.« Ich verdrehte meine Augen und ließ ihn stehen. Ich hatte es mir wirklich abgewöhnt nachzufragen und Anthony nahm sich einfach die Freiheit, alle möglichen Leute in der Villa übernachten zu lassen. Überhaupt hatte er über mein Leben, das Leben meiner Familie und das Leben von Saschas Familie die Kontrolle übernommen. Mom und Dad konnten ohne persönlichen Bodyguard nicht das Haus verlassen, genauso verhielt es sich mit Emily und ihrem Sohn sowie bei jedem Außenstehenden, der auch nur im Geringsten mit dem Fall zu tun hatte. Sogar mir folgte immer irgendeiner. Es war frustrierend.
»Ähm, Kyel …!«, rief er wieder und deutete mir mit einem Kopfzeichen, dass ich ihm in die Küche folgen sollte.
In der Früh war sie so gut wie leer. Nur vereinzelt holten sich Agenten oder Polizisten hin und wieder Kaffee oder ihr im Kühlschrank deponiertes Essen. Ich folgte ihm und ging sogleich an das Fenster.
»Kyel … ich habe Loris und Hilal, endlich erwischt und die beiden sind gewillt, zu helfen.«
»Wer sind die?«, fragte ich kurz.
»Die sind aus meiner alten Truppe …!« Ich verzog die Augen.
»Ah …, sind das nicht die, die du observieren lassen wolltest?«
»Habe ich getan und sie sind dadurch auch ausgeschlossen worden. Loris hat sich in seiner Heimatstadt, in der Schweiz, niedergelassen und kümmert sich ausschließlich, nur noch um seine Ehefrau und seine Tochter. Hilal war in der besagten Zeit und ist auch jetzt noch in Afghanistan stationiert. Die beiden fallen definitiv weg. Gerbert ist es auch nicht, du weißt schon, der, den du erst vor Kurzem eingestellt hast. Es passt alles zeitlich nicht. Es bleibt nur noch Nigel. Er hat sich Anfang der Woche krankgemeldet und wie üblich, kam er nach drei Tagen wieder in die Schule. Ansonsten war es bei ihm still. Er wurde auch Sonntagnacht nicht im High Skills gesehen.«
»Also war es niemand aus deiner ehemaligen Truppe.« Langsam schüttelte er den Kopf und dennoch hatte ich das Gefühl, dass er mir nicht die ganze Wahrheit sagte. Ich schnaufte und ließ ihn stehen.
Kurzerhand drehte ich mich wieder zu ihm um. Mein Verdacht keimte unaufhörlich in mir, ging stetig immer weiter nach oben.
»Was ist mit dir?« Nun war er es, der schnaufte.
»Ich habe geahnt, dass du das irgendwann sagen wirst. Aber ich kann dir versprechen, dass ich das deinem Sascha nicht angetan habe. Ich habe viele Monate damit zugebracht, um über all das hinwegzukommen. Außerdem war ich am Sonntag hier und habe mit Sascha Geburtstag gefeiert. Glaubst du allen Ernstes, dass ich es war? Kyel, wir sind die besten Freunde. Emily liebt dich. Raoul liebt dich und John auch. Was meinst du, was geboten wäre, wenn ich Sascha nur ein einziges Haar krümmen würde. Emily würde mich ungespitzt in den Boden rammen und Raoul, auch wenn er diese Teile so liebt, er würde sie mir einschlagen, abschneiden und dem nächsten Hund zum Fraß vorwerfen.« Kurz hielt er inne und ich musste, auch wenn es eine abgefuckte Situation war, ein Schmunzeln unterdrücken. Anthony war zu köstlich und ich wusste, dass er die Wahrheit sagte. Denn nur er, war der Einzige, der einen hochroten Kopf bekam, wenn er die Wahrheit sagte.
»Außerdem kostet mich der Fall meinen Job«, meinte er etwas leiser weiter. »Die Polizei wird nach ihren Maßstäben weitermachen und die Agentur hat uns heute früh abgezogen. Sie sagen, wenn nach 76 Stunden kein Lebenszeichen oder der Beweis einer Entführung vorhanden ist, dann ist die Person … na ja.« Ich hatte mich wohl verhört. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Und nun? Wie sollte es weitergehen? Sollte ich Sascha einfach so aufgeben? Nur weil ein paar hochrangige Spezialagenten der Meinung waren, dass es rausgeschmissene Zeit sei.
»Es tut mir leid, dass du deinen Job meinetwegen verloren hast«, brachte ich nur raus. Meine eigentlichen Gedanken verschwieg ich ihm und er schüttelte den Kopf und grinste mich frech an.
»Außerdem bin ich im Moment nur suspendiert, weil ich meine Nase in Dinge gesteckt habe, die mich laut den Oberen nichts angehen. Emily und ich sind einer Meinung, wir werden so lange hierbleiben und deine Launen ertragen, bis wir, selbst wenn es auch nur eine winzige Kleinigkeit ist, etwas herausgefunden haben. Raoul hat extra eine Aushilfe eingestellt und ist gerade dabei, meine Sachen mit aufzubauen und zu installieren.« Was? »Komm, denn jetzt, kannst auch du tatkräftig mit anpacken und musst nicht ständig die Standardantworten ertragen. Ich weiß doch, wie dich das nervt.«
Okay, also nun war ich so ziemlich überfordert.
Es herrschte ein reges Hin und Her. Die Polizisten waren weg und die SPA montierte alles ab, was sie für ihre Untersuchungen gebraucht hatten. Anthonys Gesichtsausdruck zeigte, dass es ihm nicht schnell genug ging, und biss in seine Pizza. Als alle weg waren und kein sinnloses Zeug, 'laut Anthony', mehr vorhanden war, aßen wir in einer kleinen Runde zu Abend. Loren hatte sich mal wieder selbst übertroffen und ich fing an, das deutsche Essen zu mögen.
Freitag und erst zu diesem Zeitpunkt hatte ich wirklich das Gefühl, dass da was weiterging, auch wenn die Leute, die mit dem Fall betraut waren, einer nach dem anderen abgezogen wurden.
Das Wochenende verging eher schleppend und ich machte Bekanntschaft mit zwei weiteren Agenten aus der ehemaligen Truppe von Anthony.
Hilal war ein eher untersetzter Mann, der anscheinend mehr im Hintergrund operiert hatte und Loris konnte, wenn er es wollte, komplett als Frau durchgehen. Er war ein Zwitter. Gerbert, dem die Augen rausgefallen waren, als er mich sah, hielt sich mehr oder weniger in der Nähe von Anthony auf. Ihm sah ich es an, dass ihm die ganze Situation etwas unangenehm war, zumal ich nicht nur sein Chef war, sondern er auch unter Verdacht stand, etwas mit der Entführung zu tun zu haben.
»Also, wie lange sollen wir Nigel noch ausspionieren. Er hat einen routinierten Tagesablauf. Er steht so um sechs Uhr auf, geht immer eine halbe Stunde joggen. Dann fährt er zur Schule. Nach der Schule geht er entweder einkaufen oder gleich nach Hause. Am Mittwoch ging er in das Fitnessstudio und war so um sieben Uhr abends zu Hause. Samstag und Sonntag ging er gar nicht vor die Tür«, sagte Gerbert und rieb sich sein Kinn.
»Ich werde ihm mal einen Besuch abstatten«, warf Loris, der Schweizer ein und kratzte sich an seinem Dreitagebart. Er sah wirklich umwerfend aus. Eigentlich sahen alle ehemaligen Red Eye Mitglieder auf ihre Art und Weise sehr attraktiv aus. So als ob sie für die Allgemeinheit anwesend waren, nah und doch so fern, unantastbar. Wie eine prominente Persönlichkeit, die, ihren Fans freundlich winkend, über den roten Teppich lief.
Man, was für ein Vergleich. Aber keiner von ihnen kam auch nur im Geringsten an Sascha heran.
In den letzten zwei Tagen hatte sich die 'Einsatzzentrale' zu einem hochmodernen 'Studentenwohnheim' gewandelt und ich stand inmitten des ehemaligen Ateliers. Ich atmete. Ihrem Fachchinesisch konnte ich schon lange nicht mehr folgen, aber eines bekam ich auf jeden Fall immer mit. Clancy. Immer wieder, auch wenn sich der Verdacht noch immer nicht bestätigt hatte, kam der Lehrer von Sascha immer wieder ins Gespräch.
»Ich habe doch gesagt, dass eine Observierung nicht ausreichen würde. Ich denke, dass Nigel es schon lange gemerkt hat und jetzt umso vorsichtiger ist«, warf Hilal ein und Anthony schüttelte den Kopf.
»Nein, Nigel war gut im Observieren, aber nicht gut genug, um selbst eine Observierung zu erkennen.«
»Dennoch war er ein Meister in Manipulation …!«, meinte Gerbert.
»Wie wir alle«, sagte Loris und wieder sah ich, wie er sich am Bart kratzte. Dies war sehr ungewöhnlich und ich erkannte etwas. Er war kein Bartträger. Aber so schnell dieser Gedanke kam, war er wieder weg.
Ich ging aus dem Atelier, das nun eher einem Studentenzimmer glich, mit den leeren Flaschen, leeren Pizzakartons und vielen diversen Laptops, die auf dem Tisch oder Fußboden standen. Selbst ein hochmoderner Rechner stand auf dem Heiligtum meines damaligen Freundes und ich schnaubte wie immer.
Je öfters ich 'sein Reich' betrat, drangen ungewollt irgendwelche Erinnerungen an ihn hoch. Erinnerungen, die ich vor Kurzem noch, mit verschiedenen Twinks zu unterdrücken versuchte. Ich nahm mir vor, Sascha, wenn er wieder in meinen Armen lag, hier zu nehmen. Es ihm zu besorgen, sodass ich Paul endgültig aus meinen Gedanken vertreiben konnte.
An einigen Plätzen hatten wir es schon getrieben, in seinem Bett, in meinem Bett, auf einem Tisch in der Pizzeria und wir standen knapp davor, es in der Eisdiele zu machen. Es fehlten mein Whirlpool, die Dusche, die Küche und vor allem das Atelier. ›OH Sascha, ich brauche und vermisse dich so sehr, dass ich mir schon Plätze ausmale, wo ich dich gerne ficken würde. Wo ich dich endlich wieder in meine Arme nehmen, dich küssen, deine Stellen anknabbern und deine sanfte, warme Haut berühren …‹
»Kyel!«, riss mich Anthony aus meinen Gedanken. »Willst du noch etwas Kaffee?« Ich nickte und versuchte flach einzuatmen. Diese Gedanken gingen nicht gerade spurlos an mir vorbei.
Ich saß in meinem Wohnzimmer und starrte auf die Wanduhr. Alle sechzig Sekunden wanderte der Minutenzeiger immer einen Strich weiter. Immer eine Minute mehr, in der Sascha nicht bei mir war. Eine Minute, die für mich wie Stunden war. Und die Stunden, die mir wie Jahre vorkamen. Ich schloss meine Augen und irgendwann dämmerte ich weg. Meine letzten Gedanken galten Sascha und meine ersten waren bei Sascha.
Montag:
Inzwischen war Sascha eine Woche nicht mehr bei mir und ich versprach mir, dass ich ihn nie wieder gehen ließ. Ich würde ihm verbieten, alleine das Haus zu verlassen. Ich würde ihn an mein Bett fesseln und ihn nie wieder aus meinen Augen lassen.
Wie üblich stand ich in meiner Küche, die nun wirklich wieder den Bewohnern dieser Villa gehörte, mehr oder weniger und schaltete die Kaffeemaschine ein. Da ich nicht in die Firma fuhr und Loren und Sarah schon lange außer Haus waren, sah ich mich gezwungen, mir selbst einen Kaffee aufzubrühen. Mal einen anderen Handgriff, ich war nicht böse darüber.
Neben mir ertönte mein Telefon und ich schüttelte innerlich meinem Kopf. Heute werde ich nicht rangehen. Egal was kommen mag. Tom konnte sich meinetwegen die Finger an seinem Telefon verbrennen. Die Mailbox sprang an. Die blecherne weibliche Stimme laberte ihren Text runter und ich vernahm leise, sehr leise eine ängstliche überaus zitternde Stimme. Die in meinem Herzen wohnte und meine Seele gestohlen hatte.
»Kyel … Kyel … hilf mir … es … es … Clancy. Hol mich hier raus …« Mein Herz pochte mir bis in die Schläfen. Ich war nicht fähig das Handy in meine Hand zu nehmen, geschweige denn zu atmen. Meine Finger zitterten, meine Hand zuckte unaufhörlich immer wieder zurück. Der Befehl von meinem Gehirn an meinem Arm war unterbrochen … »es ist Clancy … ich kann nicht mehr … Kyel bitte nimm ab … Kyel …!«, hörte ich ihn mehr wimmern als sprechen. Mein Verstand, es war mein Verstand, der mir wieder seine Stimme vorgaukelte. Wie schon so oft. Wieder blickte ich auf das Handy, welches nur noch wenige Millimeter von meiner Hand entfernt lag und endlich hatte der Befehl an das Handy zu gehen auch meinen Arm, meine Hand und meine Finger erreicht.
»Sascha!«, rief ich, nein, schrie ich schon fast und mein Hals kratzte. Der Kloß war groß, ich war nicht fähig überhaupt etwas zu sagen.
»Kyel …!« Er weinte, nein, es war nicht Weinen, das war pure, grenzenlose Angst.
»Kleiner, ruhig wo bist du?«, versuchte ich ihn zu beruhigen, wohl eher mich selbst und ich ging in Richtung des Ateliers. Auf halbem Weg kam mir Anthony sehr blass entgegen, und als ich den Raum betrat, brach die kalte Stille, die dort herrschte, buchstäblich über mich herein. Ich sank auf meine Knie und krampfte mich an das Handy fest. Ich wollte ihn nicht mehr gehen lassen. Ich wollte Anthony nicht das Handy geben, der mich dazu aufforderte und letztendlich riss er es mir aus der Hand.
»Sascha, hey … Clancy … ruhig, wir holen dich, halte durch. Kannst du uns erklären, wo du bist? Ha, Wald … zur Rechten siehst du Kyels Firma, ja, wir kommen, so schnell wir können. Du musst jetzt auflegen … Ja, Sascha, wir werden dich da rausholen. … Sascha, du musst jetzt auflegen … Nigel wird das sonst herausbekommen … Sascha, leg auf …«, vernahm ich nur noch und meine Gefühle brachen über mich herein. Ich vergrub mein Gesicht in die Hände und in dem Moment wusste ich nicht, was mehr überwog. Meine Wut auf den Lehrer oder die Hoffnung, dass Sascha bald wieder bei mir war.
Sascha lebte.
Ich traute meinen Ohren kaum? War das wirklich die Wahrheit? Ich konnte das nicht glauben … ich fasste es nicht, nicht einmal als man mir das Telefonat noch einmal abspielte. Selbst Sarah blickte mich geschockt an und ich setzte mich an den Küchentisch.
Auch Kyel saß da, starrte an die Wand oder hielt den Kopf in seinen Händen. Von ihm kam nichts. Kein Wort, keine Regung.
Ich fragte mich, was in seinem Kopf vorging. Ob er die gleichen, schlimmen Gedanken hatte, wie ich? Oder noch schlimmer, was ich nicht hoffte. Ich hoffte wirklich, Sascha war nicht das Gleiche zugestoßen, wie mir damals, als meine Kinder, die ich über alles liebe, gezeugt wurden. Ich spürte, wie mir die Augen brannten, und wischte die Tränen, zusammen mit meinem schlimmen Erlebnis, weg. Ich musste stark sein. Stark für Sarah, für Kyel, für mich und ganz besonders für Sascha. Ich musste es einfach, sonst wäre ich selbst zugrunde gegangen.
Ich stand auf und kramte das Handy aus meiner Handtasche. Wählte die Nummer vom Krankenhaus und bereitete mich auf diesen ekelhaften Chefarzt, der in wenige Wochen seine Rente antrat, jetzt nur noch pro forma seinen Stand, als 'Chefarzt' raushängen ließ, vor. Bereitete mich seelisch und moralisch darauf vor, wieder runtergeputzt zu werden, dass ich nur noch unter einem Fingerhut passte.
Das letzte Mal, als ich mich krankmeldete, hatte er mich als eine ineffiziente und selbstsüchtige Frau bezeichnet. Ich ging trotzdem nicht zur Arbeit und stand kurz davor, durch sein ständiges Mobbing mir gegenüber, gefeuert zu werden. Ich fragte mich sowieso, was der gegen mich hatte, immerhin konnte es ihm so was von Wurst sein, wer die Schicht auf der Station machte.
Die Sachlage konnte aber irgendwie geklärt werden. Wahrscheinlich hatten einige Ärzte dem alten Knacker mal gehörig die Meinung gesagt und seitdem ging der mir auch irgendwie aus dem Weg. Sonst hing er immer an meinem Schwesterkittel und hatte immer irgendwelche Fehler gesucht. Ich wartete und Dr. Marker nahm ab.
»Hallo Loren …!«, mein Herz hüpfte, keine Ahnung zu welchem Wolkenkratzer und ich suchte meine Stimme irgendwo im hintersten Eck seines Daches.
»Hallo Lenard …!« Ich räusperte mich.
»Ist irgendetwas passiert?«, fragte seine wundervolle und warme Stimme mich und ich beruhigte mich allmählich.
»Ja, sie haben eine Spur von Sascha … und … und … ich glaube, er kommt … er wird …!« Ich musste meine Tränen wieder unterdrücken.
»Ist schon in Ordnung. Bleib daheim. Das regle ich mit der stellvertretenden Stationsleiterin. Habe eh noch einen Gefallen bei ihr einzufordern. Ich komme, wenn meine Schicht vorbei ist.«
»Geht das so einfach?«, rutschte es aus mir heraus.
»Natürlich …!«
»Ich mein, ich wollte unbezahlt nehmen …!«
»Für was denn? Du bist sonst auch immer hier und hast noch Menge Überstunden, deine reguläre Schicht ist vorbei … Also wir sehen uns heute Abend«, flüsterte er und das Letzte, was er sagte, konnte ich nur erahnen und wieder sprang mein Herz und absolvierte einen Triathlon.
Ich legte mein Handy zur Seite, stützte mich auf der Ablage etwas ab, schloss meine Augen und atmete tief ein. Nachdem sich in mir, an mir oder überhaupt etwas von mir beruhigt hatte, ging ich zum Kühlschrank und holte die Zutaten fürs Essen raus. Ich musste mich ablenken.
Ich ging sie noch einmal durch und sah, dass mir noch einiges fehlte. Stimmt, ich erinnerte mich, dass ich Raoul gebeten hatte, die Sachen zu besorgen. Aber wie es aussah, kam er nicht dazu. Ich konnte es ihm nicht verdenken.
»Ich gehe schnell noch einkaufen«, sagte ich, während ich in meinem Geldbeutel nachschaute. Abrupt stand Kyel auf, blickte mich an und meinte: »Ich begleite dich, hier bekomme ich noch einen Klatscher.« Ich nickte nur und Hilal mischte sich ein.
»Ich gehe auch mit, etwas Abwechslung und frische Luft, kann nicht schaden.« Wieder nickte ich, obwohl ich wusste, dass er uns beschützen wollte.
»Seid aber vorsichtig. Ich weiß nicht, ob Nigel schon was mitbekommen hat. Hilal halte dich bitte im Hintergrund …!«, befahl Anthony und sein Handy klingelte. Was nicht ungewöhnlich war. Es klingelte ununterbrochen. »Ja! … was?«, schrie er plötzlich los und alle erschraken »Was meinst du damit, er ist nicht aus der Schule gekommen?«, schrie er noch lauter. »Verfluchte Scheiße, wo ist er? Loris fahr zu seiner Wohnung … ja ich weiß, dass da Sascha nicht ist. Deswegen solltest du ihn ja auch im Auge behalten!«, schrie Anthony und fluchte ständig vor sich hin, nachdem er aufgelegt hatte.
»Heute ist Montag, da ist er nur halbtags in der Schule«, sagte Sarah und auch sie zitterte am ganzen Körper.
»Hast du ihn heute gesehen?«, wurde sie gefragt und sie schüttelte den Kopf.
»Ich habe Mr. Clancy am Montag nicht, da haben wir nur Nebenfächer. Nur ab und zu vertritt er die Stunden.«
»Scheiße, Scheiße …!«, fluchte Anthony weiter. »Scheiße …!«, ging es weiter und andere Schimpfwörter folgten.
Sarah schüttelte den Kopf und starrte mich immer noch fassungslos an.
»Ich kann es nicht glauben, dass es Mr. Clancy sein soll. Er … er … oh Gott, Mama, ich habe ihn die ganze letzte Woche gesehen. Ihn, oh Gott, ich war nah dran, zu ihm zu gehen und um Rat zu fragen, wie … oh Gott … Mama er ist unser Vertrauenslehrer … Dieses Schwein hat Sascha und geht einfach seinem normalen Leben weiter nach …!«, schluchzte sie und ich nahm sie in die Arme. Versuchte sie und gleichzeitig mich zu beruhigen.
Kyel stand nur da und nur ich sah, dass seine Augen glitzerten. Er seine Hände zu Fäusten geballt hatte und innerlich ziemlich angespannt war.
»Anthony!«, rief er und lief ihm hinterher, da dieser auf dem Weg zum Atelier war.
Tränen brannten in meinen Augen und ich verstärkte den Druck um Sarah. Sie zitterte unaufhörlich und ich hatte das Gefühl, dass sie es nicht mehr unter Kontrolle bekam.
»Komm!«, murmelte ich in ihr Haar und erst da bemerkte ich, dass sie etwas größer war als ich. Sie war zu einer wundervollen und schönen jungen Dame herangewachsen und auch, wenn ich es nie herausfinden wollte, so wollte ich, in dem Moment, doch gerne wissen, wer von den Männern, die mich damals überfallen hatten, der Vater ist oder war.
Ich könnte es vielleicht nachholen. Mr. Grant hatte bestimmt irgendwelche Verbindungen, um so etwas herauszufinden. Das aber hieß wiederum für mich, ich müsste mich meiner Vergangenheit stellen und vor allem, was würde Kyel dazu sagen. Immerhin kämpfte er schon mit einem nichtbiologischen Vater um Sascha. Aber im Endeffekt müssten es meine Kinder entscheiden, ob sie ihren biologischen Vater kennenlernen wollten.
Aber dazu später. Nun war es wichtig, dass Sascha heil nach Hause kam und ich hoffte wirklich, dass ihm nicht allzu viel in dieser Woche zugestoßen war.
In der Küche reichte ich Sarah ein Taschentuch, das sie dankend annahm. Bewusst vermied ich es, sie zu fragen, ob sie mich begleiten möchte, und gab ihr kleinere Aufgaben, die sie erledigen konnte, damit sie auf andere Gedanken kam.
In der Zwischenzeit hatte ich mir meine Handtasche geschnappt und war schon auf dem Weg zur Tür, als Kyel mich rief.
»Loren, warte!« Ich sah, dass er seine Autoschlüssel einsteckte. »Wir fahren mit dem Jaguar.« Ob das so eine gute Idee war, konnte ich nicht richtig einschätzen. Sein Gemütszustand war auf dem Tiefpunkt, aber ich wagte es nicht, ihm zu widersprechen. Immerhin war er ein erwachsener Mann, ein erfolgreicher Mann, der bestimmt mehr Rückschläge in seinem Leben verkraften musste, als einer von uns. Ich schüttelte nur meinen imaginären Kopf und meinte: »Ich bezahle!« Er gab sich geschlagen und versuchte ein leichtes Lächeln. Herr Gott, schaute der beschissen aus, dachte ich und trat aus der Villa.
Ein kurzer Blick auf seine Tankanzeige verriet mir, dass sein Auto unbedingt aufgetankt werden musste und ich wies ihn an, eine Tankstelle anzufahren. Leicht verdattert blickte er mich an und ich zeigte auf die Anzeige. Kurz nickte er und schlug den Weg ein.
Nachdem er seinen Wagen an der Zapfsäule geparkt hatte, wollte er aussteigen, aber ich ergriff seinen Arm.
»Ich sagte, ich bezahle!«, schnappte meine Handtasche, und bevor er etwas erwidern konnte, stieg ich aus. Kurz überprüfte ich meinen Geldbeutel, ob ich mich nicht übernahm, und atmete erleichtert, dass ich neben Kyels Mastercard, die er mir gegeben hatte, noch meine eigene Scheckkarte eingesteckt hatte.
Ich tankte das Auto voll und war leicht überrascht, was da rein passte. An der Kasse bezahlte ich knapp über 100 $ und kaufte mir noch Zigaretten. Ja, Jesus Maria, das wäre der Einkauf für zwei Tage gewesen, aber was sollte es. So viel hatte ich, Gott sei Dank, noch im Geldbeutel gehabt und nun musste meine Karte herhalten.
Sollte kein Problem sein, denn gestern bekam ich meinen Lohn und in drei Tagen musste ich meinen Kindern wieder ihr Taschengeld geben. Ich spielte mit dem Gedanken, es zu erhöhen. Sascha hatte noch immer nicht seinen Führerschein. Wahrscheinlich musste er wieder von vorne anfangen, weil Markus ihm vor einigen Monaten den Geldhahn zugedreht hatte.
Sarah hingegen konnte schon seit mehr als einem halben Jahr, mit dem Auto fahren, aber hatte sie irgendwie nie gemacht. Schämte sie sich? Weil sie den Führerschein von Dad … äh Markus bezahlt bekommen hatte?
Kyel parkte das Auto vor dem Supermarkt und wir stiegen aus. Den ganzen Weg über war er sehr schweigsam. Gott allein kannte seine Gedanken und ich musste zugeben, ich wollte sie nicht wissen.
Automatisch steuerte ich in dem Supermarkt das Frischgemüse an. Natürlich war mein erster Griff zu dem billigen eingepackten Gemüse, doch als ich den Blick von Kyel bemerkte, besann ich mich und nahm das Bündel Biokarotten. Innerlich schnaufte ich wieder. Sollte ich ihm sagen, was er die letzten Tage zu sich genommen hatte? Besser nicht. Und geschmeckt hatte es ihm auch.
So setzte ich den Einkauf fort. Immer darauf bedacht, dass ich nicht gerade das Billigste aus den Regalen zog, sondern, dass der Preis sich in der Waage hielt. Und langsam verfluchte ich mich dafür, dass ich gesagt hatte, dass ich bezahle. Dieser simple Einkauf würde mich mehr kosten, als der normale Einkauf für eine Woche.
Kurzzeitig war Kyel verschwunden und kam mit einer Flasche Schnaps und einem mir viel zu teurem Rotwein wieder. Skeptisch deutete ich darauf.
»Das bezahle ich aber nicht.« Er schmunzelte. Ich versah mich, oder? Hatte Kyel wirklich geschmunzelt? Ja, denn er schmunzelte immer noch.
»Das ist mein Beitrag. Immerhin habe ich, bevor ich euch kennengelernt habe, nur von Restaurants oder Lieferservices gelebt.«
»Oh!«, machte ich nur und schob den Wagen weiter. Da ich alles schon in meinem Einkaufswagen liegen hatte, was ich für das heutige Abendessen brauchte, steuerte ich die Pflegeprodukte an. Griff nach dem Waschmittel und Weichspüler und zu guter Letzt, nahm ich mir zwei Tuben Duschgel vom Regal.
Plötzlich ging alles viel zu schnell. Kyel schrie: »Arschloch! Drecksau, Wichser … Wo ist Sascha …!« Er stürmte auf einen Mann zu und wollte ihn packen. Dieser drehte ihm das Handgelenk um und ich hörte es knacken. Geschockt erkannte ich das Gesicht.
Ich schrie dessen Namen. Nein, sein Name hallte in meinem Kopf wieder. Ich hatte keine Stimme. Sie blieb mir im Hals stecken. »Nigel … !« Ich sah, wie Nigel eine Waffe zog … »Nein!« Ein Schuss löste sich und Kyel blickte geschockt, sprachlos, total verwirrt in Nigels grinsendes Gesicht.
Mein Körper, kaum in der Lage sich zu bewegen, reagierte automatisch. Langsam, so kam es mir vor, ging ich auf den sinkenden und keuchenden Kyel zu. Fing ihn auf, bevor er auf den Boden krachte, und bettete ihn auf meinem Schoß. Ich blickte in Nigels Gesicht und meine Lippen formten nur ein einziges Wort.
»WARUM?«
Hilal kam angestürmt und packte seinerseits Nigel. Wie es am Ende ausging, daran erinnere ich mich nicht. Ich hatte damit zu tun, die Blutung an Kyels Bauch zu stillen.
Wie viele Tage waren schon vergangen? Und wieder sah ich, dass die dunklen violetten Vorhänge heller wurden.
Gestern oder war es vorgestern, durfte ich mich in seiner Wohnung etwas bewegen. Hatte mit ihm ferngesehen und anschließend gingen wir zusammen ins Bett. Sanft hatte er mich dazu gebracht, mich ihm hinzugeben und ich war schon gewillt, ihn zu bitten mich zu ficken. Am Ende konnte ich mich noch besinnen und vermied diese Frage. Er hatte mich trotzdem genommen.
Die einsamen Stunden waren unerträglich, Langeweile, unruhiger Schlaf und Bewegungsmangel taten ihr Übriges. Inzwischen freute ich mich schon darüber, wenn er mir etwas Gesellschaft leistete.
Nun, wo ich daran dachte, wurde mir schlecht. Um nichts in der Welt würde ich mich ihm freiwillig hingeben. Meinen Körper erfreute es zwar jedes Mal, wenn er den Kontrast von Schmerzen zu sanften Streicheleinheiten zu spüren bekam, aber mein Verstand und mein Geist, spielten mir immer das spöttische, sympathische und wunderbare Gesicht mit den meeresgleichen Augen vor.
Dieses Gesicht, der makellose, durchtrainierten Körper und die warme, sanfte und für mich höchst erotische Stimme, bewahrten mich davor, den Verstand zu verlieren. Ich war dabei in das Stockholm Syndrom zu verfallen. War es das, was Clancy wollte? Das ich mich in ihn verliebte?
Galle stieg in mir hoch, die ich kräftig runterschluckte.
Die Tür wurde aufgesperrt und Clancy kam, wie jeden Morgen, mit dem Frühstückstablett herein.
Ich blieb so liegen, denn ich hatte keinen Befehl erhalten, mich aufzusetzen und ich spürte, wie er sich neben mich setzte. Seine Fingerspitzen über meine gewissen Stellen strichen und ich durch diese Berührung hart einatmete.
»Guten Morgen, Sascha«, hörte ich ihn.
»Guten Morgen, Master Clancy«, antwortete ich automatisch und sog wieder scharf die Luft ein, als ich spürte, wie seine warme Hand meinen Schwanz umfasste.
»Willst du verwöhnt werden oder zuerst frühstücken?«, hauchte er und ich stöhnte unter seinen pumpenden Bewegungen auf.
»Bitte, verwöhnen Sie mich«, bat ich und er ließ mich los. Mein Körper wollte durch die plötzliche Kälte rebellieren und ich vernahm, dass er vom Bett aufgestanden war.
»Geh in die Hündchen Stellung!«, befahl er barsch und ich gehorchte. Aus dem Augenwinkel sah ich, er hatte mir nicht erlaubt ihn anzusehen, dass er zu der Kommode ging, die viele explizite Spielsachen aufweisen konnte. Er holte einen drei Zentimeter dicken Plastikstab hervor und ging anschließen zum Nachtkästchen. Schob die Schublade auf, in der das Gleitgel aufbewahrt wurde, und überlegte kurz. »Sascha, soll ich dich vorher mit den Fingern dehnen oder soll ich dir den Stab gleich reinschieben?« Ich schloss meine Augen und schluckte hart. Diese Spielchen hasste ich und dennoch konnte ich meinen nun ziemlich steifen Schwanz nicht mehr ignorieren.
»Bitte dehnen Sie mich vorher mit den Fingern, Master Clancy«, kam es leise aus mir heraus.
»Hmm, eigentlich eine gute Wahl, aber bedenke, wenn ich dich gedehnt habe, dann reicht dir der Stab nicht mehr, dann brauchst du einen Dildo.« Ich fing zu zittern an. Mit dem Dildo wollte ich nicht schon wieder von ihm gefickt werden.
»Bitte, dann den Stab, Master Clancy.«
Er kam wieder um das Bett herum und schon spürte ich ein Ziehen auf meinem Hintern. Es war nicht fest und dennoch zuckte ich kurz auf.
»Mach deine Beine breiter und drücke deinen Oberkörper nach unten«, befahl er mit seiner typischen sinnlichen Stimme und ich tat es. »Noch etwas mehr, ich will dein Loch sehen!« Und schon streichelte er mir über die Stelle, die zuvor den Stab gespürt hatte, hinab, zwischen meine Pobacken. Über meinen Eingang und wieder zurück. Er nahm seine Hand weg und ich stellte mich auf den nächsten Hieb ein. Dennoch kam er überraschend und ich keuchte auf. Alles sprenkelte nach unten, zu der Stelle, die er schlug, zu meinem Eingang, der sich von selbst zu öffnen schien bis hin zu meinen Hoden, die immer härter wurden. Mein Atem kam nur noch stoßweise und ich wünschte mir eine schnelle Erlösung.
Selbst, wenn es wieder heißen würde, ewige Stunden in Langeweile und Einsamkeit zu versiegen.
Wieder streichelte er mir über die geschlagene Stelle und meine Haut beruhigte sich, dann vernahm ich, dass er sich hinter mir hinkniete, den Stab zwischen meine Beine legte und anfing, meine Pobacken zu massieren. Sie auseinanderzog und wieder zusammendrückte.
Warmen Atem hauchte er mir in den Eingang. Dann spürte ich etwas Nasses, das rauf und runter fuhr und wie die Spitze seiner Zunge in mich eindrang, womit er mir den Verstand total vernebelte. Ganz automatisch bewegte ich mich in seinem Rhythmus und stöhnte nur noch.
»Willst du kommen?«, hauchte er, nahm den Stab und drang mit dem Ding in mich ein. Ich keuchte laut und zitterte nur noch, als er den Stab in mir bewegte.
»Bitte, lassen Sie mich kommen, Master Clancy!«, bettelte ich mit zitternder Stimme.
»Wie du es möchtest. Du darfst kommen.« Er umgriff mich mit seiner anderen Hand, pumpte meinen Schwanz und schob den Stab, synchron zu seiner pumpenden Hand, rein und raus. Es dauerte nicht lange und ich ergoss mich über seine Hand.
Als sich mein Atem langsam beruhigt hatte und ich immer noch in dieser Stellung vor ihm war, erinnerte ich mich, was ich als Nächstes zu tun hatte.
»Danke, dass Sie mir erlaubt haben zu kommen, Master Clancy«, bedankte ich mich. Er nahm den Stab aus mir heraus, stieg vom Bett und fing an die Utensilien zu reinigen. Ich verharrte immer noch in dieser Stellung.
»Geh vom Bett runter!«, befahl er mir, nachdem er alles wieder fein säuberlich in der Kommode verstaut hatte und zum Schrank gegangen war. Ich tat es und stellte mich neben das Bett. Mein Blick war gesenkt und aus dem Augenwinkel sah ich, dass die Tür einen kleinen Spalt geöffnet war.
Meine Hand- und Fußgelenke waren nicht gefesselt und ich wog ab, ob ich es schaffen konnte, zu der Tür zu gelangen und aus dem Haus zu rennen, bevor er mich erwischen konnte.
Doch in dem Moment hörte ich, wie er die Schranktür wieder schloss und auf mich zutrat.
»Halte das!«, befahl er mir und drückte mir ein sauberes Laken in die Hand. Innerlich fluchte ich mich einen Vollpfosten, weil ich zu lange gezögert hatte.
Nachdem er das Bett frisch bezogen hatte, wurde gefrühstückt. Wie immer mit Bitte und Danke und am Ende erlaubte er mir, dass ich mich im Zimmer frei bewegen durfte und wenn ich auf die Toilette musste, sollte ich ihn rufen.
Die Stunden vergingen und in der Wohnung war es ruhig. Ich hörte den Fernseher nicht laufen und auch sonst nichts. Ich stieg vom Bett runter und ging ans Fenster. Es war das erste Mal, dass ich die verhassten violetten Vorhänge zur Seite schob und rausschaute. Vor dem Fenster waren Gitterstäbe angebracht worden, die einen Fluchtversuch verhinderten.
Die Sonne schien und es war ein herrlicher Herbsttag. Ich genoss die warmen Strahlen, die durch die Scheibe brachen, meine Haut erwärmten und blickte zum Horizont.
Der blaue Himmel verwandelte sich in meeresblau und mich blickte diese Farbe sehr intensiv an. Ich spürte, nach langer Zeit wieder, das bekannte Brennen in meinen Augen und ich murmelte seinen Namen.
Ich wollte zu ihm. Ich musste zu ihm. Waren die einzigen Gedanken, die sich in meiner Seele festfraßen und ich ignorierte mein erhöhtes Herzklopfen. Meine Hände wurden feucht und ich schlich buchstäblich zur Tür.
Hob meine Hand und wollte zur Türklinke greifen, doch mein Innerstes hielt mich ab. Sein Befehl hielt mich ab. Seine Befehle, welche sehr tief in mir verankert waren.
»Du darfst das Zimmer nicht ohne Erlaubnis verlassen« und ich trat wieder einen Schritt näher an das Bett heran. Ich musste ihm gehorchen … nur so, hatte ich ein sorgenfreies Leben. Ich musste ihm gefallen, sonst würde ich wieder bestraft. Aber ihm gefiel es, mich zu bestrafen und manchmal kam ich sogar auf meine Kosten.
Mein Herz machte einen Sprung und ein undefinierbarer Schmerz breitet sich darin aus. Was hatte ich grade gedacht? Nein!
Mit zwiespältigem Gefühl sank ich auf die Knie. Verzweifelt rief ich mir die warme, flüsternde und sanfte Stimme in mein Gedächtnis.
Kyel. Ja.
Kurzzeitig wiegte ich mich hin und her und horchte in mein Innerstes.
Gehorche ihm. Nein.
Kyel hat mich aufgenommen. Ja.
Du musst ihm gehorchen. Nein.
Kyel hat mich nie zum Sex gezwungen. Ja.
Er wird dir wieder eine Lektion erteilen. Nein.
Kyel hat dir seine Liebe gestanden. Ja.
Er wird dir wieder mehr Freiheiten erlauben. Nein
Kyel nimmt mich, so wie ich bin. Ja.
Kyel sperrt mich nicht ein. Ja.
Kyel war immer da und hat mich schon vorher unterstützt. Ja.
Kyel, Kyel … den Namen verankerte ich tief in mein Innerstes. In das Innerste, welches langsam zu zerbrechen drohte und dieser Name gab mir Halt. Gab mir Kraft, wie schon damals, als ich nur seinen Geruch kannte. Schon da war Kyel bei mir gewesen und ich stand auf. Balte kurz meine Hand zu einer Faust, atmete tief und rief.
»Master Clancy …!« Ich wartete, doch es kam niemand. »Master Clancy!«, wieder rührte sich nichts und ich trat einen Schritt näher an die Tür. »Master Clancy?«, wurde aus meinem Ruf eine Frage und ich legte die Hand auf die Klinke. Drückte sie runter, obwohl ich keine Hoffnung hatte, dass sie offen war.
Doch sie ging auf. Ich wäre beinahe über meine Beine gestolpert und meine Atmung schnellte von Null bis zur Stratosphäre hoch. Meine Hände zitterten und meine Beine fühlten sich wie Butter an. Langsam ging ich raus und blickte mich kurz um. Ich wagte es nicht, die Wohnung zu inspizieren, und suchte den Ausgang.
Nur kurz wurde ich mir meiner eigentlichen Nacktheit bewusst, welche ich sofort verdrängte. Nur raus. Ich wollte nur raus, und wenn ich als öffentliches Ärgernis angezeigt wurde, dann sollte es verdammt noch mal so sein.
Raus!!!!
Dieser einzige Gedanke und der an Kyel trieben mich an. Einen Schritt nach dem anderen zu bewältigen, immer weiter. Die Haustür kam immer näher. Ich hob meine Hand und legte sie auf die Klinke.
»Wo willst du hin?« Ich erschrak und geschockt drehte ich mich zu der ekelerregenden Stimme um.
»Ich … ich …!« Shit, was sagte ich denn nun? »Ich … muss aufs Klo und … und … Sie haben mein Rufen nicht gehört und da, da … dachte ich…!«, stotterte ich und er kam bedächtig immer näher.
»Da dachtest du, als ich nicht geantwortet habe, dass du alleine wärst und sogleich die Situation ausnützen könntest, um abzuhauen.« Ich schüttelte den Kopf.
»Nein, nein Mast …!«
»Halt dein verlogenes Maul«, zischte er und ich drückte mich gegen die Tür. Senkte meinen Blick und ertrug es, wie er mir über das Gesicht streichelte. Alles in mir schrie auf. »Weißt du, ich hätte vielleicht darüber hinweggesehen, wenn du wirklich ins Bad gegangen wärst, dann hättest du zumindest nur eine leichte Lektion erteilt bekommen, aber so … wird das keine Lektion sein, sondern eine knallharte Bestrafung«, säuselte er und griff in meinen Nacken. Brutal zog er meinen Kopf nach hinten, sodass ich gezwungen war, ihm in die Augen zu schauen.
»Es tut mir leid, ich habe mich in der Tür geirrt«, versuchte ich das Unmögliche noch abzuwenden, doch er ignorierte mich und zog mich von der rettenden Tür weg. Seinen Ausdruck konnte ich nicht einordnen und er zog mich zu einer Tür, die nicht in mein Zimmer führte.
Immer noch hielt er mich, mit diesem Griff im Nacken, fest, sodass ich mich nicht wehren konnte, obwohl ich es wollte, und schloss die mir fremde Tür auf.
Er schubste mich regelrecht in den Raum und ich … Automatisch versuchte ich zu fliehen. Nein! Schrie es in meinem Kopf. Das Wenige, das ich gesehen hatte, reichte aus, um mich in Verzweiflung zu stürzen. Er hielt mich davon ab, zu flüchten. Keine Ahnung wie, aber ich wusste, dass ich mich mit Händen und Füßen wehrte. Der Schock, des Gesehenen reichte aus, damit ich, wie um mein Leben kämpfte. Ich wollte das nicht. Nein, das war ein schlechter Traum, doch er zog mich weiter in den Raum rein.
Ich wusste nicht, wie oft ich »Nein« geschrien hatte und »Lass mich los!«, und keine Ahnung was, aber es brachte mir nichts.
Er fesselte mich mit seinen geübten Händen und ich hing dann nur noch an diesem, diesem Kreuz.
Alles verschwamm vor meinen Augen und nicht einmal seine Erklärung drang durch. Ich war wieder in mich gekehrt und ich hoffte, es war gut so.
Nur vage bekam ich mit, dass er mich mit einer Gerte auspeitschte und mich danach stundenlang an dem Kreuz hängen ließ. Mich in 'mein Zimmer' zurückbrachte und mich nahm. Mich fickte, mich vergewaltigte. Es war das erste Mal, dass er dies tat, ohne mich zu fragen, was ich wollte. Es war ganz anders, es war nicht er und dennoch wusste ich, dass es irgendwann so enden würde.
Immerhin war er mein Master und ich sein Sklave.
Freiwillig, weil ich vor Jahren den Vertrag unterschrieben hatte. Ich fragte mich immer noch, welchen Vertrag überhaupt?
Und doch, schrie ich bei jedem Hieb und jedem Stoß, den er tat, innerlich nach Kyel. Bettelte um Gnade, welche 'mein Master' nicht erhörte.
Dennoch, ganz tief in mir drin, würde ich ihm nicht nachgeben. Ich würde einen Weg finden, um hier herauszukommen.
Ich hatte nicht umsonst über zehn Monate diese Scheiße mitgemacht, um nun hier zugrunde zu gehen.
Gefesselt lag ich in meinem Bett und hörte nur noch, wie er die Tür hinter sich abschloss. Körperlich total zerschunden und erleichtert darüber, seine Gesellschaft nicht länger ertragen zu müssen, schlief ich ein.
Manchmal traumlos, manchmal verfolgten mich starre graue Augen, manchmal streichelten mich meeresgleiche Augen, manchmal träumte ich irgendetwas Sinnloses und dann wieder etwas Wichtiges. Ich wachte auf, um auch gleich wieder einzuschlafen.
Ich war ausgelaugt und mein Körper war ein einziger Schmerz. Meine Arme und Beine sowie mein Oberkörper war nur ein Ziehen und Brennen. Wie viele Schläge hatte ich bekommen? Waren es zehn? Ja, es waren zehn. Er hatte verlangt, dass ich nach jedem Hieb runterzählte. Und als er fertig war, musste ich mich bedanken, sonst hätte ich weitere Zehn bekommen.
Danach war es nur noch die Hölle. Alles hatte er mir vorher ins Ohr geflüstert. Alles, was er mit mir vorhatte und wie lange er schon darauf gewartet hatte. Gewartet, dass ich wirklich über alle Maßen ungehorsam war, um ihn als meinen Master endgültig zu akzeptieren.
Nur hatte er nicht mit meinem Willen gerechnet. So schnell würde ich nicht aufgeben, egal, was ich noch zu ertragen und zu erleiden hatte, ich würde ihm nicht klein beigeben.
Sicher hatte ich mich ihm gefügt, um Schmerzen zu vermeiden, aber im Endeffekt hatte es mir nichts gebracht. Egal, wie gehorsam ich war, er fand immer irgendetwas, um mir irgendeine Lektion zu erteilen.
Wie viele Tage waren nun wieder vergangen? Ich wusste nicht, wie oft ich mich das schon gefragt hatte. Wieder war es Morgen und ich machte mich innerlich bereit, mein Frühstück zu empfangen. Dafür nahm er sich immer besonders viel Zeit und was mir auffiel, dass ich sehr selten Mittagessen bekam, aber wiederum jeden Abend, Abendessen und dass ich mich waschen konnte.
Warum ich kein Mittagessen bekam, war mir klar, schließlich gab er in dieser Zeit, in der Schule, seinem Unterricht.
Ich hörte seinen Wecker, der nach wenigen Sekunden verstummte. Ich vernahm, wie er aufstand, seiner Morgentoilette nachging und in der Küche herumwerkelte.
Bei jedem Geräusch zuckte ich zusammen, immer darauf gefasst, dass er ins Zimmer trat. Nichts.
Das Einzige, was ich mitbekam, war, dass er die Wohnung verließ. Tief atmete ich ein. Auf der einen Seite war ich erleichtert, auf der anderen, hatte ich mich schon so daran gewöhnt, dass mein Körper ihn irgendwie schmerzlich vermisste.
Angewidert von diesem Gefühl, verzog ich meine Lippen und dämmerte weg. Schlafen war der einzige Zeitvertreib, welcher mir blieb, um nicht in Langeweile zu zerfließen oder den Verstand zu verlieren.
Irgendetwas Störendes weckte mich. Irgendetwas, dass gar nicht in diese Stille, in diese gefühlte Kälte, in dieses Zimmer passte. Etwas, das meine Hoffnung anspornte und ich schlug mit rasendem Herzen die Augen auf.
Setzte mich auf und suchte nach dem Geräusch. Wo war es? Ich beugte mich über das Bett, so weit es die Fesseln zuließen, und betete zu Gott, dass ich da herankam.
Vor allem betete ich, dass es keine Einbildung von mir war und es verstummte. Weiter beugte ich mich runter und es schmerzte schon am Arm. Dennoch dehnte ich mich und tastete mit der freien Hand danach. Ich spürte etwas und mein Herz wummert nur noch. Schweiß bildete sich auf meiner Hand und ich tastete mich dorthin. Ich verfluchte die Fesseln, weil ich nicht unters Bett schauen konnte, geschweige denn, mich weiter dehnen.
Wieder ertönte es und ich erschrak. Blickte zur Tür und betete wieder, dass er nicht da war. Weiter tastete ich und spürte es schon mit zwei Fingern. Ganz vorsichtig versuchte ich, es weiter nach vorne zu bewegen, und ignorierte den Schmerz im anderen Arm.
Irgendwann hatte ich es so weit nach vorne geschafft, dass ich es schnappte und Unglauben brach über mich herein. Ich konnte es nicht glauben, was ich da in den Händen hielt und war schon gewillt, mich zu zwicken, aber die Schmerzen, die ich hatte, reichten aus, um zu wissen, dass es absolut keine Einbildung von mir war. Ich hielt tatsächlich ein Handy in der Hand. Warum das Handy unterm Bett lag, war mir scheißegal. Vielleicht war es Clancy aus der Hosentasche gefallen, als er sich letzte Nacht ausgezogen hatte oder er hatte es absichtlich dort unten deponiert, nur um meine Reaktion zu sehen. Egal. Egal. Ich wollte hier raus. Selbst, wenn es wieder eine Bestrafung nach sich zog. Ich hatte mir geschworen, dass ich alles daran setzte, um hier rauszukommen.
Noch nie war ich so glücklich über etwas, das ich einmal verflucht hatte. Ich blickte auf das Display. Es war Montag. Eine Woche nach meinem Geburtstag. Es waren nur sieben Tage, aber es kam mir vor wie Monate, Jahre. Es war früh, so um kurz nach acht Uhr. Die Nummer, die auf dem Display blinkte, kannte ich. Ich selbst hatte sie schon zur Genüge angerufen. Es war die Nummer meiner Schule.
Mein Zittern wurde stärker, und obwohl ich der Meinung war, keine Tränenflüssigkeit mehr zu haben, liefen mir die Tränen wie ein Wasserfall übers Gesicht. Mit einem Schleier vor den Augen wählte ich die Nummer. Seine Nummer. Jede Zahl, die ich eingab, war ein Befreiungsschlag für mich und es klingelte. Es klingelte tatsächlich am anderen Ende. Es dauerte mir zu lange, bis er abhob. Kyel, überschlugen sich meine Gedanken und endlich knackte es, aber die Mailbox ging ran. Nein, nicht die Mailbox. Immer wieder rief ich: »Kyel«, und als die Frau endlich mit ihrem Text fertig war, flüsterte ich nur noch seinen Namen. Es dauerte etwas, bis ich lauter wurde, und stotterte alles, was mir in den Sinn kam, auf die Mailbox.
Plötzlich hörte ich ihn und seine Stimme brach alle Dämme in mir. Immer wieder flehte ich ihn an, er sollte mich hier herausholen, dass es Clancy war und plötzlich war er weg. Nein, ich wollte mit Kyel reden, schrie ich fast und Anthony beruhigte mich. Er fragte mich, wo ich war, ob ich wusste, wo ich mich befand. Ich musste überlegen und es dauerte etwas, bis ich mich daran erinnerte, was ich beim Blick aus dem Fenster gesehen hatte. Eigentlich kam mir nur meeresblauer Himmel in den Sinn und doch fiel mir ein, dass etwas vor dem Haus, ein Wald war und wenn ich nach rechts geschaut hatte, hatte ich Kyels Firma gesehen. Mehr fiel mir nicht ein und ich verlangte, wieder mit Kyel zu sprechen, aber Anthony gab mir Kyel nicht, sondern sagte, ich sollte auflegen und dass sie bald kommen würden. Dann wieder, dass ich auflegen sollte, da Clancy sonst, das Gespräch zurückverfolgen könnte. Alles überschlug sich und ich wollte nicht auflegen. Ich wollte noch einmal Kyel hören. Dennoch tat ich es. Ich wollte nicht, das Clancy es herausfand. Obwohl ich ganz genau wusste, dass er es herausfinden würde. Ich wusste auch, dass hier überall Kameras waren, die ich die ganze Zeit ignoriert hatte.
Ein Zittern durchfuhr mich und ein kalter Schauer lief mir dem Rücken runter.
Ich war wieder ungehorsam gewesen und gleichzeitig ließ ich die Tür nicht aus den Augen. War es Angst, die mich stetig umgab? Oder war es Hoffnung?
Manchmal spürte ich, wie sich ein Grinsen auf mein Gesicht stahl und dann wieder, waren meine Züge wie eingefroren.
Ich ließ die Tür nicht aus den Augen und auch, wenn sich die Stunden wie Kaugummi dahinzogen und ich immer ungeduldiger wurde, wagte ich es nicht, in meiner Aufmerksamkeit nachzulassen.
Nebenbei bemerkte ich, wie es immer dunkler wurde, ich meinen Hunger unterdrückte und mir immer wieder die Lippen befeuchtete. Ich blickte zur Tür.
Selbst das Handy, ließ ich nicht aus meiner Hand und streichelte es. Irgendwie gab es mir Kraft und ich spürte, wie meine Augen schwer wurden. Nicht schlafen, redete ich mir ein und dennoch schlossen sich meine Lider.
Es war kein Schlafen, bei jedem Geräusch wachte ich auf und meine Hoffnung war noch genauso da. Sie wurde sogar verstärkt, weil Clancy überhaupt nicht kam und es schon fast mitten in der Nacht war. Ich blickte auf das Handy, es zeigte mir kurz vor sieben Uhr abends an und ich kicherte, es war nicht mitten in der Nacht, es war erst früher Abend. Als ich hörte, wie die Haustür aufgeschlossen wurde, zuckte ich zusammen und mein Herz überschlug sich wieder. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Clancy kam, denn nur er hatte den Schlüssel für dieses Haus und ich versteckte das Handy unter der Matratze. Was eh sinnlos war, denn wenn Clancy meinen Tagesablauf abrief, würde er es sehen, dass ich mit seinem Handy telefoniert hatte.
»Sascha …!«, rief jemand, ich kannte die Stimme. Diese weibliche Stimme, ich hatte sie schon einmal gehört und plötzlich sah ich auch ihr Gesicht vor mich.
»Ltd. Shmitz …«, krächzte ich und wurde lauter. »Hier … Ltd. Shmitz …!«
»Sascha, bist du hier drin?« Sie stand vor der Tür und ruckelte an der Klinke.
»Ja … ich bin hier drin.« Gott, mein Körper überschüttete mich mit Adrenalin und alles war nur noch schwammig und butterweich. Ich freute mich und hatte Angst. Ich kam hier raus. Ich weinte und war aufgeregt. Alles brach über mich ein.
»Sascha, geh von der Tür weg. Wir werden sie eintreten.« Eintreten?
»Bin weg. Ich komme gar nicht bis zu der Tür hin!«, schrie ich. Meine Stimme überschlug sich und schon krachte es an der Tür. Sie wurde eingetreten und ich dachte nur … an gar nichts.
Ich war in meinem Leben noch nie so glücklich gewesen, ein anderes Gesicht zu sehen. Mir war es egal, wie sie mich musterte und sie machte sich gleich, an meinen Handschellen zu schaffen.
»Ich habe keine Schlüssel für die Schellen. Die müssen aufgeschnitten werden«, sagte sie und wies ihre Kollegen an, mir etwas über meine Nacktheit zu legen und ihr eine kleine Säge zu bringen.
Ein Polizist brachte mir eine Decke und legte sie über mich. Sofort wurde mir übel. An der Decke war sein Geruch und ich schüttelte sie von meinem Körper. Ltd. Shmitz schaute mich fragend an.
»Es ist seine Decke. Ich will nichts von ihm. Nie wieder«, murmelte ich verlegen und sie lächelte.
»Ist verständlich. Bringt eine Decke aus dem Auto!«, befahl sie ihren Leuten und schaute mich durchdringend an.
»Du musst jetzt ganz stillhalten.« Ich nickte. Sollte mir ja nicht so schwerfallen, immerhin hatte ich still sitzen, liegen und knien zur Genüge gelernt. Dennoch war ich aufgekratzt.
»Ma`am, wir haben nur eine Decke von Ruffy im Auto.«
»Macht es dir was aus, wenn es eine Hundedecke ist?«, fragte mich Shmitz und ich schüttelte den Kopf.
»Ist mir egal, wem die Decke gehört, nur nicht ihm.« Sie nickte ihm zu und gleich darauf hatte ich die Decke, die ich fest um meinen Körper zog. Auch wenn es eine Hundedecke war, so erfreute mich der Geruch. Hund. War das zu fassen! Ich freute mich über einen Geruch, welcher von einem Tier stammt.
In der Zeit, in der sie mich von den Handschellen befreite, fragte sie mich aus. Ob ich verletzt wäre und ob ich gehen könnte. Ich verneinte das eine und bejahte das andere. Nebenbei fragte ich sie, ob ich etwas zu trinken bekäme, und sagte ihr, dass ich auf die Toilette müsste. Ich aber nicht das Klo von Clancy benutzen wollte.
Der Arzt kam und checkte mich durch. Auch er fragte mich über meinen Zustand aus, was ich alles wahrheitsgetreu beantwortete.
Zuerst versuchte ich, dieses Zimmer auf meinen eigenen Beinen zu verlassen, aber sie gehörten nicht mir. Fühlten sich taub und gefühllos an, daraufhin ließ der Arzt eine Trage holen.
Endlich verließ ich die Wohnung und traute meinen Augen kaum. Clancy saß in einem Polizeiwagen und blickte mich mit belustigten Augen an. Hätte ich nicht schon gelegen, wäre ich in dem
Moment auf den Asphalt gekracht und hätte gewartet, bis Clancy mir die Erlaubnis zum Aufstehen gab. Ich sah ihn schon, wie er auf mich zukam … mit diesem Blick … mit…
Langsam wurde mir wieder bewusst, wo ich war, und wandte mich angewidert von ihm ab.
Die Türen des Krankenwagens wurden geschlossen und wir fuhren los. Von einem Helfer wurde ich im Rollstuhl ins Krankenhaus geschoben und meine Mutter und Sarah, die an der Anmeldung in der Notaufnahme warteten, kamen auf mich zugestürmt. Weinend umarmten sie mich und ich zuckte kurz, unter der plötzlichen Berührung, zusammen.
Anthony und Emily traten auf mich zu, ebenso Raoul. Nur ich blickte mich nach jemand anderem um. Nach jemandem, der immer bei mir war.
Wenn sie schon alle hier waren, müsste er nicht weit sein.
»Wo ist Kyel?«, fragte ich und meine Mutter blickte kurz zur Seite, atmete tief durch und sagte:
Kyel wird notoperiert.«
»NEIN!«
Ich glaubte, mich versehen zu haben. Das war doch, … das war doch wirklich … nein? Es musste ein totaler verkorkster Zufall sein, dass ausgerechnet er …?
Ich schüttelte den Kopf und nahm den Rotwein aus dem Regal. Diesen wollte ich mit Sascha trinken, wenn er wieder in meinen Armen lag, und ging zu Loren zurück.
Ich bewunderte ihre Entschlossenheit, für alle zu kochen. Das war ihr Ding, um auf andere Gedanken zu kommen. Immer wieder bemerkte ich, dass sie leicht ihren Kopf schüttelte und ich konnte nur erahnen, dass ihr die Produkte, die sie aussuchte, etwas zu teuer waren. Mein Verdacht bestätigte sich, als sie empört zu mir sagte, dass sie die Flasche Schnaps und den Rotwein definitiv nicht bezahlen würde.
Ab da konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und spürte, wie meine Mundwinkel leicht zuckten. Es war auf eine sonderbare Weise etwas befreiend. Vor allem, weil Sascha bald wieder bei mir sein würde. Es konnte sich nur noch um Stunden handeln. Was mir wiederum wie Tage oder Monate vorkam.
Wie die ganze Zeit über schlenderte ich Loren hinterher und wieder kam mir der Mann, den ich zuvor schon einmal gesehen hatte, bekannt vor. Auch hatte ich das Gefühl, dass er immer wieder zu uns rüberschielte. Loren ging schnurstracks auf die Billigduschgels zu und nun sah ich ihn frontal.
Mit einem Mal ging es entweder sehr schnell oder viel zu langsam. Ich spürte mein Herz nicht mehr, mein Gehirn setzte aus und ich schrie den Mann nur noch an. Beschimpfte ihn mit allem, was mir einfiel und tobte mich zum Wahnsinn.
»Er ist es, … er wagt es. Er hat ihn … verfluchte Scheiße, er ist es …«, dachte ich und griff ihn an. Weit kam ich nicht. Er packte mich mit einer sehr schnellen Bewegung am Handgelenk und brach es.
Ich tobte weiter und bekam nicht mit, wie er eine Waffe zog und auf mich zielte. Nicht nur das, der Typ grinste mich an und murmelte etwas von: »Du bekommst Sascha nie wieder, du wirst ihn nie wiedersehen. Er gehört mir.« Ich hörte es nicht einmal und spürte nur noch, wie meine Beine nachgaben. Wie zierliche Arme mit starkem geübtem Griff mich packten und ich nur noch ihr Gesicht sah.
Schock, Unglauben und Fassungslosigkeit spiegelten sich in einer einzigen Maske wider.
Das Aufwachen nach der Narkose war grausam. Irgendwie drehte sich alles und bewegen konnte ich mich auch nicht. Nicht einmal an Sascha hatte ich gedacht und schlief wieder ein. Es war ein Wechsel von Schlafen und Aufwachen. Besonders, wenn die Nachtschwester immer wieder in das Zimmer kam, um nach dem Rechten zu schauen.
Ich wusste, dass ich ihm Krankenhaus lag und ich wusste auch, dass mich dieser Arsch von einem Wichser angeschossen hatte.
Was ging mir eigentlich in diesem Moment durch den Sinn? Soweit ich mich erinnerte, gar nichts. Ich war nicht fähig an irgendetwas zu denken, die Gefühle, die ihn mir hausten, waren so überwältigend, dass ich keine klaren Gedanken fassen konnte und wollte.
Wahrscheinlich hatte Gott mich deshalb nicht zu sich geholt.
Ich schlief wieder ein.
Ich wachte wieder auf. Es war hell. Wieder schlief ich ein. So ging es hin und her. Wieder wachte ich auf und hörte Stimmengewirr.
Kurz bekam ich mit, wie ich aus dem Zimmer in ein anderes geschoben wurde, doch bevor ich mehr wahrnehmen konnte, schlief ich erneut ein.
Irgendwann hatte ich das eigenartige Gefühl, dass mir warme Hände in einen nicht vorhandenen Traum folgten. Dieses sanfte Streicheln, dieses bekannte Streicheln … ich wagte es nicht, meine Augen zu öffnen. Dieser Traum war einfach zu schön, um wahr zu sein, und dennoch …, wenn ich vielleicht einfach etwas durch meine Lider lugte, nur um herauszufinden, ob …
Mit brutaler Gewalt drang dieser mir nur allzu bekannte Blick, dieser grünlich braune, ›nur nicht so viel Emotionen zeigende Blick‹ in mich.
Es war unbeschreiblich, was ich fühlte. Ich konnte es nicht glauben, mehr …
Ich drehte meinen Kopf noch weiter in dessen Richtung und sofort spürte ich, wie die sanfte Bewegung innehielt. Er grinste.
»Hey!«, krächzte ich.
»Hi!«, gab er zurück und sein Druck wurde fester. Er umgriff meine Hand und wir verschlangen unsere Finger ineinander. Ich versuchte mich aufzurichten, aber er drückte mich wieder runter.
»Bleib liegen, sonst reißt die Wunde wieder auf.« Unsere Hände waren verschwitzt. Sascha schien es auch zu spüren und nahm seine andere Hand, um unsere zwei ineinander verschlungenen Hände zu unterstützen.
Wir waren nicht fähig irgendetwas zu sagen. Wir blickten uns nur in die Augen und ich sog jede noch so kleine Einzelheit von seinem wahnsinnig hübschen Gesicht in mich rein.
Keine Ahnung, wie lange wir uns so ansahen, aber dieser Moment gehörte einfach nur uns.
»Es ist ein Traum. Ein viel zu schöner Traum!«, flüsterte ich, nicht fähig meinen Blick von ihm zu nehmen. Nicht einmal zu zwinkern wagte ich und er schüttelte unmerklich den Kopf.
Und er war viel zu kurz.
»Ach Darling, was treibst denn du schon wieder!«, durchriss Raoul unseren magischen Moment.
Von dem behandelnden Arzt erfuhr ich, dass es ein Bauchsteckschuss war, der mir die Milz zerfetzt hatte, sodass sie entfernt werden musste. Vor allem aber, dass ich vor dem Exitus gestanden hätte, wenn Loren nicht ihren kühlen Kopf bewahrt und Erste Hilfe geleistet hätte.
Mir war es irgendwie so was von egal, ich sehnte nur jede Sekunde herbei, die Sascha bei mir sein konnte. Selbst er musste sich behandeln lassen und keiner sah sich imstande, mir etwas über seinen Gesundheitszustand zu berichten. Sie meinten alle, ich sollte mich erst um mich kümmern, aber ich wollte das nicht. Verdammt konnten die es nicht verstehen? Mir ging es gut. Die Wunde verheilte besser als gedacht, mein Handgelenk war eingegipst worden und aufstehen durfte ich auch schon. Aber und nun kam es, nicht alleine, denn ich musste mit dem Rollstuhl fahren. Ich war nicht behindert und ich wollte zu Sascha. Ich wollte nicht ständig warten, bis er zu mir kam.
Nicht einmal die Station, auf der er lag, hatten sie mir mitgeteilt. Sogar die Krankenschwestern und Pfleger hielten dicht und so wanderte ich, auch ohne Erlaubnis, im Zimmer auf und ab.
Irgendwann am späten Vormittag des vierten Tages kam Anthony und überreichte mir einen Brief von der Staatsanwaltschaft.
»Sorry …!« Ich schaute ihn fragend an. »Ich habe den Brief geöffnet … Gewohnheit schätze ich.« Er grinste verlegen. Ich zuckte nur mit den Schultern. Wollte zu gerne wissen, was sein Problem war. Immerhin belauschte er sämtliche privaten und geschäftlichen Telefonate. Fing alle E-Mails ab und hatte schon vorher meine Post geöffnet.
»Im Moment gibt es nichts, was du nicht weißt, also mach dir nicht in die Hose, nur weil du das Briefgeheimnis nicht gewahrt hast.« Er nickte nur und ich nahm den Brief raus. Ich las ihn, und wenn meine Wunde mich nicht so arg geschmerzt hätte, hätte ich laut und zynisch losgelacht.
Ich schmiss den Brief von mir weg und funkelte Anthony böse an.
»Ich kann nichts dafür!«, hob er entschuldigend die Hände und ich atmete erst einmal tief ein.
»Ja, ich weiß!«, kam es dennoch heftiger rüber, als gemeint. Nicht einmal das zweite tiefe Einatmen brachte etwas. »Dieses kleine miese Arschloch! Was fällt dem überhaupt ein? Warum werde ich wegen versuchten Mordes angeklagt?«
»Das ist ganz einfach. Er hat Zeugen, die gesehen haben, wie du dich auf ihn gestürzt hast und alle sagen, dass er nur aus Notwehr die Waffe gezogen hat.«
»Das ist so ein dreckiges Mistschwein!«
»Ja, ich weiß …«, meinte Anthony. Ich verdrehte meine Augen und sofort horchte ich auf. Dieses zögerliche und leise Klopfen, ich kannte es und meine Wut verpuffte sich in Rauch.
Ein grinsender Kerl, mit einem leichten Hauch rot auf den Wangen, grünlich braunen Augen und einer wahnsinnig athletischen Figur, die sich unter einem Jogginganzug zu verstecken versuchte, betrat das Zimmer. Ich konnte nicht anders und grinste zurück.
Sascha blickte sich um und meinte: »Komme ich ungelegen?« Sofort schüttelte ich den Kopf.
»Wie kommst du darauf?«, erwiderte ich und wie jedes Mal, zerfloss ich in sehnsüchtiger Erwartung seine Lippen zu spüren. Dies blieb mir bisher stets verwehrt. Bisher.
Langsam kam er auf mich zu, noch etwas verhalten, aber nicht mehr so angespannt und ängstlich, wie am Anfang. Er beugte sich etwas zu mir runter und ich roch ihn schon. Alle Signale sprangen auf Hochspannung und endlich, ja endlich berührten sich unsere Lippen. Ich wollte ihn schon an mich drücken, aber sofort, als er meine Bewegung spürte, versteifte er sich und ich besann mich.
Ich wusste nicht, was der Wichser alles mit ihm angestellt hatte und ich dachte, meine schlimmsten Albträume waren dagegen auch nur einfache gute Nacht Geschichten.
Dennoch reichte dieser Hauch von einem Kuss aus, meine Saschasucht etwas zu stillen.
»Wie geht es dir?«, fragte ich ihn und er grinste verlegen.
»Gut! Ich werde heute entlassen!«
»Schon?« Eine Welt brach kurzzeitig zusammen, dennoch freute ich mich für ihn. Was mir allerdings komisch vorkam, er grinste immer noch. Intensiv musterte ich ihn und er grinste einfach weiter. Selbst Anthony schien sich zurückhalten zu müssen und langsam fragte ich mich, was die vor mir geheim hielten.
Na ja, was sollte es. Ich würde es früher oder später sowieso erfahren. Eine Krankenschwester kam rein und schickte meinen Besuch vor die Tür. Schnell und routiniert legte sie mir einen neuen Verband an, kontrollierte den Gips und verschwand darauf auch gleich. Sascha und Anthony kamen nicht wieder rein. Wahrscheinlich waren sie zum Kiosk gegangen, denn sie tranken Kaffee.
Die Minuten verstrichen und ohne anzuklopfen, kam der Chefarzt, mit einigen Begleitern, ins Zimmer. Ziemlich geschäftig wirkte er und war Arsch freundlich. Stellte mich seinen Begleitern vor, die allesamt irgendwie den Status Chefarzt aufwiesen, und erklärte haargenau, was passiert war. Innerlich verdrehte ich nur die Augen, denn er war auch nur so scheißfreundlich, weil ich Privatpatient war und er nur die Dollars sah, die er an mir verdienen konnte. Lenard hielt sich im Hintergrund. Er war Chefarzt für irgendwelche inneren, organischen Angelegenheiten. Ich hörte kaum zu.
Kurz fragte er mich, wie es mir ging, blickte in seine Akte und meinte, dass die Wunde sehr gut verheilte, ich nur noch den Zettel zu unterschreiben hätte und dann gehen könnte. Allerdings sollte ich mich alle zwei Tage bei meinem Hausarzt melden, und wenn Komplikationen auftraten, was er nicht dachte, mich wieder im Krankenhaus einfinden.
Ich war leicht vor den Kopf gestoßen und es dauerte einige Sekunden, bis ich das Gesagte verarbeitet hatte. Und nun wusste ich auch, warum Sascha ständig gegrinst hatte. Mein kleiner Orkan hatte es schon gewusst und mir nichts gepfiffen. Aber warte, wenn es ihm wieder besser ging, würde ich es ihm heimzahlen. Nein, die Abreibung würde sofort kommen.
Es dauerte noch eine gute Viertelstunde, bis die beiden, die nun Anhang dabei hatten, wieder zurückkamen. Sascha gefolgt von Emily, John und Anthony. Loren gefolgt von Sarah und am Ende Raoul, dem ein mir unbekannter junger Mann folgte. Sofort schmiegte sich Sarah an diesen. Hmm, es müsste ihr Neuer sein. Seinen Namen wusste ich noch immer nicht.
Es war ein Ausbruch, wie in einer italienischen Familie. Jeder sprach mit jedem und keiner hörte dem anderen zu. Nur Sascha und ich, wir blickten uns in die Augen und schalteten die Unterhaltung der anderen aus.
»Hmm, was hat der Arzt gesagt?«, fragte er und leckte sich dabei etwas über seine Lippen. Dies war für ihn unbedacht, hatte aber für mich eine sehr starke und besondere Wirkung. Und ich würde nun nichts lieber machen, als mich in dieser wunderbaren Wölbung zu verbeißen.
»Dass ich noch zwei Tage unter Beobachtung hierbleiben muss«, log ich und sah, wie seine Züge entgleisten. Ich hingegen hatte damit zu tun, meine Mundwinkel zu beruhigen, die sehr stark zuckten. Natürlich sah er das.
»Lügner!«, murmelte er nur und ich nickte.
»Ich will dich küssen!«, hauchte ich ihm leise zu und er schmunzelte, was nicht echt war.
»Dann tu es«, flüsterte er. Ich schüttelte nur den Kopf. Ich sah in seinen Augen, die Angst, die immer wieder aufloderte.
»Nein, ich werde dich zu nichts zwingen, was du selbst nicht willst. Und im Moment sind dir Berührungen, welcher Art auch immer, unangenehm.« Erleichtert sah er mich an. Was mir einem höllisch schmerzenden Stich durch mein Herz jagte.
Was hatte dieser Arsch, Sascha angetan.
Das Leben könnte nicht besser sein, wenn nicht ständig irgendjemand nach meinem Befinden fragen würde. Mir ging es gut und die Entführung lag über vier Wochen zurück.
In dieser Zeit hatte ich mehr Ärzte und Psychologen kennengelernt, als ein Chefarzt in einem Krankenhaus in seinem ganzen Leben. Ich rannte von einem Termin zum Nächsten und immer wieder kamen Mom oder Janet mit einem Neuen daher. Nun sollte es ein Heilpraktiker sein, der mit irgendwelchen Cremes meine Berührungsangst oder wie die beiden zu gerne fachsimpelten, meine Aphenphosmphobie behandeln sollte.
Tief atmete ich ein und hoffte, dass die Frau an der Anmeldung, bei besagtem Heilpraktiker, meinen Namen einfach übersah.
Ich tat so, als ob ich in einer Zeitung las, und blickte mich verstohlen in dem Warteraum um. Hier war es auch nichts anders, als in den Warteräumen der anderen Ärzte. Immer noch hoffte ich, dass sie mich einfach vergaß oder mein Name, wie von Geisterhand, aus ihrem Terminkalender verschwand. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, selbst meinen Namen aus dem Kalender zu streichen und einfach aus dem Wartezimmer zu fliehen.
Leider zu früh gefreut, ich wurde aufgerufen. Wieder atmete ich tief ein, betrat dann das Zimmer und wunderte mich, dass der Doktor oder was er auch sein sollte, schon am Schreibtisch saß und aufstand.
Freundlich kam er mir entgegen und streckte seine Hand aus. Ich blickte auf die mir gereichte Hand und dann in seine Augen. Sie waren braun und ich schloss kurz meine Augen. Der Typ hatte sein Alter, fast seine Züge, aber was wichtig war, nicht die starren grauen Augen und ich streckte ihm meine Hand entgegen.
»Es ist nur eine Begrüßung. Nichts Weltbewegendes«, murmelte ich wie schon so oft, dieses Mantra in meinem Kopf auf und ab. So stellte ich mich auf kommende Berührungen ein.
Sanft, fast schon behutsam ergriff er sie und bot mir anschließend den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand, an. Als er sich setzte, machte ich Anstalten mich auf den mir dargebotenen Stuhl zu setzen.
Er war freundlich und ich erkannte, dass es kein künstlich aufgesetztes Lächeln war. Er wirkte von Natur aus so sympathisch. Mir wurde leicht schwummrig. Nicht weil er mir gefiel, sondern, weil mir seine Nähe Unbehagen bereitete. Warum? Ich wusste es nicht. Mein Herz raste und auf meinen Händen bildete sich ein leichter Schweißfilm. War es der Händedruck?
»Mr. Fleischhauer!«, kurz erschrak ich.
»Ja!«
Wie auch bei den vorherigen Sitzungen, bestand dieser Besuch aus Fragen, die ich wahrheitsgemäß, soweit ich dazu imstande war, beantwortete. War ich froh, als ich wieder draußen war und ich nahm mir vor, den nächsten Termin, den seine Helferin, schon gewissenhaft eingetragen hatte, abzusagen.
Vor dem Gebäude holte ich erst einmal tief Luft. Dieser Mann hatte mich ziemlich nervös gemacht. Er war ein Zwischending von Clancy und Kyel und dies brachte mich in eine sehr unangenehme Situation. Ganz besonders als mir schlecht wurde. Nicht, weil es was mit meinem Magen zu tun hatte, sondern, weil ich geil war. Der Arzt war sehr dominierend und ich möchte dieses Gespräch nicht wiedergeben.
Diese Symbiose zwischen meinem Schwanz und meinem Magen harmonierte auf eine Weise, sodass ich immer kurz vor dem Kotzen stand. Ein Ekelgefühl stellte sich bei mir immer wieder ein.
Am schlimmsten war es, wenn ich wach wurde und sich die sogenannte Morgenlatte zeigte. So war mein erster Gang immer aufs Klo. Galle herauskotzen, kaltes Wasser in der Dusche anstellen und mich unter den Eisstrahl stellen. Ich hasste meinen konditionierten Körper, der darauf abgerichtet war, am Morgen, nach dem Aufwachen auf ihn zu warten. Das kalte Wasser über meinen verfluchten erregten Körper laufen zu lassen, bis ich nur noch zitterte und blaue Lippen aufwies.
Oft holte Kyel mich raus und bedachte mich mit diesem Ausdruck, der aus verzweifelter Lust bestand. Aber ich konnte diesen Blick nicht ertragen und stieß ihn immer wieder von mir weg.
Ich schüttelte den Kopf.
Damit musste endgültig Schluss sein und genau aus diesem Grund ließ ich mich von einem Arzt zum Nächsten schleppen. Dennoch konnten die mir nicht weiterhelfen und ich schnaubte resigniert.
Vor der Arztpraxis oder was es auch war, wartete bereits Emily mit John. Ich stieg zu ihr ins Auto. Kurz fragte sie mich, wie es war und als ich abwinkte, nickte sie nur und fuhr los.
Bei Emily fühlte ich mich wohl. Sie bombardierte mich nie mit irgendwelchen bohrenden Fragen, sondern packte die Sache mit ihrem eigenen Charme an.
Die Fahrt verlief schweigend, bis Emily irgendwann die Stille unterbrach.
»Wann gehst du wieder zur Schule?« Wieder einmal hüpfte mein Herz und ich blickte, mit meinem Kinn auf der Hand, weiter aus dem Fenster. Die Gebäude huschten an mir vorbei und ich war nicht fähig, auch nur eines davon zu erkennen, obwohl ich genau wusste, um welche Läden oder Märkte es sich handelte.
»Ich weiß es nicht. Ich spiele mit dem Gedanken, die Schule zu wechseln.« Zwar sah ich sie nicht an, aber ich wusste, dass sie mich kurz musterte.
»Meinst du, dass das eine gute Idee ist? Immerhin kennst du alle, die auf deine Schule gehen.« Ich schnaubte. Das war es ja. Ich kannte dort alle, ganz besonders die Lehrerschaft. Und vor allem, noch einen mit seiner dämlichen Clique. Ich schloss die Augen und sah Davids grinsendes Gesicht vor mir. Es wäre alles kein Problem, ich könnte ihm die Stirn bieten, aber nicht in meiner momentanen Verfassung. Meine innere Abwehr war zerbrochen und nur die Vorstellung, wie er seine 'Leute' auf mich hetzte, verursachte krankhafte Übelkeit. Ich war mir sogar sicher, dass ich es nicht einmal schaffen würde, überhaupt einen Fuß in die Schule zu setzen, ohne an dieses eine Gesicht zu denken. Seinen Körper, seinen Geruch und vor allem, an seine Hände und was sie alles mit mir angestellt hatten. Ich verzog meine Lippen und schluckte den bitteren, nach Galle schmeckenden, Geschmack runter.
»Emily, allein nur der Gedanke daran, wieder in diese Schule zu gehen, verursacht Hautkrebs. Ich kann da nicht mehr hingehen. Schon gar nicht in das Klassenzimmer, in dem er unterrichtet.«
»Unterrichtete. Er wurde suspendiert.« Verbesserte sie mich und es war mir scheißegal. Er war dort. Er saß auf dem Stuhl. Er schrieb an die Tafel. Es war ein Ort, an dem er tagtäglich gegenwärtig gewesen war und ich ihn jeden Tag sah. Nein!
»Ist die Verhandlung schon vorbei?«, fragte ich Emily, nachdem wieder eine unheimliche Stille eingetreten war. Sie schüttelte den Kopf und setzte den Blinker zum Nobelviertel. Das nun, ich konnte es immer noch nicht glauben, zu meiner neuen Heimat geworden war.
Obwohl es seit Tagen unaufhörlich geschneit hatte, schien es, als ob die Straßen und der Gehsteig, eine Bodenheizung besaßen. Alles war fein säuberlich gefegt worden und kein einziger Schneehaufen zierte die Landschaft.
»Nein, Kyel hat noch nicht angerufen, aber die Paparazzi haben was aufgeschnappt. Vor dem Gerichtsgebäude wimmelte es von Fotografen und Reportern«, meinte sie und parkte das Auto auf dem Parkplatz vor der Villa. Sie stieg aus und widmete sich ihrem John. Er war ein sehr friedliches Baby und ich hatte ihn schon sehr lange ins Herz geschlossen. Ganz besonders, weil er eine sehr beruhigende Wirkung auf mich hatte.
»Warte, ich nehme dir John ab!«, sagte ich und nahm Emily den Kindersitz, in dem John schlief, ab. Sie lächelte, sagte aber nichts dazu und schloss die Villa auf.
Die Villa war leer. Alle waren ausgeflogen und gingen ihren eigenen Tätigkeiten nach.
Ich setzte John auf dem Küchentisch ab und fing an, seine zierlichen Ärmchen aus der viel zu dicke Jacke zu befreien. Als ich es endlich geschafft hatte, ihn von dem ganzen Ballast zu befreien, nahm ich ihn auf meine Arme und setzte mich auf die neue Eckbank. Er schlief immer noch und Emily schüttelte den Kopf.
»Ich frage mich immer wieder, wie du das machst. Bei mir fängt er sofort an, sich zu beschweren.« Kurz blickte ich zu ihr hoch und widmete mich dann nur noch, dem Betrachten des kleinen Geschöpfes. Seine viel zu kleinen Finger nahm ich in meine Hand und wärmte diese. Er gähnte, öffnete seine Augen, nur um sogleich wieder einzuschlafen. Dies gab mir, für einige Zeit, meinen Seelenfrieden zurück. Meinen Einklang mit mir selbst, denn wenn die kalte Dusche nichts half, nahm ich mir John und kuschelte mich mit ihm in irgendeine Ecke. Ihm stundenlang, nur beim Schlafen zuzusehen, brachte mehr, als jede Sitzung bei irgendeinem Arzt, Psychologen oder Heilpraktiker.
So blöd, wie das klingen mochte, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass aus John auch einmal so ein gewalttätiger Mann, wie Clancy, werden könnte. Ich konnte es mir nicht vorstellen, dass Clancy selbst einmal so süß und friedlich gewesen war. Zwei Gegensätze und doch so nah zusammen.
Ich schloss meine Augen, denn das Zittern, welches meinen Körper wieder überfiel, behagte John gar nicht und er öffnete erneut seine Augen. Krampfhaft versuchte ich, mich zu beruhigen und drückte John fester an mich heran. Ihm schien es zu gefallen. Er gähnte wieder, ließ aber diesmal seine Augen offen.
»Guten Morgen!«, murmelte ich und sein kleiner Mund verzog sich zu einem Grinsen.
Etwa eine Stunde später verabschiedete sich Emily und ich machte mich auf, in den Waschkeller zu gehen, um die angesammelte Wäsche in die Maschine zu stopfen. Sicherlich müsste ich das nicht machen, aber es half mir, die Langeweile zu überstehen. Auch sämtliche Anlagen und Elektrogeräte bediente ich auf sinnlose Weise. Selbst Besteck und Geschirr benutzte ich mehr, als es nötig war. Für einen Joghurt, den ich aus dem Kühlschrank nahm, benutzte ich einen Löffel und eine Schüssel, in die ich den Joghurt schüttete. Für das Brot ein Messer, ein Messer für die Butter und ein Messer für die Marmelade oder Schmierwurst. Sogar für die zwei Brote brauchte ich jeweils einen Teller. Und dabei sagte ich mir immer wieder, dass ich das Geschirr und Besteck benutzen durfte.
Auch, wenn ich die Stereoanlagen an- und ausschaltete. Immer wenn ein Lied zu Ende war, schaltete ich sie aus, nur um sie nach ein paar Sekunden wieder einzuschalten. Dies war wirkliche eine Methode, um den aufgestellten und tief in den Knochen verwurzelten Verboten entgegenzuwirken.
Ein Teufelskreis, in den ich mich selbst gebracht hatte. Alles, was Clancy mir anhand der Regeln verboten hatte, vollführte ich doppelt so oft. Und schon musste ich über mich selbst lachen.
»Dir ist es nicht erlaubt, dich selbst zu befriedigen!« Wow, das könnte ich nicht einmal, selbst, wenn ich es wollte. Diesen Befehl hielt ich noch immer brav ein.
Allein der Gedanke, mir einen runterzuholen, verursachte, dass Galle in mir aufstieg. Dieses einst für mich wunderschöne Gefühl, war auf bestialische Weise verdorben worden.
Mit einer Chipstüte und natürlich einer Schüssel, weil ich die Chips in die Schüssel schütten musste … musste nicht, aber ich wollte es, nur um mich über das Verbot hinwegzusetzen, nicht das Geschirr zu benutzen, da es zu den Luxusartikeln gehörte, ging ich ins Wohnzimmer und setzte mich auf die Couch. Schaltete den Fernseher an und starrte einfach in die Flimmerkiste. Ich bekam nicht mit, worum es ging und es war mir auch egal.
Automatisch griff ich in die Schüssel mit den Chips und holte mir gedankenverloren eine Handvoll heraus. Noch bevor ich registrierte, was ich tat, stopfte ich sie mir in den Mund. Erst als ich meine Finger am Mund spürte, zuckte ich erschrocken zusammen. Diese Berührung stieß mich, in Bruchteilen von Sekunden, in die grauenvolle Vergangenheit zurück und ich rollte mich, auf der Couch, zu einem Embryo zusammen. Ließ meinen Tränen freien Lauf und schloss irgendwann meine Augen. Ich konnte mich nicht einmal mehr selbst anfassen, ohne an ihn zu denken.
Damit musste endlich Schluss sein. Ich war hier bei Kyel, bei seiner und meiner Familie und hier war es egal, wie viele Sachen ich benutzte oder auch nicht, ob ich mit den Fingern aß oder mit Besteck. Immerhin machte ich mir mehr Arbeit, als die ganze Sache wert war.
Das Einzige, was ich mir einhandelte, bei dem Versuch den inneren Zwang des Gehorsams zu überwinden, war die Schimpferei von meiner Mutter, die sich Abend für Abend wunderte, warum der Geschirrspüler so vollgestopft war.
Ich stand auf und schaltete das kalte Wasser in der Dusche an. Stellte mich darunter, ertrug meine selbst auferlegte Pein und wartete bis die Übelkeit, sowie die anschwellende Härte abklang.
Schnell zog ich mich an und ging ins Schlafzimmer.
»Na, wieder kalt duschen?« Ich erschrak und aus dem süffisanten leichten Grinsen wurde ein schmaler Mund. So als ob er sich selbst auf die Lippen biss, weil er was Falsches gesagt hatte. Ich nickte nur.
»Du bist ja wieder da! Wie war die Verhandlung?« Nun war ich es, der sich auf die Innenseite der Lippen biss. Denn ich war es, der die ganze Zeit, nichts von dieser Verhandlung hatte hören wollen, beziehungsweise diesen Namen.
»Die Anklage wurde fallen gelassen«, meinte er nur und hing sein Jackett in den Schrank. Wieder nickte ich.
»So!«, sagte ich darauf und vermied es, ihn anzuschauen.
»Ich habe auch nichts anderes erwartet. Es war sowieso schon vorher im Gespräch, dass es nach der Anhörung beider Parteien eine schnelle Entscheidung gibt. Zumal er jetzt, aufgrund meiner Aussage, wegen versuchten Mordes angeklagt wurde.« Er trat vom Schrank weg und knöpfte sich sein Hemd auf.
»Ich gehe in die Küche!«, sagte ich und hörte nur noch, wie er schnaubte und anschließend, nachdem ich das Schlafzimmer verlassen hatte, mit seiner Faust gegen die Schranktür schlug.
Der Abend verlief wie immer. Nach dem Essen verzog ich mich ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein, doch sobald Kyel ins Zimmer kam, verzog ich mich ins Schlafzimmer, um dort den Fernseher einzuschalten.
»Sascha!«, sprach Kyel mich an.
»Hmm!«, ich schaute zu ihm hoch. Zu meinem Glück war er noch komplett angezogen.
»Bekomme ich einen Kuss?« Ich gab keine Antwort und blickte wieder zum Fernseher.
»Sascha, bitte!« Ich schnaubte und nickte schließlich. Kyel blieb angezogen und setzte sich aufs Bett. Langsam kam er mir immer näher und ich spürte schon das bekannte Kribbeln. Er hob seine Hand und ich wich vor ihm zurück. Starrte seine Finger an und mein Herzschlag verdoppelte sich.
»Tschuldige, … darf ich über dein Gesicht streicheln?« Ich nickte, doch dann schüttelte ich den Kopf. Er ließ seine Hand wieder sinken und mein Herzschlag beruhigte sich.
Wieder kam er ein Stück näher und unsere Lippen waren nur noch einige Zentimeter voneinander entfernt. Meine Atmung beschleunigte sich und nun berührten seine weichen Wölbungen, die meinen.
Ich spürte seinen leichten Hauch und aus meiner Kehle kroch ein undefinierbarer Ton heraus. Kyel drückte sich weiter an meine Lippen und ich öffnete sie unbedacht. Erst als ich seine Zunge spürte, …
Blieb die Zeit stehen …
Spulte zurück …
Ich war gefesselt. Sein Griff in meinem Nacken. Seine Zunge überall. An meinem Hals, in meinem Mund, auf meiner Brust, in meiner Öffnung und ich wehrte mich, stieß Kyel von mir weg und sprang aus dem Bett.
Krümmte mich, kotze mir die Seele aus dem Leib und fiel zitternd auf meine Knie.
»Sascha …!«
»Komm nicht näher …!« Meine Arme hielt ich um meinen Körper und versuchte, dieses Gefühl, welches ich vorhin in der Dusche erfolgreich unterdrückt hatte, zu verdrängen.
So konnte es nicht weitergehen. So konnte es einfach nicht mehr weitergehen.
»Ich will dir nur aufhelfen.«
»Nein!«, stieß ich hervor und ich hörte ihn laut einatmen.
»Okay, dann heißt es heute, wieder Couching!« Unsere Blicke trafen sich und ich sah nur Verzweiflung in seinen Augen. Seine Hilflosigkeit und vor allem, seine Liebe. Er schnappte sich sein Bettzeug und ging ins Wohnzimmer. Ich versuchte meine Atmung und meinen Herzschlag zu beruhigen, doch ich wusste, dass es wieder unter die kalte Dusche ging.
Verfluchte meinen Körper und gleichzeitig sehnte ich mich nach Kyel. Nach seiner Umarmung, nach seinen Händen, seinem Mund und nach ihm. Lange starrte ich zur Tür, durch die er gegangen war und als sich mein Körper so allmählich beruhigt hatte, versuchte ich ohne kalte Dusche ins Bett zu gehen. Schloss meine Augen und zwang mir seine Lippen ins Gedächtnis, die nichts weiter als nur einen Kuss von mir wollten.
Dennoch verstand mein Körper es anders und mir wurde speiübel.
-Aphenphosmphobie: Angst davor, berührt zu werden (Haphephobie)
Scheiße, war ich geil. Und die Verhandlung zog sich ellenlang hin. Immer wieder schob sich die Erinnerung an heute früh hoch, als ich Sascha ins Bad gehen sah, mit einer mehr als mächtigen Latte. Ich stand auf, einfach nur glücklich, weil ich diese Nacht in unserem gemeinsamen Bett verbringen durfte. Dennoch lag ein dunkler Schatten über mir, wie gerne würde ich ihm Abhilfe verschaffen und fing langsam an, die Dusche, die mir mein Recht nahm, zu verfluchen.
Die letzten vier Wochen waren ein Auf und Ab. Mal Händchenhalten, die Finger fest umschlungen und die Krönung von allem, mehr ein Hauch, als ein Kuss. Doch die meisten Nächte verbrachte ich auf der Couch, weil Sascha überhaupt nicht zur Ruhe kam. Albträume plagten ihn, und wenn ich mit im Bett schlief, dann stieß er mich raus oder sprang aus dem Bett und wartet zitternd in der Ecke, bis ich das Schlafzimmer verließ.
Immer wieder fragte ich ihn, ob ich ihn küssen durfte. Das ließ er manchmal zu, aber ich hatte herausgefunden, wenn er selbst auf mich zukam, dann war er nicht so verkrampft und der Hauch von einem Kuss war mehr, wenn auch nicht viel.
Die Verhandlung verlief zu meinen Gunsten und Clancy wurde seinerseits wegen versuchten Mordes angeklagt.
Was ich nicht verstand, sein Rechtsanwalt hatte Zeugen aufgerufen, die alle das Gleiche aussagten - ich hätte ihn zuerst angegriffen und sie hätten gesehen, dass Clancy die Oberhand in unserer Auseinandersetzung hatte. Zudem beantworteten die Meisten die Frage, ob ich in ihren Augen eine Bedrohung für Mr. Clancy gewesen sei, mit einem Nein. So viel dazu!
Das i-Tüpfelchen auf dem Ganzen, wir hatten nur einen Zeugen. Das war Loren, sie hatte ausgesagt, dass sie mich voll und ganz verstand. Sie richtete ihre Aussage an alle Männer, die eine Frau daheimsitzen hatten. Sie sollten sich vorstellen, ihre Frau wäre entführt worden und sie sähen denjenigen, der es getan hatte, was würden sie tun. Vor allem aber sagte sie aus, sie sei eine Mutter, und wenn ich nicht auf Mr. Clancy zugestürmt wäre, hätte sie es getan.
Das war mein Freispruch.
Mit zufriedener Miene verließen wir alle den Gerichtssaal, um gleich von einer Horde Reporter empfangen zu werden. Mein Rechtsanwalt manövrierte uns zielstrebig zum Ausgang und bugsierte uns zu unserem Wagen. Danach hielt er eine kurze Pressekonferenz, in der er den Paparazzi kurz das Urteil verkündigte. Dies alles bekam ich nur im Vorbeigehen mit. Die Fahrt nach Hause war still, denn jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
Ich war erleichtert und je näher wir unserem Zuhause kamen, desto freudiger wurde mein Gemüt. Ich schloss die Tür auf und ging Richtung Wohnzimmer. Dort blickte ich mich um und hörte im Bad die Dusche laufen. Zudem fand ich eine Chipstüte vor, eine Schüssel, zwei Teller und fünf benutzte Gläser, die ich allesamt in die Küche brachte und im Geschirrspüler verstaute.
Loren blickte mich an und schüttelte nur den Kopf.
»Wie lange soll das noch so weitergehen? Ich habe heute früh den Geschirrspüler ausgeräumt und jetzt ist er wieder halb voll. Kyel, selbst die Wäsche ist komplett gewaschen …!«
»Ich weiß es nicht … Loren ich weiß es nicht … ich komme nicht an ihn heran.«
»Sag mir nicht, er steht schon wieder unter der Dusche!?« Ich nickte. »Wie lange schon?«
»Ich weiß es nicht.«
»Dann hol ihn da raus!«
»Nein. Das letzte Mal hat er Duschgel nach mir geworfen und mich angeschrien, … ich solle mich mit meinem verfluchten, schwanzgesteuerten Blick nach draußen schieben.« Ich hörte, wie das Wasser abgeschaltet wurde, und verabschiedete mich.
Schon lange wagte ich es nicht mehr, ihm hinterherzugehen, und wartete im Schlafzimmer, bis er, wie sollte es auch anders sein, vollständig bekleidet wieder aus dem Bad kam.
»Na, wieder kalt duschen?«, wollte ich ihn etwas aufheitern, aber er erschrak und sogleich schämte ich mich für meine unbedachte Wortwahl. Er nickte nur und änderte das Thema. Fragte mich, unüblicherweise, über den Verlauf der Verhandlung aus und blickte immer wieder Richtung Tür. Entweder entschied er sich heute Nacht im Wohnzimmer zu schlafen oder es war eine Andeutung für mich, dass ich das Schlafzimmer sofort zu verlassen hatte.
Da ich müde war und ins Bett wollte, knöpfte ich mir mein Hemd auf. In seinen Augen loderte es auf und er wandte seinen Blick von mir.
»Ich gehe in die Küche!«, hörte ich ihn, doch ich war immer noch in seinen Augen gefangen. Dieses kurze Leuchten, welches mich so närrisch nach ihm machte, hallte in meinen Lenden doppelt so lang nach, als der Augenblick gedauert hatte.
Noch bevor ich es überhaupt vollständig registriert hatte, war er verschwunden und ich schickte Clancy gedanklich zum Teufel. Was hatte er Sascha angetan? Herr Gott, ich wollte es wissen!
Verfluchte Scheiße … Verdammt und ich schlug auf die Schranktür ein.
Ich folgte ihm in die Küche, wo er natürlich wieder eine Standpauke von Loren bekam. Er dies aber, so schien es mir, nicht wirklich mitbekam.
Sascha aß wie immer wenig, nur wusste ich, dass er sich den ganzen Tag über, mit irgendetwas, den Bauch vollschlug. Nur, um das Gefühl zu haben, die Kontrolle über sich zu behalten.
Vor allem aber war es ihm unangenehm, warum … keine Ahnung.
Danach verschwand er wie üblich ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Egal was darin kam, er starrte nur in das Gerät und zuckte zusammen, wenn ich den Raum betrat. Oder er war unter der Dusche.
Freude hoch drei, er war nicht wieder unter der Dusche, er saß auf dem Bett und starrte in den Fernseher.
Scheiße, ich war total auf Entzug. Ich musste mir etwas von ihm tanken, auch wenn es wieder nur ein Hauch wurde. Ich sprach ihn an und er reagierte sehr abwesend. Wie ich das hasste. Ich vermisste sein Aufleuchten, wenn er meine Stimme vernahm. Ich wusste nicht, wie er reagieren würde, doch am Ende fragte ich geradeheraus.
»Bekomme ich einen Kuss?« Herr Gott, wie peinlich war das denn, aber nur so konnte ich abwägen, wie weit er mich an sich heranlassen und wie die Nacht werden würde. Ob ich wieder auf die Couch auswanderte oder mal in meinem Bett schlief.
Scheiße, er reagierte nicht darauf und ich war schon gewillt aufzugeben und doch … ich flehte zu Gott und dann flehte ich Sascha an. Er schaute nach wie vor in den Fernseher, doch dann nickte er zögerlich. Mein Herz zersprang fast vor Freude und sehr langsam setzte ich mich auf das Bett. Nun trafen sich unsere Blicke, wieder sah ich die Angst auflodern, aber er blieb sitzen und seine Atmung erhöhte sich. Er krallte seine Hände ins Bettlaken und ich wollte ihn beruhigen. Ich hob meine Hand, doch er zuckte zurück. Er ließ meine Hand nicht mehr aus den Augen und ich sah, an der Halsschlagader, wie schnell sein Pulsschlag war. Noch eine Stufe höher und er würde einen Herzinfarkt bekommen.
Ich entschuldigte mich und fragte gleich darauf, ob ich sein Gesicht streicheln dürfte. Zuerst nickte er, was sehr überraschend für mich war, doch dann schüttelte er seinen Kopf und ich ließ meine Hand sinken. Totale Erleichterung glomm in seinem verschreckten Ausdruck auf und wieder starb Clancy eines von mir erdachten grausamen Todes.
Langsam aber stetig arbeite ich mich, in dem von Sascha auferlegten Radius, vor. Der Augenblick, seine wundervollen Lippen wieder zu fühlen, ihn zu riechen, rückte immer näher.
Sehr sanft berührten sich unsere Lippen und ich versuchte, mich so wenig wie möglich zu bewegen.
Als ich mich wieder zurückziehen wollte, spürte ich, wie sich seine Lippen öffneten. Mein Herz sprang mir in die Lenden, Schmetterlinge flatterten meine Wirbelsäule rauf und sammelten sich in meinem Gehirn. Dieses Summen der Flügel berauschte mich und auch ich öffnete meinen Mund. Er keuchte. Ich konnte es nicht fassen, …
Wie wild geworden stieß er mich von sich und sprang aus dem Bett. Übergab sich und verkroch sich wieder in seine Ecke. Er zitterte wie Espenlaub und aus Erfahrung wagte ich es nicht, mich ihm zu nähern. Dies würde alles nur verschlimmern.
»Sascha!«, sagte ich nur und er schaute mich an. »Ich will dir nur aufhelfen!« Energisch schüttelte er den Kopf und sein Nein machte mir wieder klar, wo ich schlafen würde.
»Okay, dann heißt es heute, wieder Couching!«, sagte ich leise, eher zu mir selbst und er blickte mich wie ein verschrecktes Hündchen an. Diese Verzweiflung, diese Angst, diese Hilflosigkeit und der Ekel vor sich selbst, machten mich fertig. Ich wollte ihm helfen, aber wie?
Ich schnappte mein Bettzeug und ließ ihn allein in seiner Ecke zurück.
Vor der Tür sank ich auf den Boden und legte den Kopf in meine Hände. Wie lange würde das noch dauern? Ich wollte nicht unbedingt Sex mit ihm haben, aber ich wollte ihn berühren können. Mir ab und zu einen Kuss klauen, aber vor allem wollte ich ihn aus vollem Herzen lachen hören und sehen.
Und Sex, ja scheiße verdammt. Ich wollte ihn endlich wieder vögeln. Sein Keuchen hören, seinen Körper verwöhnen und ihn nehmen, wie er es gern hatte. Gott, mir ging einer ab. Ich brauchte eine Entladung. Mehr als vier Wochen kam ich nicht mehr zum Zug, ich musste mich abreagieren und dass bedeutete nicht, dass ich mir einen runterholte.
Ich stand auf, ignoriere das Bettzeug, welches neben mir auf dem Boden lag, schnappte meine Autoschlüssel, verließ die Wohnung und fuhr aus der Stadt raus.
An der Einfahrt zum High Skills vorbei, weiter in die nächste Stadt. Nachdem ich meinen Wagen geparkt und ausgestiegen war, funkelten mir sämtliche Neonfarben ins Gesicht. Das Glamour.
Ich trat in die Kneipe, die ihren Ruf für schnelle Nummern weghatte, ein. Dampfender Rauch mit einem Gemisch aus Zigarettenschwaden und Alkohol schlug mir entgegen. Das Wummern der Bässe dröhnte in meinen Adern wieder.
An der Bar bestellte ich mir einen Schnaps, den ich sogleich in meinem Rachen kippte. Drehte mich zur Fläche um und betrachtete mir das Angebot.
Was tat ich hier?
Lange brauchte ich nicht zu suchen, da stach mir schon jemand ins Auge. Er schien es auch bemerkt zu haben und tänzelte auf mich zu. Ich setzte meinen typischen 'Ja-ich-kann-es-dir-besorgen' Blick auf und es dauerte nicht lange und ich befand mich in inniger Umarmung mit diesem Typen. Ich spürte, dass er geil war und seine Härte rieb sich im Takt an meinem Schenkel.
Er hatte mir zwar seinen Namen gesagt, aber den hatte ich sofort wieder vergessen.
»Hey! Lust auf den Darkroom?«, fragte ich ihn und er grinste mich lasziv an.
»Natürlich … so einen wie dich, lässt man sich nicht entgehen.« Die Sache war klar. Doch bevor ich mich mit ihm, der wie eine Klette an mir hing, in den Darkroom bewegte, bestellte ich mir noch einen Schnaps. Seine Berührungen waren mir unangenehm und sofort stellte ich klar, dass ich die Hosen anhatte und nicht er. Sofort fügte er sich und trat von einem Fuß auf den anderen. Mir war egal, was er wollte, ich wollte nur eine Befriedigung, die nicht durch meine Hand stattfand.
Ich ließ den Typen noch etwas zappeln und bestellte mir noch einen, den ich genauso runterkippte wie die anderen. Ohne einen weiteren Blick zu dem Typen ging ich in Richtung Darkroom.
Einige Paare waren schon dort und man hörte lustvolles, männliches Stöhnen. Der Typ wollte einen auf Scherz machen, den ich aber wieder abblitzen ließ. Keine Lust auf eine Konversation.
In dem Raum angekommen, fing er wieder an, mich zu befummeln.
»Hey, eins ist klar. Das wird keine Knutscherei. Wenn du mir ordentlich einen geblasen hast, dann überlege ich mir, ob ich es dir auch besorge.« Er nickte. Man was für ein Waschlappen. Und in mir keimte die Frage auf, wie ich jahrelang so verbringen konnte.
Twinks gesucht, die scharf auf einen Blowjob waren oder einfach auf eine schnelle Nummer. Ich schüttelte den Kopf und bekam nur am Rande mit, dass sich der Typ an meiner Hose zu schaffen machte.
Unangenehm! Ich blickte ihm in die Augen. Sie waren lüstern. Nichts Sanftes war in ihnen. Nur pure Geilheit. Selbst wie er mir die Hose zu den Kniekehlen runterzog, das war eher abturnend und grünlich braune Augen schoben sich in meinen Kopf. Kurz regte sich mein bestes Stück, aber ich konnte nicht.
»Sascha!«, murmelte ich leise.
»Was? Mein Name ist Ke…!« Ich schubste ihn weg. Blickte ihm ins Gesicht, das nicht einmal annähernd an seins erinnerte.
»Sorry Mann, aber heute wird das nichts!«, sagte ich und zog mir die Hose wieder hoch.
»War mir schon klar, Alter. Du hast auch nicht so ausgeschaut, als seist du wirklich auf der Jagd. Aber es war einen Versuch wert. - Na dann, man sieht sich!«, frohlockte er und verließ unverrichteter Dinge den Raum. Ich schloss meine Augen und konnte nicht fassen, dass ich kurz davor gewesen war, es mir von einem fremden Kerl besorgen zu lassen.
»Kyel, du bist ein hirnverbrannter Arsch. Geh nach Hause. Geh unter die Dusche und besorge es dir gefälligst selbst. Tu Sascha das nicht an!«, zischte ich mich selbst an und war überrascht, dass ich auf mich selbst wütend war. Stocksauer passte eher.
»Du bist einfach unverbesserlich!«, hörte ich ihn sagen und schmunzelte.
»Da hast du vollkommen recht!«, murmelte ich, und als ich meine Drinks bezahlt hatte, verließ ich das Lokal. Die frische Luft tat ihr Übriges und in meinem Kopf drehte sich alles. Ich zückte mein Handy und bestellte mir ein Taxi.
Daheim angekommen war alles stockdunkel. War ja auch kein Wunder, immerhin war es nach Mitternacht. Ich ging in mein Wohnzimmer und das Bettzeug lag noch genauso da, wie ich es fallen gelassen hatte. Sascha schien nicht aus dem Schlafzimmer gekommen zu sein und ich hob es auf. Leise öffnete ich die Tür und schlich mich ans Bett. Lange betrachtete ich den Körper, der im Moment sehr ruhig dalag. Sascha hatte sich in die Decke gewickelt, als ob sie ein Rettungsanker sei. Nicht einmal, wenn er es zulassen würde, würde ich die Decke von ihm wegbekommen. Mit meiner Hand fuhr ich mir durch die Haare und betete zu Gott, dass er bald über sein Trauma hinwegkam. Das Bettzeug legte ich auf meine Seite und ging anschließend unter die Dusche.
Ich brauchte dringend Abhilfe.
Das warme Wasser prasselte sanft über meinen Körper und ich stellte mir vor, es wären Saschas Hände. Wie sich seine Nägel in meinen Rücken bohrten. Wie er sich unter mir aufbäumte, wie er mich mit seinen sanften Lippen umschloss und von unten zu mir hochblickte. Sein kalter und dennoch mit Verlangen erfüllter Blick, mein Herz durchbohrte und ich umgriff mich. Erst langsam, immer darauf bedacht die Illusion, es wäre Sascha, aufrechtzuerhalten.
Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass mir, während ich meinen Schaft bearbeitete, die vor Geilheit strotzenden Augen des Typen, in meine Erinnerung stiegen. Tief atmete ich ein, Scham und Schuldgefühle drängten sich in mein Herz.
Es war schon zu viel. Es war schon weit über der Grenze, als ich mit ihm in den Darkroom wollte. Ich hatte Sascha betrogen. In dem Moment durchzog ein Schütteln meinen Körper und ich ergoss mich in meine Hand.
Ab dem Moment wurde mir eines klar. Ich musste mich gedulden und vor allem, hatte ich eine Verantwortung. Ich konnte nicht mehr so leben, wie ich es vor Sascha getan hatte. Selbst wenn ich ihn als Twink angesehen hatte, so wurde ich eines Besseren belehrt. Er war mehr. Er war mein Partner, mein Freund und vor allem, mein Lebensgefährte.
Nur mit Shorts bekleidet, legte ich mich auf meine Seite des Bettes. Darauf bedacht, Sascha nicht zu nahezukommen. Minutenlang betrachtete ich seinen schlafenden Körper und seine, im Moment, entspannten Gesichtszüge sowie das stetige Auf und Ab seiner Atmung.
»Sag mir, wie ich dir helfen kann. Sag mir, was der Wichser dir angetan hat!«
Dennoch konnte ich meine Hand nicht zurückhalten und strich ihm eine seiner dunklen Strähnen aus dem Gesicht. Fuhr mit meinem Finger über seine Wange, hinab zu seinem Hals, an seine gewisse Stelle …
»Bitte, nicht … ich flehe Sie an, Master Clancy … NEIN!« Ich erschrak und nun war ich es, der aus dem Bett sprang. Sascha hatte sich gleich darauf wieder beruhigt, nur mein Herz pochte mir bis zum Hals. Blickte auf meine Hand und ballte sie zu einer Faust. Hatte er 'Master' gesagt?
Ich fasste es nicht. Auch wenn ich selbst in dieser Szene kein unbekanntes Tier war, so waren bei diesen Praktiken mehr Regeln festgelegt, als in der Paragrafenwelt der Politiker.
Vor allem und das war die oberste Regel: »Nur in beiderseitigem Einverständnis.« Diese Regel hatte er auf bestialische Weise gebrochen.
Nigel Clancy starb gerade auf Hannibal Lektors Art.
Ich saß an meinem Laptop und druckte mir einige Jahrgangsabschlussprüfungen aus. Hörte neben mir Kyel schnauben, der selbst seiner Arbeit auf dem Laptop nachging. Verdrossen schloss er diesen, lehnte sich zurück, rieb sich seine Augen und ich kam nicht drum rum, das Spiel seiner Muskeln aus dem Augenwinkel zu betrachten. Schnell blickte ich zu dem Drucker, der seelenruhig seiner Aufgabe nachging und vernahm, dass Kyel aufgestanden war.
»Was druckst du dir aus?«, fragte er mich und ich bemerkte, wie mein Blick auf seinem Hintern haften blieb. Sofort senkte ich meine Augen. Diese Kälte, dieser Ekel kroch in meinem Hals.
»Nur ein paar Abschlussprüfungen …!«
»So!«, sagte er und nahm die fertig gedruckten Blätter. Las sie durch und legte sie mir anschließend hin.
Sein Duft schlug mir entgegen und ich zuckte zusammen. Sofort machte er einen Schritt von mir weg. »Nein!«, durchschoss es mich. Kyel sollte in meiner Nähe sein, aber wieder einmal sammelte sich alles in einer bestimmten Region und ich fing wie immer zu zittern an. Die Hände, die mich berührt hatten und nicht Kyels waren, drangen in meine Erinnerung. Ich schloss meine Augen.
Es ist nur sein Duft. Kyels Parfüm. Nicht er, …
»Sascha!«, sprach er mich an und ich erschrak. Versuchte dieses aufkommende Ekelgefühl zu unterdrücken, denn ich wollte, um nichts auf der Welt, wieder unter die Dusche.
Einige Fortschritte hatte ich in den letzten Tagen gemacht. Dem mir selbst auferlegten Zwang, zu viel Geschirr zu benutzen und die Elektrogeräte zu bedienen, konnte ich fast vollständig widerstehen. Nur dieses aufkeimende Gefühl des Ekels, wenn ich auf ihn reagierte, wenn mein Körper auf ihn reagierte, war immer noch gegenwärtig. Ich hatte mich beruhigt und blickte Kyel an.
»Ja?«
»Ich verstehe nicht, was du da machst. Du druckst dir Aufgaben aus, die du nicht verstehst, schaust im Internet nach und hast selbst dann noch Probleme, diese Aufgaben zu lösen.« Ich zuckte mit den Schultern und meinte darauf: »Ich muss irgendwann wieder in die Schule und möchte dann nicht gerade als totaler Versager dastehen, weil mir einige Monate Schulstoff fehlen.«
»Ja schon, aber diese Aufgaben kommen erst kurz vor der Prüfung dran, also …« Wieder zuckte ich mit den Schultern.
»Ich möchte einfach nicht als Loser dastehen … - vielleicht deshalb.«
»Hmm, verstehe. Du weißt aber schon, dass dir das nichts bringt. Zumal du wieder mit einem Privatlehrer unzufrieden warst!«
»Ich weiß …« Er lächelte mich an.
»Hör zu, ich habe mir Folgendes überlegt und Loren ist damit auch einverstanden. Bevor du wieder in eine richtige Schule gehst, werden wir hin und wieder Spaziergänge machen. Und zwar dahin, wo viele, viele Menschen sind.« Ich glaubte, mich verhört zu haben, schon schlug mein Herz schneller und ich schüttelte nebenbei den Kopf. »Weihnachten steht vor der Tür und es ist eine Schande, wenn du die ganze Pracht in der Stadt nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommst.« Ich glaubte, ich hatte mich wirklich verhört und verarbeitet in Zeitlupe das Gesagte. Dennoch wie schlimm könnte es denn werden? Zumal ich zu meinem Psychiater auch mehr oder weniger alleine ging. Okay, ich wurde bis zur Tür gefahren, wusste, dass meistens nur zwei maximal drei Leute im Wartezimmer waren und mir auf dem Weg dorthin gar keine begegneten. Ich schnaubte und wieder schlug mein Herz um einen Takt schneller. »Aber für den Anfang fahren wir zu Raoul. Du brauchst einen Haarschnitt!«, meinte er und stand wieder auf. »Komm!«
»Was jetzt?«, rief ich überrascht aus und er lächelte mich verschmitzt an.
»Natürlich, morgen hat Raoul zu. Also gehen wir jetzt!« Das war nicht sein Ernst. Er überrumpelt mich einfach damit und ich hatte keine Möglichkeit mich zwei Tage darauf vorzubereiten.
»Ähm … könnten wir es auf übermorgen verschieben?« Er grinste und schüttelte den Kopf.
»Nope, mein Kleiner!« So wie er es sagte, war das schon länger geplant gewesen und ich zog meine Beine, die wieder eingeschlafen waren, an meinen Bauch.
»Ach komm schon!«, bettelte er und streckte mir, von da, wo er stand, es waren ungefähr drei Meter, seine Hand entgegen. »Raoul würde sich bestimmt freuen in deinen Haaren rumzuwurschteln!« Ich schluckte und schüttelte wieder den Kopf. »Es ist nur ein Friseurbesuch, weiter nichts. Und Raoul kennst du. Er tut dir bestimmt nichts.« Sicherlich kannte ich Raoul und er war wirklich sehr freundlich und lieb, aber dennoch, wie sollte ich einfach mein Ritual, das ich mir auferlegt hatte, so einfach über Bord werfen? Das ging absolut nicht. Ich musste wissen, wohin ich in zwei Tagen ging, damit ich mich darauf einstellen konnte und nicht von jetzt auf gleich. »Sascha, mir fällt gleich der Arm ab … also, was ist?« Wieder schluckte ich, starrte sekundenlang seine wohlgeformte Hand an und erneut stieg in mir die Erinnerung hoch, wie er mich damit verwöhnt hatte, was sogleich von etwas Rauem überlagert wurde. Und vor allem kam wieder Galle hoch, die ich mit meiner Cola wieder runterschluckte. Meine Gedanken überschlugen sich.
Also was sollte daran schlimm sein, es war wirklich nur ein Friseurbesuch und es war Raoul. Raoul, der beste Freund von Kyel. Er tat mir nichts. Aber Kyel hatte recht. Ich war schon über ein halbes Jahr nicht mehr beim Friseur und meine Haare hingen mir fast bis zu den Schultern. Noch einmal schnaubte ich und löste dann meine Beine vom Körper. Sie fühlten sich wie Pudding an und plötzlich ergriff ich Kyels Hand, die mich stützte. Sie war wundervoll warm, sanft und vertraut. Automatisch umschlangen sich unsere Finger, ich konnte nicht anders und versank in seinen meeresblauen Augen. Mir war nicht bewusst, dass ich mich in diesem Augenblick einfach nur innerlich fallen gelassen hatte und dies war auch bald wieder vergessen.
Kyel half mir in meine dicke Daunenjacke und wie schon zuvor registrierte ich es auf eine besondere Art nicht, dass Kyel mir über meinen Hals strich. Ich hatte nämlich damit zu kämpfen, mich darauf vorzubereiten, dass ich jeden Moment die Villa verließ, ins Auto einstieg und mich in die Hände von Raoul begab. Mein Herz veranstaltete einen Walzer auf dem Parkett und die Fahrt kam mir viel zu kurz vor.
Raouls Laden befand sich, na wieder einmal sehr typisch, mitten in der Fußgängerzone und es waren 'überhaupt' keine Menschen unterwegs. Meine Arme hielt ich an meinem Körper gepresst und zog meinen Hals weiter in die Jacke.
Wieder, ohne es zu bemerken, nahm mich Kyel in seine Arme und schob mich in den Laden. Der Walzertakt meines Herzens hatte sich zum Tango in meinen Beinen gesellt.
Irgendwie hörte ich überall, Darling, Schatz, Liebes oder Barbie und ein Wirbelwind, mit grell blondiertem Haar und grün geschminkten Augen, kam auf uns zu.
»Das ist aber eine Überraschung!« Überschwänglich und auf seine ganz besondere Art, begrüßte uns Raoul und schnippte mit den Fingern. Sofort kam eine total aufgetakelte Blondine daher und wie sollte es auch anders sein, sprach Raoul sie mit Barbie an. Er fuchtelte in der Gegend herum und drehte sich dann anschließend zu uns um. »Kyel, Schatz und Sascha, Darling. Es ist eine wunderbare Überraschung, dass ihr beide mich besuchen kommt.« Was für ein Auftritt und ich schmunzelte. Irgendwie hatte er die Fähigkeit, sich in null Komma nichts zu ändern, nicht nur sein Äußeres, sondern seine ganze Manier. Kyel räusperte sich und schob mich vor sich her.
»Sascha braucht einen Haarschnitt!« Überrascht hielt Raoul sich die Finger an seinem Mund.
»Aber ich dachte … dass ich am …«
»Das du ihm jetzt die Haare schneidest!«, schnitt er ihm das Wort ab und innerlich verdrehte ich meine Augen. Sofort grinste Raoul über seine geschminkten Wangen und zeigte auf einen leeren Stuhl.
»Macht es euch inzwischen bequem. Ich habe noch eine Kundin!« Und weg war er. Ich wusste nicht, was ich als Erstes tun sollte. In Panik ausbrechen oder laut loslachen. Ich entschied mich für gar nichts von beiden und atmete tief ein. Meine Wackelpuddingbeine hatten inzwischen irgendwie ihre Standfestigkeit wiederbekommen, aber und das redete ich mir ein, lag an der Tatsache, dass ich Raoul, wenn er sich so gab, einfach zu selten zu Gesicht bekam. Immer wenn er bei Kyel war, war sein Ausdruck ernst und er hielt sich arg zurück. Nur hier, so schien es, lebte er richtig auf.
Ich zog meine Jacke aus und hing sie auf den Ständer.
Kyel hatte sich hinter mir auf einen lederbezogenen Stuhl gesetzt und blätterte in einer Zeitung. Ich setzte mich auf so einen Drehstuhl und beobachtete Kyel durch den Spiegel. Keine zehn Minuten später sah ich Raoul auf Kyel zutreten und die beiden unterhielten sich kurz. Bedacht langsam trat er hinter mich.
»Na, Sascha bist du bereit?«, fragte er mich und ich nickte. »Gut. Ich lege dir jetzt diesen Umhang an und dann schiebe ich dich hier zu dem Waschbecken, damit ich dir deine Haare waschen kann.« Wieder nickte ich, denn mit sprechen war es aus. Ein Kloß in meinem Hals verbot es mir, auch nur einen einzigen Ton herauszubekommen.
Gesagt getan und schon spürte ich, wie warmes Wasser über meine Kopfhaut floss. Nicht nur das, Raoul hatte magische Hände und je mehr er meine Kopfhaut massierte, umso ruhiger wurde ich. Ich schloss meine Augen.
Keine Ahnung wieso, aber ich bekam das Grinsen nicht mehr von meinem Gesicht. Es war entspannend und sehr friedlich. Raoul redete über alles und auch nichts und im Nu hatte er mich fertig frisiert.
Er zeigte mir den Schnitt in einem Handspiegel und entließ mich. Raoul zog sich mit Kyel an die Kasse zurück und ich schaute mich, das erste Mal, im Laden um. Irgendwie war die innere Anspannung, wegen der anwesenden Menschen, weg.
Kyel rief mich und ich bekam, wie schon so oft an diesem Tag, nicht mit, wie Raoul mir freundschaftlich die Schulter drückte. Er zwinkerte mir zu und wir verabschiedeten uns.
Ich dachte schon, dass wir wieder zurückfahren würden, aber Kyel schlug einen anderen Weg ein, als den zu seinem Auto. Ich machte Anstalten ihm nicht zu folgen und er blickte mich an.
»Was ist?«, fragte er mich.
»Ich dachte, wir fahren wieder heim!«
»Nein, wenn wir schon einmal in der Stadt sind, dann gehen wir auch Shoppen und Hunger habe ich auch«, meinte er und wartete, bis ich resigniert aufgab und ihm folgte.
Er führte mich zu diversen Bekleidungsgeschäften, und jedes Mal, wenn wir wieder rauskamen, hatte ich drei Taschen mehr zu tragen. Langsam kam ich mir wie ein reiches, verzogenes Mädchen vor und etwas Befreiendes stieg in mir hoch. Ich schmunzelte über meine eigenen Gedanken. Auch wenn ich das Gefühl hatte, dass Kyel mich beobachtete, ließ er sich nichts anmerken.
Irgendwann nach Stunden, so kam es mir vor, gingen wir zum Auto zurück und verstauten unsere Einkäufe. Beziehungsweise meine Einkäufe.
»Wo willst du essen?«, fragte er mich, als ich dabei war einzusteigen.
»Essen? Mom hat doch bestimmt wieder gekocht.« Er schmunzelte und seine Augen blitzten auf.
»Loren wartet nicht auf uns«, sagte er und stieg in den Jaguar. Ich gab es auf. Mir blieb nichts anderes übrig als aufzugeben und ich musste mir wirklich eingestehen, dass dieser Tag einfach viel zu schön war.
Ohne es zu merken oder darauf vorbereitet zu sein, hatte ich die Angst vor unbedachten Berührungen endgültig überstanden.
Sicherlich und ich dachte, das wusste Kyel auch, kam das eigentliche Problem erst, wenn ich geil wurde, wenn mein bester Freund, auf Teufel komm raus, Aufmerksamkeit wollte. Immer dann stellte sich in mir diese Kälte ein, dieses Ekelgefühl. Und irgendwie hatte ich die unbestimmte Ahnung, dass ich mich dem noch stellen musste.
Essen gehen bedeutete bei Kyel entweder McD oder in ein fünf Sterne Restaurant. In diesem Fall entschieden wir uns für McD.
Nachdem wir gegessen hatten, machten wir uns auf den Weg nach Hause und irgendwie hatte ich immer noch ein Dauergrinsen im Gesicht. Ich konnte es mir nicht erklären, aber egal wie, stieg in mir der verzweifelte Verdacht auf, dass Kyel heute noch mehr wollte.
Diese Gedanken verdrängte ich so schnell, wie sie kamen. Sicherlich würde es bald wieder so sein, dass ich mit ihm Sex haben wollte, aber wie sollte ich ihm erklären, dass ich es nicht konnte.
Dass ich mich immer noch vor meinem Körper ekelte. Dass er für mich widerlich war und das ich, das Emporragen der Spitze meines Gliedes, auf den Tod, nicht mehr sehen konnte. Besonders das immer wiederkehrende Gefühl der Übelkeit, sobald ich erregt war.
Alles andere war Pipifax, aber selbst der leichteste Hauch einer Erregung, machte mich fertig, da ich dann sofort diesen kalten grauen Blick vor mir sah. Diese lüsternen Züge und die Erinnerungen an seine Berührungen und was er alles mit mir angestellt hatte.
Viele Dinge verdrängte ich die meiste Zeit erfolgreich, doch ab und zu kamen sie mit voller Wucht wieder an die Oberfläche. Zumal ich nur noch wusste, dass er mich nach dem Auspeitschen vergewaltigt hatte. Aber dem war nicht so. Er hatte meinen Körper schon benutzt, als ich noch betäubt war. Er hatte jede Nacht seinen Schwanz in mich versenkt. Ich durfte ihm jeden Tag einen blasen als Dank, dass er mich gewaschen hatte und vor allem hatte ich sein Spielzimmer vergessen. Bei diesem Zimmer hatte ich nur die brutale Strafe in Erinnerung behalten, aber es gab noch vieles mehr, was ich vergessen hatte und das immer wieder mal zur Oberfläche auftauchte. Vor allem aber und das war das Schlimmste, hatte es mir gefallen. Ich wusste nicht wie, aber die Sitzungen beim Psychologen hatten fast alle Erinnerungen wieder zum Vorschein gebracht und ich kam immer ziemlich ausgelaugt nach Hause. War zu nichts mehr fähig und immer, wenn Kyel in meiner Nähe war, überwog das Schamgefühl und die Erkenntnis, dass ich ihn in vollem Bewusstsein, immer und immer wieder, betrogen hatte.
Deshalb, auch das hatte der Psychologe mir erklärt, war es für mich so schwer, Kyel an mich heranzulassen, und dies projizierte ich auf meine angebliche Berührungsangst.
Ich hatte keine, das war mir schon von Anfang an bewusst. Aber ich hatte es mir selbst vorgesagt und am Ende meine Lüge selbst geglaubt. Ich war so ein Lügner und Heuchler, und immer, wenn ein Tag verging, wurde es für mich schwerer damit umzugehen. Die Übelkeit und die Berührungsangst waren keine Krankheiten, sondern eine selbst auferlegte Bestrafung für mich. Ich hatte Kyel betrogen, also hatte ich auch kein Recht mehr auf seine Liebe, andererseits wollte ich ihn nicht verlieren, liebte und brauchte ihn. Ich hatte panische Angst, dass Kyel, wenn er die Wahrheit erfuhr, mich nicht mehr lieben und mich verlassen würde.
Als wir bei seiner Villa ankamen, stiegen wir aus und Kyel schloss die Tür auf. Im Innern war es ruhig. Wahrscheinlich hatte sich Loren in ihre Etage zurückgezogen oder sie war mit Lenard unterwegs. Sarah war sowieso die ganze Zeit on Tour und so ging ich schnurstracks ins Wohnzimmer, das Kyel und ich uns teilten.
Kyel war ins Schlafzimmer verschwunden, um schnell unter die Dusche zu springen, wie er sagte. Ich hingegen schnappte mir die Einkaufstüten und fing an, meine neuen Errungenschaften, welche von Socken, Unterwäsche bis hin zu einem Smoking alles aufwiesen, in meine Schränke zu verstauen. Als ich fertig war, schnappte ich mir den Laptop und die ausgedruckten Blätter, um damit aufs Bett zu verschwinden. Schaltete den Laptop ein und wählte mich ins Internet.
Kyel kam nur mit einer Unterhose bekleidet aus dem Bad. Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schlug und nicht nur das, deshalb nahm ich den Laptop sehr verkrampft auf meinem Schoss, atmete verstohlen ein und tat so, als ob ich sehr konzentriert etwas suchen würde.
»Wir müssen reden!«, fing Kyel an und ich zuckte unmerklich zusammen. Seine Tonlage klang ernst und er setzte sich auf seine Seite des Bettes. Er machte keine Anstalten näherzukommen und deckte sich zu. Erleichtert atmete ich aus und schaute ihn an.
»Hmm, was denn?«
»Ich habe dich bis jetzt nicht darüber ausgefragt, aber ich denke, dass es langsam Zeit wird.« Scheiße zog es durch meinen Kopf und ich ahnte Fürchterliches. »Eigentlich wollte ich warten, bis du alleine davon anfängst, aber ich glaube, bis es so weit ist, fällt Weihnachten und Ostern auf einen Tag.« Es wäre witzig gewesen, wenn nicht dieser Unterton von ihm gewesen wäre und etwas zog meine Kehle zusammen.
»Und das wäre?«, krächzte ich und spürte, wie ich mich wieder anspannte.
»Ich glaube, das weißt du, Sascha!«, meinte er und ich leckte über meine viel zu trockenen Lippen. Schließlich nickte ich.
»Ich kann es mir denken … du willst diese Woche wissen.« Meine Stimme wurde leiser und er nickte.
»Ja!«, sagte er schließlich und ich sagte nichts darauf. Ich konnte nichts sagen, denn die Erinnerungen, alle Erinnerungen schlugen auf mich ein und ich fing zu zittern an. Schüttelte innerlich den Kopf und spürte, wie Tränen hochstiegen. Spürte die Scham und den Ekel in mir aufsteigen.
»Ich kann nicht!«, flüsterte ich nur und wischte mir verstohlen eine Träne weg.
»Sascha bitte … gib mir wenigstens einen Anhaltspunkt, nur etwas, etwas, wodurch ich verstehen kann!« Ich schüttelte den Kopf und klemmte den Laptop zwischen Beine und Bauch ein. Umgriff ihn und wiegte mich auf und ab.
»Ich kann nicht!« Nun liefen die Tränen wie ein Wasserfall.
»Sascha, ich habe dir, meines Erachtens nach, lange genug Zeit gegeben. Sprich endlich mit mir, damit ich weiß, wie ich mit dir umgehen kann!« Warum wollte er das wissen? Warum konnte er das nicht auf sich beruhen lassen? Warum konnte er mir nicht mehr Zeit geben? Warum wollte er es unbedingt wissen, nach diesem wunderschönen Tag? Ich verstand ihn nicht. Ich wollte ihn nicht verstehen. Er sollte mir meine Ruhe lassen. Ich wollte davon nichts mehr hören. Nicht einmal mehr mit dem Psychologen wollte ich noch einmal darüber reden. Ihm hatte ich alles erzählt. Alles, jede kleine Einzelheit. Das hatte all die Erinnerungen wieder aufleben lassen und nun, nun wo ich sie langsam verarbeitet hatte, wollte er es wissen. Ich konnte es ihm nicht sagen. Ich konnte ihm doch nicht sagen, dass ich ihn in vollem Bewusstsein betrogen hatte. Dass ich es wollte, dass ich Clancy sogar angefleht hatte, mich zu ficken. »Sascha rede mit mir … hör bitte mit dem Weinen auf …«
»Ich kann nicht …, ich kann es einfach nicht«, murmelte ich, wie ein Mantra immer wieder vor mich hin und hatte schon lange aufgegeben, meine Tränen abzuwischen.
»Sascha, hör bitte auf zu weinen. Ich bin bei dir. Sage mir, was der Arsch alles mit dir gemacht hat!“, hörte ich ihn an meinem Ohr flüstern und sein Timbre drang in mich ein.
»Du wirst mich hassen!«, war das Einzige, was ich herausbringen konnte, bevor Kyel mich an sich zog.
»Nein, werde ich nicht!« Wie in Trance schmiegte ich mich an seine Schulter, nicht mehr fähig überhaupt noch einen klaren Gedanken zu fassen, und ließ meine Gefühle raus. Ich schrie, ich tobte, nur um im nächsten Moment wieder in seinen Armen zusammenzufallen.
Kyel streichelte die ganze Zeit über meinem Kopf und murmelte beruhigende Worte, die ich anfänglich nicht verstand, doch irgendwann löste sich der Wein- und Schreikrampf und ich sackte vollständig in seinen Armen zusammen.
»Ist gut, lass alles raus. Ich bin da. Keiner wird dir jemals wieder wehtun. Schsch, Kleiner alles wird gut, alles wird gut.«
Minutenlang lagen wir so auf dem Bett. Kyel murmelte nichts mehr und ich begann, seine Berührungen zu akzeptieren. Irgendwann tauchten wir beide in die Stille und die stummen Tränen begleiteten mich auf meinem Weg, ihm endgültig die Wahrheit über mich zu sagen. Es war schwer und es kostete mich meine ganze Überwindung.
Das Einzige, was ich wahrnahm, als ich damit fertig war, ihm alles zu erzählen, waren seine Lippen auf meiner Stirn und der kräftige Druck seiner Arme, die mich hielten.
»Ich liebe dich, Sascha.« Erst nun blickte ich zu ihm hoch und sah seine Tränen. Hob meine Hand zu seinem Gesicht und fuhr die Spuren nach. Sanftes Lächeln umspielten seine Mundwinkel und irgendwo im Grand Canyon stürzte eine Lawine der Erleichterung ein.
Er beugte sich zu mir runter und unsere beiden ausgehungerten Lippen fanden zueinander. Dies war der erste Kuss, den ich seit Wochen wieder genießen konnte, ohne dass mir schlecht wurde.
»Sascha, ich liebe dich, wie konntest du denken, dass ich dich verabscheuen würde?«, flüsterte er mir ins Haar. Ich schloss meine Augen, genoss den Augenblick, und bevor ich wegdämmerte, murmelte ich: »Ich liebe dich. Du bist alles, was ich habe.«
Tzz, es war wirklich nicht mehr zum Aushalten. Ich rannte von einer Verhandlung zur Nächsten. Die von Kyel und Clancy ging schnell über die Bühne. Manchmal, während der Verhandlung, dachte ich: »Das war’s jetzt und Kyel kommt ins Gefängnis«, doch dann hatten sich die Geschworene zur Beratung zurückgezogen, und als dann der Richter das Urteil verkündete, rutschte mir eine Felslawine in die Hosentasche. Nur der Blick von Clancy, der gefiel mir überhaupt nicht. Er war so kalt, so starr und vor allem, voller Berechnung. Es war so, als ob er noch etwas in der Hinterhand hielt. Vielleicht war es auch nur eine Einbildung von mir.
Nun saß ich hier, vor dem Familiengericht und wartete, bis Markus reingeführt wurde. Nach meinem Wissen befand er sich immer noch in der U-Haft.
Lenard begleitete mich. Sarah war in der Schule und Sascha hatte heute seinen ersten Tag in der neuen Schule. Ich hoffte für ihn, dass es gut ging. Inzwischen machten ihm einfache Schulterklopfer nichts mehr aus oder das ich ihn einfach mal umarmte. Sicherlich verkrampfte er sich ab und zu, aber es wurde immer besser. Auch sah ich, dass Kyel ihn öfter liebevoll berühren konnte, als am Anfang. Ihm eine viel zu lange Strähne hinters Ohr steckte oder ihm einfach über den Rücken strich. Selbst die Küsse wurden länger und intensiver. Die beiden wirkten einfach umwerfend, so wie sie sich ansahen. Auch ohne Worte wusste man, was die beiden gerade dachten.
Aus Kyels übernächtigtem Ausdruck konnte ich erahnen, wie die Nächte waren. Mürrisch und unzufrieden ging er meist zur Arbeit, aber er hielt ständig durch SMS und Anrufe mit Sascha Kontakt. Und wehe, Sascha antwortete nicht innerhalb von ein paar Minuten, dann war die Hölle los.
Die Stille in dem Gerichtssaal war unheimlich und man konnte seinen eigenen Herzschlag hören. Automatisch suchte ich die Hand von Lenard. Der, bis der Richter kam, bei mir bleiben durfte und dann rausgehen musste. Mr. Grant stöberte unentwegt in seinen Unterlagen und sortierte die Blätter neu. Hin und wieder blickte er zu mir und nickte aufmunternd. Leider half mir das bei meiner Nervosität nicht weiter.
Ich konnte es nicht fassen, dass ich dies durchzog. Lenard stand die ganzen Wochen hinter mir und in diesem Moment wünschte ich mir nichts mehr, als das es endlich vorbei war. Ich schloss meine Augen, als die Tür geöffnet und Markus von zwei Polizisten reingeführt wurde.
Wie zuvor mit dem Rechtsanwalt ausgemacht, sollte ich Blickkontakt halten und ich tat es. Ich schaute ihm voller Selbstbewusstsein ins Gesicht. Ließ mir nichts anmerken und er war wie eine Statue.
Sein Blick, sein Ausdruck, wie immer, wenn ich nach seiner Meinung etwas falsch gemacht hatte, aber ich wusste es besser. Ja, nun wusste ich es besser und es schüchterte mich nicht mehr ein. Im Gegenteil, ich musste ein Schmunzeln unterdrücken, dass ich all die Jahre so doof war. Hirnverbrannt, weil er mir immer wieder Angst eingejagt hatte, dass ich es ohne ihn eh nicht schaffen könnte. Gott, war ich blauäugig und naiv.
»Du schaffst das schon!«, gab mir Lenard Kraft und verließ den Gerichtssaal. Mr. Grant war endlich mit dem Sortieren fertig und nickte dem Anwalt von Markus zu. Ich zog mich näher an den Tisch und es dauerte keine Minute mehr, bis der Richter den Saal betrat.
Zu meinem Glück führte die, von Mr. Grant erhoffte Richterin die Verhandlung. Sie war, nach seinem Erachten, eher auf der Seite der Frauen, besonders, wenn es in einer Ehe zu Gewalttaten kam. Selbst Mr. Grant atmete erleichtert ein und nickte mir mit einem Lächeln zu. Was so viel bedeutete wie, wir haben es eigentlich schon geschafft. Nur die Formalitäten müssten noch erledigt werden, damit es offiziell war.
Nach dem Urteil tobte Markus, von wegen und das alle Frauen schwanzgesteuert seien, nur fürs Bett zu gebrauchen wären und für nichts anderes taugten. Mehr bekam ich nicht mit, denn Lenard zog mich, nachdem ich den Saal verlassen hatte, in seine Arme und ich versank in seiner aufkommenden Leidenschaft.
»Jetzt endlich gehörst du mir!«, murmelte er mir ins Ohr. Ich spürte seine Freude an meinem Bauch und kicherte.
»Ich habe aber noch zwei Kinder …!«
»Mir egal … - sie sind eh schon erwachsen, also von daher …«
»Du bist schlimm …!« Er schüttelte den Kopf.
»Nein, nur heilfroh, dass es endlich vorbei ist.« Ich schaute ihm in die Augen und war in diesem Moment sehr glücklich. Sein Blick glomm auf und ein sehr intensives Funkeln raubte mir buchstäblich den Atem. »Und heute noch etwas vor?«, fragte er mich und sein Funkeln wurde stärker. Ich schüttelte den Kopf und unsere Lippen trafen sich. Seine waren so weich, so einfühlsam, so fantastisch. Es gab einfach keinen Ausdruck. »Dann ist es ja gut!», meinte er, nahm mich in seine Arme und führte mich aus dem Gerichtsgebäude.
Frische Frühlingsluft schlug mir entgegen und ich atmete befreit ein. Ich dachte nicht, dass die Scheidung von Markus so schnell und vor allem, so reibungslos über die Bühne gehen würde.
Es war der Wahnsinn, mit was sein Rechtsanwalt aufgewartet hatte. Ich hätte ihn von Anfang an betrogen, wäre auch nur bei ihm geblieben, weil er so viel Geld verdient hätte und ich die Stelle als Stationsschwester auch nur bekommen hätte, weil ich seinen guten Namen trug, den ich auf schändlichste Weise in den Dreck gezogen hätte.
»An was denkst du?«, fragte er mich und ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Stirn.
»Das ich froh bin, dass es endlich vorbei ist. Die letzten Monate waren die Hölle.«
»Das kann man wohl sagen«, meinte er und küsste mich auf die Stirn.
»Danke, Lenard. Du hast mir Kraft gegeben.«
»Nein, meine Liebe, du warst schon stark und das ist eine Eigenschaft von dir, die ich so sehr liebe. Mein kleiner, zerbrechlicher, starker Schatz.« Ich schmunzelte und schmiegte mich näher an ihn ran. Er hatte mir in den letzten Monaten mehr gegeben, als Markus in den ganzen Jahren unserer Ehe.
Tief atmete ich ein und blickte mich in der Einfahrt von Kyels Villa um. Vor der Treppe stand ein Auto, welches ich noch nie gesehen hatte. Ein Audi Q5 und ich musste sagen, ich hatte mich sofort in dieses Modell verliebt. Irgendjemand kramte in dem Auto rum, stieg dann aus und kam grinsend auf mich zu. Im ersten Moment fragte ich mich, wer dieser Mann war, doch beim Näherkommen erkannte ich ihn. Es war Tom ›das lebende Inventar‹, wie Kyel zu gerne vor sich hinmurmelte.
Nun hatte er endlich eine Wohnung in dem Bürogebäude.
»Guten Morgen, Sascha, lange nicht mehr gesehen!«, jauchzte er und ich fragte mich, wie man in aller Herrgottsfrühe so voller Elan sein konnte? Aber ich glaubte, wenn man für Kyel arbeitete, hatte man keine andere Möglichkeit als freudig an die ganze Arbeit zu gehen. Deswegen vermied ich es, in seiner Firma anzufangen. Nicht einmal ein Praktikum zog ich in Erwägung. Geschweige denn eine Lehre bei ihm anzufangen.
Mir war es wichtig, alles irgendwie selbst geschafft zu haben und nicht durch Bekanntschaft irgendwo reingeschleimt zu kommen und jedem dankbar sein zu müssen, der auch nur den kleinsten Finger im Spiel hatte.
Okay, als Kyel mir offenbarte, dass er mich in der Carmen Norm Privatschule angemeldet hatte, beziehungsweise anmelden wollte, fiel ich erst einmal aus allen Wolken. Natürlich wollte ich ihm das nicht zeigen, weil mir meine Einstellung, alles selbst erreicht zu haben, doch sehr wichtig war, nur dieses eine Mal sprang ich über meinen eigenen Schatten. Was ich allerdings Kyel nicht merken ließ.
Mit Händen und Füßen hatte ich mich dagegen gewehrt, fauchte ihm ins Gesicht, dass die Schule viel zu teuer sei und ich sie mir nicht leisten könnte. Irgendwie stieß ich, mit meinen sämtlichen Aussagen, auf Granit. Er war der Meinung: »In eine Öffentliche gehst du nicht mehr, also bleibt nur noch diese Privatschule übrig und du brauchst dir keine Gedanken darüber zu machen, wie die Schule am Ende gezahlt wird. Ich habe es mit deiner Mutter schon abgeklärt.« Na toll! »Die im Übrigen auch der gleichen Meinung war wie du«, fügte er etwas leiser, wohl aber missbilligend, hinzu.
Häää? Mom war der gleichen Meinung wie ich? War ja mal was ganz Neues und ich kam nicht drum rum, mich darüber zu freuen, und ein hämisches Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. Sofort räusperte ich mich, als sich seine Augen in ein dunkles tiefes Meeresblau veränderten.
»Ich gehe Mom helfen!« Und schon flüchtete ich vor ihm, mit immer noch diesem Grinsen im Gesicht und einem hochkommenden Lachanfall. Was wohl mit der Überraschung, dass meine Mutter ein Mal für mich Partei ergriffen hatte und meiner Freude, auf diese Schule zu gehen, zu tun hatte.
»Na, hast du alles?«, fragte mich Kyel und zupfte am Kragen meiner Uniform herum. Warum ich dieses Ding tragen musste, war mir so was von schleierhaft, aber die Regeln schrieben eine Schuluniform vor und ich nickte mehr oder weniger verdrossen, besonders, da ich meinen Blick nicht mehr von dem Wagen lösen konnte. Man war das ein Prachtstück und vor allem, war das in meinen Augen kein Angeber Auto wie der Jaguar, der im Moment recht vereinsamt auf seinem Platz stand. Der BMW, den Mom fuhr, war auch unterwegs und Sarah stotterte mit ihrem kleinen Mini Cooper zur Schule. Hin und wieder stand auch der Mercedes von Lenard da oder die alte Klapperkiste von Emily. Manchmal leistete der Jeep von Parker dem Jaguar Gesellschaft. Ich fragte mich immer noch, wie Jaydon da reinkam. Das Auto hatte einen viel zu hohen Einstieg.
Auf jeden Fall stand fest, wenn ich den Führerschein gemacht hatte, würde ich mir so ein Gefährt zulegen. Nur würde dafür mein Gehalt, von dem Halbtagsjob bei Alessandro, nie ausreichen.
Wieder atmete ich tief ein und ging auf das Auto zu. Wie ein Chauffeur hielt mir Tom die Tür auf und ich erkannte, dass ich mich hinten reinsetzen musste. Leicht wütend blickte ich zu Kyel, der aber wieder in die Villa verschwunden war.
›Na, bravo! Man war der Typ heute ein Stoffel. Kein Tschüss, kein viel Spaß oder viel Glück und vor allem, hatte ich keinen Kuss bekommen. Na ja, warst ja auch selber schuld. Du bist einfach vorgegangen ohne dich zu verabschieden.‹ Ich legte meinen Kopf in die Hand, starrte zum Jaguar und schmunzelte wieder. Über drei Monate war es schon her, seit ich Kyel kennengelernt hatte und unsere 'Beziehung' bestand fast nur aus Tiefen. Nein! Am Anfang hatte ich mich in seine Arme geflüchtet, weil mein Vater, oh sorry, Markus und mein angeblich bester Freund mich wegen meines Outings nur gemobbt hatten. Und nun war ich bei Kyel, weil er für mich ein absoluter Rettungsanker geworden war. Ohne ihn wäre ich schon lange in der Psychiatrie gelandet oder hätte mir die Pulsadern aufgeschlitzt.
Dennoch gab es auch schöne Momente und ich fragte mich, wann sie wiederkommen würden. Noch immer hatte ich tiefe Hemmungen Kyel an mich heranzulassen, denn auch nachdem ich ihm alles erzählt hatte, überfiel mich das Ekelgefühl, wenn ich sehr viel für Kyel zu empfinden begann. Selbst meine frühmorgendliche kalte Dusche war langsam zur Tradition geworden.
Tom nahm seine Aufgabe sehr ernst und hielt, ich war überrascht, Kyel die Tür auf. Nur setzte er sich nicht zu mir nach hinten, sondern nahm den Platz vorne neben Tom ein.
Als Tom losfuhr, fingen die beiden ihre Fachsimpelei über die Firma an. Expansionen, Restrukturierungen und Parkers Zornesausbrüche sowie die Krankheitsstadien der einzelnen Untergebenen. Ich verstand nur spanisch.
Ach ja, apropos Spanisch, ich hoffte, dieses Fach nicht mehr zu haben oder dass es zumindest kein Pflicht-, sondern nur ein Wahlfach war. Aber was wusste ich schon über diese Schule. Praktisch rein gar nichts und theoretisch nur das, was im Internet stand.
Auch das es eigentlich ein Internat war und Kyel es irgendwie geschafft haben musste, dass ich nach dem regulären Unterricht nach Hause konnte.
So wie ich ihn einschätzte, hatte er sein stärkstes Argument spielen lassen. »Geld!« Wenn nichts anderes mehr ging, dann half, fuchteln mit Dollarscheinen und schon standen dir sämtliche Wege offen.
Man war ich aufgeregt, dass ich so was vom Stapel ließ.
Eigentlich sollte ich froh sein, dass ich in so eine Nobelschule gehen konnte. Nicht viele normal Sterbliche hatten die Möglichkeit, in einer der bestrenommiertesten Schulen im ganzen Staat zu lernen. Auf die nur Kinder von Schauspielern, Musiker, Politikern und Reichen, also von den oberen Zehntausend, gingen, außer sie hätten gerade, irgendwie, ein sogenanntes Stipendium für irgendetwas erhalten.
Ich hatte auch mal bei so einem Wettkampf mitgemacht, das war lange, bevor ich Kyel kennengelernt hatte, um genau zu sein, war es in den zehn Monaten meiner irdischen Hölle. Bei diesem Wettkampf konntest du so ein spezial Stipendium gewinnen, das die kompletten Schulgebühren übernahm. Also mit anderen Worten, du bekamst einen Platz auf dieser Schule und konntest dir als Otto Normalverbraucher etwas darauf einbilden. Ich hatte den zweiten Platz belegt. Wahrscheinlich würde ich den oder die treffen, der oder die mir meine Chance weggeschnappt hatte.
Sicherlich hatte diese Schule auch noch einen anderen Vorteil, du hattest die Möglichkeit, wenn du zu den Besten gehörst, dort gleich ein Studium anfangen. Auch war die Staffelung von der Elementary School bis hin zur High School mit enthalten.
Außerdem hatte ich die Hoffnung, dass ich in meiner Jahrgangsstufe blieb, obwohl mir zu diesem Zeitpunkt über drei Monate Schulstoff fehlten.
Die Fahrt dauerte eine knappe Dreiviertelstunde und meine Beine schlotterten, nicht nur aus Nervosität. Mein Magen rebellierte und irgendwie stellte sich auch noch Atemnot mit ein.
So aufgeregt war ich schon lange nicht mehr und musste unwillkürlich an das Fußballteam meiner alten Schule denken.
David hatte mich damals immer wieder mit hingeschleppt und ich war auch als Teammitglied integriert. Und vor einem Spiel, Markus war mit dabei … ich muss sagen, das war vor meinem Outing … erging es mir genauso.
Ja, meine Güte, was für ein Vergleich und ich schüttelte diese Erinnerung ab. David und Markus waren Vergangenheit.
Vor einem gusseisernen Tor blieb Tom stehen und drückte auf eine Art von Gegensprechanlage. Sprach irgendetwas hinein, was ich aus lauter Nervosität nicht verstand und das Tor öffnete sich.
Als der Wagen hineinfuhr, eröffnete sich eine gänzlich andere Welt. Dagegen war Kyels Villa nur ein kleiner Fleck auf einer blütenreinen weißen Weste.
Ich staunte wirklich nicht schlecht. Das Foto, welches du im Internet zu sehen bekamst, war nichts im Vergleich zudem, wenn du davorstandst.
Arrogant ragte es in den Himmel und neigte dazu, jeden in die Flucht zu schlagen, der etwas zu arg an den Nerven gebaut hatte. Dieses Schloss, Burg oder was es auch darstellen sollte, entstand höchstwahrscheinlich aus einem recht schlechten Horrorfilm. Und dennoch überwogen die Faszination und die Erkenntnis, dass sie früher, irgendwann um 'Anno dazu mal', so gebaut hatten.
Irgendwie kam ich nicht drum rum, dieses Monument der Geschichte zu verabscheuen.
Oh man, ich war wirklich sehr nervös und wischte mir diese sinnlosen Gedanken des Vergleiches weg.
Nach einer Fahrt von, keine Ahnung, wie vielen Minuten, hielt Tom auf einem, wie ich verwundert feststellte, ausgebautem Parkplatz, welcher gar nicht zu dem Erscheinungsbild dieses Gebäudes passte. Ich stieg aus, schulterte meinen Rucksack und versuchte, wie schon vorher, das Ende des Daches zu erblicken.
Carmen Norm Privatschule: Dieses Schild war genauso schlecht gemacht worden, wie Kyels Firmenschild und ich schnaubte verdrossen, als ich wieder bemerkte, dass ich bei allem, irgendwie einen Vergleich aufstellte. »Herr Gott, Sascha, jetzt halte mal deine Gedanken im Zaun, sonst gehst du jeden Tag mit angestautem Sarkasmus in diese Schule und am Ende stehst als versnobter Noob da«, schimpfte ich mich selbst und Kyel trat neben mich.
»Du bist so still!« Ich lächelte nur.
»Nur aufgeregt«, murmelte ich und seine Lippen verzogen sich. Sofort blickte ich ihn böse an, denn alles konnte ich leiden, aber wenn sich in dieser Situation einer über mich lustig machte oder einen schlechten Witz von sich gab, glaubte ich, sofort ausrasten zu müssen, und meine guten Vorsätze wären im Eimer gewesen.
»Ahh, … Mr. Kastner … was für eine Ehre, Sie wiederzusehen!«, kam ein etwas untersetzter Mann mittleren Alters auf uns zugelaufen oder war es stolzieren? Ich konnte es nicht einordnen, aber eine Schleimspur zog er definitiv hinter sich her. Die beiden schüttelten sich die Hände.
»Mr. Gansen, … ganz meinerseits«, begrüßte Kyel ihn und der Mann musterte mich kurz, während er sich dazu durchrang, mir die Hand zu reichen.
»Und Sie müssen Sascha Fleischhauer sein?« Ich nickte. »Herzlich willkommen auf der Carmen Norm Privatschule!«, frohlockte er und wieder fragte ich mich, wie man in aller Herrgottsfrühe, so viel Elan aufweisen konnte.
»Danke, ich freue mich ebenfalls.«
»Oh, höre ich da einen ausländischen Akzent? Fantastisch, fantastisch … nun denn, der ehrenwerte Rektor erwartet Sie bereits.« Ein paar Sekunden blickte ich ihm sprachlos hinterher, bis Kyel mich mit seinem Ellenbogen anstieß.
»Starre nicht so!«, flüsterte er und ich blickte ihn an. Doch ich sah, dass seine Mundwinkel sehr verdächtig zuckten.
»Ich gebe mir Mühe!«, murmelte ich zurück und hatte immense Schwierigkeiten meinen aufkommenden Lachanfall zu unterdrücken. Ich hoffte wirklich, dass nicht alle Lehrer so beschwingt waren.
»Ich warte im Wagen!«, sagte Tom und stieg wieder ein, als Kyel ihm sein Okay gab. Selbst er musste stark an sich halten. So ein Vogel wie Mr. Gansen war mir noch nie untergekommen und ich musste sagen, irgendwie beneidete ich ihn nicht. Sollte so einer auf einer öffentlichen Schule unterrichten, wäre er auf ewig die Lachnummer und der arme Kerl würde nicht einmal wissen, warum.
»Wollen wir?«, fragte Kyel mich und sein Grinsen war überdeutlich.
»Na dann, auf in die Höhle des Löwen«, dachte ich und wünschte, dass ich nicht auch so einen Schlag abbekommen würde, wie Mr. Gansen. Der seine Aufgabe sehr ernst nahm und uns in die Tiefen des Gruselkabinetts führte.
Hin und wieder erklärte er, mit sehr ernster Stimme, wer die einzelnen Personen auf den Porträts waren, die an sämtlichen Wänden hingen, nur interessierte es mich nicht. Ich hatte genug damit zu tun, mich von meiner anfänglichen Sprachlosigkeit, runter in das Perplexe, wieder hoch in die Realität zu arbeiten.
Wenn dich draußen das Geisterschloss begrüßt hatte, so war es hier, in den Gängen, eine gänzlich andere Welt, und ich lief mit mehr oder wenigen offenem Mund neben Kyel her, der es sich nicht nehmen ließ, mir öfters über den Rücken zu streicheln und den Vortrag vom Mr. Gansen immer wieder mit einem Kopfnicken zu bestätigen. Ich glaubte, dass es selbst Kyel nicht im Geringsten interessierte, was der Typ von sich gab.
Vor einem Fahrstuhl blieb er stehen und nun sah ich, dass Mr. Gansen stärker glühte als eine Hundertwattbirne und sein Aftershave schlug mir ins Gesicht. Süßlich … Unmerklich, aber stark genug, dass Kyel es wahrnahm, fing ich zu zittern an. Er musterte mich fragend.
»Nervös?«, fragte mich grinsend Mr. Gansen an und ich zwang mich, mehr oder weniger, zurückzugrinsen. Was wohl etwas misslang, denn ich musste einen Würgereflex unterdrücken. »Sie brauchen überhaupt nicht nervös zu sein. Wir sind hier alle, wie eine große Familie.« Die Fahrstuhltür schob sich auf und ich huschte ganz dicht an die Wand, so weit wie möglich entfernt von Mr. Gansen. Ich atmete tief ein und versuchte so gut es ging, meine zittrigen Beine zu beruhigen, während sich der Aufzug in Bewegung setzte.
»Alles in Ordnung?«, fragte mich Kyel, leicht geschockt.
»Tschuldige, muss wohl an dem Aufzug liegen. Enge Räume machen mir immer etwas Angst«, log ich und gab Kyel einen warnenden Blick.
»Nun wir haben auch Treppen«, frohlockte Mr. Gansen, nachdem wir den Aufzug wieder verlassen hatten und als er ein paar Schritte vorgelaufen war, fragte mich Kyel: »Was ist los? Du bist auf einmal so blass geworden?«
»Das Aftershave, es ist, … 'tschuldige noch mal, … es geht schon wieder«, und atmete, noch ein letztes Mal, tief ein.
Vor einer Tür, die bereits geöffnet war, wartete Mr. Gansen und wies uns an, einzutreten. Er schloss diese und stellte uns einem anderen Mann vor. Dieser war schlank und ich schätzte ihn auf Ende vierzig, Anfang fünfzig. Grau melierte Haare an den Seiten und eine Brille, die ihm ein kultiviertes Aussehen gab. Markante Wangenknochen, dunkelbraune Augen und wirklich sehr wohlgeformte Lippen, als er Kyel die Hand gab, erkannte ich, dass er eine Maniküre sehr schätzte.
»Mr. Kastner, es ist mir eine Ehre, Sie endlich persönlich kennenzulernen.« Wow, seine Stimme war tief und melodisch zugleich und aus irgendeinem Grund, zuckte ich zusammen. Entweder kam es mir so vor oder die Raumtemperatur des Büros hatte sich um einige Grade abgekühlt. Ich blickte zu Kyel und er lächelte den Mann, dessen Namen ich, wie sollte es auch anders sein, wieder vergessen hatte, süffisant oder wohl eher herablassend, an.
Auch der Rektor schien unsichtbare Funken wegen des Wiedererkennens zu versprühen und mir wurde unwohl. Selbst Mr. Gansen hatte sich weiter von uns wegbewegt.
»Ganz meinerseits, Mr. Harsen!« Die Stimme von Kyel war kalt und seine Augen hatten einen blasierten Ausdruck, den ich von ihm überhaupt nicht kannte. Mr. Harsen schien sich irgendwie wieder aus seiner Starre zu lösen und schaffte es, Kyels seine Hand zu entziehen, um sie anschließend mir zu reichen.
»Mr. Fleischhauer, nehme ich an!«, sprach er mich einige Spuren kühler als Kyel an, und wenn ich gekonnt hätte, wie ich wollte, wäre ich in ein Mäuseloch gekrochen. Der Typ hatte mich schon auf dem Kicker ohne das ich ihm, was getan hatte.
»Ja, Sir!« Scheiße, warum war ich so höflich. Lag es an der Tatsache, dass ich bei ihm ein ungutes Gefühl hatte und ich mich einfach schön stellen wollte?
Das Gespräch mit dem Rektor ging schnell über die Bühne und Mr. Gansen brachte mich in meine neue Klasse. Vorerst! Laut Mr. Harsen musste ich noch eine ›Aufnahmeprüfung‹ machen, damit man wüsste, wie weit mein Bildungsstand war, da ich seit über drei Monaten an keinem Unterricht mehr teilgenommen hatte. Noch dazu, verdonnerte er mich, dass ich jedes zweite Wochenende Nachhilfe für die Schwächeren in der Elementary Klasse geben musste, weil ich nicht wie die anderen, in der Schule blieb, sondern nach dem Unterricht nach Hause ging. Mehr oder weniger wie, gleiches Recht für alle. Danach war das Gespräch beendet und Kyel blieb beim Rektor, denn er musste noch irgendwelche Sachen mit ihm regeln.
Zum Glück lag das Klassenzimmer auf der gleichen Etage wie das Rektorat, nur im Westflügel. Mr. Gansen nahm sich die Freiheit, mir auf dem Weg alles, aber auch wirklich alles, über die Schule und ihre Beschaffenheit, ihre Vorschriften und Regeln zu erklären.
Dass dieser Komplex, in dem wir uns gerade befanden, nur zu Unterrichtszwecken gedacht war und die Wohnheime hinter dem Sportplatz waren sowie, dass es viele Freizeitaktivitäten gab. Vom Schwimmen bis hin zum Reiten, einfach alles. Die Schüler und Schülerinnen durften sich in ihrer Freizeit vollständig verausgaben oder so ähnlich, wie er es daher brachte.
Wie immer oder nur im Moment üblich nahm ich weniger als die Hälfte, von dem, was Mr. Gansen sagte, wahr. Ich hatte damit zu tun, dem Duft, seines hinter sich herziehenden Aftershaves, auszuweichen. Nicht, dass ich mich noch vor Übelkeit auf dem Marmorboden übergab.
Wieder aus voller Kraft, klopfte er an die Tür und eine Frauenstimme rief herein. Schnell übergab er mich der Lehrerin und ich musste sagen, ich war heute das erste Mal überglücklich eine Frau zu sehen. Eine Frau, die wahrscheinlich meine Klassenlehrerin war.
Sie war freundlich und stellte mich der gesamten Klasse, die, ich fiel aus allen Wolken, nur aus zehn Schülern bestand, vor.
Nun ja, endlich war der Moment da, wo ich als Vorzeigemodell dargestellt wurde. Diese Begrüßungen vor der Klasse sollte man im Allgemeinen abstellen. Es war so, als ob man auf das Schafott geführt wurde.
*Elementary School - Grundschule
Eigentlich hatte ich erwartet, dass Sascha vor Nervosität sein Frühstück wieder herausspeien würde, aber so wie es schien, blieb alles an Ort und Stelle. Die ganze Fahrt über, zur Schule, war er schweigsam und ich blickte ab und zu in den integrierten Schminkspiegel des Blendenschutzes. Er stierte nur auf die Straße und war sehr in sich gekehrt. Ich ließ ihm seine Ruhe und unterhielt mich weiter mit Tom.
Erst als sich das Tor bewegte, erwachte er aus seiner Starre und richtete sich etwas auf. Als Tom anhielt, war Sascha der Erste, der ausstieg und es hatte plötzlich nicht mehr den Anschein, dass er nervös war. Er war sehr stark geworden, in den letzten Monaten. Nein, er war schon immer stark, aber nun kam langsam, mein Orkan, wieder an die Oberfläche. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er sich mir wieder hingab und wenn es länger dauern sollte, so würde ich auf ihn warten.
Oh je, Mr. Gansen, das wandelnde 180 % Arschkriechpotenzial, kam auf uns zugedackelt und aus dem Augenwinkel sah ich, dass Sascha an sich halten musste. Was wiederum dazu führte, dass ich mir das Lachen verkneifen musste.
Wie üblich begrüßte Mr. Gansen uns überschwänglich und wir liefen ihm anschließend hinterher. Sascha schüttelte unmerklich immer wieder mit dem Kopf und ich wäre zu gerne, der kleine Spatz, in seinen Gedanken.
Jedes Mal, wenn ich diese Schule besuchte, hielt Mr. Gansen seine Standardrede, die sich in den letzten Jahren, seit ich Sponsor dieser Schule oder fast Eigentümer war, nicht geändert hatte. Es fehlte nur noch meine Unterschrift, um Eigentümer zu sein.
Ich hörte nur mit einem Ohr hin, denn meine Erwartung lag einzig und allein darin, den neuen Rektor kennenzulernen. Mit seiner Wahl hatte ich nichts zu tun gehabt, da dies eine Sache der Stadt war, solange sie und nicht ich, offizieller Eigentümer war. Ich musste sagen, noch ein Ding am Hals, würde mich umbringen.
Am Telefon war der neue Rektor sehr zuvorkommend und eigentlich hätte ich keine Zeit gehabt, Sascha zu begleiten, dennoch die bevorstehende Benefizveranstaltung an dieser Schule ließ mich diesen Besuch um eine Woche vorziehen. Tom konnte wieder irgendwie die Termine richten. Er war nicht nur ein lebendes Inventar, sondern war, in den letzten Monaten, auch zu einem laufenden Wunder mutiert. Ich war geneigt, ihm eine Gehaltserhöhung zu geben. Verdient hatte er es sich ja, obwohl er in der letzten Zeit nur im Büro genächtigt hatte. Ich musste mir das noch einmal überlegen. Vor allem sollte Tom sich endlich mal eine Frau suchen. So einen Workaholic brauchte ich nicht unbedingt. Ich nickte ihm lächelnd zu, dass er warten konnte. Dennoch gab ich ihm ein Zeichen, mich in einer Viertelstunde anzurufen, falls ich bis dahin noch nicht wieder draußen sein sollte. Ich hasste nichts mehr als Anstandsbesuche und genau das war es in diesen Fall.
Als Sascha im Fahrstuhl schlecht wurde, dachte ich schon, dass wir gleich wieder heimfahren würden, doch er hatte sich sehr schnell erholt, obwohl das Aftershave von Mr. Gansen ihn für eine kurze Zeit in die Vergangenheit versetzt hatte. 'Kantara' so hieß der Duft. Ich wusste es deshalb, weil Benjamin, sorry Mr. Gansen, im letzten Jahr etwas über seinen Durst getrunken hatte und bei der Ehefrau eines Rockmusikers seinen Charme hatte spielen lassen. Oder zumindest hatte er es versucht und ihr dabei auf ihre Frage, wie das Parfüm hieß, geantwortet hatte. Und seitdem hatte er das Aftershave nicht gewechselt.
Okay, ich hatte ihn zur späteren Stunde im stillen Kämmerchen, was damals ein Klassenzimmer war, mit einem Vater, besser einem Senator, erwischt. Nun gut, ich will nicht weiter ins Detail gehen, denn was ich da gesehen hatte, überstieg meine Vorstellungskraft und meine Vorstellungskraft war immens hoch. Aber stellt euch Mr. Gansen in einem Häschenkostüm vor, der gerade dabei war, eines seiner Jungen zu säugen. Einfach abturnend und dieses Erlebnis war stark genug, dass ich für diesen einen Abend keine Lust auf eine kurzweilige Zweisamkeit mehr hatte.
Ich war nicht besonders wählerisch, wenn es um einen schnellen Quickie ging. Schöne Augen, wohlgeformte Lippen, Körperbau passable, durfte schon ein paar Pfunde mehr haben, aber nicht fett sein. Ein williges Loch, sodass ich nicht erst ewig viel Vorarbeit leisten musste und einen Ständer, der schon triefte. Aber niemals Rollenspiele …
Mr. Gansen führte uns ins Rektorat und ich glaubte, ich hätte mich versehen. Innerlich schüttelte ich, mehr oder weniger fassungslos, meinen Kopf. Dieser Mann war nie und nimmer der Rektor dieser Schule. Das konnte einfach nicht sein. Sein Charakter war überhaupt nicht passend, um eine Schule zu leiten, geschweige denn, eine solch renommierte. Vor allem, als die Erinnerung an einen bestimmten Tag, wieder in mir hochstieg.
»Mr. Kastner, es ist mir eine Ehre, Sie endlich persönlich kennenzulernen«, begrüßte er mich und seine Züge gefroren zu Eis. Kaum anders war es wohl bei mir.
»Ganz meinerseits, Mr. Harsen«, erwiderte ich und sah, wie er sich über die Lippen leckte. Dieser Mann war, als er mich sah, bereit, und wenn ich zustimmen würde, hätte ich ihn sofort an meiner Hose hängen gehabt.
Ich entzog mich ihm und er begrüßte endlich Sascha, führte ihn in die Regeln der Schule ein und entließ ihn. Meiner Meinung nach viel zu schnell.
Harsen stand auf und ging zu einem Sideboard. Drehte sich kurz um und fragte, ob ich auch Kaffee möchte, und bot mir nebenbei einen Stuhl an. Ich verneinte beides und blieb stehen. Er trat wieder an seinen Schreibtisch heran und nippte kurz an dem Kaffee. Blickte mich aus seinen tiefen braunen Augen, die mich damals so fasziniert hatten, an und sagte: »Ich hätte nie gedacht, dass du der Kyel Kastner bist!«
»Überraschungen gibt es immer wieder.« Er nickte und wieder leckte er sich über die Lippen. Inzwischen stand er vor mir, an seinen Schreibtisch gelehnt.
»Wenn ich gewusst hätte, wer du bist …«
»Das tut nichts zur Sache und es würde mich freuen, wenn Sie sich diesbezüglich zurückhalten würden, Mr. Harsen!« Er zog seine Stirn in Falten und trat sogleich hinter seinen Schreibtisch. Setzte sich auf seinen Stuhl und bot mir wie zuvor wieder den Stuhl an.
Diesmal setzte ich mich und ließ ihn nicht aus den Augen. Er wand sich unter meinem Blick und ich musste mir eingestehen, ich hatte ihn schon am Haken, als ich in dieses Zimmer kam. Seine Erregung stand ihm im Gesicht geschrieben, wie schon damals im Glamour.
»Nun, wie Sie wissen, steht die Benefizveranstaltung vor der Tür …!«, enthusiastisch und mit einem leicht verträumten Blick nickte er. In diesem Fall musste ich es mir nicht ausmalen, an was er gerade dachte, denn ich wusste es.
Ja, es war schön und ich hatte ihn nicht nur in der Hand, sondern an der Angel hängen gehabt. Wir hatten eine schnelle Nummer im Darkroom, aber da ich noch nicht absolut befriedigt gewesen war, lud ich ihn zu mir nach Hause ein. Gott, waren seine Augen übergelaufen, als ich vor meiner Villa anhielt, ausstieg, die Tür aufschloss und wartete, bis er endlich eintrat. Kein Zimmer blieb verschont und am Ende schliefen wir gemeinsam in meinem Bett ein. Tja und dann kam Paul von seiner Vernissage wieder zurück und schmiss ihn, so nackt, wie er war, aus der Villa. Viele Wochen lang, hatte ich den Zorn meines Verlustes, auf eine einzige Person gerichtet. Auf ihn und nun saß er vor mir und hatte den Posten als Rektor. Und ich fluchte innerlich, da ich immer noch zögerte zu unterschreiben, damit diese Schule mir gehörte. Dies würde ich wohl oder übel endlich mal in Angriff nehmen müssen. Ich musste schon sagen, Berg und Tal kamen nie zusammen, aber die Menschen.
Nur leider gehörte dies der Vergangenheit an, auch wenn er mir seinen Arsch sehr gut hingehalten hatte, konnte er mir in dem Moment noch so viele Signale zusenden, ich sprang dennoch nicht an.
Nachdem das mit der Benefizveranstaltung, die im Frühling stattfand, geklärt war, stand ich auf und ging Richtung Tür.
»Kyel!«, rief mich der Rektor zurück und ich zog eine Augenbraue nach oben. So weit ich wusste, hatte ich ihn auf seine Position hingewiesen, darum lächelte ich ihn nun leicht zynisch an.
»Mr. Kastner bitte, Mr. Harsen!«, entgegnete ich ihm und wieder entglitten ihm seine Züge.
»Aber … ich dachte, wenn der formelle Teil erledigt sei …«
»Dachten Sie, dass Sie freien Lauf haben? Wohl kaum!«, schnitt ich ihm das Wort ab und er schluckte kräftig. »Mr. Harsen überlegen Sie sich, wie Sie sich in Zukunft geben. Wenn dies an die Öffentlichkeit kommt, bin nicht ich es, der die Konsequenzen trägt, sondern Sie. Besonders machen Sie sich Gedanken darüber, wer hier fast alles finanziert, ihr Gehalt mit eingeschlossen. Ich werde zwar »nur« als Sponsor aufgeführt, aber eigentlich gehört mir diese Schule. Es bedarf nur noch einer Unterschrift und die Formalitäten sind erledigt.« Er schluckte hart. Wahrscheinlich steckte zwischen seiner Luftröhre und Speiseröhre ein imaginärer Kloß. Ich lächelte ihn an und seine Röte schlug in Weiß um, welches danach wieder zu Rot wurde. Er kochte innerlich, das sah ich ihm genau an und dennoch glomm in seinen Augen etwas auf. Nicht Zorn, Hass oder Wut, sondern etwas, das ich bei Subs schon so oft gesehen hatte.
Scheiße, durchzog es mich. Meine Zeit als Dom war schon lange vorbei, und wenn ich hier nur einen kleinen Fehler beging, war die Kacke mehr am Dampfen, als mir lieb war. Das Beste und Einzige, was ich tun konnte, war, mich ihm zu entziehen und ihm keine Hoffnung zu machen, dass der Traum seiner schlaflosen Nächte doch noch wahr werden würde.
»Ach da ist noch eins, Mr. Harsen. Mr. Fleischhauer liegt mir sehr am Herzen. Er ist nicht nur ein Freund der Familie. Er ist so etwas wie ein Verwandter. Sollte ihm irgendetwas zustoßen, werden Sie dafür zu Verantwortung gezogen!«, informierte ich ihn noch und verließ dann endgültig das Zimmer. Ich wusste, dass er nun sämtliche Heilige zum Teufel schickte oder auch nicht. Aber das war mir so was von … na ja. Okay, scheißegal, wie es Sascha gerne ausdrückte.
Und schon schloss ich meine Augen. Ich wusste, dass Sascha damit nicht einverstanden wäre, dass ich mich so arg in sein Leben einmischte, aber solange er es nicht wusste, …
›Sascha dir ist schon bewusst, wenn ich dich nicht so sehr lieben und vergöttern würde, hätte ich den Rektor rangelassen, denn notgeil bin ich, mehr als sich jemand vorstellen kann.‹
Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich Sascha noch einmal zu Gesicht bekam, aber dem war anscheinend nicht so.
Tom fuhr mich zurück zur Villa und ich stieg in meinem Jaguar um. Meine Pflicht in der Firma rief. Vor allem, weil Houer in Rente ging und ich noch immer nicht wusste, mit wem ich die zwei freien Plätze besetzen sollte. Nicole hatte notgedrungen die Aufgaben von Freim mit übernommen, aber ich sah selbst, dass ihr die Arbeit langsam, aber sicher über den Kopf wuchs.
Ich saß hinter meinem Schreibtisch und ging die Unterlagen, Akten und was sonst noch auf dem Schreibtisch lag durch. Irgendwann hatte ich eine Bewerbung in der Hand und ich verdrehte meine Augen.
»Warum bekomme ich ständig die Bewerbungen? Dafür ist Marion zuständig!« Ich schnaubte und rief Tom an. Der klärte mich auf, dass Marion sich krankgemeldet hätte, weil ihr Baby Schwierigkeiten machte und sie wahrscheinlich, nach der Schwangerschaft, auch nicht mehr zur Arbeit kommen würde. Ihr Mann hatte einen besseren Job bekommen und sein Geld reichte aus, damit sie anschließend daheimbleiben könnte. Wieder schnaubte ich und rieb mir die Augen.
»Der Tag kann ja nur noch schlechter werden«, dachte ich und las mir die Bewerbung durch. Schon beim Namen musste ich schmunzeln und rief wieder bei Tom an. »Machen Sie mit Aiden Thomson einen Termin zu einem Vorstellungsgespräch!«
»Ihr Terminkalender ist bis nächsten Monat voll!«
»Schieben Sie ihn irgendwo mit rein!«
»Aber ich kann die Termine nicht mehr verschieben. Die Meisten sind schon wirklich sehr ungehalten, Mr. Kastner.«
»Na dann! Wünsche ich Ihnen viel Spaß bei dem Gespräch!«
»Was? Sind Sie noch bei Trost? Oh sorry …« Ich liebte diesen Mann und ganz besonders, wenn er wirklich aus seiner Haut fuhr. »Gut ich sehe, dass Freitagabend noch ein Termin frei ist«, grummelte er und dennoch vernahm ich einen gewissen sarkastischen Unterton bei ihm.
»Freitag? … Abend? …«, meinte ich.
»Ja, Freitagabend, Mr. Kastner, um 19 Uhr.«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Ja, das ist mein Ernst.«
»Tom, Sie wissen schon, dass Parker da Geburtstag hat!« Ich hörte, wie er schluckte.
»Ja, das weiß ich!«
»Und sind Sie wirklich gewillt, sich seinen Zorn zuzuziehen?«, fragte ich mit einem Lächeln im Gesicht. Ich wusste, dass Parker Tom gerne als Prellbock nahm, aber auch nur, weil mein über alles geliebter, zynischer Onkel ihn sehr gut leiden konnte. Das war seine Art zu zeigen, dass jemand sich sein Vertrauen verdient hatte.
»Mr. Kastner!«
»Ist schon gut. Schreiben Sie den Termin rein.« Ziemlich erleichtert atmete er ein und legte auf. Der Arme hatte nur zwei Optionen gehabt, entweder er machte das Gespräch oder er zog sich, eine Woche lang, den Ärger von Parker an den Hals. Er hatte sich für das Letztere entschieden. Guter Junge.
Ich blickte auf meine Wanduhr und schmunzelte leicht. Sascha war beim Mittagessen. Eigentlich hatte ich mir geschworen, dass ich ihn heute nicht anrufen würde, aber meine Neugierde und das Vermissen seiner Stimme überwog bei Weitem.
Ich wählte die Nummer seines neuen Handys, das Alte hatte die Polizei immer noch konfisziert, genauso wie meines. Es dauerte nicht lange und er hob ab.
»Ja!«, vernahm ich seine Stimme und schon sprenkelten sämtliche Nervenbahnen zu einer einzigen Region. »Gott, Sascha, hast du auch nur die geringste Ahnung, wie heiß deine Stimme mich macht?«, dachte ich und schloss für einen kurzen Moment meine Augen.
»Hi!«, sagte ich und hörte ihn noch kurz kauen und dann runterschlucken. »Und ist die Schule nach deiner Vorstellung oder muss ich mir wieder Gedanken machen?«
»Tzz, … die Schule ist der Wahnsinn. Und ich habe jemanden kennengelernt. Er heißt Mike und seine Mutter ist »die« Madlen Shawn. Der Rockstar überhaupt. Der Kult. Da können sich die Kazas warm anziehen«, sprudelte es aus ihm heraus und ich lächelte in mich hinein.
In letzter Zeit vernahm ich diesen Ton nur selten von ihm und ich hoffte, dass es sich in nächster Zukunft änderte, dass er wieder zu meinem Orkan wurde.
Tim, der Kellner aus dem Eiscafé und sein langjähriger Freund Pierre, hatten sich verlobt.
Meine Mutter und Janet, entpuppten sich mit der Zeit als eineiige Zwillinge. Es gab nichts, was die beiden Frauen nicht zusammen unternahmen. Somit gestalteten sie auch die Hochzeit, die, wie sollte es auch anders sein, in Kyels Villa stattfinden sollte.
Und was das in Sachen Erziehung für mich bedeutete, könnt ihr euch sicher vorstellen. Jeder sagte was anderes. Was dem einem wichtig erschien, war für den anderen nichtig.
Herr Gott, ich war neunzehn, lebte mit einem 32-jährigen Geschäftsguru zusammen und büffelte für meine bevorstehende Abschlussprüfung. Außerdem hatte Kyel bald Geburtstag und was schenkte man jemandem, der schon alles hatte?!
Tief atmete ich ein und stand vom Küchentisch auf. Ging zum Fenster und schaute raus. Was für ein herrlicher Frühlingsabend, aber rausgehen, wollte ich nicht. Es war immer noch zu kalt, und wenn man auf die Gehsteige blickte, konnte man noch vereinzelte, zusammengescharte Schneehaufen sehen. Unwillkürlich musste ich schmunzeln, als ich mich zurückerinnerte, wie ich das erste Mal mit Kyel durch diese Straßen fuhr. Vor knapp fünf Monaten.
Alles war pingelig sauber, die Bäume auf den Millimeter genau gestutzt und absolut kein Laub, war zu sehen. Und nun, schienen die ganzen Butler und Diener der Neureichen ihren Winterschlaf zu halten.
Selbst vereinzelte Hundehäufchen lagen, wie zerflossen und ausgetreten auf dem Weg.
Ich wandte mich von dem Anblick des kommenden Frühlings ab und stürzte mich wieder, mit allem Elan, den ich im Moment aufbringen konnte, auf meinen Schulstoff. Was leider nicht viel war, wie ich zugeben musste.
Kyel musste länger in der Firma bleiben und so vertrieb ich mir meine Zeit mit lesen oder den öden, langweiligen Stoff zu büffeln.
Da fiel mir ein, es kam ein neues Buch raus, das ich unbedingt haben wollte, deshalb schob ich meine Schulsachen auf die Seite und holte meinen Laptop, den Kyel mir gekauft hatte, aus der Tasche.
Wählte mich ins Netz und stöberte sämtliche Bücherseiten durch. Endlich wurde ich fündig und mir kullerten die Augen raus.
»Ja, sind die denn wahnsinnig? Die können doch für eine E-Book-Version keine 23 $ verlangen!«, murmelte ich vor mich hin und schloss meine Augen. Dies überstieg mein Budget.
Sicherlich, Mom hatte mir mein Taschengeld erhöht, aber dies brauchte ich, um meinen Führerschein bezahlen zu können. Außerdem wollte ich mir noch die neue Single von den Kazas, die Ende des Monats rauskam, zulegen. Selbst der Lohn meines Halbtagsjobs im Eiscafé ging für sämtliche anderen Sachen drauf.
Irgendwie hörte ich Kyel schon wieder reden.
»Kauf es dir, wenn du es willst. Es ist ja nicht so, dass du kein Geld hast.« Natürlich hatte ICH kein Geld, aber er. Und ich sollte verdammt sein, wenn ich mich zu sehr von ihm abhängig machte.
Ich hieß ja nicht, Sue Nick-Freim, die, damals an meiner alten Schule, ständig mit irgendwelchen neuen Errungenschaften in der Schule auftauchte.
Es langte schon, dass Mom mich ständig mit neuen Klamotten eindeckte oder Kyel, dessen Spaziergänge durch die Stadt, meistens mit Ausgaben in Höhe eines Mittelklassewagens endeten.
Ich raufte mir die Haare, ich wollte dieses Buch, diese Single und vor allem, natürlich den Führerschein. Nur hatte ich nicht das Geld dafür. Leicht grinste ich in mich hinein, der Versuchung zu widerstehen, Kyels Geld dafür zu nehmen, da er schon öfter betont hatte, dass es auch meines wäre, hatte ich sehr gut gemeistert.
So blieb mir nichts weiter übrig als mir das Cover noch einmal anzusehen, bevor ich die Seite verließ.
Mir war kalt.
In dem Haus war es nicht kalt. Die Temperatur regelte sich immer auf 21 Grad. Mir war innerlich kalt. So kalt, dass ich öfters in mein altes Ich verfiel und mich selbst zwingen musste den äußeren Schein zu bewahren. Es war schlimmer als die Hölle.
Ich hatte viele Wünsche, die Kyel mir sofort, wenn ich es zuließe, erfüllen würde. Materielle versteht sich. Nur was ich mir am meisten wünschte, konnte ich Kyel nicht geben, konnte ich mir selbst nicht mehr geben. Nein … so war das nicht. Was ich mir am meisten wünschte, war, in Kyels Armen aufzuwachen und in seine sanften meeresgleichen Augen zu blicken. Sein spitzbübisches Grinsen zu sehen und mich in seiner Wärme zu verlieren.
Ich konnte das nicht mehr. Und doch sehnte ich mich so sehr danach.
Da Mom wieder für irgendjemanden eingesprungen war oder sich mit ihrem Neuen verabredet hatte, was wusste ich, blieb mir die Aufgabe, für das Abendessen zu sorgen.
»Langsam verfällt Mutter auch wieder in ihren alten Trott«, murrte ich, obwohl ich wusste, dass es nicht so war. Ich gönnte es ihr, dass sie auf andere Gedanken kam und das musste ich mir eingestehen, sie sah viel besser aus. Lenard tat ihr gut und half ihr über die schreckliche Scheidung hinweg.
Von Dad, ich meinte Markus, hatte ich, seitdem er versucht hatte, Mom zu töten, nichts mehr gehört, geschweige denn gesehen.
Sarah hatte einen Versuch gestartet, ihn zu besuchen und mit ihm zu reden, aber er hatte sie abblitzen lassen, sie als Hure beschimpft, was wiederum Mom zugutekam. Sie bekam das alleinige Sorgerecht und Markus musste eine Menge an Mom zahlen. Außerdem hatte er im Gefängnis noch einen kleinen Aufenthalt von drei Jahren zu absolvieren. Kyel hatte seine Anklage, wegen Veruntreuung und Industriespionage fallen gelassen. Er meinte, Mr. Fleischhauer büßte auch so zur Genüge. Was ich wiederum nicht verstand. Sicherlich war dieses Verhalten polizeilich festgehalten worden und Dad, sorry, Markus würde in der nahen Zukunft so schnell keinen Fuß mehr in irgendeine Firma setzen können oder sonst irgendwo eine Anstellung finden. Aber dennoch.
Nun stand ich in der Küche und schnitt Gemüse für das Essen. Sarah und Aiden, der schon langsam zur Familie gehörte, halfen mir dabei. Er zog meine Schwester immer wieder mit irgendwelchen Anmachen auf.
Verdrossen verdrehte ich meine Augen. So hart, wie es klang, aber ich konnte es nicht ab, wenn die beiden Turteltauben vor mir knutschten. Da stieg immer dieses kalte Gefühl in mir hoch, was stetig in meinem Herzen schlummerte. Es war unerträglich.
»Hey, könnt ihr denn nicht endlich mal damit aufhören oder verschwindet nach oben.« Das Ganze untermalte ich mit einer Handbewegung, die, die beiden aus der Küche zu befördern, hieß.
Sarah kicherte und rührte im Topf. Selbst Aiden hatte mich wie immer überhört, egal. Die Kälte, mit dem Gefühl des Ekels, stieg weiter in mir hoch.
Sie konnten ja nicht ahnen, dass ihr Getue mich sehr schmerzte. Es innerlich schmerzte und manchmal auch körperlich. Immer wenn sie rumalberten, kam mir Kyel in den Sinn und wie wir selbst uns so verhielten. Ich wollte das wieder.
Ich konnte es aber nicht. Die Kälte, diese innere Leere, sammelte sich. Schon allein der Gedanke daran, dass seine warmen Hände mich berührten, meinen Körper umschlangen. Seine Hüfte sich an meinen Hintern drückte und der leichte Hauch seines herben Aftershaves, das ich so liebte, mir in die Nase stieg. Es war zu viel. Die Kälte pochte in meiner Hose. Ekel stieg in mir hoch. Ich legte das Messer weg und entschuldigte mich kurz. Nebenbei versuchte ich, meine zittrigen Hände zu verstecken, und verschwand aus der Küche.
Mein direkter Gang führte mich durch das Schlafzimmer in Kyels Privatbad. Dort schaltete ich die Dusche an und ließ nur das kalte Wasser laufen. Zog mich mit hämmernden Herzen aus und stieg mit meinen butterweichen Knien in die Dusche.
Kurz zuckte ich zusammen, das Wasser war wirklich arschkalt, aber nicht so kalt, wie ich mich fühlte und der gewünschte Effekt blieb aus. Mein Körper beruhigte sich nicht mehr und immer wieder kamen mir seine Hände in den Sinn.
Wessen Hände?
Ich wusste es nicht. Beide hatten den gleichen Effekt. Erfüllten ihren Zweck. Nur fragte ich mich welchen Zweck.
Orgasmen zur Befriedigung oder zur Bestrafung. Zum Vergnügen oder zur Belustigung. Ich schloss meine Augen und meine Glieder wurden, durch das Wasser, langsam steif, aber das, was ich abschwächen wollte, hielt seine Stellung und wurde immer härter.
Ich stützte mich an den Fliesen ab und schüttelte den Kopf. Die Augen immer noch geschlossen. Ich konnte diesen Anblick, der ihm immer Vergnügen bereitet hatte, nicht ertragen.
Wem hatte es Vergnügen bereitet? Ihm …
Ein innerer Kampf tobte in mir, den ich selbst nur am Rande mitbekam. Viele Erinnerungen aufeinandergestapelt kamen hoch. Ich konnte sie nicht mehr einordnen. Alles war zeitgleich, alles kam auf einmal … Kyel … Clancy … meine Selbstbefriedigung … einfach alles und alles brachte das gleiche Gefühl. Dieselben Emotionen und doch, etwas drang hervor. Etwas Intensives, etwas das mit nichts zum Vergleichen war.
»Nur nicht so viel Emotionen zeigen!«, hörte ich dessen Stimme spöttisch sagen.
»Ich will dich flachlegen …!«, wieder dieses spöttische Grinsen und wie er sich die Sonnenbrille aufsetzte, wie er mit seinem Handy gespielt hatte, wie er mich beobachtet hatte, als ich über die Straße ging. Meinen Rucksack neben mich hinlegte und mich ihm gegenüber hinsetzte.
Ich krallte meine Finger zu einer Faust.
Er saß vor dem Café, und auch wenn ich ihn nicht sah, wusste ich, dass sein Blick stetig auf mir ruhte. Ich ging zu ihm und fragte, welchen Eisbecher er haben möchte und ich ihm den Sommertraum empfahl. Diese Empfehlung war ich selbst. Wieder dieses leichte spöttische Grinsen, ein Hauch von Röte auf seinen Wangen und Vorfreude in seinen Augen.
Tief atmete ich ein und mir wurde langsam wärmer.
Dennoch wurde meine Atmung schneller und mein Herz pochte fester in der Brust.
Ich beugte mich zu weit über das Fensterbrett und suchte den kleinen Drachenkopf auf seinem Wagen. Ich hatte nicht gehört, wie er in mein Zimmer kam, und erschrak fürchterlich, als er mich ansprach. Ich verlor dadurch meinen Halt und sah schon, wie ich mit den Pflastersteinen Bekanntschaft machte. Doch er griff mein Handgelenk und zog mich an sich. Sein Duft schlug über mich ein und ich vernahm sehr leise seine beruhigende Stimme. Seinen Herzschlag, welcher sich in diesem Moment mit meinem vereinte …
Ich hatte das Gefühl im freien Fall aufgefangen worden zu sein und starke Arme hielten mich fest umschlungen. Mir war warm …
»Kyel ich brauche dich so sehr …«, flüsterte ich. »Hilf mir, ich stehe das nicht alleine durch … ich will von dir berührt werden, aber wie kann ich das zulassen, wenn ich mich vor mir selbst ekel?«, flüsterte ich immer noch fragend und Tränen flossen meine Wangen hinab. Ich starrte an die Decke, die ich nur verschwommen sah und stattdessen in etwas Meeresblaues blickte. Ich schloss meine Augen, schluckte kräftig und fuhr mit meinen Fingerspitzen über meine sehr reizbaren Stellen. Sofort bäumte mein Körper sich auf. Es schien, als erfreute er sich an diesem Gefühl. Inzwischen war meine Atmung nur noch flach und vage bekam ich mit, dass ich meinen Nabel erreicht hatte. Spürte meinen Flaum und kam unverhofft an meine Eichel. Ich keuchte auf und meine Tränen waren versiegt.
»Indem du es so wie jetzt zulässt. Und einfach auf deinen Körper hörst«, flüsterte er mir in das Ohr und ich erschrak nicht einmal. Ich hatte gewusst, dass er da war. Immer da war. Ich hatte mich irgendwie an ihn geschmiegt. Mehr oder weniger mitbekommen, wie das Wasser wärmer wurde und er in die Dusche kam. Sanft strich er über meinen Hals, zu meiner Seite und vom Rücken wieder nach oben.
Ich drehte mich zu ihm um und wir blickten uns in die Augen.
»Wie lange bist du schon da?«
»Lange genug!«, murmelte er und drückte mich an sich ran. Kurzzeitig verspannte ich mich, doch mir war innerlich warm. Sehr warm und ich spürte, wie sein Herz kurzzeitig aussetzte und danach doppelt so heftig in seiner Brust schlug.
Langsam schlang ich meine Arme um seine Hüften und bemerkte, dass er in seinem Anzug in der Dusche stand.
Fragend blickte ich ihn an und er schmunzelte leicht. Schloss seine Augen und atmete tief ein. Schließlich zuckte er mit seinen Schultern.
»Tja, ich wusste nicht, wie du reagieren würdest, wenn ich mich mit meiner totalen Pracht präsentieren würde.« Egal, wie doof mir die Situation im Moment vorkam, die Tatsache, dass er es überhaupt gewagt hatte, mir näherzukommen, in seinem Anzug, hier in der Dusche, ich musste kichern.
»Du bist einfach unverbesserlich!«, murmelte ich und seine Augen leuchteten auf. Ich spürte, wie er mich fester an sich drückte und ich ließ es zu.
Ich fühlte mich wohl und meine innere Kälte, wegen der Erektion, verflüchtigte sich und machte Platz für noch mehr Wärme, die Kyel mir nur mit dieser einfachen Umarmung gab.
Ich hatte ihn vermisst. Gott, hatte ich das vermisst.
Sanft hauchte er mir einen Kuss auf meine Stirn.
»Sascha, egal wie lange es dauert. Ich werde dich nicht dazu zwingen«, murmelte er, doch ich schüttelte den Kopf.
»Nein, gib mir nicht noch mehr Zeit. Ich ertrage diese Fürsorge nicht länger und ich ertrage das Rumturteln von Sarah und Aiden überhaupt nicht mehr.«
»Bist du wohl eifersüchtig?«
»Ja!« Er kicherte und ich schloss meine Augen. Wie lange war es her? Viel zu lange und ich schmiegte mich an seine Brust. Gierig sog ich seinen Duft ein und erst in diesem Moment wurde mir bewusst, wie sehr ich ihn liebte. Und wie sehr ich ihn von mir weggestoßen hatte, ihn aus meinem Herzen verbannt, aus meinen Gefühlen, aus meiner Seele. Die nun, während dieser Umarmung, vollständig heilte.
Mein Psychologe und die ganzen Sitzungen hatten mich nicht so weit gebracht, wie diese eine einzige Umarmung. Einfach seine Wärme genießen und das Pochen seines Herzens zu vernehmen. Die leichte Berührung seiner Fingerspitzen auf meinem Rücken zu spüren, die mir sagte, ich höre jederzeit auf, wenn du es nicht mehr möchtest. Die mich beruhigten und gleichzeitig erregten.
Plötzlich stieß ich mich von ihm ab und sah, wie er mit schmerzverzerrtem Ausdruck, seines Verlustes wegen, automatisch seine Hand von mir nahm und einen Schritt zurückwich.
»Nein, nein so hatte ich es nicht gemeint!«, durchschoss es mich, und auch wenn aufkeimender Ekel vor mir selbst in meinem Inneren hochstieg, so rief ich mir sofort seine wunderbare Berührung zurück. Kurz schüttelte ich den Kopf, hob meine Arme, packte Kyels Gesicht und zog ihn zu mir runter. Kurz hielt ich inne und atmete noch einmal tief durch.
Ich war erregt, weil ich an ihn gedacht hatte, weil er mich berührt hatte, weil er sanft zu mir war und weil ich wusste, dass er mir nicht wehtun würde.
Unsere Lippen trafen sich, erst sanft und ich spürte, wie sich alles in meiner unteren Region zusammenzog. Sich herrlich zusammenzog und ich genoss dieses Gefühl. Warm, es war warm.
Es war Kyel. Es waren seine Lippen. Seine wunderbaren weichen Lippen. Nicht die rauen und nach süßlichem Essen riechenden.
Ich öffnete meinen Mund und knabberte an ihnen. Kyels Atmung erhöhte sich und wir ließen uns nicht aus den Augen. Seine Pupillen weiteten sich und seine Mundwinkel zuckten. Er öffnete seinen Mund und ließ mich ein. Erst sehr zögerlich strich er mit seiner Zunge über die Meine.
Meine Hände nahm ich von seinem Gesicht und führte meine Finger über seine Schultern zu seinen Oberarmen. Sofort hörte er auf und schüttelte den Kopf.
»Sascha, das ist …!«
»Ich weiß« und riss ihn am Nacken wieder zu meinem Mund. Er wollte sich wehren. Sofort drückte ich meine Hüfte an ihn und er stöhnte auf.
»Gott, Sascha! Ich. Kann. Mich. Bald. Nicht. Mehr. Zurückhalten!«, keuchte er in meinem Mund. Ich ließ von ihm ab und blickte in sein überaus süßes und verdutztes Gesicht. Zwar rang ich immer noch mit meinem Innersten, aber mein Entschluss stand fest, wenn nicht genau in diesem Moment, dann nie wieder. Ich trat einen Schritt von ihm zurück.
»Kyel! Schlafe mit mir. Ich möchte es. Ich will es. Bitte mach keinen Rückzieher. Bitte hilf mir jetzt, ihn … seine Berührungen, meinen Ekel …«, ich zeigte zu meinem überaus angeschwollenem Schwanz, »... zu vergessen. Bitte zeige mir, dass es Spaß macht. Zeige es mir … bring mir die Erinnerung, die ich an dich habe zurück. Die Erinnerungen, die mir halfen, die sieben Tage zu überstehen. Bitt …!«, weiter kam ich nicht. Sofort drückte er mir einen vor Verlangen erfüllten Kuss auf die Lippen. Forderte brutal Einlass und drückte meine Hüfte fester an sich. Ich zuckte zusammen.
»Keinen Rückzieher!«, hauchte er mir ins Ohr. »Keinen von dir und keinen von mir. Ich werde dich jetzt nehmen, mit all meiner Liebe, und wenn das nicht reicht, werde ich dich von oben bis unten küssen und wieder zurück. Und irgendwann, wenn du dich nur noch unter mir windest, werde ich dich in mich aufnehmen und deinen wunderbaren Geschmack genießen.« Scharf zog ich die Luft ein. Er hatte es geschafft meine Zweifel, nur mit diesem Satz fortzuwischen.
Bisher bestand unsere Zweisamkeit darin, sämtliche Berührungen zu vermeiden. Sicherlich hielten wir Händchen oder ab und zu gab es mal einen leichten Kuss, aber mehr auch nicht.
Immer wenn er an meine Seite kam, verspannte ich mich oder ich rutschte von ihm weg. Ich hörte dann immer nur, wie er leise schnaubte und sich umdrehte oder ins Wohnzimmer auf die Couch auswanderte. Und jedes Mal zerbrach ein Stückchen mehr. So viel war in den letzten Monaten zerbrochen, dass ich nicht mehr in der Lage war, mich über die einfachsten Dinge zu freuen.
Dies gehörte der Vergangenheit an und ich versank buchstäblich in seinen Armen. Seine Berührungen, seine Küsse, überwogen bei Weitem, die furchtbare, in den Knochen steckende Erinnerung, die mein Leben bestimmt hatte.
Er hob mich aus der Dusche und so nass, wie wir waren, landeten wir im Bett. Seine Küsse waren sanft und fordernd zugleich. Durch seine Berührungen auf meinem ganzen Körper hatte ich keine Zeit mich an was anderes zu erinnern. Mein Kopf war leer. Ich bekam nicht mit, wie er sich auszog. Ich war in meinen Gefühlen gefangen. Immer wieder reizte er meine Stellen und sein Blick fragte, wie weit er wohl gehen durfte. Mit meinem Keuchen gab ich ihm zu verstehen, dass er weitergehen konnte. Ich wollte es. Ich hielt meine eigene Gefangenschaft nicht mehr aus und biss ihm in den Hals, um nicht lauthals aufzuschreien.
Ich spürte, wie er mich dehnte. Erst mit einem Finger, dann mit dem Zweiten und als er den Dritten dazunahm, sah ich, wie sein Ausdruck mehr als nur Verlangen zeigte. Er wollte mich. Er verzerrte sich nach mir und vor allem, er liebte mich. Wieder nickte ich ihm zu, als ich spürte, dass ich, soweit war. Sanft, fast schon bedächtig, drang er in mich ein und ich genoss es. Es war Kyel, mein Freund, mein Partner, mein Lebensgefährte, und ich hieß ihn willkommen.
Langsam bewegte er sich in mir und ich hob meine Beine um seine Hüfte. Wie beim ersten Mal, sah er dies als Einladung und seine Stöße wurden stärker, heftiger. Ich krallte mich an seinen Rücken, in seine Haare und dann ins Laken.
Es war ein wahnsinniges Gefühl und ich schrie es buchstäblich raus.
Am nächsten Morgen wachte ich auf. Mein Körper fühlte sich auf angenehme Weise wohl und zufrieden an, und als ich meinen Kopf wandte, blickte ich in ein grinsendes Gesicht mit zwei meeresblauen Augen.
Fast die ganze Nacht wagte ich es nicht, meine Augen zu schließen. Sascha lag in meinen Armen. Sein Ausdruck war weich und friedlich. Ich konnte es nicht fassen. Die ganze Nacht wurde ich nicht, von einem um sich schlagenden und aufstöhnenden Sascha, geweckt. Die ganze Nacht schreckte ich nicht hoch, weil Sascha plötzlich aufwachte und aus dem Bett sprang. Die ganze Nacht war so friedlich und ruhig, wie sein Gesicht, in das ich blickte.
Kurz rührte er sich, aber auch nur, um sich auf den Rücken zu legen. Das tat er immer, wenn er kurz vor dem Aufwachen war.
Wie gerne würde ich ihm seine dunklen Haare aus der Stirn streichen, aber seine ständigen plötzlichen Verkrampfungen hielten mich davon ab. Bis ich ihn wieder berühren könnte, ohne dass er darauf eingestellt war, würde es wohl noch etwas dauern. Auch wenn wir, nach langer Zeit, endlich wieder Sex hatten, wollte ich es nicht herausfordern.
Seine Augenlider zuckten und er öffnete sie. Sascha wandte seinen Blick zu mir und was ich dann sah, war der Himmel auf Erden.
Sascha schien wieder zu sich selbst gefunden zu haben.
»Morgen!«, murmelte er noch etwas verschlafen.
»Moing!«, gab ich zurück und seine Lippen zogen mich magisch an. »Darf ich?«, fragte ich ihn, kaum noch fähig, mich von diesem Anblick loszureißen. Er nickte.
Er schmeckte so gut, ich wollte mehr und das spürte er auch.
»Warte!«, er drückte mich von sich weg und stand auf. Ich drehte mich auf den Rücken und starrte an die Decke. Schallte mich gedanklich einen Narren, dass ich dachte, sogleich, nachdem er aufgewacht war, Sex mit ihm haben zu können. Aber er machte mich verrückt, mehr, als am ersten Tag.
Es gab keinen Tag, keine Stunde, keine Minute, keine Sekunde, die verging, welche ich nicht an ihn dachte. Mich nach ihm verzehrte und seine Gesellschaft genoss.
Er kam zurück und ich staunte nicht schlecht. Er war immer noch in seinen Shorts und hatte sich nicht angezogen, wie er es sonst immer tat. Stattdessen hielt er einen Zettel in der Hand und grinste über all seine Backen. Ich setzte mich auf und er ließ sich bäuchlings auf das Bett fallen. Den Zettel überreichte er mir und ich las ihn.
Seine Augen strahlten mich voller Erwartung an und ich konnte nicht anders, als mich für ihn zu freuen.
»Herzlichen Glückwunsch, Kleiner!«, sagte ich und in diesem Moment meinte ich es ernst. Dennoch umschlich mich ein ungutes Gefühl. Vor allem, ein Dunkles … wer würde Sascha beschützen, wenn ich nicht da war.
Die Universität, die ihn angenommen hatte, lag über 250 Meilen von hier entfernt. Er schien meine Gedanken gelesen zu haben.
»Es ist ja nicht so, dass ich dort hingehe. Ich habe meine Bewerbung damals auch nur hingeschickt, weil ich dieses Faible für Sprachen habe und weil ich …«, er wurde leiser, » … ich aus der Stadt wegwollte.« Damals war es verständlich und ich konnte es ihm auch nicht verdenken.
»Du kannst immer noch als Praktikant bei mir anfangen und auf der Carmen Norm deinen Uniabschluss machen«, meinte ich und er schnaubte.
»Ja, schon, aber Betriebswirtschaft oder dieses mit dem System …!« Er streckte die Zunge raus. Es war zu köstlich, wenn er Wörter nicht wusste oder aussprechen konnte. Ich nickte nur. » … ist irgendwie nicht das, was ich mir vorgestellt habe.«
»Und was hast du dir vorgestellt? Du weißt, wir haben März und im Juni müsstest du schon einen Studienplatz haben, sonst kommst du nirgends mehr rein, musst ein Jahr warten und dann ist es fraglich, ob du überhaupt noch genommen wirst.« Er verschränkte die Arme vor seiner Brust.
Plötzlich sprang er auf und faselte etwas. Er wäre spät dran. Hatte ich irgendetwas nicht mitbekommen?
»Tschuldige, ich habe total vergessen, dass Tim sich heute freigenommen hat. - Scheiße bin ich spät dran!«, jaulte er und weg war er.
Eine kurze Zeit starrte ich noch an die Decke und hievte mich anschließend aus dem Bett. Ich hörte, wie Sascha das Moped startete und es, je weiter er fuhr, immer leiser wurde. Ich schüttelte den Kopf und war kurzzeitig etwas stinkig auf Alessandro, weil er gerade an diesem Tag, nach so einer fantastischen Nacht, Sascha zum Arbeiten eingeteilt hatte.
So etwas sollte man feiern und nicht mit arbeiten vergeuden. Ein Geistesblitz durchzog mich und ich schmunzelte in mich hinein.
Ich stieg unter die Dusche, und als ich mich anschließend im Spiegel betrachtete, schaute mich jemand an, den ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Der aber dringend eine Rasur brauchte und einen neuen Haarschnitt.
»Hallo Kyel … lange nicht mehr gesehen« und meinem Spiegelbild wurde es nicht zu dumm, mir weiter entgegen zu lächeln. Ein Lächeln, das meine Augen erreichte und mich wieder um einige Jahre jünger aussehen ließ. Das ganze Gesicht konnte man einem einzigen Wort zuordnen. 'Glücklich'
Ja, ich war glücklich. Nicht weil meine Sehnsucht gestillt war, sondern, weil Sascha langsam überm Berg war und wieder zu sich selbst fand.
In der Villa war es recht ruhig. In der Früh war meistens ein lautes Durcheinander, von wegen, wo ist mein Top, wo ist meine Jeans, wo ist mein Geldbeutel und wo sind die Autoschlüssel. Und nun verstand ich, warum Leute sich sehr auf ihr Wochenende freuten. In der Früh war es ruhig, kein Gehetze, kein Zuspätkommen und keine nörgelnden Mitmenschen.
Sarah hatte es ganz besonders gut drauf und sie schaffte es sogar, Aiden, der auch hier wohnte und der eine wirklich ruhige Natur war, auf die Palme zu bringen.
Ich setzte den Kaffee auf und ging zum Küchentisch rüber. Dort nahm ich die Zeitung in die Hand und sah mir den DAX an. Auch wenn Fleischhauer, zuerst mit den Bänkern Geschäfte gemacht hatte, so war ich doch zufrieden, dass meine Aktien noch einen guten Stand hatten.
Wer hätte es geglaubt, dass ich irgendwann stiller Teilhaber von einigen Bankenfonds in Deutschland sein würde.
Ich war mit dem Durchsehen fertig und ein total verhauener, übernächtigter Arzt kam in die Küche.
»Guten Morgen, Kyel!«, begrüßte er mich.
»Morgen, Lenard!«, gab ich zurück und er setzte sich auf seinem Platz am Tisch.
»'Tschuldige, dass ich gestern nicht mehr heimgefahren bin«, fing er an und ich legte die Zeitung weg.
»Kein Problem«, erwiderte ich.
Ich stand auf, holte zwei Tassen aus dem Schrank und befüllte sie mit Kaffee. Stellte sie auf dem Tisch und tat noch Milch und Zucker hinzu. Irgendwie ließ er mich nicht aus den Augen. Was wollte er von mir?
»Wie geht es Sascha? Loren hat gestern gemeint, dass er nichts zu Abend gegessen hat und Sarah sagte, dass er wie von der Tarantel gestochen aus der Küche rausgerannt ist. - Ist irgendetwas vorgefallen?« Kurz überlegte ich, was eigentlich vorher passiert sein könnte, bevor ich ihn unter der Dusche gefunden hatte, und musste mir eingestehen, dass ich das gar nicht wusste. Es musste mir wohl entfallen sein, danach zu fragen. Irgendwie.
»Er hat, als ich heimkam und Loren mich bat, nach Sascha zu sehen und ihm zum Essen zu holen, unter der kalten Dusche gestanden!«, antwortete ich stattdessen.
»Kalte Dusche? Meinst du …?«
»Ja, er war geschlagene drei Stunden unter der kalten Dusche. Er war wie weggetreten und hat nur mit sich selbst geredet.«
»Wie hast du ihn da raus bekommen?«, wurde ich gefragt und musste zugeben, ich wusste es nicht, obwohl ich es in Wahrheit schon wusste, aber das würde ich nicht preisgeben. Ich zuckte nur mit den Schultern und rieb mir die Augen.
»Ich habe keine Ahnung, Lenard. Ich habe das Wasser immer etwas wärmer gestellt. Irgendwann schmiegte er sich an mich und da … habe ich ihn irgendwie aus der Dusche rausgebracht.«
»Er hat sich an dich geschmiegt?«, rief Lenard sprachlos aus und ich nickte. »Schläft Sascha noch?« Ich verneinte es und sagte, dass er zur Arbeit gefahren wäre. Somit war dieses Thema auch wieder vom Tisch und ich konnte mich langsam auf meinen Geistesblitz einstellen.
Wie gesagt, so ein Tag war zum Feiern da und nicht zum Vergeuden. Es würde eine Feier, in der nur zwei Hauptdarsteller anwesend wären, geben. Eine Feier für einen ganz besonderen Anlass.
Eine Feier zum Einläuten des Neubeginns.
Inzwischen waren alle Mitbewohner meiner Villa erwacht und am Küchentisch herrschten Themen von Alkoholkonsum einiger Patienten, dessen Namen natürlich nicht genannt wurden, bis hin zu Zebras, welches Sarah und Aiden im Zoo anschauen wollten.
Ich blickte mich in der Runde um und hätte eigentlich sehr zufrieden sein können, wenn es nicht an der Tür geklingelt hätte und der Postbote mir ein Einschreiben für Sascha Fleischhauer überreicht hätte.
Ich öffnete den Brief und las, dass es die Vorladung zur Anhörung war.
»Jetzt war es soweit!«, durchschoss es meine Gedanken und ich schloss meine Augen. »Jetzt wo Sascha so einen weiten Schritt nach vorne bewältigt hatte.«
Dennoch ließ ich mein Gemüt nicht trüben. Ich hatte noch etwas vor. Und Sascha war härter im Nehmen, als mancher es zu glauben schien. Ich wusste, dass wir auch diese Hürde bewältigen würden.
ENDE ???
Texte: (c) 2018 Conny J. Gross
Bildmaterialien: (c) E.R. Thaler, Anna Lena
Cover: (c) E.R. Thaler, Anna Lena, Conny J. Gross
Lektorat: Angelita Panther
Tag der Veröffentlichung: 19.05.2018
Alle Rechte vorbehalten