Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden. Ähnlichkeiten zu existierenden Personen sind rein zufällig.
Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.
Alle Rechte vorbehalten.
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Und denkt daran, im REALEN Leben gilt SAVER SEX, also achtet immer darauf. AIDS ist keine Krankheit, die man auf die leichte Schulter nehmen darf. Auch die anderen Geschlechtskrankheiten nicht.
Also schützt euch!!!!
Danke
Eure Conny J. Gross
Buch 1
Zufrieden blicke ich mir den Sonnenuntergang des wunderbaren Herbstabends an und lasse mir den warmen Wind durch die Haare wehen.
Sanft umgreifen mich zwei starke Arme und drücken mich an einen Körper. Ich spüre seine harten Brustmuskeln, wie sie unter dem Shirt zucken. Zärtlich streichelt er mit seiner Zunge über meinen Hals und reizt meine besagte Stelle. Haucht einen warmen Kuss darauf und ich schmiege mich an ihn.
»Komm, deine Gäste sind da!«, flüstert er mir ins Ohr.
»Hmm, einen Moment noch. Ich komme gleich«, antworte ich ohne mich von dem Himmel abzuwenden. Ich höre, wie sich die Balkontür schließt und ich atme tief ein. Mein Leben kann nicht besser sein, ich drehe mich um und gehe hinein.
»Hey, da kommt ja endlich das Geburtstagskind. Wird wirklich langsam Zeit!«, stänkert meine Schwester. Sie streichelt über ihren dicken Bauch und ich blicke mich in der Runde um. Nicke Mom zu, die schon dabei ist, den Kuchen anzuschneiden und setze mich an den Tisch. Viele Gäste sind es nicht. Ich habe darauf bestanden, dass nur die engsten Familienmitglieder und die besten Freunde eingeladen wurden.
Am heutigen Tag bin ich die Hauptattraktion, der Mittelpunkt, das kleine Geburtstagskind und ich fühle mich wohl. Nicht ganz allein im Zentrum, meine Zwillingsschwester hat heute ebenfalls Geburtstag. Ihr Baby ist schon fast eine Woche überfällig und sie wird von ihrem Ehemann überaus bemuttert, was ihr total missfällt. Vor allem, weil jeder nur ihren Sohn sieht und nicht sie. Ich grinse sie belustigt an.
Dennoch zwingt sich eine kleine Träne nach oben und ich blinzle sie weg. Es gab eine Zeit, da war es nicht so. Viele Kämpfe gegen die häusliche und äußerliche Gewalt und gegen jede Menge Vorurteile musste ich ausfechten, um dahin zu kommen, wo ich jetzt bin.
Mein Name ist Sascha, bin Sozialpädagoge für misshandelte Kinder und Jugendliche. Heute werde ich 28 Jahre. Ich bin glücklich verheiratet, habe eine Tochter und ich bin schwul.
Trotz alledem beschleicht mich ein dunkles Gefühl innerhalb dieser Wärme. ›Er‹, der mir das Leben zur Hölle gemacht hatte, meinen Körper geschändet und meine Seele in tausend Stücke zerbrochen hatte. ›Er‹, der so wie es heißt auf der Flucht ist. Keiner weiß, wo er sich aufhält oder was aus ihm geworden ist. ›Er‹, verfolgt mich noch heute. ›Er‹, ist noch immer bei mir. In meiner Seele, in meinem Verstand.
Dies ist meine Geschichte.
Das Erste, was ich nach einem nervigen und aufreibenden Schultag tat, war meinen Rucksack, mit all dem sinnlosen Zeug, wie Mathebuch oder Deutsch-Sprachlehrebuch und den dazugehörigen Heften und Blöcken in die Ecke, meines viel zu klein geratenen Zimmers, zu schleudern. Da es regnete und ich sowieso nirgends Freunde hatte oder auch überhaupt welche fand, warf ich mich auf mein Bett und schaltete den Fernseher ein. Wie immer kam nichts, außer der wiederholten Wiederholung einer Daily Soap über Tragik, Liebe, Intrigen und ewigen Taschentuchverbrauch.
Das Handy holte ich aus der Hosentasche und legte es neben mir auf das Bett. Manchmal fragte ich mich, wofür ich das Ding überhaupt brauchte? Ich hatte seit letztem Jahr Weihnachten, als meine Mutter mir das Mobiltelefon geschenkt hatte, noch keine einzige Nummer gewählt, geschweige denn, wurde ich angerufen. Mit anderen Worten, das Guthaben, das jeder aus der Familie mit dazugesteuert hatte, war immer noch auf dem Handy. Es wäre schön gewesen, wenn man sich den Betrag hätte auszahlen lassen können. Dann hätte ich mir ein neues Spiel für die Playstation 3 kaufen können. Aber nein! So schlief es auf meinem Handy und blieb ungenutzt. Wie immer tippte ich die Reihenfolge ein und eine weibliche blecherne Stimme gab mir den Betrag durch.
»Ihr aktuelles Guthaben beträgt 119 $ und 51 Cent!«
Wow ja, so viel dazu! Und diesen Betrag schleppte ich seit über zehn Monate mit mir herum. Verdrossen und wieder weit unter den Nullpunkt gezogen, starrte ich an die Decke.
Wie lange war es her, dass ich mich geoutet hatte? Fast ein Jahr! Der erste Mensch, dem ich es erzählte, war mein angeblich bester Freund David. Er hatte mich damals angeschaut, als ob ich ein ekelerregendes Insekt wäre, sah zu, dass er den erstbesten Baum erwischte und raufkletterte, um seinen Hintern in Sicherheit zu bringen. Tja, so viel dazu! In diesem Jahr war sehr viel passiert. Die Sportkollegen schmissen mich aus dem Team. Die AG-Nachmittage, in der Schule, wurden auch zum Spießrutenlauf und meine Mutter war daraufhin gezwungen, mich rauszunehmen.
Mein Vater konnte oder wollte es auch nicht verstehen und mied mich seitdem. Nicht, dass er was dagegen hätte, sagte er immer oder hatte es gesagt. Es war einfach, unser Verhältnis hatte sich von 100 % auf 0,00001 % abgekühlt oder noch weniger.
Ich hörte, wie Mutter von ihrer Schicht nach Hause kam und die Nörgelei meiner Zwillingsschwester beschwichtigen wollte. Tief atmete ich ein und schaltete den Fernseher aus. Auch wenn sich keiner mehr für mich interessierte oder höchstens so tat als ob, nur um den Hausfrieden zu bewahren, wollte ich mich auch nicht querstellen. Ich setzte mich an den vollgestopften Schreibtisch, ließ den PC hochfahren und suchte die Tastatur unter stapelweise Blätter hervor.
Vor einigen Monaten, war mein erster Griff am Computer, die Mails checken. Inzwischen wusste ich, dass nur mein Spamordner übervoll war oder es waren nur Werbemails von diversen Kaufhäusern, indem man Punkte sammeln konnte, um irgendwelche Angebote zu kaufen. Dennoch wagte ich einen Blick in mein Postfach.
»Sie haben vier ungelesene Nachrichten«, stach es mir ins Auge und ich zog die Braue über meinem linken Auge hoch. War eine blöde Angewohnheit von mir, die ich, wenn ich alleine war, nicht abstellen konnte. Wenn ich allerdings in der Schule war, schaute ich darauf, dass ich so wenig Körpersprache und Mimik, wie möglich, zeigte und nichts von mir preisgab.
Seitdem ich mich gegenüber meinem ›besten Freundes‹ geoutet hatte, wurde jede Regung von mir sofort als schwul abgestempelt. Nicht einmal mit der Hand fuhr ich mir durch die Haare oder blickte einen Schüler länger, als eine Sekunde an. Selbst bei den Lehrern vermied ich es, ihnen in die Augen zu schauen und peilte ein Loch oder eine Reißzwecke in der Wand hinter ihnen an.
Von den vier Mails, die in meinem Postfach vorhanden waren, war eine die Rundmail von Sue, in der sie jeden auf ihre Geburtstagsparty einlud. Natürlich hatte sie mich nicht damit gemeint und ich drückte auf Löschen. Außerdem interessierte mich ihre überbordende Party nicht. Ich fand, eine Geburtstagsfeier sollte im engsten Kreis stattfinden und nicht so öffentlich zelebriert werden, wie ein Ausstellungsstück von Madame Tada. Die Nächste war eine Rechnungserinnerung von einem Versandhaus und ich atmete genervt ein.
»Warum habe ich meiner Schwester nur erlaubt, über meinen Namen zu bestellen?«
»Siehst?! Jetzt bekommst du die Rechnung!«, hörte ich das Teufelchen auf meiner linken Schulter und schüttelte den Kopf. Diese Mail leitete ich an sie weiter, mit der Notiz, ›Wenn sie die Forderung nicht bald bezahlte, würde ich es Dad sagen‹ und löschte sie daraufhin aus dem Postfach. Die Dritte war nur eine belanglose Nachricht von Facebook und ich vernichtete sie ebenfalls.
In dem Moment, als ich die Vierte öffnen wollte, stürmte meine Schwester Sarah ins Zimmer, um mir die Hölle heißzumachen, von wegen, was ich mir alles erlaubte, da hob ich nur die Hand.
»Halt deine Klappe! Es ist die zweite Erinnerung. Du solltest langsam schauen, dass du sie bezahlst. Falls du sie immer noch nicht gezahlt hast, wenn die dritte Mahnung kommt. Werde ich definitiv zu Dad gehen und es ihm sagen!«
»Ja, ja! Meinst du Dad, glaubt dir das?«, fragte sie überheblich wie eh und je.
»Natürlich wird er mir das glauben, immerhin wäscht Mom die Klamotten, die du dir unter meinem Namen bestellt hast und ich glaube kaum, auch wenn ich schwul bin, dass er glaubt, ich würde Strapse und Tangas in 34 anziehen. Wir sind zwar Zwillinge, aber ich bin dennoch kräftiger als du. Mein rechter Sack passt nicht mal in eine deiner Unterhosen, also, hör auf mich zu nerven!«
»Du bist so ein Arschlo …«
Mehr hörte ich nicht. Sie schlug die Tür hinter sich zu. Genervt widmete ich mich meiner letzten E-Mail. Der Absender war mir völlig unbekannt und ich wollte sie schon löschen, als mir die Betreffzeile, ›Ich bin auch schwul!‹, ins Auge sprang. Derjenige hatte sie wahrscheinlich deshalb so groß geschrieben, damit er sich sicher sein konnte, dass ich diese paar Worte auch wirklich lesen würde. Okay! Ich überwand meinen inneren Schweinehund und öffnete sie.
»Ich bin auch schwul! Es lässt sich leichter schreiben, als sagen. Wie oft stand ich vor dem Spiegel und versuchte dieses eine Wort, welches einem sonst eigentlich völlig leichtsinnig über die Lippen kommt, auszusprechen. Und genau in diesem Moment, zieht sich der Magen zusammen und der Kloß im Hals wird immer größer.«
Ich las die Zeilen und auch mir stand der Schweiß auf der Stirn, als ich mich zurückerinnerte, wie es damals war. Wie ich total vertrottelt vor David von einem Fuß auf den anderen tapste und ihm mein größtes Geheimnis verriet.
»Ich habe Angst. Vor allem, wenn ich es sehe, wie dich alle behandeln. Ich bewundere deine Stärke, wie alles an dir abzuprallen scheint. Aber ich glaube zu wissen, wie es in dir drinnen aussieht. Du bist sehr verletzt. Jetzt fange ich schon wieder an, dich mit mir zu vergleichen, dabei bin ich zu feige um mich zu outen. Es tut mir so weh, zu sehen wie du behandelt wirst. Ich habe mich in jemanden verliebt, der dich genauso hänselt, wie alle anderen, aber ich habe Angst etwas zu sagen, da ich ihn als Freund nicht verlieren will. Dies ist eine Fakeadresse, also brauchst du darauf auch nicht zu antworten. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass du nicht ganz alleine dastehst, auch, wenn wir beide unseren Kampf einzeln ausfechten. Ich danke dir, dass du dir die Zeit genommen hast, diese paar Zeilen zu lesen, weil ich mich dadurch etwas besser fühlen werde, da ich das losgeworden bin. Auch wenn ich das wegen meiner Feigheit nicht wirklich verdiene.
Ein Freund, hoffe ich.«
Ich wusste nicht, ob ich darüber lachen oder weinen sollte. Ich las sie noch einmal durch, dann besiegte ich meinen inneren Schweinehund, der mich vorhin dazu gebracht hatte, diese Mail zu öffnen und löschte sie.
Am nächsten Tag, während des Unterrichts, starrte ich gedankenversunken aus dem Fenster und erinnerte mich noch mal an die Mail, die mich den ganzen letzten Tag verfolgt hatte. Irgendwann, nachdem ich lange genug aus dem Fenster gestarrt hatte, widmete ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Lehrer zu. Natürlich suchte ich mir andere Anhaltspunkte, auf die ich schauen konnte, ohne den Lehrer verlegen zu machen. Pädagogen sollten wissen, wie man sich in so einer Situation verhält, aber der Lehrer gehörte schon zum alten Eisen und eine ›anerzogene Abneigung‹ konnte keiner so leicht überwinden. Besonders, da er auch noch tief religiös war und für ihn gleichgeschlechtliche Liebe, so etwas, wie eine Todsünde war. Manchmal fragte ich mich, warum der nicht Religionslehrer geworden war oder gleich Papst, sondern Geschichte, Biologie und Physik unterrichtete. Aber es war egal. Wieder wurde mir sein Gerede zu langweilig und ich starrte aus dem Fenster. Nach gefühlten Stunden klingelte die Schulglocke zur Pause.
Pause. Ich verdrehte meine Augen. Die Pausen in der Schule waren immer ein Spießrutenlauf.
Ich packte meine selbst gemachte Brotzeit aus und wartete, bis alle die Klasse verlassen hatten, erst dann ging ich hinaus auf den Gang. Blickte mich kurz um und verschwand auf das nächste Jungenklo. Dort schloss ich mich ein, holte das Handy aus der Hosentasche, steckte die Ohrstöpsel in mein Ohr und schaltete die Musik an.
Shit! Durchfuhr es mich. Ich hatte den Reader vergessen. Nun dauerte die Pause doppelt so lange und ich musste gelangweilt auf dem Klo ausharren.
Ich hörte, wie einige Jungs ihr Geschäft verrichteten und sich über die Brüste der Mädchen ausließen und andere Gespräche. Ich fragte mich, ob die Machos wussten, dass ein Schwuler ihre intimen Diskussionen belauschte. Wer hier den Größten in der Hose hatte und wie oft er in der letzten Nacht gekommen war und welches Model oder weiblichen Filmstar sie als Wichsvorlage benutzt hatten.
Ich brauchte keine Vorlage, ob männlich oder weiblich. Mein Körper war sehr sensibel und mir reichte schon die Bettwäsche, die sanft über meine Brust strich. Und meine Hand, die die gewissen Stellen stimulierten, bis ich es mir selbst machte. Manchmal reichten schon meine Haare, wenn sie zu lang waren und mir über meinen Hals kitzelten, damit es mir durch den Körper zuckte. Gott, allein der Gedanke daran, ließ meinen Körper aufhorchen und ich versuchte, so leise wie möglich, einzuatmen.
Die Glocke ertönte wieder und ich lauschte, bis auch der Letzte aus der Toilette verschwunden war. Erst dann wagte ich mich aus der kleinen Kabine und wusch mir noch schnell übers Gesicht. Es war wohl doch etwas erhitzt. Wenigstens rührte sich mein Freund zwischen den Beinen nicht mehr und ich ging in Richtung Klassenzimmer.
Da mein Fahrrad den Geist aufgegeben hatte, war ich gezwungen, mit dem Bus zu fahren. Langsam schlenderte ich zu der Haltestelle und hörte schon das mir allzu bekannte Lachen. David.
Somit hatte sich die Frage, wie ich am besten nach Hause kam, von alleine entschieden. Ich lief nach Hause und schlug deshalb postwendend die entgegengesetzte Richtung ein. Alles wollte ich, aber ihm begegnen, nun wirklich nicht. Er war die treibende Kraft, die dafür sorgte, dass ich in den letzten Monaten wie ein Aussätziger behandelt wurde.
Ich kramte in der Hosentasche und schaltete mein Handy ein. Wie immer steckte ich mir die Ohrstöpsel ins Ohr und drehte die Musik auf.
Als ich endlich, nach fast einer halben Stunde laufen, daheim war, sah ich schon, die allzu bekannte Zettelaufgabenverteilung von Mom am Spiegel im Flur kleben. Warum in aller Welt, stand auf neun von zehn Zetteln immer mein Name? Ich nahm den Ersten in die Hand und las, dass ich den Geschirrspüler ausräumen sollte und die Wäsche aus dem Wäschetrockner zusammenlegen musste. Ständig gab mir Mom Aufgaben, die ich bis auf das Blut hasste. Vor einem Jahr noch waren das immer die Aufgaben meiner Schwester. Im Sommer war kein einziges Mal Rasenmähen dabei oder sonst solche Dinge, die ich stets mit Dad gemeinsam gemacht hatte. Verdrossen schnappte ich mir die anderen Zettel.
Es reichte, wenn sie auf einen Wisch schreiben würde, ›Mach die ganze Wohnung sauber‹, und begab mich in die Küche. Nach knapp zwei Stunden war ich mit den Aufgaben fertig, die Mom mir aufgebrummt hatte und ging ins Zimmer. Als ob sie es gerochen hätten, kamen Mutter und Sarah von ihrer Shoppingtour und es dauerte nicht lange und meine heißgeliebte Schwester stürmte in mein Zimmer.
»Sag mal, bist du heute nicht mit Wäsche zusammenlegen dran?«, schrie sie gleich los.
»Hat dir irgendjemand schon einmal beigebracht, dass man anklopft, bevor man die Privaträume von jemand betritt?«
Sie ignorierte es und fragte mich direkt wieder das Gleiche.
»Wenn du so darauf bestehst, ja, ich war heute mit dem Zusammenlegen der Wäsche dran. Und? Wo liegt das Problem?« Sie stemmte ihre Hände in die Hüften und atmete genervt ein, bevor sie wieder lospolterte.
»Wo das Problem ist? Du fragst, wo das Problem ist? Meine Klamotten sind definitiv nicht zusammengelegt worden. Und kannst du mir bitteschön verraten, was ich heute Abend anziehen soll?«
»Was du anziehst, ist mir so was von scheißegal, und falls du es noch nicht bemerkt hast, deine Klamotten sind allesamt zum Bügeln. Und!? Bin ich mit Bügeln dran? Nein! Das steht definitiv auf deinem Zettel. Außerdem werde ich nie in meinem Leben ein Bügeleisen in die Hand nehmen und das weiß Mom.«
Wie auf Abruf stand Mom in meinem Zimmer und blickte sich um.
»Was ist hier schon wieder los?«, fragte sie. Sofort tat Sarah auf beleidigt und schüttete ihr ach so verletztes Herz aus. Manchmal glaubte ich, dass wir gar keine Zwillinge waren. »Ich möchte es auch gerne von dir wissen, Sascha, warum du deine Aufgabe nicht erledigst?«, ging die Fragerei von Mom weiter und ich sah, wie Sarahs Augen vor Triumph aufleuchteten. Ich lächelte etwas in mich hinein und sagte nur: »Ich bügle nicht!«
Mutter wurde hellhörig und ging ohne ein weiteres Wort aus meinem Zimmer. Es dauerte allerdings nicht allzu lange und sie kam wieder zurück.
»Sarah, Sascha hat recht. Deine Klamotten, in dem Korb, sind alle zum Bügeln und du weißt doch, dass Sascha nicht bügelt.«
»Aber Mom, ich habe …«
»Ich will nichts weiter hören. Sarah! Geh und erledige deine Aufgaben!«
Irgendwie war ich erleichtert, sonst ergriff Mom nie Partei für mich und ich befürchtete schon, dass sie mir die grauenhafte Aufgabe des Bügelns übertragen würde. Sarah war, was den Haushalt betraf, seit ich mich gegenüber meinen Eltern geoutet hatte, fein raus. Und Mom war der Meinung, dass ich die Aufgaben gewissenhafter erledigte, als Sarah, also hatte ich die totale Arschkarte gezogen.
»Mom!«, sie drehte sich zu mir um. »Mom darf ich das Moped von Dad nehmen? Ich möchte heute in das High Skills.«
»Aber Schatz, ist das Moped nicht etwas zu schwer für dich?«
»Mom!« Meine Mutter zuckte zusammen, als sie meinen plötzlich warnenden Unterton vernahm. »Mom, ich bin schwul und nicht behindert oder körperlich unterentwickelt. Schon gar nicht bin ich eine Frau wie du, die Schwierigkeiten hat, das Moped aufzuheben.«
»Mom, ich nehme Dads Moped! Ich treffe mich mit Lara im Honey Moon.«
»Geht klar, Liebes!«, gab sie zur Antwort und mir war es, als würde mir jemand vor den Kopf schlagen. Ich starrte sie an und spürte, wie mir das Blut in dem Kopf schoss. »Wo waren wir stehen geblieben, Schatz?« Das war nicht wahr?! Auf gar keinen Fall konnte das wahr sein! Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten und sprang vom Stuhl.
»Wo wir stehen geblieben sind? Mutter! Ich habe dich gefragt, ob ich heute Abend das Moped von Dad bekomme?!« Ich sah, wie sie weiß wurde. Sie war wahrscheinlich so weiß, wie ich rot war.
»Ich fasse es nicht. Sarah gibst du das Moped, ohne zu fragen, ob das zu schwer für sie sei und mir, mir willst du eine Standpauke darüber halten, dass ich es nicht handhaben kann, dass es für MICH zu schwer sein könnte?! Mom weißt du was. Ich werde die Schule schmeißen und mir Arbeit suchen, damit ich endlich aus diesem beschissenen Haushalt, der nur aus Vorurteilen besteht, verschwinden kann.«
»Aber Schatz, ich war …!«, versuchte sie mich zurückzuhalten.
»Du warst was? Dir ist es egal, wie es mir geht. Für dich bin ich, seitdem ich es euch gesagt habe, nur noch Luft. Ich bin nur noch gut, um den Haushalt zu schmeißen. Dad spricht nicht einmal mehr mit mir oder bezieht mich bei seinem Modelbauen, wie er es früher immer getan hat, mit ein. Bei Reparaturen, die ich sonst immer mit ihm gemacht habe, werde ich nur weggeschoben und du, du behandelst mich wie ein persönliches Hausmädchen, das du nicht bezahlen brauchst. Und Sarah nimmt die Eigenheit der Ignoranz von der Schule mit nach Hause. Für sie bin ich auch nur noch der Homo, der leider ihr Bruder ist und Bruder bin ich für sie nur noch, wenn sie was von mir will. Ach übrigens, sie hat eine ausstehende Rechnung von über 398 $. Das Geld will ich am Montag auf meinem Konto sehen, damit ich es selbst überweisen kann!«, schrie ich sie an und hatte gar nicht bemerkt, wie mein Vater nach Hause kam und alles mit anhörte. Was mir allerdings, in diesem Moment, scheißegal war. Ich schnappte mir die Jacke, das Handy und bahnte mir den Weg durch den engen Flur. Alle starrten mich an und ich sah, wie Sarah mich zornig anfunkelte.
»Halt jetzt bloß deine Klappe. Eine Schwester willst du sein? Ich wette, du hast es gehört, das ich Mom nach dem Moped gefragt habe, aber diesmal kommst du damit nicht durch. Ich nehme das Moped mit Erlaubnis oder nicht. Diesmal unterstütze ich dein hinterhältiges Verhalten nicht. Ich werde es nie wieder unterstützen. - Ach da fällt mir gerade was ein. Das Moped gehört ja mir, und zwar schon, seit ich 17 bin. Das habt ihr anscheinend alle vergessen. Nur ich bin so doof und frage jedes Mal. Man bin ich blöd!« Tief holte ich Luft und schmiss die Korridortür hinter mir zu. Ich hörte nur noch, wie Sarah schluchzte: »Das ist alles nicht wahr. Ich habe nicht für so viel Geld bestellt. Sascha lügt.«
»Diese Schlampe!«, zischte ich und rannte zur Garage.
Auf der Straße beruhigte sich mein Herz langsam und das Brennen in den Augen ließ auch nach. Ich genoss nur noch den Fahrtwind und bog auf die Bundesstraße zu der Kneipe High Skills ein.
Ein Jaguar überholte mich. Was allerdings nichts Neues war, dass mich ein Auto überholte. Nur hielt es mit mir die gleiche Geschwindigkeit. Nach wenigen Metern drosselte der Fahrer die Geschwindigkeit und ich war gezwungen, auf die Bremse zu gehen. Was war das für ein Arsch? Inzwischen fuhr ich nur noch 30 km/h. Da ich mich gerade beruhigt hatte, wollte ich mich nicht wieder reizen lassen. Ich betätigte den Blinker und überholte den Jaguar. Ich war mir sicher, dass ich einen Schreikrampf bekäme, wenn er meinte, mit mir Spielchen spielen zu müssen, indem er auch aufs Gas trat, damit ich gar nicht an ihm vorbeikam. Aber dem war nicht so. Er oder sie ließ mich vorbeifahren und fuhr hinter mir her. Sollte er oder sie doch, es war mir egal. Wer weiß, welches Problem der Fahrer hatte oder was er sich dabei dachte. Ich setzte erneut den Blinker, weil ich die Ausfahrt zur Tanzkneipe High Skills nehmen wollte. Zu meinem Leidwesen fuhr der Jaguar immer noch hinter mir her und er war auch noch hinter mir, als ich auf den Parkplatz fuhr.
Ich stieg ab, fest davon überzeugt, dass es nur ein Zufall sein könnte. Den Helm befestigte ich am Lenkrad und ging zum Eingang der Tanzkneipe. Ich bezahlte den Eintritt und ging zur Theke. Dort bestellte ich mir eine Cola und drehte mich zu den, noch wenigen, Tanzenden um. Was wollte ich denn? Immerhin war es noch sehr früh am Abend. Ich beugte mich über mein Glas Cola und fing zu grübeln an. Was hatte ich mir dabei gedacht, so auszurasten? Nun hatten meine Eltern wirklich das Recht mich als Schwulette zu bezeichnen. Ich hatte mich tatsächlich aufgeführt, wie ein Mädchen. Schlimm wäre es gewesen, wenn ich die Luft, während meines Ausbruchs eingezogen und das Schniefen angefangen hätte. Aber ich bin dennoch ein Mann. Ein Mann. Ein jungfräulicher Mann. Mädchen aus meiner Klasse oder Schule hätte ich massenweise abschleppen können. Mein Aussehen war überdurchschnittlich gut. David hatte immer gesagt, dass ich, wenn ich erwachsen wäre und jemand Berühmtes mich sehen würde, ich im Modelgeschäft oder auf der Leinwand Karriere machen könnte. Ich hatte genau den richtigen Körperbau und das Gesicht dazu. Aber was brachte mir das? Nichts! Rein gar nichts. Kurz nippte ich an meinem Glas und die Cola schmeckte schon leicht verwässert, weil das Eis langsam im Glas geschmolzen war.
Verdrossen beobachtete ich das Eis, wie es sich dem natürlichen Kreislauf nicht erwehren konnte und immer weiter schmolz. Selbst der Geschmack der Cola wurde durch das Eis immer schwächer und bald würde ich nur noch fade Cola trinken. Ich sollte dem Barkeeper sagen, dass ich die nächste Cola ohne Eis möchte, aber ich glaubte, darauf würde er sich nicht einlassen, denn das würde heißen, dass er mir mehr Cola einschenken müsste und dass wiederum bedeutete, er machte bei mir einen geringeren Umsatz. Wieder atmete ich tief ein und bekam nicht mit, wie sich jemand neben mich setzte, der das Gleiche, wie ich bestellte. Ich war so sehr in meiner Grübelei versunken, dass ich durch irgendetwas auf meinem Vater kam. Da war ein Geruch, ein herber, markanter und doch feiner Hauch von etwas, dass ich fast jeden Abend roch. Aber woher kam er? Ich wusste plötzlich, dass mein Vater öfters danach roch, aber nicht so intensiv, wie es mir nun in die Nase stieg. Tief sog ich den Duft durch meine Nase, nicht um mich zu beruhigen oder das deprimierte Gefühl aus dem Magen zu bekommen, sondern, weil ich auf irgendeine Weise von diesem Geruch angezogen wurde. Alles blendete ich aus. Die laute und dröhnende Musik, die sich Unterhaltenden, die der Meinung waren, sie müssten die Musik übertönen, selbst die tanzenden Menschen auf der Tanzfläche. Ich konzentrierte einzig auf diesen Duft, der sich in meinem Innern breitmachte. Er rief Erinnerungen an meinen Vater wach. Vor meinem inneren Auge sah ich, wie mein Vater von der Arbeit heimkam, sein Jackett aufhing und die feinen und edlen Schuhe durch Pantoffel austauschte. Da war dieser Duft. Immer, wenn er von der Arbeit heimkam, umgab ihn dieser Hauch. Erotik. Das war es. Dieser Duft von Erotik und Leidenschaft, der mir damals auch die Kraft gab, mich zu offenbaren. Ich erinnerte mich noch, wie ich im Flur stand, um tief Luft zu holen, daraus Kraft zu schöpfen und mir, im wahrsten Sinne, Mut einhauchte.
»Hallo!«, hörte ich von weit her, aber so richtig wahrgenommen hatte ich es nicht. Noch mal ein Hallo. Nichts. Wieder schnaubte ich und schüttelte unmerklich meinen Kopf.
Ein kurzer Druck ließ mich aus den Gedanken hochfahren und ich erschrak, sodass mir das Glas, mit der wässrigen Cola aus der Hand glitt und der ganze Inhalt über den Tresen verteilt wurde.
»Herrgott!«, rief ich aus und knirschte mit den Zähnen, weil ein Teil des Inhaltes der Meinung war, mir genau zwischen die Beine laufen zu müssen. Ich schoss vom Barhocker hoch.
»Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken.«
Ich wandte meinen Kopf zu dem Störfaktor und nun traf mich der wahnsinnige Duft mit voller Wucht. Mir wurde leicht schwindelig und ich spürte, wie eine starke Hand meinen Oberarm packte.
»Geht es dir gut?«, hörte ich durch den Nebel, eine männliche und sanfte Stimme, die mit dem Duft des Parfüms harmonierte. Kurz nickte ich.
»Ich war nur in Gedanken und mein Blutdruck lässt rapide nach, wenn ich mich zu schnell bewege.«
»Habe ich gemerkt.«
Er hielt immer noch meinen Oberarm, und ohne, dass ich es mitbekam, hatte er mich zum nächsten trockenen Barhocker geführt und half mir, mich hinzusetzen. »Noch mal. Ich entschuldige mich dafür. Ich wollte dich wirklich nicht erschrecken.«
Ich blickte ihn an und ein ›WOW‹ durchschoss mich. Er hatte fast schwarze Haare, die er kurz geschnitten trug. Kein Gel oder Haarspray hielten die störrischen Strähnen. Seine Brauen hatten eine leichte Wölbung, die fantastisch zu seinen tiefblauen Augen passten. Seine Haut war leicht gebräunt und keine einzige Unreinheit zierte sein Gesicht. Leichte Ansätze von Bartstoppeln waren an seinem Kinn zu sehen und ein kleiner Ohrstecker zierte sein linkes Ohrläppchen. Ich erwischte mich dabei, wie ich mir vorstellte, genau dieses Läppchen mit Lippen und Zunge zu liebkosen. Ich räusperte mich und ignorierte den pochenden Drang meiner Lende.
Irgendwie hob ich die Hand und wehrte seine Entschuldigung ab. Der Fremde nahm sich die Freiheit und bestellte mir eine frische Cola, die, oh Wunder, ohne Eis war.
»Also noch mal von vorne«, und ich sah den Schalk in seinen Augen aufblitzen, »Hallo!« Ich schluckte kurz meine Spucke runter und grüßten ihn auch.
»Ich bin Kyel.«
»Ähm, ja, hallo, mein Name ist Sascha.«
»Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich dir noch eine Cola bestellt habe, die geht natürlich auf mich.«
»Danke, gebraucht hättest du es nicht und nein, ich habe nichts dagegen.«
»Du bist mit dem Moped hier, oder?« Verdattert blickte ich ihm in die Augen und spürte wieder diesen unendlichen Drang.
»Ähm, ja.«
Was war nur los mit mir? Eigentlich hätte ich sagen sollen, dass es ihn nichts anginge, mit was für einem Fahrzeug ich hier war. Aber ich blickte nur in seine Augen und es war aus mit mir.
»Hmm ... dachte ich mir doch, dass du es bist.«
»Wie, was?«, ich spürte, wie Wut anfing, in mir zu keimen.
»Oh Entschuldigung, ich will dich nicht verärgern, aber das Moped hat mal mir gehört, bevor ich es verkauft habe.«
»Aha!«, bekam ich nur raus und ich spürte, wie der Zorn, der sich schon die ganze Zeit aufgestaut hatte, langsam auszubrechen drohte.
»Ein wahres Prachtexemplar. Ich habe mich ungern von diesem Gefährt getrennt. Aber ich habe es nicht mehr gebraucht und warum soll es die ganze Zeit in der Garage stehen, wenn es jetzt eine bessere Verwendung hat.«
»Ah …«, weiter kam ich nicht.
»Du bist der Sohn von Markus Fleischhauer.«
Mir blieb die Spucke weg oder zumindest für kurze Zeit die Sprache.
»Woher weißt du das?«
»Das Moped. Ich habe es ihm verkauft.«
»So …?!«
Wo war meine Schlagfertigkeit? Dieser Mann brachte mich um den Verstand und ich wusste nicht warum. Ein Wirrwarr an Gefühlen stieg in mir hoch. Sollte ich sauer auf ihn sein? Meiner Wut freien Lauf lassen? Oder sollte ich an meine ›gute Erziehung‹ denken und diese nervenaufreibende Konversation weiterführen? Ich wusste es nicht. Aber eins wusste ich ganz genau, dass dieser Mann, etwas an sich hatte, was ich mit all meinen Sinnen erforschen wollte. Aber das ganze Glück der Erde würde nicht ausreichen, um mir diesen Wunsch zu erfüllen. Was will schon so ein Wahnsinnstyp von einem missratenen Homo, wie mir? »Woher kennst du meinen alten Herrn?«
»Wir arbeiten in der gleichen Firma.«
Hätte ich mir denken können, aber er sah so normal aus. Kein Jackett oder feine Anzughose. Nein, er hatte ein dunkles Shirt und eine ausgewaschene Jeans an. Dazu einfache Turnschuhe, die meines Wissens nach, einfach zu viel Geld kosteten oder vielleicht waren es ja auch Made in Asia Stand, wo sie Fälschungen als Original verkauften. Das, was sich ein Otto Normalverbraucher auch leisten konnte. Ich war so in meine Musterung vertieft, dass mir gar nicht auffiel, dass er in sich hinein lächelte. Langsam kam mir seine Antwort wieder in den Sinn und ich räusperte mich lautlos. Und nun wusste ich auch, warum Dad jeden Tag einen Hauch von diesem Parfüm mit sich trug. Nicht, dass sie den ganzen Tag eng umschlungen arbeiteten, aber dennoch war Kyels Parfüm dominant und schien jeden anderen Geruch einfach zu überdecken. Kyel! Kyel, der Name war wie Seide.
»Ach so! Ihr beide arbeitet zusammen. Aber von einem Kyel hatte er nie gesprochen«, sagte ich um die Konversation etwas aufrechtzuerhalten. Als ob mein alter Herr in den letzten zehn Monaten sehr viel mit mir gesprochen hätte. Er fragte nicht einmal mehr nach meinen Noten oder wie es in der Schule war oder für welche Universität ich mich entscheiden würde. Ich war, wie Inventar, das zwar da war, aber nur für besondere Anlässe herausgeputzt und entstaubt wurde, ansonsten wurde ich ignoriert.
Zwischen den Schenkel wurde es mir unbehaglich und die Jeans fing an, an meiner Haut festzukleben. Der Zuckeranteil in der Cola tat seine Wirkung. Jetzt räusperte ich mich etwas lauter.
»Ähm, entschuldige, aber ich müsste vielleicht den Fleck etwas auswaschen.« Er grinste.
»Das würde ich an deiner Stelle nicht tun, sonst denkt jeder, du hattest einen etwas unschönen Unfall.«
Sein Blick blieb dort haften und ich sah, wie er sich mit seiner Zunge über die Lippen strich. Auf meinen Rücken kribbelte es und ich wandte mich schluckend von ihm ab. Das war definitiv nur Einbildung. Es war eine von meinen sexuellen Wahnvorstellungen, wenn ich es mir nachts im Bett selber machte. Genau diese lasterhafte Andeutung stellte ich mir dabei vor. Und noch vieles mehr. Warum sollte ausgerechnet, dieser Adonis, sich für mich interessieren? »Jeep, lass es so. Den Fleck sieht man kaum noch, und wenn du daran herumhantierst, vergrößert er sich und man denkt wirklich, dass du die Toilette nicht mehr erwischt hast.«
Das Wort "vergrößert" kam fast flüsternd aus seinem Mund und das Kribbeln stahl sich langsam in meine Lenden. Gott! Was hatte dieser Mann? Allein die Ausdrucksweise, die rein gar nichts Sexuelles an sich hatte, die nur eine einfache Unterhaltung sein sollte, machte mich an. Ich musste von dem Mann weg, sonst fiel ich noch über ihn her. Was waren das für Gedanken? War ich so notgeil, dass ich gleich alles sexuell auslegte?
»Okay, aber ich … müsste wirklich mal dorthin.« Die Worte wollten nicht so herauskommen, wie ich es wollte und ihm war mein leichtes Gestotter aufgefallen.
»Ich will dich nicht abhalten!«
Seine Augen leuchteten mich an. Plötzlich hatten sie nicht mehr dieses tiefe Blau, sondern wiesen einen leichten Touch violett auf. Automatisch wandte ich meinen Blick zu dem Strahler an der Decke und verfluchte diesen innerlich.
Kurz nickte ich ihm zu und machte mich auf dem Weg zur Toilette. Ich schloss mich, wie in der Schule, in eine der kleinen Kabinen ein. Legte den Deckel auf die Porzellanschüssel und setzte mich drauf. Atmete tief durch und versuchte meinen inneren Ruhepol zu finden. Was allerdings wegen dieses Mannes sehr schwer war.
Immer wieder blickte ich auf die Uhr, die an der Wand des Konferenzraumes hing. Langsam hatte ich wirklich das Gefühl, dass die Zeiger mich auslachten.
Die Debatten über die Expansion nach England raubten mir eindeutig den letzten Nerv. Immer wieder hörte ich Schnipsel des Gespräches, von wegen und » - dann müsste die Firma weiter ausgebaut werden« oder » - auf der rechtlichen Seite gibt es Auflagen, die einem Witz gleichen«, und vieles mehr.
»Meine Herren, wie ich sehe, kommen wir heute nicht mehr weiter. Wir werden morgen noch einmal darüber sprechen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend!«, befahl ich, stand auf und verließ den Raum. Ich wusste, dass mich meine Vorstandsmitglieder, wieder mehr oder weniger, verdattert ansahen, aber am Ende kamen sie zu dem gleichen Entschluss, wie ich. Es brachte eindeutig nichts mehr, weiterhin darüber zu diskutieren. Außerdem waren meine Worte für meine Angestellten Befehl.
Bevor ich den Weg zum Büro einschlug, rief ich Mr. Markus Fleischhauer zu mir, der seine sogenannte Probezeit als Vorstandsmitglied mit Bravour bestanden hatte. Ich erinnerte ihn, nochmals daran, dass am nächsten Tag das alljährliche Meeting, bei ihm daheim, stattfand.
Wieder blickte ich auf eine Uhr und sie zeigte mir, dass es schon weit nach Feierabend war. Ich ging endgültig in mein Büro. Für ein paar Minuten, die Ruhe genießen, bevor ich hinaus und mich in den Abendverkehr einfädeln musste. Es war immer die Hölle, während der 'Rush Hour' durch die Straßen dieser Stadt zu fahren.
Dort lag auf der Couch Bettzeug ausgebreitet und ich atmete, wie schon so oft, resigniert.
»Tom!«, rief ich und hörte, wie in meiner privaten Nasszelle, die Toilettenspülung ging.
Ein recht attraktiver Mann, in einem Jogginganzug und mit einer Zahnbürste im Mund, kam heraus.
»Tom, gehen Sie nach Hause!«, meinte ich und rieb mir die Stirn und er grinste mich etwas schief an, wie immer, seit über drei Jahren. Ich fragte mich, was ihn antrieb, ständig im Büro zu übernachten. »Also gut, dann sperren Sie wenigstens noch ab!«
Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare, denn ich wusste, dass ich vergebens auf eine Antwort wartete.
Tom, mein Sekretär, schlief ständig in meinem Büro, damit er endlich mal bei sich daheim nächtigte, würde ich wohl oder übel, die oberen Etagen in Wohneinheiten ausbauen lassen müssen. Was für ein Stress. Aber der Gedanke schwirrte mir schon seit einiger Zeit im Kopf herum. Leider hatte ich keine Muse, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Auf meinem Privatparkplatz stand der Jaguar, den ich mir auch nur zugelegt hatte, weil Paul, mein sogenannter Ex-Freund, ihn unbedingt haben wollte. Er war der Meinung, er müsste in so einem Gefährt zu seinen Ausstellungen fahren, damit die Besucher und Kunstliebhaber, schon, bei dessen Anblick fast in Ohnmacht fielen. Ich schüttelte den Kopf und stieg ein. Paul! Noch immer dachte ich an ihn und spürte, wie es mir das Herz zusammenzog. Vor über einem halben Jahr hatte er mir den Laufpass gegeben, warum? Er hatte mich in einer prekären Lage, mit einem mir eigentlichen unbekannten Mann, erwischt. Tja, ich war notgeil und Paul war auf irgendeiner, seiner Reisen, die sich immer über Wochen hinwegzogen und so musste ich mir anderweitig Abhilfe verschaffen.
Laut Vertrag war es mein gutes Recht mir anderweitig Entspannung zu besorgen, nur dieses Mal, sah er das wohl anders. Er hatte den Twink am Kragen gepackt, ihm seine Klamotten in die Arme gestopft und vor die Tür gesetzt. Er selbst schnappte sich seine, den nicht ausgepackten Koffer und ging. Endgültig.
Und ich hatte es ihm nicht geglaubt. Ich war wirklich der festen Überzeugung, dass er, wenn er sich wieder beruhigt hatte, an meiner Tür klingelte und wir dann, wie üblich im Bett landeten. Doch diesmal hatte er es tatsächlich durchgezogen. Tja, leider hatte ich wohl oder übel darauf hingearbeitet. Denn der Twink, den ich im Bett hatte, war niemand Geringeres als sein Freund, den er sich, ohne mein Wissen, geangelt hatte. Paul hatte die Regel verletzt. Laut Vertrag durfte er neben mir keinen anderen haben.
Okay, okay, ich wusste, wie sich das anhörte, aber ich musste sagen, mir war das scheißegal. Immerhin war ich derjenige, der einfach abserviert wurde. Sitzen gelassen, fertiggemacht, und als untreuer Hund bezeichnet wurde. Aber … aber, nein nix aber … ja ich war schuld, dass es zwischen uns zu Ende ging. Ja, ich war es, der immer wieder fremdgegangen war und nun musste ich den Preis dafür bezahlen.
Würden einige, die rein gar keine Ahnung hatten, sagen. Wie schon gesagt. Es war mein gutes Recht, wenn Paul nicht anwesend war, anderweitig für meine Befriedigung zu sorgen. Ich war sein Master und er mein Sub und er hatte mich verlassen, weil er mich für unwürdig hielt. Scheiß drauf.
Selbstmitleid war hier definitiv fehl am Platz, dennoch kam ich nicht drum rum, wieder an ihn zu denken. Ganz besonders, die Erinnerung, dass er immer geil wurde, wenn ich die Gangschaltung betätigte. Er schaffte es dann fast nie zur Tür meiner Villa und rieb sich ständig selbst, obwohl es ihm verboten war. Gott hatte mich das immer angemacht und ich hatte ihn sogleich auf der Motorhaube des Jaguars gefickt. Ihn danach total unbefriedigt zurückgelassen und in sein Zimmer geschickt. So fingen meistens unsere Sessionen an und ich würde nicht einmal lügen, wenn ich sagte, dass Paul mit meiner Behandlung überaus zufrieden war. Er wollte es. Ich gab es ihm.
Ich fuhr in die Einfahrt, parkte den Jaguar, stieg aus und ging ins Haus. Betätigte den Zentralschalter und überall ging das Licht an. Zog mein Jackett aus und öffnete die ersten drei Knöpfe des Hemdes. Die Krawatte hatte ich schon, während der Heimfahrt, abgelegt und entledigte mich meiner Schuhe. Nur mit Socken ging ich in die Küche, in der sich massenweise Schachteln vom Italiener, Mexikaner oder Chinesen stapelten. Ich öffnete den Kühlschrank, in der Hoffnung etwas Essbares zu finden und schloss die Tür sogleich wieder, als mich nur gähnende Leere empfing.
Wäre Paul hier, würde der Kühlschrank übervoll aus allen Nähten platzen und die Küche wäre geleckt sauber. In der Kaffeemaschine wäre kein mit Kaffeesatz besetzter Filter und die Einwegflaschen ständen nicht in der Ecke, sondern wären schon entsorgt. Der Abfalleimer würde nicht mit ungenießbaren Pizzaecken überquellen und das ganze Geschirr würde sich in den Schränken stapeln und nicht im und um das Spülbecken, das schon ansatzweise diverse Pilzkulturen aufwies.
Sich um dies zu kümmern und um einiges mehr, war Pauls Aufgabe gewesen. Scheiße wäre es geil, Paul dafür zu bestrafen, dass er seine Aufgaben nicht erfüllt hatte. Innerlich schüttelte ich den Kopf und stieß mich selbst an.
›Kyel es wird langsam Zeit, dass du Paul aus deinem Gedächtnis vertreibst. Du räumst hier auf und dann gehst du, wie jeden Freitagabend auf Twinkfang. Ein gescheiter Fick würde dir dein Gehirn wieder richtig durchblasen.‹
Gesagt getan und keine halbe Stunde später stand ich unter der Dusche und mein bestes Stück wollte Aufmerksamkeit. Gekonnt ignorierte ich es, denn ich wollte meine Geilheit für einen gefügigen Twink aufheben, der begierig auf meinen Saft war und nicht erst minutenlang rumlutschen musste, bis ich mich in dessen Mund ergoss. Denn, wenn ich das erste Mal schnell kam, so hatte der Twink danach mehr Spaß und ich war nach dem zweiten Erguss in seinem Loch befriedigt.
Nur stellte sich die Frage, wo ich so einen Twink antraf. Im High Skills? Wohl kaum. Die waren zwar auch begierig, einen schnellen Blowjob hinzulegen, dennoch verlangten die Meisten, dass man mit ihnen irgendwo hinfuhr, ins Motel oder zu sich nach Hause, um dort dann anschließend, so richtig die Sau rauszulassen. Nur war es dann schwierig, die Kerle schnell wieder loszuwerden. Oder selbst rasch die Fliege zu machen ohne das der Gegenpart gekränkt war.
Ins Glamour? Da kam man zwar befriedigt raus, aber auch sturzbetrunken und ich konnte es mir nicht leisten, wieder ein Wochenende im Koma zu verbringen, besonders, weil ich einen Kunden an der Backe hatte, der mir im Moment, sehr viel Kopfzerbrechen bereitete. Und da hieß es dann, selbst in der Freizeit, einen klaren Kopf zu bewahren. Mein Geschäft hing davon ab, welche Entscheidungen ich traf.
Nun ja, damit stand mein Entschluss fest und ich fing an, meine Hand an meinem Schaft auf und ab fahren zu lassen. Sofort zog sich alles in mir zusammen. Auch wenn es hieß, dass ich auf einen Blowjob verzichten musste, so warteten doch noch genügend dunkle und enge Eingänge, in die ich stoßen konnte, auf mich. Lange dauerte es nicht und ich ergoss mich. Kurzzeitig folgte mein Blick der milchig weißen Spur in den Abguss und ich bemitleidete den armen Twink, der nicht in den Genuss meines Geschmackes kam.
Auf der Straße, die zum High Skills führte, dachte ich schon mich versehen zu haben und setzte zum Überholen des Mopedfahrers an, dessen Fahrstil mehr an Kamikaze erinnerte, als an eine einfache Spazierfahrt durch den Regen. Das Moped kannte ich, aber zur Sicherheit kramte ich in meinem Handschuhfach und holte ein sehr altes Foto heraus. Es war tatsächlich mein altes Moped.
Ich hatte es Markus Fleischhauer verkauft. Ein wirklich fähiger Mann und ein überaus fürsorglicher Familienvater. Ja, ich erinnerte mich. Er hatte dieses Moped für seinen Sohn gekauft und allein nur die Erinnerung, an das Foto, das auf Markus Schreibtisch stand, bevor er zum Vorstandsmitglied gewählt wurde, versetzte meine Libido in helle Erwartung. Der Bursche war ein Prachtstück von einem Jungen. Sein Lächeln, das er in die Kamera hielt, einfach fantastisch und seine Augen strotzten nur so vor Lebensfreude. Aber leider und da musste ich meinen Schwanz zur Ordnung rufen, würde daraus nichts werden. Er war der Sohn von Markus Fleischhauer, einem Mann, der in meiner Firma in einer Führungsposition saß. Und es war eben ein strenger Vorsatz von mir, nichts mit Angestellten oder deren Familienangehörigen anzufangen.
Noch während ich vor mich hin grübelte, bekam ich aus dem Augenwinkel mit, wie er mich überholte. Wie er rechts blinkte, in Richtung High Skills. Ich schmunzelte. Auch einer, der sich einen schönen Abend machen wollte und ich nahm mir vor, mein ursprüngliches Vorhaben, einen willigen Twink abzuschleppen, in die Tat umzusetzen.
Vergessen war der Bursche auf dem Moped, bis er seinen Helm abnahm. Die Art und Weise war … wie sollte ich es ausdrücken, für meine Augen sehr ästhetisch und wie er den Kopf schüttelte, um die zerdrückten Haare aufzulockern. Ein Schmunzeln umgab meine Lippen und ich ging ins High Skills.
Zigarettenschwaden und Alkoholdunst schlugen mir ins Gesicht und die Gedanken an den Jungen waren vorbei. Ich schaute mir das Angebot an und es dauerte nicht lange, bis jemand sehr aufreizend vor mir tanzte. Langsam ging ich auf den Tanzenden zu, musterte ihn und sofort fielen mir Gemeinsamkeiten mit Paul auf, bei der Frisur und den Bewegungen. Kurz schmunzelte ich, denn ich kannte den Friseur oder Haarstylist, wie er sich allzu gerne nannte. Das Shirt schien ihm einige Nummern zu groß zu sein, obwohl es Konfektionsgröße S war. Oder, und das würde wohl eher passen, der tanzende Typ war eindeutig zu schlaksig. Dennoch reichte es aus, um etwas mit ihm zu spielen.
Ich selbst tanzte ein paar Mal um ihn herum und lud ihn schließlich zu einem schnellen Fick auf der Toilette ein. Das High Skills war eben nicht das Glamour und so blieb zum Ausweichen nur die Toiletten oder die Gasse hinter der Kneipe.
Der Typ war einverstanden und ich schob mich mit meinem Anhängsel durch die tanzende Menge. Der Bass, der aus den Boxen hämmerte, hallte in meiner Lende wider. Je weiter ich zu dem Gang, der zu den Toiletten führte, kam, desto leichter war es, den Drang zu ertragen. Ich blickte mich nicht um, ob jemand seinem Geschäft nachging und wenn, wäre es mir in diesem Moment so was von egal gewesen. Ich musste mich entladen und der Paul ähnliche Typ hatte das nötige Spielzeug, das ich bevorzugte, und zog ihn in eine dieser Kabinen.
Dann hantierte ich an seiner Hose, ging in die Knie und zog sie ihm bis zu den Kniekehlen. Ausziehen brauchte er sich nicht, ich fand auch so alles, was ich von ihm wollte. Bevor ich mich wieder aufrichtete, leckte ich mit meiner Zunge über seinen Schaft. Er sog scharf die Luft ein. Zeitgleich knetete ich mit meinen Händen seine Pobacken, bis er die richtige Härte aufwies, dann richtete ich mich auf und wies ihn an, sich umzudrehen. Kurz runzelte er die Stirn, aber gehorchte dennoch. Er spürte, dass ich keine Widerrede duldete und als ich seinen Oberkörper nach vorne drückte, spreizte er, soweit es seine Hose in den Knien zuließ, willig die Beine.
Mit meinem Finger drang ich in ihn und ich hörte, wie er aufstöhnte. Er war bereit und ich zog mir schnell ein Kondom über. Noch bevor er sich richtig darauf einstellen konnte, stieß ich in ihn. Kurz schrie er auf und richtete sich selbst so zurecht, wie er es brauchte.
»Gott, … das ist geil, … tiefer, … härter, … härter, … meine Fresse fick mich, …!«, stöhnte er bei jedem Stoß und ich erfüllte ihm seinen Wunsch.
Irgendwann zwischen den Stößen, umfasste ich ihn und pumpte, synchron mit meinen Stößen, seinen Schwanz. Ich spürte, wie sich sein Muskel verengte und er sich über meine Hand ergoss.
Es war doch gut, dass ich mir vorher einen runtergeholt hatte, so konnte ich länger in ihm verweilen und mein Spaß währte länger. Dass er währenddessen wieder steif wurde, interessierte mich nicht, dann würde er wohl mit Halbmast aus dem Klo gehen müssen. Sein Problem. Ich hatte meinen Fick. Und ihm, nachdem ich meinen Willen bekommen hatte, einen blasen, kam nicht mehr infrage. Der Twink musste sich dann anderweitig umschauen, um die nächste Befriedigung zu bekommen.
Nachdem ich schließlich gekommen war und er nur noch, wie ein Häufchen Elend, über die Toilette gebeugt dastand, zog ich das Kondom ab, schmiss es über seinen Kopf in die Toilette, knöpfte mir die Hose zu und ging an das Waschbecken, um mir die Hände zu waschen. Es kam keine Regung, keine Beschwerde von ihm, nur lautes Schnaufen, als ob er es sich selbst machte und ich ging aus der Toilette heraus. Auf nimmer wiedersehen.
Das, weswegen, ich überhaupt hergekommen war, hatte ich erledigt und ging nun an die Theke. Bestellte mir eine Cola und da der Barkeeper mich kannte, bekam ich das Getränk ohne Eis. Es war einfach widerlich, wenn das Eis in der Cola zu schmelzen anfing und somit den Geschmack verwässerte.
Ein leises Schnauben, welches dennoch laut genug war, um die dröhnende Musik zu übertönen, drang zu mir rüber und ich blickte zu dem Jungen, der über seinem Glas gebeugt dasaß und den Anschein erweckte, von allem nichts mitzubekommen. Gleichwohl stellte sich eine leichte Röte in seinem Gesicht ein und ich sah, wie seine Lippen sich immer wieder zu einem Strich zusammenzogen. Mehr verdrossen, als gelangweilt, schüttelte er den Kopf und kniff auch hin und wieder die Augen zu. Ich glaubte, der Bursche versuchte fast, das Unmögliche in sich zu verschließen. Es bedurfte nur noch eines dürftigen Anstoßes und er würde hier auf der Theke zusammenbrechen.
Da er mich interessierte, sprach ich ihn an, aber es erfolgte keine Regung. Man war der in sich gekehrt, dass er von seinem Umfeld rein gar nichts mitbekam. Wieder versuchte ich es und wieder nichts.
Vielleicht war er taub? Nun ja, warum nicht? Irgendwie konnte man sich verständigen und ich tippte ihn behutsam an.
Was dann kam, darauf war ich überhaupt nicht vorbereitet. Er fuhr hoch, fluchte, was das Zeug hielt, und bedachte mich mit Blicken, die mich sofort getötet hätten, wenn er es können würde. Wow, was für eine Reaktion. Der Junge wäre ein neues Abenteuer wert. Ihn zu brechen, gefügig zu machen, ihn ganz und gar meinem Willen zu unterwerfen.
Doch dann versagte seine Stimme und ich sah ein Leuchten in seinen Augen, das mich sofort in den Bann zog.
Nein! Schock. Es dauerte einige Sekunden, bis ich erkannte, wen ich vor mir sitzen hatte.
»Scheiße und Wahnsinn!«, durchschossen diese Worte gleichzeitig meine Gedanken. Das war der Junge auf dem Foto! Das war Fleischhauers Sohn und er schwankte in meine Richtung. Sofort umgriff ich ihn und setzte ihn ins Trockene. Denn irgendwie hatte er seine Cola verschüttet, was ich allerdings nur am Rande mitbekommen hatte.
Als er seine Augen wieder öffnete, erblickte ich wieder dieses Leuchten und es zog mich magisch an. Noch dazu seine Stimme und wie sich sein Kehlkopf auf und ab bewegte, wenn er sprach. Er war die Faszination. Er war die Erektion. Er war die Lust und die Leidenschaft. Er war der Gipfel des Berges, welcher zum Erklimmen bestimmt war. Alles sammelte sich an einer einzigen Stelle. Mein Schwanz verlangte nach ihm, aber mein Verstand verbot es mir. Es war eine eiserne Regel von mir, die Finger von Familienangehörigen meines Personals zu lassen. Und doch? Ein kleiner Quickie? Oh ja, mein Schwanz hatte die neue Beute anerkannt. Und dies schob sich immer weiter in meine Gedanken, in meine Vorstellungskraft, wie der Junge sich unter mir wand. Nach mehr lechzte … Scheiße! Nein! Er war Fleischhauers Sohn. Versuchte ich mich endgültig zu Räson zu bringen. Dennoch spielte mein Kopfkino verrückt.
Ich bekam von unserer Konversation alles mit. Jede kleine Einzelheit. Jede noch so unbedachte Regung, die er vergebens zu verbergen suchte. Seine Augen zeigten das Wechselbad seiner Gefühle. Kalt, warm, einladend, abweisend. Seine Körperhaltung änderte sich rapide auf Abwehr, als er meine Zweideutigkeit bemerkte. Seine Augen waren stechend und unnahbar, als er auf die Toilette verschwand, da wusste ich, dass das meine Abfuhr war.
So war es besser, redete ich mir ein.
Ich atmete hörbar ein und schallte mich einen total verblödeten Narren. Er war der Sohn von Markus Fleischhauer und ich konnte es mir nicht leisten, mich auf einen One-Night-Stand mit ihm einzulassen. Am Ende fasste er es anders auf und hing an meinem Rockende, wie ein Küken an seiner Mutter.
Vor allem wäre es für mich sehr geschäftsschädigend, wenn herauskäme, dass ich mit einem Familienmitglied meines Vorstandes schlafen würde.
Verdrossen schnaubte ich, und als Sascha sich wieder neben mich setzte, war die ganze Luft raus. Das Knistern, das ich gespürt hatte, war weg und ich hatte das Gefühl, das er vor mir flüchtete.
War auch besser so. Wer wusste schon, wo das enden würde.
Dennoch kam ich nicht drum rum, ihm hinterher zu sehen, und als ich im Jaguar saß, musste ich ihn in meinen Gedanken aufstöhnen lassen. Der Junge, der hatte was. Es faszinierte mich und schreckte mich sogleich.
War ich froh, dass Samstag war und ich länger liegen bleiben konnte. Die ganze Nacht konnte ich kein Auge zu tun und musste immer nur an Kyel denken.
Nachdem ich wieder von der Toilette kam, trank er seine Cola aus und verabschiedete sich. Ich selbst blieb auch nur noch, bis ich ausgetrunken hatte, und fuhr schließlich heim. Ich war so aufgewühlt, dass ich nicht einmal den inneren Drang, mich selbst zu befriedigen, nachkam. Warum? Das konnte ich mir beim besten Willen nicht erklären. Ich hatte das Gefühl jemanden damit zu betrügen. Als ob, ich mich für jemanden aufheben wollte. Und immer wieder, während ich mich, als einen Idioten beschimpfte und dabei war mich umgreifen zu wollen, konnte ich es nicht. Immer wieder stieg sein Gesicht, vor meinem geistigen Auge hoch und die leichte Geste, wie er über seine Lippen leckte. In diesen Augen war eindeutig der Besitzanspruch zu lesen. Gott! Hatte ich mich verschossen? Hatte ich mich wirklich in den Kerl verliebt? Nein! Liebe war es nicht. So viel empfand ich für ihn nicht, wie das, was ich mir unter Liebe vorstellte. Und doch! Wenn ich an sein Ohrläppchen dachte, mit dem zierlichen Ohrring, zog sich wieder alles in mir zusammen und mein Penis pochte, wie die ganze Nacht schon.
Diesmal war es sogar noch schmerzhafter und forderte meine Aufmerksamkeit. Dennoch konnte ich mich nicht überwinden, ihm diesen Gefallen zu tun. Was hatte ich davon? Ich schrubbte mir einen und dann ein Orgasmus. Und dann? Was dann? Es war niemand da, der sich daran erfreute. Niemand da, der es für mich abwischte oder ableckte. Es war niemand da, der neben mir lag, nach dem heißen Sex oder mit mir kuschelte. Liebe Dinge ins Ohr flüsterte oder mich einfach im Arm hielt. Ich war allein und die Selbstbefriedigung war schon lange keine Erlösung mehr für mich.
Ich ging in die Küche und nahm mir den restlichen Schluck Kaffee. Kurz blickte ich auf die Uhr und traute meinen Augen kaum. Es war kurz vor acht Uhr.
So viel dazu, was ausschlafen betraf. Mom würde mich wieder den ganzen Tag durch die Wohnung scheuchen und mir irgendwelche Hausarbeiten aufbrummen. Aber bevor es dazu kam, ging ich zurück in mein Zimmer und schaltete den PC ein. In der Zwischenzeit, während er hochfuhr, räumte ich mein versautes Zimmer auf. Hier sah es wirklich aus, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte. Wenigstens wies mich Mutter nicht mehr darauf hin, dass ich mal mein Zimmer aufräumen sollte, weil man ja nie wusste, wann man Gäste bekam. Seit ich mich geoutet hatte, hatte ich eh keinen Besuch mehr.
So gegen Mittag klopfte es an der Tür und Mom kam rein. Kurz blieb sie überrascht stehen und blickte sich um.
»Ich wollte dir gerade sagen, dass das Mittagessen fertig ist und du danach dein Zimmer aufräumen sollst, weil heute das Meeting von Dad ist. Aber ich sehe, dass du schon aufgeräumt hast.«
»Ich habe mich daran erinnert und deswegen schon aufgeräumt«, log ich. In Wirklichkeit hatte ich total vergessen, dass das alljährliche Meeting immer bei jemand anderem aus dem Vorstand der Firma stattfand. Dieses Jahr war mein Vater dran, bei uns daheim das Meeting abzuhalten. Ich konnte mich immer noch nicht daran gewöhnen, dass Dad, seit einem halben Jahr mit im Management war.
Wir bewohnten immer noch diese schäbige, kleine Wohnung. Mein Taschengeld hatte sich seit drei Jahren nicht mehr geändert und auch sonst spürte man nichts vom vorhandenen Geld.
»Ja, ist gut. Also kommst du zum Essen?«, fragte sie mich und ich zog meine linke Augenbraue nach oben. Seit wann, fragte sie mich, ob ich zum Essen komme? Sie schaute mich überrascht an.
»Was ist? Essen wir nicht immer am Wochenende zusammen?«, fragte ich und sie nickte leicht.
»Schon! Aber ich dachte, du würdest lieber auf deinem Zimmer essen.«
»Warum sollte ich das?«
»Na, weil David hier ist und ihr euch nicht mehr so versteht wie früher, was ich schade finde«, versuchte sie die peinliche Situation zu überspielen. Schock. David.
»Was will der denn hier?«
»Er hat bei Sarah übernachtet!«, sagte sie und ich schluckte meinen dicken Kloß herunter, damit sich sogleich der Nächste bilden konnte.
»Seit wann, erlaubst du Sarah, dass Kerle bei ihr übernachten?«, versuchte ich es kalt und verständnislos rüberzubringen. Eigentlich war mir das so was von scheißegal, wer bei ihr übernachtete und wenn es 100 Typen waren, die sie sich nachts, nach Hause holte.
»Hey, ihr seid über 18, da kann ich mich langsam nicht mehr einmischen!«, kam es, mit einem verständnislosen Blick, von ihr.
»Äh, ja, da hast du recht. - Okay, ich esse auf meinem Zimmer. Ich will ja nicht, dass Sarahs Lover einen Herzinfarkt bekommt, wenn eine Schwuchtel mit am Tisch sitzt. Und dass ihr gezwungen seid, Rede und Antwort zu stehen.« Ich sah, wie sie erleichtert durchatmete und etwas zog sich in mein Herz. Etwas Kaltes. »Ach nein! Halt! Dad besteht doch immer darauf, dass die Familie zusammen isst. Ich werde mit am Tisch essen!« Sie blickte mich geschockt an.
»Aber David …?«
›Aber David?! David was? Meinst du, dass es mir wegen Sarah nichts ausmacht, wenn er jede Woche ein anderes Mädchen im Bett hat. Dieses Wochenende ist es halt mal Sarah und nächstes Wochenende ist es Lara oder Marie. Er macht systematisch jede in der Damenwelt durch. Jetzt ist er in unserer Klasse angekommen. David ist die männliche Hure an unserer Schule. Spätestens am Dienstag kommt Sarah und heult sich die Augen bei dir aus. Du müsstest dir das Mal anhören, wie er über die Mädchen, die auf ihn reingefallen sind, herzieht.‹
Dies hätte ich ihr gerne ins Gesicht geschleudert, doch ich behielt es für mich.
»Mom, ich werde wegen David keinen Rückzieher machen. Er gehört nicht zur Familie!«
Gott, in mir brodelte es und ich verfluchte mich, dass ich immer noch zur Schule ging. Alles wäre einfacher, wenn ich endlich eine Arbeit hätte, aber die Abschlussprüfungen waren erst nächstes Jahr und solange musste ich diese Gehässigkeiten noch ertragen. Am schlimmsten traf es mich, wenn es innerhalb der Familie stattfand. Von Mom, die es zu verschleiern versuchte und es in eine Art, von verständnisvollem Mitgefühl, einpacken wollte. Natürlich ging das jedes Mal nach hinten los, wenn die Sprache darauf kam. Von Dad, der mich ignorierte und von Sarah, die der Meinung war, ich sei eine Kakerlake, die es zu zertreten galt.
»Aber Schatz … ich möchte doch nur …«
»Du möchtest am liebsten, dass ich gar nicht mehr da bin!«
»Hör auf, so mit mir zu reden! Solange du unter meinem Dach lebst, hast du dich an die Regeln zu halten!«
»Mach ich doch schon und du bist dabei diese Regel zu brechen, indem du mich zu verstecken versuchst, obwohl alle wissen, dass ich da bin!«
»Sascha ich verstehe dich langsam nicht mehr. Seit du 18 geworden bist, bist du so aggressiv. Und du bleibst in deinem Zimmer, auch während des Meetings. Und wegen gestern, weil du einfach ohne Erlaubnis fortgegangen bist, hast du bis Weihnachten Hausarrest!«
Ich lachte los.
»Mom ich bin 18 Jahre, laut Gesetz volljährig und das, was du versuchst zu tun, ist gegen das Gesetz. Das bedeutet Freiheitsberaubung. Ich halte mich an die Regeln und jetzt auch an die neu Aufgestellten, aber du kannst mir kein Hausarrest aufbrummen!«, schnauzte ich, schnappte meine Jacke, weil der Tag, genauso trüb war, wie meine Stimmung, ließ Mutter im Zimmer stehen und ging in die Küche.
Dort saß er. Auf meinem Platz. David! Und schäkerte mit Sarah. Ohne ein Wort der Begrüßung und ich beachtete auch ihn nicht, ging ich an den Kühlschrank und holte mir Beilagen für ein Sandwich heraus. Mein Vater beobachtete mich und räusperte sich.
»Sascha, deine Mutter hat sich die Mühe gemacht, so ein gutes Mittagessen zu zaubern! Warum gehst du dann an den Kühlschrank und machst dir ein Sandwich?«
»Mutter hat Schweinebraten mit Semmelknödel gemacht. Ein Essen, das ich nicht essen kann, ohne auf den reich gedeckten Tisch zu kotzen. Dad«, sagte ich und biss in mein Sandwich.
»Sascha, wo sind deine Manieren?«, schimpfte er, »wir haben einen Gast!«
»David?! Vor David brauche ich mich nicht zu verstellen. Außerdem scheint ihr vergessen zu haben, dass David absolut kein Fleisch isst. Geschweige denn, ... die Semmelknödel. Weil er keine Petersilie verträgt, die Mom, allzu gerne, zum Würzen nimmt.«
Wie vorm Kopf gestoßen saß mein Vater am Küchentisch und Mutter trat leichenblass heran. Genugtuung durchfuhr mich, denn ich wusste, dass sie wieder geplant hatte, was für ein Festmahl sie unserm Gast zubereiten wollte. Yeah! Die perfekte Familie. Alles wurde gut durchorganisiert und ja keine Fehler nach außen gezeigt. Dass dann das fehlerlose Bild, wegen so einer kleinen Kleinigkeit, wie Petersilie ins Schwanken geriet, wusste ich allerdings auch. Wieder biss ich in mein Sandwich, schnappte mir die Mopedschlüssel, zupfte mir etwas Petersilie ab, die ich mir dann genüsslich unter die Nase hielt, um daran zu riechen und schlenderte, mit einem innerlichen Grinsen, aus der Küche heraus.
Niemand konnte anhand meiner Mimik, die ich so gut beherrschte, herausfinden, wie ich mich fühlte, wie ich es gemeint hatte oder ob ich nur so tat als ob.
In den letzten zehn Monaten hatte ich gelernt, mir nichts anmerken zu lassen. So eine Art Pokerface angewöhnt, das nichts durchscheinen ließ. Selbst in meinem Gesicht gab es absolut keine Mimik oder Falten, wie Denk- oder Lachfalten, auch zuckten meine Grübchen, bei irgendeiner Regung von mir, nicht mehr. David konnte mich manchmal, nur durch das Zucken meiner Grübchen, durchschauen. Aber damit war es vorbei. Ich hatte bemerkt, dass er versucht hatte, herauszufinden, ob ich es ernst gemeint hatte oder ob es nur ein Scherz war.
»Bitte entschuldige, dass ich nicht daran gedacht habe, dass du kein Fleisch isst und Petersilie nicht verträgst. Das hast du ja oft genug erwähnt«, schleimte Sarah sich bei David ein. Ich konnte mir schon vorstellen, was sie daraus wieder veranstaltete. ›Oh, das Mittagessen habe ich extra herausgesucht, nur für dich, und Mom ist die beste Köchin auf der ganzen Welt.‹ Oder so. Tzz, ja so war das. Auch wenn die Freundschaft zwischen David und mir beendet war, so hatte ich nichts vergessen. Ich kannte seine Vorlieben und natürlich auch, was er nicht gerne mochte oder hasste. Somit hatte ich ihm, das vorzügliche Mittagessen, total vermiest. Mir ging es richtig gut.
Ich ging zurück in mein Zimmer und holte noch den Reader, der in den letzten Monaten, mein wichtigstes Stück geworden war. In den Geschichten fand ich Freunde, wenn auch nur für kurze Zeit, die allerdings das reale Leben nicht ersetzen konnten.
Im Park, in den ich gefahren war, suchte ich mir eine leere, verlassene Bank und setzte mich drauf. Ich blickte zu dem halbwegs klaren Himmel und schaute einigen Vögeln hinterher.
Was machte ich hier? Warum wurde ich immer so aggressiv gegenüber meinen Eltern? Die Antwort lag klar auf der Hand. Ich hatte mich ihnen offenbart. Hatte gesagt; ›Ich bin schwul!‹
Und gab ihnen einfach nicht die Zeit, sich damit abzufinden. Obwohl das tat ich doch, nur, machten sie nichts anderes, als mir aus dem Weg zu gehen, und mir ständig die häuslichen Regeln, zu erklären. Regeln! Welche Regeln? Regeln, die sie nach Belieben änderten? Gott! Ich dachte, wie ein vorpubertärer Teenager.
Nur noch ein Jahr, dann hatte ich meinen Abschluss und dann war ich weg. Dann brauchten sie sich um mich nicht mehr zu sorgen oder mich vor ihren, ach so, hochgestellten Freunden verstecken, die vielleicht meine sexuelle Neigung missbilligen könnten. Ich könnte ja, einer Freundin von Mom, den Mann ausspannen.
Das entsprach eher Sarahs Art. Ich wettete, dass sie schon lange keine Jungfrau mehr war. Wie hatte sie über David geschimpft und nun aalte er sich in ihrem Bett. Aber mir war das egal, wie nur was.
Den Wecker im Handy stellte ich ein, damit ich ja pünktlich zum Meeting meines Vaters daheim war. Er musste ja, seine ach so vorbildliche Familie, vorzeigen können. Schließlich nahm ich den Reader zur Hand und fing zu lesen an. Ich war so in dem Buch vertieft, das ich vollkommen die Zeit vergaß und der Wecker, im Handy, mich aus der Geschichte rief. Resigniert atmete ich tief ein, denn ich wollte gar nicht nach Hause fahren.
Als ich daheim ankam, war alles in wilder Aufruhr. Es roch gut und ich spürte, dass mir das eine Sandwich nicht gereicht hatte. Natürlich konnte ich mir auch vorstellen, dass wir erst etwas essen durften, wenn die Gäste bedient waren. Mutter huschte vom Arbeitszimmer in die Küche und von der Küche zurück ins Arbeitszimmer. Sie sah mich, drückte mir sogleich eine Kiste Bier in die Hand und gab mir die Anweisung, dass ich die Flaschen, in der Bar, kühl stellen sollte.
»Bin ich froh, dass du hier gestern schon entstaubt hast.«
Sie lächelte mich dankbar an. Sie lächelte mich an?! Sie lächelte mich tatsächlich an. Ihre Augen blickten mich an, zuletzt sah ich diesen Ausdruck, bevor ich gesagt hatte, dass ich schwul sei. Ich stand wie begossen da und wusste in dem Moment nicht, was ich eigentlich tun sollte. »Schatz, was ist? Stell einige Flaschen kalt!«, holte sie mich zurück.
»Ja, natürlich!«, kam es leise über meine Lippen und schon klingelte es an der Tür. Mein Vater räusperte sich kurz, stand von seinem eingesessenen Stuhl auf und ging an die Tür. Mom scheuchte mich aus Dads Arbeitszimmer und ich half ihr in der Küche bei ihren Häppchen. Vom Flur her hörte ich Stimmengewirr, das sich der Küche näherte.
»Das hier ist meine Tochter Sarah, meine Frau Loren ... und mein Sohn Sascha.«
Als ich meinen Namen hörte, drehte ich mich um und schleckte noch schnell die Remoulade vom Finger, um eine Hand zur Begrüßung freizuhaben. Doch ich bekam die Vorstellung seiner Arbeitskollegen gar nicht mehr mit. Mich fesselten zwei Augen, die tiefer als das Meer und ebenso blau schienen. Die störrischen Haare widerstanden den Bewegungen des Trägers und das Lächeln war genauso, wie ich es ständig vor mir sah. Wie in Trance schüttelte ich seine Hand und diese Berührung ließ elektrische Schauer durch mein Rückenmark huschen.
Ich brachte nur ein kurzes ›Hallo‹ raus.
»Sehr erfreut Mr. Kastner, - Mr. House, - Mr. Freim …«, echote Sarah und ich bekam seinen Nachnamen mit.
Kyel Kastner. Immer wieder murmelte ich, in Gedanken, diesen Namen und musste mir eingestehen, er gefiel mir. Er passte sehr gut zu ihm.
Nachdem die Vorstellung vorbei war, verschwanden die hohen Vorstandsmitglieder im Arbeitszimmer.
»Hast du ihn gesehen?«, jubelte Sarah.
»Wen gesehen, Liebes?«, fragte Mom.
»Na, Mr. Kastner. Das ist ja ein Traum von einem Mann.«
»Was ist mit David?«, fragte Mom weiter.
»Ja, David ist mein Freund. Aber der, der ist einfach zum Anbeißen.«
»Das mag schon sein, Liebes, aber er ist eine Nummer zu groß für dich. Mr. Kastner ist der Chef von Dad.«
Sekunden vergingen, bevor ich das Gesagte verstand. Was? Kyel war der … der Chef von Dad?! War das die Wahrheit? Scheiße!
»Na und, selbst wenn er der Papst wäre, wäre es mir egal. Hast du ihn gesehen …?«
Und so ging es weiter, nur verfolgte ich diese Unterhaltung nicht weiter und fragte, ob Mom mich noch bräuchte. Als sie es verneinte, ging ich geradewegs in mein Zimmer und nahm mir den Reader zur Hand. Nur zum Lesen kam ich nicht. Meine Gedanken kehrten immer wieder zu dem einem Gesicht zurück, zu den wohligen Lippen und wie die Zungenspitze, sanft über sie strich. Mit voller Wucht machte sich mein Freund zwischen den Beinen bemerkbar. Er forderte seinen Tribut, den ich ihm, nach dem Aufwachen und in der Nacht, verwehrt hatte.
»Scheiße!«, stöhnte ich auf, weil mir die Hose viel zu eng wurde. Ich musste auf andere Gedanken kommen, und zwar sofort. Mit aller Gewalt konzentrierte ich mich aufs Lesen. Nur brachte mir das nichts, weil in dem Buch eine erotische Szene beschrieben wurde. Ich schmiss den Reader neben mich auf das Bett und stand auf. Langsam, soweit die Enge in meiner Hose zuließ, ging ich ans Fenster, um mich, mit einem Blick auf den Horizont, abzulenken. Mein Blick schweifte über die Wolken zu der untergehenden Sonne und dann weiter zum Parkplatz des Wohnhauses. Dort stand der Jaguar. Ich riss das Fenster auf, um einen besseren Blick auf das Nummernschild zu bekommen. Das war er! Das war das Auto. Also war das kein Zufall, dass er mich im High Skills angesprochen hatte. Oder vielleicht doch? Nein, er hatte ja gewusst, wem er das Moped verkauft hatte. Ich beugte mich noch weiter aus dem Fenster, um wirklich Gewissheit zu haben, dass er es war. Soweit ich mich erinnerte, hatte das Auto einen Sticker, mit einem Drachenkopf, an der Seite gehabt.
»Wenn du dich noch weiter hinausbeugst, dann machst du Bekanntschaft mit den Pflastersteinen.«
Ich erschrak und in dem Moment, verloren meine Füße den Halt. Mein Herz raste bis zum Hals, die Lungen zogen sich zusammen und meine Hand versuchte vergebens, halt am Fensterrahmen zu bekommen. Ich sah mich schon unten liegen, als ich brutal zurückgerissen wurde und mit einem harten Aufprall gegen einen anderen Körper landete.
Ich griff in das Hemd und krallte mich an diesen Körper. Mein Atem ging keuchend. Und immer wieder huschten schwarze Punkte vor meine Augen.
»Ganz ruhig. Ich habe dich.«
»Oh Gott, oh Gott …«, murmelte ich in das fremde Hemd, dem mir bekannten Duft. »Oh Gott, ohgott, ohgott … Gott, Gott!«
Sanfte Hände strichen mir über den Kopf. Ich zitterte am ganzen Körper. Auch wenn ich wusste, wer mich im Arm hielt, konnte ich mich nur langsam beruhigen. Der Schreck saß zu tief in meinen Gliedern. Ich hatte mich wirklich schon unten liegen gesehen und ich krallte mich fester ins Hemd.
»Sascha, alles ist gut, ich habe dich noch rechtzeitig zu fassen bekommen. Es tut mir wirklich leid, dass ich dich so erschreckt habe.«
Allmählich beruhigte ich mich und schluckte, die im Mund angesammelte Spucke, runter. Hob den Kopf an und versank in tiefem Blau. Der Kloß steckte tief in meinem Hals und die Wörter, die mir durch den Sinn jagten, konnte ich nicht aussprechen.
Nachdem Sascha, diesen Namen, musste ich mir wie süßen Honig auf der Zunge zergehen lassen, außerhalb meiner Sichtweite war, startete ich das Auto. Dennoch schaffte ich es nicht, den Befehl, der im Kopf hauste, auf die Füße zu übertragen. Ich wusste nicht, wie lange ich auf dem Parkplatz vor dem High Skills stand und vergebens versuchte, mir ›nicht‹ vorzustellen, wie er sein könnte. Wie er sich unter mir aufbäumte, wie er stöhnte. Welches Gesicht er machte, wenn er kam. Wie warm und eng sein süßer Hintern sein könnte und welche Stellung ihn zum Schreien brachte. Wie viele Ergüsse er haben konnte, bevor er mich anflehte, aufzuhören. Und ganz besonders, wie er schmeckte.
Ich wollte ihn schmecken. Ihn riechen, ihn vollständig inhalieren. Einnehmen und für mich beanspruchen. Er gehörte mir, er sollte mein sein.
Diese Gedanken und viele mehr drangen unaufhörlich in meinen Verstand und nicht einmal ein energisches Kopfschütteln, verscheuchte sie. Ich musste ihn vergessen. Aus meinem Gehirn verbannen. Er war nicht einer der Üblichen, die ich immer hatte. Nein. Er war kein Twink.
Er war ein Top, so wie ich, und doch schlich sich seine Unwissenheit, seine Unschuld in meinen Verstand. Genau genommen war er keins von beiden. Er war mit Sicherheit noch jungfräulich. Unerfahren.
Eine Jungfrau, das fehlte mir gerade noch. ›Gott! Kyel. Eine Jungfrau? Kommt überhaupt nicht infrage. Außerdem und das hast du anscheinend vergessen, er ist der Sohn von Markus Fleischhauer.‹
Ein sehr fähiger Mann und mit ihm wollte ich es mir nicht verscherzen, denn es war ungemein schwer jemand Neues zu finden, der für diesen Posten, die erforderliche Kernkompetenz aufweisen konnte. ›Also lass die Finger von ihm.‹
Ich musste mich abreagieren. Meine Gefühle, nein, meine Geilheit tanzte Cha-Cha-Cha mit mir und endlich schaffte es mein Fuß, das Gaspedal zu betätigen.
Auf direktem Weg fuhr ich ins Glamour und dort, vergebt mir die Ausdrucksweise, vögelte, fickte, bumste ich mir die Seele aus dem Leib. Keine Ahnung in wie viele enge Ärsche ich mich versenkt hatte oder mir Blowjobs verpassen ließ. Nur brachte mir das nichts. Sein Gesicht, seine Körperhaltung drangen sich immer wieder vor mein geistiges Auge.
Danach fuhr ich erschöpft nach Hause und fiel ins Bett, nur, um am nächsten Tag, von Saschas Gesicht und seinem emotionslosen Ausdruck, geweckt zu werden. Der meiner Ansicht nach, gar nicht so emotionslos war. Ein Aufblitzen in seinen Augen. Eine leichte Regung seiner rechten Augenbraue und vor allem, diese eine Reaktion, nachdem die Cola auf seiner Hose vergossen worden war. Die war köstlich.
Scheiße! Ich hob die Decke an und sah die Wölbung in meiner Shorts. ›Das darf doch wohl nicht wahr sein! Zuerst vögelst du die ganze Nacht und nun das?!‹
Wo war meine Selbstbeherrschung geblieben?
Mir blieb nichts anderes übrig, als aufzustehen und mich unter die Dusche zu stellen.
›Oh Bursche, komm in meine Finger. Ich werde dir zeigen, wo es lang geht. Wie kannst du es wagen, mich zu verfolgen und selbst, wenn du nicht da bist, mich so geil werden zu lassen. Diese Reaktion bei mir heraufzubeschwören, nur durch deinen viel zu köstlichen Ausraster!‹
Ich stützte mich an den Fliesen ab, ergoss mich und schloss meine Augen. Meinen Spuren nachzuschauen, wie sie im Abguss verschwanden, war mir zuwider. Ich wollte meinen Saft in seinen Mund spritzen und sehen, wie er ihn schluckte. Sein Gesicht beobachten, wenn er dies tat. Und wenn er sich weigern sollte, ihn dafür bestrafen. Ja bestrafen und ihn dann belohnen, …
Mein Handy klingelte und ich öffnete die Augen. Die Bilder, im Kopf, versuchte ich wegzublinzeln und stieg aus der Dusche. Nahm das Handy in die Hand und sah nach, wer mich angerufen hatte.
»Fleischhauer!«
Schock! Scheiße! Der Junge war sein Sohn.
›Komm runter Kyel. Du hast dir gerade selbst einen geschrubbt. Das sollte bis nach dem Meeting anhalten.‹ Der nächste Schock. Das Meeting fand bei Markus Fleischhauer statt und ich legte meinen Kopf in den Nacken. Blickte rauf zur Decke.
›Jetzt wirst du gefordert, Kyel Kastner. Jetzt kannst du beweisen, aus welchem Holz du geschnitzt bist. Sascha Fleischhauer ist Tabu.‹ Gerade so jemand war genau mein Typ. Er fiel in mein Beuteschema, aber war unantastbar. Was für eine Kombination?
Ich rief Markus Fleischhauer zurück und wieder hatte er die gleiche Leier am Start. Und wieder versuchte ich ihn mit sachdienlichen Hinweisen zu überzeugen, dass ich mir das nicht leisten konnte. Warum nur hielt Fleischhauer so große Stücke auf Toroma? Das war ja nicht zu fassen! Vor allem, weil ich mit meinem Preis, schon über die Hälfte runtergegangen war. Noch weiter runter und es deckte nicht einmal mehr meine Unkosten. Außerdem hatte ich das Monatsgehalt meiner Vorstandsmitglieder zu zahlen und davon hatte ich drei, einer davon war Fleischhauer. Ganz zu schweigen von den 200 Männern, die noch für mich arbeiteten. Wo blieb dann ich? Ich blickte in die Röhre. Sicherlich hatte ich privat sehr viele Rücklagen. Wenn ich wollte, könnte ich die ganze Karibik kaufen, aber darauf zurückzugreifen, das ging nun mal gar nicht.
Den ganzen Tag über ging mein Handy und allmählich verfluchte ich das Ding. Warum nur wurde das Meeting auf einen Samstag verlegt?
In meinem Navigationssystem gab ich die Straße von Fleischhauer ein und fuhr los. Keine fünfzehn Minuten später parkte ich den Jaguar und erblickte schon Mr. Houer und Mr. Freim, die sich angeregt unterhielten. Die beiden waren die besten Menschen, die je in mein Leben getreten waren. Ohne sie wäre ich nicht da gewesen, wo ich zu diesem Zeitpunkt war und ich verteufelte schon den Tag, an dem man mir verkünden würde, dass einer der beiden in seinen wohlverdienten Ruhestand ging.
Leider war das im Moment nicht das Problem, um das ich zu kämpfen hatte. Mein Problem lag hier, in diesem Haus und nicht einmal ein ganzer Tag Arbeit, hatte es geschafft, ihn aus meinen Gedanken und aus meinem Körper zu verbannen. Er war wie ein Egel, der sich an einer unerreichbaren Stelle festgesaugt hatte. Dennoch schmunzelte ich vor mich hin.
Die Begrüßung der beiden verlief wie immer. Ein kurzes »Guten Abend«, und »dann gehen wir mal los«, war alles.
Ein elektrischer Türöffner öffnete die Eingangstür und schon standen wir im Treppenhaus. Altbau mit leichtem Modergeruch schlug mir in die Nase. Ich machte mir keine Gedanken darüber, wie heruntergekommen das Haus war oder wie renovierungsbedürftig. Ich wusste, dass die Familie Fleischhauer in einer Mietwohnung lebte und durch die wenigen Erzählungen von Markus wusste ich ebenfalls, dass es ihnen nicht immer gut ergangen war.
Markus stand bereits in der dritten Etage an der Tür und erwartete uns. Wie es seine Art war, begrüßte er uns sehr freundlich und führte uns in die Wohnung. Beim ersten Blick erkannte ich, dass die Wohnung sehr geschmackvoll eingerichtet war. Nicht viel und genau dieser Stil passte zu Fleischhauer. Wieder sah ich ›ihn‹ vor meinem geistigen Auge und musste unwillkürlich schmunzeln. Es passte hervorragend zu ihm. Er war emotionslos und diese Wohnung strotzte vor Lebensfreude. Zwei Gegensätze, die sich gegenseitig anzogen.
»Mr. Kastner, Mr. Houer, Mr. Freim. Darf ich Ihnen meine Familie vorstellen. Das ist meine Tochter Sarah, meine Frau Loren, und das ist, …, …, …«
Warum machte er so eine große Pause? Aber dies interessierte mich nicht. Ich war gefangen. Ich war in seinen Augen gefangen, in denen ich sah, dass er mich wiedererkannte. Besonders seine Farbe, die stechend in mich eindrang. Waren sie gestern dunkel und glanzlos, nur von dem Strahler der Kneipe erleuchtet, so strahlten sie nun. Sie schienen allerdings nicht zu wissen, welche Farbe sie annehmen sollten. Grün/Braun oder Braun/Grün oder wohl eher grünlich braun.
»… - Sascha!«
Kurz blickte er auf seine Finger und schleckte verstohlen die Remoulade ab. Aber ich hatte es gesehen und ganz besonders, wie er danach über seine Lippen geleckt hatte. Mich fassungslos anstarrte und wieder diesen emotionslosen Ausdruck annahm. Dies alles, in weniger als dem Bruchteil einer Sekunde, und er reichte mir die Hand, ohne zu zögern.
Warm, sanft, unberührt. Allein diese Vorstellung elektrisierte mich, jagte ein Kribbeln durch meinen ganzen Körper und ich verfluchte das Meeting. Ich wollte ihn. Egal wie. Ich musste ihn haben. Egal wie.
Oh Mann, womit hatte ich das verdient? Wie schon die ganzen Tage vorher kamen wir wieder auf keinen Nenner.
Eigentlich war dieses Meeting nicht dafür gedacht über geschäftliche Dinge zu reden, sondern um den privaten Kontakt etwas aufrechtzuerhalten. Aber Fleischhauer war wohl anderer Meinung und deswegen dauerte es nicht sehr lange, bis der Vorschlag kam, noch etwas Trinken zu gehen. Ich selbst wimmelte dieses Vorhaben ab, fragte im gleichen Atemzug, wo sich die Toilette befand, und sagte dann, dass ich mich selbst rauslassen könnte.
Während die anderen die Wohnung verließen, ging ich Richtung Toilette. Auf den Weg dorthin hörte ich leise Musik und ihr folgend, entdeckte ich, ein typisches, aus Deutschland stammendes Türschild. Der Name darauf gehörte dem Traum meiner letzten Nacht.
Brutal pochte es in meiner Lende. Allein nur durch den Namen und ich verschwand auf die Toilette.
So gut es ging, erledigte ich mein Geschäft, welches sich recht schwierig gestaltete, da ich eine Erektion hatte. Mit einer Erektion pissen zu wollen, war recht unangenehm, wenn nicht unmöglich.
›Scheiße‹, schoss es durch meinen Kopf. Die Bilder und Gedanken, die durch mich hindurch huschten, musste ich verdrängen. Es wäre ein Fehler.
Ich konnte und ich durfte es nicht. Es war eine Regel, die ich selbst für mich aufgestellt hatte. Immerhin gab es genügend Männer, die mich wirklich liebend gerne, in ihrem Bett hätten. Von den Frauen ganz zu schweigen. Wenn ich wollte, so könnte ich fünf an jedem Finger haben und noch mal so viele an meinem Schwanz.
Es wäre ein Fehler. Ein süßer dazu. Gänsehaut brach überall bei mir aus. Nur allein durch diesen Gedanken. Den verbotenen Gedanken. Fest presste ich meine Lippen aufeinander. Und doch! Ich blickte an mir hinab und musste tief einatmen.
Ich musste es ignorieren. Diesen Drang, zu ihm zu gehen. In seine Augen zu blicken, nur um mir wieder Gedanken darüber zu machen, wie ich sein inneres Gefängnis, das er sich selbst erschaffen hatte, aus Gründen, die ich nicht kannte, aufsprengen könnte.
›Kyel, wenn du fertig bist, dann gehst du schnurstracks zur Wohnungstür hinaus und schließt sie hinter dir. Es ist ein einfacher Vorgang. Nichts Weltbewegendes. Einfach, … so, … eine alltägliche Handlung, die du mehrmals, ohne zu zögern oder zu zählen, wie oft du es tust, vollführst. Aber ein kleiner Anblick. Ein Abschiedsanblick. Tschüss zu sagen, welches in ein nimmer Wiedersehen ausartet, ist nicht verkehrt. Anstand. - Nennt man so was. Nur ein Einfaches, … - Auf Wiedersehen!‹, nahm ich mir vor.
Noch bevor ich mir weiter Gedanken darüber machen konnte, hatte ich die Türklinke bereits heruntergedrückt und die Tür geöffnet, ein wahnsinniger Anblick bot sich mir da.
Dieser Körper war in einer unnatürlichen Haltung, wie vielleicht aus dem Kamasutra, über das Fensterbrett gebeugt. Seine eng anliegende Jeans, - ›Herrgott, die sollte verboten werden‹ umrandete sehr vorteilhaft, seinen Hintern.
Ich konnte meinen Blick kaum von ihm wenden, schloss leise die Tür hinter mir und trat weiter in sein Zimmer. Es war klein und ziemlich vollgestopft. Besonders diese vielen Teddys. In allen Variationen waren diese Teddys vorhanden.
Und wieder kam mir sein kleiner Ausrutscher in den Sinn, der mich schmunzeln ließ. Ich sprach ihn an. Er erschrak und verlor seinen Halt.
Schnell und ohne zu zögern, denn ich sah ihn bereits unten auf dem Gehweg liegen, packte ich ihn an seinem Handgelenk und zog ihn zurück. Durch den Schwung landete er in meinen Armen. Und nun traf mich sein Duft und das nicht nur in der Nase.
Das High Skills war eine Schande, solch einen lieblichen Duft zu übertünchen, zu verschlingen, für sich zu beanspruchen. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass mich ein Körpergeruch, der aus Duschgel und leichten, okay, billiges Körperspray bestand, so für sich beanspruchen könnte. Meine Gier erwachte. Mein Verlangen schrie auf.
Doch ich konnte nicht. Ich konnte ihn nicht einfach nehmen, wie die Männer der letzten Nacht oder die, der vielen Nächte davor.
Er war anders. Einnehmend. Beanspruchend. Alles an ihm verlangte, mich zu besitzen. Er wollte mich. Ich spürte es und auch, als ich sah, wie er seine Emotionen in sich verschloss. Seine Mimik auf das Minimum reduzierte und mit seiner ganzen Körperhaltung auf Abstand ging. Selbst als er sich in mein Hemd krallte und ich seine innere Abwehr spürte. Selbst als sein ganzer Körper den Schock verdaute und er den Herrgott anrief. Selbst als seine nicht geflossene Träne eintrocknete. Sah ich es klar vor mir. Er wollte mich.
»Warum bist du in meinem Zimmer?«
Ein Dämpfer, in diesem Moment und ich erkannte, dass er zwar mit sich spielen ließ, es aber einen hohen Preis hatte.
Welcher es war? Ich wusste es nicht, war aber bereit dazu, diesen Preis zu bezahlen. Nur um für einen kurzen Augenblick, den Anblick zu genießen, wie er sich fallen ließ.
»Warum bist du in meinem Zimmer?«
War das Erste, was ich ihn fragte, während ich mich noch immer in seine Arme schmiegte. Auch, wenn mein Kopf auf seiner Brust lag und sein Herzschlag, mir irgendwie wohlige Schauer über den Rücken laufen ließ, sah ich, wie er seinen Mund zu einem leichten Grinsen verzog.
»Hmm, ich habe gefragt … wo die Toilette ist?«
»Das Bad ist gegenüber.«
»Hmm, ich weiß.«
Ruckartig hob ich meinen Kopf und versuchte mich aus seiner Umarmung zu schälen. Ging nicht. Seine Arme hielten mich an ihn gepresst. Ich blickte in sein Gesicht und sah seine vollen Lippen, die mich anlächelten.
»Ja und warum bist du dann hier?«
»Etwas hat mir geflüstert, dass ich hier gebraucht werde.«
Sein Lächeln wurde langsam zu einem Grinsen.
»Ah ja!«
»Och nö, nicht schon wieder!«
»Was nicht schon wieder?«
»Dein Face!«
»Was?«
Kurz überlegte ich und fragte mich, was er mit meinem Gesicht hatte. »Was ist mit meinem Gesicht?«
»Dieser Ausdruck!«
»Was für ein Ausdruck?«
»Hmm, dieses eher ausdruckslose Gesicht, in dem es absolut keine Mimik gibt.«
»Shit!«, dachte ich nur. »Was meinst du damit?«, fragte ich ihn, um seine Umarmung noch etwas zu genießen und spürte, wie er mein Kinn zwischen seine Finger nahm.
»Auf deiner Stirn sind Denkfalten, die aber im Moment nicht beansprucht werden. An deinen Mundwinkeln und Augen sind die typischen Lachfalten, die sich aber geglättet haben. Du lachst viel, nur im Augenblick schläft diese Eigenschaft. Selbst deine Grübchen scheinen unsichtbar zu werden, wenn du emotional aufgebracht bist. Du hast eine sehr gute Kontrolle über deine Gesichtsmimik. Das ist mir gestern schon aufgefallen.«
»Und was soll das heißen?«
»Das heißt, dass du nicht auffallen willst und alles tust, dass es auch so bleibt. Vorhin als dein Vater uns euch vorgestellt hat, kam das sehr deutlich zum Vorschein. Jeder andere Mensch, würde das Lächeln einer anderen Person erwidern, nur du tust es eben nicht. Du bist, wie eine Marionette, die die Befehle ihres Spielers ausführt. Aber ich glaube, da kann ich Abhilfe schaffen.«
Ich wollte mich schon aus seinem Griff befreien, nur kam ich nicht dazu. Plötzlich spürte ich seine sanften Lippen auf meinen.
»Wie konnte das auf einmal passieren?«, huschte es kurz durch meinen Verstand. Wieder versuchte ich, aber leider vergebens, mich von ihm zu befreien. Das Kribbeln, das mir im Rücken beschert wurde, verstärkte sich durch den Druck, den Kyel mit seinem Körper ausübte. Es schwächte meine Abwehr. Ich bekam keine Luft und öffnete meinen Mund. Sofort spürte ich nur noch, wie er seine Zunge einführte. Sanft meinen Mundinnenraum erkundete und meine Zunge zu einem Spiel aufforderte. Ein Stöhnen entkam mir. Dadurch bestätigt, erhöhte er den Druck seines Körpers und seiner Lippen. Ich löste meinen Griff von seinem Hemd und schlang die Arme um seinen Hals. Dieser Aufforderung kam er nach und schob meine Beine etwas auseinander. Ich spürte ihn. Wie er sich hart und fordernd an mir rieb.
»Kyel!«, stöhnte ich zwischen den kurzen Atempausen, die er mir gab.
»Was?«
»Das geht nicht!«
Und wieder berührte sich unsere Lippen und unsere Zungen fochten einen Kampf aus.
»Was geht nicht?«
Er war genauso außer Atem, wie ich.
»Das hier, … die werden dich vermissen.«
»Mich vermisst keiner. Die sind schon alle zur ›außerordentlichen Konferenz‹ gefahren. Wir sind hier ganz alleine.«
»Alleine?«, hauchte ich in seinen Mund und bekam von seinem Geschmack nicht genug. Meine Lippen fühlten sich geschwollen an. Es war ein gutes Gefühl und ich wollte mehr.
»Ja, alleine.«
Ich warf meinen Kopf nach hinten, weil er diese besondere Stelle an meinem Hals mit seinem Finger gefunden hatte und ohne es zu wollen, stieß ich ein Keuchen aus.
»Hmm, interessant.«
Sein warmer Atem strich wie auf Abruf über meinen Hals und ich biss mir auf die Lippen, um nicht zu laut meine Gefühle herauszustöhnen. Er gluckste.
»Du solltest damit aufhören!«, brachte ich kaum raus und schob meine Hände auf seine Brust. Mit leichtem Druck versuchte ich, ihn von mir wegzuschieben. Dieser Versuch war vergebens. Kyel drückte mich fester an sich heran.
»Nein, ich werde nicht aufhören. Nicht jetzt, wo es doch gerade so schön ist.«
»Kyel, das geht wirklich nicht …!«
Weiter kam ich nicht. Sein Mund verbot mir, zu sprechen. Und ehe ich mich versah, landete ich auf meinem Bett. Noch schneller spürte ich seine warme Hand unter meinem Shirt, auf meiner Brust, wo seine Finger die kleinen Warzen umkreisten. Kurz bäumte ich mich auf, als er etwas fester zukniff.
»Gott!«, dachte ich nur und verfluchte meinen Körper, der eine einzige erogene Zone zu sein schien. Solange dieser unter Beweis stellte, dass es ihm gefiel, konnte ich Kyel nicht von mir abbringen. Eigentlich wollte ich es auch nicht. Meine Hand fuhr wie selbstständig durch seine Haare. Kyel zerrte an meinem Shirt und ich half ihm dabei, es auszuziehen. Ich sah seinen Blick, wie er an meinem Oberkörper haftete. Seine Zunge strich wieder genüsslich über seine Lippen und ein verlangendes Glitzern huschte durch seine Augen.
»Du siehst klasse aus!«, murmelte er und seine Finger fuhren meine athletischen Bauchmuskeln nach. Selbst da konnte ich ein Stöhnen nicht unterdrücken und er fühlte sich in seinem Tun bestärkt. Er strich, knetete und fuhr an meiner Seite herunter. Ich kicherte und er fuhr weiter über den Bund meiner Jeans. Weiter über den Reißverschluss. Die Reaktion kam sofort. Ich zuckte und er führte seinen Finger weiter, bis zwischen meine Schenkel. Seine Fingerspitzen spürte ich kaum, aber die Wirkung war fantastisch. Ich bäumte mich auf. Mein Herz raste, meine Atmung machte einen Dauerlauf und ich schnappte nur noch nach Luft.
Langsam fuhr er wieder über meinen Reißverschluss, bis weiter zum Knopf, den er mit nur einem Handgriff geöffnet hatte. Ich wollte ihn abwehren, weil ich absolut keinen schnellen Quickie wollte, aber meine Arme gehorchten mir nicht. So ließ ich es geschehen und keuchte bei dem plötzlich festen Griff um mein Glied auf.
»Schön?«, flüsterte er und ich nickte. »Es wird gleich viel schöner.«
Ich krallte meine Finger ins Bettlaken und hob mein Becken, damit er meine Hose leichter runterziehen konnte. Achtlos schmiss er sie auf dem Boden. Nackt lag ich vor ihm und er musterte mich mit seinem verführerischen Grinsen. »Du bist viel schöner, als ich es mir vorgestellt habe. Ich glaube kaum, dass ich mich zurückhalten kann.«
Nebenbei zog er sein Hemd aus. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er seine Krawatte schon längst abgelegt hatte.
Sein Oberkörper war genauso leicht gebräunt, wie sein Gesicht. Ein paar Haare wuchsen auf seiner Brust und ein dunkler Strich Flaum folgte vom Nabel, weiter hinunter, unter den Bund seiner Hose. Nicht zu viel und vor allem nicht zu wenig. Er war ein Kerl von einem Mann. Ich seufzte. Zu mehr war ich im Moment nicht mehr in der Lage.
Nun war ich es, der sich über die Lippen leckte.
»Mach das noch mal!«, forderte er mich auf.
»Was?«
»Diese Geste!« Ich verzog mein Mund zu einem Grinsen und gluckste. Sein überraschter Ausdruck war einfach zu schön. »Oh, Mr. Pokerface will spielen.«
»Yeah, Spielen ist gar kein Ausdruck!«, bestätigte ich und schon lag er ausgestreckt auf mir drauf. Ich spürte, wie er sich an mir rieb. »Du solltest deine Hose ausziehen, der Reißverschluss reibt etwas zu fest.«
Er gluckste und der leichte Hauch seines Atems verursachte wieder Gänsehaut.
»Wie der Herr wünscht!« Lasziv setzte er sich auf und strich sich selbst mit dem Finger über die Brust. Zwirbelte kurz seine Nippeln und fuhr runter zum Nabel. Scharf sog ich die Luft ein. Mich erregte dieses Schauspiel und ich hatte das Gefühl, das er genau das bezweckte, ich stöhnte auf. Ich hatte nicht mitbekommen, dass er seine Hose schon ausgezogen hatte und sie neben meine schmiss.
Er fuhr mit seinem Finger rauf zur Brust und ich schüttelte den Kopf. Ich konnte nicht mehr. Er lächelte und fuhr sich an der Seite entlang. Mit den Augen folgte ich seiner Bewegung und mein Schwanz zuckte. Langsam schob er den Zeigefinger in den Bund seiner Shorts und strich hin bis zu seiner Mitte.
»Wow, wenn du jetzt nicht endlich weitermachst, bekomme ich einen Orgasmus, während ich dir zuschaue«, keuchte ich außer Atem. Scheiße! Was hatte ich gesagt? Das konnte doch nicht wahr sein!
»Nee, nee mein Lieber, das lässt du schön sein. Was dich hier zum Orgasmus bringt, ist entweder meine Hand oder mein Mund.«
Er streckte herausfordernd seine Zunge raus und ließ sie über seine Lippen gleiten.
»Ich denke, das wird deine Zunge sein, wenn ich sie dir nicht schon zuvor abbeiße.«
Und als ob er darauf gewartet hatte, beugte er sich über mich und umschloss meinen Schwanz mit seinem Mund. Ich spürte seine Zunge, wie sie sanft mit meinem Schaft spielte und griff in seine Haare. Automatisch hob ich meine Hüfte und streckte mich ihm entgegen. Meinen Kopf hatte ich ins Kissen zurückgeworfen. Meine Augen waren geschlossen. Ich sah nur noch Sterne. Irgendwann hatte er einen gleichmäßigen Rhythmus gefunden und folterte mich damit. Ich spürte, wie sich meine Hoden zusammenzogen. Mein Griff in seine Haare wurde fester, doch er hob seinen Kopf und beobachtete, wie sich der nähernde Orgasmus bei mir wieder abschwächte. Unsere Blicke trafen sich und er grinste frech. Leicht schüttelte er den Kopf und ich ahnte, dass es eine schlimme Nacht für mich werden würde.
Ich wusste gar nicht, wie oft ich dem Orgasmus schon auf die Pelle gerückt war und immer wieder hielt er inne, um mich aufs Neue zu quälen.
»Gott, wenn du mich nicht bald kommen lässt, werde ich selbst Hand anlegen.«
»Wenn du das tust, sehe ich mich gezwungen dich zu fesseln. Und ich werde dich so weit treiben, dass du nur noch um Gnade winselst.«
»Das tue ich gerade.«
»Noch nicht genug!«
Er umgriff meinen Schwanz und zog die Vorhaut gnadenlos zurück. Diesmal schrie ich auf, und als sich der kurze Schockzustand abschwächte, meine Atmung halbwegs wieder normal war, blitzte ich ihn böse an. Frech grinste er mich an.
»Du bist grausam!«
»Ich weiß«, murmelte er zwischen meinen Beinen und hob sie sich über die Schulter. Ich spürte seine Zähne an meinen Hoden. Fest zog er sie in seinen Mund. Ich konnte nicht anders und schrie buchstäblich meine Lust heraus. Durch seine Atmung spürte ich, wie er in sich hinein gluckste und das gleiche Spiel von vorne anfing.
»Gott! Gib mir eine Pause!«
»Nein, jetzt geht´s erst richtig los.«
Mit leichtem Druck führte er einen Finger in meinen Hintern und hatte auch sogleich diesen Punkt in mir gefunden. Meine Gedanken, die die ganze Zeit herumschwirrten, kamen zum Stillstand.
Mein Körper reagierte nur noch auf ihn. Ich war unfähig zu sprechen, zu atmen, geschweige denn zu stöhnen. Ich keuchte in seinem Rhythmus und schrie sogleich wieder auf, als er einen zweiten Finger in mich hineinschob.
»Ruhig, gleich bist du so weit.«
Tränen der Lust flossen über mein Gesicht zu meinem Ohr und ich streckte mich seinen Fingern entgegen. Seine andere Hand strich über meine Brust, runter zum Nabel zu meinem Schwanz und wieder zurück. Diese Hand beruhigte mich auf wundersame Weise, während die Finger in mir immer fordernder wurden. Hart umgriff er erneut meinen Schwanz und wieder zog er die Vorhaut bis zum Anschlag runter. Ich bäumte mich auf. Sein Griff lockerte sich und er fand seinen Rhythmus. Ich war wieder kurz davor, als er seine Finger aus mir herauszog. Mich in Position brachte und seine Härte mit meinem Eingang spielte. Ich verkrampfte mich und blickte ihn leicht ängstlich an.
»Es ist das erste Mal«, keuchte ich nur und er nickte mir mit einem Lächeln zu.
»Keine Sorge, ich werde vorsichtig sein. Entspann dich!«, flüsterte er und beugte sich zu mir runter. Unsere Lippen trafen sich und ich schmeckte mich auf ihnen. Mein Duft und seiner vermischten sich zu einem und drang unaufhaltsam in meine Nase. Das war für mich wie ein Aphrodisiakum. Ich hob meine Beine wieder über seine Schulter und spürte, wie er sanft und behutsam in mich eindrang. Wieder verkrampfte ich mich und er hielt inne. Er blieb ganz ruhig und wartete, bis ich mich an ihn gewöhnt hatte. Erst dann drückte er weiter und ich keuchte an seinem Hals. Atmete heftig. Der Schmerz überrannte mich. Kyel murmelte, dass es gleich aufhören würde. Ich sollte mich mehr entspannen. Meine Atmung flachte ab. Ich vertraute ihm. Ich spreizte meine Beine weiter auseinander. Er hielt mir zur Stütze die Oberschenkel und mit einem Stoß war er ganz in mir drinnen. Er füllte mich vollständig aus. Meine Finger rutschten von meinem Schenkel und ich krallte mich an seinem Rücken fest. Wieder wartete er ab und allmählich fing er an, sich in mir zu bewegen. Leise vernahm ich, wie er keuchte. Spürte seinen rasenden Herzschlag auf meiner Brust. Meine Beine glitten von seiner Schulter und umgriffen seine Hüfte. Dies war seine Einladung und er stieß heftiger. Immer wenn er in mir drinnen, diesen gewissen Punkt traf, reizte er sie weiter, bis meine Leidenschaft mich überrannte und ich nur noch aus unbeschreiblichen Gefühlen bestand.
Der Orgasmus kam mit einer Wucht, die mich überrollte. Alles in mir zog sich zusammen. Selbst er stöhnte unter der plötzlich aufkommenden Enge auf und ergoss sich in mir.
Kurz verharrte er in mir, beugte sich zu mir runter und küsste mich zärtlich auf dem Mund. Leckte mir über den Hals, bis er an meiner Brust ankam, biss rein, zog daran und beruhigte meine Nippel mit seiner Zunge.
Wie erschlagen lag ich im Bett und Kyel hatte es sich auf meinem Oberkörper bequem gemacht.
Ich blickte aus dem Fenster, das noch immer weit offen stand, in die Nacht hinaus. Ich hatte Sex. Mein erstes Mal, nicht einmal im Traum hatte ich mir vorgestellt, dass es so wahnsinnig geil war.
»Ich glaube, die Nachbarn hatten jetzt auch alle einen Orgasmus«, murmelte ich schläfrig und Kyel lachte auf. Er blickte zum Fenster und wusste, was ich gemeint hatte.
»Tja, warum sollen sie nicht auch etwas Spaß haben und wenn es nur dein wundervolles Stöhnen war, was sie gehört haben.«
»Hmm.«
Ich strich über seine störrischen Haare und zwirbelte eine Strähne um meinen Finger. Ich wusste, dass ich morgen alleine aufwachen würde, und bekam nicht mehr mit, wie ich einschlief.
Leise Atemgeräusche drangen zu mir rüber und sehr vorsichtig nahm ich meinem Arm unter Saschas Nacken hervor. Ich betrachtete den Jungen länger, als mir lieb war. Fuhr mit dem Zeigefinger seine Konturen nach und sog seinen Körpergeruch ein. Er roch fantastisch und ein Gefühl des Verlustes stieg in mir hoch. Warum fühlte ich so? Ich konnte es mir nicht erklären und doch war es so.
Es war ein One-Night-Stand, das wusste er, das wusste ich und dennoch überwog diese innere Leere in mir. Dies war wahrscheinlich der Preis, den ich zu zahlen hatte.
Verliebt zu sein. Zu wissen, dass man jemanden wollte und ihn doch nicht bekommen konnte. Ich hatte ihn, das schon und doch verlangte es mich nach mehr. Nach mehr? War das denn zu fassen!?
Warum diese Gefühle in mir hochstiegen? Scheiße, ich hatte keine Ahnung. Vielleicht war es, weil … nein! Vielleicht, weil ich ein Verbot brechen wollte? Mein eigenes Verbot? Nein! Ich wusste von vornherein, dass Sascha Tabu war und doch war ich ihm verfallen. Vom ersten Moment an, dieser Moment, als er hochfuhr, wie ein wild gewordener Stier und zu fluchen angefangen hatte, wegen einer verschütteten Cola.
Oder vielleicht, weil er absolut keine Ahnung hatte, wer ich war.
Vorhin in der Küche, als er mir in die Augen blickte und mir seine Hand darbot, war kein unterwürfiger oder einschleimender Ausdruck in seinen Augen vorhanden. Nur dieses Erkennen. ›Ah, du bist es oder so sehen wir uns wieder‹ mehr nicht. Ihm war es egal, wer ich war. Ich glaubte sogar, dass er den Papst genauso behandeln würde, wenn er höchstpersönlich vor ihm stände.
Aber dies brachte mir alles nichts. Es war schön, sehr sogar. So einen fantastischen Sex, hatte ich lange nicht mehr. Nein! Nie! Er gab mir etwas, das dem, was ich ihm gab, gleichkam. Gegeben hatte. Ja was hatte ich ihm gegeben? Den ersten Sex? Seinen ersten Sex? Ich glaubte kaum, dass dies sein erster Orgasmus war. Er hatte bestimmt schon einmal selbst Hand angelegt. Er wäre kein Junge, wenn er es nicht machen würde und prüde, war er ganz gewiss nicht. Nur zurückhaltend und in sich gekehrt.
Ich blickte zum immer noch geöffneten Fenster und musste schmunzeln. »Ja, du hast wundervoll gestöhnt. Deine Lust rausgeschrien. Jeder in dieser Straße hat dich höchstwahrscheinlich gehört und die Zigarette danach angezündet.«
Allein diese Vorstellung, wie alle ans Fenster traten, in den Nachthimmel rausblickten und ihre ›Zigarette danach‹ rauchten, war einfach zu herrlich. Nein! Ich verspürte ein unbekanntes Ziehen in meinem Magen. Scheiße!
Hastig stand ich auf und schloss das Fenster. Drehte mich zum schlafenden Sascha und das Ziehen schlich sich hoch in mein Herz.
Warum hatte ich das Fenster geschlossen? Innerlich schüttelte ich den Kopf, doch die Gedanken, die so schnell kamen und nicht mehr verschwanden, gaben mir die Antwort.
»Eifersucht?!«
Scheiße, warum war ich eifersüchtig auf die Nachbarn? Ganz einfach. Sein Stöhnen gehörte mir. Niemand anderes durfte es jemals wieder hören. Gott Kyel, was waren das für Gedanken. Absolut untypisch für dich und doch waren sie da. Da war ein Gefühl, das sich noch weiter in mein Innerstes bohrte.
Ich musste hier raus. Es durfte nicht sein. Ich musste ihn vergessen. Ich musste in mein eigenes Leben zurückkehren. Aber warum war es so schwer meine Augen von seinem Anblick abzuwenden.
Etwas, was neben seinem Bett auf der klapprigen Kommode lag, erlangte meine Aufmerksamkeit und im Wahn eines umnachteten Gehirns, nahm ich das Handy in die Hand. Zückte meines und tauschte unsere Nummern aus.
Noch bevor ich so richtig mitbekam, was ich hier überhaupt tat, trat ich aus seinem Zimmer und verließ, für immer, so hoffte ich, diese Wohnung.
Ich saß im Auto vor meiner Villa und sie kam mir unendlich groß vor. Groß und kalt. Dennoch stieg ich aus und ging rein. Wie in Trance ging ich unter die Dusche und genauso ins Bett. Den Sonntag bekam ich so gut wir gar nicht mit. Hin und wieder klingelte mein Handy. Ich ging ran, gab dem Anrufendem Anweisungen, legte auf. Rief selbst an, fragte nach, gab Anweisungen und legte auf. Arbeitete am Laptop, aber alles geschah nebenbei.
Immer und immer wieder schlich sich sein erregtes Gesicht, sein aufbäumender Körper, seine Lustschreie in meinen Kopf.
Ich war ihm verfallen, ich war ihm ausgeliefert. Ich wollte ihn besitzen. Mehr als zuvor.
Je weiter sich die Gedanken in meinen Kopf schoben, umso heftiger reagierte mein Körper. Ich war dabei verrückt, zu werden. Ich wurde wahnsinnig. Ich verlor meine Selbstbeherrschung. Nein!
›Lenk dich ab. Fahr in die Firma. Schau, was zu erledigen ist.‹ Nein! Schaffte ich nicht. Ich war ausgelaugt, zu müde. Ich wollte schlafen. Nur noch schlafen und hoffen, dass meine angehende Leidenschaft sich wieder beruhigen würde.
Der Morgen versprach viel. Vereinzelte Sonnenstrahlen hatten sich durch die Wolken gebahnt und dennoch war der Himmel grau. Ich blickte aus dem Panoramafenster in meiner Firma auf den weiten Horizont. Mein Kopf war leer und eine innere Unruhe machte sie permanent in mir breit.
So durfte es nicht weitergehen. Und wieder hörte ich, in meinem Kopf, sein Stöhnen. Sah sein Aufbäumen, spürte seine Hände auf mir und wie sie mich einluden.
Das konnte nicht wahr sein. Das durfte nicht wahr sein. Es war ein Fehler. Es war ein riesiger Scheißfehler, überhaupt mit ihm zu schlafen. Verdrossen schnaubte ich und ein Klopfen holte mich aus meiner Trübsal raus. Ich brauchte mich nicht zur Tür umdrehen, denn es gab nur einen, der kurz vorm Feierabend noch zu mir wollte. Niemand anderes als Tom, mein Sekretär, oder wie ich ihn gerne nannte, ›das ewige Inventar‹. Er aß, er schlief, er arbeitete und er lebte innerhalb der Firma. Noch immer fragte ich ihn nach dem ›warum‹ und wie immer, bekam ich darauf keine Antwort. Eigentlich hätte ich ihm dies nie erlaubt, aber er sah so fertig aus und verteufelte Gedanken machten sich in meinem Gehirn breit, die in mir Mitleid hervorriefen. Also gab ich nach und seitdem, war das eben so. Jede Motivation, ihn davon abzubringen, schlug fehl.
»Mr. Kastner …«
»Tom, ich mache für heute Feierabend. Die Termine, die noch ausstehen, verlegen Sie bitte auf irgendeinen von meinem Vorstand.«
»Aber? …«
Da ich mich nicht zu ihm umdrehte, verstand er meine Anweisung als unumstößlich. Er murmelte irgendetwas in seinem Bart und schloss, wie sonst, etwas zu laut, die Tür hinter sich.
Etwas passierte mit mir, womit ich, in meinem ganzen Leben, nie gerechnet hätte. Was ich in der Regel nie machen würde. Nie in meinem bisherigen je Leben je getan hatte.
Ich schnappte mein Handy, suchte die Nummer, die ich anhand geistiger Umnachtung eingespeichert hatte und mein Daumen schrieb den Text, ohne vom Gehirn gesteuert zu werden. Lang war er nicht und doch schrie er mein Willen raus.
›Habe eine Eisdiele ausfindig gemacht, die ganz in der Nähe deiner Schule liegt.
Es würde mich freuen, wenn du die Pause mit mir verbringen könntest‹
senden.
Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht floss und meine Beine nachgaben.
»Was habe ich gerade getan? Das darf doch wohl nicht wahr sein!«, murmelte ich.
Dennoch war es so. Der Geschäftsmann schlechthin, ein Unternehmensguru von hohem Niveau, schrieb einem Jüngling eine SMS. Rannte ihm buchstäblich hinterher. Die Nennung der Eisdiele war nur pro forma. Was ging nur in mir vor? Ich verstand die Welt nicht mehr.
Scheiße, ich wollte den Jungen haben. Immer und immer wieder in sein Gesicht blicken, wenn er erregt war. Wenn er sich unbedacht über die Lippen leckte, wenn er einfach mehr aus sich herauskam. Ich wollte es erleben. Sehen und spüren.
Ich fuhr zur Eisdiele und Tim, der auch immer zu jeder Tageszeit anwesend war, kam auf mich zu. Ich gab ihm meine Bestellung und ignorierte den reinkommenden Anruf. Nachdem die Nummer das dritte Mal angerufen hatte, schaltete ich es ab. Legte es vor mich hin und nippte an dem heißen Kaffee, den Tim mir in der Zwischenzeit hingestellt hatte. Kurz brannte es in meiner Kehle und ich blickte zu ihm. Er lächelte mich an.
»Ich dachte, dass Sie einen extra Schuss bräuchten.«
»Ja! Da haben Sie vielleicht recht. Nein! Ich korrigiere mich. Sie haben eine wirkliche gute Intuition.«
Wieder lächelte er mich an und ging.
Auch wenn ich das Handy ausgeschaltet hatte, um meine Ruhe zu haben, stellte ich es wieder an. Die Neugierde, ob er mir zurückgeschrieben hatte, egal, welche Antwort er mir gab, ließ mich das verteufelte Ding wieder anschalten.
Nichts! Keine Nachricht. Kein Anruf. Langsam fragte ich mich, auf welchem Trip ich war. Warum schickte ich einem Teenager eine Nachricht, mit der Bitte, die Pause mit mir zu verbringen? Ich kannte keine Antwort darauf. Blickte auf die Uhr. Die Schule müsste doch schon längst aus sein. Und ich wurde nicht enttäuscht. Ich sah ihn.
Seine dunklen Haare waren zerzaust. Seine Schultern waren eingezogen und er hatte einen Schritt drauf, als ob er vor irgendetwas abhaute. Immer wieder blickte er sich verstohlen um. Ein Normalbürger würde es nicht wahrnehmen. Ich schon. Ich hatte schon immer einen Blick für die Menschen um mich herum. Auch wenn ich es nicht wusste, so konnte ich sagen, dass Tim, die Bedienung, schwul war. Alessandro, der Chef der Eisdiele, wollte von hier weg. Eine Mutter war genervt von ihrem Baby. Es schrie die ganze Zeit. Lange würde es nicht mehr dauern und sie zahlte. Ich hatte recht.
Aber ich hatte in diesem Moment nur einen im Blick.
Sekunden vergingen. Sie kamen mir vor wie Stunden. Ich fragte mich, ob er in diesem Moment meine Nachricht las. Sascha!
Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich versuchte, seinen Namen mit seinem Akzent auszusprechen. Sascha. Dennoch kam der typische amerikanische Akzent durch.
Mein Herz blieb stehen. Er blickte auf. Ich wurde aus seinem Gesichtsausdruck nicht schlau. Nun entschied es sich. Es war ungefähr die gleiche Situation, wie in seinem Zimmer. Wenn ich ihn nicht zurückgezogen hätte, wären wir nie ...
Ich durfte nicht daran denken. Und doch. Ich kam aus diesen Erinnerungen nicht mehr raus. Er war anders. Er war mehr. Er kam über die Straße, direkt auf mich zu.
Noch einmal wollte ich es mit ihm erleben. Und dann, dann würde ich einen Schlussstrich ziehen.
Endgültig!
Wie ich es geahnt hatte, wachte ich am nächsten Tag alleine auf. Das Fenster war geschlossen. Vielleicht hatte Kyel es zugemacht? Kyel! War er wirklich bei mir im Zimmer gewesen und hatten wir wirklich Sex gehabt? Irgendwie kam mir das alles so surreal vor und ich setzte mich auf. Ein Brennen durchzog meinen Hintern und ich spürte, wie etwas herauslief. Geschockt fasste ich dahin und hatte eine zähe Flüssigkeit an den Fingern haften. Gott! Es war kein Traum. Ich hatte wirklich Sex! Sex mit dem Chef meines Vaters. Das war doch wohl nicht wahr!
Ich stand auf und sammelte meine im Zimmer verstreuten Klamotten auf. Automatisch, um zu riechen, ob ich das Shirt noch einmal anziehen konnte, hielt ich es mir unter die Nase. Wow! Kyels Duft haftete daran und irgendwie stahl sich ein Grinsen auf mein Gesicht.
»War schön, doch jetzt ist es vorbei«, murmelte ich. Dies durfte auf jeden Fall nicht noch einmal passieren. Er war der Chef von Dad. Wie sah dass denn aus? Außerdem, selbst wenn ich es Dad sagen würde, würde er mir eh kein einziges Wort glauben. Streng genommen, warum sollte ich ihm auf die Nase binden, mit wem ich Sex gehabt hatte oder haben werde?
Ich kramte mir eine frische Unterhose aus dem Schrank und zog sie mir, mitsamt meiner Jeans, schnell über. Nackt wollte ich nicht durch die Wohnung laufen, auch wenn das Bad gleich gegenüber von meinem Zimmer lag. Schon gar nicht, da die Möglichkeit bestand, dass David bei meiner Schwester übernachtet hatte. Es wäre noch schöner, wenn dieser Typ mir auch noch über den Weg laufen würde.
Ich trat auf den Flur und hörte Davids Stimme aus Sarahs Zimmer. Er lachte über irgendetwas.
»Nur nicht so übertreiben«, murmelte ich und rollte genervt die Augen. Ich schnaubte und ging ins Badezimmer. Auch hier nahm ich noch einen leichten Hauch von Kyels Duft wahr und die Erinnerung an seine warmen Lippen, schoss mir sofort in den unteren Bereich. Ich schloss die Tür ab und drehte den Hahn der Dusche auf.
Allein der markante Duft und die Erinnerung an seine Berührungen ließen mich schon wieder geil werden.
Kurz prüfte ich, ob das Wasser warm genug war und trat unter die Dusche. Das Kribbeln meiner Lende wurde unerträglich und mein Atem kam nur noch stoßweise. Was hatte er mir angetan? Immer wieder fragte ich mich das, während ich mich um mich selbst kümmerte. Der Orgasmus kam schnell und gab mir keinerlei Befriedigung. Noch nach Atem ringend, verfolgte ich die letzten Spuren, wie sie in den Abguss flossen.
Meinen Kopf stützte ich an der Wand ab und meine Augen fingen zu brennen an. Das durfte nicht sein. Ich weinte. Warum weinte ich? Die Antwort kam schneller als erwartet. Ich heulte, weil es ein One-Night-Stand war und ich mit Sicherheit sagen konnte, dass ich ihn nie wieder sah. Und wenn, dann nur alle vier Jahre, wenn das Meeting bei uns stattfand.
Was wollte ich nur? Ich wollte eine Beziehung, wie alle normalen Menschen auch. Jemanden kennen- und lieben lernen. Sex haben und irgendwann, wenn es nicht mehr funktionieren sollte, Schluss machen. Den ganz normalen Beziehungsablauf bei einem jungen Menschen, bis endlich, der oder die Richtige kam, um dann mit ihm oder ihr den Rest des Lebens zu verbringen. Vielleicht auch noch Kinder kriegen, aber das fiel bei mir aus. Wenn mein Wunsch nach Kindern, doch noch so groß werden sollte, gäbe es sicher Möglichkeiten. Dennoch würde ich mich wohl gegen Kinder entscheiden. Sollte ich mal einen Partner fürs Leben finden, so würde ich ein Kind nicht der Scham aussetzen wollen, schwule Adoptivväter zu haben. Falls mein zukünftiger Partner schon ein Kind hätte, müssten wir uns wohl mit der Situation arrangieren und das Bestmöglichste daraus machen.
Ich musste ihn vergessen. Ich hatte Sex mit ihm, das konnte ich nicht mehr rückgängig machen. Dies war eben geschehen und gehörte der Vergangenheit an.
Langsam erholte ich mich und stieg aus der Dusche. Mit meinem Lieblingshandtuch, wie es Mom immer nannte, trocknete ich mich ab.
Gott! Ich fasste es nicht. Ich hatte Sex, mit einem mir eigentlichen unbekannten Menschen und dennoch beschäftigte es mich, als ob es die nächste Note in einem wichtigen Test wäre. Diese Überlegungen verfolgten mich den ganzen Sonntag und ich nahm sie auch noch mit ins Bett.
Den Wecker, der seine alltägliche Pflicht tun wollte, hatte ich schon 23 Minuten vorher ausgeschaltet. Ich stierte an die Decke und wie am Sonntag, stieg mir wieder, gegen meinen Willen, sein Duft in die Nase.
Ich musste ihn vergessen, das war meine oberste Priorität.
Langsam wünschte ich mir, ich hätte diese Erfahrung schon mit 15 gemacht, dann würde ich mir, womöglich, nicht so viele Gedanken darüber machen. Gott! Warum ließen mich sein Geruch und die Erinnerung an seine Berührungen nicht in Ruhe?
Die Pause verlief wie jede Pause. Ich saß in der Kabine auf dem Klo. Wie immer las ich einen Roman. Aber ich konnte mich nicht auf den Inhalt konzentrieren, da die beschriebenen erotischen Szenen nur ein Abklatsch der Realität waren. Darum drückte ich das Buch weg und versuchte, eins ohne Sexszenen zu finden. Sollte nicht so schwer sein, dachte ich, aber ich hatte nur Bücher mit diesem Inhalt und die wollte ich nicht lesen.
Innerhalb eines Tages hatte sich meine Vorliebe bei Büchern komplett geändert. Ich wollte schon aus der Kabine heraustreten, damit ich wenigstens als einer der Ersten ins Klassenzimmer kam und nicht immer der Letzte war, da hörte ich Davids tiefe Stimme. Er unterhielt sich mit jemandem.
»Und erzähl, wie war sie?«, fragte Benjamin, den ich an seiner Stimme erkannte. »Jetzt erzähl schon. Hat sie dich durchgeritten?«
Ich müsste schon sehr taub sein, um diesen gewissen herablassenden Unterton nicht herauszuhören.
»Benny!«
»Hör auf in dich hineinzulachen! Wie hat es Sascha aufgenommen? Der muss sich doch, total geschockt, in die Ecke verkrochen und geweint haben wie ein kleines Baby, weil seine Schwester vor seinen Augen gerammelt wurde. Diese Schwulettenjungfrau! Das wolltest du doch? Du wolltest ihn daheim fertigmachen.«
»Was hast denn du für eine Vorstellung? Ich ficke doch seine Schwester nicht vor seinen Augen. Benny, ich sage dir eines, Sascha ist eiskalt geworden. Er hat Sarah und seine Eltern total auflaufen lassen. Ich weiß noch, von früher, dass seine Familie sich vor anderen, immer gern als perfekt dargestellt hat. Aber was ich nicht verstehe, ist die Art und Weise. Sein Ton hat sich total verändert, ebenso seine Mimik und sogar die Körperhaltung. Nichts ist mehr vorhanden, von dem Sascha, den ich kennengelernt habe.«
»Jetzt sag mir nicht, dass du dein Vorhaben aufgibst?«
»Nein, das werde ich nicht!«
»Das ist ja alles gut und schön, aber ich wollte wissen …«
»Ich weiß, was du wissen willst, und ja, ich habe sie so flachgelegt, dass sie nicht mehr anders konnte, als mehr zu wollen. Mein Ziel ist erreicht.«
»Aber du wolltest damit Sascha …«
»Das ging in die Hose. Diese Schwuchtel hat’s durchschaut, außerdem habe ich noch genug Chancen. Sarah frisst mir aus der Hand. Sie brauchte nur einen richtigen Kerl und schon schnurrt sie wie ein Kätzchen. - Sag mal, Benny, hat er auf deine Mail geantwortet?«, hörte ich David fragen, doch die Antwort blieb aus, weil die Glocke zum Pausenende läutete.
»Mail? - Doch nicht etwa diese Mail?«
Ich trat aus meiner Kabine und blickte stumm zur geschlossenen Tür. Das war ja mal ganz was Neues. Aber was David mit Sarah machte, war mir egal. Sie war erwachsen. Von wem sie sich flachlegen ließ, war ihre Entscheidung. Ich hoffte nur, er trieb es nicht zu weit. Leicht grinste ich in mich hinein. »David, du hast dir die Falsche zum Spielen ausgesucht. Eins kann ich dir sagen, Sarah wird dich ungespitzt in den Boden stampfen.« Hatte ich schon oft genug mitbekommen. »Du bist nicht der Erste, den sie hatte.« Was mich betraf. Meine Schwester war schon lange kein wunder Punkt mehr bei mir. Dafür hatte ich in den letzten Monaten zu viel mitgemacht, auch ihretwegen. »Ach, und was die Mail betrifft, wenn die von Benny war, so kann ich dir sagen, dass ich sie gelöscht habe, auch wenn du es für eine kurze Zeit geschafft hast, meine Gefühle zu treffen«, dachte ich und doch konnte ich mir nicht im Geringsten vorstellen, das die Mail von Benny sein sollte.
Ich hörte, wie jemand sich der Toilette näherte, und verschwand wieder in die Kabine.
»Was willst du hier?«, hörte ich meine Schwester sagen. »Wir müssen in den Unterricht - hör auf das kitzelt.«
»Komm, ganz schnell.« Ich verdrehte die Augen, als ich Knutschgeräusche hörte, und versuchte, so leise wie möglich zu sein. Oh man! Mich nannten sie pervers und nun steckte ich in dieser Kabine fest, weil meine Schwester es mit ihrem Macker im Schulklo trieb und ich ihnen notgedrungen zuhören musste. Wo war ich nur hingeraten? »Hey, du bist ja schon ganz nass!«
Das war David und ein kurzes lautes Zischen entwich meiner Schwester.
»Hmmm, du bist … schlimm … was ist … wenn jetzt … jemand kommt?«
Kam es stoßweise von ihr. Wieder verdrehte ich die Augen und trat aus der Kabine heraus. Ihren Wunsch wollte ich zu gerne erfüllen. Für den Bruchteil einer Sekunde musterte ich ihre Stellung. Die hatte was. Sarah saß fast auf dem Waschbecken, ihre Beine lagen um Davids Hüfte, während er, mit heruntergelassener Hose, dastand und sie vögelte. War das ein Anblick!
»Dann wird er euch erwischen«, sagte ich und ging an das Waschbecken neben ihnen. Drehte den Hahn auf und sah ihre geschockten Gesichter. Ich wusch mir die Hände und trocknete sie ab. Nebenbei bemerkte ich zur Sarah: »Dein Zyklus steht noch für ein paar Tage auf fruchtbar.«
Blickte kurz David an und zwinkerte ihm zu. Zuckte mit den Schultern und meinte: »Müsst ihr wissen!«
Ich ließ sie einfach stehen und ging in das Klassenzimmer zurück. Keiner von den beiden brachte auch nur ein Wort über die Lippen. ›Wer will hier wen fertigmachen? David du unterschätzt mich gewaltig‹.
Da Dad mein Fahrrad nicht hergerichtet hatte und ich auch keine Muße dazu aufbringen konnte, sah ich mich gezwungen, zu Fuß nach Hause zu laufen. Wenn ich nun David über den Weg lief, sah es für mich sehr schlecht aus. Besonders, weil er immer mit Verstärkung auftrat. David war, seit ich nach Amerika kam, mein bester Freund, und nur, weil ich ihm sagte, dass ich auf Männer stand, mutierte er zu so einem Arsch. Nun konnte ich mir vorstellen, wie es denen ergangen war, die er nicht leiden konnte. Leider hatte ich früher die Augen davor verschlossen. Obwohl ich ihm öfters gesagt hatte, dass es genug sei und er damit aufhören sollte. Er zog es dann aber immer ins Lächerliche und meinte: »Es macht doch Spaß, der Loser soll sich nicht so haben!«
Tja, sein Charakter war schon von Anfang an verdorben und schlecht. Nur hatte ich es nie, bewusst, mitbekommen.
Ich holte mein Handy aus der Hosentasche und schaltete es, an diesem Tag, zum ersten Mal an. Meine Lieblingsmelodie ertönte plötzlich und ich erschrak. Ich blickte auf das Display und las den Namen Kyel Kastner. Schock! Mein Herz raste los. Ich spürte, wie meine Wangen heiß anliefen und ich kurz vor der Atemnot stand.
Woher, zum Teufel, hatte er meine Nummer? Und warum, zum Teufel, war seine Nummer in meinem Handy? Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass wir unsere Nummern ausgetauscht hätten. In dem Moment, als ich mir eingeredet hatte, dass ich ihn nie wieder sehen werde und mich damit schon abgefunden hatte, dass es nur ein einmaliges Ding war, kam das?!!
›Sollte ich die SMS öffnen? Nein, ich werde sie löschen! Ohne sie zu lesen.‹
Was dachte sich der Typ eigentlich? Aber andererseits, neugierig war ich schon. Ich las 'Nachricht löschen' und mein Daumen lag schon auf der Taste für ›Ja‹. Ich blickte auf die Zeit. Sie wurde vor einer halben Stunde abgeschickt. Ich spürte, wie meine Hände zitterten und der Drang ihn wiedersehen zu wollen, stieg unaufhaltsam in mein Herz und weiter in den Verstand. Es wäre ein Fehler, diese Nachricht zu öffnen, das wusste ich und doch drückte mein Daumen die Taste, die zu ›Öffnen der Nachricht‹ führte. Wie selbstständig und als ob mein Daumen nie was anderes gemacht hatte, drückte er die Taste für ›Ja‹.
»Scheiße!«, schoss es durch meinen Kopf und ich las.
›Hi, ich habe eine Eisdiele ausfindig gemacht, die ganz in der Nähe deiner Schule ist. Wäre schön, wenn du mit mir die Pause verbringen könntest‹
Gott! Meine Knie wurden weich, denn ich wusste, welche Eisdiele es war und ich blickte über die Straße.
Da stand der Jaguar. Ein attraktiver Mann, mit störrischen schwarzen Haaren, bekleidet mit Hemd, Krawatte und einer eleganten Jeans saß dort am Tisch. In der einen Hand hatte er eine Tasse, aus der er trank und mit der anderen Hand hielt er sein Handy. Ich wusste, dass er mich gesehen hatte, denn sein Blick, auch wenn seine Augen unter einer Sonnenbrille versteckt waren, haftete auf mir.
»Scheiße!«
Innerlich schüttelte ich den Kopf und atmete einmal tief durch. Dann trat ich an die Bordsteinkante, wartete, bis kein Auto mehr auf der belebten Straße vorbeifuhr, und ging rüber.
»Hallo Sascha!« Gott hatte er ein Lächeln. Es waren nicht nur meine Knie weich, sondern mein Herz schmolz und floss in seine Richtung. Er streckte die Hand aus und flüsterte mir zu. »Du scheinst einen Verfolger zu haben, tun wir so, als ob es ein geschäftliches Treffen oder ein Vorstellungsgespräch sei.«
Da ich einen guten Blick zur anderen Straßenseite hatte, erkannte ich David. Er war mir also doch gefolgt. Wie ich zuvor vermutete, - sollte die Begegnung in der Toilette nicht ungesühnt bleiben - Scheiße noch mal!
»Hmm!«, kam es nur von mir und ich ergriff seine Hand. Dann deutete er mir, dass ich mich hinsetzen sollte. Meinen Rucksack stellte ich neben mir ab.
»Vorstellungsgespräch also?« Er nickte. »Der blonde Typ da scheint es irgendwie auf dich abgesehen zu haben.«
»Das ist David. Er war mein bester Freund!«
»War?«
»Ja, ist eine lange Geschichte.«
Er nahm seine Sonnenbrille ab und legte sie neben sein Handy. Ich sah auf diese Hand mit den langen Fingern und die Erinnerung, welche Gefühle mir seine Finger beschert hatten, schoss mit voller Wucht in meine Gedanken und ließ meine Haut kribbeln.
»Hmm, dann erzähle mir die Kurzfassung!« Ich setzte mein Pokerface auf und blickte ihn an. Er lächelte und ich sah, wie es in seinen Augen aufblitzte.
»Die Kurzfassung?« Er nickte. »Also gut. Als ich ihm gesagt habe, dass ich eine Vorliebe für Männer hege, ist er irgendwie …«
»Er kommt nicht damit zurecht, dass du homosexuell bist.«
»Das drückt es, in einem Satz zusammengefasst, gut aus!«
»Vergiss nicht, mein kleiner Orkan. Ich bin Geschäftsmann. Das Richtige, genau zur richtigen Zeit und am richtigen Ort auf den Punkt zu bringen, ist meine Spezialität.«
»Habe ich gemerkt.«
Wieder blitzten seine Augen auf und ein wissendes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Tim, die Bedienung, kam und nahm meine Bestellung auf.
»Sascha, eins kann ich dir sagen, solltest du jemals wirklich ein Vorstellungsgespräch haben, würde dich jeder einstellen.«
Ich blickte auf.
»Warum?«
»Dein Pokerface ist undurchschaubar. Aber ich wette, tief in dir drinnen, brodeln die Gefühle nur so.«
Wieder dieses herauslockende Lächeln.
»Du hast ja keine Ahnung!«, dachte ich und nahm der Bedienung meine bestellte Cola ab.
»Hmm, sehr kühl, ich glaube, ich verlängere meine Pause. Allein schon, um diesem blonden Typen, der es sich mit seiner Clique, dort auf dem Steinmosaik bequem gemacht hat, eins auszuwischen und weil ich seinetwegen, nicht den wahren Sascha zu sehen bekomme.«
»Was?«
»Ich will dich flachlegen!«, flüsterte er mir über den Tisch zu und ich verschluckte mich an der Cola. Wieder lächelte er, und als sich mein Husten gelegt hatte, sah ich, wie er mich herausfordernd anblickte. Sein Daumen und Zeigefinger spielte mit dem Handy. Rauf und runter. Rauf und runter und es kribbelte in meinem Magen sowie den Rücken rauf und runter.
»Alles wieder in Ordnung?« Ich nickte und räusperte mich kurz. »Hmm, etwas aufgetaut!«, murmelte er, was wohl eine Feststellung war. Er hatte keine Ahnung, wie aufgetaut ich war und dass ich meine ganze Kraft aufbringen musste, um ihm nicht um seinen Hals zu fallen. Seine bestimmte Stelle mit meiner Zunge zu berühren und an seinem Ohrläppchen zu knabbern, was ich das letzte Mal total vergessen hatte. Es gierte mich danach, es nachzuholen. Ich wusste nicht, wie lange ich auf den Ohrring gestarrt hatte, als Kyel mich aus den Gedanken riss.
»Mr. Fleischhauer, ich würde mich freuen, wenn Sie noch etwas Zeit hätten, damit ich Ihnen die Firma gleich zeigen kann!«
Schock, was?
»Die Firma?«
»Es würde mir eine Freude sein, sie Ihnen zeigen zu dürfen.«
Kurz nickte er unauffällig zu David rüber und ich verstand. Kyel winkte die Bedienung zum Bezahlen herbei. »Natürlich nur, wenn es Ihnen zeitlich passt. Es würde mich sehr freuen. - Ich bezahle!«, beharrte er, als er sah, dass ich meinen Geldbeutel aus der Tasche zog. Resigniert sog ich die Luft ein. Ich musste dieses Schauspiel weiterführen und stand auf.
»Nicht so viel!«
»Was viel?«
»Du zeigst viel zu viel Emotionen«, stänkerte er leise und sein Blick wanderte zwischen meine Beine, bevor er die Sonnenbrille aufsetzte. Ich wusste, dass ich eine leichte Erektion hatte, aber dass es gleich so offensichtlich sein sollte, war wohl gelogen. Noch war meine Jeans nicht zu eng.
»Gott, du machst mich fertig!«, murmelte ich, konnte mir aber ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Dieser Mann schaffte es, innerhalb von wenigen Sekunden, meine Fassade zu Fall zu bringen und wenn ich nicht aufpasste, mich gleich mit.
»Genau danach steht mir der Sinn!«, flüsterte er, als er an mir vorbei zu seinem Wagen ging.
Als ich hörte, wie die Zentralverriegelung schnappte, stieg ich ein. Was mich wunderte, war, dass ich ohne zu zögern einstieg. Ich begab mich, wie letztens, voll in seine Hände und mein Herz hüpfte vor Erwartung. Er startete den Motor, der sehr leise war, und fuhr los. Ich spürte keine Gangschaltung und auch keinen Beschleunigungsdruck. Das Auto glitt sanft über die Straße und ich blickte aus dem Fenster.
»Weißt du, was ich mich die ganze Zeit frage, schon seit ich dich das erste Mal sah?«, fing er an und schaltete in den nächsten Gang.
»Was denn?«
»Warum du dich so unnahbar gibst?«
»Wie meinst du das?«
»Du redest zwar, wenn man dich anspricht und antwortest auf Fragen, aber sonst kommt nichts von dir. Ich frage mich, wann das angefangen hat?«
»Am 27.11. letztes Jahr«, kam von mir als Antwort, wie aus einem Kanonenrohr.
»Was 27.11.?«
»Scheiße! Hatte ich ihm das gerade gesagt?«, dachte ich. Unter diesen Umständen kam ich nicht mehr drum herum, ihm alles zu erzählen.
»Da hat es angefangen. Das war der Tag. An diesem Tag habe ich es David erzählt. Na ja! Hätte ich nicht tun sollen, denn einen Tag später, wurde ich von seinen, es waren auch meine Kumpels zusammengeschlagen, weil sie der Meinung waren, ich glotze nur auf ihre Schwänze und Ärsche. Ich wurde in die Toilette gedrückt, nur weil ich mit der Hand durch meine Haare gefahren bin.« Warum erzählte ich es ihm? Ich konnte nicht mehr aufhören. Es fühlte sich richtig an und ich plauderte weiter. »Und am 4.12. habe ich es meinen Eltern erzählt. Das Erste, was ich von Dad zur Antwort bekam, war eine Ohrfeige und Zimmerarrest. Mom beweint seit dem Tag die Damenwelt, weil keine Frau jemals meine Liebe zu spüren bekommt. Sarah hat, bis Mom es mitbekam, immer ihre Unterwäsche unter meinem Kopfkissen versteckt. Und dann, wenn Mom in der Nähe war und sie zuvor schon lauthals ihre Unterhose gesucht hatte, ist sie in mein Zimmer geschlichen und tat so, als ob sie, sie gefunden hätte. Dann habe ich auch noch Dad erwischt, wie er in meinem Zimmer nach homosexuellen Heften, oder anderem Zeug, gesucht hat. Ich habe ihn dann zur Rede gestellt, da er ja ein Verfechter von Privatsphäre ist und er meinte nur, ich solle mich nicht so tuntenhaft anstellen.«
»Dein Vater hat dir eine Ohrfeige verpasst?«
»Jaap, die Erste in meinem Leben und seitdem geht er mir aus dem Weg. Tja, seit dem Zeitpunkt versuche ich, meine Gefühle so wenig wie möglich zu zeigen und meine Mimik und Gestik zu kontrollieren. Was bis jetzt auch sehr gut geklappt hat. Ich werde in der Schule nicht mehr verfolgt und auch sonst nimmt keiner von mir Notiz.«
»Bis jetzt!«, meinte Kyel mit einem Grinsen, das ich nicht einordnen konnte. Ich blickte ihn an und konnte nicht anders, als wieder tief einzuatmen. »Hmm, je länger du bei mir bist, umso weiter wirst du dich öffnen, das verspreche ich dir.«
»Was für ein Versprechen! Noch weiter öffnen, als das letzte Mal, kann ich mich ja wohl kaum noch.«
Er prustete los, selbst ich ging auf sein Lachen mit ein.
»Wer weiß, vielleicht gibt es da noch eine Steigerung.«
Mein Rücken fing an zu kribbeln. Ich spürte, wie Stromstöße durch meinen Körper glitten und sich tief in meiner Lende einnisteten. Wieder fragte ich mich; was dieser Mann hatte? Was er an sich hatte, dass ich mich so geborgen und verstanden fühlte.
Ich musterte ihn von der Seite und wieder fielen mir seine weichen Züge auf. Seine Lachfältchen an den Augen. Er hatte einen kleinen Leberfleck auf seiner Wange und seine Mundwinkel waren zu einem spitzbübischen Lächeln verzogen. Ich schüttelte den Kopf.
»Ich fasse es nicht!«, murmelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart und im selben Moment, lag seine Hand auf meinem Oberschenkel. Sanft drückte er zu und ich stieß die Luft zwischen meinen Zähnen aus.
Er fuhr durch die ganze Stadt, bis hin zum Nobelviertel. So wurde dieser Stadtteil von uns genannt, weil dort die Reichen und Schönen wohnten. Prominente und welche die glaubten, einen Namen zu haben.
Ich blickte mich um. Die Straßen waren sauber. Keine Container zierten die Gehsteige. Das Laub war weggefegt und selbst die Bäume sahen aus, als ob sie jede Woche eine Maniküre bekämen. Nur vereinzelte Fußgänger waren mit ihren überteuerten Hunden unterwegs oder trugen sie in der Handtasche. Ich musste über die Bekleidung der Hunde schmunzeln.
»Was ist?«, fragte er mich.
»Nichts, mir tun nur die Hunde leid.«
»Hmm, es sind alles Preisgekrönte mit Stammbaum versehene Vierbeiner. Ein Einzelner wird mit über 10 000 $ gehandelt.«
Ich pfiff überrascht aus.
»Ist nicht dein Ernst!«
»Doch, wenn ich es dir sage.«
»Die armen Hunde. Kennen die überhaupt Frisbeescheiben oder sich im Schlamm wälzen?«
»Du überraschst mich!«
»Ich? Warum?« Er gab darauf keine Antwort.
Kurze Zeit später bog er in eine Einfahrt und hielt vor einer Villa. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn noch einer dahergekommen wäre, um ihm die Tür zu öffnen. Er parkte das Auto und stellte den Motor aus. Im gleichen Zug schnallte er sich ab und stieg aus. Kurz beugte er sich zu mir rein. »Wir sind da.«
Das war aber definitiv nicht seine Firma, huschte es mir durch den Kopf. Ich stieg aus und bewunderte das ›Haus‹ mit offenem Mund. Das war weder ein Haus noch eine Villa, das war ein etwas zu klein geratenes Schloss. Natürlich ohne Türme. So kam es mir jedenfalls vor.
Ich bekam nicht mit, wie er zu mir herantrat, bis er mich am Nacken packte und meinen Mund an seine Lippen zog. Fordernd schob er mir die Zunge rein. Ich konnte nicht anders und ließ ihn gewähren. Sein Geruch bombardierte mich.
Meine Arme schlang ich um ihn und wurde selbst fordernd. Ich merkte, wie er nach Atem rang und seine anschwellende Härte, die sich an mir rieb. Er ließ von meinen Lippen ab, um am Hals weiterzumachen. Sofort reagierte ich darauf und stöhnte. Er kicherte an meinem Hals.
»Du bist so sensibel«, hauchte er und sein warmer Atem brachte mich fast um den Verstand.
»Wenn du mich heute wieder so quälst, wie das letzte Mal, werde ich dich das nächste Mal töten!«, drohte ich ihm, doch er lächelte nur.
»Das nächste Mal? Jetzt weiß ich, dass ich dich quälen werde, damit du das nächste Mal zum Zug kommst.«
»Das wagst du nicht!«
»Und ob!«
Er biss mir in den Hals, um gleich darauf die Stelle mit seiner feuchten Zunge zu liebkosen. Gott, der Mann machte mich verrückt und ich war schon wieder so weit. »Und wie ich dich heute quälen werde«, flüsterte er mir ins Ohr und zog mich zu seinem Haus. Äh! Villa oder Schloss? Was wusste ich.
Nachdem er aufgeschlossen hatte, schob er mich rein, um mich gleich, an die eben geschlossene Tür zu drücken und mich mit dem ganzen Körper für sich zu beanspruchen. Seine Hände fuhren unter mein Shirt und suchten meine Brustwarzen. Die er kräftig zusammendrückte. Der kurze Schmerz ließ mich aufschreien.
»Das, mein Lieber, ist eine kleine Kostprobe, von dem, was du heute zu spüren bekommst.«
Mir war es egal, was er mit mir machte. Hauptsache er machte etwas mit mir. Ich war so begierig auf seine Hände, auf seine Berührung und Liebkosung, dass es mir wirklich egal war, wie er mich bis zum Wahnsinn trieb. Er schob meine Beine auseinander, fasste mich am Hintern und hob mich hoch. Die Beine schlang ich um seine Hüfte und spürte sehr deutlich, seine Erektion. Dies ließ mich wieder wohlig aufstöhnen.
»Hmm, du bist schon ganz schön hart.«
»Seit ich dich verlassen habe, laufe ich so rum.«
»Du lügst!«, flüsterte ich und küsste seinen Hals, bis hinauf zum Ohr mit dem Ohrring. Nahm sein Ohrläppchen zwischen die Zähne und biss kurz zu. Kyel reagierte darauf und drückte mich fester gegen die Tür. Aber ich ließ nicht von ihm ab, sondern zog mit den Lippen an seinem Läppchen, dann befeuchtete ich die gereizte Stelle mit meiner Spucke und strich mit der Zunge darüber. Diesmal griff er mir fest in den Schopf, suchte meinen Mund und biss mir kräftig in die Lippe. Hämisch grinste er mich an.
»Mein Kleiner, du bist noch nicht so weit, um die Führung zu übernehmen. Bis es so weit ist, wirst du nichts unternehmen, um mich so heiß auf dich zu machen.«
Ich wollte ihm schon widersprechen, als ich spürte, wie er wieder an meinem Schopf zog, dass mein Kopf nach hinten gezogen wurde und ich, durch die Wucht, fast den Halt verlor. Während er kräftig in meinen Adamsapfel biss, um danach, entschuldigend, mit seiner Zunge darüber zu lecken.
Wie ein kleines Äffchen umklammerte ich ihn und er trug mich in sein Schlafzimmer. Er schmiss mich aufs Bett und machte sich sogleich an meiner Hose zu schaffen.
»Ich werde dich heute so fertig machen, dass du nur noch nach Erlösung schreist.«
»Das hatten wir das letzte Mal auch.«
»Oh nein, diesmal wirst du schreien, heulen und mich anflehen, dass ich aufhöre«, er grinste böse. »Ich werde dir dein Pokerface schon austreiben.«
Es sagte die Wahrheit, denn was ich dann erlebte, war der Himmel und die Hölle zugleich. Mein erster Orgasmus kam schnell. Und ich fragte mich, warum er mich so schnell hatte kommen lassen. Doch weiter kam ich nicht. Er leckte mir den Samen vom Bauch und knetete nebenbei meine Hoden. An dieser Stelle bat ich ihn, zum ersten Mal, aufzuhören.
Schmerz durchzog meinen ganzen Körper. Der, nachdem ich mich daran gewöhnt hatte, meine Lust wieder steigerte, nur diesmal empfand ich es viel intensiver und ich rieb mich in seiner Hand.
»Ja, so ist es gut. Finde deinen eigenen Rhythmus. Mach es mit meiner Hand!«
Ich spürte, wie die ersten Tränen Richtung Hals wanderten, doch ich konnte nicht aufhören, wollte wieder die Erlösung spüren. Die dann nicht allzu lange auf sich warten ließ. Diesen Orgasmus schrie ich buchstäblich aus dem Leib. Doch Kyel schob sich zwischen meine Beine und gab mir keine Pause. Wieder knetete und rieb er mein abgeschlafftes Glied.
»Noch mal kann ich nicht!«, keuchte ich.
»Doch! Du kannst und du wirst! Denke einfach daran, dass es jetzt erst der Beginn des Sexes ist.«
Seine Augen blickten mich kalt an und doch sah ich darin den Schalk aufblitzen.
»Du schaffst das schon.«
»Jetzt weiß ich, was du gemeint hast. Du lässt mich wirklich leiden.«
»Einen Dritten schaffen wir noch.«
Ich wusste es nicht, sank zurück auf das Kissen und schloss meine Augen. Ich spürte nur noch, dass alles, unten herum, brannte und dass mich sein Mund auf bestialische Weise zucken ließ. Ich schrie, bei jedem Pump, den er bei mir machte, auf und spürte das wohlbekannte Ziehen in meinen Lenden. Auch meine Härte stellte sich wieder ein und er küsste meine Eichel. Leckte den Lusttropfen weg und umschloss mich wieder. Ich konnte nicht glauben, was mir da passierte. Normalerweise konnte ich nach einem Orgasmus nicht mehr, doch Kyel schaffte es, mich immer wieder hochzupuschen.
»Bitte hör auf!«
Kyel ignorierte mich und nahm meinen Schwanz wieder in den Mund. »Hör auf, ich spüre nichts mehr. Es tut nur noch weh!«, flehte ich und doch war das kein Schmerz. Es war die pure Lust. Die Lust, die aufkam, wenn man an den Rand der eigenen Möglichkeiten kam und diesen überschritt.
»Du bist hart und steif. Ich kann nicht aufhören, wenn dein Schwanz so unbefriedigt ist.«
»Bitte …«
»Entspanne dich!«, hörte ich ihn und spürte, wie er einen Finger in mich reinschob. Wonach sogleich der Zweite folgte und ich unter der Dehnung wieder aufkeuchte, was schon eher, ein Schreien war. Ich schrie wirklich nur noch. Ich spürte nicht einmal, wie er mit einem Stoß in mich eindrang. Fest umschlang ich ihn und krallte mich in seine Haare. Ich wollte nur noch, dass die brutale Lust aufhörte. Ich schrie und wimmerte und meine Tränen rannen unaufhaltsam in das Kissen.
»Ja, das ist der Schmerz der Lust, mein Kleiner.«
Seine Stöße waren sanft, und jedes Mal, wenn er meine Stelle erwischte, vergaß ich den Schmerz, den er mir zugefügt hatte, und genoss nur noch den kommenden Höhepunkt. Ich weinte, schrie und keuchte den Orgasmus raus. Mein Körper wollte sich nicht mehr beruhigen und mir war, als ob er nie aufhören wollte. Ich zuckte unter Kyel. Er glitt aus mir raus. Hob mich auf seine Knie, umarmte mich und streichelte mir über den Rücken. Seine Stimme und sein gutes Zureden erleichterten es mir, den heftigen brutalen Höhepunkt zu verarbeiten.
»Nie wieder!«, schluchzte ich. »Nie wieder!«
Ich schmiegte mich an seine Schulter und ließ meinen Tränen freien Lauf. Immer noch beruhigte er mich und küsste meine Stirn. Suchte meinen Mund, liebkoste ihn und meinen Hals, während er gleichzeitig, mit seinen Händen, über meinen Rücken strich. »Ich möchte schlafen«, murmelte ich und er lockerte seinen Griff, doch ich krallte mich wieder an seinem Rücken fest. »Hier, so wie ich jetzt bin. Ich kann mich nicht mehr bewegen.«
»Schon gut. Bleib so.«
Etwas Helles drang durch meine Lider und ich versuchte vergebens, die Augen zu öffnen. Von irgendwoher vernahm ich Kyels ruhige und sanfte Stimme. Da ich sonst niemanden hörte, schien er zu telefonieren. Ich atmete tief ein und blinzelte. Es war früher morgen und ich schaute mich erst einmal in seinem Schlafzimmer um.
Hier standen definitiv keine Möbel von Ikea. Sie sahen aus wie eigens für ihn gefertigt und das jedes Teil ein Einzelstück war. Mein Blick blieb an dem übergroßen Flachbildschirm haften. Der Fernseher war fast so groß, wie eine Wand im Wohnzimmer meiner Eltern. Ausgesprochen übertrieben. Also mit so einem Fernseher brauchte man nicht mehr ins Kino zu gehen. Ich schmunzelte in mich hinein. Warum war ich so sprachlos? Schon der Jaguar sagte aus, dass Kyel Geld hatte, außerdem gehörte ihm die Firma, in der mein Vater arbeitete. Also sollte ich mich nicht wirklich, über diese Raumausstattung, wundern.
Ein mir bekannter Klang ertönte. Ich hüpfte aus dem Bett und wunderte mich, dass ich nach dieser Nacht schon wieder so fit war. Schnell suchte ich meine Hose und holte das Handy heraus. Es war nur der Weckton, den ich abstellte, während ich meine Unterhose suchte. Nachdem ich sie gefunden hatte, durchstöberte ich seine Schränke. Irgendwo musste er doch Handtücher haben. Auch wenn ich seinen Duft und seinen Saft nicht von mir abwaschen wollte, so wollte ich dennoch eine erfrischende Dusche nehmen. In dem Schränken waren nur seine Designer Anzüge und andere Klamotten. Selbst einen eigenen Schrank mit Schuhen konnte er vorweisen. Da sah ich mit meinem einzigen Paar, ausgelatschter, Turnschuhe, schon wirklich arm aus. Schließlich fand ich die Tür zum Badezimmer und trat ein.
»Du meine Güte!«, pfiff ich. »Was ist denn das?«, murmelte ich. Das Badezimmer war fast so groß wie das städtische Schwimmbad. Nun okay, wohl doch nicht so groß. Aber immerhin. In dem Bad befand sich ein Whirlpool, in dem mindestens fünf Personen Platz hatten und eine Eckbadewanne. Eine sehr komfortable Dusche mit Massagedüsen. Zwei Waschbecken, ... wow, plötzlich ging meine Fantasie mit mir durch. Ich sah Kyel an einem Waschbecken stehen, wie er in den Spiegel schaute und sich rasierte.
Schnell schüttelte ich dieses Bild ab und betrachtete das Bad weiter.
»Hier kannst du sagen, wer die Wahl hat, hat die Qual. - Dieser Mann hat definitiv Geld und das nicht viel, sondern massenweise.«
Links neben dem Whirlpool fand ich wieder eine Tür und öffnete sie. Bingo! Ich hatte die Handtücher, Waschlappen, Bademäntel und viele, viele Shampoos, Duschgels und Pflegeprodukte gefunden. Sarah würde sich hier wie im siebten Himmel fühlen und erst nach drei Jahren wieder rauskommen. Ich betrat die kleine Kammer und nahm mir ein blaues Duschgel, auf dem ein silberner Hase abgebildet war sowie ein Badetuch. Danach stieg ich in die Dusche und drehte sie auf, sofort kam angenehm warmes Wasser. Nicht so wie bei mir daheim, wo man erst Stunden warten musste, bis das Wasser nur einen Hauch von etwas Wärme aufwies. Ich trat unter den sanften Strahl und spürte, wie sich ein Grinsen in mein Gesicht stahl. Das hier war Komfort und Luxus pur.
Nach dem Duschen zog ich die Jeans an und musste mir eingestehen, dass sich das gar nicht so schlecht anfühlte, so ganz ohne Unterhose. Trat in den Flur, beziehungsweise dachte ich, dass es wie bei mir daheim wäre, stattdessen, befand ich mich im Wohnzimmer. Wie in aller Welt hatte er es geschafft mich in das Schlafzimmer zu bringen, ohne das ich die ganzen Räumlichkeiten mitbekam? Ich schüttelte den Kopf. Weiter hinten, da musste wohl die Küche sein, vernahm ich seine Stimme und ein Klappern. Für mich hörte es sich so an, als ob er Teller auf einem Tisch abstellte und ich machte mich auf den Weg dorthin.
Kyel stand mit dem Rücken zu mir, schon vollständig bekleidet und telefonierte. Ich lehnte mich an den Türrahmen und beobachtete ihn wie er neben Kaffee trinken, Krawatte binden, das Handy von einem Ohr zum Nächsten wechseln, noch den Frühstückstisch deckte.
»Nein, sagen Sie Mr. Taroma, dass ich mit meinem Angebot nicht noch weiter runtergehe. Entweder ist er gewillt zu kaufen oder ich muss mein Angebot dem nächsten Interessenten unterbreiten.«
Er sah mich, kam auf mich zu, strich kurz mit seinen Fingern über meinen nackten Oberkörper, legte sein Handy auf die Schulter, so das der oder die am anderen Ende der Leitung nichts mitbekam und drückte mir einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen. Wie automatisch öffnete ich meinen Mund und ließ ihn rein. Meine Sinne schnellten von null auf keine Ahnung wohin.
»Guten Morgen!«, hauchte er mir zu und nahm sein Handy wieder ans Ohr. »Ja, dann berichten Sie es Mr. Taroma so weiter. Danke.«
Er klappte das Handy zu und legte es neben die Kaffeemaschine. »Kaffee?«, fragte er und ich nickte. »Wie ich sehe, hast du alles Nötige gefunden.«
Ich zuckte mit den Schultern und schon huschte ein Lächeln über seine Züge.
»Alles, außer einer frischen Unterhose.« Sein Lächeln wurde breiter.
»Keine Unterhose, soso!« Ich grinste und schüttelte den Kopf.
»Sorry, ich habe keine Zeit mehr, muss gleich in die Schule.« Er blickte auf seine Armbanduhr, die ich zum ersten Mal sah.
»Hm, bis Schulbeginn sind es noch fast 45 Minuten und mich erwarten sie auch erst so um zehn in der Firma.«
»Du hast gut reden. Langsam kenne ich deine Sexpraktiken, die dauern länger als nur 45 Minuten!«, er lachte und stellte mir eine Tasse mit dampfendem Kaffee hin. »Außerdem muss ich vorher noch Heim. Ich brauche ein frisches Shirt und eine frische Unterhose.«
»Das wirst du nicht mehr schaffen. Von hier bis zu dir nach Hause brauchst du mit dem Auto fast eine Viertelstunde und mit dem Bus noch länger. Ich leihe dir ein Shirt und eine Unterhose, wenn du mir versprichst, dass ich sie dir wieder ausziehen darf.«
»Du bist unverbesserlich!«
»Nein, nur realistisch. Ich will doch nicht, dass du meinetwegen noch zu spät zum Unterricht kommst.« Ich erwiderte nichts darauf und nippte an der Tasse.
Kyel fuhr mich später zur Schule. Nicht ganz, den auf meinen Wunsch hin, ließ er mich, ein Stück entfernt, aussteigen. Wenn auch nur widerwillig, aber ich erklärte ihm, dass es besser wäre, wenn niemand sah, dass ich aus seinem Jaguar stieg. Einen Vorwand, dass ich in das Auto gestiegen war, hatte ich, aber wenn jemand mitbekam, wie ich einen Tag später, aus demselben Auto ausstieg, wäre das Gerede gleich riesengroß.
Ich sah, dass Sarah sich an Davids Arm eingehakt hatte und ihn abturnend, verliebt ansah. Automatisch wollte ich resigniert schnauben, besann mich aber gleich und fuhr meine Emotionen so weit runter, dass sie bis unter den Gefrierpunkt sanken. Ohne guten Morgen oder sonst irgendeine Begrüßung ging ich an den beiden vorbei.
»Hey Sascha, warte!«, rief mich Sarah zurück. Ich blieb stehen und drehte mich langsam zu ihr um. David ignorierte ich. »Wo warst du gestern? Mom ist stinksauer auf dich, weil du deine Arbeit nicht erledigt hast.«
»Und?«
»Was und? Ich durfte deinen Dreck erledigen!«
»Und?«
»Du kotzt mich an, weißt du das?«
»Wen interessiert’s …?« Ich drehte mich von ihr weg und ging weiter.
»Ich sage Dad, dass du heute Nacht nicht daheim warst!«
»Ich war daheim, nur du bekommst ja nichts mit, nicht einmal, wenn man es dir direkt an deine Stirn tackert.«
»So? Wo warst du dann heute früh beim Frühstücken?«
»War schon unterwegs!«
Der Unterricht verlief wie immer, langweilig. Die Pausen waren auch wie immer, und solange mich keiner beachtet, ging alles reibungslos über die Bühne. Nach der Schule lief ich wieder Heim und mein Handy ertönte, es war der SMS-Klingelton. Ich holte es aus meiner Tasche und schaute auf den Absender. Der war mir unbekannt. Und dennoch öffnete ich sie. Vielleicht war es ja Kyel, der mir von einem anderen Handy aus, etwas geschickt hatte.
»Ich weiß, was du letzte Nacht getan hast, Schwuchtel!«
Abrupt blieb ich stehen und öffnete den Anhang. Ich sah mich, wie ich dabei war, in den Jaguar zu steigen und eine Hand auf meinem Rücken lag. Meine Knie wurden weich. Ich löschte es sofort und gleich darauf kam eine neue Nachricht mit demselben Absender.
»Da du ja keinen abkriegst, musst du dich verkaufen, oder was? Ich hoffe, dir hat es gefallen, wie du der reichen Tunte deinen Arsch hingehalten hast. Vorstellungsgespräch, so nennt man das also. Du Hure!«
Sofort schoss mir David durch den Sinn, aber ich konnte es nicht glauben. Er war zwar fies und beleidigend, aber so. Schon kam die Nächste, wieder mit Anhang.
»Schwuchtel, du hast es so nötig!«
Las ich und öffnete das neue geschickte Bild. Geschockt. Das Bild war keine Minute alt. Es zeigte mich, wie ich auf mein Handy guckte. Ich blickte mich um, doch ich sah niemanden, den ich kannte. Beziehungsweise jemanden, der sich auffällig verhielt.
Ich wurde beobachtet, das konnte doch nicht sein. Wieder schaute ich mich um und mein Handy klingelte erneut. Mein Herz raste und ich öffnete die Nachricht.
»Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken. Aber ich ertrage es nicht, dass du mich hintergehst.«
»Was sollte das denn?«, fragte ich mich und klappte das Handy zu. Ich schaltete es aus und steckte es in die Hosentasche. Den ganzen Weg nach Hause beschäftigten mich die Nachrichten. Wer war der irre Typ? Und warum und überhaupt ... doch als ich um die Ecke in meine Straße bog, sah ich den Jaguar vor unserer Haustür stehen. Sofort machte mein Herz Überstunden, die SMS waren vergessen und ich schloss auf.
»Das geht nicht, Mr. Kastner. Wir können unseren langjährigen Kunden nicht abschießen, nur weil unser Angebot für ihn etwas zu hoch ist. Das ist nicht gut fürs Geschäft!«, hörte ich meinen Vater in der Küche reden.
»Dennoch, das Objekt hat den dreifachen Wert von dem, was uns Mr. Taroma bezahlen will. Ich muss auf mein Geschäft schauen und kann es mir nicht leisten, Mitgefühl für einen Kunden zu zeigen, der momentan nicht gut bei Kasse ist. Ich muss an die langjährige Entwicklung denken oder soll ich meinen Angestellten unter die Augen treten, um ihnen mitzuteilen, dass ich rationalisieren muss, weil ich zu weich geworden bin?! Dieses Mal ist es Taroma und beim nächsten Mal?«
»Mr. Taroma hat uns nie in Stich gelassen und hat uns auch immer unter die Arme gegriffen.«
»Mr. Fleischhauer, ich kann diesem Geschäft nicht zustimmen, egal ob er schon ein langjähriger Kunde ist oder nicht. Er bezahlt den ausgehandelten Preis oder ich sehe mich gezwungen einen anderen Käufer zu finden. Der den Wert des Objektes zu schätzen weiß und bereit ist, diesen Preis zu bezahlen.«
»Das ist dann der Untergang für Taromacorp.«
»Was glauben Sie, wie ich so weit gekommen bin. Mit Mitleid? Wohl kaum. Wie ich es schon beim letzten Meeting angesprochen habe, wir müssen auf unser Geschäft schauen und nicht auf das der anderen. Ich kann es mir nicht leisten, noch mehr Miese zu machen. Meine Gutmütigkeit, gegenüber Taroma ist ausgeschöpft. Er bezahlt die Objekte unterm Preis und verschachert sie, fünfmal so teuer, weiter. Meine Geduld ist zu Ende und selbst Sie sollten es erkennen. Sie sind mein Finanzberater!« Ich blickte kurz rein.
»Auch wieder da? Wo warst du heute Nacht?« Ich schluckte und trat in die Küche.
»Daheim!«
Kyel hielt sich die Finger an den Mund, um ein Grinsen zu unterdrücken.
»Wohl kaum!«
»Doch war ich. Bin ziemlich spät nach Hause gekommen und heute früh bald wieder raus.«
»Du weißt schon, dass Mutter dir Hausarrest aufgebrummt hat.« Typisch Dad, obwohl er ein Verfechter von ›wir sind, eine ordentliche Familie und alles Interne soll nicht nach außen getragen werden‹ war, musste er es, vor einem Fremden lauthals rausschreien, dass ich Stubenarrest hatte. Einfach unmöglich.
»Hmm kann mich aber daran erinnern, dass ich ihr deswegen widersprochen habe«, antwortete ich emotionslos.
»Du kannst von Glück reden, dass du gestern ein Vorstellungsgespräch hattest, sonst würde ich dir jetzt die Leviten lesen.«
»Vorstellungsgespräch?«, fragte ich verdutzt.
»Sehen Sie?«, wandte er sich Kyel zu. »Er teilt mir nicht einmal mehr mit, wenn er einen wichtigen Termin hat«, wechselte mein Vater vom deutschen ins englische.
»Woher weißt du davon?«
»Von David, er hat es zufällig gehört.«
»Ja stimmt.« Ich erinnerte mich, wie er mir hinterhergegangen war, um mir eine Lektion zu erteilen.
»Und wie ist es ausgegangen?«
»Ich bin danach ins High Skills gegangen.«
»Also nein!«
»Nein!«
»Warum ist daraus nichts geworden?«
»Bin zu begabt. Sie suchen jemanden, der etwas weniger horizontal denkt.«
Ich blickte kurz zu Kyel, der zum Fenster gegangen war und so tat, als ob er rausschauen würde. In Wirklichkeit musste er mit aller Kraft einen Lachanfall unterdrücken.
Mein Vater verstand die Andeutung nicht, aber sein Blick verriet mir, was er von mir hielt. Nämlich gar nichts. Wie sollte auch ein Schwuler in der Arbeitswelt vorankommen. Überhaupt im Leben und im Umkreis seiner Familie und Freunde. Diese Abneigung, dieses Vorurteil und wie ich es gerne nannte, diese anerzogene Ablehnung zeigte er mir wieder einmal sehr deutlich.
»Hmm, dann würde ich sagen, dass Sie, Mr. Fleischhauer, Ihrem Vater, Ihre Bewerbung geben. Ich könnte jemanden gebrauchen, der etwas horizontal denkt und auch praktisch senkrecht, seine Sache darlegt. Horizontal Denkende fehlen mir noch!«, mischte sich Kyel ein und seine Mundwinkel zuckten.
»Mr. Kastner, Sascha hat absolut keine Kenntnis auf diesem Gebiet. Sein Geschick liegt in der Informatik und nicht im Außenhandel«, entgegnete mein Vater, der gar nichts gecheckt hatte und ich sah, dass Kyels Züge sich wieder glätteten. Was eine große Erleichterung für mich war, denn ich glaubte kaum, dass ich die Fassade des Unnahbaren noch länger durchgehalten hätte.
»Soviel ich weiß, macht unser derzeitiger Lehrling, Mr. Naritim, in Fachinformatik Fachrichtung Systemintegration nächstes Jahr seinen Abschluss.«
In meinem Vater brodelte es, das sah ich ihm ganz genau an. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, warum er innerlich kochte. Immerhin war ich schwul und so einer konnte unmöglich in einer namhaften Firma anfangen. Leider konnte ich mich in gewisser Weise über dieses Jobangebot nicht freuen, da ich ein sexuelles Verhältnis mit dem Chef der Firma hatte.
»Es ist ja alles gut und schön, dennoch möchte ich mir meinen Job selbst aussuchen. Ich denke, dass es ziemlich viele Vorurteile gibt, wenn herauskommt, dass mein Dad im Vorstand ist. Ich möchte keinen vorgekrümmelten Weg gehen. - Es hat mich gefreut Sie wiederzusehen, Mr. Kastner und auf Wiedersehen.«
»Ich finde Ihre Einstellung bemerkenswert, Mr. Fleischhauer. Ich würde mich freuen, wenn Sie es sich anders überlegen würden, ansonsten wünsche ich Ihnen viel Glück auf Ihrem kommenden Lebensweg.«
»Danke, Mr. Kastner!«
In meinem Zimmer schmiss ich mich aufs Bett und schaltete das Handy ein. Drei ungelesene Nachrichten und alle von der Nummer, die ich nicht kannte. Was sollte das schon wieder? Tief in mir rang ich darum, ob ich diese Benachrichtigungen öffnen sollte, was ich nach langer Überlegung nicht tat. Ich stieß mich innerlich an und wählte die Nummer.
»Dienst oder Dienstmerkmal nicht vorhanden …«, ertönte eine blecherne Frauenstimme und ich klappte mein Handy zu.
»Na toll! Ich bekomme SMS und Bilder von einer Nummer, die gar nicht existiert.«
Ruckartig stand ich vom Bett auf und schaltete meinen PC an. Wie immer checkte ich die Mails, dass schon zur Gewohnheit gehörte, und traute meinen Augen kaum. Auch hier hatte ich drei Mails von dem Absender, der mir letztens sein Outing geschickt hatte. Also war das keine Fakeadresse. Ich öffnete die Erste. In der Mail war das Foto, das ich schon aufs Handy geschickt bekommen hatte. In der Zweiten waren nur Beschimpfungen und in der Dritten war ein Satellitenfoto von Kyels Villa. Wo Kyel und ich uns eng umschlungen küssten.
Schweiß brach auf meiner Stirn aus. Mein Herz konnte sich gar nicht mehr beruhigen.
»Das gibt’s nicht!«, flüsterte ich und zoomte das Bild größer. Ohne Zweifel, das waren wirklich Kyel und ich.
»Sie haben eine Mail!«, ertönte es aus den Lautsprechern und ich erschrak. Ein Klick auf das Postfach und wieder war da eine Nachricht von der Fakeadresse. Auch wenn ich es nicht wollte, so öffnete ich diese und las.
›Ich sehe, dass du am PC sitzt und meine Mails abrufst. Auch weiß ich, dass du versucht hast, mich anzurufen. Lass das in Zukunft sein. Ein Sub hat sich nicht an seinen Herrn zu wenden!‹
»Was?«, durchfuhr es mich und ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Der Kerl beobachtete mich. Ich blickte aus dem Fenster und dann las ich weiter.
›- Ich will, dass du morgen in der Pause auf die Jungentoilette im zweiten Stock gehst. Dort ist eine Kabine, die mit roter Farbe bemalt ist, geh rein und warte!‹
»Der spinnt doch!«
›Solltest du dieser Anweisung nicht nachkommen, wird das Satellitenbild von seiner Villa, mit ihm und dir, bei all seinen Kunden auf dem Computer zu sehen sein. Auch solltest du vermeiden es ihm zu sagen. Ich verbiete dir, für ihn noch einmal deine Beine breitzumachen, wie eine Hure. Ich habe dich all die Zeit in Ruhe gelassen, weil ich weiß, wie verletzt du bist, aber wie kannst du mich einfach so hintergehen. Mich, der die ganze Zeit als Einziger für dich da war.
Du hast deinen Herrn erzürnt und wirst dafür bestraft.‹
»Was für einen Herrn, was will der Irre von mir?«, flüsterte ich, denn meine Stimme versagte.
Die E-Mails klickte ich weg. Keuchend rang ich nach Atem, der Schweiß hatte sich auf meinem ganzen Körper ausgebreitet und Adrenalin durchfuhr meine Glieder. In diesem Moment wollte ich nichts mehr, als in die Küche zu rennen und mich in Kyels Arme werfen.
Ich krachte zu Boden und konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Mir wurde schlecht und ich hatte schwarze Punkte vor den Augen. Ich war wieder allein. Immer wenn ich jemanden brauchte, war ich allein.
Ich wusste, nicht wie lange ich zusammengekrümmt auf dem Boden lag und nach Atem rang.
»Gott, Sascha!«, hörte ich von sehr weit die warme, sanfte Stimme, die ich so sehr vermisste.
»Was ist hier los!«, polterte mein Vater und ich hörte, wie er scharf die Luft einzog. »Herrgott! Führ dich nicht so auf!«
»Mr. Fleischhauer seien Sie bitte so freundlich und rufen einen Krankenwagen!«
»Sascha spielt nur. Er will nur Aufmerksamkeit erregen«, hörte ich wieder meinen Vater, mein Denken stellte sich ein und nur mein Körper reagierte auf seine harten Worte und krampfte sich zusammen.
»Ma … Mails … Schau in die Mails …!«, murmelte ich in meiner Muttersprache. Kyel beugte sich weiter zu mir runter.
»Was hast du gesagt? Das war deutsch.«
Mein Gehirn setzte aus und ich vergaß die Wörter in Englisch. Vor zehn Jahren waren wir nach Amerika ausgewandert und seitdem hatte ich nie irgendwelche Probleme mich zu verständigen. Nicht einmal mit David, der mir mehr oder weniger die englische Sprache beigebracht hatte und nun lag ich da und hoffte, dass er diese paar Wörter in Deutsch verstand.
»Sehen Sie Mr. Kastner. Er hat irgendwas mit seinem Computer. Dem geht es gut.«
»Mails …«, flüsterte ich und mein Mund war trockener wie die Wüste.
Kyel stand auf und trat an den PC. Ein kleiner Klick mit der Maus und dann vernahm ich, wie Kyel scharf die Luft einzog. Mein Vater war wieder aus dem Zimmer verschwunden und ich hörte Stimmengewirr auf dem Flur. Der Verlust der warmen Hände auf meinem Körper gab mir den Rest. Warum waren die Momente, in denen ich alleine war, für mich so grausam. Dann wurde es dunkel.
Es war für mich ein Schock, ihn zitternd auf dem Boden liegen zu sehen. Sein Gesicht war fahl, blass und ein feiner Schweißfilm bewirkte, dass er transparent aussah. Mein Herz zog sich zusammen. Ich sprach ihn an, seine Augen bewegten sich in meine Richtung, er murmelte etwas von Mail, mehr verstand ich nicht. Er brachte keinen Ton raus. Mr. Fleischhauer kam rein, ich hörte, wie er schnaubte, und bereitete mich schon seelisch darauf vor, ihn beruhigen zu müssen. Aber nichts. Der Mann sog die Luft ein und meinte, dass sein Sohn nur simuliere. Was für ein Vater. Langsam bewunderte ich Sascha, konnte mir vorstellen, warum er auf jeden und alles abweisend reagierte. Unnahbar, kühl und dennoch freundlich.
Ich fragte ihn, was er gesagt hatte und wieder funkte Mr. Fleischhauer dazwischen. Sah er denn nicht, dass es seinem Sohn gar nicht gut ging? Dass irgendetwas diesen Zusammenbruch ausgelöst hatte.
Seine Maske bröckelte. War ich daran schuld? War ich wirklich daran schuld, nur weil ich wollte, dass er mir den wahren Sascha zeigte, den Menschen, der sich hinter dieser unüberwindbaren Fassade versteckte?
»Mail«, krächzte Sascha und ich blickte zu seinem Computer. Der Bildschirmschoner hatte sich aktiviert und ich stand auf. Meine Hand war schweißnass. Ich wischte sie mir erst einmal am Jackett trocken, bevor ich die Maus betätigte und die minimierten Mails anklickte. Ich sog scharf die Luft ein. Ein Satellitenbild von Sascha und mir. Sofort drückte ich es weg und las den Inhalt.
›Sascha ist ein Sub? Aber? … aber hatte er nicht gesagt, dass es sein erstes Mal war?‹
Hatte er mich angelogen? Nein, dann würde er mich die Mails nicht lesen lassen.
›Solltest du dieser Anweisung nicht nachgehen, wird das Satellitenbild von seiner Villa mit ihm und dir, bei all seinen Kunden, auf dem Computer zu sehen sein. Auch solltest du vermeiden, es ihm zu sagen. Ich verbiete dir, für ihn noch einmal deine Beine breitzumachen, wie eine Hure.‹
Diesen Satz las ich ein paar Mal durch und schickte mir die Mail auf meinen Rechner. Der Typ hatte sich mit dem Falschen angelegt. Außerdem richtete ich auf die Schnelle noch eine verschlüsselte Mailumleitung ein. ›Ich werde diesen Kerl zur Strecke bringen.‹
Inzwischen hörte ich das Martinshorn. Mr. Fleischhauer hatte anscheinend doch den Krankenwagen gerufen und ich trat auf den Flur raus.
Der blonde Typ von gestern, starrte mich aus großen Augen an und am liebsten hätte ich ihm meine Meinung mit der Faust gegeigt. Doch ich beruhigte mich, weil Sarah geschockt an seinem Arm hing und zu Sascha blickte, der sich nun gar nicht mehr rührte. Seine Mutter schob sich an mir vorbei, kniete sich vor ihm hin und rief:
»Gott, Sascha, was ist mit dir? - Er ist so weiß und heiß ist er auch!«
Endlich kam der Notarzt und ich führte ihn in Saschas Zimmer. »Wo ist der Vater?«, fragte ich mich kurz und wie auf Abruf kam er um die Ecke und richtete seine Krawatte.
»Loren, du kümmerst dich darum? Ich muss in die Firma …!«, schnauzte er. Keine Sorge war in seiner Stimme zu hören. Sein Sohn lag ohnmächtig auf dem Boden und er faselte etwas von der Firma.
Was in die Firma? Was war mit der Firma und ich zog mein Handy heraus. Kurz checkte ich Anrufe oder SMS, doch keine war von der Firma. Mit der Firma war nichts. Warum also musste er in die Firma? In dem Augenblick, wo es seinem Sohn so schlecht erging. Mr. Fleischhauer schien mich vergessen zu haben. Nicht nur das, er sah aus, als ob er aus einer unangenehmen Situation zu fliehen versuchte und sein Verschwinden mit einem Notfall in der Firma abtat. Was für ein Vater.
»Der Puls ist zu niedrig, die Herzschläge zu hoch. Sein Blutdruck ist zu niedrig. Zufuhr von Sauerstoff …!«
»Was ist? Was ist mit meinem Sohn?«, fragte die Mutter zitternd, die Richtung Bett gedrängt wurde. Weil es einfach zu viele Leute für diesen kleinen Raum waren.
»Ich schätze, dass er eine akute Belastungsstörung hat. Aber um es richtig festzustellen, muss er im Krankenhaus näher untersucht werden.«
»Sie meinen er hat einen Schock erlitten!«, fragte ich und hoffte, mit meinem schwachen Medizinwissen, richtig zu liegen, aber anhand der Mail, konnte ich eigentlich eins und eins zusammenzählen.
»So was in der Art. Ja.«, antwortete mir der Notarzt. »Wer sind Sie? Gehören Sie zu der Familie?« Ich verneinte es.
»Ich habe mich in der Tür geirrt und ihn auf dem Boden liegen sehen«, kam es über meine Lippen. Warum sollte ich gleich mit der Tür ins Haus fallen und sagen, dass ich nur in sein Zimmer ging, weil ich mir noch schnell einen Kuss klauen wollte.
»Also! Sie kennen ihn nicht?«
»Nur flüchtig.«
»Mr. Kastner war wegen meines Mannes hier«, mischte sich die Mutter ein.
»Ah und Sie sind?«
»Loren Fleischhauer. Ich bin die Mutter von …!«
Weiter kam sie nicht, da der Notarzt sofort mit seiner Bestandsaufnahme weitermachte.
»Und wie heißt der junge Mann?«
»Sascha Fleischhauer. Er ist 18 ...!«
»Hat er das öfters?« Sie schüttelte den Kopf.
»Gab es vorher schon Anzeichen, wie Schweißausbrüche, Gefühlsschwankungen, Niedergeschlagenheit oder Depressionen?«
Die Mutter verneinte alles. Das war doch unglaublich. Es sah doch ein Blinder, dass er unter ständigem Stress litt.
»Gab es oder gibt es irgendwelche Probleme in der Schule oder im Bekanntenkreis, die ihm zu schaffen machen?«
Wieder verneinte sie es und ich spürte, wie mein Zorn auszubrechen drohte. Unglaublich, einfach unglaublich. Ich konnte es nicht fassen. Es war doch unübersehbar, dass Sascha eine Teufelslast mit sich herumtrug … drängte sich wieder der Gedanke hoch.
Ich konnte es nicht mehr ertragen und wandte mich von diesem Gespräch ab. Sascha lag in der Zwischenzeit auf einer Trage und in seinem Arm steckte eine Nadel, die an einem Beutel angeschlossen war. Ein Sanitäter hielt den Beutel hoch und die anderen hoben die Trage an.
Ich konnte nicht anders, als Sascha aus der Wohnung gebracht wurde, blieb ich vor David stehen und musterte ihn. Der blickte den Sanitätern hinterher und sah irgendwie geschockt aus. Nichts deutete darauf hin, das es Berechnung war, dass er es ihm zufügen wollte. Ich konnte mich aber auch irren.
Sarah war zu ihrer Mutter geeilt, um ihr etwas Kraft zu spenden. Das war ein Schauspiel der höchsten Klasse.
»Wenn du dich fragst, warum es Sascha so erging, dann horch mal in dein Innerstes. Vielleicht bist sogar du der Auslöser gewesen«, flüsterte ich in sein Ohr. Es dauerte einen kurzen Moment, bis er registrierte, dass ich vor ihm stand.
»Was?«
»27.11. ich glaube, das Datum kennst du.«
»Was meinen Sie?«
»An diesem Tag hat sich Sascha seinem besten Freund anvertraut, in der Hoffnung, Verständnis zu finden.« Er wurde weiß. Irgendwie erfreute es mich sogar. »Sascha hatte niemals einen Gedanken daran verschwendet, deinem jungfräulichen Arsch etwas anzutun. Denk mal genau darüber nach und rufe dir die Erinnerung an ihn zurück. Hat er jemals versucht, dir seine Liebe zu gestehen oder dich ins Bett zu kriegen? Er hat dir vertraut. Du warst sein bester Freund, nicht eine Nummer, die er flachlegen wollte … - Freundschaft und Freund kann er sehr gut auseinanderhalten.«
»Woher wissen Sie das?«
»Hm, du hast uns gestern in der Eisdiele gesehen und ich dachte, dass ihr Freunde seid, dass ihr, zur Unterstützung, zu seinem Vorstellungsgespräch mitgekommen seid. Aber dem war nicht so, oder? Ihr habt ihn verfolgt und wolltet ihm wieder für irgendetwas eine Abreibung geben. Er war nicht ganz bei der Sache, während des Gesprächs und hat immer wieder verstohlen zu euch rübergeschaut … Für jemanden wie mich war es dann leicht zu durchschauen. Keine Sorge, er hat es mir nicht freiwillig erzählt. Es bedurfte schon einiges an Überredungskunst, David.«
»Was geht Sie das an?«
»Eigentlich nichts, aber ich bin ein Mensch, der es auf den Tod nicht ausstehen kann, wenn jemand unter einem anderen zu leiden hat. Du weißt schon, das Mobbing strafbar ist. Egal ob der, der mobbt, noch ein Schüler ist oder nicht. Das Gesetz wird dich voll treffen, da du schon volljährig bist.«
Er starrte mich an und wollte schon seine jugendliche Arroganz an mir auslassen, als Sarah aus dem Zimmer kam.
»David, Mom hat gesagt, dass es Sascha schlechter geht, als es aussieht.« Schon ertönte wieder das Martinshorn. »Sie möchte ins Krankenhaus fahren, aber Dad ist gerade wieder zur Firma unterwegs. Könntest du uns nicht hinfahren?«
Ich spürte immer noch seine Blicke auf mir.
Seine Antwort bekam ich nicht mehr mit, mein Handy klingelte und ich ging ran. Da ich es nicht mehr länger in der Wohnung aushielt, ging ich, ohne mich noch einmal umzudrehen.
Mein Sekretär meldete sich und gab mir die Termine durch. Mr. Taroma wollte nun endlich mit mir persönlich sprechen und ich gab mein ›Okay‹. Im gleichen Atemzug fragte ich, ob Mr. Fleischhauer in der Firma sei, er verneinte es und meinte, dass er sich eigentlich für den restlichen Tag freigenommen hatte, weil er mit seiner Familie in einem Restaurant essen gehen wollte. Er hätte Hochzeitstag.
»Ah, so!«, sagte ich nur und legte auf.
Als ich auf der Schnellstraße zu Raoul meinem besten Freund unterwegs war, ging mir immer wieder das Verhalten der Familie durch den Sinn. Ich verstand gar nichts. Wie konnte ein Vater so abweisend gegenüber seinem Sohn sein. Wie konnte eine Mutter es ertragen, wenn der eigene Ehemann, seinen Sohn so verleugnet. War es allein nur wegen der Tatsache, dass Sascha schwul war? Ich konnte mich entsinnen, dass Markus Fleischhauer immer stolz auf seinen Sohn gewesen war. Auch Fotos zierten seinen Schreibtisch, als er noch für die Belegschaft der Bezirksleiter war. Ganz besonders, das eine Foto, wo er seinem Sohn die Schlüssel für das Moped überreicht hatte. Wie hatte Markus geglüht vor Freude und Stolz. Wie dankbar er mir war, dass ich das Moped für einen Spottpreis an ihm verkauft hatte. Und als er befördert wurde, war nichts mehr von diesem Vaterstolz zu sehen. Die einzigen Fotos, die den Schreibtisch, in seinem neuen Büro, das direkt neben meinem lag, zierten, waren zwei oder drei von seiner Frau und eins von seiner Tochter. Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, doch nun fiel es mir auf.
Von mir konnte ich immer behaupten, dass ich eine sehr gute Menschenkenntnis besaß. Deswegen konnte ich Sascha auch gleich beim ersten Mal, in der Tanzkneipe, als ich ihn persönlich sah, durchschauen. Ich wusste oder fühlte, dass mit dem Jungen etwas nicht stimmte. Als ich dann, in seine grünlich braunen Augen, die von diesen schwungvollen Brauen noch betont wurden, sah, und sie, von jetzt auf gleich, einen ganz anderen Ausdruck annahmen, war ich von ihm fasziniert. Selbst sein Mund, der noch nie geküsst wurde, verursachte in mir ein verlangendes Ziehen. Und dann, dieser kleine Ausbruch, wo er sich die Cola über die Jeans verschüttet hatte, war einfach zu köstlich. Doch je länger wir uns unterhalten hatten, umso kühler und unnahbar wurde seine Miene. Ab da, wusste ich ganz genau, dass er seine Gefühle unter einer Fassade zu verbergen versuchte und ich wurde neugierig auf ihn.
Eigentlich war das diesjährige Meeting bei Mr. Houer angesetzt worden. Aber wie der Zufall so wollte, wurde Mr. Houers Frau ernsthaft krank und ich richtete auf die Schnelle das Treffen bei Mr. Fleischhauer ein. Als Willkommensbotschaft in der Firma.
Markus war im ersten Moment etwas verdattert und entschuldigte sich dafür, dass er mit seiner Familie in einer kleinen Mietwohnung wohnte und noch nicht die Zeit gefunden hatte, sich nach etwas Besseren umzuschauen.
Mir war es egal und den anderen ebenso. Wir hatten alle klein angefangen und jeder von uns hatte eine kleine Mietwohnung bewohnt. Manche noch schlimmer. Ich erinnerte mich noch daran, dass ich, während des Firmenaufbaus, zeitweise bei Mr. Freim gewohnt oder auch manchmal im Park übernachtet hatte, weil ich so pleite war und meine Miete nicht mehr zahlen konnte.
»Herrje! Was ist denn dir für eine Laus über die Leber gelaufen. Mein Süßer, schau bitte nicht so ernst und denke an deine Falten, du willst doch nicht vorzeitig alt aussehen.«
Raoul umarmte mich, nahm mein Gesicht in die Hände und tippte mir schließlich mit dem Zeigefinger auf die Nasenwurzel. »Du siehst schrecklich aus!«, schnatterte er noch und ließ mich endlich in seine Wohnung. Er huschte sofort in die Küche und ich ging in das Wohnzimmer. Genervt ließ ich mich auf seinen Drehsessel, der wie eine offene Hand aussah, nieder und schloss meine Augen. »Hast du wieder Ärger mit der Firma?«, fragte Raoul und gab mir eine Tasse mit Kaffee.
»Nein!«, murmelte ich und rieb mir die Augen.
»Nicht? Dann Ärger mit einem Angestellten?« Ich schüttelte den Kopf. »Hmm, ne ist nicht dein Ernst!«
Ich blickte zu ihm und er schaute mich mit seiner geschauspielerten Überraschung an.
»Was?«
»Du hast dich verliebt!«
»Nicht wirklich, ich habe keine Zeit für so was!«, antwortete ich schnell. Für meine Bedürfnisse zu schnell und ich bekam sogleich die Quittung. Raoul, der mich in und auswendig kannte, grinste mich an.
»Wer ist der Glückliche!«
»Ich sagte doch, es gibt niemanden«, sagte ich bestimmend und Raoul gab sich damit zufrieden. Leider wusste ich auch, dass er deswegen keine Ruhe geben würde, bis er alles, wirklich alles wusste.
»Aber irgendetwas beschäftigt dich doch, und wenn nichts mit der Firma ist, dann muss es etwas mit deinem Herzen oder Sexleben sein.«
»Nein, es ist nichts. Ich bin einfach nur müde.«
»Hmm«, murmelte er nur und nippte an seinem Cappuccino. Ich konnte mich darauf einstellen, dass er mich ab sofort ignorierte und auf nichts mehr antwortete, geschweige denn, sich mit mir unterhielt, bevor er es nicht wusste. Er war in dieser Beziehung sehr konsequent und sein Durchhaltevermögen war beachtlich. War ich schon stur, er übertraf mich bei Weitem. Ich war schwul, aber an Raoul war wirklich ein Mädchen verloren gegangen.
Sein Schweigen und die Wand anstarren, sowie die Fingernägel zu betrachten, hielt ich, drei Schlucke, die er von seinem Cappuccino machte, durch.
»Also gut!«, schnaubte ich und stand schwungvoll auf. Der Sessel drehte sich um die eigene Achse. Ich lief in seinem geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer auf und ab. Er verfolgte mich mit seinen Augen und es kam immer noch keine Regung von ihm. In dieser Beziehung waren Sascha und er sich auf irgendeine Weise gleich.
»Ich weiß nicht, ob ich mich verliebt habe. Es ist … es ist so …«
»Verwirrend«, beendete er meinen Satz.
»Ja. Ich weiß nicht … Ich habe den Jungen gesehen und ›WOW‹. Ich meine zuerst habe ich ihn nur auf Fotos gesehen und da schon ›WOW‹. Jetzt sehe ich ihn …«
»Real«, ich nickte ihm zu, »Und wow …!«, beendete er wieder.
»Ja, verdammt …!«
»Und er hat absolut kein Interesse an dir!«
»Nee, doch, ich mein … ich weiß nicht.« Ich atmete tief ein und sortierte schnell meine Gedanken. Raoul verfolgte mich mit seinen Augen, alles andere blieb regungslos. Ich setzte mich wieder in den Drehsessel und legte meine Beine übereinander. »Raoul, der Junge wird von allen gemieden. Hätte ich es gewusst …« Plötzlich zeigte er doch eine Regung, indem er seine Augenbrauen nach oben zog.
»Du hattest schon Sex mit ihm?« Geistesabwesend nickte ich. Ich spürte plötzlich Saschas Hände auf meinem Rücken sowie seine Nägel, die über meine Haut kratzten. Mein Körper reagierte spontan auf diese Erinnerung.
»Er ist der Sohn einer meiner Vorstandsmitglieder …«, sprach ich gleich weiter, um meiner Erregung Herr zu werden.
»Und du hattest mit ihm Sex?«, wiederholte er seine Frage.
»Ja, ja verdammt!«
»Heilige Scheiße! Du hast deinen eigenen Vorsatz verletzt!«
»Darum geht es jetzt nicht!« Mittlerweile blickte er mich genau an. Ich hatte seine ganze Aufmerksamkeit.
»Und um was geht es dann?«
»Die Sache ist etwas kompliziert.«
»Noch komplizierter, als es jetzt schon ist? - Was um alles in der Welt ist noch komplizierter, als mit dem Sohn, eines deiner wichtigsten Männer ins Bett zu steigen? Der Vater hat es herausbekommen und droht dir mit dem Anwalt.« War sein halb fertiger Gedankengang.
»Nein, das ist nicht das Problem …!«
»Ja, Herr Gott Kyel, rück endlich mit der Sprache raus!«, schnaubte er und ich sog scharf die Luft ein.
»Er liegt im Krankenhaus.«
Ein undefinierbarer Laut entrann sich seiner Kehle und er drückte geschockt den Zeigefinger an die Lippen.
»Kyel, was, um Himmelswillen, hast du angestellt? Du, du bist doch sonst immer vorsichtig bei deinen Sexspielen.«
Sogleich stand er auf und ging vor mir auf und ab und maß das Wohnzimmer mit wenigen Schritten.
»Ich habe nicht …«
»Ich kann das nicht glauben, dass du die Kontrolle über … über … darüber verloren hast. Weißt du, was das heißt?«
»Raoul, …!«
»Ich kann es nicht glauben. Wenn das rauskommt, bist du am Arsch …!«
Er lief immer schneller in seinem Wohnzimmer hin und her. Soeben stand ich auf und hielt ihn an den Armen fest, damit er wenigstens für ein paar Sekunden stillstand.
»Raoul, ich habe ihn nicht mit meinen Sexpraktiken oder durch einen Kontrollverlust verletzt. Im Gegenteil ihn habe ich, … ich … konnte es nicht einmal. Er ist so sanft und verletzlich. So wahnsinnig lieb und tief in seinem Herzen trägt er eine unvorstellbare Leidenschaft. Der Sex mit ihm war normal, nur normal ...«
Er blickte mich mit seinen großen blauen Augen an. Langsam legte er seinen Kopf schief.
»Hätte ich auch gar nicht von dir gedacht!«
Das war eben ein Pluspunkt für Raoul und ich lächelte ihn erleichtert an. Raoul war in der Lage, sich sehr schnell neuen Informationen anzupassen. Ich nahm ihn in meine Arme und wischte eine Träne von seinen Augen weg.
»Echt, du hast mir jetzt einen Schock versetzt …«
Dies war der Anstoß für mich und ich fing an, die ganze Geschichte zu erzählen. Raoul war so gefesselt, dass er glatt vergaß, seine Manier auszuleben. »... deshalb bitte ich dich, dass du dich darum kümmerst«, sagte ich schließlich und er kniff kurz seine Augen zusammen.
»Hmm, du möchtest also, dass ich meine Kontakte bei der SPA spielen lasse?« Gedankenverloren strich er über seine Tasse. »Gut ich werde Emily anrufen. Nein, ich rufe gleich meinen Schwager Anthony an. Emily ist zurzeit zu aufgebracht und es wäre nicht gut, wenn sie sich in eine Sache stürzt, die Little Johnny schaden könnte«, sagte Raoul, doch ich wusste genau, dass er der Aufgebrachte war.
»Ja, wie geht’s denn der kleinen Familie?«
»Oh, gut, dass du fragst! Emily möchte dich als Pate.«
Auf Raoul konnte ich mich verlassen und er bestand drauf, dass ich zu Sascha ins Krankenhaus fahren sollte. Natürlich musste er mich begleiten, nicht meinetwegen, sondern, weil er auf ihn neugierig geworden war. Da wir eine, wie sagte Raoul, geheime ›Nichtbeziehung‹ hatten, war es unangebracht, einen Blumenstrauß für Sascha zu kaufen. Wäre mir auch etwas peinlich, weil ich wusste oder es mir zumindest vorstellen konnte, wie Sascha darauf reagieren würde. Außerdem war ich erleichtert, dass Raoul auf sein übliches Outfit verzichtete. Mr. Fleischhauer würde sofort einen Schlaganfall bekommen oder gleich Tod umfallen, wenn Raoul ihm, in seinem üblichen Ausgehfummel, gegenübertrat. Das auch nur, wenn er über seinen Schatten gesprungen war, um seinen Sohn zu besuchen. Was ich allerdings, nachdem was ich in diesen paar Tagen mitbekommen hatte, nicht glaubte.
Bei der Anmeldung fragte ich nach der Zimmernummer und die freundliche Schwester zeigte mir den Weg. Ich atmete tief ein. Raouls Hand lag plötzlich auf meiner Schulter und ich nickte ihm kurz zu. Dann klopfte ich an. Es kam keine Antwort, ich öffnete die schwere Krankenzimmertür und trat ein. Sascha lag alleine in diesem Zimmer und verschiedenen Gerätschaften piepsten neben seinem Bett. Er war immer noch so fahl und blass, doch er drehte mir seinen Kopf zu.
»Hey!«, grüßte ich ihn und seine Mundwinkel zuckten schwach. Sascha hob nur etwas seine Hand zum Gruß und ich trat näher zu ihm.
»Wie geht’s dir?«
»Besser!« Gänsehaut überzog meinen Körper und die Nackenhaare stellten sich auf. Seine Stimme war krächzend und rau. »Was machen Sie hier?« Ich musste schmunzeln.
»Vor Raoul brauchst du dich nicht zu verstellen. Er weiß Bescheid.«
Ich sah, wie er den für ihn fremden Mann musterte.
»Hi Sascha. Ich bin Raoul. Sozusagen bin ich Kyels bessere Hälfte. Nein, ich bin die beste Hälfte. Und sollte dich dieser grobe Kerl ärgern, kannst du gerne zu mir kommen. Ich werde ihm dann die Leviten lesen und ihn ungespitzt in den Boden rammen.«
Raoul verbarg mit keiner Geste und keiner Mimik, dass er schwul war. So wie er sich gab, hatte er nicht einmal die schrillen und farbenfrohen Klamotten nötig. Es erkannte sogar ein Blinder. Sascha grinste. Er grinste wirklich und seine Augen leuchteten.
»Ich werde es mir merken, danke Raoul.«
Raoul drehte sich von Sascha weg und klopfte mir wieder auf die Schulter. Er sagte mir, dass er sich etwas zu trinken kaufen möchte, und ließ uns allein. Er war wirklich ein guter Freund.
Nachdem die Tür hinter Raoul geschlossen war, beugte ich mich über Sascha. Ich konnte mich nicht mehr länger zurückhalten, denn ich vermisste seinen Duft, seine weiche Haut, seine sanften Lippen und seine süße nimmersatte Zunge.
Kaum, dass sich unsere Lippen berührten, öffnete er seine schon und kam meiner Zunge zärtlich entgegen. Ich konnte nicht verhindern, dass aus meiner Kehle ein Ton des Genusses kam.
»Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, Kleiner.«
»Tschuldige.«
Ich winkte ab und sah, dass seine Augen immer noch vor Angst verzerrten. So gerne, wie ich mit ihm über diese Mails sprechen wollte, hielt mich sein Anblick davon ab.
Die Tür öffnete sich und ein Dreiergespann kam rein. David starrte mich zornig an. Sarah lächelte kurz, nickte mir zu und ging zu ihrem Bruder. Etwas in oder an ihr hatte sich verändert. Ich konnte es noch nicht einordnen. Selbst Mrs. Fleischhauer war anders. Ihr Ausdruck war, wie der einer Mutter, die sich die größten Vorwürfe machte.
Kurz blickte ich zur Tür und mein Herz zog sich zusammen. Warum tat ich das? Wartete ich noch auf jemanden? Ja, ich wartete auf Markus, auf Mr. Fleischhauer, auf den Vater. Nur kam er nicht. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Seine Arbeitszeit war schon seit einigen Stunden vorbei, außerdem hatte er sich, laut meines Sekretärs für diesen Tag freigenommen und wie automatisch blickte ich auf die Armbanduhr. Es war kurz vor acht Uhr abends.
Mit einem Ruck ging die Tür auf, ich erschrak innerlich und sogleich jubelte ich, was sich allerdings als Enttäuschung herausstellte. Der Arzt kam rein und musterte uns alle.
»Gut, dass ich Sie noch antreffe, Mrs. Fleischhauer. Die Befunde sind da!«, sagte er und schaute auch gleich in die Akte. »Es wurden keine Anomalien gefunden. Seine Vitalfunktionen haben sich alle wieder normalisiert. Ich würde ihnen raten einen Psychiater hinzuzuziehen.«
»Sie glauben wohl mein Sohn ist verrückt?«, kam es von der Mutter wie aus einem Kanonenrohr. Der Arzt blickte sie leicht irritiert an.
»Nein. Ihr Sohn ist nicht verrückt. Aber irgendetwas muss es ausgelöst haben. Einen so akuten Schock bekommt man nicht ohne Weiteres. Körperlich ist ihr Sohn vollkommen gesund.«
Ich sah, wie Sascha die Augen schloss, wahrscheinlich innerlich den Kopf schüttelte und zum Fenster hinausblickte. Die Abenddämmerung hatte eingesetzt und ich folgte seinen Blick.
Rötliche Wolken zierten den noch hellblauen Himmel. Es war ein herrlicher Anblick und er wäre noch schöner, wenn Sascha in meinen Armen liegen und sich genüsslich unter mir rekeln würde. Dann könnte ich noch dieses zurückhaltende Stöhnen von ihm hören und den Druck seiner Hüften spüren. Gott, wohin schwirrten nur meine Gedanken. Wie gerne würde ich seine Gedanken kennen. Waren es die Gleichen, wie meine?
Der behandelnde Arzt sagte, bevor er ging, dass er Sascha bis zum nächsten Tag noch unter Beobachtung hierbehalten möchte, und verabschiedete sich.
»Mein Junge, was in aller Welt ist nur passiert?«, schluchzte seine Mutter und ich sah, wie Sascha mit seiner Maske der Undurchdringlichkeit kämpfte.
»Nichts ist passiert!«, antwortete er nur und ignorierte eiskalt David. Ich bemerkte, wie seine Mutter immer wieder verstohlen zu mir rüberblickte, bis ich dieses Getue nicht mehr länger aushielt und mich förmlich verabschiedete.
»Danke, dass Sie mir geholfen haben!«, sagte Sascha und mein Herz setzte aus. Dieser Blick, ich versank in seine grünlich braunen Augen.
»Hmm, etwas hat mir eingeflüstert, dass ich gebraucht wurde«, antwortete ich und er ließ mich, mit einem unsichtbaren Lächeln, das nur ich an ihm sehen konnte, gehen.
In der Nacht lag ich im Bett und starrte an die Decke. Ich konnte nicht schlafen. Immer wieder beschäftigte mich das Verhalten von Markus Fleischhauer. Ich schnaubte und drehte mich auf die Seite. Mein Digitalwecker zeigte mir nach zwei Uhr an. Mit ganzer Kraft versuchte ich, nicht daran zu denken und rief mir sein Gesicht in Erinnerung. Sein lustvolles schmerzverzerrtes Gesicht. Seinen zuckenden Körper, der kurz vor der Explosion stand. Wie sanft seine Hände über meine Arme, Brust, Rücken hinab zum Hintern streichelten. Wie er mich ermuntert hatte, fester in ihn reinzustoßen. Wie er mir erlaubt hatte ihn zu küssen. Der erste Kuss, unser erster Kuss. Als sich unsere Lippen das erste Mal berührten, schwebte ich höher als auf Wolke sieben. Ich konnte es nicht fassen, dass ausgerechnet ich ihn berühren durfte. Auch wenn er sich am Anfang etwas geweigert hatte, so kam es zu schwach rüber. Er wollte geküsst werden, das hatte ich gespürt, und als er sich anschließend über die Lippen leckte, war es ganz aus mit mir. Ich musste ihn haben.
Hätte ich ihn an diesem Abend nicht bekommen, wäre ich gestorben. Ich wäre innerlich zerplatzt und hätte mir einen kleinen Twink genommen, nur um auf meine Kosten zu kommen. Nein, ich wäre zu Raoul gefahren und hätte wie schon so oft, bei ihm mein Herz ausgeschüttet.
»Ein schöner Geschäftsmann bist du Kyel Kastner, rennst bei jeder kleinen Kleinigkeit zu deinem besten Freund«, schimpfte ich mit mir selbst. Ich war 32 Jahre, beschäftige über 200 Personen und leitete eine sehr gut gehende Firma. Mein Leben war vollkommen perfekt. Geld besaß ich und musste mir wegen meiner Altersvorsorge keine Sorgen mehr machen. Mein Sexualleben war auch ausgefüllt, es gab kein Wochenende, an dem ich keinen Sex hatte, nur fühlte ich mich schon seit Langem leer. Innerlich leer und komischerweise hatte Sascha es nur mit einem einzigen Augenaufschlag geschafft, diese Leere zu füllen.
Schlagartig wurde mir klar, was Raoul schon vor wenigen Stunden durchschaut hatte. Ich hatte mich in diesen Kerl verliebt. Als mir dies bewusst wurde, zog sich alles in mir zusammen. Jede Faser meines Körpers, mein ganzes Sein, alles an und in mir wünschte sich, in Saschas Nähe zu sein.
Ein Ton vom Laptop weckte mich und das E-Mail Zeichen schwirrte über dem Bildschirm. Kurz rieb ich die Augen und zog den Laptop auf die Knie. Ich las die Adresse, es war die Gleiche, wie bei der Erpressermail an Sascha. Mein Herz setzte aus und ich öffnete sie.
»Hallo mein Sub, dein Herr spricht zu dir.
Ich habe erfahren, dass du im Krankenhaus liegst. Deswegen entbinde ich dich von deiner morgigen Pflicht. Du hast ein paar Tage frei. Nutze sie, um über meine Befehle nachzudenken.
Ich hingegen überlege mir noch eine angemessene Strafe für dich, dafür, dass du deine Jungfräulichkeit, die mir gehörte, einem anderen gegeben hast.
Vergiss nicht, ich beobachte dich.
Dein Herr.«
Mir blieb die Spucke weg und sogleich klingelte mein Handy. Ich schaute auf das Display. Es war Raoul, der schien Überstunden zu schieben, um mir zu helfen.
»Sorry, der Account ist uns unter den Finger durchgeglitten und irgendwo bei Moskau verschwunden. Anthony sagt, dass er ein Profihacker sein muss. Ach und wir haben den Satelliten ausfindig gemacht. Es ist ein öffentlicher, jeder, der etwas über Webcams und ihre Benutzung versteht, hat darauf Zugriff. - Kyel, Anthony sagt, dass mit solchen Kerlen nicht zu spaßen ist. Sascha sollte ihn bei der Polizei melden, die schicken es dann weiter zur SPA und dann haben sie vollen Zugriff. So ist das nur ein Geplänkel. Anthony sagt außerdem, dass Sascha womöglich in Gefahr schwebt.«
»Womöglich?«, wiederholte ich, außerdem vernahm ich, wie er tief einatmete.
»Hey, solche Typen, die es schaffen ihre E-Mails Account zu verschleiern, haben auch Zugriff auf private Konten und Computer. Ich würde mich nicht wundern, wenn er diese Mailumleitung schon bemerkt hat«, hörte ich Raouls Schwager im Hintergrund. Ein Kloß schwoll mir im Hals an. »Nur ein kleines Beispiel, was ich meine. Sascha hat viel downgeloadete Musik auf seinem Rechner, auch massenweise E-Books sind vorhanden und er spielt gerade an Mysterium.«
Mir wurde heiß und kalt zugleich. Da ich wusste, dass Anthony 30 Meilen weiter weg wohnte und Raoul bei ihm war, musste er sich auf irgendeine Weise in Saschas PC eingehackt haben. »Ach ja und hier habe ich einen Kontoauszug von diesem Monat. Wow, Kyel hast du Umsatz gemacht. Das ist ja der Hammer …«
»Bist du jetzt in meinem Rechner?«
»Nein dieser Rechner läuft auf Markus Fleischhauer, verstehst du, was ich meine. Und das alles über meinen privaten PC. Ich habe mich nur in die Verbindung der Wohneinheit reingehackt und schon weiß ich, dass an dieser Verbindung drei Rechner hängen. Ich kann dir sogar sagen, welches Betriebssystem und wann was installiert wurde und auf welches Programm zuletzt zugegriffen wurde. Die Sache ist ernst. Computerkriminalität, das ist die Zukunft. Wenn ich will, kann ich mich auch in Saschas Kontobewegung reinhacken und dir den genauen Betrag sagen, den er drauf hat. Und wie viel er als Letztes abgehoben hat. Wenn ich etwas weiter tüftle, finde ich sogar seine PIN-Nummer für den Automaten heraus. Und das alles in weniger als zehn Minuten.«
»Und was hat das jetzt damit zu tun, dass er gestalkt wird?«
»Ganz einfach, sein Zimmer ist nicht mehr sein Zimmer. Warte ich schicke dir was, dass ich abgefangen habe, bevor die Mail dich erreicht hat.«
»Du wirst doch nicht …«, schrie Raoul in den Hörer, dass ich das Handy einen halben Meter von meinem Ohr halten musste.
»Raoul, er muss es wissen!«, besänftigte ihn sein Schwager.
»Nein, das wirst du nicht!«
»Doch!«
»Anthony, ich spreche kein Wort mehr mit dir!«
»Wartet, wartet, könntet ihr bitte aufhören?«, mischte ich mich ein, doch sie ignorierten mich.
»Also ich werde es dir jetzt schicken. Es ist nicht gerade …«
»Kyel Schatz, ich will sagen, dass ich es dir nicht schicken wollte, … - du wirst ausrasten.«
»Ich würde eher sagen, dass er alles kurz und klein schlägt, was in seiner Nähe ist«, hörte ich Anthony und schon hatte ich das besagte Paket. Ich entpackte die Datei und klickte drauf.
»Was?«, flüsterte ich ganz leise. Mir wurde schlecht.
»Kyel bist du noch da?«, vernahm ich Raoul vage. Ich starrte nur auf das Bild. Ein Bild von vielen und wie in Trance klickte ich sie durch.
»Kyel, hallo?«
»Ja, ich bin noch da!«, krächzte ich und starrte weiter auf die Abfolge der Bilder.
»Wie … wie …?«, stotterte ich und klickte sie wieder von vorne an.
»Über die Cam«, beantwortete Anthony meine nicht ausgesprochene Frage.
»Der Wichser hat Bilder von uns gemacht! In Saschas Zimmer …!«, zischte ich und rohe, geballte Wut stieg ihn mir auf. Anthonys Aussage, dass ich alles kurz und klein schlagen würde, was sich auch nur in meiner Nähe befand, war höllisch untertrieben. Ich war bereit den Typen zu töten.
»Ich tippe eher darauf, dass er euch gefilmt hat, siehst du unten die Zeit. Und dann hat er einfach daraus eine Abfolge von Bildern erstellt. Der Kerl hat was vor. Er will dir schaden und wahrscheinlich Sascha auch. Wobei ich eher denke, dass er dich aus dem Weg räumen will.«
»Überwacht alle PCs, von meinen Mitarbeitern im Büro und daheim, sämtliche Satelliten …«, rief ich aus.
»Kyel, wie schon gesagt, dass können wir nur, wenn eine Anzeige vorliegt.«
»Dann sehe es als Anzeige an!«
»Dachte ich mir schon, dass du das sagst. Hier … ich brauche nur noch deine Unterschrift und überlasse dann den ganzen Rest mir«, sagte Anthony und im gleichen Atemzug ging mein Faxgerät an. Ich unterschrieb das Dokument, ohne es durchzulesen, und schickte es sogleich an Anthony zurück. »Eins vorweg Kyel. Wir dürfen keine privaten Rechner überwachen, erst, wenn die nationale Sicherheit bedroht ist. Selbst jetzt, wenn einer dahinter kommt, dass ich in Saschas Rechner war, bekomme ich mächtigen Ärger, das tat ich nur dir zuliebe.«
»Schon klar …!«
»Allerdings gibt es da ein kleines Hintertürchen, damit unser Stalker keinen Zugriff mehr auf Saschas Rechner hat. - Emily …!«, mehr vernahm ich von ihm nicht mehr. Anthony hatte die Verbindung verlassen. Ich verabschiedete mich noch von Raoul und wollte schon mein Laptop wegstellen, als ich wieder die Bilder erblickte. Sascha hatte eine vollkommene Figur. Auch wenn ich im ersten Moment geschockt über die Fotos war, spürte ich, wie sämtliches Blut eine Etage weiter nach unten wanderte. Die Bilder sprudelten nur so vor Leidenschaft und begierigem Sex und sein erregender Duft stieg mir in die Erinnerung. Er roch männlich und verführerisch. Selbst, wenn er zuvor noch nie mit jemand Geschlechtsverkehr hatte, so hatte er in diesem Moment genau gewusst, was er tat. Was er mit mir tat.
Ich konnte nicht anders und fuhr langsam mir mit dem Zeigefinger über meinen Oberkörper. Die Berührung verursachte wohlige Schauer. Zwirbelte an meiner Brustwarze, strich an der Seite über die empfindlichen Stellen bis hin zu den Shorts. Durch den Bund, bis ich die Haare spürte, weiter runter, wo ich an meine Eichel stieß. Sanft umgriff ich meinen Schaft und fing langsam zu pumpen an. Immer wieder huschte mir sein Gesicht vor das geistige Auge und ich konnte es nicht verhindern, seinen Namen, während meiner Ejakulation heraus zu stöhnen.
Ich blieb noch zwei oder drei Stunden liegen und dann stand ich auf. Schlafen konnte ich eh nicht mehr und machte mir einen Kaffee.
Der Kaffee schmeckte alleine ohne seine süße Gesellschaft fad und ich ließ die Hälfte ungetrunken. Eine warme Dusche war nicht schlecht und ich ging zurück ins Schlafzimmer. Die Wölbung der Decke ließ mich scharf die Luft einziehen. »Sascha!«, murmelte ich und strich die Decke glatt.
Lange hatte ich vor dem Bett gestanden und seine sanften Züge betrachtet. Seinem ruhigen Atem gelauscht und das Heben und Senken seiner Brust beobachtet, bis sich meine Atmung an seine angeglichen hatte. Ich hatte mich über ihn gebeugt und mir von ihm einen Kuss geklaut.
Ich bemerkte, wie ich das leere Bett anstarrte und in mich hineinlächelte. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als ihn jeden Morgen betrachten zu können. Mit Widerwillen riss ich mich vom verwaisten Bett los und ging ins Bad.
Sascha hatte sich darin geduscht und ich hatte es wegen meiner Firma nicht mitbekommen. Das Handtuch, das er benutzt hatte, lag noch genauso über dem Halter, wie er es hingehängt hatte. Sanft strich ich mit dem Finger darüber, in der Hoffnung, etwas von ihm zu spüren. Ich nahm es vom Halter und drückte es mir unter die Nase. Die Duftkombination aus Duschgel, Waschmittel und ihm, war ein Aphrodisiakum für mich. Gierig zog ich den Duft noch einmal in mich hinein.
Später als ich in der Firma ankam, war alles in heller Aufregung. Ich fragte meinen Sekretär, was los sei, doch der druckste irgendwie herum. Mein Handy hatte ich schon in der Hand um Anthony anzurufen, als Mr. Fleischhauer auf mich zukam und wild vor sich hin gestikulierte.
»Ist das Ihr Ernst, Mr. Kastner? Sie wollen unsere Firmen PCs und unsere privaten Rechner an die SPA anschließen lassen?«
»Privat Rechner?«, durchschoss es mich. Anthony schien es geschafft zu haben.
»Ich verlange dafür eine Erklärung!«
»Was ich in meiner Firma entscheide, geht nur mich was an. Sie sind dazu da, dass die Rechnungsabteilung reibungslos funktioniert.«
»Mr. Kastner, das ist gegen die Firmenvorschrift.«
»Nicht, wenn die Firma angreifbar ist. Wenn die Möglichkeit besteht, dass Interna nach außen dringen.«
»Ich rufe sofort den Firmenrat zusammen, das ist gegen die Vorschrift. Mr. Kastner, Sie haben dazu absolut keine Befugnis.«
»Es liegt im Interesse der Firma, das diese durch die SPA mit überwacht wird. Warum und weshalb ich die Entscheidung gefällt habe, geht nur mich was an.«
»Wer redet den von dem Firmenrechner. Ich weigere mich, meinen PC von daheim anzapfen zu lassen.«
»Das ist ein notwendiges Übel, ich muss wissen, wie viel Interna es schon nach draußen geschafft haben. Dazu gehört auch Ihr Rechner, der bei Ihnen daheim steht.«
»Aber ich weigere mich …«
»Wenn Sie nichts zu verbergen haben, dann brauchen Sie sich auch keine Sorgen darüber zu machen …«
»Kyel!«, rief mich eine Frau, und als ich mich zu ihr umdrehte, stach mir ihr wohliger und runder hübscher Bauch ins Auge.
»Emily, ich dachte, du bist daheim und wartest bis Little Johnny endlich das Licht der Welt erblickt.« Sie lachte laut auf und schaute mich mit gespieltem Zorn an. Sie sah umwerfend in ihrer etwas zu engen Uniform aus.
»Das ist doch wohl nicht dein ernst! Nachdem ich das heute Nacht erfahren habe, werde ich nicht daheimsitzen, Däumchen drehen und warten bis dein Patenkind zur Welt kommt.«
Kurz umarmten wir uns.
»Warum willst du einen Versager wie mich als Patenonkel. Raoul ist dafür besser geeignet.«
»Mein Bruder, dass ich nicht lache. Außerdem ist der immer chronisch Pleite …«, verdutzt blickte ich sie an und wusste sofort, dass sie es nicht so gemeint hatte. »Um ehrlich zu sein, war er es, der gesagt hat, dass ich dich fragen soll.«
»Raoul?«
»Jepp!«
»Eine angefragte Patenschaft verweigert man nicht!«
»Hmm habe ich auch zu ihm gesagt, aber da er schon Patenonkel von den tyrannischen Zwillingen unseres großen Bruders ist, habe ich verstanden, warum er nicht will.«
»Intelligenter Mann. Da ihm Clara und William regelmäßig Geld aus der Tasche ziehen, ist es nur verständlich, dass er nicht noch so einen Blutsauger annimmt.«
Sie knuffte mir in die Seite.
»Au!«
»Sag mal, wie alt, sind denn die Zwillinge jetzt?«
»17 sie werden in zwei Wochen 18. Raoul rennt jetzt schon herum wie von der Tarantel gestochen.«
Sie versuchte ihren Bruder nachzumachen, was allerdings durch ihre Schwangerschaft mächtig in die Hose ging.
»Kann ich mir vorstellen. Er und seine Patenkinder.«
»Er liebt sie über alles.«
Ich schaute mich um und unter den ganzen uniformierten Offizieren, die mit Emily zusammen eingetroffen waren, sah ich Anthony nicht.
»Wo ist dein Mann, der lässt dich doch nicht mehr aus den Augen, seitdem der Termin schon so nah rangerückt ist« Sie kam näher an mich ran und flüsterte: »Er ist bei deinem Sascha und nimmt dort seine Aussage auf.«
»Sag mal, ist das nicht etwas zu gefährlich? Immerhin hat der Irre geschrieben, dass er Sascha beobachtet.«
»Hm, mach dir keine Sorgen. Anthony ist darin Spezialist. Außerdem haben wir Dr. Kram mit einbezogen.«
Wer war Dr. Kram, fragte ich mich und zog die Augenbrauen fragend nach oben.
»Wer ist das?«
»Das weißt du nicht? - Er ist der behandelnde Arzt.«
»Und wie kommt ihr zu ihm?«
»Oh, er ist der Freund, der besten Freundin meiner Cousine.«
»Was?«
»Wir kennen ihn, also, mach dir keine Sorgen.«
Langsam machte ich mir aber Sorgen. Es war schon peinlich, das Raoul und Anthony, mich auf den Bildern sahen und dann bestimmt auch Emily, die sich aber nichts anmerken ließ. Musste nun auch noch, ein mir völlig Fremder, mit dabei sein. Ich schnaubte und hielt Mr. Fleischhauer, der wieder aufgebracht auf mich zukam, auf Abstand, indem ich mich in mein Büro verzog. Meinem Sekretär sagte ich, dass ich ein wichtiges Telefonat führen müsste und nicht gestört werden wollte.
»Langsam macht mich dieser Typ echt krank. Tut mir leid, Sascha.«
Das mit dem Telefonat war zwar dahergesagt, aber ich war froh, dass es jetzt klingelte. Ich nahm ab und jemand mit dem Namen Fries Notgar war am anderen Ende der Leitung. Ich atmete erleichtert auf. Ich glaubte, ich wurde langsam auch schon paranoid, darum lehnte ich mich, ganz bewusst, in den bequemen Chefsessel, nahm meine Füße mitsamt den Schuhen hoch und legte sie auf den Schreibtisch. »Ich grüße Sie, Mr. Notgar!«
Der Tag in der Firma fing etwas angenehmer an, als die Nacht aufgehört hatte.
Es ging auf Mittag und langsam verfluchte ich die stetigen Telefonate. Kaum hatte ich aufgelegt, schon klingelte mein Sekretär durch, dass der nächste Kunde wartete. Was war das nur für ein Tag? Eigentlich sollte es mir gefallen, je mehr anriefen, umso mehr Umsatz machte ich, aber je weiter der Tag voranschritt, umso weniger konnte ich mich auf die Wünsche meiner Kunden konzentrieren.
Ich nahm mir eine kurze Verschnaufpause und stellte mich ans große Fenster. Das Büro hatte zwei Wände, die nur aus Fenstern bestanden. Irgendein japanischer Großkonzernboss hatte dies entworfen und gebaut. Dies war vor über 10 Jahren nichts weiter als ein Bürogebäude, ich hatte dann, hinten raus, auf der damals freien Fläche, meine Firma bauen lassen und Jahr für Jahr immer weiter ausgebaut. Nun stand ich da, wovon ich damals nicht zu Träumen gewagt hätte. Jeder hatte mir davon abgeraten, so viel Geld aufzunehmen um diese Gebäude herzurichten, eine Firma aufzubauen und meine irre Geschäftsvorstellung zu verwirklichen.
Die ersten Jahre waren hart. Oft war ich pleite, da ich alles für die Firma brauchte. Ich hatte nicht aufgegeben und immer weiter gekämpft. Wenn ich doch mal ans Aufgeben dachte, hatte ich Freunde und meine Familie, die hinter mir standen, die mir damals geholfen hatten, Essen gaben oder einen Platz zum Übernachten, Dusche und Klamotten. Oft war ich am Boden zerstört, aber ich war nie allein, deshalb konnte ich auch weiter kämpfen, größtenteils für sie und eher weniger für mich.
Inzwischen war ich ihnen sehr dankbar. Siehe Mr. Houer, er war sogar noch schlimmer dran als ich. Ich hatte mein Versprechen wahr gemacht und mittlerweile war er eigentlich meine rechte Hand hier in der Firma. Auch wenn er dafür kein Händchen hatte. Noch immer kam es vor, dass ich seine Fehlkalkulationen ausmerzen musste, aber ich schaute darüber hinweg. Houer hatte es sich verdient, für den Rest seines Lebens ausgesorgt zu haben.
Wieder klingelte das Telefon und riss mich aus der Vergangenheit.
»Mr. Kastner, Ihr Vater ist da!«, meldete Tom, mein Sekretär, meinen Vater an. »Mein Dad?«, huschte es mir durch den Kopf und ich schmunzelte. Er und Mom waren scheinbar von ihrer Rundreise zurückgekehrt. Ich wettete, er stand mit seinen Bermudashorts und einem Witzshirt, mit aufgedruckten markanten Späßen, vor der Anmeldung und tippte mit der Sonnenbrille auf dem Tresen herum.
»Lassen Sie ihn rein und leiten Sie die Telefonate an Mr. Freim um.«
»Mr. Freim hat sich heute freigenommen. Er und Lizzi gehen ihren Enkel besuchen.«
»Ah ja stimmt, Nala hat letzte Woche ihr Kind auf die Welt gebracht.«
»Wer ist noch im Haus?«
»Mr. Fleischhauer, aber er hat heute den ganzen Tag Termine und Mr. Houer ist mit der Fertigstellung für das Objekt, für den … den … Mensch wie heißt der noch mal …«
»Ich weiß, wen Sie meinen. In Ordnung, dann nehmen Sie die Telefonate entgegen.«
»Was?«, hörte ich ihn schnauben und Vater frotzelte im Hintergrund. »Ähm. Mr. Kastner, wie ist es, wenn ich die Gespräche an Marion durchstelle?«
»Marion?! Das ist eine gute Wahl. Warnen Sie sie vor und warum ist mein Dad noch nicht hier?«
»Oh entschuldigen Sie, - Mr. Kastner Sie kö…«, ich schmunzelte. Tom war eine gute Seele, aber er traute sich nichts zu.
Die Tür wurde aufgerissen, und wie ich es mir dachte, kam ein von der Weltreise zurückgekehrter, in Bermudashorts und mal keinem witzigen Shirt gekleideter, braungebrannter älterer Herr, wie ein Hurrikan reingestürmt.
»Dad, wie war die Reise?« Heftig umarmte er mich. Auch wenn er, seit über drei Jahre, im Ruhestand war, war sein Griff immer noch stahlhart. Er sah aus, wie knapp über 50. Auch wenn er als Schwerarbeiter unter Tage gearbeitet hatte, war ihm das nicht anzusehen, er hatte sich sehr gut gehalten. Lediglich die Lunge hatte etwas Schaden genommen, weswegen er frühzeitig aus dem Arbeitsalltag stieg.
»Fantastisch, mein Junge. Das Jahr ging einfach viel zu schnell vorbei.«
Er ging um den Schreibtisch und setzte sich auf meinen Chefsessel. Genauso wie ich, legte er seine Füße auf den Tisch. Ich fragte ihn, ob er einen Kaffee möchte, was er bejahte. Er würde nie einen Kaffee abschlagen, der von der Designer Kaffeemaschine stammte. Wobei ich sagen musste, der dort aufgebrühte Kaffee schmeckte wie Hamsterguano und das im wahrsten Sinne des Wortes, Scheiße! Er musterte mich, während ich den Kaffee brühte und ihm die Tasse überreichte.
»Ist mit dir alles in Ordnung?«, fragte er mich und ich stöhnte innerlich. Egal ob ich der Chef einer renommierten Firma war oder nicht, er konnte mich immer wieder durchschauen.
»Schon.«
»Hmm.« Wieder nippte er an der Tasse. »Junge, ich habe nicht gefragt, ob mit der Firma alles in Ordnung ist, sondern, ob bei dir alles in Ordnung ist. Du hast diesen in-dich-gekehrten Blick, den du schon immer hattest, wenn dich was beschäftigte.« Dies untermalte er mit seiner freien Hand. Dad unterhielt sich immer mit Händen und Füßen. »Ist etwas mit Paul?«, Paul oh je, dass dieses Gespräch irgendwann aufkam, war mir bewusst, aber musste es ausgerechnet in diesem Moment sein? Ich schüttelte den Kopf.
»Mit Paul ist es schon lange aus …!«
Er zog kurz die Augenbrauen hoch, aber hatte wohl längst damit gerechnet, dass es bald enden würde.
»Ich dachte, ihr seid ein Herz und eine Seele?« Wieder schüttelte ich den Kopf.
»War nicht so. Er hatte mich zu arg eingeengt …!«
»Hmm kann ich verstehen, so wie du lebst. Hätte ich an Pauls Stelle auch getan, wenn ich Mom mit mehreren hätte teilen müssen.«
»Dad …«, schnaubte ich genervt. »Lass das alte Thema!«
»Ist aber so …!«
Ich blickte ihn an und brachte das Gespräch auf Mom.
»Wo ist Mom?«
»Bei dir daheim und räumt auf. Sag mal, hast du deine Haushälterin entlassen oder was?«
»Dad, du weißt doch, dass ich keine angestellt habe.«
»Hmm stimmt, dafür hast du ja Mom. Sie kostet nichts.« Er grinste und wurde schlagartig wieder ernst. »Also, der Grund, warum ich jetzt eigentlich hier bin, ist, dass Anthony bei dir daheim war und an deinem PC, sowie Laptop herumhantierte und irgendetwas von wegen und einem Stalker daher gelabert hat. Der einem gewissen Sven oder wie er heißt, hinterher ist und ihn über dich irgendwie erpresst. Keine Ahnung, wie er sich ausgedrückt hat.«
»Er heißt Sascha.«
»Ja, Sascha. Ein russischer Name. Ist er Russe?«
»Nein, er ist Deutscher. Dad es wäre schön, wenn wir über dieses Thema später bei mir daheim reden könnten«, sagte ich und schaute ihn etwas zu streng an. Er verstand es, stellte die inzwischen leer getrunkene Tasse auf den Tisch, setzte seine Sonnenbrille auf und schwang sich, wie ein junger Kerl, aus dem Sessel.
»Gut. Ich sage Mom, dass du heute Abend daheim isst. Oder hast du wieder einen Termin, der dich hindert, mit deinen Eltern zu essen.«
»Nein, ich versuche, pünktlich zu sein.«
»Ach ja und ich versuche Mom davon zu überzeugen, dass Paul jetzt doch nicht mehr ihr Schwiegersohn wird.«
Ich verdrehte die Augen. Mom hatte einen Narren an Paul gefressen und mit ihm schon über mögliche Adoptionen und Leihmütter gesprochen. Diesen Braten wird sie nicht so leicht verdauen können. Zumal ich wahrscheinlich, so hoffte ich, irgendwann mit Sascha auftauchen würde. Und er für ihren Geschmack etwas zu jung wäre, um ein richtiger Vater für ihr Enkelkind zu sein.
»Mom!«, murmelte ich und rieb mir die Augen. Aber bis es so weit war, würde sie hoffentlich viel mit Little Johnny unternehmen und die Sache mit dem Enkel, weiter ins Dunkle rücken.
Das Abendessen mit meinen Eltern konnte ich dann doch nicht wahrnehmen, da ich wieder zu Sascha ins Krankenhaus gefahren war und ihm geholfen hatte, seine Sachen zusammenzupacken. War eh nicht viel gewesen. Keine Süßigkeiten, keine Blumensträuße, auch keine Grußkarten waren vorhanden. Als er sich auf die Rücksitzbank von Davids Auto setzte, sah ich es an seinem Blick, dass er damit nicht einverstanden war. Ich konnte mir nur zu einem geringen Teil vorstellen, wie Sascha sich fühlte, als seine Schwester mit David kam, um ihn abzuholen. Mr. Fleischhauer hatte nicht einmal Zeit gefunden, seinen Sohn selbst abzuholen oder seiner Frau das Auto zu überlassen, damit sie ihn wenigstens heimfahren konnte. Resigniert und verständnislos schüttelte ich den Kopf und startete den Jaguar.
Ich war auf dem Weg zu mir nach Hause, als mein Sekretär mich anrief und mir mitteilte, dass ich unbedingt, den vorverlegten Termin mit Mr. Taroma wahrnehmen musste, weil er in dieser Nacht wieder zurück in sein Heimatland flog. Gott, wie mich der Kunde nervte. Den ganzen Tag saß ich in meinem Büro, hätte er da nicht mal Zeit finden können, um vorbeizukommen? Nein. Die Geschäfte mussten immer in einem Restaurant stattfinden. Ich wusste, dass ich da, nicht so schnell, wieder rauskam. Alles würde wieder von A nach Z durchgekaut. Der Preis würde wieder neu verhandelt werden und der Abgabetermin des Objektes hundertmal verschoben. Ich verhandelte mit Mr. Taroma schon seit über drei Monaten. Sollte wieder keine Einigung stattfinden, würde ich das Objekt an den nächsten Händler ausliefern. Ich saß darauf wie eine Henne auf ihrem Ei.
Ich holte mein Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer von Mr. Fleischhauer.
»Fleischhauer!«, meldete er sich auch sogleich.
»Kastner, hier. Der Termin mit Mr. Taroma wurde vorverlegt auf heute Abend um acht Uhr. Bringen Sie die alten Verträge mit und ebenso die, die letzte Woche ausgehandelt wurden. Auch ein Foto des Objektes, damit er sieht, dass es schon lange fertig restauriert im Atelier steht sowie den Kostennachweis der Ersteigerungs- und Restaurierungskosten. Wenn es heute zu keiner endgültigen Einigung kommt, ist der Deal mit Mr. Taroma geplatzt!«, erklärte ich ihm und legte auf. Ich hatte es satt, mir ständig auf der Nase rumtanzen zu lassen. Schon gar nicht, wenn Mr. Taroma der Meinung war, mir fast 40 % weniger zahlen zu wollen, als beim ersten Gespräch ausgemacht. Dies deckte nicht einmal die Kosten, die ich für das Objekt aufbringen musste. Und er wollte den Preis noch weiter runterhandeln.
Wieder klingelte mein Handy und ich ging ran. Es war Mr. Fleischhauer, der versuchte, mich davon zu überzeugen, dass es besser wäre, den Vorschlag von Mr. Taroma nachzugeben, als überstürzt zu handeln. Ich antwortetet darauf nur, dass ich mir sein Angebot noch einmal vorlegen lassen würde und wenn ich nicht über 35 % Gewinn machen würde, sähe ich mich gezwungen, das Objekt anderweitig zu verkaufen. 35 % was war das schon? Damit konnte ich nicht einmal den Vorstand bezahlen und die wollten auch ihr Geld. 35 % ich schüttelte den Kopf. Schon lange hatte ich nicht mehr mit so wenig Gewinn gehandelt. 80 %, 90 % auch sogar über 130 % Gewinnanteil konnte ich verzeichnen.
Ich trat aufs Gas und raste über die Autobahn.
Wie jeden Tag loggte ich mich in Saschas Webcam und in die versteckte Zweitkamera ein. Ich wollte ihm nur etwas beim Lesen zuschauen oder ihn beim Spielen beobachten. Er sah immer so gut aus, wenn er mit sich selbst spielte. Seine gut ausgeprägten Brustmuskeln zuckten immer unter seinen pumpenden Bewegungen. Die lieblichen Geräusche, die er dabei immer machte. So leise, dass es niemand mitbekam. Aber ich bekam es mit. Er machte es nur für mich. Er sagte mir dadurch, dass er auf mich wartete und es nicht mehr lange aushielt. Ich hatte einen braven Sub. Der gewissenhaft seinem Herrn diente.
»Vier Jahre warte ich schon darauf, dass du so weit bist. Dass du mir, deinem Herrn und Gebieter, wie es sich für einen richtigen Sub gehört, dienst. Als du damals an mir vorbeigegangen bist und mir neugierig tief in die Augen geschaut hast, mich mit diesem süßen und doch sehr frechen Lächeln begrüßt hast, wusste ich, dass du ›Mein‹ bist. Du bist der Richtige. Vier Jahre. Sascha. Vier Jahre habe ich ein beschützendes Auge auf dich gehabt. Ich habe dich unterstützt und dir immer wieder gut zugeredet. Mein lieblicher Sklave. Und jetzt! Schau dich an. Machst für den Erstbesten die Beine breit. Lässt dir von ihm einen blasen und sein widerlicher … Schwanz, der soll abfallen. Du gehörst mir. Nur mir allein!«, schrie ich den Monitor an. Und entschuldigte mich auch sogleich bei Sascha. Sascha konnte lautes Schimpfen nicht ertragen. Er war schon immer etwas sensibel. Sascha. Nur ein einziger Gedanke an ihn, ließ mein Herz höherschlagen. Jeden Tag in der Schule, wenn wir uns begrüßten, … Sascha, mein Sascha, träumte ich von ihm. Kurz räusperte ich mich und schaute auf meine vier Monitore. Zwei Monitore waren mit den Kameras in Saschas Zimmer verbunden und die anderen zwei waren mit dem Bad verknüpft. Ich liebte es, wenn er unter die Dusche ging. Zuzusehen, wie er sich mit Duschgel einseifte, sich damit über seine Haut strich, über seine Spitze fuhr, versuchte, über seine Schulter zu greifen, um seinen Rücken zu säubern. Wie er danach aus der Dusche stieg, sich das Handtuch um die Hüfte band und seine wenigen Bartstoppeln abrasierte. Sascha war perfekt in allem, was er tat. Nur diese Erinnerungen, wie er sich wusch, ließen Schmetterlinge in meinem Bauch aufflattern.
Ich sah, wie er sich das Shirt auszog, nachdem Sarah aus seinem Zimmer gegangen war. Er war so gut gebaut und ich spürte ein Ziehen.
»Noch nicht, noch nicht. Du musst dich noch gedulden«, flüsterte ich mir zu. Nachdem ich mein drängendes Gefühl beiseitegeschoben hatte, blickte ich wieder zu ihm, der so schön war. Seine Haare lagen störrisch um seinen Kopf. Wahrscheinlich hatte er sich heute noch nicht aufgestylt. War ja nicht so schlimm. Er lag ja im Krankenhaus. Ich schnappte mir das halb aufgegessene Sandwich und biss rein, als sich in seinem Zimmer was tat. Handy! Sein Handy klingelte. Mist, wo hatte ich meines. Schnell kramte ich es unter einigen Tellern hervor und hob ab. Nichts, warum hörte ich nichts. Ich sah doch, dass Sascha sich mit jemandem unterhielt. Und ich blickte auf mein Display. Na wieder typisch. Akku leer. Ich stellte dann den Lautsprecher, der an meinem PC angeschlossen war, höher.
»Ja. Mir geht es gut. Hmm. Nein. Ich gehe duschen.« Er schmunzelte, warum schmunzelte er? »Ja. Werde ich. Gute Nacht.«
Verflucht, ich wusste nicht, wer meinen Sascha angerufen hatte. Außerdem, aus welchem Grund wurde er überhaupt angerufen? Er durfte doch mit niemand telefonieren, das hatte ich ihm ausdrücklich verboten. ›Oh Sascha, du widersetzt dich mir. Ist es dieser Typ?‹
Schnell suchte ich die Datei und öffnete sie. Sofort sprang mich Saschas Stöhnen an. So wunderbar lieblich, mit diesem lustvollen Gesicht, das er immer nur mir geschenkt hatte und, und … nun …
Die Wut stieg in mir hoch, als ich sah, wie diese Tunte es meinem Sascha besorgte. Ihn in die Geheimnisse einführte. Dabei war es mir bestimmt, sie ihm zu offenbaren. Es war meine Bestimmung, Sascha das ›Erste Mal‹ zu schenken. »Ich, nur ich. Hörst du, du Schlampe. Und reck mir nicht deinen verfluchten Arsch her!«, fluchte ich. Immer lauter wurde er und das Arschloch vögelte meinen Sascha. Immer heftiger. Sascha was tat er dir an. Nein, du bist schuld … Sascha! Die Verzweiflung stieg in mir hoch. »Das ist mein Sascha!«, schrie ich den Mistkerl zu, der meinen Sascha knallte.
»Aber ich weiß ja, wer du bist und wo du arbeitest. Keine Sorge, Sascha wird dich verlassen, weil er sich für mich entscheiden wird. Für mich! Hörst du! Nur für mich!«
Ein schrilles Lachen entrann sich meiner Kehle. Und ich fasste einen Entschluss. Nur konnte ich meinen Plan nicht zu Ende überlegen, weil die Firewall Alarm anschlug.
»Was zum Teufel …!«, rief ich aus und war schockiert. »Das darf nicht sein. - Mein Sascha wird gehackt. Wer macht denn so was? Nicht mein Sascha, aber keine Sorge, mein Kleiner, ich werde sie von dir ablenken.«
Ich gab einige Befehle ein, schon verstummte der Alarm und ich lachte in mich hinein. »Sucht ihn in der Türkei, ihr Ärsche!«
Ich war so damit beschäftigt den Angriff auf Sascha zu vereiteln, dass ich gar nicht mehr mitbekam, wie er seinen Rechner runterfuhr. Komisch, er hatte heute nicht seine E-Mails angeschaut. Warum widersetzte er sich schon wieder meinen Befehlen, er sollte jeden Tag seine Mails checken. Das machte er sonst auch immer. Ach, sei nicht so streng mit ihm. Er kam gerade aus dem Krankenhaus, er wird müde sein, beruhigte ich mich selbst.
Aber es machte nichts, denn, als seine Mutter mich damals bat, alles für dich Schule fit zu machen, hatte ich die Kamera auf eine andere Verbindung eingestellt. So konnte ich noch etwas bei ihm sein und mir nebenbei überlegen, wie ich meinen Plan weiter in die Tat umsetze. Ich spürte, wie ich in mich hineinkicherte und Freudentränen meine Wangen runter kullerten.
»Bald wirst du bei mir sein.«
Da fiel mir ein, ich musste noch etwas für die Schule tun.
Ich lag im Bett und fand keinen Schlaf. Nachdem Kyel mir gesagt hatte, dass ich auf keinen Fall den Rechner anschalten und auch die Mails nicht checken durfte, wurde mir mulmig in der Magengegend. Auch hatte ich das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Aber das bildete ich mir bestimmt ein.
Bis weit nach Mitternacht wälzte ich mich von einer Seite auf die andere, bis ich schließlich genervt aufgab und eine SMS schrieb. Wow, die erste SMS, seit zehn Monaten. Lange betrachtete ich sie und überlegte, ob ich sie abschicken sollte. Eigentlich hatte ich mir geschworen, ihn nie wiederzusehen. Auch als ich im Krankenhaus lag, aber mit dem Vorsatz war es vorbei, als er mir einen sanften und weichen Kuss gab. Wie automatisch und gierig zugleich hatte ich meinen Mund geöffnet und ließ ihn rein. Sofort fing mein Herz an zu puschen und ich fühlte schon die Hitze in mir aufsteigen. Die allerdings wieder abflachte als David, Sarah und Mom ins Krankenzimmer kamen.
Ich tippte die Nachricht zu Ende und schickte sie los. Ich schrieb: »Bist du daheim?«
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
»Ruf mich an!« Ich tat es. »Kastner!«
»Hi!«
»Bist du in deinem Zimmer?«
»Ja!«
»Sprich leise!« Keine Ahnung, was er wollte, aber ich tat es. »Was ist los? Kannst du nicht schlafen?«
»Nein, kann ich nicht.«
Warum, in Gottes Namen, war es so schwer, ihn zu fragen, ob ich zu ihm durfte. Ich druckste rum.
»Was ist los? Du hast doch was?«
»Ich … ich …« Ich schluckte. »Ach nichts. Ich wünsche dir eine gute Nacht«, sagte ich und legte auf. Tief atmete ich ein und hatte auch gleich wieder eine SMS von ihm.
»Ich wünsche dir auch eine gute Nacht, mein kleiner Orkan.«
Gott, selbst diese Wörter zu lesen brachte mich in Wallung. Mein Entschluss, der zuvor nur vage in meinem Kopf aufflatterte, war mit solcher Inbrunst über mich hergefallen, dass ich fast aus dem Bett gestolpert wäre. Schnell zog ich mich an, schnappte den Helm und die Schlüssel für das Moped. Halb rennend verließ ich die Wohnung. Ich konnte es ohne ihn nicht mehr aushalten.
Keine 20 Minuten später fuhr ich in die Einfahrt zur Villa. Er stand schon an der Tür und grinste mich an. Sein Oberkörper war nackt und seine Jeans war nicht einmal zugeknöpft, sondern sah aus, wie schnell übergezogen. Ich nahm den Helm ab, schnallte ihn an das Lenkrad, steckte den Schlüssel in die Hosentasche und ging auf ihn zu. Meine Beine drohten nachzugeben, deshalb beschleunigte ich den Schritt, bis ich schließlich fast rannte und ihm dann um den Hals fiel.
Überrascht und sehr erfreut nahm er mich in die Arme und schob mich durch die Tür. Unsere Lippen trafen sich und keiner holte mehr Luft, weil keiner die Berührung des anderen missen wollte. Ich umgriff mit meinen Händen seinen Hintern und drückte ihn fester an mich heran. Er ließ von meinem Mund ab und keuchte auf, als er meine Härte an sich spürte.
»Du siehst aus, als ob ich dich geweckt hätte«, flüsterte ich an seinem Hals und genoss die Liebkosungen, die er mir gab.
»Nein, nicht wirklich, habe noch am Computer gearbeitet.«
Meine Hände wanderten über seinen nackten Rücken zurück zum Bund der Hose, an der Seite entlang, umkreisten etwas seine empfindliche Stelle, bis er zusammenzuckte und in meinen Mund kicherte. Vor bis hin zu seiner Brust. Seine Nippel waren schon hart und ich drückte die Brustwarzen etwas zusammen.
»Biest!«, hauchte er nur.
Etwas räusperte sich hinter Kyel und ich blickte über seine Schulter. Dort standen ein älterer Herr und eine Dame, die ich ungefähr auf das Alter von knapp sechzig schätzte. Kyel drehte sich um. Leicht überrascht und etwas verlegen fuhr Kyel sich durch die Haare und ich schaute ihn fragend an. Er räusperte sich und es schien ihm unangenehm zu sein. Er war verlegen und ich spürte, dass ich grinsen musste, doch dann setzte ich gleich meine Maske auf, was etwas schwer viel. Ihn verlegen zu sehen, war … war unbeschreiblich. Kyel Kastner war verlegen.
»Ähm, Mom, Dad!«
Nun war ich wirklich überrascht, da ich dachte, er hätte Arbeitskollegen bei sich und steckte noch bis über beide Ohren in der Arbeit.
Das waren seine Eltern. Sie sahen sehr freundlich aus und schienen absolut keine Abneigung gegenüber dem, was sie gerade mitbekommen hatten, zu haben.
»Das ist Sascha. Sascha das ist mein Dad.«
Er stellte sich mit dem Namen Clive vor und gab mir seine Hand, was mich auch sehr überraschte. Schwulen gab man nicht die Hand und wenn doch, dann wischte man sie sich unbemerkt an der Hose wieder ab oder rannte auf die nächste Toilette, um nach einem Desinfektionsmittel zu suchen.
»Und das ist meine liebe Mom.« Sie lächelte mich an und mir wurde es warm ums Herz. Wie lange war es her, seit meine Mom mich so angesehen hatte?
»Hallo Sascha ich bin Janet.«
»Hallo, sehr erfreut Sie kennenzulernen«, sprach ich plötzlich auf Deutsch und sie schauten mich verdattert an. Ich spürte, wie ich rot wurde, nicht mehr wusste, wohin mit meinen Händen. Ein etwas verunglücktes leichtes Grinsen aufsetzte und mir mit der Hand durch die Haare fuhr.
»Entschuldigung, ich meine, sehr erfreut euch kennenzulernen.« Nun auf Englisch und Kyel lachte los. Ich war so was von überhaupt nicht verlegen, suchte irgendwo ein Mauseloch, als mich plötzlich zwei große Hände umgriffen, die mich an seine Lippen zogen. Er küsste mich, einfach so, vor seinen Eltern. Ich war … perplex.
»So, so, du wechselst also in deine Muttersprache, wenn du etwas überfordert bist«, stänkerte er, als er mich wieder losgelassen hatte. Ich funkelte ihn mit einer Mischung aus böse und totaler Abneigung, mich vor andere zu küssen, an.
Seine Mutter hakte sich in meinen Arm ein und führte mich in die Küche.
»Sei nicht böse auf ihn. Er ist nur glücklich, wieder etwas mehr von dir zu erfahren«, sagte sie und ich zog meine Augenbrauen hoch.
»Weiß du, Kyel hat uns erklärt, dass du in letzter Zeit sehr viel durchgemacht hast oder im Moment noch durchmachst. Deswegen gibst du so wenig von dir preis.«
Ohne mich zu fragen, ob ich was trinken wollte, stellte sie mir eine Tasse mit heißem Tee hin. Ich bedankte mich und nippte vorsichtig. Ich sah, wie Kyel unser Gespräch mit gemischten Gefühlen verfolgte und am Ende erleichtert aufatmete, als seine Eltern sich verabschiedeten und die Küche verließen.
»Du hast wundervolle Eltern!«
»Meinst du? Ich konnte nicht glauben, dass das Jahr Weltreise, auf das ich sie geschickt habe, schon wieder vorbei ist.« Ich boxte ihm in die Seite. Im Gegenzug hob er mich einfach hoch und verfrachtete mich in sein Schlafzimmer. Noch bevor wir sein Bett erreicht hatten, waren meine Jacke und mein Shirt ausgezogen und er machte sich über meinen Jeansknopf her.
»Man bist du stürmisch!«, hauchte ich an seinen Hals.
»Nicht wirklich. Hatte nur einen anstrengenden Tag.«
»Ah ja!« Weiter kam ich nicht, weil er mir in die Brustwarze biss und ich etwas laut aufstöhnte. Gleich darauf leckte er sie entschuldigend ab. Der Knopf war endlich offen und er zog mir die Jeans bis zu den Fesseln runter. Ich trat auf das Ende und zog sie ganz aus. Mit einem Ruck war auch die Unterhose unten, die ich nicht ausziehen konnte, denn mein Schwanz versank in seinem Mund. Meine Finger krallten sich in seine Haare und ich verlor fast den Halt, als er in meine Hoden biss.
»Eine Mail ist angekommen!«, ertönte es aus dem Laptop, der auf dem Bett stand. Ich ignorierte es, doch Kyel ließ schwer atmend von mir ab. Plötzlich klingelte sein Handy, er nahm ab und setzte sich an den Laptop.
»Bin schon dran!«
»Was sollte das?«, fragte ich mich und nahm die Decke, die er mir reichte. Nun stand ich erregt da, mit einer Decke um meine Hüfte. Das war ja ganz klasse. Musste er an das Handy gehen? Typisch Geschäftsmann, kann einfach nicht ohne seine Arbeit.
»Was meinst du damit? Wie? Ihr könnt ihn nicht orten?«, hörte ich Kyel sagen, beugte mich über ihn und sah das Bild. Die Abfolge der Bilder, wie ich aus dem Bett stieg, meine Klamotten anzog, den Helm und die Schlüssel schnappte.
»Das ist … das ist …!« Mir wurde schlecht. Schwarze und weiße Punkte waren vor meinem Auge und ich spürte, wie meine Beine langsam nachgaben.
»Hey Sascha, hey!«
Zwei kräftige Arme umfingen mich und legten mich auf das Bett. Der plötzliche Ruck hielt die kommende Ohnmacht auf. Ich starrte an die Decke und fragte mich, warum Kyel mich ausspionierte. Das konnte nicht sein, aber warum? Tränen sammelten sich in meinen Augen. Aber warum ließ er es dann so offensichtlich vor mir geöffnet. Immer wieder rief er meinen Namen, aber ich hörte ihn nicht. Meine Gedanken waren bei den Bildern. Erst als ich seine Lippen auf den meinen spürte, kam ich langsam wieder zurück. Ruckartig setzte ich mich auf.
»Sag mal spinnst du? Bist du der, der mir diese beknackte Mail geschickt hat. Die Bilder auf das Handy. Warum spionierst du mir na…!« Ich hielt inne, als er mir wieder einen Kuss auf die Lippen setzte.
»Ich bin es nicht, glaube mir!«, doch ich wehrte ihn ab. »Sascha, jetzt beruhige dich erst mal!«, sagte er und drückte auf sein Handy. »Hör zu, hör einfach zu!«, die Art und Weise, wie er es zu mir sagte, ließ mich aufhorchen. Kyel war zu ernst und ich nickte. »Stellt euch vor!«, sagte er und legte das Handy vor sich hin. Kyel hatte auf Lautsprecher geschaltet.
»Hi, ich bin’s, Raoul und wir sind dabei deinen Stalker ausfindig zu machen, ist nicht ganz leicht. Der Typ hat es faustdick hinter den Ohren«, kurze Pause. »Ja, und ich bin Anthony, ich arbeite bei der SPA. Kyel hat uns diesen Auftrag gegeben. Und ich bin Emily …!«, SPA? Ist das nicht die Special Police Activity, die Elite der Polizei?
»Emily solltest du nicht im Bett sein. Ich will …!«, murrte Kyel.
»Ja, ja schon gut. Fakt ist, dass der Typ versucht hat, sich heute in den Firmencomputer zu hacken. Und vorhin, vor ungefähr einer Stunde, hätten wir ihn fast gehabt, da hatte er sich in Saschas PC gehackt. Der Typ ist echt clever. Der konnte uns abweisen und hat uns diesmal in die Türkei geschickt, in so ein Tanzlokal. Raoul wäre fast in Ohnmacht gefallen, als er die halb nackten Mädchen tanzen sah«, sie kicherte.
»Noch mal, was war mit den Firmencomputern?«
»Keine Sorge, die sind gut geschützt. Aber ich frage mich immer noch, wie er Zugriff auf einen Rechner hat, der offline ist? Sascha hat seinen PC um ca. halb zehn heruntergefahren, daher muss auch die Cam aus gewesen sein. Ja, aber diese Bilder, die wir abgefangen haben und dir zuschickten, wurden drei Stunden später aufgenommen. Wie also in aller Welt kann er Bilder mit einer ausgeschalteten Kamera machen? Ach ja, hast du die Mail gelesen, die er noch geschickt hat?« Kyel beantwortete es mit Nein. Für mich war es zu viel. Ich verstand nur noch Bahnhof.
»Warte mal …!«, mischte sich Anthony ein und weg war er. Ich saß auf dem Bett und versuchte, das Gespräch zu verfolgen. Mir war es nicht nur heiß, kalt und schlecht in einem. Mir war kotzübel. Dieser Kerl machte seine Drohung wahr.
»Hallo, mein Sub!
Meine Anordnung war, dass du dich ausruhen sollst. Warum befolgst du sie nicht? Du warst im Krankenhaus und du weißt, dass ich mir Sorgen mache, wenn du krank bist.
Ich hoffe nur, dass du nicht zu ihm gefahren bist und wieder deine Beine für ihn breitmachst.
Wohl falsch gehofft. Sascha, mein kleiner Sascha. Ich werde dich wohl bestrafen müssen. Meine Gutmütigkeit ist am Ende.
Ich rate dir, sofort nach Hause zu fahren. Kyel Kastner ist nichts für dich.
In Liebe dein Herr.
P.S. Ach ja und damit du weißt, dass ich es ernst meine. Öffne den Anhang!«, versuchte Kyel, es gelassen zu lesen, doch ich sah, wie er innerlich mit sich selbst kämpfte.
»Ja, das waren die Bilder«, hörte ich Raoul aus dem Lautsprecher. »Hast du sie schon komplett gesehen?«
»Nein noch nicht«, sagte Kyel, öffnete den Ordner und klickte sich durch die Bilder.
»Gott!«, rief ich aus. Ich fasste nicht, was ich sah. Es war Kyel, der gefesselt an einer Wand hing. Sein Oberkörper mit Striemen übersät und seine Männlichkeit, ragte dem Mann, der vor ihm kniete, entgegen. Ein anderer stand neben ihm und zwirbelte ihm in die Brust. Anhand von Kyels Gesichtsausdruck erkannte ich, dass er höllische Schmerzen erlitt.
Kyel drehte sich zu mir um und nahm mich in den Arm.
»Das ist eine Fotomontage, dass alles, was du siehst, ist gestellt, außer, naja, außer meiner Erektion, die ist echt, sie musste echt sein. Aber das Bild ist älter als zehn Jahre.« Ich blickte abwechselnd zu ihm und zu dem Bild, irgendwie kam es mir bekannt vor. Irgendwo hatte ich es schon einmal gesehen. Vielleicht in einer Zeitschrift über sexuelle Neigungen. Er klickte weiter und dann kam ein verschneites dunkles Bild. Nur mit Mühe erkannte ich die Einfahrt zu seiner Villa und das braunrote Moped auf dem Parkplatz. Ich sog scharf die Luft ein.
Raoul und Anthony waren schon lange aus der Leitung. Sie hatten sich anscheinend, gleich, nachdem Kyel die Bilder geöffnet hatte, verabschiedet.
Ich fasste es nicht. Der Typ verfolgt mich wirklich und ich starrte nur auf den Laptop. Innerlich wurde ich kalt, wie immer, wenn ich etwas von mir wegstieß und all meine Gefühle tief in mir verschloss.
»Das Bild ist von vorhin!«, stellte ich fest und er nickte. Ich ließ mich auf die Kissen fallen und die Decke rutschte etwas runter. Wirre Gedanken überfluteten mich und ich wusste nicht, wie ich es Kyel beibringen sollte. Ich konnte nicht mehr mit ihm zusammen sein. Zusammen sein! Waren wir überhaupt zusammen? Nein, unsere Beziehung bestand nur aus Sex. Nur körperliche Befriedigung, mehr war da nicht. Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, blickte Kyel mich lüstern an. Damit fand ich die Bestätigung meiner Gedanken.
Obwohl ich in mich gekehrt war, blieben seine Augen, die an mir hafteten, nicht ohne Wirkung. Kyel schaffte es, in nur wenigen Sekunden, mich komplett umzukrempeln. So hart, wie es klang, aber ich war scharf auf ihn und im Moment wollte ich nichts mehr, als ihn spüren. Ich wollte von ihm durchgefickt werden, nur um den inneren Schmerz zu vergessen. Den verbalen Schmerz, den meine Eltern mir zufügten, den Schmerz den mir David an jenem Tag zugefügt hatte und den Schmerz, mit dem ich jeden Tag konfrontiert wurde. Ich wollte alles vergessen. Ich wollte durch den Schmerz des Sexes alles verdrängen und Kyel war genau der Richtige, der mir geben konnte, was ich wollte. Ekstase, Leidenschaft, Geilheit alles in einem und zur gleichen Zeit.
»Was ist, willst du deinem Herrn gehorchen und nach Hause fahren?«, murmelte er und fing an, meinen Nabel mit seiner Zunge zu umkreisen.
»Bist du bescheuert! Ich höre wohl nicht richtig. Mein Herr!«, fluchte ich kurz und dann besann ich mich. »Um ehrlich zu sein, ich habe mit dem Gedanken gespielt«, gab ich zu und stützte mich auf meine Armen ab, um ihn besser sehen zu können.
»Nein, auf keinen Fall, wirst du diesen Forderungen nachgeben.«
»Aber deine Firma …«
»Ist in guten Händen und wird intern sowie von außerhalb geschützt. Du brauchst dir meinetwegen keine Sorgen zu machen.«
»Aber …!«
»Nichts aber, halt jetzt still und genieße!« Ich fragte mich, wie es an ihm einfach so vorbeigehen konnte. Erst war er außer sich vor Zorn, doch schon im nächsten Moment war alles wieder vergessen und er fiel über mich her. Er umschloss mich mit seinem Mund und ich versank in das Gefühl, das er mir bescherte.
Am nächsten Morgen wachte ich auf und spürte einen leichten Druck auf meinem Bauch. Ich hob die Decke und sah dort einen Arm liegen. Noch leicht benebelt wandte ich meinen Kopf und sah Kyel neben mir. Ich verfolgte seine Augenbrauen, betrachtete seine Nasenwurzel bis hin zu der Mulde unterhalb der Nase. Bartstoppeln zierten den Weg bis zu der leichten Wölbung seiner sanften Lippen. Diese Lippen, dieser Mund war die Wucht. Ich wusste gar nicht, was man mit diesem Körperteil alles machen konnte. Besonders, was dieser Mund mit mir anstellen konnte. Ich beugte mich über ihn und hauchte ihm einen leichten Kuss auf diese wunderbare Wölbung. Dann warf ich einen Blick auf den Wecker und schreckte hoch. Ich war zu spät dran und wollte schon aus dem Bett springen, als sich der Druck auf meinem Bauch verstärkte.
»Wo willst du hin?«
»In die Schule.«
»Glaube ich nicht, der Arzt hat dich noch bis Ende der Woche krankgeschrieben.«
»Und was ist mit dir? Es ist schon nach acht.«
»Ich habe mir auch für den Rest der Woche freigenommen.« Wieder wollte ich aufstehen und wieder hielt er mich zurück.
»Was ist? Ich will mich duschen!« Gleichdrauf schlug ich mir an den Kopf. »Nein, ich habe keine Wechselklamotten«, entkam es mir.
»Die brauchst du auch nicht.« Verdattert schaute ich ihn an und er grinste über alle vier Backen.
»Du bist unverbesserlich!«
»Das habe ich schon einmal gehört, - komm her und mach da weiter, wo du aufgehört hast«, gluckste er und ich kniff ihm in die Seite.
»Einfach unverbesserlich!«, murmelte ich und stand auf. Mein Handy klingelte und alles in mir zog sich zusammen. Langsam ging ich zur Hose, hob sie auf und kramte das Handy aus der Tasche. Es klingelte immer noch und ich blickte zu Kyel. Er deutete mir, ranzugehen und erst dann wagte ich einen Blick auf das Display. Mein Herz raste und es kam mir vor, als ob es Stunden dauerte, bis ich den Namen erkannte. Erleichtert atmete ich tief ein, als ich Sarah las. Noch bevor ich mich melden konnte, polterte sie schon los.
»Wo bist denn du? Mom macht sich total die Sorgen!« Es war seit über zehn Monaten, das erste Mal wieder, dass sie mich anrief.
»Ich bin bei einem Freund!«
»Ach ja, bei einem Freund. Mom dachte schon, dass du in dieser Szene untergetaucht bist oder tot.« Was für eine Szene fragte ich mich.
»Nein, bei mir ist alles in Ordnung.«
»Dann ist ja gut. Ich sage Mom Bescheid, dass du bei einem Freund übernachtet hast.« Das Wort Freund betonte sie extrem langsam und ich schnaubte.
»Ist sonst noch etwas?«, fragte ich, bekam aber keine Antwort, denn sie legte einfach auf. Skeptisch blickte ich das Handy an und hatte vollkommen vergessen, dass ich nackt war. Zwei kräftige Arme umgriffen mich und warmer Atem streifte zärtlich meinen Hals. Seine Zunge liebkoste meinen Nacken und er hielt mich nur fest.
»Du kannst ruhig rangehen, an dein Handy. Du brauchst keine Angst zu haben, wenn es dieser Typ ist. Die SPA hat alle Nummern im System gespeichert und wenn eine nicht registrierte versucht dich anzurufen, dann wird das Gespräch automatisch an die SPA weitergeleitet und sie können entweder die SMS abfangen oder das Gespräch, das du mit ihm führst, abhören. Das Gleiche gilt allerdings für diesen Kerl auch. Der hat deine Nummer gehackt und konnte all deine Gespräche abhören.«
»Konnte?« Ich spürte, wie er nickte.
»Emily und Anthony sind wahre Genies auf diesem Gebiet. Sie haben ein Störsignal in deinem Handy installiert. Ich glaube, der Typ hat etwas daran zu knabbern, bis er das Signal knackt. Und wenn, dann habe ich sofort die Information darüber.« Ich fühlte mich beruhigt, mehr noch. Ein wildfremder Mann beschützte mich und plötzlich fühlte ich mich klein. Ich drehte mich zu ihm um und schlang die Arme um seinen Hals. Legte meinen Kopf auf seine Brust und flüsterte: »Halt mich«, und er tat es. Er tat es mit seiner ganzen Art und einige Tränen stahlen sich aus meinen Augen. Ich zitterte und er strich mir sanft über den Rücken.
»Schsch, alles wird gut. Alles wird wieder gut.«
Den restlichen Tag verbrachte ich mehr oder weniger im Bett. Nur ein paar Mal ›erlaubte‹ er mir aufzustehen, und zwar nur, wenn die Natur rief oder wenn ich mir die Beine von dem ganzen Liegen, vertreten wollte. Zum Schluss ließ er mich auch aufstehen, um mir einige Klamotten von Daheim zu holen.
Ich zog mich an und fuhr nach Hause.
Zum Glück war Dad nicht daheim, als ich mitteilen wollte, dass ich bei einem Freund bleiben würde. Und Mom hantierte wie üblich in der Küche, während ich es ihr sagte. Nur eins überraschte mich, als ich meine Klamotten zusammengepackt hatte und im Begriff war zu gehen, nahm mich meine Mom in die Arme.
»Pass auf dich auf«, sagte sie und küsste mich auf die Stirn. Ein Schwall an Gefühlen stieg in mir hoch und ich konnte nur noch nicken.
»Sarah hat mir deine Handynummer gegeben. Ich werde dich anrufen. Vergiss nicht, dich auch mal zu melden.«
»Mom, ich zieh doch nicht aus!«, rief ich aus und fuhr mir mit der Hand durchs Haar, sie lächelte.
»Hier ist ja mein Junge wieder«, sagte sie und ich schaute sie überrascht an. Was hatte sie gesagt?
Noch während ich die Treppe im Treppenhaus runter ging, blickte ich sprachlos zu unserer Haustür. Mom! Ging es durch mich durch und mir wurde es bisschen warm ums Herz. Ich schwang mich aufs Moped und fuhr zu Kyel zurück. Er zog mich sogleich ins Schlafzimmer, riss mir die Klamotten vom Leib und verfrachtete mich ins Bett.
»Jetzt übertreibst du aber!«
»Nö, du bist krank. Und kranke Menschen gehören ins Bett. Ich will nicht sehen, dass du aufstehst!«
»Ach ja, und die Aktion heute Nacht … meinst du, die war gut für einen kranken Menschen?«
»Das war eine medizinische Sonderbehandlung, die zur Genesung beiträgt«, grinste er schelmisch und drückte mir auch sogleich seine Lippen auf meinen Mund. Danach musterte ich ihn kurz. Er war in Jackett und Krawatte.
»Ich dachte, du hast diese Woche frei?«
»Hmm, schon, aber ich muss trotzdem in die Firma fahren. Ein neuer Kunde wartet. Und neue Kunden, die begierig darauf sind, Geld auszugeben, darf man nicht warten lassen.« Er richtete noch schnell seine Krawatte, zog seine überteuerten Schuhe an und ging an die Tür. Kurz drehte er sich um. »Ich bin, so schnell ich kann, wieder zurück.« Ich nickte und kurze Zeit später hörte ich den Jaguar, der aus der Einfahrt fuhr.
Na toll, nun saß ich hier in dem riesigen Bett fest und da fiel mir ein, dass ich das Haus oder besser seine Villa noch nicht kannte. Obwohl ich bereits schon einen ganzen Tag hier war. Ich schwang mich aus dem Bett und zog mir eine legere Jogginghose und ein T-Shirt an. Das Bad hatte ich schon kennengelernt und die Küche genauso. Ich ging aus dem Schlafzimmer und schaute mich um. Von irgendwoher hörte ich Leute, die sich unterhielten, und ging dem nach. Die Stimmen kamen aus der Küche, ebenso wie der herrliche Duft eines frisch aufgebrühten Kaffees, der auf mich zu warten schien.
Ein älterer Herr las in der Zeitung und eine Frau kümmerte sich um die Spülmaschine. Das waren Kyels Eltern.
»Also eins muss ich sagen, Liebling. Kyel hat absolut keinen Sinn für alles, was den Haushalt betrifft. Jetzt sind wir fast zwei Tage da und ich habe immer noch keinen Überblick über seine Sachen hier in der Küche«, schimpfte sie.
»Schatz, es ist seine Küche, solange du Kaffee, Milch, Zucker und etwas zu essen findest, ist es doch alles in Ordnung«, gab er genervt zurück.
»Ja, ist ja alles gut und schön. Er hat geäußert, dass er heute sein Lieblingsessen haben will, aber ich finde hier nichts. Und ich möchte eigentlich nicht einkaufen gehen.«
»Dann soll er sich was bestellen.«
»Und was essen wir? Sollen wir Kyel und Sascha zuschauen, wie sie vor uns das Essen reinschlingen und sich liebevoll in die Augen blicken?« Der Mann sah auf und grinste seine Frau an.
»Schön, warum regst du dich auf? Kyel ist gerade unterwegs, der kann doch die Zutaten besorgen, wenn er schon Wünsche äußert, was er essen will. Außerdem glaube ich kaum, dass Kyel uns zuschauen lässt«, merkte er an und erblickte mich. Er legte die Zeitung weg und grinste mich breit an.
»Guten Morgen, Kleiner!«, sagte er dann. Kyels Mom drehte sich um und ich erkannte ihn in ihren Augen wieder.
»Ah, Sascha. Du bist schon wach?«, fragte sie mich und ich war überrascht. Es war doch schon fast zehn Uhr früh und ich war bereits unterwegs gewesen, um ein paar Klamotten von Daheim zu holen.
Ich nickte und sagte ebenfalls Guten Morgen. Gleich bombardierte sie mich mit Frühstück und Kaffee. Der Mann musterte seine Frau mit hochgezogener Augenbraue und nur er wusste warum.
Irgendwann, nachdem ich meinen zweiten Toast gegessen hatte, fing Kyels Mom wieder an.
»Mensch, ich bin hier um mich von der Weltreise zu erholen und was mache ich? Ich fühle mich wie ausgebeutet.«
»Kein Mensch verlangt von dir, dass du hier aufräumst«, entgegnete ihr Mann genervt und sie sog die Luft ein.
»Es macht doch sonst keiner! Man sieht doch, dass hier keine Frau im Haus ist.«
»Kyel und Frau? Dafür bist du ja da!«
»Sehr witzig!« Die beiden frotzelten sich weiter an. Es war herrlich, es mit anzusehen. Von meinen Eltern konnte ich so etwas nicht behaupten. Niemals hätten sie es in Erwägung gezogen, sich vor uns Kindern oder vor Fremden so zu zeigen. Mein Vater verschwand lieber in sein Arbeitszimmer oder ging arbeiten und meine Mutter tat alles mit einem Schulterzucken ab.
»Was ist Kyels Lieblingsessen?«, fragte ich geradeheraus. Beide blickten mich an und ich versank irgendwie in meine Tasse mit Tee. Kaffee durfte ich, laut Kyels Mama, nicht mehr als eine Tasse am Tag trinken. Da ich nicht gleich unhöflich erscheinen wollte, gab ich mich mit dem Tee zufrieden.
»Wie lange seid ihr zusammen?« Schock? Was war das für eine Frage? War ich überhaupt mit Kyel zusammen? Ich wusste es nicht. Es ging alles so schnell.
»Ähm, ich kenne ihn erst seit letzten Freitag«, druckste ich rum. Die Mutter stemmte ihre Hände in die Hüfte.
»Noch nicht mal eine Woche, dann ist es ja kein Wunder!«
»Lasagne. Kyels Lieblingsgericht ist Lasagne«, beantwortete der Vater meine Frage.
»Ja und er hat nichts da, für Lasagne!«, schnaubte die Mutter. Was für eine Familie! Wusste Kyel, wie sich seine Eltern über ihn ausließen? So wie ich ihn einschätzte, ja.
Nachdem ich ihrem Geplänkel noch etwas zugehört hatte, fasste ich einen Entschluss, entgegen dem Willen von Kyel, nicht nach draußen zu gehen.
Kurzerhand schnappte ich mir meinen Mopedschlüssel und fuhr in den naheliegenden Supermarkt. Ich ging an die Fleischtheke und kaufte Hackfleisch. Dann suchte ich in der Obst- und Gemüseabteilung nach Tomaten und Sellerie. Ich wusste nicht, ob Kyel Sellerie mochte, aber ich nahm sie trotzdem mit. Petersilie, Oregano und Knoblauch suchte ich mir ebenfalls. Danach schlenderte ich zu den Nudeln. Ich könnte die Nudeln selbst machen, aber ich musste mir eingestehen, dass ich dazu absolut keine Lust hatte. Außerdem ging es schon haarscharf auf Mittag. Ich hätte nie gedacht, dass das Frühstücken, mit seinen Eltern, sich so lang hinzog und ich bemerkte, dass ich schmunzelte. Zwischen den Eltern von Kyel war eine unausgesprochene warme Harmonie.
Ich packte noch diese Plattennudeln extra für Lasagne ein und ging an die Kasse. Da fiel mir ein, dass ich den Käse vergessen hatte und etwas Crème fraîche. Crème fraîche deshalb, weil ich keine Lust hatte, auch noch eine Béchamelsoße zu zaubern. Inständig hoffte ich, dass mein Geld noch ausreichen würde, und schimpfte mich einen Vollpfosten, weil ich nicht vorher noch zur Bank gefahren war.
Gott sei Dank, das Geld reichte und ich packte alles in eine Tüte. Ich verließ den Supermarkt und ging zum Moped. Mein Handy klingelte und ich sah, ›unbekannte Nummer‹ dennoch wusste ich, wer es war. Es konnte nur dieser Typ sein. Wer sollte mich sonst anrufen mit einer unbekannten Nummer. Ich ignorierte sie und ließ das Handy klingeln. Irgendwann ging die Mailbox ran. Brachte nichts. Es klingelte von Neuem, wieder diese Nummer und wieder ignorierte ich es.
Ich wollte schon meinem Helm aufsetzen, als es wieder anfing, diesmal nahm ich ab.
»Was willst du? Lass mich in Ruhe, du perverses Schwein!«, ich bekam keine Antwort, der Anrufer legte auf und gleich darauf erhielt ich ein Foto auf das Handy geschickt. Da war ich, wie ich beim Supermarkt auf mein Handy starrte. Gott, der Kerl verfolgt mich. Wieder ertönte das Handy und diesmal war es eine Nachricht. »Du gehörst mir!«, der Kerl versaute mir mein Leben und ich spürte, wie mir Tränen in die Augen steigen wollten. Wieder rührte sich mein Handy, wieder war es die unbekannte Nummer und ich sah, wie meine Hände zitterten. Ich drückte auf Öffnen, aber es war kein Bild vorhanden. Das Handy klingelte noch mal und dieses Mal zeigte es mir plötzlich eine andere unbekannte Nummer an.
»Ich sagte, du sollst mich in Ruhe lassen …!«
»Ganz ruhig. Ich bin es, Emily. Ich habe das letzte Foto sowie die SMS abgefangen und dir nicht weitergesendet. Du solltest es lieber mit Kyel anschauen!«
»Habt ihr ihn endlich?«
»Nein, der ist gewiefter als gedacht. Außerdem tust du gut daran, wenn du zu Kyel fährst, dort bist du im Moment am sichersten. Fahr zu ihm, ich habe ein sehr schlechtes Gefühl, bei der Sache.« Gott, was hatte das zu bedeuten?
»Weiß Kyel schon davon?«
»Ja und er hat auch die letzte Nachricht gesehen, du solltest so schnell wie möglich zu ihm fahren. Und mach keine Umwege. Er macht sich große Sorgen um dich, weil du nicht bei ihm Daheim bist.« Sie legte auf und meine Hände zitterten schlimmer als Espenlaub. Meine Beine gaben wieder nach und nur mit Müh und Not konnte ich mich am Moped festhalten. Der Helm wäre mir beinahe aus der Hand geglitten und ich setzte ihn auf. Meine Atmung kam nur noch stoßweise. Emily hatte es geschafft, dass ich plötzlich ängstlicher als ein Hase war.
Verdammt ich durfte keine Angst haben, wie hätte ich sonst die letzten Monate überstanden, wenn ich ständig ängstlich war. Meinen Einkaufsbeutel packte ich auf das Moped und fuhr los.
Ich bog in die Einfahrt ein und schon kam Kyel aus der Villa gerannt. Heftig umarmte er mich und ich spürte, wie er am ganzen Leib zitterte. Was war das für eine Nachricht, die ich nicht bekommen hatte. Auch sah ich, dass seine Eltern besorgt zu mir schauten.
»Komm rein!«, forderte Kyel mich auf und nahm den Einkaufsbeutel. Erleichtert schloss er die Tür und atmete tief ein.
»Was war das für eine Nachricht?« Kyel wich meinem Blick aus und holte sein Handy aus der Tasche. Kurz suchte er und überreichte es mir.
»Als ich das gesehen habe, bin ich, so schnell wie möglich, hergefahren.« Ich sah das Bild und krachte zu Boden. Hemmungslos fing ich zu weinen an und schüttelte immer wieder verständnislos den Kopf. Dieses Bild zeigte mir, wie ich Daheim noch einmal auf die Toilette gegangen war und dann noch ein anderes.
»Der Kerl hat sie nicht mehr alle!«, murmelte ich und Kyel kniete sich zu mir runter.
»Sascha ich möchte, dass du nicht mehr alleine nach draußen gehst!« Ich nickte und schaute wieder auf die Nachricht.
»Das hier habe ich für dich eingerichtet. Unser gemeinsames Nest.«
Auf dem anderen Bild war ein Bett zu sehen. Das Kopf- und Fußende war mit Gittern versehen und diverse Handschellen und Fesseln zierten das Bettlacken. Gleitgel und ein übergroßer Dildo standen auf dem Beistelltisch. An der Wand bis über die Decke hing ein Spiegel, in dem sich das ganze Bett spiegelte. Das Licht des Bildes war in Violett getaucht. Ich vermutete, dass die Vorhänge violett waren und das ganze Zimmer, wegen der Sonnenstrahlen, die sich an den Vorhängen brachen, deshalb so lila erschien.
Kräftige Arme umfassten mich und ich schmiegte mich an Kyels Brust.
Ich suchte nach einer Ablenkung, das ständige Grübeln, und die immer wieder aufkommende Angst, machte mich verrückt. Ich stand vom Bett auf, weil Kyel mich wieder dazu verdonnert hatte, mich hinzulegen und ging in die Küche. Sofort fuhr mich Kyel an: »Du sollst dich hinlegen!«
»Mir geht es gut!«
»Ich sagte, du sollst dich hinlegen oder willst du wieder ins Krankenhaus!«
»Mir geht es gut!«, betonte ich.
»Schön, dennoch gehst du ins Bett!«
»Kyel, mir ist langweilig und außerdem tun mir die Knochen vom ständigen Liegen weh.«
»Lieber schmerzen dir die Knochen, als das du wieder ins Krankenhaus musst!« Er musterte mich eindringlich und ich rastete aus.
»Mir geht es gut. Ich will nicht ständig liegen und von dir überversorgt werden …« Ich blickte zu der Arbeitsplatte und atmete hörbar ein.
»Was macht ihr mit meinem Zeug?«
»Lasagne kochen.«
»Ist nicht dein Ernst. Weißt du überhaupt, wie das geht?«
»Ja, ich weiß, wie das geht!«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich!«
»Wirklich und warum liegt da ein Kochrezept?«
»Weil Mom es auf deine Art versucht …«
»Mom? Bist du nicht alt genug, um zu wissen, wie man sein eigenes Lieblingsgericht zubereitet?«
»Ich mach es immer anders. Und deshalb mussten wir nachschauen wie …«
Wow, in mir kochte es. Die ganze Wut, der ganze Zorn, der vom Grübeln stetig in mir hochgestiegen war, brach mit aller Wucht aus mir raus und ich schob Kyel etwas heftiger als gewollt von der Arbeitsplatte weg.
»Geh beiseite. Das ist das originale Rezept einer Italienerin und du misshandelst es nicht, nur weil du im Internet nach einem Rezept, das vielleicht so in der Art sein könnte, gesucht hast!« Er grinste mich an, was schon fast ein Auslachen war. Ich brodelte vor Wut.
»Was?«
»Sascha!«
»Was?« Zwei Hände umfassten mein Gesicht und er zog mich an sich heran. Alles in mir geriet in Alarmbereitschaft und ich roch nur noch seinen herben Duft und spürte seine warmen Lippen auf den meinen.
»Endlich!«, murmelte er. Ich drückte ihn weg und funkelte ihn böse an. »Wenn ich gewusst hätte, dass du nur wegen eines Rezepts so ausrastest, hätte ich dich schon früher zur Weißglut gebracht.«
»Echt witzig!«, schnauzte ich und schmunzelte zugleich. Dieser eine gehauchte Kuss ließ mich wieder hinschmelzen und die aufgestaute Wut verpuffte sich in Luft.
Seine Eltern standen daneben und verfolgten schweigend unsere Auseinandersetzung.
»Liebling.«
»Hmm.«
»Sag mal, wann wurde Kyel das letzte Mal so ausgeschimpft?«
»Nie. Er ist und war immer der Boss. Eigentlich kriechen die anderen vor ihm und nicht andersherum.«
»Hmm«, hörte ich sie und drehte mich um. Janet lächelte mich mit einem Nicken an.
»Ich mag ihn. Er hat was!«
»Das kommt nicht oft vor, dass du dich so schnell mit einem Freund von Kyel abfindest.«
»Jetzt hört mal auf, ihr beide, wir hören euch …«, ging Kyel, langsam genervt, seinen Eltern dazwischen.
»Ist ja auch der Sinn dabei. Wir haben keine Geheimnisse und je schneller Sascha es lernt, umso besser für ihn. Nicht war?« Kyels Mom Janet kam auf mich zu und blickte mir über die Schulter. Sie fragte mich aus, wie ich die Lasagne zubereite, und ließ sich von mir Kommandos geben.
Ich verbrachte, ungelogen, über zwei Stunden in der Küche und bereitete die Lasagne vor. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich so lange für die Zubereitung eines einfachen Essens brauchen würde. Kyels Eltern fragten mich über alles Mögliche aus.
Das Peinlichste allerdings war, als sie mich nach dem ersten Mal fragten und mit wem. Verstohlen blickte ich zu Kyel, den es anscheinend überhaupt nicht juckte, was mich seine Eltern fragten. Beziehungsweise er ließ es sich nicht anmerken. Nur ab und zu schüttelte er den Kopf oder schnaubte verdrossen.
»Es war Kyel«, kam es recht leise aus meinem Mund. Der Vater lachte auf. ›Mein Gott, überhaupt nicht peinlich‹, dachte ich ironisch. Am liebsten wäre ich in ein Mauseloch gekrochen und für unbestimmte Zeit nicht mehr rausgekommen.
»Das ist nicht dein Ernst. Seit wann hast …«
»Dad …«, fuhr Kyel ihn an und Clive verstummte sofort. Wie ein Blitz durchfuhr es ihn und er blickte leicht betreten zu Boden. Er murmelte etwas, wie eine Entschuldigung und widmete sich wieder der Zeitung, die er schon zum gefühlten zehnten Mal durchlas. Ich wusste nicht, was ihn so verstört hatte und schaute deshalb Kyel fragend an, der immer noch, seelenruhig, an einer Zwiebel schnippelte. Wann er damit endlich mal fertig war? Und ich vergaß die kurz aufkommende peinliche Stimmung. Seine Mutter sorgte schon dafür.
Immer wieder betastete sie meine Stirn und forderte mich auf etwas zu trinken. Es war schon recht peinlich, wie mütterlich und liebevoll sie mit mir umging. Es erinnerte mich daran, wie Mom mich immer versorgt hatte, bevor ich … ich … meinen Eltern erzählt hatte, dass ich schwul bin. Ich spürte, wie mir immer wieder Tränen in die Augen traten, die ich dann verstohlen an einem Geschirrtuch abwischte. Kyel tat so, als ob er es nicht sah und ich tat es ab, indem ich sagte, dass ich auf Zwiebeln reagierte und selbst nach Stunden, auch nachdem sie verzehrt waren, noch Wasser in den Augen hätte. Eine übertriebene Äußerung, aber seine Eltern schluckten es. Hoffte ich!
Draußen war es schon dunkel, als wir endlich am Tisch saßen und aßen. Jeder betonte, wie vorzüglich die Lasagne sei und ehe ich mich versah, drückte Kyel mir seine sanften Lippen an den Hals. Leise flüsterte er, dass er sich später dafür erkenntlich zeigen würde. Sofort spürte ich, wie ich rot wurde, und versuchte vergebens, das Blut, das zuvor in mein Gesicht geschossen war und sich nun eine Etage tiefer ausbreitete, zu ignorieren. Gott, das konnte doch nicht sein. Er streifte nur leicht meinen Hals, flüsterte mir etwas ins Ohr und ich sprang an, wie ein zu hoch gezüchteter Motor.
Auch der selbst gemachte Nachtisch brachte meine Wallung nicht runter und ich war froh, als ich den letzten Bissen runtergebracht hatte. Ich trank noch aus und verabschiedete mich, in der Hoffnung, dass niemand mein beklemmendes Gefühl erahnte. Was ich mir inbrünstig einredete.
Kurze Zeit später kam Kyel ins Wohnzimmer und sah, wie ich mich, leicht gekrümmt, an der Sessellehne abstützte. Er beäugte mich etwas und bemerkte wohl meine Beule. Unsere Blicke trafen sich und ich sah sein freches, verschmitztes Lächeln, in das ich mich so verschossen hatte und schon pumpte mehr Blut nach unten. Gott, ich hasste es, wenn er mich so ansah.
Ich kam nicht drum herum etwas zu keuchen, als meine Eichel sich an der Unterhose rieb. Verfluchte Scheiße, warum kam er nicht zu mir und half mir aus dieser Situation oder wollte er dort ewig stehen bleiben? Ich keuchte wieder auf, weil ich eine unbedachte Bewegung gemacht hatte. Sein Lächeln wurde breiter und er bewegte sich immer noch nicht. Ich konnte es nicht mehr aushalten. Wo war meine Selbstkontrolle? Sie bröckelte, als er meinen Hals mit seinen weichen Lippen gestreift hatte. Langsam richtete ich mich auf und meine Beule war sehr deutlich zu sehen. Kyel sagte nichts, tat nichts, stand nur da und beobachtete mich. Ich folgte seinem Blick, der standhaft auf meinem Reißverschluss gerichtet war.
Mit einem Unschuldsblick, den ich, als ich noch kleiner war, immer bei Mom angewendet hatte, wenn ich etwas wollte, strich ich, mit meinen Fingern, über meinen Oberkörper bis hin zu meinem Schaft. Dort streichelte ich leicht über meine langsam brennende Beule, krümmte meine Finger zu einem Ballen, bis nur noch der Mittelfinger darauf lag. Rauf und runter rieb ich den Mittelfinger und ein kleines Knurren stieg aus seiner Kehle. Ich schmunzelte, öffnete meine Hand, sodass die ganze Fläche auf dem Reißverschluss lag, und drückte mich selbst. Mir entwich ein leises Keuchen. So wie ich vor ihm stand und es mir oberhalb der Jeans selbst machte, hatte er mich letztens völlig um den Verstand gebracht. Mit meiner anderen Hand fuhr ich mir über den Oberkörper und zwirbelte meine Nippel. Es war ein wahnsinniges Gefühl noch das Shirt zwischen den Fingern und der Brustwarze zu haben. Wenn ich es könnte, würde ich sie lecken und daran saugen. Weiter fuhr ich an meiner Seite entlang und verharrte etwas oberhalb meines Beckens. An dieser Stelle vollführte ich kreisende Bewegungen und schloss kurzzeitig die Augen. Ich musste mich stark konzentrieren, um nicht zu explodieren.
Ich war mit der Bearbeitung meines erogenen Bereichs fertig und führte meine Hand weiter runter, zur anderen Hand, die immer noch auf meinen Schaft lag, der durch die Jeans eingeengt blieb. Beidhändig kniff ich rein und legte meinen Hals frei, indem ich meinen Kopf nach hinten beugte.
»Du bist wahnsinnig!«, krächzte er nur und ich blickte ihm in die Augen. Sie waren lüstern zu kleinen Schlitzen gezogen und endlich, kam er auf mich zu. Ich grinste ihn lasziv an. »Nur dir zuzuschauen, wie du dich selbst bearbeitest, lässt mich schon fast kommen.« Kurz kicherte ich, als ich seinen warmen Atem, an meiner bestimmten Stelle, am Hals spürte, und beugte mich durch, damit er meinen ganzen Hals beanspruchen konnte. Als ich schluckte, spielte er kurz mit meinem Adamsapfel.
»Hm, was meinst du, wie ich mich bis jetzt zurückhalten musste«, sagte ich, während seine Lippen an meinem Ohrläppchen hingen und ich stöhnte.
»Halt dich noch mehr zurück. Für mich …«, hauchte er und es tat so gut, von seinen Armen gehalten zu werden.
Am Freitag fuhr ich wieder heim, obwohl ich eigentlich das ganze Wochenende bei Kyel bleiben wollte. Nur mein Dad war mit dieser Sache nicht einverstanden und machte mich am Handy kleiner als einen Fingerhut.
Seit zehn Monaten war es das erste Mal wieder, dass er so ausgerastet war. Ich wusste auch warum. Erstens, weil ich schwul war und er es nicht an die große Glocke gehängt haben möchte und zweitens, weil ich seine göttlichen Regeln missachtet hatte. In seinem ganzen Tun, mir Vorwürfe zu machen, wie schändlich und moralisch verwerflich es sei und was weiß ich noch alles, hatte er mich kein einziges Mal gefragt, wo ich überhaupt war. Oder wer der angebliche Freund sei.
Kaum betrat ich die Wohnung, schon hatte ich eine harte Handfläche im Gesicht hängen, sodass es mich rücklings auf den Flur, im Treppenhaus, stolpern ließ. Voller Hass und mit Ekel erfüllte Augen blickte er mich an und schon bekam ich die Nächste. An den Haaren zerrte er mich in die Wohnung und schmiss die Tür zu.
Ich war zu geschockt, um mich überhaupt bewegen zu können, starrte ihn angsterfüllt und mit Entsetzen an. So kannte ich meinen Vater nicht. Sicherlich hatte er mir an dem Tag, als ich das Coming-out hatte, eine gefeuert, aber die verstand ich. Mit so einer Situation konfrontiert zu werden, dass der Lieblingssohn schwul sei, war nicht gerade leicht zu verkraften.
»Ich dulde das nicht. Du wirst dich ab sofort, nicht mehr mit diesem Freund treffen und nächsten Monat gehst du in Therapie!« War das Einzige, was er mir an den Kopf schleuderte und die Tür zu seinem Arbeitszimmer knallte hinter ihm ins Schloss.
20.10. Saschas 18. Geburtstag
»Das willst du echt tun?« Ich glaubte ihm nicht. Konnte ihm das nicht glauben. Das war so fies und hinterlistig. Diese Idee hätte von mir stammen können. Ich fragte Sascha noch mal und wieder bejahte er es. Unglauben schob sich in mir hoch und ich schüttelte den Kopf. Er grinste mich an, wie immer, wenn in seinem Nacken der Schalk hockte.
»Wenn ich es dir sage«, bestätigte er sein hinterlistiges Vorhaben. Er zuckte mit den Schultern, fuhr sich kurz mit seiner rechten Hand durch die Haare und ging einige Schritte weiter.
Ich verstand die Welt nicht mehr. Sascha. Sascha, der erhabene, wohlerzogene Sohn, Sascha, dessen Herz auf dem rechten Fleck saß, Sascha, der sogar, wenn er es könnte, einer Fliege die Flügel oder Beine wieder ankleben würde. Wieder schüttelte ich den Kopf. Dieser Sascha wollte von Mrs. Großkotz, der Übertussi, der Cheerleaderin unseres Teams … ich konnte das immer noch nicht fassen.
Wieder schüttelte ich den Kopf und folgte ihm. Ich schob meine Hände in die Hosentaschen und versuchte, ein aufkommendes Lachen zu unterdrücken. Was nicht funktionierte und ich prustete los. Sascha hatte einen Knall. Mein ›Ach so, ich tue nie etwas, feiner und schüchterner bester Freund‹. Er hatte tatsächlich vor, das Auto von Sue Nick-Freim irgendwo in der Pampa zu verstecken.
Was da noch alles zu erledigen war. Ich malte mir das Vorgehen schon bildlich im Kopf aus. Als Erstes musste Mrs. ›Ach so toll‹ abgelenkt werden, damit man an die Autoschlüssel kam.
Das Problem war aber und das wusste jeder, dass sie ihre ach so wertvollen Schlüssel, für ihr ach so wertvolles Auto hütete, wie einen Schatz. Bezahlt bei Opa, der ein Vorstandsmitglied bei dieser Firma für Import und Export, die mit seltenen Kunstgegenstände, moderner Technik und vielen anderem Zeugs handelte, war. Du konntest dort etwas in Auftrag geben, je schwieriger und komplexer es war, umso größer war die Chance, dein Zeug dort verkaufen zu lassen oder etwas zu kaufen.
Mein Vater hatte dort mal ein Fahrrad zum Verkauf angeboten. Ich musste dazu sagen, es war ein selbst Angefertigtes, sein ganzer Stolz und es dauerte keine fünf Tage, da hatte sich so ein kaufwütiger reicher Scheich das einmalige Stück unterm Nagel gerissen. Mein Vater hatte mir dann damals ein ganz neues Zimmer eingerichtet und es sprang für ihn noch ein Kleinwagen raus. Du könntest diese Firma mit eBay vergleichen, nur um einiges lukrativer und exklusiver. Dieser Mann, der Chef dieser Firma, ich musste sagen, er war selbst für mich eine Augenweite, aber mehr auch nicht. Sascha schlug ihn mit seinem Aussehen bei Weitem.
Ich hoffte, Sascha ging den Weg eines Models. Es würde mich freuen, wenn sein wundervolles makelloses Gesicht überall die Wände und Zeitungen zieren würde. Er hatte so etwas Sanftes und Liebevolles in den Augen, da würde jede Frau schwach werden. Nur der Schwachkopf reagierte auf kein Mädchen. Es sprach mit ihnen, ja, mehr aber auch nicht. Wie viele hätte er schon haben können? Ich könnte ihn beneiden. Die Weiber hingen an seinen Lippen wie Blutegel, aber dieser Vollpfosten machte absolut keine Anstalten. In dieser Beziehung war er wirklich eine Trantüte. Ich lief ihm immer noch hinterher und fragte: »Weißt du eigentlich, was du alles machen musst, um dieses Vorhaben durchzuziehen?« Er zuckte nur mit den Schultern.
Der hatte keinen Plan, war ja wieder einmal typisch für ihn. Ich hatte ihn eingeholt. »Also, als Erstes brauchst du den Schlüssel für ihren Wagen. Da muss sie irgendwie abgelenkt werden. Ihre besten Freundinnen die Doofi und die noch Doofere müssen auch irgendwie woanders sein …« Ich hielt inne. Sascha kramte in der Hosentasche und holte einen nachgemachten Schlüssel aus seiner Tasche. ›Ich werd' nicht mehr.‹ »Was ist das?«
»Ein Schlüssel«, sagte er monoton und ich hasste es, wenn er so tat, als ob es ihn nichts anginge. Aber ich sah es in seinen Augen aufblitzen.
»Nee, oder?« Er nickte. »Wie hast du das denn angestellt?« Wieder zuckte er mit den Schultern. Meine Neugierde wuchs und ich bearbeitete ihn, bis er mir endlich die Antwort gab. Wieder lachte ich auf. Es war einfach zu köstlich, vor allem es dann auch gleich in die Tat umzusetzen, obwohl er es damals noch nicht einmal in Erwägung gezogen hatte, ihr Auto auf mysteriöse Weise verschwinden zu lassen.
»Auf ihrer Party! Ich fasse es nicht! Und da hast du dann wirklich, den Schlüssel nachmachen lassen?« Wieder nickte er, aber diesmal grinste er über alle seine Backen.
Sues Partys waren immer sehr ereignisreich. Bei jeder Gelegenheit veranstaltete sie Partys. Ihr Hund hatte Geburtstag oder sie hatte einen neuen I-Pod bekommen oder sie feierte ihren neuen Bikini oder sonst irgendeinen Scheiß. Besonders, wenn jemand als Parkwächter angesehen wurde und nicht als Klassenkamerad. Sascha musste sich dann wirklich ans Bein gepisst gefühlt haben, dass er dann einfach den Schlüssel, den Sue ihm, als ›Parkwächter‹, überreicht hatte, kurzerhand in einem Schlüsselgeschäft hatte nachmachen lassen. Also einfacher ging es nun wirklich nicht mehr.
Ich bemerkte, wohin er steuerte. Er ging direkt auf das Schulgelände zurück in Richtung ihres Wagens. Sascha wollte das auf der Stelle durchziehen. Ich war überrumpelt und für einen kurzen Moment kam in mir das schlechte Gefühl hoch. Was ich allerdings sofort unterdrückte, denn so eine Gelegenheit bot sich so schnell nicht mehr an. Sue, die Schickimickitusse, brauchte mal einen gewaltigen Denkzettel. Wie ich schon sagte, diese Aktion hätte von mir stammen können und Sascha zog niemals seinen Schwanz ein, wenn ich etwas ausheckte. Auf Sascha konnte ich mich immer verlassen. Er war immer da, um mich aus der immer enger werdenden Schlinge zu ziehen. Mit ihm konnte ich Pferde stehlen. Er war, vom ersten Augenblick an, mein bester Freund, auch wenn wir uns am Anfang sprachlich nicht verstanden, hatte er es immer geschafft, notfalls mit Händen und Füßen, mir mitzuteilen, was er sagen wollte. Ich hatte es genossen ihm meine Muttersprache beizubringen und es hatte nicht lange gedauert, da konnten wir uns auch so gut verständigen.
Ich sah, wie er kurz um die Ecke lugte und als er niemanden sah, sperrte er das Auto auf. Ich rechnete schon damit, dass der Alarm losging, denn so einfach war es nicht, einen Autoschlüssel nachmachen zu lassen, aber der schien zu passen. Und wie der passte. Sascha stieg ein und startete den Motor. Er stieß rückwärts aus der Parklücke und hielt vor mir an.
»Haben Sie ein Taxi gerufen?«, fragte er linkisch und ich ließ mir diese Gelegenheit natürlich nicht entgehen. Kurzzeitig fummelte er an ein paar Knöpfen, bis die Musik losging. ›Ohrenkrebs‹ mehr brauchte ich dazu nicht zu sagen und es dauerte auch nicht allzu lange, bis er einen geeigneten Sender gefunden hatte, dessen Lautstärke er bis zum Anschlag aufdrehte.
Sascha liebte Musik und er spürte förmlich den Rhythmus.
»Sag mal, seit wann kannst du Auto fahren?«
»Dad hat’s mir beigebracht. Er ist der Meinung, da wir nicht in Deutschland sind, könne er es mir beibringen.«
»Führerschein?«, fragte ich beiläufig und er schüttelte, wieder mit diesem schelmischen Lächeln, den Kopf. Ich grölte auf. Mehr brauchte ich nicht mehr, denn ich hatte den besten und verrücktesten Freund, den man sich wünschen konnte.
Nachdem wir das Auto irgendwo in der Pampa versteckt hatten, lag ein gut 3 Meilen Marsch vor uns. Das war uns egal, wir hatten unseren Spaß und Sascha hatte die Schlüssel achtlos auf den Fahrersitz geschmissen.
»Dav, wir müssen uns beeilen. Meine Eltern sehen es nicht gerne, wenn ich unpünktlich zum Abendessen erscheine. Schon gar nicht, wenn es mein Geburtstag ist!«, rief Sascha mir zu und blickte noch einmal auf sein Handy.
Oh Gott, seine Eltern. Solch versnobte Menschen hatte ich in meinen ganzen Leben noch nicht gesehen. Aber sie waren zuvorkommend und immer freundlich. Sicherlich, das deutsche Essen war manchmal ein Graus. Besonders wenn seine Mutter mit Sauerkraut daherkam oder irgendeinen Braten mit Semmelknödel machte, wo Petersilie drin war. Petersilie - ›Urgh‹. Mir stellten sich immer die Nackenhaare auf, wenn ich nur daran dachte.
»Sag mal, was gibt’s bei dir zu essen? Oder soll ich mir vorher noch einen Hotdog kaufen, dass ich dann halbwegs satt bin?« Er lachte, als er sah, wie ich mein Gesicht verzog. Ich aß nicht einmal einen Hotdog und wenn, dann auch nur die vegetarische Variante und die bekam ich nur von meiner Mutter.
»Keine Sorge. Mom macht meine Leibspeise. Pfannkuchen mit Apfelmus, lecker.«
»Ich will aber Haselnussbutter drauf haben«, murrte ich und Sascha steckte sich den Finger in den Mund und tat so, als ob es ihn würgte.
»Man, wie kannst du nur Haselnussbutter essen und dazu noch Marmelade. Äh!«
»Was hast du gegen Haselnussbutter und Marmelade auf Toast? Es gibt nichts Besseres.«
»Ja sicher!«, entgegnete er und es ging die ganze Zeit hin und her und jeder wollte seine Esskultur bei dem anderen an den Mann bringen.
Er schloss die Wohnung auf und mir kam schon ein herrlicher Duft entgegen. Auch Sascha hob seine Nase und schmunzelte.
»Bin wieder da!«, rief er auf Deutsch, was für mich kein Problem darstellte, denn wir hatten uns gegenseitig die Muttersprache des anderen beigebracht. Sicherlich konnte ich nicht so gut deutsch wie er englisch, aber einiges verstand ich.
»Ich bin auch da!«, rief ich und schon kam seine Mutter aus der Küche und auf mich zu. Sie gab mir die Hand und bedankte sich, dass ich Zeit gefunden hatte. Sie sprach nicht gerade fließend englisch und ihr deutscher Akzent kam sehr deutlich hervor. Dennoch reichte es aus, im Krankenhaus eine führende Position zu besetzen. Ich glaubte sogar, sie war Stationsoberschwester oder so was in der Art. Sascha hatte es schon mal gesagt, aber ich hatte es wieder vergessen. Der Vater arbeitete bei Kastners Import Export und hatte sich dort auch schon ganz schön hochgearbeitet. Sascha meinte einmal, dass sein Vater ein Angebot bekommen hatte, Vorstandsmitglied zu werden, aber es noch nicht sicher sei, ob er den Posten annahm oder nicht. Deshalb sollte ich darüber noch stillschweigen. Die Fleischhauers waren wirklich eine Arbeiterfamilie.
Und in dieser Familie gab es noch jemanden. Sarah. Ich wusste nicht, wie lange ich schon für dieses deutsche Mädchen schwärmte. Ich glaubte, ich hatte mich in sie verschossen, an dem Tag, an dem ich das erste Mal bei Sascha war. Nein, schon zuvor, als sie, als Zehnjährige schüchtern hinter ihrem starken Bruder in die Klasse kam. Ihre damals langen dunkelblonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihre großen Augen blickten neugierig und auch ängstlich in die Klasse. Wow, war das ein Anblick.
Nun war sie das pure Gegenteil von ihrem Bruder. Sie färbte ihre Haare, mal blond, dann wieder braun, schwarz, rot oder violett und immer sah sie verdammt klasse aus. Wie immer trug sie ein leichtes Tages-Make-up und der dezente Lippenstift brachte ihre vollen Lippen fantastisch zur Geltung. Sexy Klamotten waren an der Tagesordnung und wie immer wurde sie wieder auf ihr Zimmer geschickt, um sich umzuziehen. Sie war aufbrausend und charmant. Sie sagte ihre Meinung und stritt sich immer, auch in der Schule, mit ihrem Bruder. Die beiden waren nie einer Meinung. Nicht einmal an ihrem Geburtstag. Ich bekam es nur am Rand mit, wenn sie stritten, dann stritten sie auf Deutsch mit einem fürchterlichen Akzent, aber sie hatte sich aufgeregt, weil Sascha sich darüber lustig gemacht hatte, dass sie wieder zum Umziehen gezwungen worden war. Sie war einfach herrlich, wenn sie sich aufregte und ich spürte, wie sich mein Schwanz regte. Das wäre geil, ihre Aggression in Lust zu wandeln. Nur leider hatte sie Kevin am Haken, unseren Fußballstar.
Die Mutter rief zum Essen und ich musste sagen, diese Pfannkuchen schmeckten herrlich. Sascha verdrückte gleich sechs oder sieben und jeder war mit etwas anderem beschmiert. Selbst ich verdrückte eine Menge und war überrascht, dass Saschas Mutter auch Haselnussbutter hingestellt hatte.
Auch wenn seine Eltern etwas versnobt waren, sah man trotzdem, dass es einen Zusammenhalt in der Familie gab, - jedenfalls nach außen hin.
Sascha hatte sich oft über seine Eltern beschwert und einmal sagte er sogar, dass sie sich fast scheiden lassen hatten. Wegen was, damit hatte Sascha nie rausgerückt, oder wie er immer sagte, dass er es nicht wüsste, vielleicht wusste er es wirklich nicht. Egal.
27.11
Unser kleiner Streich blieb nicht lange unbemerkt. Um genau zu sein, gerade mal 30 Minuten. Sarah kam am Geburtstag ganz aufgelöst aus ihrem Zimmer, hatte ihr Handy in der Hand und erzählte, dass Sue Nick-Freims Auto verschwunden sei. Sascha und ich sahen uns an und mussten beide unser aufkommendes Lachen unterdrücken. Noch immer quatschten wir darüber und ich musste mir eingestehen, das war der beste Streich, den ich mit Sascha abgezogen hatte. Wenigstens konnte die Polizei niemandem nachweisen, dass er oder sie, das Fahrzeug unerlaubt entwendet hatte.
Nur irgendwie fand er das mit der Zeit nicht mehr komisch und auch er selbst wurde immer seltsamer. Seit Tagen, eigentlich direkt nach seinem Geburtstag, wurde er immer ruhiger. Er war sonst auch ruhig, aber nun war er schon unheimlich ruhig.
Wie immer saßen wir nach der Schule auf dem Steinberg, der auf der gegenüberliegenden Seite des Eiscafés lag. Sascha spielte auf seinem Handy und hörte Musik. Er hatte einen fantastischen Geschmack, was Musik betraf. Immer war er auf dem neuesten Stand und hatte auch die aktuellsten Lieder, noch bevor sie auf dem Markt erschienen. Computer, Internet und Musik, das waren seine Leidenschaften. Sportlich war er auch begabt, aber schon als kleiner Junge konnten ihn Fußball, Kampfsport oder andere Sportarten nicht besonders reizen. Ich hatte ihn zwar in den Schulverein reingezogen, er spielte auch sehr gut, nur war er meistens mit dem Verstand dabei und selten mit dem Herz. Manchmal glaubte ich sogar, sein Leben bestand nur aus Überlegungen, doch sagten seine Noten etwas anderes aus. Sicherlich galt er, als einer der besten in der Klasse, aber ein A-Schüler war er dennoch nicht. Er lag meistens zwischen A und C. Sue war die Klassen- und Schulbeste und dies ließ sie immer raushängen. Wenn Sascha, fünf Minuten am Tag, mehr in die Bücher reinschauen würde, wäre er bestimmt der Schulbeste. Ich hatte noch nie gesehen, dass er gelernt hatte. Selbst als wir uns gegenseitig die Muttersprachen beigebracht hatten, konnte Sascha schon in den ersten Wochen mehr Wörter aufweisen, als ich. Er hatte auf jeden Fall ein Faible für Sprachen. Neben Englisch, das er laut Schulverordnung noch nebenbei nehmen musste, obwohl er es nicht mehr brauchte, hatte er Spanisch und den Sonderunterricht in Latein. Bei ihm konnte man sagen, College ich komme. Sarah wiederum nicht. Sie hatte massig Schwierigkeiten gehabt, die englische Sprache zu lernen und deshalb hatten ihre Eltern ihr einen privaten Englischlehrer gestellt, der zu den Fleischhauers ins Hause kam. Kurzzeitig hatte der Lehrer Sarah unterrichtet, bis sie die Schnauze voll hatte und ihn einen volltrotteligen Hirnarsch genannt hatte. So ähnlich hatte es sich angehört, als Sascha es mir damals erzählt hatte. Sarah musste sich an diesem Abend total aufgeregt haben. Man musste bedenken, dass sie damals erst vierzehn war, nun würde sie ihn als Flachwichser oder Vollhonk bezeichnen. Wie unseren Lehrer Mr. Clancy, den sie schon vom ersten Tag an, als sie auf die Highschool kam, liebenswürdige Kosenamen gab. Warum? Keine Ahnung.
Es war einfach normal, wenn man Menschen sah, die man auf den ersten Blick einfach nicht leiden konnte. Ging mir genauso und vielen anderen auch. Bei mir - und da stand ich nicht alleine - war es Sue Nick-Freim.
Ein weißer Audi parkte vor uns, und als wenn man vom Teufel sprach, schaute Mr. Clancy aus dem Fenster.
»Jungs, das ist ein historisches Fundament dieser Stadt, auf dem ihr sitzt und keine Sitzgelegenheit. Würdet ihr bitte so freundlich sein und von dort runtersteigen.« Sascha und ich verdrehten die Augen und antworteten freundlich, was Sascha besser drauf hatte als ich.
»Natürlich Mr. Clancy, tut uns wirklich leid, dass wir dieses schöne historische Fundament mit unserer Anwesenheit beschmutzen«, schleimte Sascha, aber mir entging nicht, die Ironie seiner Worte. Doch bei Mr. Clancy war ich mir da nicht so sicher. Er nickte anerkennend und wir stiegen von dem Steinhaufen runter. Wir wollten uns schon auf dem Weg machen, als Mr. Clancy Sascha noch einmal zurückpfiff. Was sie gesprochen hatten, verstand ich nicht, da ich mich derweil auf die danebenstehende Bank gesetzt hatte. Aber Sascha kam kreidebleich zurück.
»Ist alles in Ordnung?« Er schüttelte den Kopf und zeigte dem weiterfahrenden weißen Audi den Fuckfinger.
»Dieser Arsch! Der droht mir tatsächlich, mich bei meinem Vater zu verpetzen.«
»Was? Weil wir auf den Steinen saßen?«, wieder schüttelte er den Kopf.
»Nein, er sagte, er weiß, wer das Auto von Sue Nick-Freim in der Pampa versteckt hat.« Ich spürte, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht wich.
»Woher …?«
»Ich weiß es nicht.« Wir mutmaßten noch eine Zeit lang, wie Mr. Clancy dies herausfinden konnte, und kamen dennoch auf keinen Nenner. Irgendwann war die Sache vergessen und Sascha verfiel wieder in sein Schweigen. Bis mir endgültig der Kragen platzte und ich ihn vor vollendete Tatsachen stellte.
Was ich dann zu hören bekam, zerbrach meine Weltanschauung. Das konnte nicht sein. Das durfte einfach nicht sein. Mein bester Freund, mit dem ich durch dick und dünn ging, verriet mich auf bestialische Weise. Ich starrte ihn sekundenlang mit halb geöffnetem Mund an. Mir kam es wie Stunden, wenn nicht wie eine Ewigkeit vor. Er starrte zurück und in seinen Augen las ich … ja was las ich da. Ich suchte nach seinem typischen Schalk, erwartete, das er mir auf die Schulter klopfte und lauthals loslachte. Nur um mir noch einen weiteren Tritt zu geben, wie dumm ich aussah oder ob ich das wirklich glaubte, was er da vom Stapel ließ. Nichts. Es kam nichts von ihm. Er starrte mich einfach mit seinen grünlich braunen Augen an.
Mein Mund war wie ausgetrocknet und ich wagte es nicht zu schlucken, da ich der Meinung war, dass es einen ›solchen‹ Mann geil machen würde. Irgendwie wollte ich loslachen und ihn ein hirnverbranntes Arschloch nennen, mir so einen Schock zu verpassen, aber ich konnte nicht. Seine Augen schrien mir die Wahrheit ins Gesicht. Mein Kloß im Hals wurde immer dicker und durch den trockenen Mund hatte ich das Gefühl zu ersticken. Er stand immer noch vor mir und starrte mich an. Was verdammt wollte er nur von mir und allmählich begann mein Gehirn, es zu verarbeiten. Leise und zögerlich mit schüttelndem Kopf flüsterte ich, um es für mich noch einmal zu bestätigen.
»Du bist schwul?« Genauso langsam nickte er.
Ich drehte mich um und ließ ihn, ohne ein weiteres Wort, ohne einen weiteren Blick, stehen. Mir war es, als ob ich seinen verlangenden Blick auf meinem Rücken spürte, doch ich drehte mich nicht zu ihm um. Ab dem Moment, als Sascha mir sagte, dass er eine verdammte Tunte sei, konnte ich ihm nicht mehr vertrauen. Er hatte mich verraten. Er hatte mich eiskalt, die ganze Zeit verraten und hintergangen, und als er sich seiner Sache sicher war, hatte er es mir eröffnet.
Aber so nicht, nicht mit mir. Das konnte nicht sein. Sascha war nicht schwul und ich fasste den Entschluss, ihn wieder in die Normalität zurückzubringen. Ich würde Mittel und Wege finden, um ihn wieder zur Vernunft zu bringen.
Saschas Zusammenbruch
Wie einen Schlag trafen mich die Worte von dem reichen Schnösel und ich konnte nicht anders und wollte ihm die Meinung geigen, doch er ließ mich einfach stehen. Was hatte er gesagt? Ich sollte daran schuld sein, dass es Sascha so erging. Der hatte doch eine Vollmeise. Der Typ konnte von Glück reden, das Sarah gerade aus dem Zimmer von Sascha kam, sonst hätte ich ihm gehörig die Meinung gegeigt. Ich wollte ihm sagen, dass Sascha derjenige war, der mich verletzt und verraten hatte, während ich die ganze Zeit versuchte, ihn zur Vernunft zu bringen. Doch er blockte ständig ab mit seinem, mit seinem, ach so, ich bin ja so cool und unnahbar Getue.
Mein Gott in mir brodelte es und ich musste mir Luft machen. Aber wie? Wen konnte ich hernehmen, um meine aufgestaute Wut rauszulassen.
Kurzerhand packte ich Sarah am Handgelenk und zog sie in ihr Zimmer. Ihre Mutter war immer noch mit dem Notarzt beschäftigt und das gab mir genügend Zeit. Ohne Rücksicht zog ich Sarah das kurze Top über den Kopf und fing an ihre wohlgeformten Brüste zu massieren. Dies ließ sie nicht kalt und sie unterdrückte einen leichten Seufzer. Kurz zupfte ich an ihrer Warze, sodass sie ihren Kopf nach hinten warf, um mir so mehr Spielraum zu geben. Sarah war einfach eine Wucht und mit ihren lasziven Bewegungen forderte sie mehr. Langsam fuhr ich mit meinem Finger an ihrer Seite zu ihrem flachen Bauch und spielte mit ihrem Piercing. Meine Vorfreude wurde groß, als sie den Knopf ihrer Hose öffnete. Sie war keine Rockträgerin und selbst ihre engen Hosen, die sie mit Vorliebe anzog, zeigten mehr als ein Minirock, der nur das Nötigste bedeckte. Ich brauchte den Ansatz ihrer Pobacken oder das Hervorblitzen der Unterhose nicht zu sehen, um scharf auf sie zu werden. Meine Vorstellung, bald so kräftig in sie reinzustoßen, dass ihr der Saft nur so an den Beinen hinablief oder meinen Schwanz feucht umhüllte und sie bis zur totalen Ekstase zu vögeln, während sie meinen, von ihrem Duft umnebelten, Finger lutschte, reichte völlig aus. Das Vorspiel kürzte ich ab und zog ihr die Hose mitsamt der Unterhose mit einem Ruck runter. Ich ließ sie ihre Klamotten nicht ausziehen und drang gleich mit zwei Fingern tief in ihre warme, nasse Grotte. Gott, war sie geil! Sie unterdrückte ein Aufstöhnen und reckte mir ihre Muschi entgegen. Wie automatisch fing sie an, meine Finger zu ficken, um sich mehr Lust zu verschaffen. Mein Daumen suchte sich immer ihren besonderen Punkt, und jedes Mal, wenn ich den Kitzler traf, zuckte sie auf. Ihr Atem kam nur noch stoßweise und ich entzog mich ihr. Sofort blickte sie mich missbilligend an und ich drehte sie um, damit sie mit dem Rücken zu mir stand. Mit leichtem Druck wies ich sie an, sich nach vorne zu beugen und fing auch gleich damit an, ihren herrlichen Eingang zu massieren. Sie hatte einen wundervollen und zierlichen After, der einer Blume glich. Wie gerne würde ich da reinstoßen, nur um ihre Enge zu spüren. Sanft strich ich ihr über ihre Rosette und sofort entkam ihr ein Stöhnen. Ich schmunzelte in mich hinein, das würde unsere nächste Stufe werden. Mit Sarah konnte ich all meine Wünsche ausleben. Ich massierte weiter und spürte schon, wie sie am Eingang feucht wurde, und zog mir die Jeans runter.
»Beug dich weiter runter«, flüsterte ich ihr zu und sie tat es. Als meine Finger den Weg zu ihrer Muschi fanden, fühlte ich, dass sie es sich inzwischen selbst machte.
»Böses Mädchen!« Etwas brutal packte ich sie an den Hüften und stieß mit einem kräftigen Ruck in sie rein. Laut keuchte sie auf und ich vergaß alles um mich herum. Ich spürte ihren Finger, der noch in ihr steckte an meinem Schwanz.
»Drück dich mir entgegen …« Ich konnte von ihr alles verlangen. Alles, was ich wollte, sie würde es mir ohne Widerrede erfüllen und eine Hand fuhr zu ihren Pobacken. Wieder fand ich den Weg und drang mit meinem Mittelfinger in ihren Hintern.
»Gott!«, keuchte sie und drückte sich mir stärker entgegen.
»Ist das gut so, in zwei Löchern gefickt zu werden?« Sie gab keine Antwort, dafür war ihr Keuchen und Stöhnen Antwort genug. Sarah beugte sich noch weiter nach vorne und ich konnte tiefer in sie reinstoßen. Ich hatte schon einige, aber sie übertraf alle und es dauerte nicht mehr lange, bis sie aufschrie, ihr Muskel sich um meinen Finger zusammenzog und ihre Muschi um meinen Schwanz anschwoll. Das reichte aus, damit meine Eier härter wurden und ich mich in ihr ergoss.
Langsam richtete sie sich auf und ich flutschte aus ihr raus. Mit ihrem Rücken schmiegte sie sich an meine Brust und lehnte ihren Kopf an meine Schulter. Unsere Körper harmonierten miteinander, als ob sie zusammengehörten. Ich schlang meine Arme um sie und wir genossen den abklingenden Orgasmus.
Auf der Fahrt zum Krankenhaus kamen mir immer wieder die Worte von dem reichen Schnösel in den Sinn. Vor allem, was kümmerte es ihn, wie es Sascha ging. Der war doch ›die‹ große Nummer. Sicherlich hätte ich genauso gehandelt, wenn einer vor mir auf dem Boden läge und sich nicht mehr rührte, aber was um Himmels willen meinte er damit, dass ich der ausschlaggebende Punkt war, warum es Sascha so schlecht ging. Warum ich mir darüber wieder Gedanken machte, war mir irgendwie schleierhaft. Dieser Typ schaffte es immer wieder, mich zur Weißglut zu bringen.
Verflucht! Das konnte nicht sein, warum ließ ich mich von dem Typen fertigmachen.
Kurz blickte ich in den Rückspiegel und sah wirkliche Sorge in Sarahs Augen. Sie machte sich große Sorgen um ihren Bruder, auch wenn es nie so rüberkam, als ob sie ihn herzlich liebte. Ich schnaubte und setzte meinen Blinker.
Mir gingen die Augen über. Der Arsch verfolgte mich sogar ins Krankenhaus. Am liebsten würde ich meine Schlüssel nehmen und einen herrlichen tiefen Kratzer in sein beschissenes Angeberauto kratzen. Solche neureichen Typen, die nur mit Geld wackeln und der Meinung waren, ihnen gehöre die ganze Welt, hatte ich so was von gefressen. Ich würde ihm, wenn ich ihn sah, gehörig die Meinung sagen.
Wir traten ins Krankenzimmer und Sascha sah aus, als ob er der Geist persönlich wäre. Noch nie hatte ich ihn so blass gesehen und irgendetwas schnürte sich in mir zusammen. Da war dieser Typ. Keine Frage. Und als ob er meine Gedanken gelesen hätte, wandte er seinen Kopf in unsere Richtung und nickte zum Gruß. Boah ey, kotzte mich der Kerl an. Ich musste Luft ablassen, doch leider kam der Arzt rein, kurz untersuchte er Sascha, stellte seiner Mutter sinnlose Fragen und am Ende riet er ihr noch, ihren Sohn zu einem Psychiater zu schicken. Die Idee war gar nicht mal so schlecht. Vielleicht würde er dann wieder normal werden. Meine Andeutungen verstand er nicht. Der war zu sehr in seiner eigenen schwulen Welt gefangen. Himmels Willen, ich brauchte eine Palette Bier und geilen harten Sex. Ich musste mich ablenken und vor allem musste ich von Sascha weg. Sein Anblick machte mich nur noch krank. Aber als Erstes würde ich mich um dieses beschissene Auto kümmern. Noch bevor ich den Gedanken zu Ende denken konnte, verabschiedete sich der reiche Schnösel und war verschwunden.
Sascha kommt nach Hause.
Lauter Tumult ließ mich aufhorchen und ich erhob meinen Kopf von Sarahs Brust. Unser Sex war wieder genial und ich liebte es, wenn sie ihr Stöhnen unterdrücken musste. Vor allem, wenn sie mir in die Schulter biss oder sich selbst in die Hand oder mir ihre Zunge in den Rachen schob, nur damit sie nicht zu laut wurde. Mir gefiel es, sie so weit zu treiben, dass ihr die Tränen vor Unterdrückung in die Augen stiegen, nur damit es ihre Eltern, in der Küche oder Arbeitszimmer nicht mitbekamen, was ich mit ihrer wohlbehüteten Tochter trieb. Oh Yeah, ich vögelte sie und die versnobten Alten bekamen es nicht mit. Die beiden hatten wahrscheinlich auch nur einmal in ihren Leben einen richtigen geilen Fick gehabt, und zwar, als sie ihre Kinder zeugten. Und da sie Zwillinge waren, war das eben nur einmal.
Sie würde der Schlag treffen, wenn sie wüssten, wie oft ich ihre Tochter schon flachgelegt hatte. Besonders nachdem sie den Schock, dass Sascha schwul war, noch nicht überwunden hatten. Den werden sie niemals überwinden. Schon allein die Vorstellung, einen Schwanz im Arsch stecken zu haben, würde ausreichen, um sie freiwillig die Radieschen von unten sehen lassen zu wollen. Aber das werde ich mit Sarah auch noch machen. Es gab nichts Schöneres, als eine Tussi in zwei Löcher zu ficken.
Sarah schob mich von sich runter und stieg aus dem Bett. Sie sperrte ihre Zimmertür auf und flüsterte mir zu, dass Sascha da war. Ich trat aus dem Zimmer und sah Sascha, wie er an der Wand lehnte, sich mit einer Hand die Wange hielt und sein Vater ausholte und ihm eine in die Fresse gab. ›Hoppla die hat gesessen‹.
»Ich dulde das nicht. Du wirst dich ab sofort mit diesem Freund nicht mehr treffen und nächsten Monat gehst du in Therapie«, hörte ich seinen Vater sagen und sogleich schlug die Tür zu seinem Arbeitszimmer zu. Sascha starrte zitternd zu der zugeknallten Tür und sah aus wie ein Häufchen Elend.
»Boah, die war heftig!«, schnaubte Sarah und hielt sich die Finger an den Mund. Sie starrte auch geschockt zur Tür und schüttelte sprachlos den Kopf »Dad hat Sascha eine geknallt?!«, flüsterte sie und schob mich zurück in ihr Zimmer.
Schnell, und mit zitternden Fingern, schloss sie die Tür ab, warum sie das tat, wusste ich nicht. Mir war es egal und ich wollte sie in die Arme nehmen. Mit fast brutaler Gewalt schob sie mich von sich weg und ich sah, dass sie Tränen in den Augen hatte.
»Es ist falsch. Es ist alles falsch!«, schluchzte sie. »Sascha wird das nicht mehr lange mitmachen, David. Sascha ist zerbrochen.«
»Der hat es nicht anders verdient. Immerhin hatte er sich tagelang nicht blicken lassen.«
»Das ist nicht ganz wahr. Er hat Mom erzählt, dass er bei einem Freund übernachtet.«
»Ja klar, bei einem Freund …«
»Halt die Klappe, David!« So konnte ich nicht mit mir reden lassen und packte Sarah an den Armen.
»Sag mal spinnst du?«
»Ich spinne gar nicht. Und lass mich los!« Sie aalte sich aus meinem Griff und ging ans Fenster.
»David. Sascha ist 18 Jahre, wo er übernachtet und bei wem ist völlig egal. Dad hat nicht das Recht ihm deswegen eine zu knallen. Vor allem weil Dad nie für Ohrfeigen zu haben war. Das ist nicht mein Vater. Er führt sich auf, als ob Sascha ein Schwerverbrecher ist. David. Sascha ist schwul. Er kann nichts für seine sexuelle Neigung.«
»Aber du bist doch auch dagegen …?« Langsam schüttelte sie ihren Kopf.
»Ich war nie gegen Saschas Neigung. Ich musste mich so aufführen, weil ich meine Eltern und all den anderen keinen Grund geben wollte, mich genauso zu behandeln. Ich hatte Angst, verstoßen zu werden. So wie Sascha. Ich bewunderte ihn jeden Tag, wie er damit zurechtkommt. Sascha war immer für mich da. Er ist auch jetzt noch für mich da. Auch wenn es anders rüberkommt. Er hat mich nie in Stich gelassen. Immer hielt er meine Sticheleien aus. Aber ich ertrage es langsam nicht mehr, ihn immer weiter zerbrechen zu sehen.«
»Sarah!«, mehr brachte ich nicht raus, denn sie würgte mich gleich wieder ab.
»David, damit ist es jetzt Schluss. Ich werde meinen Bruder nicht mehr verleugnen. Ich stehe dazu, dass ich einen schwulen Bruder habe!« Mir wurde kalt, und als ich ihren Blick sah, wusste ich bereits schon vorher, was sie mir sagen wollte. »David, ich mache Schluss mit dir!« Dennoch schrie ich sie an.
»Was? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Du kannst mich doch nicht wegen deiner Schwulette von Bruder abservieren!«
»Das habe ich eben getan«, sagte sie kalt und sie hatte den gleichen undurchdringlichen Blick wie Sascha. Sie schob sich an mir vorbei und schloss die Tür auf: »Ich wünsche dir was.« Ich hob resigniert die Hände. Inzwischen kannte ich Sarah gut genug, um zu wissen, dass sie sich nicht erweichen ließ.
»Ruf mich an, wenn du zur Besinnung gekommen bist.«
»Solange du Sascha weiter so behandelst, kannst du lange darauf warten. Und ich gebe dir einen guten Rat. Ich bin nicht Sascha, also überlege es dir lieber zweimal, bevor du etwas gegen mich unternehmen willst.« Ich hörte nur noch, wie sie die Tür hinter mir wieder abschloss und starrte an die Wand, an die sich Sascha, einige Minuten zuvor, wie ein Haufen Scheiße angelehnt hatte.
Irgendetwas gab mir einen Stich ins Herz und es war nicht, dass Sarah gerade mit mir Schluss gemacht hatte. Es war die Erinnerung, wie Sascha, total überrumpelt und sprachlos, auf die geschlossene Tür des Arbeitszimmers seines Vaters blickte.
Sekunden, nein Minuten, nein Stunden, nein mir schien es wie eine Ewigkeit vorzukommen, dass ich die Tür anstarrte. Mein Herz schlug mir bis in den Hals hoch, die Beine zitterten, und gaben mir kaum noch Halt. Mit den Fingern versuchte ich, mich an die Wand zu krallen, nur um nicht zu Boden zu sinken.
Irgendwann nach Stunden oder Jahren schaffte ich es, mich einen Schritt von der mir Halt gegebenen Wand, zu entfernen. Wackelig war mein Schritt und bald darauf folgte der zweite Schritt. Ich hatte nur ein paar Meter zu meinem Zimmer, dennoch kam mir die rettende Umgebung sehr weit entfernt vor.
Wie meine Beine, so zitterten auch meine Finger und ich betrachtete sie, wie sie langsam, nur keinen unnötigen Laut von sich gebend, zur Klinke griffen. Das Metall war kalt und so fühlte ich mich. Wo zuvor alles mit Wärme gefüllt war, herrschte nur noch unsagbare Leere und vor allem Kälte.
Ich schaffte es, die Tür hinter mir zu schließen und sank auch sogleich zu Boden. Die Beine zog ich an meinen Körper, schlang die Arme um mich und senkte meinen Kopf zwischen die Knie.
Meine Atmung kam nur noch stockend und die Tränen flossen unaufhörlich die Wangen hinab. Ich schluchzte. Ich weinte innerlich und heulte mir buchstäblich die Seele aus dem Leib. Mein Vater hatte mich geschlagen. Es waren keine festen und recht schmerzhaften zwei Ohrfeigen, aber die Tatsache, dass er es getan hatte, aus Gründen, die ich nicht nachvollziehen konnte und vor allem, wie er mich vorher auch noch an den Haaren in die Wohnung gezogen hatte, gaben mir endgültig den Rest.
War ich für ihn wirklich so ein Abschaum? War ich wirklich ein Schandfleck in seinem heilen und perfekten Leben?
Was sollte ich tun? Abhauen? Aber wohin? Und wie konnte ich mir das Leben leisten? Ich war noch nicht einmal mit der Schule fertig, und seitdem mein Vater erfahren hatte, dass ich schwul bin, konnte ich auch nicht mehr auf seine finanzielle Unterstützung hoffen. Sicherlich, ich bekam Taschengeld, aber dies bekam ich von Mom und das hatte sich seit drei Jahren nicht mehr verändert. Ich erhielt nach wie vor nur 50 $ im Monat und das Meiste ging für die Schule drauf. Brotzeit, Hefte, Stifte oder wenn irgendwelche Fahrten anstanden.
Meinen Führerschein wollte ich machen. Ich stand sogar kurz vor der Prüfung, aber mein Coming-out kam dazwischen. Also hatte ich immer noch keinen Schein und ich wurde in wenigen Wochen neunzehn. Mit dem Moped durch die Stadt zu kutschieren war auf Dauer auch keine Lösung.
Meine Tränen waren versiegt und ich raffte mich auf. Eigentlich wäre mein erster Griff der Computer gewesen, aber ich vermied es, ihn anzuschalten. Alles wollte ich, aber wieder eine Nachricht von diesem Kerl, der sich als mein Herr ausgab, auf keinen Fall. Vor allem, dass ich wusste, dass er mich über die Cam beobachtete, hinderte mich noch mehr daran, den PC hochzufahren.
Stattdessen ergriff ich das Kabel der Cam und zog das Ding aus dem PC. Für was brauchte ich es überhaupt? Videochats machte ich schon lange nicht mehr und mit Kyel zu chatten, turnte mich nicht gerade an. Auch wenn ich ihn unbedingt sehen wollte.
Einige Sekunden wog ich die Cam in der Hand, unschlüssig, was ich damit machen sollte. Letztendlich schob ich die Schublade auf und verfrachtete sie darin.
Ich schnappte meinen Reader und legte mich aufs Bett. Ich durchsuchte das Inhaltsverzeichnis und schnaubte verdrossen. Da ich wusste, wie reale Liebe sich anfühlte, hatte ich keine Lust darauf, in Büchern davon zu lesen und stand vom Bett auf. Ich schaltete also doch den PC an und wartete, bis er hochgefahren war. Danach suchte ich den Ordner mit meinen E-Books. Bald wurde ich fündig und lud mir eine Fantasiegeschichte auf den Reader. Fantasie mit Vampiren, Werwölfen, Magie und nicht gleichgeschlechtlicher Liebe, war in diesem Moment genau das, was ich lesen wollte. Was ich brauchte, um wieder normal denken zu können und mein Chaos zu ordnen. Irgendwie kam es immer noch nicht in meinem Gehirn an, dass Vater mich zur Therapie schicken wollte. Überhaupt zu welcher Therapie? Ich war nicht süchtig. Ich brauchte keinen Alkohol, um wach zu werden. Ich rauchte nicht und von Drogen hielt ich gar nichts. Okay, eine Sucht, die hatte ich und die bekam ich letzten Freitag im High Skills das erste Mal zu kosten. Kyel. Zumindest sein Duft traf mich letzten Freitag wie eine Atombombe und ich bin immer noch high davon.
Am Abend klopfte es an meiner Tür und ich blickte kurz auf die Uhr. Scheiße, es war Abendessenszeit. Hunger hatte ich keinen und meinem Vater wieder zu begegnen wollte ich ebenfalls nicht, und als die Tür geöffnet wurde, ahmte ich einen Schlafenden nach.
»Sascha?«, hörte ich Mom und wie sie näher an das Bett kam. Kurz fuhr sie mir durch die Haare. Gott, was für eine vertraute Geste von ihr, die ich schon so lange vermisste und doch regte ich mich nicht. »Schlaf weiter«, murmelte sie leise und wieder durchfuhr es mich. Sie schlich buchstäblich aus meinem Zimmer und noch leiser schloss sie die Tür. Gott, was war denn in Mom gefahren? War das lange her, dass sie mich so liebevoll berührt hatte, aber das tat nichts zur Sache. Es brauchte mehr um mich zu erweichen als nur diese eine Geste. Immerhin war ich in den letzten Monaten nur ein Klotz am Bein und unsichtbarer als die Luft. Ich richtete die Decke und schloss wieder meine Augen. Ich wollte ihn sehen, auch wenn es nur vor meinem geistigen Auge war.
Die Tür wurde aufgestoßen und ich zuckte zusammen, als das Poltern anfing. Ohne es recht mitzubekommen, wurde meine Decke vom Bett geschmissen und ich am Arm rausgezogen.
»Schau, dass du in die Küche kommst!« Ich stolperte vor ihm auf die Knie und bekam sogleich wieder eine Ohrfeige. Mir stockte der Atem und ich hob abwehrend die Arme.
»Hör auf, Papa!«, flehte ich ihn an und blickte durch meine Arme.
»Aufhören, du verlangst von mir, dass ich aufhöre. Ich warte seit fast einem Jahr, dass du aufhörst, du missratener Bastard. Was habe ich nur verbockt, dass ich so bestraft werde. Alles habe ich dir ermöglicht. Und du, und du trittst alles mit den Füßen. Alles was ich aufgebaut habe, kaputt. Und du verlangst von mir, dass ich aufhöre. Was soll ich jetzt nach deiner Meinung machen? Weinen? Oder lachen? Sag es mir!«, brutal fasste er mir in die Haare und zog mich auf die Beine. »Ich habe keine Tunte als Sohn, und solange du das nicht begriffen hast, werde ich auch nicht ›aufhören‹.«
Unsere Blicke trafen sich und ich sah nur Verachtung und Ekel in seinen braunen Augen. Zögerlich nickte ich und wagte es nicht mehr, noch etwas zu sagen. »Zieh dich an und komm in die Küche!«, wieder nickte ich und schluckte die Spucke, die sich in meinem Mund angesammelt hatte, runter. Irgendwie ging das nicht. Ein Stück blieb an einem zähen Faden hängen und ich musste einem aufkommenden Reizhusten widerstehen. Vor allem musste ich noch einen Würgereiz unterdrücken, denn Dad roch fürchterlich nach durchzechter Nacht. Selbst der angenehme Duft von Kyel haftete widerwärtig an seinem Hemd.
Er ließ meine Haare los und verschwand aus dem Zimmer. Tief atmete ich ein und versuchte meinen Körper, so weit unter Kontrolle zu bringen, dass ich halbwegs stehen konnte. Der zweite Schock innerhalb eines Tages, noch einen und ich fahre direkt wieder ins Krankenhaus. Wenigsten hätte ich dort meine Ruhe. Niemanden interessierte es dort, ob ich schwul war oder nicht. Ob ich ein Schwarzer war oder nicht, ob ich Allah anbetete oder Gott. Im Krankenhaus war es denen, die dort arbeiteten scheißegal. Nur meiner Mutter nicht, aber sie dürfte es sich nicht anmerken lassen. Ob sie eine Abneigung gegen mich hegte oder nicht. Der Eid des Hippokrates verbot es ihr. Ich konnte darauf scheißen.
Das Abendessen verlief genauso wie die anderen. Ich war anwesend, ob ich was aß oder nicht, war egal und ansonsten war ich Luft für meine Eltern. Tzz … ich erwischte mich dabei, wie ich immer wieder verstohlen zu meinem Vater blickte, wenn er eine zu schnelle Bewegung zu seiner Flasche Bier machte oder sich anders hinsetzte. Jedes Mal zuckte ich innerlich zusammen, nicht dass wieder eine Ohrfeige oder noch schlimmer seine Faust in meinem Gesicht landete.
Dennoch ging mir die vertraute Berührung von meiner Mutter nicht mehr aus dem Sinn. Öfters sah ich zu ihr, aber sie ließ sich nichts anmerken. War es vielleicht doch nur eine Einbildung von mir? Aber sie war so intensiv, so real, sie war wirklich Wirklichkeit.
Ich legte mein Besteck auf den Teller und sagte, dass ich müde sei. Ich verabschiedete mich und ging in mein Zimmer. Zum ersten Mal drehte ich den Schlüssel und sperrte die Tür zu. Noch einmal wollte ich es nicht erleben, wie Dad einfach in mein Zimmer kam, mich an den Haaren aus dem Bett zog, mir eine Ohrfeige verpasste und mich mental fertigmachte.
Mit meinem Handy lag ich auf dem Bett und kämpfte mit mir selbst, ob ich ihn anrufen sollte. Viele Minuten vergingen, bis ich mich entschied, ihn nicht anzurufen. Das mit meinem Vater wollte ich selbst klären. Kyel setzte sich schon genug für mich ein, da brauchte ich ihn, für meine Familienzwistigkeiten, nicht auch noch.
Lange dauerte es, bis ich endlich einschlief und selbst dann fand ich keine Ruhe. Immer wieder stieg mir der Geruch des Alkohols ins Gedächtnis, sodass ich schweißgebadet hochschrecke und mich umschaute, ob er wieder vor meinem Bett stand.
Hölle, was war nur los? Warum konnte es nicht mehr so sein wie vor dem Freitag. Wo ich nur Luft für jeden war. Nun bekam ich mehr Aufmerksamkeit, als mir lieb war.
Wie gerne würde ich die Zeit zurückspulen bis vor meinem Streit mit Mom. Hier hatte es angefangen und verlief sich in einem Wirrwarr, dass zu einem Strudel wurde, der mich stetig und unaufhaltsam mitgerissen hatte. Kyel, dessen besondere Aufmerksamkeit genoss ich. Der Typ mit der verkackten E-Mail, auf den konnte ich verzichten, vor allem da ich nicht wusste, was als Nächstes zutage geführt wurde. Dad, der sonst seine freie Zeit nur in seinem Arbeitszimmer oder in der Firma verbrachte, gab mir eine Aufmerksamkeit, die ich liebend gerne vergessen wollte. Da wäre ich lieber wieder, nur durchsichtige Luft. Sarah hatte sich nicht geändert, ihre Hochnäsigkeit und Ignoranz waren vom Feinsten und Mom hatte irgendwann die Einsicht, mich doch noch als ihren Sohn zu sehen. Von David brauchte ich nicht zu sprechen, der wurde, so hatte ich es am Abendtisch mitbekommen, von Sarah vor die Tür gesetzt. Ging doch länger als zuvor gedacht. Ich hatte ihm Schonfrist bis Dienstag gegeben und es wurde doch Freitag. Was sollte es, mir war alles egal. Ich schnappte meinen Reader und las die Fantasiegeschichte weiter, die ich angefangen hatte.
Ich bemerkte kaum, dass es draußen wieder hell wurde, und schlich mich aus meinem Zimmer. Aus dem Schlafzimmer vernahm ich Dads Schnarchen und so laut, wie es war, würde er bestimmt noch fast bis Mittag schlafen. Ich ging in die Küche und richtete langsam den Frühstückstisch, damit ich wenigstens dem Genörgel von Mom entging, dass dann vielleicht den ausschlaggebenden Grund für Dads Aggressionstherapie an mir abmilderte. Mein Gefühl sagte mir, dass es nicht das Ende seiner neuen Erziehungsmaßnahme sei, sondern erst der Anfang.
Während ich die Teller und das Besteck auf den Tisch stellte, fasste ich den Plan ein Praktikum anzutreten oder noch besser irgendwo einen Halbtagsjob anzunehmen. Vor zwei oder drei Wochen war ein Jobzettel an dem Schaufenster des Eiscafés ausgehängt worden, der am Montag, als Kyel mich unterwegs abgefangen hatte, immer noch dran war. Im Laufe des Tages würde ich mich dort bewerben. Vielleicht konnte ich dort gleich Probearbeiten.
Mom kam verschlafen in die Küche und staunte nicht schlecht.
»Habe ich also doch richtig gehört. Was ist denn in dich gefahren, dass du den Frühstückstisch deckst. Heute ist doch Sarah dran.« Ich zuckte mit den Schultern.
»Ich konnte nicht mehr schlafen, und bevor ich mir nur einen Kaffee mache und darauf warte, bis er durchgelaufen ist, dachte ich, deckst derweil den Tisch.« Sie lächelte und nickte mir zu.
»Du bist sehr erwachsen geworden. Besonders in der letzten Woche …!« Was? Mir haute es die Fragezeichen raus und sie lächelte breiter. Kurz zwinkerte sie mir zu und legte sanft ihre Hand auf meine Schulter.
»Es tut mir leid. Es tut mir wirklich alles leid. Es hat bei mir sehr lange gedauert, bis ich es begriffen habe«, sprachlos, wenn ich die Bedeutung für sprachlos kannte, so lernte ich ihre wahre Macht kennen. Kein Kloß steckte mir im Hals, keine Spucke sammelte sich in meinem Mund, dass Einzige, was aussetzte, war mein Gehirn und überließ meinem Körper, diese einfache Handlung zu übernehmen. Ich trat meiner Mom entgegen und zog sie in die Arme. Ich spürte nicht einmal, wie die Tränen mir im Gesicht runterliefen, und drückte sie fester an mich heran. Sie selbst umschlang mit ihren schmalen, zierlichen Armen meinen Körper und legte ihr Kinn auf meine Schulter.
»Gott, es tut mir so leid. Ich habe es nicht gesehen, wie du gelitten hast.«
»Mom!« Ich spürte, dass ich weinte. »Danke.«
»Schon gut. Ich habe mich zu bedanken, dass ich einen so wundervollen Sohn habe.«
Es dauerte ein paar Minuten, bis ich mich wieder beruhigt hatte und zurück ins Zimmer gehen, wollte ich nicht. Ich hatte ein Bedürfnis, das viele Monate vernachlässigt wurde, nachzuholen. Ich hatte meine Mom zurück.
Dad schnarchte immer noch und würde wahrscheinlich bis weit nach Mittag noch schlafen, so wie der nach Alkohol gestunken hatte. Ich hoffte nur, dass er sich an das, was er mir am Tag davor angetan hatte, nicht mehr erinnern konnte. Ich wüsste sowieso nicht, wie ich ihm in Zukunft begegnen sollte. Wie ich mit seiner Missbilligung und seinem Ekel, mir gegenüber klarkommen sollte ... Himmel Herr Gott, er war mein Vater. Mein bester Kumpel … bis vor fast einem Jahr. Seine Ablehnung verletzte mich zutiefst.
Nachdem ich meine dritte Tasse Kaffee intus hatte, kam Sarah total übernächtigt und mit zugeschwollenen, verweinten Augen in die Küche. Ihr erster Griff war an die Kanne mit dem noch dampfenden Kaffee. Ohne weitere Worte stand ich auf und kochte einen neuen Kaffee. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sich von diesem Tage an, ich blickte auf die Uhr, die zeigte kaum neun Uhr früh an, etwas Grundlegendes änderte.
Die Maschine tat ihre Arbeit und ich setzte mich an den Tisch, auf meinem Platz, der vor Kurzem noch von David besetzt war. Wieder vergingen Minuten ohne das irgendeiner was sagte, bis Mom Sarah mit dem gleichen Blick ansah wie mich in den letzten Monaten. Daraufhin fing Sarah hemmungslos zu schluchzen an und Mom gab ihr erst einmal Zeit, sich zu beruhigen.
»Es tut mir so leid! Ich habe mich von David aufstacheln lassen und Dad … ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte … David, David habe ich in den Wind geschossen. Er war nur lieb, wenn … wenn … Gott Mom … es ist einfach alles zu viel«, stotterte sie und ich reichte ihr ein Taschentuch. Ihre Nase fing immer zu laufen an, wenn sie außer sich war.
»Ganz ruhig. In der letzten Zeit haben wir alle Fehler gemacht.«
»Ist nicht wahr!«, rutschte es mir raus und ich spürte, wie mir die Scham ins Gesicht stieg.
»Sascha, bitte. Es ist für uns alle nicht leicht.«
»Lass gut sein, Mom. Sascha hat vollkommen recht, sich uns gegenüber so zu verhalten.« Ich zog die Augenbrauen zusammen. Hatte ich da gerade eine Bestätigung seitens meiner ach so lieben Schwester bekommen? Ich konnte mich dennoch nicht zurückhalten.
»Und wie kommt jetzt plötzlich dieser Sinneswandel. Immerhin bin ja wohl ich der Abnormale hier in dieser Familie!«
»Dad!«, schniefte sie noch kurz und schnäuzte in das Taschentuch. Wieder zog ich die Augenbrauen zusammen. »Dad war der ausschlaggebende Grund und Dad war auch der Grund, warum ich David abgeschossen habe.«
»Warum? Du lässt dir doch von Dad nicht deine Liebschaften verbieten.« Sie schüttelte den Kopf und legte das Tuch auf den Tisch, was Mom gleich in den Abfall schmiss.
»Nein, natürlich nicht. Aber ich sehe es nicht ein, dass er dir gegenüber die Kontrolle über sein Handeln verliert, nur weil du … du …« Sie stockte.
»Schwul!«, führte ich das Wort weiter. Sie lächelte leicht verlegen. »Eigentlich ist homosexuell der richtige Begriff, aber schwul ist auch richtig und wird nicht mehr als Schimpfwort gehandelt«, erklärte ich und sie knetete ihre Finger, das war ein eindeutiges Zeichen, dass ihr was Schweres auf dem Herzen lag.
»Ja stimmt!«, sie lächelte mich an. »Schwul! - Aber das ist es nicht. Ich habe gehört, wie er mit einem Arzt gesprochen hat, irgendwo in der Schweiz und dass er dich dorthin schaffen will. Damit …!«
»Damit ich zu Einsicht komme und für den Rest meines Lebens auf Titten stehe?« Sie nickte wieder und Mom wurde blass.
»Ja, ich habe im Netz nach dieser Klinik gesucht und dort werden Schizophrene und die wirklich Krassen behandelt. Sascha, der Arzt kam mir nicht gerade geheuer vor …«
»Du hast am anderen Telefon gelauscht?«, fragte ich, was eigentlich Sarahs Art war, sie belauschte die Gespräche schon, seit sie ein kleines Mädchen war.
»Ja, nicht nur das. Du kennst doch Kevin, der aus unserer Klasse. Er hat einen Cousin, der auch dort war. Die Familie hat einen über fünf Jahre dauernden Kampf hinter sich, um ihn aus dieser Klinik wieder herauszubekommen. Ihre Methoden der Behandlung sind nicht human. Oder wie hat Kevin erzählt, sie haben ganz andere Behandlungen angewandt, nur um ihn dort länger zu halten. Das kam aber erst hinterher raus, nachdem er draußen war und jetzt ist er zwar immer noch in der Geschlossenen, aber die Behandlung schlägt an, und wenn es so weiter geht, kann er im nächsten Jahr raus.«
»Ich gebe nichts auf Mundpropaganda. Und außerdem brauchst du dir meinetwegen keine Sorgen zu machen. Ich werde in keine Klinik gehen.«
»Aber Dad … - Ich will nicht, dass er dich wieder schlägt …« Mom wurde noch weißer.
»Dad hat dich geschlagen? Wann, wie oft?«
»Ist egal Mom …«
»Nein, verdammt ist es nicht. Du weißt schon, dass du ihn anzeigen kannst …«
»Mom, ich werde Dad nicht anzeigen. Er war nicht bei Sinnen, als er zugeschlagen hat.« Sie belächelte es nur, aber sagen tat sie was anderes.
»Gott, wie haben wir deine Gutmütigkeit nur verdient?« Tja, irgendwann schlägt das schlechte Gewissen zurück, dachte ich nur. Mir war die ganze Situation nicht geheuer und ich räumte mein Frühstücksgeschirr weg, bevor ich mich auf dem Weg ins Café machte.
Ich hatte einen Plan und den würde ich durchziehen, egal ob meine Eltern zur Besinnung kamen und mit meiner Neigung auf einmal einverstanden waren.
Ich war schwul und das schon, seit ich in der Pubertät war. Wann genau es mir so richtig bewusst wurde, daran konnte ich mich nicht mehr erinnern, aber ich wusste, dass es mir immer den Rücken runter kitzelte, wenn ich einen nackten Männeroberkörper sah. Sei es im Schwimmbad gewesen oder in irgendeiner Zeitschrift für Mode, wo ein knackiger Körper für Bademode posierte. Vor allem reagierte ich, wenn mein Blick wie automatisch zwischen die Beine ging und ich mir die Härte, die Länge, die weiche warme Haut und vor allem das Pulsieren der Ader vorstellte. Boah! Warum war Kyel nicht da.
Das Café machte schon früh um fünf Uhr auf und ich trat ein. Ich schaute in das Schaufenster, in der Hoffnung das der Zettel mit dem Jobangebot noch da war. Erleichtert atmete ich ein, als ich den Zettel hängen sah. Ich blickte auf die Uhr, es war kurz vor zehn. Um diese Zeit war es noch relativ leer. Nur vereinzelte Tische waren besetzt und der Kellner grüßte mich mit meinem Vornamen. Ich war hier nicht unbekannt und konnte mir vorstellen, dass mein gewisser Ruf, hier auch schon seine Runde gedreht hatte.
»Tim, hi. Ist der Chef hier?«, fragte ich den Kellner und er nickte nach hinten.
»Hm, der müsste in der Küche sein, um diese Zeit macht er immer Pause …!«, und schon war Tim weg. Nach wenigen Sekunden kam ein, für einen Italiener, sehr hochgewachsener Mann.
»Ah Sascha, was für eine Freude …!« Konnte ich mir vorstellen. Immerhin hatte ich hier schon ein halbes Vermögen gelassen.
»Guten Morgen, Alessandro.«
»Was kann tun ich für dich, was Tim nicht kann?«, fragte er mich mit überschwänglicher Freude und gebrochenem Englisch. Mir wurde es schwindlig, was ist, wenn er mir eine Absage erteilt und sofort schimpfte ich mich einen verweichlichten Narren. Nicht umsonst hatte ich die ganzen Demütigungen, der letzten Monate, über mich ergehen lassen, nur um nun meinen Homoschwanz einzuziehen? Aber wirklich nicht. Ich spürte, wie ich rot wurde. Ich hatte mich gerade selbst beleidigt.
»Ähm ja, vielleicht könnten Sie es!«, sagte ich und drehte mich zum Schaufenster, wo noch der Zettel hing. »Ist die Stelle noch frei?« Er grinste breiter, für eine kurze Zeit wirkte sein Grinsen wie eingefroren und ich dachte schon, er schmeißt mich wieder raus.
»Sicher, Stelle noch frei. Wann kannst anfangen du?« Uff …
»Ähm jetzt?«, ich spürte, wie ich kleinlaut wurde.
»Fantastico! Tim du Pause …!«, rief er und schob mich in die Küche. Tim grinste mich an und klopfte mir auf die Schulter.
»Es wird langsam Zeit, dass sich mal jemand Gescheites um die Stelle bewirbt. Ständig kamen solche aufgetakelten Weiber, die schon aufschreien, wenn etwas Eis auf ihre Schürze landete.« Er verdrehte die Augen und plötzlich wurde mir da was bewusst. Warum hatte ich immer meine Augen davor verschlossen, obwohl es genau vor meiner Nase war? Tim war auch schwul und ich grinste zurück. Ich hatte irgendwie keinen Grund mich hier zu verstellen.
Schnell und mit der Agilität eines wirklichen Italieners, zeigte Alessandro Francesco mir alles. Bald schwirrte mir der Kopf und ich nickte nur noch. Ich musste unbedingt mein nicht vorhandenes Italienisch aufbessern. Ich verstand nur noch Spanisch.
Nach nur zehn Minuten stand ich hinterm Tresen und war mir selbst überlassen.
»Alles verstanden?«, fragte Tim mich, ich nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Wieder schlug er mir auf die Schulter und meinte, dass alles zu gegebener Zeit verständlich sei.
Irgendwie kamen wir ins Gespräch und ich erfuhr, dass Tim schon seit über sieben Jahren mit jemandem zusammenlebte und er keinen Hehl daraus machte, ob es die Leute wussten, dass er schwul war oder nicht. Er sagte, entweder nehmen die mich so, wie ich bin oder sie sollen es sein lassen.
Mit Tim zu arbeiten war angenehm und er erklärte mir alles noch einmal, was Alessandro zuvor im Schnelllauf runtergerasselt hatte. Inzwischen konnte ich schon Cappuccino, Eiscafé und Latte macchiato zubereiten und irgendwann sagte Tim, dass ich es zu Tisch drei bringen sollte. Die Tische eins bis fünf standen draußen und die restlichen sieben im Café. Es war ein kleines überschaubares Café und inzwischen rechnete ich sogar ab.
Nachmittags um zwei Uhr wies Alessandro mich an Pause zu machen und ich war froh, für eine kurze Zeit meine kochenden Füße auszustrecken. Die Schuhe wagte ich nicht auszuziehen. Die Fliegen wären sonst von der Wand gepurzelt und in Ohnmacht gefallen.
Alessandro kam auf mich zu und sagte, dass ich noch bis sechs Uhr abends da bleiben musste und morgen und den Rest der Woche, nach der Schule, um halb fünf wieder erscheinen sollte. Samstags war ich von zwölf Uhr Mittag bis zum Ende, um acht eingeteilt. Und Sonntag hatte ich frei. Er drückte mir 56 $ in die Hand und meinte, dass er immer am Freitag den Lohn auszahlte. Noch bevor er aus der Küche verschwand, rief er, dass an Tisch 9 Kundschaft sei und ich sie bedienen sollte, da Tim nun auch Feierabend hatte. Ach ja und der Schlüssel zum Absperren im hintersten Schub sei. Verblüfft starrte ich die Schwenktür an und Tim kam rein.
»Na, der Chef hat einen Narren an dir gefressen. Ich wünsch' dir noch was …!«
»Ähm ja, ich dachte, ihr habt bis acht offen.« Er schüttelte den Kopf.
»Heute nicht, jeden zweiten Sonntag haben wir nur bis sechs geöffnet. Ansonsten von fünf früh bis acht abends. - Ach, da fällt mir ein. In dem Besenschrank ist die Kassette für das Geld. Dort tust du das Geld rein und sperrst es in den Safe. Alessandro holt es später.« Er grinste breit, als er mich immer noch so verdattert, mit dem Geld in der Hand, stehen sah.
»Das ist dein Lohn für heute und ich habe dir ein Sparschwein auf dem Tresen gestellt, dort kannst du dein Trinkgeld reinschmeißen oder gleich mitnehmen. Ich leere mein Schwein immer am Ende des Monats aus. Kommt gutes Geld zusammen. Okay, du hast alles im Griff? Sollten Probleme aufkommen, meine Handynummer steht an der Tafel, aber ich glaube, du packst das schon«, sagte er und ließ mich total vertrottelt stehen.
Ich stopfte das Geld in die Hosentasche, die schon ziemlich voll mit Trinkgeld war, und machte mich auf den Weg zu Tisch neun. Zuvor blickte ich kurz durch die Runde und vergewisserte mich, ob auch alle Gäste zufrieden waren.
Tisch 9 lag in der hintersten Nische und mir zog es schon das Herz zusammen, als ich den Hinterkopf mit dem sorgfältigen frisierten und dennoch störrischen Haare sah.
Ich erkannte den Mann und Mr. Freim und Mr. Houer, sie saßen mit dem Gesicht zu mir und mein Herz klopfte mir bis zum Hals.
Sie waren sehr tief in ein Gespräch verwickelt und nach meinem dritten Räuspern blickten sie hoch. Ich musste glühen, wie eine Osram Birne als sich unsere Blicke trafen und ich in diesen meeresblauen Augen zu versinken drohte.
»Sascha, was für eine Überraschung!«, grinste Kyel.
»Die Überraschung liegt ganz auf meiner Seite, Mr. Kastner, Mr. Freim, Mr. Houer!« Ich nickte jedem zu.
»Was darf ich Ihnen bringen?« Kyel überhörte meine Frage.
»Seit wann arbeitest du hier?«, fragte Kyel.
»Ähm, seit heute!« Sein Grinsen wurde breiter und ich sah, frechen Schalk in seinen Augen aufblitzen.
»Das hat man gerne. Da bietet man dir eine Lehrstelle an und was machst du? Du arbeitest lieber in einem Café.«
»Tja, ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber eine Wohnung bezahlt sich nicht ohne Geld und ich kann nicht ein Jahr warten, bis ich eine Lehrstelle antrete.« Seine Augen verdunkelten sich.
»Ihr Vater verdient genügend Geld. Er kann sich fünf Wohnungen leisten«, mischte sich Mr. Freim ein und ich schluckte hart.
»Ich hätte gerne einen Kaffee!«, rettete Kyel die Situation und die anderen vergaßen anscheinend auch wieder das Gesagte und gaben ihre Bestellungen auf.
Kyels Blick gefiel mir gar nicht und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es noch ein Nachspiel geben würde. Ich hatte damit recht. Kyel würdigte mich, die ganze Zeit, keines Blickes mehr.
Ich war mit dem Putzen fertig, als die letzten Gäste sich verabschiedeten. Ich warf einen Blick auf die Uhr und auf die hintere Nische. Der Vorstand saß immer noch da und diskutierte mal lautstark, mal sehr leise, dabei ging es immer wieder um diverse Einnahmen, die nicht passten oder einfach verschwunden waren. Kurzzeitig fragte ich mich auch, warum mein Vater nicht dabei war, und erinnerte mich, dass er sich freigenommen hatte.
Ich ging wieder zu ihnen und bat sie zu bezahlen, da ich gerne schließen würde. Mr. Houer blickte verdattert auf seine Uhr und entschuldigte sich, dass sie die Zeit vergessen hatten. Mr. Houer und Mr. Freim bezahlten und verabschiedeten sich. Doch bevor ich zu den leer getrunkenen Tassen greifen konnte, um sie wegzuräumen, wurde ich an den Handgelenken gepackt und auf die Eckbank geschleudert.
»Kyel was so…!« Seine Lippen ließen kein weiteres Wort mehr zu. Sein Druck war hart und er biss mir brutal in die Lippe. Irgendwann schmeckte ich nur noch Blut und er ließ von mir ab. Ich rang nach Atem und er zog mich hoch. Vorsichtig leckte ich mir über den Mund. Die Wunde, die Kyel mir zugefügt hatte, war nicht schlimm und der eisenhaltige Geschmack ließ schnell nach.
»In die Küche, sofort!«, brummte er und sein Griff um mein Handgelenk verstärkte sich. Scharf zog ich die Luft ein.
»Kyel nicht hier, bitte.« Er drehte sich zu mir um und seine Augen waren sehr dunkel. Auch schien er nicht hier zu sein, sondern war zu weit weg, an einem Ort, wo ich ihn nicht erreichen konnte. Er ließ mich los und wiederholte, dass ich mit ihm in die Küche gehen sollte. Widerstrebend lief ich ihm hinterher und hätte beinahe die Schwingtür auf die Nase bekommen. Ich trat ein und er setzte sich auf einen der vier Stühle. Die ganze Zeit haftete sein Blick auf mir und ich zog mir selbst einen Stuhl zurecht.
»Verrate mir eins, wie willst du dir mit dem mageren Gehalt eine Wohnung leisten?« Ich starrte ihn an, etwas leicht verblüfft, weil ich dachte, dass er sogleich über mich herfallen würde, so wie er mich geküsst hatte.
»Warum?«
»Warum. Ist keine Antwort auf meine Frage.«
»Ich meine, warum willst du das wissen?« Seine Augen blitzten noch dunkler auf.
»Warum ich das wissen will? Du kannst Fragen stellen. Immerhin bin nicht ich derjenige, der gestalkt wird, sondern du. Und zu deiner Information. Mich hat eine sehr schöne Nachricht erreicht, die mit dir und deinem betrunkenen Vater zu tun hat. Gestern Abend.« Die letzten Sätze waren sehr ironisch. Wie ein Bombeneinschlag. Die ganze Erinnerung, die ich eigentlich verdrängen wollte, war wieder da.
»Ich … ich ...«
»Dass du jetzt diesen Job angenommen hast, war eine Kurzschlussreaktion, die ich sehr gut verstehe, aber ich würde an deiner Stelle noch daheimbleiben, und auch wenn ich es anders sehe, Anthony und Emily sind der Meinung, dass du dort in Sicherheit bist.« Zögerlich schüttelte ich den Kopf. Ich konnte mir alles vorstellen, aber daheimzubleiben nicht, auch wenn Mom vielleicht ihre Meinung über mich geändert haben sollte, so konnte ich mich nicht mehr länger hinter meiner Fassade verstecken. Dafür hatte ich in der letzten Woche viel zu viele Gefühle kennengelernt, die ich nicht mehr missen mochte. Zumal ich die Art seiner Eltern erlebt hatte, verständnisvoll, liebenswürdig und für jeden Scherz offen. Besonders Clive, der ein Faible für Mopeds und Motorräder hatte und schelmisch lachte, als er meines sah. Wie hatte er gesagt. ›Sieh an, sieh an, das gute Gefährt ist wieder nach Hause gekommen‹ und hatte mir wissend, wobei ich natürlich keine Ahnung hatte, wovon er sprach, zugezwinkert.
»Ich kann nicht mehr …«, flüsterte ich und wandte den Blick von ihm ab. Ich wollte nicht, dass er sah, wie meine Augen rot wurden und das Brennen in ihnen, die aufkommenden Tränen ankündigte. Ich bekam es nicht mit, wie er aufstand, aber er zog mich zu sich heran und strich mir über den Kopf. Es war wohltuend, seinen herben männlichen Duft zu riechen, den ich lieb gewonnen hatte, und schmiegte mich an seine Brust. »Es tut mir leid!«
»Du brauchst dich bei mir nicht zu entschuldigen. Im Moment machst du viel durch. Emily und die anderen arbeiten schon wie verbissen …«
»Das ist es nicht. Doch, auch mit! Es ist einfach alles zu viel. Ich schaffe es nicht mehr. Dad ... er ... ich will ... und auch wegen dieser Scheinheiligkeit von Mom und Sarah, die mich jetzt plötzlich verstehen wollen und akzeptieren das ich niemals ein Mädchen heimbringen werde, weg. Das ist zu viel, Kyel, das ist einfach zu viel für mich. Es ist wie eine fremde Welt. Dad fängt an mich zu schlagen, anstatt mich einfach zu ignorieren und Mom hält sich plötzlich für Supermom. Von Sarah will ich gar nicht erst reden, sie hat ihre eigenen persönlichen Probleme, mit denen ich mich nicht rumschlagen will und werde.« Seine sanften Hände nahmen meinen Kopf und hoben ihn an. Seine blauen Augen blickten mich wahnsinnig lieb an und ich spürte nur seine warmen weichen Lippen auf meinem Mund. Stupsend forderte seine Zunge Einlass, die ich ihr gerne gewährte. Gott, ich hatte mich hoffnungslos in diesen Mann verschossen.
Auf der Schnellstraße fuhren wir aus der Stadt. Meine Frage, wo wir hinfuhren, blieb unbeantwortet, also schwieg ich und schaute aus dem Fenster. Trostlos war die Gegend, nur diese Lärmschutzmauern, die vereinzelt mit ein paar Sträuchern verziert waren, huschten wie die Chinesische Mauer an mir vorbei. Weiter und immer weiter zierte die Mauer die Schnellstraße, allmählich hatte ich genug von dem traurigen Schauspiel und wandte meine Aufmerksamkeit nach vorne.
Die Oktobertage waren nur noch grau und wolkenverhangen. Letztes Jahr erblühte noch alles in Rot und Braun und die Sonne gab all ihre Kraft, nur um es uns etwas behaglicher zu machen. Aber dieses Jahr war das Wetter wie meine Stimmung. Einfach trostlos. Selbst zu Weihnachten dachte Frau Holle, ihre Betten ungeschüttelt zu lassen. Der Frühling war mehr oder weniger wie April und den Sommer konnte man gleich vergessen. An einer Hand waren die heißen Tage abzuzählen und so ging es in den Herbst. Die Freibäder hatten schon Mitte August geschlossen. Die Einzigen, die noch etwas an heiße Sommertage erinnerten, waren die Cafés.
Drei Ausfahrten weiter, fuhr Kyel von der Schnellstraße ab in eine Wohnsiedlung. Die Wohnsiedlung wies nichts Besonderes auf. Vereinzelt liefen Katzen herum und schleckten sich die Pfoten, die durch den stetigen Nieselregen nass geworden waren. Vor einem Haus, das sich ein Otto Normalverbraucher auch leisten konnte, keine Villa a la Kyel Kastner, sondern ein kleines gemütliches Vorstadthäuschen mit, man konnte es nicht glauben, weißem Gartenzaun und einigen Obstbäumen, sowie abgeernteten Beeten, parkte er seinen Jaguar am Randstein. Obwohl das Haus zwei Garagen aufwies, in denen kein Auto stand.
Noch bevor ich ausgestiegen war, wurde die Haustür von einem schrillen Paradiesvogel geöffnet, der überhaupt nicht in diese Idylle passte. Seine Haare waren mit rosa und gelber Sprühfarbe oder wohl eher farbigem Haarlack eingefärbt. Das gelbe Oberteil und die rosa Satinhose harmonierten sogar mit seinen gelb und rosa angemalten Augen.
»Raoul, du hast dich ja wieder einmal selbst übertroffen!«, begrüßte Kyel den Pfau und mir gingen die Augen über. Das war Raoul? Ich fasste es nicht. Also das … dass … mir blieb die Spucke weg, ganz besonders, als Kyel und er sich umarmten und jeder, einen Schmatzer auf die Wange des anderen setzte. Mein Magen drehte sich um und mein Kopf fing zu hämmern an, doch bevor sich meine aufkommende Eifersucht auch in meinem Herzen ausbreiten konnte, kam der Vogel auf mich zu und begrüßte mich genauso herzlich.
Ich starrte ihn an und automatisch fuhren meine Finger an meine Wange, nicht weil sie kribbelte oder wie bei Kyel zu pulsieren anfing. Ich wollte mich nur vergewissern, dass ich keinen Lippenstift dranhaften hatte.
»Hm, ich habe mich extra, für unseren Gast, herausgeputzt«, flötete er und mir fiel auf, wie extrem er sich zur Schau stellte.
»Raoul, warum lässt du unsere Gäste im Regen stehen?«, geschockt blickte er zu einer Frau, die an der Eingangstür lehnte und sich liebevoll über ihren ›schwangeren‹ Bauch strich. Moment, da passte doch was nicht. Raoul und sie? Mit Baby im Bauch. Ein plötzlich aufkommendes Kicksen jagte mich zurück in die Realität.
»Du meine Güte, meine Frisur, meine Schminke, es verläuft alles, ich kann es richtig spüren …« Und weg war er. Kyel grinste und ich starrte immer noch fassungslos dem Pfau hinterher.
»Du hast es wieder einmal geschafft, Emily.«
»Ich weiß. Das Wort war Regen«, zwinkerte sie Kyel zu und ließ uns eintreten.
Dieses Haus gehörte also Anthony und Emily. Anthony war noch arbeiten und kam erst später. Und ich erfuhr auch, das Raoul, der Bruder der schwangeren Frau war, was natürlich meine Weltanschauung wieder gerade rückte, nicht dass ich etwas dagegen hätte, wenn eine schwule Person Vater wird. Aber schon alleine der Gedanke, zum Vorgang, verursachte in mir leichte Übelkeit. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, als Homosexueller, es mit einer Frau zu treiben. In die weiche Nässe zu stoßen, die wippenden Möpse zu sehen, wie sie rauf und runter hüpften und vor allem nichts in der Hand zu haben, das ich pumpen konnte, was größer, dicker, länger und härter wurde. Dass ich für mich aufpumpte, damit es mich befriedigen konnte. Den ersten Lusttropfen nicht sehen zu können und ihn mit dem Finger zu spüren, der mir deutlich sagte, ja ich will es. Ich bin so scharf auf dich, dass ich schon auslaufe und es dir in irgendeiner Weise schenken werde. Ich war so tief in meinen Gedanken, dass ich das neu aufkommende Gespräch gar nicht mitverfolgte und ins kalte Wasser gestoßen wurde.
»Wir haben im Moment keinen Zugriff auf Saschas Computer. Hast du irgendetwas daran verstellt?«, wurde ich von Emily gefragt und ich nickte.
»Ich habe die Cam abgezogen und ihn vom Router genommen. Mein Computer hat nicht mehr die Möglichkeit sich ins Netz zu wählen.«
»Wann hast du das gemacht?«
»Kurz bevor ich ins Bett gegangen bin.«
»Also war es schon, vor der Auseinandersetzung mit deinem Vater?«, fragte Kyel und ich zog meine Augenbrauen zusammen.
»Ja!«
»Der muss eine andere Möglichkeit haben, um auf den PC von Sascha zugreifen zu können.«
»Eine andere Cam, die nicht mit dem Computer von Sascha verbunden sein muss?«, mischte sich Raoul ein und Emily nickte.
»Daran habe ich auch gerade gedacht. Kyel wir müssen in das Zimmer von Sascha.«
»Wie wollt ihr das anstellen, ohne dass es dem Stalker auffällt?«
»Nicht wir, Sascha!« Ich wurde hellhörig. »Keine Sorge, Sascha muss nur so tun, als ob er aufräumen würde. Ganz besonders die Region um seinen PC. Bis jetzt haben wir immer nur Bilder, die einen gewissen Teil seines Zimmers zeigen. Das ganze Bett bis hin zum Fenster. Die Tür und der Kleiderschrank befinden sich im toten Winkel. Die zweite Cam muss sich entweder etwas oberhalb des Monitors befinden oder …!«
»Das kann nicht sein! Ich habe niemals eine zweite Cam gefunden und um meinen PC herum, steht eigentlich nichts weiter, wo man eine Cam befestigen kann.«
»Da muss ich Sascha recht geben. Der Schreibtisch von Sascha ist sehr übersichtlich. Außer einer Leselampe und kleinen Staubfängern stand da nichts Größeres, was die Möglichkeit geben konnte, eine Cam zu befestigen, geschweige denn zu verstecken.« Emily wurde ernst.
»Dann ist es so, wie Anthony gesagt hatte. Der Stalker muss ein Agent gewesen sein oder ein Red Eyes oder er ist es noch. Dieses Wissen über die Manipulation des Netzes sowie das Umgehen unserer Firewall und uns immer auf eine andere Fährte zu schicken, sind die Handschrift eines Staatsspions mit Kennzeichen eines Red Eyes«, Sie wurde noch ruhiger. »Das ist eine Liga, wo wir uns noch tierisch die Zähne ausbeißen werden und der Tod dein Freund ist. Sascha du schwebst wirklich in Lebensgefahr und du Kyel mehr als Sascha. Der Stalker hat es auf Sascha abgesehen und du bist ein ärgerliches Hindernis, das beseitigt werden muss.«
Red Eye, diesen Namen hatte ich schon mal gehört, aber ich konnte mich nicht mehr erinnern, wann oder wo es war. Vielleicht kam es mal in einem Film vor und meine Gedanken schweiften zu Kyel. Inzwischen bekam ich nichts mehr davon mit, wie trocken mein Mund war und das die Dicke des Kloßes in meinem Hals immer mehr anschwoll.
Automatisch zog ich die Turnschuhe aus und zog meine Beine an die Brust. Mit den Armen umgriff ich meine Schienbeine und legte mein Kinn auf die Knie.
»Was soll ich jetzt eurer Meinung nach tun? Mich in ein Mauseloch verkriechen und warten, bis er das Interesse an mir verliert?«
»Bis jetzt haben wir noch Glück gehabt …«, sprach Emily weiter, ohne auf mich zu achten. »Der Typ scheint es noch nicht bemerkt zu haben, dass wir eine Mail- und Rufumleitung eingerichtet haben, was uns noch etwas Luft gibt. Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis er es bemerkt und nach anderen Mitteln greift. Obwohl ich es versucht habe, hat die SPA keinen Antrag gestellt um den öffentlichen Satelliten zu observieren, daher sind uns diesbezüglich die Hände gebunden.«
»Ich verstehe schon, Sascha ist kein hohes Tier, sondern nur ein normaler Bürger. Also müssen wir damit rechnen, dass noch mehr Bilder von Straßen, Parkanlagen, meiner Villa, seiner Wohnung usw. auf uns zukommen.« Sie nickte, nippte an ihrer Tasse mit heißem Tee und richtete ihren Bauch so, dass es für sie einigermaßen angenehm war zu sitzen. Manchmal verzog sie ihr Gesicht und drückte auf eine Stelle unterhalb ihrer Rippen.
»Sascha sollte mit den Mails und Fotos zur Polizei gehen, damit der Stalker erfährt, dass Sascha es sich nicht bieten lässt. Vielleicht können wir ihn dann so aus der Reserve locken.«
»Emily, du willst, dass Sascha eine Anzeige macht? Bringt ihn das dann nicht noch mehr in Gefahr?«, ging Kyel dazwischen.
»Wenn Sascha die Anzeige macht und die Polizei die Angelegenheit als gefährlich einstuft, dann bekommt er für eine bestimmte Zeit Personenschutz. Sein Zimmer wird durchsucht, sein PC auf Hinweise durchstöbert und dann bekommen wir ganz offiziell den Fall übertragen, wenn der Stalker keine Ruhe gibt.«
»Aber ich habe doch schon eine Anzeige gegen ihn erstattet!«
»Das ist nicht genug. Kyel wir sind nur zu zweit mit Raoul zu dritt und der Fall ist nicht erstrangig. Wir konnten eine ganze Truppe für deine Firma losschicken, aber auch nur weil …«
»Weil es über die Firma lief.«
»Ja, ganz genau. Wir haben aber nichts darüber herausfinden können, ob sich der Typ noch einmal in das System eingehackt hat oder nicht und spätestens Ende des Monats wird der Fall zu den Akten gelegt, vielleicht auch früher.«
Toll dachte ich mir und in diesem Moment klingelten drei Handys gleichzeitig. Alle drei griffen zu ihrem Handy und alle drei blickten mich an.
»Zumindest weiß er jetzt, dass du im Café arbeitest«, schnaubte Kyel und zeigte mir ein Bild, wie ich einem Kunden sein Getränk hinstellte. Vor allem aber, was meinen schon zu großen Kloß im Hals noch größer werden ließ, war, dass das Bild von einem Nebentisch gemacht wurde. Also stand ich genau neben dem Typen, als er das Bild machte. Ich sah nur noch weiße Punkte, bevor mir das Blut aus dem Kopf schoss und ich mich krampfhaft in die Lehne des Sessels krallte, um nicht umzukippen.
Mir war kalt, eiskalt. Meine Gänsehaut zog sich von den Zehenspitzen bis rauf zu den Haarspitzen. Ich spürte, wie mein Herz sich langsam beruhigte und die berühmten hämmernden Kopfschmerzen sich ankündigten. Das kannte ich und setzte mich auf. Mir war noch etwas schwindlig und rechts neben mir hörte ich ein knisterndes Geräusch, das durch eine schnell auf und ab wackelnde Zeitung entstand, um mir unregelmäßig frische Luft zuzufächeln. Langsam öffnete ich meine Augen und blickte sogleich in gelb und pink geschminkte Augen. Ich musste mir eingestehen, obwohl ich auf den ersten Blick recht sprachlos über seine Erscheinung war, hatte Raoul einen sehr guten Geschmack und perfektionierte somit sein Gesamtbild.
»Gott sei Dank, da bist du ja wieder!«, flötete er und mit typischer Manier fasste er sich erleichtert an die Stirn.
»Es war nur mein Kreislauf.«
»Ja, ja und jetzt leg dich wieder hin. Kyel ist schon dabei, Kaffee zu machen.« Wie gerufen, erschien er mit einem Tablett im Wohnzimmer und stellte es auf den Tisch.
»Mach A!«, befahl er und schob mir ein Stück Zucker in den Mund, was gar nicht nach Zucker schmeckte, sondern nach einer Mischung aus ungenießbaren Kräutern und Alkohol. Ich verzog meinen Mund.
»Runterschlucken! Hilft deinem Kreislauf auf die Sprünge.«
»Wie spät ist es?«, fragte ich und schaute mich in dem Wohnzimmer um. Hatte ich da vorher nicht irgendeine Uhr ticken hören und wurde auch fündig. Sie zeigte schon halb zehn abends an und ich wusste, wenn Dad nicht schlief, würde ich wieder eine Abreibung bekommen, von wegen und es herrschen Regeln in diesem Haus. Die sich sowieso nach Gutdünken änderten.
»Warum? Willst du heim?« Ich schaute Kyel fragend an und nickte.
»Ist verständlich, aber ich würde sagen, dass du heute Nacht bei Anthony und Emily bleibst.«
»Geht nicht, hab morgen Schule. Ich brauche mein Schulzeug!« Und so wie ich es sagte, gab sich Kyel damit mehr oder weniger zufrieden. Beziehungsweise er musste sich damit zufriedengeben. Ich ließ ihm keine andere Wahl.
»In Ordnung, ich werde dich heimfahren …«
»Kommt nicht infrage!«, rief ich, sprang auf und sofort wurde mir wieder schwindelig. Raoul ergriff meinen Arm. Kyel blickte mich böse an. »Tschuldige. Ich meine, Dad …« Sein Blick änderte sich und er nickte. Im gleichen Zug wies er Emily an, mich heimzufahren.
Emily war für mich eine besondere Frau. Sie schien sich nicht im Geringsten daran zu stören, dass neben ihr ein Schwuler saß. Es kam mir vor, als ob es für sie das Natürlichste auf der Welt war. Und vor allem hörte sie meine Musikrichtung und schwankte im Takt mit. Ganz besonders, als wir beide meinen Lieblingssong mitträllerten. Sie sang genauso falsch wie ich und es machte uns beiden nichts aus, wer die Töne schräger sang. Zwischendrin verzog sie ihren Mund und meinte, das little Johnny sich gar nicht daran erfreute, wenn seine Mami sang. Aber damit musste er sich abfinden, denn ihm würde nichts anderes übrig bleiben, als dies zu ertragen.
Kurz vor meinem Zuhause fiel mir ein, dass mein Moped noch bei der Eisdiele stand und sie ließ mich dort aussteigen. Emily vergewisserte sich noch, ob alles Okay sei und als ich es bejahte, fuhr sie wieder. Mein Moped war total nass, durch den ständigen Bindfadenregen, der nicht gewillt war, mal die Sonne durchzulassen. Wenigstens hatte ich in weiser Voraussicht, meinen Helm so auf das Moped gelegt, dass die Innenseite halbwegs trocken blieb. Nützte nichts. Kaum fuhr ich los, goss es aus Eimern. Der Regen peitschte mir nur so ins Gesicht und meine Klamotten durchweichten in Sekundenschnelle.
Komplett nass stellte ich das Moped unter dem Vordach ab und blickte hoch zum vierten Stock. Nirgends brannte Licht und ich atmete erleichtert auf. Es sah so aus, als ob ich vor einer Standpauke verschont blieb, aber dafür würde ich sie später abbekommen. Ich hoffte nur, dass Dad nicht wieder besoffen war und mich mit körperlicher Strafe disziplinierte. Außerdem hoffte ich auch noch, dass er die drei Schläge, die er mir verpasst hatte, vergaß. Blackouts hatte er öfters, wenn er etwas zu viel über den Durst trank.
Ich schlich mich in den Flur und schloss ganz leise die Haustür. Meine Atmung senkte ich auf das Minimum und mein Herz pochte, als ob es oben auf dem Kopf wieder rauswollte. Froh war ich, dass sich das Schlafzimmer meiner Eltern am anderen Ende des Flurs befand, so konnte ich mich in mein Zimmer schleichen, ohne daran vorbeizulaufen.
Das wäre geschafft. Wie automatisch langte ich an den Powerknopf vom Computer und hielt mitten in der Bewegung inne. Kurz ballte ich meine Hand zu einer Faust und bezwang meinen inneren Schweinehund. Es war eh egal, ob er wusste, dass ich den PC anschaltete oder nicht. Der Kerl konnte mich auch ohne hochgefahrenen PC ausspionieren. Tief atmete ich ein und drückte den Knopf. In der Zwischenzeit zog ich meine nassen Klamotten aus, bis ich ganz nackt dastand. Ich blickte zum Computer und erschrak. Der Typ konnte mich sehen, ob ich es nun wollte oder nicht. Ich fragte mich, ob er auch im Bad eine Kamera installiert hatte, dann wäre mein aufkommendes Schamgefühl eh umsonst. Aber irgendetwas hatte es. Ich konnte es mir nicht erklären, aber der Reiz, dem Arsch etwas zu zeigen, das sonst nur meiner Befriedigung diente, obwohl er es eh bestimmt schon hundertmal gesehen hatte, kam drängend in mir hoch. Wow, meine Lende reagierte auf den Gedanken und ich konnte ein hysterisches Grinsen nicht unterdrücken.
›Der Typ will mein Herr sein? Ein Spanner ist er, mehr auch nicht. Ich werde ihm ein Schauspiel bieten, das er nie vergessen wird.‹
Einige Tropfen meiner nassen Haare tropften auf meinen Rücken und sofort stellten sich die kleinen Härchen am Körper auf. Ich spürte, wie meine Nippel hart wurden und sich aufrichteten. Selbst mein Schwanz stand schon auf halbmast und ich unterdrückte das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich wusste ganz genau, dass er mir zuschaute. Woher konnte ich nicht sagen, aber ich spürte es und es geilte mich auf. Dieses Verbot einfach zu durchbrechen. Ihm zu zeigen, dass ich es wusste und dass es mir gefiel. Ich würde ihn so heiß machen, dass er seinen Sabber von seinem Kinn ablecken konnte. Ihm zeigen, dass ich ihn hinhalten konnte, ihn dazu bringen konnte, solange zu wichsen, bis sein Schwanz wund war und die Schwielen an seinen Fingern noch dicker. Gott, wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich mir selbst einen geblasen. Nichts war geiler, als in einen feuchten Mund zu stoßen und soweit einzudringen, bis meine Eichel das Zäpfchen spürte. Immer und immer wieder und je mehr der Gefickte dem Würgen näherkam, umso tiefer würde ich stoßen.
Alles an und in mir reagierte darauf und ich umschloss sanft meinen Schaft. Mit leichten Bewegungen rieb ich. Senkte meinen Kopf etwas auf die Seite und strich mit der anderen Hand über meinen Körper. Bewusst reizte ich meine bestimmten Stellen. Er sollte sie ruhig kennenlernen. Immer wenn ich kurz davor stand, änderte ich die Richtung, ließ meinen Orgasmus abflachen und reizte mich von Neuem. Dieses Spiel zog ich über eine halbe Stunde hin, bis ich selbst es nicht mehr aushielt.
Ich ließ mich aufs Bett sinken, winkelte die Beine an, knetete mit der einen Hand meine Eier, biss mir auf die Lippen, um nicht laut aufzustöhnen und mit der anderen suchte ich die Spalte. Ich spürte die schrumpelige Haut und drang mit dem Mittelfinger ohne Widerstand in mich ein. Sofort erwischte ich die Stelle und alles um mich herum explodierte. Wieder und immer wieder stieß ich den Finger in mich und pumpte mit der anderen Hand meinen Schwanz, knetete zur Abwechslung meine Eier und leckte mir den Lusttropfen vom Finger, bis endlich die Erlösung kam. Mein Saft ergoss sich über den ganzen Oberkörper bis zum Mund. Mit der Zunge leckte ich den Tropfen ab und massierte den Rest in meine Haut.
»Das ist mein Körper, du Arsch. Ich mache damit, was ich will!«, murmelte ich und zog mir die Decke über den Körper. Ich war so ausgelaugt, dass ich nicht einmal den Sinn darin erkennen konnte, mich abzuwaschen. Noch bevor ich einschlief, hörte ich ›Incoming Mail‹.
Ich wachte auf und mein erster Blick galt dem Handy. Es war ausgeschaltet und noch müde suchte ich die Wanduhr. Halb zehn? Mir haute es die Fragezeichen raus. Das konnte nicht sein. Mom oder Sarah hätten mich geweckt und dann fiel mir ein, dass die Batterie der Uhr leer war. Ich sank wieder zurück auf die Kissen und schloss noch mal kurz die Augen, bevor ich mich aus dem Bett hievte.
Ein tiefes Brummen drang an meine Ohren und ich lauschte ins Zimmer. Das Brummen kam vom Computer und ich sah, dass er immer noch an war. Ich betätigte die Maus und der Stand-by-Modus wurde deaktiviert. Wow, fünf Mails zeigte der E-Mail Ordner an, doch ich ignorierte sie und blickte kurz unten rechts auf die digitale Uhranzeige. Hmm, ich hatte noch über eine Stunde Zeit, also konnte ich ruhig und entspannt meine nächtliche Aktivität abwaschen, die wie eine schlechte Erinnerung an mir haftete. Eine schlechte Erinnerung war sie definitiv, denn ich hatte es mir nicht für mich besorgt, sondern für den Typen, der zu feige war, um aus seinem dunklen modrigen Loch zu kriechen. Ich hoffte nur, dass sein dreckiges Sperma seine Finger verklebt hatte.
Kaum war ich im Klassenzimmer, wurde ich sofort vom Lehrer zum Gespräch gebeten. Oh, wie mich das ankotzte. Wie oft sollte ich dem denn noch sagen, dass ich auf die Yorick-Winfrey Universität gehen wollte oder zumindest wollte ich das. Nun sah ich irgendwie keinen Sinn mehr darin, mein Wissen zu erweitern.
Eine Aussage beschäftigte mich dennoch, als ich mich wieder, in irgendeine Kabine auf einem Jungenklo eingesperrt hatte. ›Wie kommt der Lehrer darauf, dass es für mich zu viel werden würde, wenn ich noch einem Teilzeitjob nachgehe‹.
Ich hatte recht gute Noten und die halbe Zusage von der Uni hatte ich auch schon in der Tasche, was kümmerte es ihn, ob ich noch Geld verdienen wollte oder nicht.
Ich versank gerade wieder in eine Passage meines noch nicht fertig gelesenen Buchs, als ich hörte, wie einige Jungs sich amüsierend über irgendwelche Titten ausließen. Jeden Tag das Gleiche. Wurde es denen nicht mal langweilig, sich ständig über Titten und Bikinis auszulassen? Wahrscheinlich nicht.
Das Thema änderte sich und ich lauschte auf. Ja was sollte es, ich war schwul und die Länge eines steifen voll erigierten Schwanzes interessierte mich eben.
»Boah, letzte Nacht hat meiner volle 16 cm gemessen …!«
»Hammer ey. Ich habe nicht gewichst. Ich konnte nicht. Meine kleine nervige Schwester hat bei mir geschlafen.«
»Ja du und deine Ausreden. Ich wette, deiner ist im steifen Zustand genauso kurz, wie im schlaffen.« Ich schmunzelte und versank in die Erinnerung an den Anblick seines voll angeschwollenen, pulsierenden, harten, dicken Schwanzes, wie er mich, mit nur wenigen Stößen zum Wahnsinn trieb. Seine Zunge, die liebevoll meine Spitze küsste und seine Zähne, die meine Haut reizten.
Ich holte mein Handy aus der Tasche und schaltete es ein. Die Nachrichten und Anrufe von der unbekannten und mir nun bereits bekannten Nummer ignorierte ich und suchte die Nummer von Kyel.
»Ich will dich sehen«, schrieb ich und schickte die SMS weg. Keine zehn Sekunden später kam seine Antwort.
»Im Eiscafé nach der Schule.«
»Nein jetzt!« Die Pause war zu Ende und ich trat aus der Kabine raus.
»Jetzt? Ist etwas passiert?«
»Nein, alles in Ordnung, ich will dich nur sehen.«
»Okay, beim Italiener Bon Appetito.« Italiener? Um diese Zeit ,dachte ich kurz und verwarf den Gedanken. Mir war es egal, wo ich ihn sehen würde. Hauptsache ich sah ihn, so schnell wie möglich.
Ich bog in die Third Street und sah den Jaguar vor dem Lokal stehen. Mein Herz hüpfte vor Vorfreude und ich parkte mein Moped hinter dem Jaguar. Den Helm legte ich achtlos auf den Sattel und stürmte fast schon durch die Eingangstür. Ich brauchte mich nicht umzusehen. Kyel war der einzige Kunde und vor ihm auf dem leeren Platz stand schon eine Cola. Er blickte auf und seine leuchtenden Augen sprangen mich förmlich an. Meine Atmung kam mit meinem Herzschlag nicht mit. Das Adrenalin pumpte in sämtliche Regionen meines Körpers und überschüssiges Blut ließ meine Hose zu eng werden.
»Jetzt!«, keuchte ich fast, und bevor ich mich versah, landete ich auf dem Nachbartisch. Sofort machte er sich an meinem Reißverschluss zu schaffen und ich half ihm beim Ausziehen. Mein Schwanz erfreute sich an der Freiheit und richtete sich gleich zu seiner imposanten Größe auf. Schuhe, Jeans und Unterhose landeten achtlos auf dem Boden.
Mein Shirt zog er über den Kopf und verkeilte damit meine Arme. Kräftig biss er in meine Nippel und ich keuchte laut auf. Mir war es egal, ob uns jemand hören konnte oder ob der Besitzer des Ladens uns sah. Ich wollte nur ihn. Augenblicklich wollte ich ihn spüren und meine unterdrückte Scham der letzten Nacht durch seine Berührungen vergessen. Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, flüsterte er mir ins Ohr, wie geil ich war, wenn ich es mir selbst machte. Sofort war mir klar, dass er die letzte Nacht meinte. Sein scharfer Unterton schrie förmlich nach Eifersucht.
»Deswegen will ich ja, dass du mich durchknallst!«, er hörte auf, mich zu küssen.
»Nie wieder wirst du eine solche Peepshow veranstalten. Weißt du, wie schwer es war? Die Bilder zu sehen, in dem Wissen, dass du es für ihn getan hast. Seine Nachrichten zu lesen und noch ruhig sitzen zu bleiben. Ganz besonders, als du dich selbst gefickt hast. Dein Arsch gehört mir und nur ich bringe dich in Ekstase.«
»Es hat dich angetörnt?«
»Du hast keine Ahnung, wie!«
»Dann lass es mich für dich tun«, sagte ich und forderte ihn auf mich aus meinem Shirt zu befreien, das mir immer noch die Arme am Körper hielt. Er schüttelte den Kopf.
»Rache ist süß, mein kleiner Orkan«, flüsterte er und steckte mir seinen Mittelfinger in den Mund, bis zum Anschlag, sodass es mich würgte. Der Reiz produzierte mehr Spucke und Kyel badete den Finger darin.
»Sadist!«, hustete ich und er lächelte.
»Dass du das noch nicht weißt ...« Und schon spürte ich, wie er mit starkem Druck, mit dem anderen Finger in meinen Hintern eindrang. Und sogleich auch die Prostata fand. Ich keuchte laut auf.
»Das gefällt dir!« Wieder erwischte er die Stelle und ich hatte keine Zeit zu antworten. Er wollte auch nicht, dass ich etwas dazu sagte, denn ich hatte wieder den Mittelfinger im Mund. Diesmal würgte es mich richtig und er schob den Finger weiter in den Rachen, sodass ich zubiss. Er verzog kurz den Mund und als Retourkutsche bekam ich gleich den zweiten Finger in meiner Öffnung zu spüren. Ich rang nach Atem mit einer Mischung aus Keuchen und Stöhnen. Er nahm den Finger aus meinem Mund und verschmierte die ganze Spucke in meinem Gesicht.
»Kein Bild von dir schafft es, so geil auszusehen, wie jetzt, wo du es besorgt haben willst. Nichts ist ein Vergleich zu deinem jetzigen Ausdruck. Du bist wahnsinnig schön.« Zur Belohnung liebkoste er sanfter als sonst meine Lippen.
»Es tut mir leid ...«
»Das braucht es nicht. Du stehst sehr unter emotionalen Stress, und wenn es dir gestern geholfen hat, diesen abzubauen, so kann ich nicht sauer auf dich sein.«
»Warum bist du so? Ich bin doch nur jemand, der sich von dir ficken lässt. Ich mein, ich sehe dich oder ich denke an dich und schon verlange ich von dir, dass du es mir besorgst. Ohne auf dich zu achten!« Er gluckste auf.
»Das Wissen, das nur ich es dir besorgen soll, ist Grund genug sich mit dir einzulassen.« Ich schloss die Augen.
»Das ist nicht dein Ernst!«
»Natürlich nicht. Ich ficke dich, weil ich es will. Und wenn du es ebenso von mir haben willst, ist es umso besser für mich. Es macht mir nichts mehr Freude, als dich an den Rand des Wahnsinns zu bringen und deine Grenze immer mehr zu erweitern.«
Bals würde ich neunzehn werden und seit über einer Woche hatte ich fast durchgehend Sex. Ich würde sagen, meine Grenze hatte sich immens erweitert. Vorher waren es nur die aalglatten reibenden Bewegungen und nun steckte ich mir schon selbst den Finger in den Po. Machte es mir selbst, mit der Gewissheit, dass ich beobachtet wurde. Wieder schloss ich meine Augen.
»Mach es mir endlich«, murmelte ich und als Antwort zog er mich fast bis zur Kante des Tisches. Hob meine Beine über seine Schultern und drang in mich ein, kreisend. Ich krallte mich an meinem Shirt fest. Immer wieder gab er mir eine Pause, damit ich mich an die Dehnung gewöhnte. Bis er schließlich ganz in mir war.
»Schau mich an. Ich will, dass du mich anschaust und nur mich siehst, wenn ich dich nehme.« Ich gehorchte und öffnete meine Augen. Tief trafen sich unsere Blicke und mir wurde bewusst, dass sich in seinen Augen mehr spiegelte, als nur die Lust. Ich versuchte zu verstehen, dass er sich in mich verliebt hatte. Das konnte nicht sein. Ich liebte ihn auch nicht. Ich wollte doch nur von ihm gefickt werden, mehr war es nicht. Doch ich konnte auch nicht, meine inneren Gefühle, den Drang ihn zu sehen, den Genuss auszukosten, wenn er es mit mir machte, seinen Geruch, der mir mit jedem Luftzug in die Nase gehaucht wurde, seine Nähe und die sanften Berührungen, nach denen es mich immer gierte, ignorieren.
Seine Stöße wurden schneller und brutaler und ich bäumte mich unter ihm auf. Selbst er stieß einen Schrei aus, als sich mein Muskel um seinen Schwanz zusammenzog und er dadurch nicht mehr lange auf sich warten ließ.
»Und gehst du heute noch in die Schule!«, fragte er mich, als wir uns angezogen hatten, und nahm das unangetastete Glas mit der Cola in die Hand. Ich zuckte mit den Schultern.
»Ich sollte vielleicht doch noch mal hingegen, nicht dass es sich schlecht auf die Beurteilung auswirkt.« Dann drehte ich mich zu dem Tresen und suchte das ganze Lokal ab.
»Wo sind die anderen?«
»Welche anderen?«
»Die, die hier arbeiten.«
»Die sind daheim«, er musste meinen vertrottelten Gesichtsausdruck gesehen haben und zwinkerte mir zu. »Das Lokal gehört einem Freund von mir und vor einiger Zeit hat er mir mal den Zweitschlüssel gegeben«, er setzte die Sonnenbrille auf und ich fragte mich, für was er die überhaupt brauchte. Die Sonne hatte sich seit Tagen nicht mehr blicken lassen.
Nachdem ich zurück in der Schule war, bekam ich, wie sollte es auch anders sein, eine gewaschene Standpauke von Mr. Clancy. Geduldig und ruhig ließ ich es über mich ergehen und handelte mir zwei Wochen Nachsitzen ein, sowie ein zwanzig Seiten langes Referat über irgendeinen verstorbenen Chemiker, den eh niemand kannte.
Na toll und schon musste ich Alessandro klar machen, dass ich erst 45 Minuten später zu meiner Schicht kommen konnte.
»No Problem, du Sachen gut machst. Wenn du fertig bist, einfach kommen. No Problem, no Problem.« Und er legte auf. War ich dankbar, dass Alessandro so verständnisvoll war, sonst wäre es mein zweiter und letzter Arbeitstag gewesen.
Nach dem Unterricht wartete ich im Klassenzimmer auf Mr. Clancy, der auch nicht lange auf sich warten ließ.
»Bereit?«, fragte er und ich suchte mir, wie üblich einen Punkt an der Wand und nickte. Unter den Lehrer war er der Schlimmste. Dieser Typ hatte mich schon vom ersten Tag an, als ich in seine Klasse kam gefressen und als es bekannt wurde, dass ich auf ›Schwänze‹ stand, wurde es noch schlimmer. Aber diese Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit und ich hoffte, dass ich die Schulstunde in Einzelhaft überstand. Besonders, als ich erkannte, dass er runter in den Keller ging. In das Reich der Chemie und Biologie, Anthologie und Astrologie. Gott, mir wurde übel. Hätte es nicht der Computerraum sein können oder die Bibliothek? Nein. Oder irgendein anderes Klassenzimmer?
Vor dem Chemielabor hielt er an und sperrte auf. Mit einer Handbewegung wies er mich an, einzutreten. Ein für mich ekelerregender Geruch stieg mir in die Nase und ich musste all meine Kraft aufbringen, um nicht davonzurennen. Wie ich diesen Raum mit all seinen Chemikalien hasste. Es war für mich immer Horror, wenn der Tag der Experimente anstand oder im Raum gegenüber, Kadaver zu sezieren waren. Nur der Gedanke daran lässt meine Eingeweide Achterbahn fahren.
»So Mr. Fleischhauer, hier ist Ihre Kampfarena für die nächsten vierzehn Tage. Sie finden alles vor, was Sie für Ihr Referat brauchen oder gebrauchen könnten. In dem hinteren Raum, wie Sie wissen, befinden sich die Aufzeichnungen von vielen verschiedenen Chemikern, bekannte und nicht so bekannte. Außerdem sollten Sie da mal keine Informationen finden, können Sie auch gerne den Computer benutzen«, erklärte er und drückte mir noch ein Blatt in die Hand, mit den Aufgaben, die zu erfüllen waren.
Er ging und ich sank auf den erstbesten Stuhl, der in meiner Nähe stand. Gott, nur weil ich so geil auf Kyel war und es nicht kontrollieren konnte, saß ich nun in dieser Scheiße fest.
Schuld waren die Jungs, die sich halblaut über ihre ›Männlichkeit‹ unterhalten hatten. Ja, die waren schuld daran, nicht ich. Ich konnte mich noch so darüber aufregen, es brachte nichts. In den Augen des Lehrers war ich schuld, weil ich unentschuldigt für eineinhalb Stunden gefehlt hatte. Verfickt noch mal, was sind schon zwei Schulstunden? Nichts! Nichts im Vergleich zu vierzehn Tagen Nachsitzen und ein, über zwanzig Seiten langes Referat. Und überhaupt, wer war dieser, ich musste auf den Zettel schauen, ›Michail Wladimir Sergej Solowjow‹. Ich glaubte, ich hörte die Nachtigall singen.
Resigniert ließ ich den Zettel auf meine Oberschenkel sinken und schnaubte verdrossen. Irgendwann raffte ich mich doch auf und ging in den hinteren Teil des Chemielabors. Chemielabor? Wohl eher ein Abklatsch. Genutzt, von einem Hobbychemiker, der sich was darauf einbildete, ein paar Reagenzgläser aufweisen zu können. Das einzig Gute in diesem Raum war der Computer, der war wenigstens halbwegs auf dem neuesten Stand.
Letztes Jahr konnte die Schule eine Spende von ein paar Tausend Dollar aufweisen, um sich technisch etwas auf den neuesten Stand aufzurüsten, mehr auch nicht. Die Sanitäranlagen bräuchten dringend eine Renovierung und einige Sportgeräte waren manchmal sogar lebensgefährlich. Ein Mädchen mit etwas mehr Gewicht sollte an einer Sprossenwand hochklettern. Sie konnte von Glück sagen, dass sie erst drei Stufen hochgeklettert war, als die Vierte unter ihren Füßen zusammenbrach. Das Ding wurde immer noch nicht ausgetauscht. Ich vermutete, dass das meiste Geld für Büroinventar ausgegeben wurde. Tja, so viel dazu.
Ich wurde fündig. Von dem Chemiker waren sogar mehr Informationen vorhanden, als zuvor gedacht. Ich zog gleich den ersten dicken Schinken hervor und arbeitete mich durch das Inhaltsverzeichnis. Warum musste alles in Lateinisch sein. Nicht dass ich besondere Schwierigkeiten hätte, aber einige Wörter waren für mich wie Spanisch, obwohl die ableitenden oder beeinflussten Sprachen, französisch, englisch, deutsch, spanisch und einige mehr waren. Englisch und Deutsch beherrsche ich im Schlaf. Spanisch war für mich ein rotes Tuch und französisch konnte man nehmen, wie man wollte.
Na dann, ich nahm den Schinken, den Zettel und ließ den Computer hochfahren. Wow, wofür brauchte ein Schulcomputer Skype? Egal, vielleicht hatte, ein sich langweilender Schüler, dies eingerichtet, um mit anderen zu chatten, damit der Unterricht nicht allzu langatmig war. Die Lehrer waren eh alle so doof oder zu alt, um zu wissen, was es zu bedeuten hatte. Ich kicherte, als ich den Account Namen las ›pussydog‹. Das Programm schloss ich und startete das Translationprogram. Ich arbeitete mich durch die ersten Begriffe und Bezeichnungen, druckte einige Sachen aus, die ich, wenn ich Lust dazu verspüren würde, daheim durcharbeiten könnte.
Endlich kam Mr. Clancy und entließ mich aus meinem Nachsitzen. Und das sollte ich noch weitere dreizehn Mal, in diesem stinkenden Loch, durchmachen.
Nach dem schnellen Sex mit Sascha saß ich im Auto und fuhr in meine Firma. Noch immer verfolgte mich der Blick seiner Augen, die nicht erwartungsvoll oder liebevoll waren. In ihnen spiegelte sich Verzweiflung, Angst und noch vieles mehr, was ich nicht einordnen konnte. Vor allem war in ihnen Verachtung. Genau Verachtung gegen sich selbst. Und dieser Ausdruck unterstrich das, was er gesagt hatte.
»Warum bist du so? Ich bin doch nur jemand, der sich von dir ficken lässt. Ich mein, ich sehe dich oder ich denke an dich und schon verlange ich von dir, dass du es mir besorgst. Ohne auf deine Wünsche zu achten.«
Sascha hatte es nicht nötig, sich so zu sehen. Sicher er rief an, um gefickt zu werden und ich stand Spalier. Ich war so närrisch nach dem Jungen, dass es mir schon wieder wehtat. Eigentlich verlangte ich es von ihm. Ich wollte es so, aber nicht, dass er sich infolgedessen selbst fertigmachte. Und was machte ich? Genau das! Ich trieb ihn weiter, sagte ihm, dass es mich antörnte. Dass ich es geil fand, wie er es sich selbst machte. Seine Finger in sich versenkt hatte und sich selbst zur Ekstase brachte. Gott, ich war ja genauso wie der Spanner. Der sich bestimmt ins Fäustchen gelacht hatte, dass er Sascha inzwischen fast schon so weit hatte.
Die meisten Mails und SMS bekam Sascha gar nicht zu Gesicht. Eigentlich gar keine mehr. Ich hatte Anthony gesagt, dass er die Mails nicht mehr an Sascha weitersenden sollte. Der letzte Zusammenbruch in Anthonys Haus war Grund genug, für diese Entscheidung und Emily war ganz meiner Meinung. Sicher sah Anthony es anders und vertrat die Ansicht, dass Sascha es wissen sollte, damit er besser in den noch kommenden Situationen agieren konnte. Sollte die Situation schlimmer werden oder total außer Kontrolle geraten.
Verflucht, egal, wie ich es drehte und wendete, ich kam auf keinen Nenner. Die einzige Möglichkeit, die Sascha noch blieb, war wirklich eine Anzeige zu machen, doch dafür musste alles offengelegt werden. Die Konfrontation mit seinen Eltern, die Fotos, E-Mails und SMS, sowie die Tatsache, dass wir ein sexuelles Verhältnis hatten und das könnte mein Untergang sein. Selbst ich kämpfte jeden Tag mit diesem Vorurteil. Nur hatte ich im Gegensatz zu Sascha, Eltern, die es akzeptierten. Als ich mein Outing hatte, sagte meine Mutter nur: »Wird auch Zeit, dass du es uns endlich sagst. Länger hätte ich es nicht mehr für mich behalten können …!« Ich war perplex. Dad grinste breit und meinte nur: »Dein Onkel Parker ist auch schwul und glaube mir, wir haben es die ganze Zeit geahnt.« Verdammt! Ich hatte alles. Tolle Eltern, super Freunde, Geld und Einfluss, aber trotzdem konnte ich Sascha nicht helfen.
Ich parkte das Auto auf meinen Privatparkplatz und sah, das Houer und Freim da waren. Nur das Auto von Mr. ›Ach so nett‹ Fleischhauer stand nicht da.
›Beruhige dich Kyel, Firma ist Firma. Markus Fleischhauer ist nun mal eine Führungsperson in deinem Unternehmen, von dir eingestellt und auf seinen Posten befördert worden. Persönliche und private Gefühle haben hier nichts zu suchen. Solange er seine Arbeit gewissenhaft erledigt, kannst du nichts gegen ihn sagen.‹
Leider überwog das Gefühl ihn mit einem Arschtritt in die nächste Kloake zu befördern und ihm wegen seines Verhaltens gegenüber seinem Sohn, die Fresse zu polieren. Schon allein dieser Gedanke schien mich im Inneren etwas zu befriedigen, wenn auch nicht ganz.
In der Firma kam Tom, mein Sekretär, auf mich zu und bombardierte mich mit sämtlichen Terminen und neuen Aufträgen. Aber ich hatte nur Ohren für die nächste Auktion, die Mittwochabend im Alten Theater stattfand. Ich horchte noch mehr auf, als er mir mitteilte, dass Clara von Dorings Nachlass versteigert werden sollte. Tom redete wie ein Wasserfall, es war selten, dass er so außer sich war.
»Tom, Sie gehen zur Auktion und schauen Sie, dass Sie das Kunstgemälde ›Der blaue Apfel‹ ersteigern, sowie ihren antiken Schreibtisch aus der Renaissance.« Er hielt mitten in seinem Redeschwall inne und starrte mich mit einer Mischung aus Entsetzen und Unglauben an.
»Aber … aber …«
»Sie reden doch schon seit Wochen davon, dass Sie zur Auktion gehen möchten, jetzt haben Sie die Gelegenheit.«
»Ich bin Sekretär und kein Auktionator …«
»Sie sollen ja die Auktion nicht leiten, Sie sollen lediglich diese zwei Gegenstände für mich ersteigern. Ich habe einen Kunden an der Hand, der sehr begierig auf diese Objekte ist.« Damit ließ ich ihn stehen und ging in mein Büro.
Ich blickte auf meinen Schreibtisch, wo sich die Aufträge schon wieder stapelten. Houer und Freim taten wirklich alles, damit ich nicht arbeitslos wurde. Hatte ich nicht schon alles durchgearbeitet, bevor Sascha mich anrief? Noch nicht mal Mittag und ich hatte es schon wieder satt hier zu sein. Mit sehr viel ›Enthusiasmus‹ ging ich zum Schreibtisch und zog den ersten Schnellhefter raus. Auf den ersten Blick erkannte ich, dass dieser von Freim kam, und blätterte ihn genervt durch. Freim, das hieß meistens nichts Gutes.
»Maschine A-428 in Lager 5 kaputt, Ersatzteile in zwei Wochen lieferbar …«, las ich und dachte: »Toll!«
Dann ging ich die monatliche Bestandsaufnahme durch. Dieser eine Zettel verkündete ein Minus von über 560000 Dollar, wenn nicht mehr. Vor allem, weil vier Objekte, die schon viel zu sehr beschädigt waren, einfach nicht mehr wiederherzustellen waren. Ich musste in diesem Fall nicht nur die Beschaffungskosten tragen, sondern auch eine Art Abfindung an die Kunden zahlen, die auf die restaurierten Objekte warteten. Laut Vertrag bekam jeder Kunde eine 15-%-Entschädigung des ausgehandelten Preises. Wenigstens kam dies nicht allzu oft vor, sonst wäre ich in weniger als einem Jahr pleite. Ein alter Oldtimer, ein richtiges Prachtexemplar fraß auch genügend Geld und original Ersatzteile aufzustöbern, ging ganz schön ans Leder. Ebenso die sonstigen Materialien, die zur Wiederherstellung gebraucht wurden, zu besorgen. Am Ende blieb mir eh nichts anderes übrig, als meine Unterschrift darunterzusetzen und es an Fleischhauer weiterzusenden, der für die Finanzen zuständig war.
Ich blickte auf die Uhr und irgendwie schien der Stundenzeiger keine Lust zu haben weiter voranzuschreiten. Wie gerne würde ich Feierabend machen, aber die Schnellhefter und Akten die sich, während meiner kurzen Abwesenheit, wieder auf dem Tisch gestapelt hatten, sagten was anderes. Also arbeitete ich mich durch, bis ich zu einigen Bewerbungsunterlagen kam. Warum bekam ich die Bewerbungsunterlagen, fragte ich mich, dafür war Marion zuständig?! Ich rief meinen Sekretär an und die Antwort kam schnell. Marion hatte sich Urlaub genommen und wie üblich ging es dann an Mr. Houer weiter, doch da er zurzeit mit seiner schwer kranken Frau zu tun hatte, landeten die Unterlagen eben bei mir. Die kleinen, etwas unwichtigen Sachen, werden dann fröhlich bei mir abgelegt. Das war mal wieder typisch für Houer. Dieser Drecksack. Allerdings wusste ich auch, dass diese Bewerbungen, in Marions oder Houers engerer Wahl waren, und sie eben mir nun die Entscheidung überließen.
Na was sollte es, ich hatte ja nichts zu tun und kümmerte mich eben auch noch um die Aufstockung der Belegschaft. Ich sah mir die erste Bewerbung an und staunte nicht schlecht. Sie war handgeschrieben, was heutzutage schon ziemlich ungewöhnlich war. Auf dem Computer geschrieben und ausgedruckt, das war in der heutigen Zeit gefragt und üblich. Die Bewerbung hatte ein etwas älterer Mann Ende fünfzig geschrieben, der sich als Maschinenmonteur beworben hatte. Sympathisch schaute er ebenfalls aus, seine Erfahrungen waren vielversprechend und ich legte sie auf meiner rechten Seite ab. So ging ich die ganzen dreißig Bewerbungen durch. Vierundzwanzig landeten auf der rechten Seite und ich wies meinen Sekretär an, mit ihnen einen Vorstellungstermin auszumachen. Die anderen sechs ließ ich zurückschicken, mit der Erklärung, dass die Plätze schon vergeben seien.
»24 Vorstellungstermine?«, stotterte Tom. »Aber wir haben nicht so viele Plätze ausgeschrieben, gerade mal acht!«
»Tom, wie lange arbeiten Sie schon hier?«
»Drei Jahre. Knapp vier. Na ja eigentlich ein Jahr, wenn man die Lehrzeit abzieht.« War die wieder sehr typische Antwort von Tom. Stottern und alles durcheinanderbringen.
»Knapp vier Jahre und in diesen knappen vier Jahren wurden nie so viele eingestellt, wie Vorstellungsgespräche stattgefunden haben, oder!?« Tom war eine gute Haut, fleißig, sehr verantwortungsbewusst, nur manchmal auch sehr trottelig, vergesslich und zu schüchtern. Ich mochte ihn. Und auch ihn werde ich irgendwann aus der Reserve gelockt haben.
Wieder blickte ich auf die Uhr und siehe da, der Stundenzeiger hatte sich doch noch mal bequemt etwas weiter zu gehen und ich entschloss mich, Feierabend zu machen. Immerhin waren alle Angestellten der Firma auch schon auf dem Nachhauseweg. Nur wenige blieben länger, aber auch nur, wenn ein Abgabetermin immer näher rückte.
»Mr. Kastner, wo wollen Sie hin?« ›Mensch Tom, geh endlich nach Hause, es ist schon nach vier‹, dachte ich und blickte ihn an.
»Was gibt’s denn jetzt noch?«
»Sie haben in zehn Minuten ein Vorstellungsgespräch.« ›Bitte was, das ist aber jetzt nicht dein Ernst‹.
»Mr. Gerbert hatte kurzfristig Zeit und so …!«
»Haben Sie einen Termin ausgemacht, ohne mir Bescheid zu sagen?« Er grinste verlegen und ich schüttelte innerlich den Kopf.
»Lassen Sie den Herrn rein und dann gehen Sie nach Hause, sonst sehe ich mich gezwungen, Ihnen diesmal keine Überstunden auszubezahlen!« Er wurde käseweiß. Ach ich liebte es, ihn immer so in Angst und Schrecken zu versetzen. Besonders, wenn er meine Freizeitplanung durchkreuzte.
»Und wehe, ich bekomme einen einzigen Anruf durchgestellt, das Büro ist seit zwanzig Minuten geschlossen!« Er wurde noch weißer. Seine selbst aufgebrummte Arbeitszeit war von früh neun bis nächsten früh neun. Vor längerer Zeit hatte ich ihn darauf angesprochen, warum er außerhalb seiner eigentlichen Arbeitszeit kam und wieder heimging, wenn er mal heimging, was sehr selten war. Die meiste Zeit übernachtete er im Büro. Er zuckte nur mit den Schultern. Die Antwort auf meine Frage wusste ich immer noch nicht. Ich ließ ihn gewähren und gab ihm sogar die Schlüssel zum Absperren, wenn er mal länger, als der Pförtner anwesend war. Oder, was öfters vorkam, in meinem Büro übernachtete.
Mr. Gerbert ließ nicht lange auf sich warten und wir kamen auch gleich ins Gespräch. Im Laufe der Unterhaltung erfuhr ich, dass er nicht nur sympathisch, wie zuvor auf dem Passfoto gesehen, sondern auch sehr viel Wissen über verschiedene Maschinen besaß. Seine Bewerbung war maßlos untertrieben und schon dafür sollte ich ihn nicht einstellen, aber ich entschied mich und griff zum Hörer. Ich rief im Lager 5, in dem die kaputte Maschine A-428 stand, an und sagte, dass ich gleich mit einem interessierten neuen Kollegen kommen würde. Da Lager 5 ein Schichtbetrieb war, wurde dort rund um die Uhr gearbeitet.
Der Vorarbeiter schnaubte und faselte etwas von ›es wurde auch Zeit, dass Verstärkung kommt. Wir buckeln uns hier dumm und dämlich und jetzt hat unsere Süße auch noch den Geist aufgegeben. Herrgott noch mal‹, und legte einfach auf. Mr. Gerbert starrte mich überrascht an.
»Müssen Sie das nicht erst mit Ihrem Chef abklären?« Ich schaute ihn an.
»Nein muss ich nicht, wollen wir? Parker wird immer leicht ungehalten.« Ich stand auf und hielt ihm die Tür auf. Nebenbei spitzte ich in Richtung Anmeldung und sah, dass Tom meine Warnung ernst genommen hatte. Aber sicher war ich mir nicht. Ich wartete, bis Mr. Gerbert aus dem Büro hinaustrat, sperrte es zu und ging zur Anmeldung. Der Platz war leer, aber der Computer war noch an. Ich schnaubte, und schon sah ich, wie Tom aus der Küche kam. Einen Teller mit aufgewärmten matschigen Dosenspaghetti und einer Flasche Cola in der Hand.
»Was denn, hab Hunger!«, murrte er und ich schüttelte den Kopf. Tom, das war Tom. Kaum hatte er die Anweisung nach Hause zu gehen und schon war er ein anderer Mensch. Er war dann irgendwie nur noch körperlich anwesend. Ich drehte mich um und sperrte mein Büro auf.
»Sie finden alles, was Sie brauchen!« Tom grinste mich an.
»Danke«
»Nichts zu danken, Miete wird Ende des Monats eingezogen!«, sagte ich und hob die Hand zum Abschied.
»Geht der Mann nicht heim?« Nun sah ich, das Mr. Gerbert etwas verdattert war. Ich zuckte nur mit den Schultern.
»Ich frage mich, wie das Ihr Chef mitmacht?«
»Der sagt dazu gar nichts, solange die Angestellten gepflegt sind und ihre Arbeit zuverlässig erledigen, ist ihm das recht egal. Er überlegt schon, ob er nicht eine Wohnung, extra für Tom, hier im Gebäude einrichten lässt. Dieses Inventar will einfach nicht heimgehen.« Es fehlte nur noch, dass Gerbert der Sabber über seine runtergeklappte Kinnlade lief, aber nix. Stattdessen lachte er laut auf.
»Das gibt’s nicht. In all meinen 30 Jahren Berufsleben ist mir so was noch nicht untergekommen!«
»Es gibt für alles ein erstes Mal und heute werden Sie ins kalte Wasser gestoßen!« Sowie ich das sagte, verstummte er wieder.
»Ihre Schicht geht noch bis um 10!« Oh je, der Arme, der schaute mich an, als ob ich das neue achte Weltwunder wäre. Nun lachte ich auf. Ich liebte es, Leute zu schockieren, aber bei ihm hatte ich das Gefühl, das er es nicht übel nahm.
»Keine Sorge, Parker führt Sie in der Halle und im Lager rum, und wenn es Ihnen Recht ist, können Sie gleich am Montag anfangen.« Sogleich war ich das neue neunte Weltwunder und Mr. Gerbert brachte, auf dem Weg zu Parker, kein einziges Wort mehr heraus. Parker wartete schon mit zwei Plastikkitteln, die wir anzogen.
»Das wird wirklich Zeit, dass du dich bequemst jemanden einzustellen. Uns schmeißt du die Aufträge um die Ohren, egal ob meine Süße es mitmacht oder nicht. Was würdest du machen, wenn ich die Scheiße einfach hinschmeißen würde. Ich könnte es, ja das könnte ich. Das Alter habe ich auch und meine Rente beziehe ich sowieso schon. Aber ich bin so blöd und buckle mich hier, nur deinetwegen, tot. Hörst du mich. Hier ist niemand, der meine Süße bedienen kann. Wo wärst du ohne mich?«, echauffierte er sich den ganzen Weg zu seinem Büro, aus dem uns kalter Zigarettenrauch entgegenschlug.
»Boah, Parker, mach das Fenster auf!«
»Nö, das ist mein Büro und wegen dir, bloß weil du mit dem Rauchen aufgehört hast, mach ich das Fenster nicht auf!« Ich verdrehte die Augen und machte selbst das Fenster auf.
»Siehste, etwas Arbeit hat niemanden geschadet. Was hast'n für mich?« Ich trat an ihn heran und überreichte ihm die Unterlagen.
»So, so, also schon eingestellt! Und auf meine Beurteilung wartest du wohl gar nicht mehr. Ich sehe schon, du hast mich auf das Abstellgleis geschoben. Wie 'ne alte Lok!« Ich liebte den alten Mann. Als ich noch ein kleiner Junge war, hatte er mich auf sämtlichen Ausflügen mitgenommen.
»Parker! Willst du, dass ich Dad herhole?«
»Den kannst mir gerne bringen, den faulen Sack. Nur weil er über 10 Jahre jünger ist als ich, heißt das noch lange nicht, dass ich es mit ihm nicht mehr aufnehmen kann.« der Schlagabtausch ging noch etwas so weiter, und als ich ihm mit seiner Schwägerin, meiner Mom, drohte, hörte er auf. Was für eine Verwandtschaft. Während ich dabei war, Parker anzutreiben, damit er dem Neuen seinen Arbeitsplatz zeigte, fiel ihm natürlich wieder was anderes ein.
»Schau diesmal, dass du mich pünktlich bezahlst, sonst lernst du meinen Anwalt kennen.«
»Du kostest mich auch so schon genug, da brauche ich dich nicht zu bezahlen.«
»Geizhals!« Ich winkte nur und zeigte in Richtung des Oldtimers.
»Wer dich als Chef hat, ist hoffnungslos verloren, du Erpresser.«
»Ich bin dein Chef!«
»Ja natürlich, aber auch nur im Geiste. Wer hat das alles hier mit aufgebaut? Du etwa?«
»Was ist?«, fragte er Mr. Gerbert, der nur noch stumm dastand und nicht wusste, was er mit sich anfangen sollte. Besonders als er erfahren hatte, dass ich der Chef war. Mir war es egal, was Mr. Gerbert über mich und den Schlagabtausch mit meinem Onkel dachte. Wenn er hier arbeiten wollte, musste er sich daran gewöhnen, dass Parker etwas anders war.
»Bist du jetzt fertig?«, fragte ich ihn und er nickte, nebenbei zündete er sich wieder eine Zigarette an. Ich verdrehte nur meine Augen, dieses Streitthema hatten wir schon zu Genüge. Parker zeigte dem Neuen das Lager, die Halle, seine kaputte ›Süße‹, die mich mehr Geld kostete, als eine neue Maschine und die beiden verfielen über die Maschine in ein tiefer gehendes Gespräch. Einige Fetzen von der Unterhaltung verstand ich, anderes wiederum nicht. Hier schien es, dass sich zwei gesucht und gefunden hatten und ich war froh, dass ich Parker nicht ständig zur Hand gehen musste, um seine ›Süße‹ mit zu reparieren. Irgendwann waren sie sich einig und Parker überreichte ihm Arbeitsklamotten.
Das war mir auch noch nicht untergekommen, dass jemand, der ein Vorstellungsgespräch hatte, noch in der gleichen Stunde zu arbeiten anfing.
»Ihr kommt zurecht?«, fragte ich und schaute nebenbei auf meine Uhr. Inzwischen war es schon halb sechs.
»Ja, ja geh du nur Däumchen drehen und lass uns richtige Arbeiter arbeiten!«, murrte Parker und ich schnaubte leicht genervt. Ich verabschiedete mich und wie hätte es auch anders sein sollen, schrie mein Onkel mir hinterher.
»Die vier Stunden bezahlst du ihm!«
»Ich mach den Vertrag fertig und gebe das heutige Datum als Eintritt an.«
»Das will ich hoffen …!«, mehr hörte ich nicht mehr, wollte ich auch nicht. Eine Stunde mit meinem Onkel zusammen und ich brauchte einen Psychiater sowie 100 % reinen Sauerstoff. Vor allem brauchte ich ihn. Sofort!
Ich stieg in mein Auto und fuhr zur Eisdiele. Dort sah ich ihn schon, wie er sich mit einigen Gästen unterhielt. Er blickte auf und mir war es, als huschte ein Lächeln über sein aufgesetztes Pokerface. Oh, wie ich dieses Gesicht liebte, ganz besonders, wenn es vor schmerzender Erregung verzerrt war. Bald werde ich ihn ganz besonders gut verwöhnen, als Entschädigung, weil ich beim Italiener mehr oder weniger, nicht auf meine Kosten gekommen war. Ich hatte zwar einen Orgasmus, aber so richtig hatte mich der schnelle Quickie nicht befriedigt. Scheiße, war ich schon wieder geil, deshalb atmete ich erst mal tief durch und ließ mein wallendes Blut sich beruhigen.
Es war wirklich ein schöner Tag, um ein Eis zu genießen. Selten für Oktober, besonders hier in dieser Region. Eigentlich sollten die Berge die Wolken fernhalten, aber der Bergkreis zog sie förmlich an und der Trichter bezweckte, dass es hier ständig regnete.
Sascha unterhielt sich immer noch mit den Gästen. Ich setzte mich an den Tisch, neben dem er stand und hörte, wie er sich entschuldigte, weil ein neuer Gast gekommen war. Seine Haltung verriet mir, dass er sich sehr zurücknehmen musste, um mir nicht um den Hals zu fallen. Diese kleine Geste wurde von Mal zu Mal immer intensiver und schickte gleichzeitig einen wohligen elektrisierenden Schauer durch mich durch. Er drehte sich zu mir um und sein Duft drang in mich ein.
»Was darf’s sein?«, fragte er und plötzlich vernahm ich einen deutschen Akzent in seiner Aussprache. Wieder hatte er sich ein Stück geöffnete und ich schmunzelte. Am liebsten hätte ich ›dich‹ darauf geantwortet, aber ich bestellte mir einen Kaffee. Sascha kam mit dem Kaffee und einer Eiskarte zurück. Schon war er wieder verschwunden und ich fühlte den Verlust seiner Nähe. Ein Schwall an Eifersucht stieg in mir hoch. Eifersucht, ich schnaubte. Ich war wirklich eifersüchtig auf die anderen Gäste, weil sie mir Sascha wegnahmen und ich ihretwegen seine Nähe nicht genießen konnte. ›Gott, Kyel du bist einfach unverbesserlich‹, schimpfte ich mich selbst. Und schmunzelte, weil ich mich genauso bezeichnet hatte, wie Sascha es immer gerne tat.
Ich konnte nicht anders und beobachtete ihn. Er war einfach wahnsinnig schön, seine Bewegung grazil und mir fiel auf, dass er unbeabsichtigt mehr aus sich herauskam. Hier ein kleines Lächeln, dort eine automatische leichte Geste. Je länger ich ihn mir ansah, umso mehr bröckelte seine Pokerface Haltung.
Endlich kam er wieder zu mir und fragte, ob ich schon ein Eis ausgesucht hätte. Ich setzte meine Sonnenbrille ab und sah, wie sein Gesicht sich erhellte.
»Hmm, das Eis, das ich will, ist leider nicht auf der Karte verzeichnet«, herausfordernd sah ich ihn an und er schmunzelte linkisch. Gedankenverloren oder war es doch mit Berechnung, strich er sich über seinen Hals. Oh, wie ich es liebte, wenn er seine bestimmten Stellen berührte. Mir dadurch zeigte, dass er genau dort berührt werden wollte. Sein Lächeln verstärkte sich. Es war eiskalte Berechnung von ihm und mir wurde es siedend heiß.
»Zu schade, dass wir dieses Eis nicht im Sortiment haben, aber ich kann Ihnen den Sommertraum nur empfehlen. Zwei Kugeln Eis Ihrer Wahl umhüllt von herrlich geschlagener cremiger Sahne, obendrauf, das i-Tüpfelchen, eine hochragende knackige Kirsche, die einen Hochgenuss an Gefühlen im Mund beschert, wenn der süße Saft, die Zunge streichelt.« Noch heißer ging es nicht und ich spürte, dass mir die Hose etwas zu eng wurde. Mein Blick wanderte über seinen Körper und runter zwischen seine Beine. Leider konnte ich seine Erregung, die sich in seinen Augen spiegelte, nicht sehen. Der Kittel verbarg das gute Stück. Da ich wusste, dass ›Sommertraum‹ nicht auf der Karte stand, nickte ich ihm zu.
»Gerne. Ich bin schon gespannt, wie sich der ›Sommertraum‹ auf meiner Zunge anfühlt.« Noch bevor er was darauf erwidern konnte, kam der Besitzer der Eisdiele.
»Mr. Kyel Kastner, eine Freude, Sie hier zu sehen.« Sascha zuckte etwas zusammen und ich schnaubte. Wir waren zu sehr mit uns beschäftigt gewesen, sodass wir alles um uns herum vergessen hatten.
»Alessandro Francesco. Die Freude ist ganz auf meiner Seite!« Ich stand auf und reichte ihm die Hand.
»Wie ich sehe, haben Sie einen neuen Angestellten.« Er nickte eifrig und stellte ihn mir vor. Ich kam mit Alessandro ins Gespräch und hatte nicht mitbekommen, dass Sascha verschwunden war. Erst als er mit einem Eisbecher wieder zurückkam, den er vor mich hinstellte, sah ich ihn kurz fragend an. Seine Antwort, wie schon zuvor, kam berechnend und auf Deutsch.
»Die Nummer Sech(x)s«, sofort verstand ich es und verschluckte mich fast am Kaffee. Er hustete kurz, entschuldigte sich und wiederholte es, diesmal auf Englisch. Mir reichte schon wieder, wie er es sagte. ›Wenn ich ihn nicht sofort haben konnte, würde ich verrückt werden. Wahnsinnig. Oh Sascha, das wirst du noch alles büßen. Das verspreche ich dir. Woher zum Teufel kannst du Mundhuren.‹
Von Sascha bekam ich nicht mehr viel zu sehen. Alessandro nahm sich das Privileg heraus, mich die ganze Zeit persönlich bedienen zu wollen. Ich bezahlte und drehte mich zum Schaufenster hin, um noch einen Blick von ihm erhaschen zu können. Ich erblickte ihn hinterm Tresen, wie er sich an einer Maschine ausließ. Wieder kam in mir dieses Gefühl hoch und ich musste innerlich schmunzeln. Ich wurde auf jeden und alles eifersüchtig, der mehr Aufmerksamkeit von Sascha bekam, als ich. Ich schickte ihm eine SMS und wartete noch so lange, bis er sie gelesen hatte. Er schaute hoch, suchte mich und unsere Blicke trafen sich, aber ich bekam keine Zusage von ihm, allerdings auch keine Absage.
Ca. zehn Minuten später war ich daheim. Es sah so aus, als ob meine Eltern endlich nach Hause gefahren waren. War ich erleichtert und vor allem war ich geil. Seit fast einer Stunde lief ich mit einer Dauerlatte rum und konnte den Drang langsam nicht mehr unterdrücken. Heftig pulsierte meine Spitze. Sie wollte unbedingt in das wunderschöne enge warme Loch stoßen. In sein Loch.
Ich war ihm verfallen. Das brach urplötzlich über mich herein. Er übte eine Macht über mich aus, die schon schmerzhaft und zugleich berauschend war. Der Klang seiner Stimme war reinste Harmonie. Sein Geruch war Aphrodisiakum. Seine Haut schmolz unter meinen Fingern und sein Verlangen war unstillbar.
Ich wollte ihn, nicht nur wegen Sex. Ich wollte ihn ganz. Er sollte zu mir gehören, mein Leben sein und für immer bei mir bleiben.
›Ich war bereit, alles für ihn zu opfern, nur um ihn in meinen Armen halten zu können. Seine Lippen zu spüren und sein süßes Stöhnen in einen schmerzverzerrt, verlangenden Schrei umzuwandeln. Für immer und nur für mich.‹
Noch nie hatte ich für jemanden so viel empfunden, wie für Sascha. Ich konnte es selbst nicht mehr begreifen. Jede Sekunde, wenn er nicht da war, waren es grauenhafte Qualen. Jede Minute, die verging, schien eine Ewigkeit in der Hölle zu sein. Ich war verliebt. Ja, ich liebte Sascha. Mehr als ich glaubte. Diese Erkenntnis ließ mich auflachen und ich war glücklich. Ich fühlte mich wieder wie ein Teenager und wählte die Nummer von Raoul. Ich musste es ihm erzählen.
»Hallo!«, hörte ich seine schnatternde Stimme. »Schön, dass du anrufst, wir müssen uns treffen«, plötzlich war sie nicht mehr schnatternd, sondern nur noch warnend.
»Was ist los?«, ging ich darauf ein und vergessen waren die Neuigkeiten, die ich ihm mitteilen wollte.
»Nicht am Telefon. Wir treffen uns dort.« Mehr sagte Raoul nicht und legte auf. Dort? Es dauerte einige Sekunden bis mir dämmerte, was er mit ›dort‹ meinte. Ich schaute auf die Uhr, es war kurz vor acht. Sascha wäre in wenigen Minuten mit seiner Arbeit fertig und dann wollte ich ihn, wenn er hierher kam, mit allen Sinnen verführen. Verdrossen darüber, dass Raoul sich eingemischt hatte, tippte ich eine Nachricht an Sascha, dass er heimgehen sollte, weil ich noch beschäftigt sei. Und das es mir sehr leidtäte. Das, ich liebe dich, dass ich gerne getippt hätte, ließ ich weg.
Ich schnappte meine Schlüssel und fuhr ›dort‹ hin. Das ›dort‹ war die alte Windmühle auf der Weide. Der einzige Ort, an dem absolut keine Elektrik funktionierte. Unterhalb der Windmühle waren Metallvorkommen von einer Dichte, dass sämtliches Empfangen oder Senden störte.
Raoul und Anthony waren schon da. Auch Emily sah ich an die Windmühle gelehnt, wie sie gedankenversunken ihren Bauch streichelte. Irgendetwas war passiert, sonst würden sie nicht alle hier sein. Ich stieg aus und ein mulmiges Gefühl kam in mir hoch.
Wie üblich stöckelte Raoul gleich auf mich zu und umarmte mich zur Begrüßung. Anthony gab ich die Hand und Emily den Hauch eines freundschaftlichen Kusses auf die Wange.
»Was ist los?« Mir gefielen ihre Blicke gar nicht.
Anthony zog einen Umschlag aus seiner Jacke und überreichte ihn mir. Ich öffnete ihn und sog scharf die Luft ein. Mein Herz pochte bis zum Hals und ich fing zu lesen an.
»Hallo, mein kleiner Sub.
Dies ist die letzte Warnung, die ich dir gebe.
Auch wenn du dich gestern bei mir entschuldigt hast, so reicht es nicht aus, meinen Zorn zu besänftigen. Da du Nachsitzen hast, verlange ich von dir, dass du morgen zum hinteren Teil des Chemieklassenzimmers gehst und den Schrank öffnest, in dem du heute die Chemikalien zum Mischen des ersten Experimentes gefunden hast. Dort findest du Accessoires, die du nach der beiliegenden Anweisung anziehst. Danach stellst du dich mitten ins Klassenzimmer und hältst deinen Blick auf das Fenster. Du wirst dich nicht nach rechts bewegen oder nach links, nach vorne oder hinten, du bleibst einfach so stehen. Die Arme seitlich an deinem Körper haltend, deine Füße stehen ca. 30 cm auseinander. Schaue darauf, dass ich guten Einblick auf deinen Schwanz und Hoden habe. Dir ist allerdings erlaubt, dich nach vorne zu beugen, wenn dir beim Stillstehen, der Rücken zu schmerzen anfängt.
Solltest du geil durch meine sanfte Strafe werden, so ist es dir verboten, deinen Schwanz anzufassen und deine Eier zu kraulen. Genauso ist es dir verboten, dich an deinen Stellen zu berühren.
Führe meinen Wunsch aus und ich werde diese Bilder nicht bei der Schüler Community veröffentlichen.
Dein Herr«,
las ich und zog den zweiten Brief raus, der war an mich adressiert.
»An Kyel Kastner. Ich weiß, dass du hinter mir herspionierst, mit deiner kleinen Gruppe von SPA Angestellten. Emily und Anthony McAlastar. Du willst doch nicht, dass Emily McAlastar einen Unfall erleidet und sie dadurch ihr ungeborenes Kind verliert. Oder Anthony McAlastar, der Entschärfungsexperte, plötzlich einen falschen Draht durchschneidet. Außerdem halt die Tunte unter Kontrolle. Sie soll sich wieder um ihr eigenes kleines gut gehendes Geschäft kümmern, bevor sie vor einer Pleite steht.
Hier mein Befehl. Du hältst dich von Sascha fern. Keine Telefonate, keine SMS, keine Besuche mehr bei seiner Arbeit und private Treffen verbiete ich. Er gehört mir und ich gebe mein Eigentum nicht her. Außerdem bin ich dir zu Dank verpflichtet, dass du Sascha für mich vorbereitet hast.
Führe ihn aus, so wie ich es von dir will, dann wird dir und deinen Freunden nichts geschehen. Solltest du allerdings, was ich für dich nicht hoffe, den Befehl missachten, so wird meine Strafe grausam sein. In dem Moment, wo du die Nummer von Sascha wählst, tritt meine Strafe in Kraft.«
Ich blickte zu meinen Freunden.
»Sei uns nicht böse, wir haben deine zwei Nachrichten an Sascha abgefangen und gelöscht«, sagte Raoul. Nun verstand ich auch, warum ich weder eine Zusage noch eine Absage von Sascha bekommen hatte.
»Du und wir werden von ihm beobachtet«, sagte Emily immer noch irgendwie abwesend.
»Ich habe in den alten Akten nachgeschaut, wer in den letzten zehn Jahren bei den Red Eyes war. Im Umkreis von 50 Meilen wohnhaft war oder ist und der rein zufällig in den letzten zehn Jahren, auf irgendeine Weise Kontakt zu Sascha haben konnte«, sagte Anthony und überreichte mir einige Bilder. Von den vier Gesichtern konnte es jeder sein. Zwei davon kannte ich. Einer war der Lehrer Mr. Clancy und der andere Mr. Gerbert, den ich eingestellt hatte. Die anderen zwei kannte ich eventuell vom Sehen her. Jeder konnte in den letzten zehn Jahren Kontakt mit Sascha gehabt haben.
»Kyel, das sind welche, die in das Profil von unserem Stalker passen. Der Beste unter den fünf …« Fünf? Ah! Er hatte noch ein Bild in der Hand und ich hörte wieder zu. »Ist der Lehrer Clancy gefolgt von Gerbert. Dann der Türke gefolgt von dem Schweizer und zuletzt …« Er überreichte mir das letzte Bild. Da war er drauf. »Ich. - Kyel ich kenne alle, sie gehören zu meinen engen Freunden. Aber wenn ein Red Eye eine Mission hat, so kennt er keine Freunde und auch keine Familie. Und ich kann dir nicht sagen, wer es sein könnte.«
»Das hier ist aber keine Mission«, wandte ich ein.
»Nein, ist es nicht. Aber für den ehemaligen Red Eye ist es das. Er lebt für seine Mission.«
»Hmm, aber er will Sascha nur wegen Sex.«
»Nein, da verkennst du was, Kyel. Seine Mission heißt ›Unterdrückter Wille.‹ Dieser Red Eye lebt dafür, Sascha so weit unter Kontrolle zu bringen, dass er ihm aus der Hand frisst und nur noch ihn sieht. Es ist eine Mission auf Lebenszeit.«
»Wie soll das funktionieren?«
»Seine Mission hat schon angefangen, Früchte zu tragen. Saschas Zusammenbruch. Das war der Anfang. Der Weg in Saschas Gedanken ist offen. Du observierst dein Ziel, bis du alles, aber auch wirklich alles von ihm kennst, dann fängst du an, dich langsam in sein Leben zu drängen. Du nutzt die Schwächen aus und wendest sie gegen dein Ziel. In diesem Fall, die Homosexualität von Sascha. Treibst es soweit, bis dein Ziel fast am Boden zerstört ist, dann trittst du vollständig in sein Leben und drückst ihn weiter zu Boden, aber so, dass dein Opfer es als Hilfe ansieht und sich dir vollständig anvertraut. Diese Bilder, diese Nachrichten sind alles ein Teil davon, ihn weiter zu zerstören. Ob jetzt Sascha diesem Befehl gehorcht oder nicht, ist irrelevant. Wichtig ist nur, dass die Angst aufrechterhalten wird und er zu seinem Retter eilt, der ihm die Hand hinhält. Genau in dieser Phase bist dann du in sein Leben getreten und Sascha hat sich an dich festgekrallt, anstatt an den Stalker. Deswegen zieht er diese Show auf. Er will dich mit allen Mitteln von Sascha fernhalten. Und Sascha von dir. - Außerdem schreckt er nicht davor zurück, zu töten.« Ich sank auf die Wiese und stützte mich auf meinen Händen ab. Kurz beobachtete ich die Wolkenformation.
»Wie kann man dem entgegenwirken?«, fragte ich ohne meinen Blick vom Himmel zu wenden.
»Indem du für Sascha da bist. Ihn auffängst und vor allem muss er es wissen. Du bist dafür da, es ihm schonend beizubringen. Was alles noch auf ihn zukommt, damit er dagegen angehen kann.«
Ich schloss die Augen und mein Gefühl der Sorge um Sascha brannte in meiner Kehle. Wie konnte ich helfen, was konnte ich tun, damit Sascha ein glückliches Leben führen konnte. Jetzt, wo ich ihn dazu getrieben hatte, sich innerlich zu öffnen, war er verletzlicher und umso vieles zerbrechlicher.
Ich saß alleine daheim und blickte immer wieder zu meinen vier verschiedenen Monitoren. Mein kleiner Sascha hatte anscheinend nicht vor mir zu gehorchen und ich musste zugeben, dass es mich innerlich befriedigte. Ich liebte es, wenn er aufmüpfig war, so könnte ich meine Strafe an ihm genießen. Und sie wird für mich ein Hochgenuss werden. Warte nur.
»Ah, wen sehe ich denn da? Hast du gut geschlafen? Sicher hast du das nicht. Nach der Abreibung von deinem Vater würde ich auch nicht besonders gut schlafen. Warum musst du jetzt aus deinem Zimmer gehen, lege dich noch etwas hin und zeige es mir, wie du es am Wochenende immer tust. Ja, mein Kleiner, ich kenne dich.«
Ich stand auf und schenkte mir meinen, keine Ahnung, wievielten Kaffee ein. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet mir, dass es knapp vor zehn Uhr früh war und Sascha sich seit über zwei Stunden nicht in seinem Zimmer blicken gelassen hatte. Wie untypisch von ihm und ich kontrollierte den Satelliten, den ich auf sein Haus ausgerichtet hatte. Hmm, er war auch nicht außer Haus gegangen. Moment nun tat sich was.
»Sascha dein Verhalten passt mir gar nicht. Du solltest zumindest noch einmal zurück in dein Zimmer gehen und dich ordentlich von mir verabschieden, so wie es sich gehört. Böser Junge«
Ich spürte, wie ich geil wurde, meine Lende zuckte und ich verfiel immer mehr meinem Drang, ihn bestrafen zu wollen. Noch nicht, noch ist es zu früh.
»Oh, was für eine schöne Figur du doch machst, wenn du dich auf dein Moped schwingst. Ich wette, der Sattel krault deine Eier richtig durch. Oh ja, du solltest das Moped durchreiten.« Bilder, wie seine Arme auf dem Rücken gefesselt waren, seine Augen verbunden und einen Knebel in seinem Mund, damit er nicht stöhnte, stöhnen durfte er nicht, ich hatte es ihm verboten. Bilder, wie er auf dem Moped saß, einen Dildo in sich und den Sattel reitend, kamen in mir auf. Ich konnte es nicht mehr zurückhalten, zog den Reißverschluss auf und schon stolzierte mein Freund, der eine extreme Vorfreude auf Saschas Hintern hatte, hervor. Mehr denn je. Nun könnte ich ihn durchvögeln und bräuchte nicht mehr vorsichtig sein. Auch wenn es mir eine Freude bereitet hätte, ihn in den Hochgenuss des ersten Mals einzuführen. Aber ihn nehmen, wann ich wollte, hatte auch was, war sogar reizvoller. So hatte sich mein Vorhaben um einige Monate verkürzt. In diesem Fall kam sogar, so etwas wie Dankbarkeit an Kyel Kastner zutage. Wenn ich diesen Typ sah, schnappte in meiner Hosentasche das Schnappmesser auf. Er war einfach zum Kotzen und Sascha war auf sein falsches Getue reingefallen. »Aber ich werde dich von ihm befreien.«
Dies und viele anderen Gedanken begleiteten mich zum Höhepunkt und ich sah, wie Sascha in die Eisdiele ging. Plötzlich stieg Wut in mir auf. Wieder traf er sich mit diesem Kerl und ich zog mir meine Jacke an. Ich setzte mich ins Auto und fuhr zur Eisdiele. Stieg aus und wollte schon in die Eisdiele stürmen, als ich Sascha sah, der eine Kellnerschürze trug, zu einem Tisch ging und eine Bestellung aufnahm. Sofort beruhigte sich mein aufgewühltes Herz und ich setzte mich erst mal. Gott sei Dank, war es falscher Alarm.
Meine Güte sah er gut aus. Diese Grübchen oberhalb seiner Mundwinkel, die braungrünen Augen, die wohl geschwungenen Augenbrauen, diese kleine Stupsnase und die sinnlichen Lippen, alles in mir schrie nach ihm.
Ich musste ein Foto von ihm machen. Ein Übergroßes und das hängte ich mir dann ins Schlafzimmer. Oh, machte mich deine Erscheinung geil. Wieder.
»Jeden Tag, wenn ich dich sehe, muss ich mich zurückhalten. In der Schule, auf dem Schulhof, dem Nachhauseweg, wenn du in deinem Zimmer bist, im Park spazieren gehst, immer und überall. Aber bald werde ich dich zu mir nehmen. Ich werde mich um dich kümmern und dir wird es an nichts fehlen. Bei mir bekommst du Zuwendung und Liebe. Keine Verachtung wie von den anderen. Ich werde für dich alles sein und der Einzige. Mein kleiner Sascha.« Wie auf Kohlen wartete ich, bis Sascha endlich nach Hause kam. Als er endlich da war, bekam ich etwas geboten, was mich einerseits sehr erfreute und mir zwei Orgasmen bescherte, weil er es extra für mich tat, doch andererseits, haute er mir diesen Satz um die Ohren: »Das ist mein Körper, du Arsch. Ich mache damit, was ich will!«
›Das wird ein Nachspiel haben. Ich werde es nicht zulassen, dass du mich weiter so ärgerst.‹
Am nächsten Tag, ich wartete vor dem Jungenklo, mit der roten Kabine, auf Sascha. Ich hatte ihm extra eine SMS geschickt, dass er sich hier einfinden sollte und was musste ich feststellen? Sascha schwänzte die Schule. Verflixt hier in der beschissenen Schule, konnte ich ihn nicht beobachten, nur wenn er im Unterricht war oder in der Pause. Pause auch wieder nicht. Er verkroch sich jede Pause in eine andere Jungentoilette. Nur im Moment wusste ich, wo er sein sollte. … Ich brauchte den Satelliten, ach verflucht. Wo war er hin?
In der zweiten Pause kam er wieder. Oh, er wird eine Abreibung bekommen, aber was für eine. Erstens, weil ich nicht wusste, wohin er gefahren war und zweitens, weil er ein Verbot übertreten hatte. Er hatte die ganzen Stunden in der Schule, für mich anwesend zu sein.
›Oh Sascha, das wird dir nicht gefallen.‹
Ich lockte mich in den Chemiecomputer und beobachtete ihn, wie er seine aufgebrummten Aufgaben zu erledigen versuchte. Chemie?
›Du Armer, ich weiß doch, dass du Chemie hasst und gleich vierzehn Tage. Zeit genug, um dich auf mich vorzubereiten.‹
Ich war schon wieder so geil, dass ich meinen Schwanz umgriff, ihn in Richtung Monitor streckte und ihn gleichmäßig pumpte.
Herrgott noch mal, wie kam ich dazu, ihn so heiß zu machen. Ich sah, wie es ihn erregte, wie sich ein leichter Schweißfilm auf seiner Stirn gebildete und wie sein Adamsapfel sich bewegte, als er krampfhaft versuchte, zu schlucken. Gott, was war nur in mich gefahren? Ich stand hinter dem Tresen, trocknete die Tassen ab und bekam meinen Blick nicht mehr von ihm weg. Er bezahlte. Natürlich, wie hätte es auch anders sein können. Ich schnaubte, als ich sah, dass er mit dem Handy hantierte. Die Firma beanspruchte ihn eben. Ich konnte eben nicht darauf hoffen, dass er ständig für mich Zeit hatte. Die hatte ich für ihn auch genauso wenig. Unsere Blicke trafen sich und dann wandte er sich ab. Kein Nicken, kein Anzeichen, dass er sich von mir verabschiedete. Warum sollte er auch? Er war nicht mein Freund. Wir hatten lediglich Sex miteinander, das war alles. Wieder schnaubte ich und bekam nicht mit, dass Tim mich die ganze Zeit beobachtete. Tierisch erschrak ich, als er seine Hand auf meine Schulter legte.
»Zwischen dir und Mr. Kastner knistert es ganz gewaltig!« Schock, was hatte Tim gerade gesagt? Sofort spürte ich, wie mein Gesicht rot anlief. Mein Herz Tausende Hüpfer schlug und ich mich fast an meiner eigenen Spucke verschluckt hätte.
»Du spinnst doch!«, antwortete ich etwas zu hart, aber er zwinkerte mir nur zu. Noch bevor er die Hand wieder von meiner Schulter nahm, sagte er, dass er zusperrte und ich früher gehen könnte. Überrascht schaute ich ihn an und er meinte nur:
»Geh zu ihm, er wartet auf dich.«
»Was soll das? Er wartet ganz bestimmt nicht auf mich?«
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Er zieht dich förmlich mit seinen Blicken aus.« Ich schüttelte nur den Kopf.
»Was du wieder siehst!«
»Viel, aber auch nur das, was ich sehen will!«
»Das sieht man!«
»Genau und deshalb hast du jetzt Feierabend. Die eine Stunde bekomme ich auch so rum.«
»Ich gehe nicht …!«
»Wer geht nicht?«, mischte sich mein Chef auch noch ein.
»Sascha geht nicht. Er hat mir gerade offenbart, dass er Morgen eine Matheklausur hat und er noch keinen einzigen Strich dafür gelernt hat.« Oh, ich könnte ihm eine reinhauen. Ganz besonders, wenn er dieses mitleiderregende Gesicht aufsetzte und ohne rot zu werden, einen eiskalt anlog.
»Dann Sascha heimgehen, hopp, hopp!« Alessandro schmiss mich regelrecht aus dem Laden und mir blieb wirklich nichts anderes übrig als heimzufahren. Was ich, auf den Tod, nicht wollte.
Als ich vor meiner Haustür stand, mein Blick über den Parkplatz schweifte und Dads Auto sah, zog sich alles in mir zusammen. Er war daheim. Innerlich rang ich mit mir, rauf zu gehen, mich seiner Gnade zu stellen oder hier zu warten, bis oben das Licht ausging, damit ich mich in mein Zimmer schleichen konnte.
»Gott, was bist du nur für ein Feigling«, dachte ich und hörte jemanden die Treppen runtergehen. Schnell huschte ich zum Busch und versteckte mich. Keine Ahnung, warum, aber ich hatte, ein sehr schlechtes Bauchgefühl. Wieder schimpfte ich mich einen Hosenscheißer und erschrak, als mein Vater aus der Tür kam. Ich blickte auf mein Handy und es zeigte kurz nach sieben Uhr.
Ich sah, wie mein Vater, das Moped musterte und dann ins Auto einstieg. So wie er angezogen war, war wahrscheinlich wirklich was in der Firma. Kyel war auch ziemlich schnell verschwunden und ich atmete wieder gleichmäßiger, als das Auto außer Sichtweite war.
Ich ging hoch zur Wohnung, sperrte auf und trat ein. Ein kurzes ›Hallo‹ kam über meine Lippen, weil wir ja eine anständige und höfliche Familie waren, aber es kam nichts zurück. Ich schaute in die Küche, da war niemand und im Wohnzimmer war auch kein Mensch. Uff, hatte ich Glück gehabt. Es hätte ja anders ausgehen können, und zwar, dass ich hochgegangen und Dad noch noch einmal zurückkam oder das Mom hier wäre.
Ich sammelte mich kurz und ging in die Küche. Seit ich aufgestanden war, hatte ich nichts mehr gegessen. Mom hatte falschen Hasen gemacht und Kartoffelpüree war auch noch was übrig. Ich schnitt mir zwei Scheiben ab und schöpfte mir den Rest vom Kartoffelpüree auf den Teller.
Nachdem ich gegessen hatte, räumte ich alles auf, sodass die Küche wieder so aussah, wie ich sie vorgefunden hatte. Es war eine Regel, dass man einen Raum so verlässt, wie man ihn vorfand. Oder wie es meine Schwester handhabt, einfach alles stehen lassen und es dann auf mich schieben.
Ich hatte vergessen auf den Spiegel zu schauen, um meine aufgebrummten Aufgaben entgegenzunehmen. Doch ich sah keinen Zettel mit meinem Namen drauf. Seltsam. So zuckte ich nur mit den Schultern und überlegte, was ich, mit meiner noch freien Zeit, anstellen sollte. Ein Bad wäre nicht schlecht, und da Dad nicht daheim war, der alles akribisch kontrollierte, entschied ich, ein Vollbad zu nehmen. Lange war es her, dass ich ein Vollbad genommen hatte, immer musste ich, nein, durfte ich eine Dusche nehmen und selbst da, wurden mir die Minuten aufgezählt, wie lange das Wasser lief.
Das Wasser war herrlich warm und ich spielte mit dem Schaum. Mit dem Waschlappen verteilte ich das Duschgel auf meiner Haut und es war Entspannung pur. Irgendwann fielen mir die Augen zu und ich döste etwas vor mich hin. Langsam hatte ich das Gefühl, dass das Wasser kälter wurde, obwohl ich kaum zehn Minuten drin war und erschrak, als mir schlagartig die Erinnerung an die Nachrichten und SMS kam. Ruckartig setzte ich mich auf, stieg aus der Wanne, schlang hastig das Handtuch um mich, und blickte mich im Bad um.
Wie auch bei mir im Zimmer konnte ich nichts Auffälliges erkennen, aber dieses kalte Gefühl, dieses Wissen, von jemand beobachtet zu werden, nistete sich tiefer in mich ein. Das Wasser ließ ich ab und schmiss die schmutzigen Klamotten in den Waschkorb.
In meinem Zimmer blieb ich an der Tür stehen und schaute mich um. Alles stand so da wie immer, nichts war verändert worden. Auch fiel mir nichts Ungewöhnliches auf, dennoch wusste ich, dass, wenn ich weiter eintrat, ich wieder beobachtet wurde. Leider musste ich in mein Zimmer, schon wegen der frischen Klamotte, die ich brauchte. Trotz alledem wollten sich meine Beine nicht bewegen und eine seltsame Frage stieg in mir hoch. Wie konnte ich es die ganze letzte Woche ertragen, beobachtet zu werden. Ich mein, ich hatte es gewusst, aber ich hatte es vollständig ignoriert. Und dann, diese Aktion. Ekel stieg in mir hoch und ich musste mich zwingen, nicht zu speien. Ich musste mich wirklich zwingen, in das Zimmer reinzugehen und nicht zu speien.
Fest hielt ich das Handtuch um meinen Körper und ein zitternder Schritt folgte dem andern. Bewusst vermied ich es zum PC zu laufen oder hinzuschauen. Ich wollte nur noch zum Schrank und frischen Klamotten anziehen.
In diesem Augenblick wusste ich, dass ich keine Nacht länger, in diesem Zimmer bleiben konnte. Egal, wo ich ab nun schlief, aber hier nicht mehr. Ich konnte es nicht mehr, schon gar nicht, nachdem ich Kyel auf dieses Abstellgleis beziehungsweise Wartegleis gestellt hatte und dass er nur herhalten sollte, wenn ich es von ihm wollte.
Scheiße verfluchte, ich hatte mir selbst einen Finger in meinem Arsch gesteckt und zur Krönung wollte ich es noch mal vor Kyel machen. Wieder zog sich die unterdrückte Scham in mein Herz und wieder schluckte ich hart.
Endlich war ich am Schrank angelangt und öffnete ihn. Ein T-Shirt zog ich raus und eine Jeans, Unterhosen und Socken. Das Handtuch ließ ich fallen und zog mich hastig an. Ich wollte nicht, dass der Typ noch mehr von mir sah, als er schon gesehen hatte. Ich wusste nicht einmal, wie lange er mir bereits hinterherspionierte. Kaum war ich angezogen, verschwand ich aus meinem Zimmer und stand unten vor der Haustür.
Was wollte ich? Ich wusste es nicht. Ich blickte auf mein Handy und wunderte mich, schon lange hatte ich keine Nachrichten mehr bekommen. Die letzte Nachricht war eine E-Mail, die ich aber nicht geöffnet hatte. »Hatte er aufgegeben?«, dieser befreiende Gedanke huschte mir kurz durch den Kopf, wurde aber schlagartig, von dem dunklen Gefühl beobachtet zu werden, zunichtegemacht. Langsam ging ich zum Moped und wollte mir schon den Helm aufsetzen, als ich meinen Arm wieder sinken ließ. Den Helm legte ich auf den Sattel zurück, drehte mich um und rannte los. Ich rannte in irgendeine Richtung, dorthin wo meine Füße mich hintrugen und stand vor der Schule. Nein, dorthin wollte ich nicht. Es war ein Ort mit vielen dunklen Erinnerungen, und solange ich da nicht rein musste, würde ich auch kein Schritt da hineintun.
Ich rannte wieder los und war kurze Zeit später im Park, doch ich hielt nicht an und schlug den Weg zum Bahnhof ein. Selbst da blieb ich nicht stehen und erreichte bald den Waldrand. Abrupt blieb ich stehen, denn hinter diesem Waldrand, etwa zwei Meilen weiter, befand sich das Nobelviertel.
Mein Atem rasselte vor Anstrengung und ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Meine Füße hatten mich zu ihm geführt, ohne dass ich es mitbekam, stand ich vor dem Waldrand und schaute durch die Bäume. Hinter dieser Waldschneise lag seine Villa.
Lange überlegte ich nicht und sprang über den ersten abgebrochenen Zweig. In diesem Augenblick war mir alles egal und ich ließ meinen Tränen freien Lauf. Ich konnte sie einfach nicht mehr zurückhalten. Ich musste ihn sehen. Ich musste ihn einfach nur sehen. Es war nicht nur das Gefühl, zu wissen, wenn ich ihn sah, dann hatte ich mega geilen Sex, sondern ich wollte ihn sehen und wissen, dass jemand für mich da war. So rannte ich einfach weiter.
Als ich aus der Schneise heraus war, war meine Jeans total durchnässt. Trotz, des warmen Herbsttages, hatte es die Sonne nicht geschafft, durch die Baumwipfel, den moosigen Waldboden zu trocknen. Ich blickte mich um und kam mir wirklich fehl am Platz vor. Diesmal erschien mir alles noch imposanter, als damals, als ich das erste Mal in Kyels Auto hierher gefahren war. Damals. So lange war es noch gar nicht her. Es war vor einer Woche.
Ich drosselte meinen Schritt und zog mir den Reichtum rein. Ungelogen, es war wirklich eine andere Welt. Es war etwas Besonderes diese teuren Häuser und Villen zu sehen, denn ich wusste, dass ich mir nie so ein Haus leisten konnte. Geschweige denn wäre ich bereit, jemanden einzustellen, der den Straßen eine Pediküre, den Bäumen eine Maniküre und den Häusern einen dritten Zahnersatz verpasste.
Kyels Villa gehörte dazu und ich befand mich vor der Einfahrt. Das Tor stand offen und ich trat ein. Ihm würde es bestimmt nichts ausmachen, wenn ich einfach eintrat, oder? So lachhaft, wie der Gedanke war, im Grunde kannte ich Kyel Kastner gar nicht. Ich wusste nur, dass er der Chef meines Vaters war, dass er absolut nicht kochen konnte und wirklich sehr liebevolle Eltern hatte. Aber dies war nur Allerweltswissen. Was jeder wissen konnte. Okay, etwas wusste ich schon über ihn, was nicht alle anderen wussten. Ich kannte seine bestimmten Stellen und für mich war er ein Sexgott.
Sein Auto stand nicht da, also war er noch in der Firma. Ich ließ mich auf die Steintreppe nieder und stützte meinen Kopf in die Hände. Die Tränen waren allmählich versiegt. Das Rennen hatte mir sehr geholfen. Wann bin ich das letzte Mal so gerannt? Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Seit meinem Outing vermied ich es immer, irgendwie Aufmerksamkeit zu erregen.
Ich hing meinen Gedanken nach und spürte, wie mir die Tränen wieder hochstiegen, dieses ständige allein sein, dieses Gefühl beobachtet zu werden, machte mich fertig. Erneut heulte ich wie ein kleines Baby und vergrub mein Gesicht zwischen den Beinen. Ich bekam gar nicht mit, das Kyel gekommen war und mir die Hand auf den Kopf legte.
Ich schaute hoch, schniefte und bevor ich ihn richtig erkennen konnte, wurde ich in seine Arme gezogen. Sein Körpergeruch umhüllte mich und ich vergrub meine Finger in seinem Rücken. Nun hielt mich gar nichts mehr und die Tränen flossen hemmungslos über die Wangen. Mein Gesicht vergrub ich an seinem Hals und drückte mich stärker an ihn ran.
»Schschsch, alles wird gut.« Langsam löste er sich von mir, hielt mich aber immer noch in seinen Arm fest und führte mich in die Villa. Er machte keine Anstalten, sich von mir einen Kuss zu klauen oder was anders zu wollen. Er hielt mich einfach sehr fest und brachte mich ins Wohnzimmer. Seine Nähe war für mich sehr beruhigend und nur für einen kurzen Moment, während er einen Tee zubereitete, ließ er mich alleine. Erst als wirklich all meine Tränen versiegt waren, nahm er mein Gesicht in seine sanften Hände und unsere Lippen trafen sich.
»Na, geht’s wieder?«, murmelte er zwischen einigen Küssen und ich nickte.
Er entschuldigte sich, dass er duschen möchte, und ließ mich wieder alleine. Aber ich fühlte mich nicht alleine. Im Gegenteil, obwohl das Wohnzimmer riesig war, war es gemütlich eingerichtet. Ich fühlte mich sehr behaglich und schnappte mir die Tagesdecke, die am Eck der Couch lag. Dann zog ich meine Schuhe, die nassen Socken und die Jeans aus. Kuschelte mich in die Decke und schaltete den Fernseher ein. Wow, auch hier gab es Wiederholungen der wiederholten Wiederholung und ich zappte durch die Programme. Nach fünf Minuten rumsuchen, blieb ich wieder bei einer Wiederholung, wie sollte es auch anders sein, bei einer Teenagerkomödie, die von einer Hexenfamilie handelte, hängen. Ich mochte diese Serie, also schaute ich sie an.
Kyel war mit dem Duschen fertig und kuschelte sich hinter mir in die Decke. Die Couch war groß genug, sodass noch ein Erwachsener zwischen uns gepasst hätte.
»Es tut mir leid, dass ich dich einfach überfalle, aber ich habe es daheim nicht mehr ausgehalten«, fing ich an und er tat es ab. Irgendwie kamen wir ins Gespräch. Wir unterhielten uns wirklich über ernste Dinge und keiner machte Anstalten an was anderes zu denken. Wir genossen einfach unsere Zweisamkeit, bis Kyel das Thema anschnitt, vor dem ich mich die ganze Zeit schon gefürchtete hatte. Mittlerweile erfuhr ich, wie ernst die Lage war und dass mir der Stalker nicht erst seit einer Woche nachstellte, sondern schon länger. Auch rückte Kyel mit der Sprache raus, dass der Typ, ihn, Emily und Anthony sowie Raoul bedrohte. Wieder zog sich alles in mir zusammen und sein Arm, den er um meinen Oberkörper geschlungen hatte, verstärkte den Druck.
»Ich gehe morgen zur Polizei und mache eine Anzeige«, sagte ich plötzlich, ohne darüber nachzudenken, dass ich vielleicht Kyel damit in Verruf bringen konnte. Denn er hatte mir erklärt, dass die Polizei alles brauchte. Alle SMS, alle E-Mails und alle Bilder. Sie müssten in die Wohnung und alles nach Wanzen und Kameras durchsuchen. Erst, wenn die Sache zu heikel wurde, wie es in unserem Fall schon war und auch noch mit Mord gedroht wurde, konnte die SPA komplett einschreiten. Nicht so, wie die läppischen Möglichkeiten, die Anthony und Emily zurzeit hatten.
»Es ist deine Entscheidung. Egal, wie du dich entscheidest. Ich werde hinter dir stehen«, flüsterte er mir ins Ohr und küsste zärtlich meine Muschel. Die sanfte Berührung und sein warmer Atem ließen wieder diese kleinen elektrischen Stöße durch meinen Körper jagen und alles sammelte sich zu einem Treffen in der unteren Region meines Körpers. Auch lag sein Arm nicht mehr auf meinen Oberkörper, sondern streichelte meine Seite. Seine Finger kreisten auf meinem Becken und wieder hoch zu meinen Achseln. Auch wenn ich mein Shirt noch anhatte, so war die Wirkung dennoch zu verzeichnen. Ein kleiner Seufzer entrann sich meiner Kehle und er fühlte sich darin bestärkt, mich von meinem Ohr runter zu meinen Hals, mit kleinen hauchzarten Küssen zu bedecken. Vergessen war, was ich sagen wollte. Vergessen waren meine Sorgen, die mich, seit meinem Bad, umkreisten. Vergessen war mein Vater. Vergessen war die Hetzjagd durch die Schule. In Kyels Armen befand ich mich in meiner Welt. Dies war mein Reich. Seine Hand fand wieder den Weg nach unten zu meinem Becken und schob sich vor. Er spürte meine Erregung und gluckste.
»Du bist wirklich sehr sensibel«, murmelte er und handelte sich einen kleinen Schlag auf seine Hand ein.
»Lass das, ich will das zu Ende schauen«, zischte ich und wieder gluckste er an meinem Hals und schon spürte ich, dass er meinen Penis umgriff. Scharf sog ich die Luft ein.
»Hmm, mal schauen, wie lange du den Ignoranten spielen kannst.«
»Man, du bist einfach unverbesserlich!« Ich legte mich auf den Rücken und gab ihm damit mehr Spielraum. Schon umkreiste seine Zunge meine Lippen. Ich blickte in seine tiefblauen Augen und versank in ihnen. Wie einem Drang nachgebend, streichelte ich ihm eine seiner störrischen Strähnen aus der Stirn und bewunderte sein makelloses Gesicht. Er war zu schön und ich schnaubte.
»Was ist?«, fragte er mich und hörte mit seiner sanften Berührung auf. Ich schüttelte nur den Kopf.
»Ich frage mich bloß, warum? Warum du dich mit mir abgibst? Was bin ich schon? Du kannst andere haben. Welche die einige Stufen höher in der Gesellschaft stehen. Mit Ansehen, mit Status und mit viel Geld.«
»Hmm, da hast du wohl recht. Aber was bringt mir das?«
»Mehr Ansehen!« Er grinste.
»Mehr Ansehen, als ich jetzt schon habe, brauche ich nicht. Ich stehe in der Gesellschaft mit auf der obersten Stufe. Ich bin nicht der, der sich die Finger nach etwas Höherem ableckt. Es sind die anderen, die die Hand nach mir ausstrecken, um zu mehr Ansehen zu kommen.«
»Ja schon, aber warum ich?«
»Weil du mich so genommen hast, wie ich wirklich bin. Du hast nicht meinen Status gesehen. Du kanntest meinen Namen nicht. Und du hattest keine Lust, mit mir ins Bett zu steigen.« Was? Ich richtete mich auf.
»Wie meinst das? Wir sind in meinem Bett gelandet.«
»Schon, einen Tag später«, sinnierte er. »Ich wollte dich aber schon, als ich dich in High Skills angesprochen habe. Ich dachte, du bist ein Twink. Aber du bist nicht darauf eingegangen oder zumindest hast du das sehr gut hinter deiner Fassade versteckt. Die dann kurz gebröckelt ist, als ich dich vom Fenster weggezogen habe. Da habe ich dann zugeschlagen.«
»Zugeschlagen! So!« Ich richtete mich weiter auf und schlang meine Beine zu einem Schneidersitz. Das wusste ich bereits. Ich wusste, dass es nur ein One-Night-Stand war und doch …
»Aber ich bekam dich nicht mehr aus meinen Gedanken. Das ist mir noch nie passiert. Das ganze Wochenende musste ich an dich denken, wie du während des Sexes immer mehr aus dir rauskamst. Was du mit mir gemacht hast. Am Montag hielt ich es schließlich nicht mehr aus. Ich konnte mir nicht mehr länger einreden, dass es nur eine einmalige Angelegenheit war. Ich wollte mehr. Mehr von dir. Vor allem wollte ich dich nicht in Erinnerung behalten, als jemanden, mit dem ich nur schnellen und aufregenden Sex hatte. Dafür hast du viel zu sehr etwas in mir berührt.«
»Hmm und wir sind wieder im Bett gelandet.«
»Jap, in meinem.«
»Und seitdem kreuzen sich unsere Wege immer auf mystische Weise.«
»Hmm, wohl war.«
»Die dann immer in Sex enden«, vollendete ich den Gedanken und sprach es aus.
»Kann man so sagen«, murmelte Kyel, drückte mich mit seinem Arm runter und beugte sich über mich.
»So wie jetzt …!«, leicht streiften seine Lippen die Meinen und ich öffnete sie etwas.
»So wie jetzt«, hauchte er und schon empfing ich seine Zunge.
Nach unserer Leidenschaft lagen wir noch lange eng umschlungen auf der Couch. Ich hörte seinen ruhigen Atem und ein leises Schnarchen. Kyel schlief und ich spürte, dass meine Augen auch schwer wurden. Gerade als ich in den Schlaf dämmern wollte, ertönte: »Hey, ein Anruf! Ey, geh ran! Ey, soll ich alles selber machen! Ey, ich habe keine Hände!« Es wurde immer lauter. Jesus, was hatte er denn für einen Klingelton auf seinem Handy, der war ja grausam und ich stieß ihm meinen Ellenbogen in den Bauch.
»Mach dein Handy aus«, nörgelte ich und zog die Decke, die Kyel aus dem Schlafzimmer geholt hatte, bis zu meinem Kinn hoch. Das Handy hörte auf, nur damit es gleich von vorne beginnen konnte. Wieder stieß ich ihn an. »Dein Handy!«, schnauzte ich und Kyel regte sich. Er langte über sich auf so einen Beistelltisch und setzte sich ruckartig auf. Kaum wollte er rangehen, hatte es aufgehört. Aber auch nicht lange, dann ertönte der schnatternde grausame Klingelton von Neuem. Diesmal ging er ran.
»Ja … nein du hast mich geweckt … warum ins Krankenhaus … Emily … ha … Ja … Sascha zieh dich an … Ja ist da … in Ordnung … wir kommen … Raoul! Emily bekommt nur ihr Kind … ja ich hole dich mit ab.« Er legte auf und fuhr sich mit den Fingern durch seine Haare. »Mensch ist der aufgeregt«, murmelte er und starrte vom Handy zu mir hoch. Verdattert schaute er mich an, weil ich schon vollständig angezogen vor ihm stand.
»Was ist? Ich brauche nicht so lange mit dem Anziehen. Ich brauche nicht erst dreißig Schränke durchsuchen und stundenlang überlegen, was ich heute anziehen könnte.« Er wollte mich schnappen, aber da ich schon stand, konnte ich ihm ausweichen und er wäre beinahe von der Couch geflogen.
Keine halbe Stunde später hielt Kyel an und ein normal aussehender, aufgelöster und wild gestikulierender Raoul stieg ein.
»Was hat da so lange gedauert? Little Johnny könnte schon lange da sein und wir verpassen die Geburt. Hallo Sascha. Ich kann dir sagen, wenn du den wichtigsten Augenblick im Leben verpasst, dann verspreche ich dir, dass es dir Little Johnny immer vorhalten wird. Sein eigener Pate war zu spät bei der Geburt und das wird sich das ganze Leben so hinziehen. Du wirst ständig zu spät sein. Der wird es dir danken, das sage ich dir. Und Patenkinder sind echt nachtragend, das kann ich dir versprechen …!« Ich grinste in mich hinein und Kyel verstärkte den Druck seiner Hand, die auf meinem Oberschenkel lag. Klagen konnte ich nicht, dass wir zu langsam waren. Immerhin fand Kyel ziemlich schnell seine, ich sage mal ›Freizeitklamotten‹, die aus einem normalen T-Shirt und einer noch normaleren Jeans bestanden. Außerdem flog er über die Schnellstraße, als er gefahren war. Mal so gefühlte 250 km/h hatte er schon draufgehabt.
»Keine Sorge, Raoul. Bis zum Krankenhaus sind es nur noch fünf Minuten«, beruhigte Kyel ihn, doch wie ein Wasserfall, sprudelte es nur so aus dem sehr aufgeregten Raoul heraus und er wurde, je näher wir dem Krankenhaus kamen, immer aufgebrachter. Raoul rannte schon buchstäblich zur Anmeldung und schnatterte die Schwester voll. Hilfe suchend blickte sie Kyel an. Er wiederholte, was Raoul bereits gefragt hatte, die Schwester aber, wegen des Schwalls an Wörtern, nicht mitbekommen hatte. Sie erklärte den Weg und wir machten uns auf.
»Ah, Anthony. Ich wäre schon früher da gewesen, aber diese Traumschnecken haben einfach nicht vorangemacht«, flötete er und Anthony nickte nur. Schon war Raoul in dem Geburtenzimmer und es war nicht er, der Emily beruhigte, sondern sie, die ihn beruhigte. Ich schüttelte nur den Kopf und Kyel hatte ein schelmisches Grinsen im Gesicht hängen. Anthony kam auf uns zu und die beiden Männer umarmten sich. Ich fand, dass Anthony noch sehr gelassen aussah.
»Schön, dass ihr gekommen seid«, sagte er, während er mir die Hand gab.
»Wie geht’s ihr?«
»Das Fruchtwasser ist abgegangen, und bis die Wehen einsetzen, kann es noch einige Zeit dauern. - Tja, das Baby wollte nicht mehr bis zum Termin warten.«
»Verstehe. Anthony, das ist Sascha Fleischhauer. Sascha das ist Anthony McAlastar. Ihr kennt euch, glaube ich, noch nicht.«
»Nein, noch nicht persönlich«, sagte ich und versuchte zu lächeln, was unter meinem aufgesetztem Face, dass automatisch zutage tritt, wenn ich jemand Fremden sah, etwas verzerrt hervorkam. Anthony grinste ein wenig.
»Schüchtern, der Kleine, so kenne ich ihn gar nicht«, grinste er breiter. Ich glaubte, meine Geschichtstemperatur stieg von läppische 37° auf 150° an und das, innerhalb von nur einer Sekunde. Ich senkte den Kopf, um irgendwie der Scham zu entgehen.
»Anthony, das gehört jetzt nicht hierher!«, mahnte Kyel und Anthony zwinkerte ihm zu.
»Stimmt, ich bin nur etwas aufgeregt … - Ah da kommt sie ja endlich«, und er lief einer Frau entgegen, die wahrscheinlich die Hebamme war. Sie unterhielten sich und verschwanden in das Zimmer, in dem Emily lag.
Kyel und ich setzten uns auf die Stühle, die auf dem Flur standen und die Stunden zogen sich hin. Raoul konnte inzwischen die gesamte Länge aller Gänge im ganzen Krankenhaus nachweisen und ich döste an der Schulter von Kyel. Irgendwann, ich glaubte, es ging schon auf vier Uhr nachts, wurde ich von Kyel sanft geweckt. Ich hatte das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein, so gerädert fühlte ich mich.
»Hey, Little Johnny ist da! Komm!« Er nahm mich an die Hand. Wie ein Pärchen gingen wir in den Geburtensaal und ich sah eine erschöpfte, aber glückliche Emily. Raoul heulte, was das Zeug hielt.
»So ein schönes Wunder hast du gar nicht verdient«, schniefte er Kyel zu.
»Warum? Willst wohl jetzt doch Pate werden für deinen Neffen?«, lächelte Kyel und Raoul schlug erschrocken die Augen auf. Kyel zog mich an das Bett und er küsste Emily auf die Stirn. Sanft streichelte er das kleine Köpfchen von ›Little Johnny‹. »Der Name musste geändert werden. Sofort!«, dachte ich und trat näher an das Bett. Es war wirklich ein schönes Neugeborenes. Emily fragte, ob Kyel sein Patenkind nehmen wollte und er schlug es natürlich nicht ab.
»John, das ist dein Pate. Er hat Geld, also halt dich nicht zurück«, stänkerte Emily.
»Hast du das gehört, was deine Mom gesagt hat? Nimm es nicht so ernst, okay. Ich bin nämlich ein schlechter Pate. Der Schlechteste, den es auf der ganzen Welt gibt …!« Kyel sah wahnsinnig friedlich aus. Wie er das Baby ansah, mit ihm sprach, so sanft, so weich. Irgendetwas Warmes breitete sich in meinem Herz aus und ich konnte mich nicht mehr zurückhalten.
»Dafür siehst du aber wundervoll aus. Steht dir. Du und Little Johnny.« Er blickte mich überrascht an und sein Ausdruck veränderte sich.
»So und wer soll dann die Mami sein. Du?« Ich lächelte etwas verlegen zurück.
»Darf ich euch daran erinnern, dass mein Kind John heißt«, sagte Anthony und blickte zu Raoul, der verdrossen dreinschaute und das Knistern zwischen Kyel und mir war verschwunden.
»Ja, ja schon gut. Little Johnny ist auf der Welt und jetzt ist er Big John«, murrte er und ging zu Kyel.
»Ich muss Sascha recht geben, steht dir wirklich.« doch er schien ihn gar nicht gehört zu haben, seine Augen hafteten auf mir und ein süßes Lächeln breitete sich auf Kyels Gesicht aus. Mir wurde es wieder warm, ziemlich warm und ich wischte mir die feucht gewordenen Hände an meiner Jeans ab.
Die Hebamme schmiss uns regelrecht aus dem Geburtensaal und Kyel und ich, traten den Heimweg an. Heimweg? Nun ja, wie sollte ich es sonst nennen. Immerhin übernachtete ich diese Nacht bei ihm oder zumindest verbrachte die restliche Nacht bei ihm. An Schlafen war nicht mehr zu denken.
Kaum waren wir bei ihm angelangt, schon drückte er mich gegen die Tür. Hielt einen Arm über meinem Kopf fest, schob mir die Zunge in den Mund und die andere Hand suchte, zwischen meinen Schenkel, forsch meine Eier, kniff rein und ich stöhnte unter seiner harten Berührung auf. Hatten wir vorher sanften, liebevollen Sex, so ging er nun brutaler ran. In seinen Augen war nichts von Rücksicht zu lesen, sondern purer Besitzanspruch. Geilheit, die er an mir befriedigen wollte, ob ich nun wollte oder nicht. Ob ich zu müde war oder nicht. Es war ihm egal. Er wollte mich nehmen und in seinen Bemühungen nicht nachlassen, bis ich es ihm gewährte. Mit seinem Bein schob er meine Beine auseinander und rieb sich an mir. Seine Küsse hatten nicht nachgelassen und ich spürte, dass er, wie ich, kaum noch Luft bekam. Er biss mir in die Lippe, zog daran und der kurze Schmerz, sowie dieses Wollen von ihm, ließen mich keuchen. Dieses Wissen erregte mich zutiefst. Brutal und erhitzend zugleich pochte mein Schwanz, ich krallte meine Nägel in sein Shirt und kratzte über seinen Rücken. Kyel keuchte auf und biss mir zur Antwort in den Hals. Wieder suchte er, unter lecken oder küssen, meinen Mund und saugte daran. Er löste seinen Griff um mein Handgelenk und ich half ihm, mein Shirt auszuziehen. Sofort visierte er meine Nippel an und umkreiste meinen Hof. Meine Nippel reckten sich ihm entgegen und wollten mehr.
Was machte er mit mir? Warum fühlte ich so? Warum behandelte er mich so brutal, so besitzergreifend und ich genoss es auch noch. Seine Hände bescherten mir den Himmel auf Erden. Seine Küsse waren süßer als die Kirsche auf der Sahne. Ich wollte es. So plötzlich, wie er mich gegen die Tür gedrückt hatte und ich ihm in die Augen sah, die Geilheit verrieten, so plötzlich stieg in mir die Erinnerung, an den weichen Ausdruck in seinem Gesicht hoch. Wie er, das neugeborenen Baby John ansah, wie er mich manchmal ansah, so weit weg und doch so nah, da wusste ich es.
»Ich liebe dich!«, flüsterte ich und abrupt hört er auf.
Das Verlangen war aus seinen Augen verschwunden und wieder dieser Sanftheit gewichen. Er war so überrascht, dass ich ihn von mir wegdrückte und er rücklings auf den Boden krachte. Sofort setzte ich mich auf ihn und leckte ihm über seinen Hals. Er packte mein Gesicht und verlangte, dass ich ihm in die Augen sah.
»Sag das noch mal!«
»Ich liebe dich!« Sein Blick erhellte sich und ich spürte, wie aus seinen Eingeweiden, tief unten, ein Schwall von überschwänglichem, überdimensionalem Jauchzen zu seiner Kehle hochkroch und er laut auflachte. Bevor ich mich versah oder selbst seine Überraschung verkraften konnte, lag ich unter ihm.
»Jetzt kommst du mir nicht mehr aus, mein kleiner Orkan. Jetzt hast du für den Rest deines Lebens ausgeschissen. Du bist Mein!« Er küsste über mein ganzes Gesicht und hörte wieder abrupt auf. Ich kicherte über sein urplötzliches komisches Gesicht. Er schien es nicht zu bemerken und meinte: »Hmm, das mit dem Baby, hat was!« Ich prustete los. Er kitzelte mich durch und wurde schlagartig wieder ernst. Die Sanftheit war aus seinen Augen verschwunden. Langsam beugte er sich zu mir runter, und wie ich es schon erwartet hatte, trafen sich unsere Lippen. Mehr forschend als sanft kreiste seine Zunge in meiner Mundhöhle und langsam fand er zu seiner anfänglichen Brutalität zurück. Immer härter küsste er mich und ich riss ihm das Shirt vom Leib. Meine und seine Jeans ließen auch nicht lange auf sich warten. Er drehte mich auf den Bauch, hob meine Hüfte an und leckte vom Rücken hinab zu meiner Spalte. Er stupste mit seiner Zunge an meinen Hintern und reizte mich. Ich keuchte, als ich seinen Finger in mir spürte und japste nach Luft, als er meine Stelle traf. Heftig stieß er den Finger in mich und ich spürte, dass ich mich für ihn weiter dehnte. Aber ich wollte es nicht. Ich wollte nicht wieder von ihm verwöhnt werden und entzog mich ihm. Ich kniete mich vor ihm hin und blickte ihn herausfordernd an.
»Steh auf!« Gott hatte er mich gereizt und mein Schwanz pochte.
»Ich will dich schmecken!«, keuchte ich und rieb selbst an mir. Ohne ein Wort stand er auf und reckte mir sein bestes Stück entgegen. Scheiße! Was machte ich da? Ich hatte noch nie jemanden einen geblasen und einen Rückzieher konnte ich auch nicht mehr machen. Mit leichten zittrigen Händen umschloss ich ihn und er stöhnte auf. Ich befeuchtete meine Lippen und küsste sanft seine Eichel. Er unterdrückte ein Keuchen und ich sah mich, in meinem Tun, bestärkt. Meine Zunge fuhr über seine zierliche kleine Spalte und ich schmeckte schon etwas von seinem wundervollen Saft. Wieder küsste ich ihn und dann umschloss ich, mit meinem Mund, seinen Schaft. Seine Hände kraulten meine Haare und er bewegte sich leicht. Weiter schob ich ihn in mich rein, bis mir der Würgereflex hochkam. Ich ignorierte es und nahm ihn aus meinem Mund. Ich küsste die dünne blaue Linie, runter bis zu seinen Eiern. Kyel hielt sich nicht mehr zurück und stöhnte auf.
»Ich halte es nicht mehr aus. Besorge es mir Sascha, mein kleiner Orkan!« Und er zog an meinen Haaren. Wieder nahm ich ihn ganz in meinem Mund auf und es dauerte nicht lange, bis er kam. Er drückte mich an sich ran und hielt mich fest. Warm war sein Saft, etwas schluckte ich und etwas lief mir an den Mundwinkeln runter. Kyel schmeckte fantastisch. Er zog mich hoch und blickte mich an. Sein Finger fing den Tropfen auf und wischte über meinen Mund. Langsam schob er ihn mir in den Mund und streichelte über meine Zunge.
»Der Blowjob hat dich etwas abgetörnt, obwohl du so gut warst«, flüsterte er mir ins Ohr.
»Ist gar nicht wahr!«, widersprach ich ihm und blickte an mir runter. Meine Spitze war geschwollen und glänzte vor Verlangen. Er folgte meinem Blick.
»So?! Dann muss ich mich wohl um dich kümmern.« Sofort zog er mich ins Schlafzimmer. Kyel schmiss mich aufs Bett und setzte sich auf mich drauf. Kurz streifte mich wieder seine Härte. Er war wieder hart, dick und groß und ich leckte mir genüsslich über die Lippen. Gott! Schmeckte er gut.
»Das wirst du jetzt bleiben lassen. Mehr Eigeninitiative erlaube ich dir nicht!« Glühende Augen sahen mich an und meine Vorfreude auf das, was nun mit mir geschah, überrannte mich. Er umgriff meinen Schwanz, rutschte etwas weiter nach unten und führte mich in ihn ein.
»Wow, was?«
»Schsch, dein Arsch ist schon entjungfert, jetzt kommt dein Schwanz dran!«, zischte er, während er ihn sich weiter reindrückte. In dem Moment wollte ich mehr und griff an seine Hüfte. Drückte mich ihm entgegen, und als ich vollständig in ihm drin war, keuchte ich nur noch. Er war warm und vor allem war er eng. Seine leichten kreisenden Bewegungen brachten mich um den Verstand.
»Ja, so ist es schön. Wie schön du bist!«, flüsterte er und zwickte in meine Nippel. Seine Bewegung wurde stärker, und jedes Mal, wenn ich seinen bestimmten Punkt traf, warf er seinen Kopf in den Nacken. Er keuchte nur noch und pumpte sich selbst. Immer heftiger wurde er und ich kam mit ihm nicht mehr mit. Ich ließ ihn mich reiten und wir brüllten fast buchstäblich unsere Lust gleichzeitig raus. Er wurde langsamer und schließlich legte er sich mit seinem Oberkörper auf mich. Lange dauerte es, bis er mich aus sich entließ.
Wir lagen nebeneinander, an Aufstehen oder duschen gehen, war gar nicht zu denken. Ich musste immer noch seine Enge und die Andersartigkeit des Sexes verarbeiten, dabei strich gedankenverloren über seinen Rücken. Ich hatte meine Augen geschlossen und spürte, wie er sich aufrichtete.
»Ich liebe dich!«, flüsterte er mir ins Ohr und knabberte an meinem Läppchen. Erschrocken öffnete ich die Augen und unsere Blicke trafen sich. Kyel gluckste und hauchte mir einen leichten Kuss zu, bevor er aufstand, und meinte, dass er Frühstück machen geht. Ich setzte mich auf und starrte ihm fassungslos hinterher.
›Hatte er das gerade wirklich zu mir gesagt?‹
Auf dem ganzen Weg zu mir nach Hause hing ich meinen Gedanken nach. Die ganze Zeit sah ich aber auch die Augen von Sarah, wie viel Schmerz und Schreck in ihnen lag. In nur einem einzigen Augenblick veränderten sie sich schlagartig und das im wahrsten Sinne des Wortes. Einen einzigen Schlag, den ihr Bruder einstecken musste. Diese Schwulette.
Warum stand er nicht seinen Mann und schlug zurück. Lieber ließ er sich schlagen, wie ein Mädchen. Gleich im selben Moment, wo ich dies dachte, huschten wieder andere Gedanken durch und ich murmelte wieder vor mich hin.
Ich würde mich auch nicht gegen meinen Vater wehren. Ich hatte mich nie gegen ihn gewehrt, wenn er wieder ausgerastet war und mir den Arsch versohlt hatte. Aber zum Glück hatten die Schläge aufgehört, als ich in die Pubertät kam. Wie ironisch. Ich kam in die Pubertät und er sah mich als einen ebenbürtigen Mann an und hatte mich auch seit dieser Zeit so behandelt. Auch die Bemerkungen: »Bist du schwul oder was?«, und das Wegschieben, wenn ich mal etwas Geborgenheit bei ihm gesucht hatte, blieben aus. Dad konnte nie sensibel mit mir umgehen und so lernte ich, wie es in der Welt zuging. Hart und wehe, man ging nicht den Weg der Normalität, der Angepasstheit, so galt man als Außenseiter und wurde aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Oft sah ich es. Sogar im Kindergarten fing es schon an. Ein Junge hatte die neuesten Turnschuhe, die an der Sohle aufleuchteten und schon musste sie jeder haben. Wenn du diese Schuhe nicht hattest, warst du nicht cool genug. In der Schule ging es weiter, Markenklamotten vom Feinsten, den Stil, der in Mode war, keine Ahnung, wie die Jeans hießen, aber sie waren so was von unbequem und hingen einem buchstäblich vom Arsch runter, dass man den Bund der Unterhose sah, mussten her. Es ging mit Handys weiter, i-Pod usw. Alles hing vom Angebot des Marktes ab.
Auch bei den Mädchen war dieser Wahn ausgebrochen, Diäten und Hungerkuren standen an, kaum, dass ihre Brüste einen Ansatz zeigten, und wehe, sie hatten ein Kilo mehr auf der Waage, schon waren sie ausgeschlossen.
Selbst die Rassenspaltung sah man in den Pausen noch oft genug. Schwarz blieb bei Schwarz, Weiß blieb bei Weiß. Nur selten waren mal Freunde, aus unterschiedlicher Rassenzugehörigkeit, in den Pausen zusammen unterwegs und wenn, dann auch nur für den Bruchteil von einer Minute, nur um nicht so viel Aufsehen zu erregen, obwohl jeder wusste, dass dies die besten Freunde waren.
Dieses stumme Abkommen sah man selbst an jeder Ecke in der Stadt. Nur da war es so, dass Arme bei Armen blieben, Mittelstand blieb bei Mittelstand und die Reichen blieben bei den Reichen. Auch Clans herrschten in der Stadt und kämpften um ihr Ansehen, bei Skateboarden oder Rollerskaten. Dennoch gab es da immer einen Hauch von Akzeptanz, aber wehe, du gestehst die eigene sexuelle Neigung. Schwul. Schwul ist so abartig. Männer, die nur mit Männern schliefen und sich liebten, nur allein der Gedanke daran, mich in einen Mann zu verlieben, trieb mir die Gänsehaut über meinen Körper. Lesben wurden von den Männern schon wieder anders angesehen. Es gab nichts Schöneres, als zwei Frauen dabei zuzuschauen, wie sie sich gegenseitig leckten und die Finger reinsteckten und Bi, war wieder so ein Zwischending. Es wurde akzeptiert, wenn ein Mann mit einem Mann Sex hatte und sich dennoch an Frauen orientiert. Und bisexuelle Frauen wurden komplett akzeptiert. Aber komplett schwul? Nein danke. Warum eigentlich machte ich mir solche Gedanken? Das war abartig, aber irgendetwas war in dem Blick von dem reichen Schnösel, dass mir zu denken gab oder diese Andeutung von Sascha im Krankenhaus. Als der Kerl aus dem Zimmer ging, huschte für einen kleinen Moment ein Leuchten durch Saschas Augen und seine Mundwinkel zuckten etwas. Ich verstand es nicht. Ich verstand Sascha nicht. Wie konnte er schwul sein, wo sich die Frauen reihenweise nach ihm umsahen. Er könnte an jedem Finger drei haben, aber nein. Er war ein Schwanzlutscher.
Ich stand vor meiner Haustür und war unschlüssig, ob ich reingehen sollte oder nicht. Was erwartete mich dort? Nichts. Außer, das Mom sich, in der Küche, die Kante gab und Dad vorm Computer hockte und zockte. Ein typischer Freitagabend eben. Mich erwartete daheim nichts.
ch da fiel mir ein, dass Ben, mein großer Bruder da war. Ich hoffte, mit seiner Tochter, da hätte ich wenigstens etwas Ablenkung. Er hatte es geschafft, hier aus dem tristen, öden und langweiligen Land zu verschwinden. Zuerst ging er nach Kanada, hatte da seine Laufbahn als Eishockeyspieler angetreten und seit über zwei Jahren lebte er in Deutschland. Er und Juliana hatten sich in Deutschland ein kleines Sportgeschäft eingerichtet. Dort spielte er eigentlich nicht mehr als Profi, obwohl die Deutschen ihn in den Kader reingenommen hatten, der dieses Jahr bei der Weltmeisterschaft antrat, und er als Amerikaner für Deutschland spielte. Er hatte eben einen ausgeprägten Mannschaftsgeist. Ich persönlich hätte es lieber gesehen, wenn er für Amerika spielte, aber sie waren so grottenschlecht, dass sie es nicht geschafft hatten, aufgestellt zu werden. Also drückte ich dieses Jahr für Deutschland die Daumen. Ich schloss die Tür auf und schon kam etwas auf mich zu gestürmt.
»Onkel David!« Moment Onkel, warte was war das schnell wieder. Scheiße, die deutsche Sprache ließ wieder zu wünschen übrig. Für einen kurzen Moment wünschte ich, Sascha wäre hier, der mir das schnell übersetzte.
»Uncle David. Annalena versuche bitte englisch zu sprechen«, hörte ich meinen Bruder seine Tochter ermahnen und sah Ben, der mich, wie immer verschmitzt, anlächelte. Ich ließ meine kleine Nichte runter und wir umarmten uns kurz.
»Man bist du groß geworden und aus dir ist ein richtiger Mann geworden«, meinte er und musterte mich von oben nach unten.
»Was macht der Football?« Ich zuckte mit den Schultern.
»Ich habe das Stipendium noch nicht in der Tasche.«
»Papa, ich habe Hunger …«
»Annalena, du sollst doch englisch reden …«
»Ist schon in Ordnung, wenn ich was nicht verstehe, dann frage ich eben noch einmal nach!«, zwinkerte ich Annalena zu. Sie war wirklich ein kleiner Hurrikan. Mit ihren knappen zehn Jahren war sie fast schon eine richtige Lady und benahm sich auch so.
»Siehst du, Onkel David versteht mich auch so …«
»Ja, das merke ich, wenn ihr beide euch über Videochat unterhaltet. Da werden immer die Übersetzungen hin und her geschoben.«
»David, wo ist Sascha. Ich wollte ihn mal kennenlernen …« Schock, was sagte ich nun zu ihr.
»Annalena. Sascha und ich, wir sind keine Freunde mehr!« Mit großen Augen starrte sie mich an.
»Aber warum? Ich habe mich so auf ihn gefreut!«
»Wir haben uns gestritten und seitdem gehen wir uns aus dem Weg.«
»Dann gebt euch die Hände und alles ist wieder gut.« Ich lächelte sie leicht an und meinte, dass sie mich endlich mal in die Wohnung lassen sollte.
Annalena verstand besser englisch, als ich gedacht hatte, aber es war ja kein Wunder, da sie zweisprachig aufwuchs. Sie rannte zurück in die Küche und ging Mom auf die Nerven.
»Was ist passiert? Ich habe mich letztens schon gewundert, warum Sascha seit einiger Zeit nicht mehr bei dir ist oder es keine Videokonferenzschaltung über Skype mehr gibt.«
»Wie ich schon sagte, wir haben uns gestritten und seitdem gehen wir uns aus dem Weg«, mehr wollte ich dazu nicht sagen. Wenn ich mit der Sprache rausrückte, dass Sascha schwul sei, war hier was geboten und öffentliche Streiks waren für die nächsten Wochen an der Tagesordnung. Mom und Dad waren eingeschworene Verfechter für jegliche Art von Streiks. Gegen Abtreibung, gegen Massenhaltung in der Viehzucht, gegen Rassenhass oder mal für den Rassenhass, je nach dem Begehren der Einwohner, gegen irgendeine Art von einer Religion usw., und wenn sie erfahren würden, dass Sascha schwul war und ich mir darüber starke Gedanken machte, dann stand bald der nächste Streik vor der Tür. Das wiederum wollte ich vermeiden, weil ich immerhin Sarah zurückwollte und Sascha noch einen Denkzettel verpassen, damit er endlich zur Vernunft kam. Und nicht, dass er und seine Familie davon gejagt wurden und alle, die mit ihnen in Kontakt waren, in der Gesellschaft als Schwulenliebhaber, abgestempelt wurden. Sprich seine Mutter würde ihren Job verlieren und sein Vater würde das Ansehen von Kastner Import & Export in den Dreck ziehen. Vor allem hätte ich ausgeschissen, wenn Sarah sich für ihren Bruder entschied, würde ich dann selbst als tuntenfreundlich gelten. Ähh … Igitt.
Juliana und Mom unterhielten sich, in der Küche, angeregt über die neuste Mode. Mom sah heute wieder besonders schön aus. Es war immer ein Wunder, wie sie sich verwandeln konnte, wenn Besuch anstand. Keinen ihrer durchgesoffenen Tage sah man ihr an und die Haare waren auch gewaschen und aufgestylt.
»Ach David, du bist hier? Ich dachte, du bleibst bei Sarah!«, begrüßte mich Mom und ich vermied es, ihr in die Augen zu schauen. Leider wusste ich auch, dass sie es sich denken konnte.
»Ihr habt euch gestritten, wieder einmal!« So leicht war das nun auch wieder nicht und ich schnaubte.
»Sie hat Schluss gemacht.« Ihre Augen wurden groß, aber sie sagte nichts dazu und schüttelte nur den Kopf.
»Das ist ja wieder einmal typisch für dich, David. Da rennst du seit Jahren dem Mädchen hinterher und dann hast du sie und schaffst es nicht einmal, sie zu halten. Was für ein Loser!«, murmelte Dad und sog scharf die Luft ein. Hätte ich mir denken können, dass er wieder einen solch sinnlosen Kommentar abgab. Es wäre nicht mein Dad, wenn er nicht versuchte, mich bei jedem Ding fertigzumachen.
»Das renkt sich schon wieder ein!«, frohlockte Mom und deutete mir, dass ich mich an den Tisch setzen sollte, weil das Abendessen bald fertig war. Abendessen, was wahrscheinlich wieder nur aus Obst, Gemüse und Salat bestand. Mir machte es nichts aus, weil ich Vegetarier war, aber Ben, der war ein Fleischesser. Es würde mich nicht wundern, wenn er vorher noch bei McD war und einen extragroßen Burger gegessen hätte. Nach dem Essen nahm ich Annalena und ging mit ihr noch etwas spazieren, weil es das Wetter zuließ.
»Hey, was geht ab!«, hörte ich Benny aus dem Lautsprecher sprechen. Ein hoch auf Skype mit seinem Gruppenchat. »Lust noch etwas ins High Skills zu fahren? Bräute aufreißen?«
»Nee du, meine Nichte ist hier und ich habe ihr versprochen, dass ich mit ihr fernsehe …«
»Weichei …!«
»Apropos Weichei, wer hat die Hosen voll gehabt und die E-Mail vor lauter Schiss nicht abgeschickt.« Ich hatte Benny wieder da, wo ich ihn haben wollte. Er war ein typischer Mitläufer, und da ich der angesehene Junge auf der Schule war, war es nur normal für ihn, für mich Botengänge zu erledigen.
»Sag mal, wie hat es Sascha eigentlich aufgenommen, als er dich und Sarah auf der Toilette erwischt hat …?«, fragte Marvin ein Teamkollege aus der Oberstufe. Der ebenfalls im Chat mit mir war. »Hast du ihn noch erwischt?«
»Nein, ich habe ihn nicht erwischt und Sascha ist es furzegal. Der war einfach da, hat sich die Hände gewaschen und gemeint Sarah wäre noch in ihrer fruchtbaren Phase. Könnt ihr euch vorstellen, der hatte uns mit einem Blick angeschaut, da wäre sogar die Sahara gefroren.«
»Also war er geschockt, als du sie …!«
»Nein, absolut nicht, aber ich werde ihn noch in die Finger bekommen …«
»Ich habe da so eine Idee, als vorgeschobenes Geburtstagsgeschenk«, meinte Marvin und seine Augen leuchteten schelmisch auf.
»Was willst du ihm das Brotzeitgeld aus der Tasche ziehen, sein Handy abnehmen und in der Toilette versenken, oder seinen Kopf …«
»Solch Kindereien doch nicht. Etwas, was ganz anderes. Etwas Exklusiveres und jeder müsste was dazu beisteuern.« Ich wurde hellhörig. Besonders, wenn Marvin mit Exklusiveres begann, dann war es wirklich was Ausgefallenes.
»Was hast du vor?«
»Wie gesagt, es ist nur ein Vorschlag, und wenn wir ihn durchziehen, dann müsste jeder was dazu beisteuern und vor allem dabei sein und keiner zieht seinen Schwanz ein.«
»Jetzt raus mit der Sprache!«
Wie geil war das denn. So eine ausgefuchste Idee. Die hätte von mir stammen können und ich freute mich schon auf das nächste Wochenende. Aber zuvor musste ich an ihn rankommen und das ging nur über seine Schwester. Sarah um den Finger wickeln war einfach. »Sag ihr einfach das, was sie hören will, setze einen Hundeblick auf und schon hast du sie. Aber Sascha davon zu überzeugen, dass es mir leidtat, was ich die ganzen Monate mit ihm gemacht habe und halbwegs, sein Vertrauen wiederzugewinnen, wird schwieriger«, dachte ich. Und wenn es scheiterte, dann würden wir den Termin eine Woche später ansetzen.
Wie gedacht, ging Sarah nicht auf meine Anrufe ein. Antwortete auf keine SMS, also blieb mir nichts anderes übrig, als sie vor der Schule abzufangen. Auch ihre Reaktion mir gegenüber war vorherzusehen. Ich wollte sie wieder zurückhaben. Egal was es mich kostete. Um total fertig auszuschauen, brauchte ich mich nicht allzu sehr anstrengen, da ich mich das ganze Wochenende nach ihr gesehnt hatte und ich wollte sie lieber vorgestern als heute, wieder in meinem Bett haben. Auch wenn sie eine Tunte als Bruder hatte, so wusste ich dennoch, dass ich sie liebte. Ich wollte sie wieder haben und dafür waren mir sämtliche Mittel recht.
Der Typ nervte, und zwar tierisch. Warum konnten es die Typen einfach nicht verstehen, wenn eine Frau Schluss machte. Es war einfach zum Ausrasten. Ich konnte nicht in Ruhe mit meiner Freundin telefonieren, ohne dass ›Er‹ ständig anrief. War mein Handy ausgeschaltet, so hatte ich Tausende Nachrichten, sobald ich es wieder einschaltete, und genauso viele Anrufe von ihm. Gott, der Typ nervte wirklich, Mega. So ging es das ganze Wochenende und am Montagmorgen vor der Schule, fing er mich ab.
»David, was ist?«, genervt drückte ich mir auf die Nasenwurzel.
»Ich will mit dir reden.«
»Aber ich nicht mit dir und jetzt hau ab!« Ich schaute zu meinen Freundinnen, die auch schon ungeduldig waren und mir mit ihren unwirschen Handbewegungen zeigten, dass ich weitermachen sollte.
»Sarah, bitte!« Ich verdrehte meine Augen, um ehrlich zu sein, wollte ich auch mit ihm reden. Vielleicht hatte er sich für mich geändert. Er war nicht übel. Ich mochte ihn schon von Anfang an, aber damals, war er mir gegenüber immer ein Großkotz und nun, nach einer kaum zweiwöchigen Beziehung war es ein Desaster. Sicher, er war mir gegenüber lieb und nett und hatte mir reihenweise Orgasmen geschenkt, was die anderen, die ich gehabt hatte, nicht geschafft hatten. Aber eine Beziehung nur wegen der Orgasmen aufrechterhalten oder weiterzuführen, wollte ich nun wirklich nicht. Es war schön mit David und er hatte mir einiges beigebracht, aber nun war Schluss.
»Hör doch mal zu!«, flehte er und es sah nicht so aus, als ob er sich über mich lustig machen wollte oder vor seinen sogenannten Freunden wieder, als der Hecht dastehen wollte. Ich blickte mich um und sah Sascha, wie er in die Schule huschte. Den Kopf eingezogen, den Rucksack über einer Schulter, mehr verkrampft als lässig, gehängt und er vermied es, irgendjemand zu Nahe zu kommen. Oder wie es eigentlich in dem Gedränge unvermeidbar war, jemand anzurempeln oder angerempelt zu werden. Ich schnaubte und ein Stich durchfuhr mich. Wie konnte ich mich ihm gegenüber genauso verhalten, wie all die anderen. Es war unentschuldbar.
»Ja, um ihn geht es«, hörte ich David und blickte ihn überrascht an. Irgendwie hatte ich dennoch die Worte nicht verstanden. »Sarah, ich sehe, wie du dir um ihn Sorgen machst und ich muss eingestehen, ich verstehe es nicht!«
»Was? Dass ich mir Sorgen um meinen Bruder mache, der weniger zu Hause ist, als sonst? Der von Dad zwei brutale Ohrfeigen bekam und später aus dem Bett gezogen wurde, weil er am Essenstisch zu erscheinen hat. Der damit rechnen muss, nächsten Monat als verrückt eingestuft zu werden, nur weil er auf sein eigenes Geschlecht steht. Der vielleicht endlich sein Glück und Liebe gefunden hat, die er von uns nicht bekommt, weil wir allesamt Mitläufer von einem gewissen Typen sind, nur um nicht in seine Ungnade zu fallen? Du bist so ein Arsch. - Weißt du, was mich am meisten beschäftigt hat, dass ein wildfremder Mann sich mehr um Sascha gekümmert hat, als seine eigene Familie.«
»Was sagst du da?«
»Ja, du hast richtig gehört. Ist es nicht verwunderlich, dass Mr. Kastner im Krankenhaus zu Besuch bei Sascha war. Also ich habe mich schon gewundert.«
»Das ist nur normal, weil er ihn im Zimmer zusammengebrochen vorgefunden hatte«, wehrte er ab, aber ich hatte das Gefühl, das David das selber nicht so recht glauben wollte. Es war schon Zufall, dass Mr. Kastner im Zimmer von Sascha stand, obwohl ihm vorher der Weg zur Toilette erklärt worden war. Vor allem, ja, nun wo ich mich genau erinnerte. Sascha brach am Montag zusammen und Mr. Kastner war das erste Mal am Samstag bei uns. Meine Freundinnen riefen mich und vergessen war die Sache.
»Also, was ist, reden wir noch einmal darüber oder ist für dich alles vorbei?«, fragte er mich und ich sah in seinen Augen, Hoffnung? Konnte das sein? Gott, der Typ machte mich wahnsinnig. Wieder riefen mich meine Freundinnen und ich sagte David zu.
»Um halb acht im Park«, wenn er schon mit mir reden wollte, bestimmte ich Ort und Zeitpunkt, dann ließ ich ihn stehen.
Wow, langatmiger konnte der Unterricht nun wirklich nicht sein und ich freute mich, als die Pausenglocke ertönte. Ich hatte mich mit meinen Freundinnen auf der Toilette verabredet und wie üblich gab es nichts Neues. Sue feierte wie erwartet irgendeine Party. Sie konnte es sich leisten, auch wenn Dad nun Vorstandmitglied war, so konnten wir immer noch nicht, wie Dad immer sagte, so mit Geld rumprahlen, wie Sue. Ihr Großvater war ein Gründungsmitglied von Kastner Import & Export und schwamm buchstäblich im Geld.
Meinen Führerschein hatte ich seit einem halben Jahr. Und wo blieb mein Auto? Ich musste warten, bis ich neunzehn wurde. Wahrscheinlich bekam ich dann die alte Schindmähre von Audi, die Dad seit der Steinzeit fuhr. Es waren immer noch knapp zwei Wochen.
»Hi, Sarah!«, oh schrecklich, diese Stimme, wenn man an den Teufel dachte, waren diese Stimme und er eins.
»Hi Sue, gut siehst du aus!« Das typische Begrüßungsritual für sie. Das Hi wirklich übertönt schrill, hoch und lang ausgesprochen wie HHHHIIIIIIIII, danach ihren Namen lang gezogen und dann das andere. Besonders musste man sie jeden Tag von oben nach unten mustern und wieder zurück, um auch wirklich nichts zu vergessen. Also ich fange noch mal an. HHHHHIIIIIII SSSuuuee, du siieehst gut aus, oh wow, sind das die neuesten Slipper. Die sind ja so was von In … und so ging es weiter. Vor allem sollte man am besten noch berühmte Schauspielerinnen miteinbeziehen, die die neuesten Klamotten, Frisur, Schminke oder Schuhe hatten, denn sobald es rauskam, hatte es Sue auch. Es hatte nur Sue, denn ein normaler Bürger konnte sich so etwas nicht leisten. Sie winkte ab, sobald sie von mir genug Aufmerksamkeit bekommen hatte.
»Sarah, was ich dich fragen wollte, wo feierst du deinen Geburtstag, ich hoffe doch nicht, bei dir daheim, in dieser kleinen schäbigen Wohnung!« Schlag, Vorschlaghammer, Hammerwerk, 'ne ganze Werkstatt brach plötzlich über mich rein.
»Wie … was?«
»Ich frage dich, wo du deinen Geburtstag feierst, weil, wenn du ihn daheim …!« Den Rest kannte ich schon. Sie würde nicht kommen, wenn ich daheim feiern würde. Außerdem hatte ich dieses Biest gar nicht eingeladen. Oh, ich vergaß, das brauchte eine Sue Nick-Freim nicht. Sie kam einfach. Sie sah es als ihre Pflicht an, die Familien der Arbeitskollegen ihres Großvaters mit ihrer Anwesenheit zu beehren, ob diese es wollten oder nicht.
»Daheim, warum?« Sie rümpfte die Nase.
»Liebes, um angesehen zu sein, musst du schon mehr bieten, als eine kleine Mietwohnung. Außerdem kannst du so was nicht bringen …«
»Ahhh, Suue sind das die neuesten Ohrstecker, die sind ja zum aus der Haut fahren!«, schrie ich fast vor Enthusiasmus und ich hatte sie wieder da, wo ich sie wollte.
Den Rest der Pause verbrachte ich mit meinen Freundinnen, die sich ungeniert über David ausließen und mir auch sämtliche Vorwürfe an den Kopf warfen, weil ich ja wieder Zeit für sie hatte und nicht mehr David an den Lippen klebte.
Gott, womit hatte ich das verdient, ich wusste, dass jedes zweite Mädchen, wenn nicht jedes Mädchen, mich lieber tot gesehen hätte, in der Zeit wo ich wirklich an ihm hing. Ich klebte förmlich an ihm und nun bekam ich nur Schadenfreude ins Gesicht geschleudert und siehe da, wer sich gerade an David ranmachte. Sue. Ich wandte mich ab. Ich wollte es nicht sehen und doch hing ich an den beiden fest. Sah, wie sie mit ihren manikürten Fingernägeln über seinem Oberarm fuhr. Gänsehaut stieg in mir auf. Ich wusste genau, wie sensibel er in dieser Region war, wie er darauf reagierte.
Der Unterricht fing wieder an und ich sah, dass die hinterste Bank leer war. Wo war Sascha? Hmm, der würde sich wohl etwas verspäten, was sehr üblich für ihn war. Entweder war er der Erste, der in der Klasse hockte oder er war der Letzte, der kurz nach dem Gong im Zimmer auftauchte. Während des Unterrichts bemerkte ich, wie Mr. Clancy, den ich gefressen hatte, immer wieder zu dem leeren Platz blickte.
Wow, selten hatte ich einen Menschen so gefressen, wenn ich ihn schon sah, ging in mir das Schnappmesser auf. Der Alte ey. Der war so ein Ekeltyp, ich war froh, dass Dad ihn auf meine Bitte oder besser gesagt, auf mein Flehen hin entließ und der private Englischunterricht wegfiel. Es war nichts vorgefallen, aber ich hatte damals mit vierzehn einfach keine Lust, nachmittags im Haus zu verbringen, während Sascha, das ›Wunderkind‹ draußen mit seinen Freunden Spaß hatte. Ich wollte, genauso wie Sascha, Freizeit haben. Englisch hatte ich auch so gelernt. Leider nicht so schnell, wie mein Bruder und deswegen hatte ich auch ziemliche Probleme in der Schule.
Na ja, Okay, so schlecht war er auch nicht. Er war halt ein Lehrer, mit einem Alter, das schon an den Neandertaler erinnert. Etwas über vierzig oder so was, halt einfach alt und total konservativ eingestellt. Wenn es nach dem Lehrer ginge, sollten wir alle Schuluniformen tragen, die Jungs sollten sich einen Militärhaarschnitt zulegen und die Mädchen ihre Haare zu einem strengen Zopf gebunden tragen und keine Schminke. Manchmal kam es mir wirklich vor, als ob er sein ganzes Leben beim Militär verbracht hatte, wo Männer in den Krieg zogen und die Frauen daheim vor dem Herd standen und auf den Nachwuchs aufpassten. Oder noch früher, wo die Männer auf die Jagd gingen und die Frauen die Höhlen säuberten und auf den Nachwuchs aufpassten.
Sascha kam erst nach der zweiten Pause wieder in den Unterricht und handelte sich von Mr. Clancy gleich Nachsitzen ein. Wie immer nahm Sascha es einfach hin ohne eine Erklärung abzugeben, warum er fast zwei Stunden abwesend war.
Nach der Schule traf ich mich mit Jenny, es war schön bei ihr zu sein. Sie war immer da, wenn ich sie brauchte, und stand mir mit Rat und Tat zur Seite. Ich musste sie fragen, ob ich mich wirklich mit David treffen sollte oder nicht.
Jenny war eine gute Seele. Sie war die Schulbeste neben Sue. Sie war die Anlaufstelle für jede Art von Informationen. Sie arbeitete für die Schulzeitung und hatte sich damals dermaßen gegen einen Bericht über Schwule in der Zeitung gewehrt, obwohl die ganze Schule in heller Aufregung war. Manchmal glaubte ich, dass sie den Artikel hätte schreiben sollen, dann wäre Sascha vielleicht einiges erspart geblieben.
Sie war es auch, die gesagt hatte, »ist mir doch egal, ob er schwul ist oder nicht«, ich hatte es nicht verstanden.
»Sag mal, warum habe ich jetzt die Ehre?«, fragte sie mich und tippte auf ihrem Laptop. Sie konnte einfach alles auf irgendeine Weise gleichzeitig.
»Ich weiß nicht …«
»Hmm, du willst nur die Bestätigung, ob du dich mit David treffen sollst oder nicht …«, dachte ich mir doch, dass sie es wusste, und sie tippte unbeirrt einfach weiter.
»Irgendwie schon!«
»Willst du dich mit ihm treffen?«
»Ich weiß nicht.«
»Ich denke, du willst dich mit ihm treffen, hast aber Angst, dass es nach hinten losgehen kann.« Sie hörte mit dem Tippen auf und zählte auf. »Du verlierst deine Standfestigkeit und lässt dich wieder mit ihm ein, damit gibst du etwas von deiner Persönlichkeit auf. - Du landest mit ihm wieder im Bett. - Du wirst das Gespött seiner Freunde und als leicht zu haben abgestempelt, obwohl du diesen Ruf schon hast.«
»Ich habe diesen Ruf nicht!«
»Nicht?« Sie fing wieder das Tippen an. »Sarah! Tu dir einen Gefallen, das erste Mal in deinem Leben und höre auf dich selbst. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Du weißt, wie ich auf David zu sprechen bin und alles, was mit ihm zu tun hat, ist für mich ein rotes Tuch.« Ich beobachtete sie noch ungefähr eine halbe Stunde und dann ging ich heim.
Mom und Dad waren nicht zu Hause. Mom würde erst so um zehn, nach ihrer Schicht im Krankenhaus heimkommen und Dad, ich wusste es nicht. Er verbrachte die meiste Zeit eh in der Firma oder in irgendeiner Kneipe. Daheim war er so gut wie nie, und wenn er mal hier war, dann verschanzte er sich in sein Arbeitszimmer und ging danach stockbesoffen ins Bett. Aber seine Regeln, die mussten immer eingehalten werden. Was für ein Kontrollfreak.
Also hatte ich noch genügend Zeit mich fertigzumachen. Fertig machen, für wen? Wenn ich mal fragen durfte? Für David? Ich wusste es nicht. Ich wollte ihn sehen, ja das schon, aber wollte ich wieder mit ihm zusammen sein? Keine Ahnung. Ich ließ es einfach auf mich zukommen.
Da Sascha die ganze Zeit das Moped beanspruchte, sah ich mich gezwungen zu Fuß zu gehen. Zum Park war es ein Marsch von ca. 20 Minuten. Ich wollte schon einen Fuß vor die Tür setzen, als sie aufgestoßen wurde. Dad kam heim und verschwand gleich drauf in seinem Arbeitszimmer. Ohne Hallo oder irgendwas. Kopfschüttelnd schaute ich ihm hinterher und er kam wieder raus.
»Gehst du fort?«, fragte er mich.
»Ja, ich treffe mich mit David im Park.«
»Ah … dann viel Spaß. Wenn du Mom siehst, sag ihr bitte Bescheid, dass ich heute Abend später nach Hause komme!« Und schon schloss sich die Tür. Ich schnaubte und ging.
Das Wetter war sehr schön. Viel Sonnenschein und ich ging in den Park. Am liebsten würde ich ein Eis in der Eisdiele essen. Der Kellner Tim sah einfach schnuckelig aus. Dani eine meiner Freundinnen hatte ein Auge auf ihn geworfen und flirtete jede freie Minute mit ihm. Ich würde mich freuen, wenn es was wird.
Lange dauerte es nicht und ich war durchgeschwitzt. Ich simste mit meinen Freundinnen und viele hielten mich für voll doof, weil ich mich wieder mit David traf. Langsam war ich wirklich genervt von ihrem ständigen guten Zureden und ich bog in den Park ein.
Ich schlenderte um den Teich und sah ihn schon auf unserer Bank sitzen. »Er sah noch fertiger aus, als heute früh in der Schule«, dachte ich, während ich mir eine Strähne meines rotbraun gefärbten Haares aus der Stirn strich. Ich konnte meine Naturfarbe noch nie leiden, sie war farblos und stumpf. Sascha hingegen war mit kräftigen dunklen Haaren gesegneter. Schon immer hatte ich den Verdacht, dass ich das ganze schlechte Äußere von Mom und Dad geerbt hatte und Sascha das ganze Gute.
Er hatte mich gesehen, machte aber keine Anstalten mir entgegenzulaufen, wie er es sonst immer gemacht hatte. Ein Stich durchfuhr mein Herz, weil er wirklich keine Regung zeigte, sondern darauf wartete, bis ich mich neben ihn gesetzt hatte. Dies tat ich. Lehnte mich zurück, verschränkte meine Arme vor der Brust und schlug meine Beine über. Mein Gesicht streckte ich der Sonne entgegen und wartete. Aber David machte wieder keine Anstalten etwas zu tun oder zu sagen. Einige Minuten vergingen ohne, dass jemand sprach, bis mir der Geduldsfaden riss und ich das Wort ergriff.
»Also, was ist? Du wolltest mit mir reden?« Er rührte sich nicht und ich sah, dass er mit sich selbst rang. Ich gab ihm die Zeit sich zu sammeln. Mein Handy klingelte und ich ignorierte es. David blickte mich an.
»Willst du nicht rangehen?«
»Warum sollte ich? Ich kann später immer noch zurückrufen.«
»So …« Wieder verfiel er in Schweigen und ich schloss meine Augen. Die Sonne war einfach herrlich. Ich war mir nicht sicher, aber ich könnte schwören, dass David ab und zu, zu mir rüberschielte.
»Ich, ich will nicht, dass Schluss ist.« Dachte ich es mir doch. Der wollte mich zurückhaben, aber so leicht machte ich es ihm nicht.
»Hmm!«, kam es nur durch meine geschlossenen Lippen.
»Ich mein, der Grund …« er hielt inne. »Also der Grund, warum du Schluss gemacht hast, ist bescheuert.« Ich wandte mich von der Sonne ab und blickte ihn von der Seite an.
»Warum ist er bescheuert? Ich stehe nur hinter Sascha.«
»Hast du früher auch nie getan …«
»Früher habe ich nicht gewusst, dass er schwul ist …«
»Sprich das Wort nicht aus!«, fuhr er mich an und ich erschrak. Lange stierte ich in seine Augen. Das Wechselbad seiner Gefühle spiegelte sich in ihnen und ich atmete tief ein.
»Ich mein, es …«
»Er ist schwul, daran kann man nichts machen. Entweder akzeptierst du es und lässt ihn in Ruhe oder du akzeptierst es nicht und lässt ihn dennoch in Ruhe.«
»Aber ich vermisse unsere gemeinsame Zeit?« Hä! Was?
»Was meinst du jetzt. Unsere gemeinsame Zeit, die fast nur aus Poppen bestand oder die Zeit, wo du und Sascha, noch Dicke wart?«
»Beides.« Beides? Ich glaubte, mich verhört zu haben. Nun schloss ich meinen Mund und spitzte die Ohren. Nur mit meiner Hand deutete ich ihm, dass er weiterreden sollte. Ich sah es ihm an, dass es schwer an ihm nagte, dass es ihm peinlich war oder er sich selbst einen Stoß versetzen musste, um endlich mit der Sprache rauszurücken.
»Ich … ich bin bi …« WAS? Ich glaubte, mich verhört zu haben. Ich wollte ihn schon als ein Schwein beschimpfen, besann mich aber im letzten Moment. Okay, okay, also das musste ich erst einmal verkraften und atmete tief durch. Ich hoffte in dem Moment nur, dass er meinen Schock nicht sah. Doch er sprach weiter.
»Ich liebe es, wenn ein Schwanz in mir steckt und ich liebe es, wenn mein Schwanz in einer Möse steckt. Was soll ich sagen? Ich habe keinen Plan. Wenn ich es total nötig habe, dann gehe ich ins Glamour, lass mir schnell einen blasen oder mich in den Arsch ficken. Verstehst du? Ich mag es mit beiden Geschlechtern und was mich wirklich geschockt hat, war nicht, dass Sascha schwul ist, sondern, dass er mich nicht wollte. In seinen Augen war einfach nichts von dem da, was ich mir eines Tages einmal von ihm erhofft habe. Da war nichts. Nichts.« Er hielt kurz inne und fuhr dann fort: »Ich mein, ich war in Sascha verliebt, schon immer, irgendwie. Mir wurde es bewusst, als …« Er hielt wieder inne. »Am Anfang war ich geschockt, weil ich es nicht verstand, warum gerade Sascha schwul sei. Ich mein, ich war ein Mann, ein richtiger Mann. Von schwul sein, war da gar nicht die Rede. Mädchen waren angesagt, bis … bis ich ihm begegnete …«
Ich war schon versucht David zu fragen, wem er begegnete, aber er sprach weiter und schien sehr weit weg zu sein. »Er war so lieb, so sanft und zeigte mir, was es bedeutet wirklich durchgeknallt zu werden. Aber so richtig, dass du danach drei Stunden nichts mehr gebraucht hast, als nur zu schlafen.« Langsam wurde es wirr und ich wagte zu fragen:
»Wann hast du bemerkt, dass du bi bist?«
»Auf dem Schulfest. Da bin ich ihm begegnet. Na ja, ist egal. Er ist fort. Aber seit dieser Zeit … Sarah seit dieser Zeit habe ich, ich mein … ich weiß, dass ich bi bin. Wenn mir ein Typ überm Weg läuft, der mir gefällt, der diese Anzeichen hat. Ich mein, ich weiß, worauf ich schauen muss, dann schnappe ich ihn mir oder er schnappt mich. Es beruht auf Gegenseitigkeit. So war es auch bei den Mädchen, wenn eine bei drei nicht auf dem Baum war, dann landete sie in meinem Bett, oder wie es oft vorkam, hinter irgendeinem Busch. Aber bei Sascha, da suchte ich vergebens nach diesen Anzeichen, erst im Krankenhaus ist es mir aufgefallen. Sascha hat einen Freund. Ich freute mich für ihn, und da ich dich hatte, war mein Leben perfekt. Ich habe in der Zeit mit dir nie daran gedacht, mir es von einem Schwanz besorgen zu lassen, sondern habe nur an dich gedacht.« Ich sagte nichts und er blickte auch nicht zu mir. David erwartete keine Antwort, sondern lächelte plötzlich. »So muss sich Sascha gefühlt haben, als er es mir damals gesagt hat. Aber ich habe mich wie ein Arsch verhalten.« Seine Augen füllten sich mit Tränen und ich berührte sanft seine Finger. Erst da realisierte er, dass ich noch neben ihm saß, und starrte mich geschockt an.
»Ich bin nicht du, David. Ich hatte Zeit genug mich damit abzufinden, dass es noch etwas anderes im Leben gibt, als Mann mit Frau.«
»Du verstehst nicht. Ich liebe dich, Sarah!«
»Doch ich verstehe dich sehr gut. Du hast mir dein größtes Geheimnis anvertraut und fühlst im Moment die gleiche Angst, wie Sascha sie gefühlt hat, damals, als er es dir gesagt hat. Doch wie gesagt ich bin nicht du.« Es wurde mir warm, als ich in seine Augen sah, da war wirklich nur Liebe und das Geständnis, das er mir gemacht hatte, war ein einziger Liebesbeweis. Langsam beugte ich mich zu ihm und suchte etwas verlegen seine Lippen. Als ich sie schon fast berührte, fragte ich: »Darf ich?« Plötzlich umgriff er meinen Nacken und zog mich an sich heran. Fordernd zwang er seine Zunge in meinen Mund und bald waren wir beide außer Atem.
»Dir macht es nichts aus, dass ich auch auf Männer stehe?« Ich lächelte, denn noch einmal fast ein Jahr warten, um alles wieder einzurenken, wollte ich nun wirklich nicht. Außerdem musste ich mir eingestehen, dass ich David total liebte.
»Nein, wenn ich es sein darf, die dir manchmal einen Dildo reinsteckt.«
»Boah, bist du versaut!«
»Tja, man lernt nie aus.« Er grinste mich schelmisch an und drückte mir einen sehr leidenschaftlichen Kuss auf.
»Mal schauen, ob ich es überhaupt brauche. Du machst mich so was von heiß, da denke ich nicht an Schwänze.« Wir blickten uns tief in die Augen und eine Bewegung aus dem Augenwinkel ließ mich neugierig werden. Nicht dass mich Jogger interessierten, davon gab es massenweise, aber irgendetwas an dem Jogger, der gar nicht wie ein Jogger aussah, sondern eher wie einer, der sich die Seele aus dem Leib rannte, ließ mich aufschauen. Auf den ersten Blick war es nur ein junger Mann, doch dann erkannte ich ihn.
»Sascha«, murmelte ich und David folgte meinem Blick.
»Ist er dir gefolgt?«, fragte er etwas zu barsch und ich schaute ihn kurz verdutzt an. David atmete tief ein und seine Augen wurden dunkel. Man hätte meinen können, dass in ihnen Hass aufglomm. Was ich allerdings gleich wieder aus meinen Gedanken wegwischte, denn es konnte nicht sein. David hatte mir aufrichtig sein tiefstes Geheimnis verraten.
»Sascha doch nicht!«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Ihn interessiert es gar nicht, was ich tu.«
»Aber, er hat doch immer ein Auge auf dich gehabt …!« Die Art und Weise, wie er es sagte, ließ meinen Schwarm Bienen noch mehr summen und ich schmunzelte ihn an.
»Hast du Angst, dass er dich verkloppt, wenn du mit seiner Schwester rummachst?« Sein Ausdruck veränderte sich wieder.
»Am Anfang wollte ich es. Ich wollte dich unbedingt ins Bett bekommen, damit er eine Abreibung bekommt, aber das war ganz am Anfang. Vielleicht wollte ich ihn damit auch eifersüchtig machen. Ich wollte wissen, wie seine Gefühle für mich sind.«
Gott, ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte, noch mehr intime Geheimnisse wollte ich nun wirklich nicht mehr erfahren, schon gar nicht, gleich, nachdem wir wieder zusammengekommen waren und doch verkniff ich mir meine aufkommende Wut. Sie brodelte unter einer Decke in mir und wartete nur darauf vollständig auszubrechen. Das durfte echt nicht sein. David macht mir eine Liebeserklärung und keine fünf Minuten später, gestand er mir, dass er seinen damals besten Freund eifersüchtig machen wollte.
»Also du willst mir jetzt nicht sagen, dass du schon früher in Sascha verschossen warst?«
»Sarah, ich weiß es nicht. Ich habe mir deswegen auch schon so oft den Kopf zerbrochen und erst im Sommer wurde es mir klar …«
»Dass du dich in Sascha verliebt hattest.« Erst nickte er, doch dann schüttelte er den Kopf.
»Ja, nein. Es war in dem Sinn keine Liebe. So wie ich sie für dich empfinde, es war, es war anders. Ich liebte ihn, ja, aber es war keine Liebe …«, sehr verwirrend, aber zu seinem Glück war ich ein Mädchen, sodass ich ihn verstand. Und wieder strich ich ihm über seine Finger. David liebte Sascha wirklich. Ihm wurde bewusst, dass er Sascha liebte, als er die erste Erfahrung mit diesem Mann gemacht hatte. Doch er hatte auch begriffen, dass es nur eine einseitige Liebe war, die nie erfüllt werden würde. Vor allem aber war es zu spät. Er hatte Sascha schon so weit von sich gejagt, dass es nicht noch einmal zu einer engen Verbindung kommen konnte.
»Was ist mit ihm, er rennt einfach weiter?«, fragte ich mich selbst und konnte mich nicht mehr von Sascha abwenden. Er rannte Richtung Bahnhof und in mir machte sich ein ungutes Gefühl breit. Ohne darüber nachzudenken, packte ich David am Arm und zog ihn einfach mit.
Sascha preschte am Bahnhof vorbei, doch mir schien es, als ob er wahllos irgendeine Richtung nahm. Er rannte, um etwas rauszulassen? Aber was? Sascha war schon immer sehr sensibel und ich zog ihn gerne ständig damit auf. Oft war er weinend zu Mom gelaufen und hatte mich verpetzt. Süß hatte er immer mit seinen verheulten Augen ausgesehen, doch es dauerte nie lange, da kam ich auf ihn zu und bettelte richtig um Verzeihung. Gott, hatte er ein Speed drauf und selbst David rang allmählich nach Atem. Irgendwann hatte er das Waldstück erreicht und blieb abrupt stehen. Er blickte sich um, schaute zum Himmel und ja, er wischte sich mit seinem Handrücken übers Gesicht. Aber nicht, um den Schweiß wegzubekommen, sondern um sich die Tränen wegzuwischen. Sascha weinte tatsächlich und wieder verfluchte ich mich, dass ich in letzter Zeit nie für ihn da war, wo er mich am meisten gebraucht hatte. Auch ich hatte ihn von mir weggejagt und nun, zahlte jeder auf irgendeine Weise den Preis.
»Hier entlang!«, schnaufte ich David zu, der sich immer noch von mir ziehen ließ und wir rannten, mit gebührendem Abstand, weiter hinter Sascha her. Der sich wieder in Bewegung gesetzt hatte.
Ihn juckte es nicht, wie oft die Äste ihn erwischten. Er spürte es nicht einmal, sondern rannte einfach drauflos und ich fragte mich, was er im Nobelviertel wollte. Diese und viele andere Fragen schwirrten mir im Kopf. Dann blieb Sascha wieder stehen.
So schnell ich gerannt war, so schnell hielt ich an und David prallte gegen mich. Sofort zog ich ihn hinter einen Baum und lugte hervor. Sascha ging nun etwas langsamer, aber er joggte immer noch. Herrje, hatte er eine Ausdauer. Mein Atem kam nur noch keuchend und Seitenstechen kündigte sich an. Doch meine Neugierde wuchs. War es wirklich die Wahrheit, was Mom befürchtete, dass er sich in so einer Szene aufhielt? Das war ein grausamer Gedanken, den ich nicht zu Ende dachte, denken wollte und Sascha wieder weiterverfolgte.
Es war eine wunderschöne Gegend. Ich war hier schon einmal, als Sue wieder eine ihrer Partys schmiss. Irgendwo am Viertelende hatten ihre Eltern eine Villa. Gesponsert von Kastner. Na ja, nicht gerade gesponsert. Aber Kastner hatte sie mehr oder weniger gezahlt, da er Sues Großvater bezahlt hatte, der dann wiederum diese Villa erbauen ließ.
Doch auch dies verwarf ich. Sascha ging in diese Richtung. Ja ging. Er hatte mit dem Joggen aufgehört und ging einfach. Wahrscheinlich waren ihm die Blicke der Reichen, wenn er mit gehetztem Gesichtsausdruck an ihnen vorbeiraste, doch etwas peinlich.
»Was will Sascha hier?«, fragte ich leise und David zuckte nur mit den Schultern, doch ich sah, dass ihm die Neugierde im Gesicht stand.
Vor einem Tor hielt Sascha an und blickte sich um. Wollte er hier einbrechen? Nach so einer Rennaktion? Wieder solche Gedanken, die ich aber schnell verwarf. Eigentlich kreisten in meinem Kopf nur Fragen, die irgendwie nie eine Antwort bekamen. Er ging rein und lief über die Einfahrt zur Haustür. Schnell gingen David und ich hinter einer dichten Hecke in Deckung. Sascha klingelte und wartete etwas. Er drehte sich um und setzte sich auf die Treppe. Erneut wischte er sich übers Gesicht und bettete seinen Kopf auf die Knie.
Ich wusste nicht, wie lange wir hinter dieser Hecke saßen, Mutmaßungen anstellten und uns Gedanken über Sascha machten. Aber ich war froh, dass ich nicht alleine hier war. Ich war froh, dass David hier bei mir war und dass in seinen Augen nicht der Hass loderte, mit dem er Sascha sonst immer verfolgte. David schien auch neugierig geworden zu sein, und als ich meinen Mut zusammennahm, um auf Sascha zuzugehen, zog mich David wieder hinter unseren Schutz. Er deutete mit dem Finger auf die Einfahrt und ein wahnsinniges tolles Auto …, du meine Güte ich kannte das Auto, fuhr herein. Am Steuer saß Kyel Kastner und ich sog überrascht die Luft ein. Was hatte Sascha mit dem zu schaffen? Also doch! Er war in dieser Szene.
Der Jaguar hielt an und Kyel stieg aus. Sascha schien es nicht bemerkt zu haben und der Typ ging langsam auf ihn zu. Er legte die Hand auf seinen Kopf und ich sah, wie Sascha ihn ansah. Da traf mich der Blitz und neben mir sog David die Luft scharf ein. Kyel Kastner zog Sascha in seine Arme, auf so eine liebevolle und sanfte Art und Sascha umschlang ihn, als ob er der letzte Halt auf der Welt war.
Sascha und Kastner. Kastner und Sascha. Ich konnte es drehen und wenden, wie ich es wollte. Ich war so verblüfft, dass ich beinahe meine Deckung vergessen hätte. David zog mich wieder runter und legte einen Arm um mich.
»Das ist ja mal was ganz Neues!«, murmelte er und schlagartig war ich wieder aus meiner Grübelei raus. Böse funkelte ich ihn an.
»Wehe, wenn du ein Sterbenswörtchen, darüber rauslässt …!«
»Hör auf mir zu drohen. Immerhin bin ich hier in der schlechteren Position. Ich habe außerdem nicht vor, dies an die große Glocke zu hängen. Wer würde mir denn glauben. Der große Kyel Kastner, der Wirtschaftsguru, der Held dieser Stadt, wir haben eh nichts gesehen, außer, dass er einen Jungen in die Arme genommen hat, um ihn zu trösten.« Dennoch beschlich mich ein noch größeres ungutes Gefühl, als das, was ich hatte. Dies war auf jeden Fall eine verbotene Liebe, und wenn das herauskam. Ich wollte gar nicht daran denken. Die Kacke würde dampfen.
Den ganzen Abend wartete ich darauf, dass Sascha endlich nach Hause kam. Er kam nicht. Dad war außer sich vor Ärger und verlangte, dass ich ihm mein Handy gab. Er wählte die Nummer von Sascha und ich hoffte inbrünstig, dass er nicht ranging. Meine Gebete wurden erhört. Sascha nahm nicht ab oder hatte sein Handy ausgeschaltet. Dad tobte und wütete, was das Zeug hielt, und schmiss buchstäblich mein Handy auf den Tisch.
»Wenn ich den in die Finger bekomme, dann hat sein letztes Stündchen geschlagen! Ich dulde so ein Theater nicht!« Mom und ich schauten uns gegenseitig an und ich sah in ihren Augen nur noch die pure Angst und vor allem einen gewissen Touch von Entschlossenheit und mir schwante etwas Fürchterliches.
Vor ein paar Jahren hatten sich Mom und Dad dermaßen in den Haaren gehabt, dass Mom kurz davorstand die Scheidung einzureichen. Das wollte ich nie wieder erleben. Die ständigen Streitereien ums Geld und vor allem die Eifersuchtsdramen von Dad, von wegen Mom hätte einen anderen. Damals ertrank Dad seine Wut in Alkohol. Was er nun auch tat, wenn er Sascha sah, war sein erster Griff immer zur Flasche.
Sascha hatte, Gott sei Dank, damals nicht viel mitbekommen, weil er ständig bei David oder beim Training war oder er hatte einigen seiner Mitschüler etwas Nachhilfe gegeben. Dafür hatte ich das volle Programm abbekommen und ab dieser Zeit, hatte Dad angefangen Regeln aufzustellen. Die er, wie er wollte, änderte.
Vor der Schule wartete ich mit David zusammen auf Sascha und erzählte ihm währenddessen, was bei mir daheim vorgefallen war. Der Unterricht begann und Sascha war immer noch nicht da. Mr. Clancy fragte mich nach seinem Verbleib und ich antwortete nur: »Ich weiß es nicht«, darauf.
Verstohlen blickte ich zu David, der auf mich sehr beunruhigend wirkte.
Noch einige Minuten blieb ich liegen und starrte wie ein Volldepp an die Decke. Immer und immer wieder kamen mir seine Wörter, ›Ich liebe dich‹, in den Sinn und jedes Mal brannten meine Wangen. Ich konnte es immer noch nicht glauben, was er gesagt hatte, obwohl ich es war, der es zuerst zu ihm sagte. Ich fasste es nicht, war wirklich fassungslos.
»Wie lange brauchst du noch? Der Kaffee wird schon kalt«, hörte ich, was mich aus dem Zustand des ›Volldepps‹ zurückrief und ich spürte, wie ein Kribbeln sich meiner Kehle hoch wagte, das auszubrechen drohte. Ich fing zu kichern an. Kyel hörte sich an wie ein altbackener Ehemann, der seiner Frau den allmorgendlichen Kaffee zubereitete. Kurz holte ich Luft, denn meine Kehle kitzelte nun wirklich und rief zurück, dass ich nur noch schnell unter die Dusche springen wollte.
Etwas später saß ich am Tisch, schlürfte den noch immer heißen Kaffee und beschwerte mich, weil er mich so früh aus dem Bett gejagt hatte. Er grinste nur und meinte: »Du hast gar nicht mehr geschlafen.« Ich verdrehte die Augen und biss in meinen Toast. Sein Handy klingelte und er ging ran.
»Tom, was haben Sie für ein Problem? Fängt ihre Arbeitszeit nicht erst um neun an? - Wenn Sie meinen. Wann ist der nächste Termin? Um halb zehn. Absagen. Alle Termine bis Mittag absagen. Ich habe privat etwas zu erledigen. Sie schaffen das schon. Auf Wiedersehen!« Er legte auf und setzte sich an den Tisch.
»Meinetwegen brauchst du nicht daheimzubleiben. Ich habe Schule, schon vergessen?«
»Schon vergessen, dass du heute nicht in die Schule gehst, sondern zur Polizei!«, ging er mir dazwischen und schaute mich funkelnd an.
»Du willst wirklich, dass ich das durchziehe?« Er nickte und reichte mir einen Zettel.
»Ich weiß, nicht ob du das schon gelesen hast, aber anhand der Anweisungen deines ›Meisters‹, sehe ich mich gezwungen, dich nicht in die Schule gehen zu lassen.«
Ich las, was auf dem Zettel stand und mir wurde schlecht. Das langte, das langte wirklich. Ich konnte mich nirgends mehr blicken lassen und spürte, wie er beruhigend durch meine Haare strich. Ich wusste, das Kyel mir Gutes tun wollte, aber die Anweisungen auf dem Zettel verhinderte es. Nein, das war so was von pervers. Der Typ hatte eine irre Vollmeise. Was verlangte der nur von mir? Ich sollte mich im Chemieraum ausziehen und dann das? Kotzübel war kein Ausdruck dafür, wie es mir ging.
»Komm, bevor wir zur Polizei fahren, müssen wir noch zu Anthony und die ganzen Unterlagen holen«, riss er mich aus meinen Gedanken, die sich in die Dunkelheit verkrochen hatten. Dennoch war ich überrascht. Kyel wollte unbedingt mit mir zur Polizei fahren. Wollte er wirklich öffentlich bekennen, dass er schwul ist? Er, der ein Ansehen in der gehobenen Gesellschaft auf der ganzen Welt besaß? Mir wurde schwarz vor Augen, als ich aufstand und starke Arme fingen mich auf.
»Langsam wird das wirklich zu Gewohnheit, dass ich dich immer irgendwo auffange.«
»Schon gut«, murmelte ich und stieß mich von ihm ab. Als das Schwindelgefühl sich allmählich gelegt hatte, schaute ich ihm fest in die Augen. So durfte es nicht weitergehen. Ich konnte nicht mehr. Es wurde einfach zu viel für mich. Ich wollte diese Wörter nicht und doch ...
»Kyel, es tut mir leid, aber wir dürfen uns nicht mehr treffen und ich will nicht, ich will nicht …!« Mir stiegen die Tränen in die Augen und ich schämte mich, weil er der Einzige war, der hinter meine Fassade geschaut hatte. Weil ich zugelassen hatte, dass er sich in mich verliebte und er nun alles opfern wollte, nur um mir zu helfen. Das konnte ich nicht annehmen. Nicht zulassen. Das wollte ich nicht und ich wandte mich von ihm ab. Ich konnte den Schmerz in seinen Augen sehen und es tat mir mehr weh, als die ganzen Sticheleien der letzten zehn Monate.
Ohne ein weiteres Wort ging ich aus der Küche zur Haustür und hoffte, dass er in der Küche blieb, denn ich wusste nicht, wenn er mich rufen würde, ob ich dies dann durchziehen konnte. Sein Handy klingelte wieder und es dauerte gefühlte Stunden, bis er abnahm. Ich nahm die Gelegenheit, dass er verhindert war, wahr und ging.
Sekundenlang blickte ich den gut gepflegten Garten mit seiner Vielzahl an Büschen an und verließ schließlich, weinend und fast wieder der Ohnmacht nahe, sein Anwesen.
Wie in Trance machte ich einen Schritt nach dem anderen und die Einfahrt, die so weit entfernt schien, kam langsam immer näher in meinen verschwommenen Blick. Nicht einmal als ich das Tor passierte, drehte ich mich um. Ich wusste, dass ich es dann nicht mehr schaffen würde. Meine Tränen liefen unaufhaltsam die Wangen hinab und ich holte mein Handy aus der Hosentasche. Seit Monaten war es das erste Mal, dass ich die Nummer meines Vaters suchte. Zittrig waren meine Hände und ich brauchte einige Anläufe, bis ich mich durchgerungen hatte, diese Nummer zu wählen.
»Kastner Import Export, Fleischhauer. Was kann ich für Sie tun?«
»Dad, ich bin’s Sasc…«
»Was willst du? Ich habe keine Zeit!«
»Bring mich zur Therapie.« Gott! War mir schlecht und meine Beine waren weich wie Butter. Ich hatte keinen Halt mehr und suchte mir etwas zum Hinsetzen. Nur vage bekam ich mit, dass etwas Silbriges neben mir hielt und Kyel ständig meinen Namen rief. Ich hörte ihn nicht, und als er vor mir stand, mit seinen sanften und warmen Händen mein Gesicht umfasste, erwachte ich aus meiner Starre und stieß ihn von mir weg.
»Warum bist du mir gefolgt? Verschwinde, mein Vater wird bald da sein!«, zischte ich und spürte, dass mir bekannte Brennen in meinen Augen. »Lass mich in Ruhe! Lass mich einfach in Ruhe!« Ich stand auf und schon merkte ich wieder, dass sich mein Magen umdrehte. Ich kotzte mein Frühstück vor Kyels Füße. Als nichts mehr rauskam, wischte ich mir den Mund mit dem Handrücken sauber.
»Was willst du hier?«
»Ich habe dich gesucht. Warum bist du abgehauen? Ich dachte, du liebst mich?«, antwortete Kyel. Tränen flossen wieder meine Wangen hinab.
»Du hast keine Ahnung, wie sehr ich das tue und deshalb muss ich gehen. Bitte! Kyel mache es mir nicht noch schwerer, als es schon ist. Ich bitte dich, geh. Dad wird gleich hier sein und es langt schon, dass ich ihm irgendwie beibringen muss, wie ich hierherkam.«
»Gott! Sascha tue mir das nicht an!«
»Es geht nicht anders. Glaube mir … Leb wohl.« Wieder ließ ich ihn stehen und versuchte, so gut es ging, einen Schritt vor den Nächsten zu tun. Ich blickte mich nicht um. Ich hörte nur, wie er das Auto startete und an mir vorbeifuhr.
Nachdem ich dies zu ihm gesagt hatte, brach meine Welt komplett zusammen. Als Dad kam, stieg ich wie automatisch in seinen Wagen. Ohne ein Wort, ohne eine einzige Frage zu stellen, was ich hier machte oder warum ich so verheult aussah. Ihm war egal, wie ich mich fühlte. Er fuhr einfach los.
Mein Dad fuhr nach Hause. Ich stieg aus, ohne zu wissen, warum. Er schloss die Tür auf. Ich ging rein, ohne zu wissen, warum. Er öffnete die Zimmertür und ich setzte mich aufs Bett, ohne zu wissen, warum. Ich hörte, wie Dad mein Zimmer von außen zuschloss, mir war es egal.
Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als mich Hände packten, mir die Jacke auszogen, die ich immer noch anhatte und irgendetwas in meine Vene gespritzt wurde. Mir war alles egal. Ich befand mich in einem Loch, aus dem ich nicht wieder raus wollte. Ich redete mir ein, dass alles seine Richtigkeit hatte. Dass sich nun alles zum Guten wenden würde. Kyel würde mich schnell vergessen. Was war ich schon für ihn? Ich war ein Niemand! Nur eine weitere Nummer in seinem Bett! Meine Gedanken gingen weiter. Der Stalker würde aufhören, wenn ich außer Landes war. Meine Familie und David würden einen Hetero Sohn und Freund zurückbekommen. Alles, wie es sein sollte und schon wurde es dunkel um mich. Ich hatte mich aufgegeben. Aber es war richtig so. Ich war es, der das Opfer bringen sollte und nicht Kyel.
Die Tage vergingen. Wie viele es waren, ich hatte ich keinen Plan.
Die Tage zogen sich wie Monate dahin. Alles lag im Grau und nichts drang in mich. Keine Farbe erblickte ich, keine Freude spürte ich. Ich vergaß meinen Geburtstag, die Feierlichkeiten zu Weihnachten oder zu Neujahr. Mir war alles egal. Selbst das wunderschöne Gesicht von Kyel verblasste und die dazugehörigen Gefühle. Dies und vieles mehr lagen nur noch unter einer Schicht Asche. Tief begraben unter den Trümmern meines gebrochenen Herzens. Alles zog nur schemenhaft und in Grau dahin.
Manchmal vernahm ich Gesprächsfetzen, als ob jemand mit mir sprechen würde. Nichts drang in mich. Ich kannte die Stimmen und auch wieder nicht.
Mein Körper wehrte sich, mein Geist fügte sich. Irgendwann hatte auch mein Körper aufgegeben, ich lag da und starrte an die Decke, die ich nicht wirklich sah.
Ich wusste nicht, wie lange ich einfach dalag, oder war ich an das Bett gefesselt, ich hatte keine Ahnung. Ich rührte mich nicht, mein Körper machte nur etwas, wenn er geführt wurde.
Alles schien so weit weg zu sein.
»Wie geht es ihm?«, hörte ich jemanden fragen. Ich kannte diese Stimme. Sie war freundlich, so hatte ich sie in Erinnerung und doch war sie mir am Ende fremd. Auch der Duft, der zu dieser Stimme gehörte, er umgab mich und schloss mich ein, es war der Duft, der mir Kraft gab. Die Kraft, den größten Fehler in meinem Leben zu begehen. Und doch verbargen sich sinnliche Erinnerungen in ihm. Ein Gesicht huschte durch meinen Geist. Ein Gesicht das ich verzweifelt versuchte zu vergessen. Kyel. Und doch wusste ich tief in mir drin, dass es nicht Kyel war, der diesen Duft an sich trug.
»Immer wieder diese leichten Veränderungen. Er ist, seitdem er eingeliefert worden ist, nur apathisch.« Stoff raschelte, als ob jemand mit dem Kopf schütteln würde. »Mr. Fleischhauer, Sie wissen wirklich nicht, was der Auslöser gewesen ist?«
»Nein, ich weiß es nicht. Er rief mich an und sagte, dass er in die Therapie gehen will und seitdem ist er so.«
»Diese Therapie, ich mein, das Thema kommt immer wieder auf, aber vielleicht war es das, was ihn in diesen Zustand hat fallen lassen. Zumal Sie ihm …«
»Ich weiß, das war ein Fehler. Ich hätte ihn nie schlagen dürfen. Das bereue ich zutiefst.«
»Nun gut, ich habe endlich die Akten vom Krankenhaus erhalten. Diese Bürokraten vom Krankenhaus sind einfach …« Etwas wurde geöffnet und die Blätter raschelten, als ob man eine bestimmte Seite in einem Buch suchte.
»Ah ja, hier haben wir es. Er wurde ins Krankenhaus eingeliefert wegen einer akuten Belastungsstörung. Selbst da standen wir vor einem großen Rätsel. Und deshalb habe ich Sie hierher gebeten. - Wie soll ich mich ausdrücken. Ich muss Ihnen noch weitere detaillierte Fragen stellen, die mit seinem ganz persönlichem Umfeld zu tun haben. Laut der ersten Bestandsaufnahme war es unbekannt, dass er an Depressionen litt, keine vorhandenen häuslichen Probleme oder Probleme in der Schule. Deshalb frage ich Sie und bitte seien Sie ehrlich, können Sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, was der Auslöser sein könnte?«
»Ich, ich … Ich bin schwul. Da … das ist … das Prob…« Meine Stimme versagte und die weiße Decke, an die ich starrte, schien auf mich zuzukommen und Dunkelheit umhüllte mich.
»Sascha!«, rief mein Vater verwundert. »Er hat gesprochen!«, doch ich vernahm ihn nicht mehr. Das hatte mich meine letzte Kraft gekostet.
Ich saß irgendwo in einer Ecke und hatte die Beine an mich gezogen, um mich herum war es nur dunkel. Mein innerer Zufluchtsort. Viele Gedanken huschten durch meinen Kopf, welche die mich aufmunterten und welche die mich weiter ins Nichts sinken ließen. Dennoch ein einziger Gedanken schien sich in mir festzusetzen. »Ein Fehler, nie schlagen dürfen!« Etwas erhellte sich. War es meine Hoffnung, die ich vor langer Zeit begraben hatte, oder war es einfach die Verzweiflung, etwas Verständnis von meinem Vater zu erhaschen? »Nie schlagen dürfen«, das war das kleinere Problem. Das, womit ich zu kämpfen hatte, war, meinen Vater wieder zurückzubekommen, nicht das stumme ignorante Etwas, das mir tagtäglich begegnete. Was schlimmer war, als jeder Schlag ins Gesicht.
Ich blickte mich um und wie sollte es auch anders sein. Es war dunkel. Ich sah nichts, ich hörte nichts, zumindest das, was sich in diesem leeren Raum befand, sah und hörte ich nicht. Dennoch war es das, was ich hören wollte und es hatte den Anschein, als ob meine innere Dunkelheit langsam zerbröckelte. »Es war ein Fehler, ich hätte ihn nie schlagen dürfen …«
Das war es!
Auch wenn meine Tränen hier in dieser von mir erschaffenen Dunkelheit nicht existierten, so hatte ich doch das Gefühl, dass meine Augen brannten.
Wieder war dieser geliebte Duft in meiner Nähe und ich spürte, wie nasse Spuren sich zum Ohr hinabschlängelten. Ich spürte eine Berührung, sanft auf meiner Hand, die mich zu streicheln schien. Stimmen, die sich besorgt anhörten. Besonders die von meinem Vater. Ja, es war mein Vater, der immer und immer wieder meinen Namen rief. Aber wie konnte das sein? Ich war doch an allem schuld! Schuld, dass es so weit gekommen war. Ich hatte ihm gesagt, dass ich schwul bin, und wurde dafür bestraft, dass ich gegen Gottes Willen verstoßen hatte, indem ich meinen Gelüsten verfiel. Meine Gelüste, meine Gelüste galten nur einem und ihn hatte ich verloren. Vergessen.
Sanft wurden die Tränen von meinem Gesicht weggewischt und dieser Duft, der umnebelte mich, unaufhörlich, immer weiter drang er gewaltsam in mich ein. Mein Schluchzen wurde schlimmer.
»Das sind gute Anzeichen. Er scheint zurückzukommen«, vernahm ich. Nein ich wollte nicht zurück, nicht zu diesem Geruch, der mich hier gefangen hielt und den ich vergessen wollte …
»Sascha. Komm zurück …«, sprach Vater zu mir, aber diesmal war es nicht seine Stimme, sie war viel zärtlicher, viel wärmer und ich hörte verzweifelte Sorge darin. Ich versuchte den Kopf zu schütteln, aber ich schüttelte nur meinen imaginären Kopf, hier in meiner Dunkelheit. Ich versuchte, die sanften Hände von meinem Gesicht zu bekommen, doch ich fasste durch mich durch.
»Komm zurück, alle warten auf dich. Ich warte auf dich …«, wieder schüttelte ich den Kopf. Immer weiter löste ich mich auf. Verzweifelt versuchte ich, mich in der Dunkelheit zu verstecken, mich in ihr festzukrallen, aber es schien, als ob sie mich abstieß. Nein, nein ich wollte diesen Ort nicht verlassen! Ich wollte hierbleiben!
»Reden Sie weiter, sein Unterbewusstsein reagiert auf Sie. Machen Sie weiter, Sie alle. Sein Herzschlag erhöht sich …«
»Sascha! Komm zu uns zurück! Du brauchst dich nicht mehr zu verstecken, du Volldepp. Verdammt, was soll ich denn ohne dich machen, wenn ich niemanden mehr zum Streiten habe.« War das Sarah? Sie schluchzte. Warum weinte sie? Sie sollte doch eigentlich glücklich sein, weil ich ihr nicht mehr dazwischenkreuzte.
»Schatz, bitte, wir alle vermissen dich!« Das war die Stimme von Mom. Wo war ich eigentlich? Ich wusste es nicht. Bisher war es mir egal, doch die Neugierde regte sich in mir.
Mit Wucht traf mich dieser Duft und hüllte mich ein.
»Sascha. Ich weiß, ich habe einen großen Fehler begannen. Bitte verzeih mir. Ich will, dass du wieder bei uns bist … - Sascha, mein Sohn, es tut mir alles sehr leid.«
Mein Herz raste, das es schon fast wieder wehtat. Hoffnung. Dad entschuldigte sich bei mir. Hatte er das wirklich getan oder spielten meine Gedanken mir wieder Streiche? Oder war das meine Mutter? War es das, was ich hören wollte? Ja, genau. Es waren diese Wörter, die ich hören wollte, von jedem. Jedem, der solche tiefen Wunden in mich gestoßen hatte.
»Sascha …!« Kyel … diese Stimme, zog mich an. Es war diese Stimme, die mich immer und immer wieder rief. Die ich hörte, die mich umhüllte wie ein sanftes Lied, die mich antrieb und vor allem, die mich festhielt, damit ich nicht wieder zu meinem Zufluchtsort gesogen wurde. Tief atmete ich ein. Als ob ich das erste Mal wieder richtig atmete. Die Luft füllte meine Lungen. Zu viel, ich hustete. Hände hielten mich an der Schulter fest und Sauerstoff wurde mir zugeführt. Eins meiner Lider wurde hochgehoben und das grelle Licht einer Taschenlampe brannte in meiner Pupille.
»Er ist wach. Sie haben es geschafft.«
Ich versuchte mich aufzusetzen, doch meine Kraft versagte. Langsam hob ich meinen Kopf und blickte in wunderschöne, tiefblaue meeresgleiche Augen.
»Kyel«, murmelte ich und er grinste frech. Wie immer.
»Sascha!« Ich blickte Kyel über die Schulter und dort stand er. Dad. Sofort spürte ich, wie mein ganzer Körper sich anspannte.
»Lass das. Dein Vater weiß über uns Bescheid«, murmelte Kyel und stand vom Bett auf. Schock was? Aber … aber …
Der Sauerstoff, der mir zugeführt wurde, reichte nicht mehr aus und ich spürte, wie die Dunkelheit mich wieder zu überrennen schien. Ich hyperventilierte.
Dad setzte sich aufs Bett und nahm meine Hand in die Seine. Ich war schon gewillt, sie ihm wieder zu entziehen, doch in seinem Blick war etwas, das mich davon abhielt. Ohne ein weiteres Wort zog er mich an sich heran und umarmte mich. Leise schluchzte er an meiner Schulter. Er brauchte nichts mehr zu sagen, ich hob meine Arme und umarmte ihn.
Wunschdenken …
Die Realität schlug mit aller Gewalt über mich ein, als ich aus meinem Traum, der nur aus verzweifelter Hoffnung bestand, aufwachte.
Wie in Trance stieg ich wieder ins Auto, legte den Gang ein und fuhr an Sascha vorbei. Ich schaute nicht einmal in den Rückspiegel, und bevor ich wusste, wo ich mich befand, war ich vor meiner Firma. Was machte ich hier? Ich stieg aus, ging in die Firma, in mein Büro, zum Fenster und blickte zum Himmel. Was machte ich bloß? Hatte ich es richtig verstanden? Hatte ich es richtig gehört? Hatte es Sascha wirklich getan? Hatte er wirklich mit mir Schluss gemacht? Nachdem ... nachdem wir uns letzte Nacht gegenseitig unsere Liebe gestanden hatten?
Ich ging vom Fenster weg, den Himmel sah ich sowieso nicht und setzte mich an den Schreibtisch. Wie automatisch zog ich die Schublade auf und griff zu der Zigarettenschachtel, die seit über einem Jahr darin herumlag.
Paul hatte es geschafft, dass ich mit dem Rauchen aufhörte, doch nun, in diesem Moment kam mir alles sinnlos vor. Ich nahm mir eine Zigarette und zündete sie an. Den ersten Zug paffte ich nur und ein ekeliger Geschmack bereitete sich im Mund aus. Auch der Geruch des Rauches ließ mich würgen. Ich ignorierte es und erinnerte mich daran, wie ich in meinem Leben den allerersten Zug gemacht hatte. Gott! War mir danach schwindlig und der Hals hatte gebrannt. Genauso erging es mir nun und ein kleines Schmunzeln huschte über mein Gesicht, was aber schnell in ein Husten überging. Mir war es trotzdem egal und ich rauchte den Nächsten auf Lunge.
Das Telefon klingelte. Ich ging nicht ran. Es klopfte an der Tür, aber ich bat niemanden rein. Ich stierte nur die ganze Zeit vor mich hin und drückte irgendwann die Zigarette aus. Ob ich sie zu Ende geraucht hatte oder nicht, wusste ich nicht. Ich bemerkte nicht einmal, dass Tom einfach in mein Büro kam und mir einen Kaffee hinstellte, die Zigarettenschachtel wegräumte und den Aschenbecher auf die Fensterbank stellte.
»Ich weiß nicht, was Ihnen über die Lunge gelaufen ist. Aber dieses Ding mit Nikotin zu beseitigen, ist nicht der richtige Weg.«
»Lunge? Leber … nicht Lunge«, murmelte ich vor mich hin.
»Hmm, schon!« Und er winkte ab.
»Mal ehrlich. Sie haben monatelang dagegen angekämpft, um jetzt wieder rückfällig zu werden?«
»Sie verstehen nicht!«
»Nein, aber manchmal hilft es, darüber zu reden.« Ich blickte zu ihm hoch und seine blaugrauen Augen sahen mich herausfordernd an. Ich verzog nur meinen Mund zu einem leichten Lächeln, was natürlich total in die Hose ging und nickte zögerlich. Tom zuckte mit den Schultern und verließ mein Büro. Tief atmete ich ein und verfiel wieder in meine Starre.
Sascha hatte Schluss gemacht. Ich konnte es immer noch nicht glauben. Seit Monaten suchte ich etwas … nein seit Jahren und da fand ich es in den wunderschönen bräunlich-grünen Augen, die kalt und unnahbar schienen und doch so nah waren und dann …? Ich war wie vor dem Kopf gestoßen. Ich konnte nicht anders, als in mein Auto zu steigen und weiterzufahren, obwohl alles in mir drinnen danach schrie, Sascha in die Arme zu nehmen, ihn zu küssen und fest an mich zu drücken. Ihn als einen Idioten zu beschimpfen, überhaupt so etwas zu sagen, so etwas zu denken. Ich konnte es nicht. Sein Blick war unbeschreiblich traurig und gebrochen.
Langsam fing mein Gehirn wieder an zu arbeiten, selbst meine Emotionen stiegen wieder unaufhaltsam in mir hoch. Die Starre löste sich von Minute zu Minute weiter auf und mein Kopf sank wie automatisch auf den Schreibtisch.
»Du bist schuld, dass er sich in dieser Lage befindet. Du bist daran schuld. Du hast einen Riss in seine innere Abwehr gestoßen und unaufhaltsam immer weiter darin rumgestochert, bis sie völlig eingestürzt ist. Aber so egoistisch, wie du bist, hast du es nicht bemerkt und ihn immer weiter darin bestärkt seinen Schutzschild zu senken. Du hast ihn die ganze Zeit nie als einen Mann gesehen, sondern nur als Körper, der dich um den Verstand bringt, sobald du nur einen Schnipsel seiner makellosen Haut siehst. Gott, Kyel du hast nur mit deinem notgeilen Schwanz gedacht.«
Ich schnaubte und setzte mich wieder auf. Nahm einen Schluck von dem Kaffee, stellte die Tasse zurück und schnappte meine Autoschlüssel. Zu Tom sagte ich, dass ich den ganzen Tag nicht zu sprechen sei und er endlich ins Wochenende gehen sollte. Fragend blickte er mich an.
»Es ist erst kurz nach neun …«
»Gehen Sie nach Hause und kommen Sie erst am Montag wieder. Ich gebe Ihnen Urlaub …«
»Aber die ganzen Kunden …?«
»Sind mir heute so was von egal. Leiten Sie die Termine zu Freim um«, mehr sagte ich nicht und ließ ihn stehen. Ich musste hier raus. Ich musste aus dieser Stadt raus. Irgendwohin. Doch statt zum Auto zu gehen, trugen mich meine Füße zu Parker. Wie automatisch ging ich in die Richtung, wo der Oldtimer stand und fand Parker auch unter dem Schmuckstück.
»Na, wenn das nicht die teuren Lederschuhe vom reichen Schnösel sind«, murrte er etwas unverständlich, weil er wieder eine Zigarette im Mund hatte. Ich ging um das Auto rum und setzte mich rein. Inzwischen war Parker unterm Auto wieder hervorgekommen und wischte sich seine öligen Hände an einem noch öligeren Tuch, so gut es ging, sauber.
»Na, das sieht man selten«, sagte er und setzte sich neben mich.
»Parker hast du Lust, heute mit mir eine Spritztour zu machen?«
»Tja, wenn ich dich so ansehe, kann ich es wohl unmöglich abschlagen. Aber wir fahren im BMW, da kann man wenigstens das Dach runterlassen.«
»Gut bring deine Angelruten mit. Ich kümmere mich um das Bier.«
»Muss ich mir jetzt Sorgen um dich machen?«, fragte Parker. Ich schaute ihn an und der übliche Gram, den er sonst immer drauf hatte, war nicht da. Stattdessen sah er mich an, wie er mich immer angeblickt hatte, wenn ich wieder mal was ausgefressen hatte und mich nicht traute, es meinen Eltern zu sagen.
»Nein, brauchst du nicht. Ich muss nur mal abschalten.«
»Hmm!«, kam es nur von seinen geschlossenen Lippen und ich wusste, dass er was ahnte. »Gut und ich bringe noch Jack Daniels mit.«
»Oh Parker, nicht das Gesöff!«
»Was denn, der Jackie hilft mir beim Abschalten. Ich habe nicht gesagt, dass du das trinken darfst. Ich muss ja irgendwie heimkommen.« Ich stieg wieder aus und ging aus der Halle. Wie immer rief er mir hinterher. »Das ist aber ein Urlaubstag, dass wir uns verstehen!« Der änderte sich, in gewisser Hinsicht, auch nicht mehr und ich winkte ihm zu.
Eine knappe Stunde später hielt ich vor einem kleinen Vorstadthäuschen und klingelte. Die Tür wurde geöffnet und ich blickte auf den Mann in dem Rollstuhl.
»Jaydon, lange nicht gesehen!«, begrüßte ich ihn und beugte mich zu ihm runter, hauchte einen leichten Kuss auf seine Wange und ergriff anschließend die Griffe des Rollstuhles.
»Parker hat schon erzählt, dass du kommst. Der ist im Garten und raucht.« War ja klar, dass Parker im Garten war. Jaydon war strikt gegen Rauchen im Haus.
»Wo denn sonst?!«, sagte ich und der Lebensgefährte meines Onkels kicherte. »Sag, wie geht es dir?«
»Ja mir geht es gut, nur meine Beine wollen nicht so, wie ich es will.« Jaydons Unfall lag über zwanzig Jahre zurück. Ein betrunkener Autofahrer war bei Rot über die Ampel gefahren und hatte Jaydon erfasst. Er flog einige Meter durch die Luft und krachte brutal auf seine Hüfte, sodass sie komplett zertrümmert wurde. Viele Operationen musste er im Laufe der Jahre über sich ergehen lassen. Doch er hatte sich nie unterkriegen lassen und immer weiter gekämpft. Bis sein Körper schließlich mehr oder weniger den Geist aufgab.
Ich schob ihn in den Garten und stellte ihn an den Tisch, an dem auch Parker saß und rauchte. Ich blickte mich um und sah, dass wieder einige Rosenbüsche dazugekommen waren. Jaydon liebte Rosen. Er war Gärtner und lebte förmlich für seinen Beruf. Er hatte es sogar geschafft die Rosen zu kreuzen, dass eine gänzlich neue Art entstanden war. Die Jaydon Rose, oder wie sie auch unter den Gärtnern gerne genannt wurde, die Dankbare, weil sie wirklich sehr robust und wunderschön Aprikosenfarben war. Dafür erhielt er diverse Preise.
Ich setzte mich ebenfalls an den Tisch, schenkte mir etwas Tee ein und nahm mir eins von den Croissants, die Parker wahrscheinlich noch gekauft hatte, bevor er nach Hause gefahren war. Tee und Croissant, Parker kannte mich gut, sonst hätte er nicht, die Nervennahrung für mich besorgt. Er kannte mich sogar so gut, dass er seine Spitzfindigkeiten beiseitegeschoben hatte und einfach wartete, bis ich mit dem Erzählen anfing. Nur wusste ich nicht, wie und wo ich anfangen sollte. Stattdessen unterhielten wir uns über das Wetter, über die Wall Street, über die neuen steuerlichen Abgaben und sonst so belangloses Zeug. Bis Parker endlich sagte, dass wir mal losfahren sollten, da sonst die Fische nicht mehr anbeißen würden und er am Abend, noch was auf dem Tisch haben wollte.
Die ganze Fahrt zu seinem Teich verlief schweigend. Nur ab und zu kam das Gespräch über die Firma auf oder über den Neuen, wobei Parker mich daran erinnerte, dass ich ihm den Vertrag noch nicht zugefaxt hatte.
»Also, der Gerbert ist wirklich ein guter Arbeiter. Ich möchte zu gerne wissen, wo du ihn ausgegraben hast. Wir haben es innerhalb von einer Stunde geschafft, meine Süße zu reparieren und jetzt läuft sie wie eine schnurrende Katze.«
»Na, ist doch in Ordnung. Dennoch solltest du dir mal überlegen, dich von deiner Süßen zu trennen. Die frisst mehr an Geld, als was sie noch wert ist.«
»Kommt nicht in die Tüte. Sie ist die einzige Maschine, die deinen hohen Anforderungen standhält.« Ich schüttelte unmerklich meinen Kopf. Hätte ich mir ja eh denken können, dass er in dieser Beziehung einfach nur stur blieb.
Als wir dann endlich an seinem Teich angekommen waren, schielte ich etwas verdrossen zum BMW. Überall am Auto waren Schlammspuren. Langsam hasste ich das ständige Regenwetter und fluchte innerlich, weil Parker darauf bestanden hatte, mit dem BMW zu fahren anstatt mit seinem Jeep, der für dieses unwegsame Geländer besser geeignet war.
Wir bauten die Campingsachen auf. Tisch und Stühle, einen Gasherd und ein Zweimannzelt. Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, hier am mückenverseuchten Teich zu übernachten, aber ich kannte meinen Onkel. Und vor allem wusste ich, dass ich mich am nächsten Tag um einiges besser fühlen würde. Seelisch. Nicht körperlich, denn körperlich würde ich mich dann noch mieser fühlen und fünf Packungen Aspirin schlucken. Unsere Aussprachen gingen meistens über drei Flaschen Jackie und ein Kasten Bier hinaus. Klinisch tot. Mehr brauchte ich auch nicht.
Mit Klappstühlen saßen wir am Steg und warfen die Angeln aus. Ich hatte mein erstes Bier schon fast ausgetrunken, als Parker, der seinen Blick nicht vom Teich ließ, mich ansprach.
»Also Junge, wie lange willst du mich noch auf die Folter spannen. Dass du Liebeskummer hast, sieht jeder Blinde …« Ich verzog meine Mundwinkel zu einem verunglückten Lächeln und nickte kurz.
»Liebeskummer, was?«, murmelte ich und blickte zu dem wolkenverhangenen Spätvormittagshimmel.
»Sascha heißt er?« Nur allein sein Name ließ mich zusammenzucken und ich schaute zu meinem Onkel, der immer noch seinen Blick auf dem Teich behielt. »Clive hat mir davon erzählt und das der Bursche ganz passabel ist. Etwas jung, aber passabel.«
»Ja, er heißt Sascha. Er hat mir heute früh den Laufpass gegeben.« Nun war es raus und ich konnte es nicht mehr leugnen. Parker blickte mich an und ich atmete tief ein.
»Man hat es dich erwischt, dass du so in dich gekehrt bist.« Wir blickten alle beide auf den Teich und warfen ab und zu die Angel neu ins Wasser. Kurz kaute ich an meiner Wangeninnenseite und nahm den letzten Schluck aus der Bierflasche. Parker reichte mir gleich eine Neue.
»Letzte Nacht haben wir uns unsere Liebe gestanden … Gott und keine drei Stunden später macht er Schluss. Aus heiterem Himmel.«
»Hmm, und du weißt wirklich nicht, warum?« Ich zuckte mit den Schultern. »Nun ja, immerhin sind wir hier noch das ganze Wochenende, also wenn es eine etwas längere Geschichte ist …«
»Oh ja, das ist eine lange Geschichte und sie strotzt nur so von Fehlern, die ich gemacht habe«, sagte ich gedankenverloren und bald war auch das zweite Bier leer. Wieder gab Parker mir eine neue Flasche und zur Abwechslung zog ich die Schnur ein. Ein Fisch hatte angebissen, den Parker gleich ausnahm. Wir verfielen ins Schweigen und irgendwann fing ich an zu erzählen, beantwortete Fragen, die er mir stellte. Erzählte weiter, verfiel ins Schweigen, wenn ich nur an seine Augen dachte oder an das Gefühl der Vollkommenheit, das er mir gab. Fing wieder an und schwieg, bis ich zu diesem Morgen kam.
Inzwischen konnte ich schon fast nicht mehr richtig sprechen. Meine Zunge war bleischwer. Dennoch überreichte er mir wieder eine Flasche Bier und ein Glas vom ekeligen Jackie. Was mir mittlerweile nichts mehr ausmachte und ihn, mit einem Schluck, in mich rein kippte.
»Also das ist schon eine harte Scheiße, die ihr oder der Bursche an der Backe habt. Und er war immer noch nicht bei der Polizei?« Ich schüttelte den Kopf.
Wie ich am Ende ins Zelt kam, daran konnte ich mich nicht mehr erinnern, aber ein herrlicher Kaffeeduft weckte mich am nächsten Morgen und ich kroch aus dem Zelt. Mit fadem Alkoholgeschmack im Mund suchte ich mir eine Mineralwasserflasche. Ich hoffte, dass Parker daran gedacht hatte. Wurde aber auch bald fündig, trank die fast eineinhalb Liter Flasche leer und zog mich dann an.
»Na, auch schon wieder wach?« Ich nickte leicht benebelt. Die Natur rief und ich ging in den Wald, dort erleichterte ich mich nicht nur, sondern kotzte mir die Seele aus dem Leib.
»Hey, kotz' mal etwas leiser, du verscheuchst mir die Fische!«
»Ach halt doch die Klappe, du alter Sack!«
»Das hab ich gehört, du Geizhals. Hast mir nicht einmal den letzten Schluck vom Jackie übrig gelassen.« Schon allein die Erwähnung dieses Getränk ließ mich wieder würgen.
»Gescheit so, du hast es nicht anders verdient!«
»Leck mich doch!«
»Nö, dafür hast du deinen Sascha.« Scheiße dachte ich, nun war es so weit. Nun brauchte ich ein dickes Fell und hinterher einen Psychiater, wenn Parker mit seiner Spitzfindigkeit bei mir fertig war. Aber genau das war es, was ich wollte.
»Ach und ich hoffe, dass deine Lunge brennt, du hast mir auch noch die Zigaretten weggeraucht!« Was, ich hatte geraucht? Ich drehte mich zu ihm um und ging langsam, weil meine Motorik noch nicht richtig erwacht war, zurück ins Lager.
»Guck mich net so an, du kaufst mir Neue!« Er schmiss mir eine Packung Aspirin zu, die ich nur mit knapper Mühe auffing. »Gott ey, du siehst scheiße aus! Willst eine guten Morgen Schnappi haben?« Er hielt mir die Zigarettenschachtel hin. Ich schaute ihn nur böse an und er grinste.
»Lass das!«, murrte ich und setzte mich an den Campingtisch. Schenkte mir den frisch aufgebrühten Kaffee ein und gönnte mir einen Schluck. Der Kaffee war köstlich, der holte die Lebensgeister zurück. Schluckte eine Tablette Aspirin und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Meine Fresse war mir schwindlig.
»Nimm gleich noch eine, du siehst aus, als ob du die noch brauchst.«
»Ich weiß, aber lass doch erst einmal die Eine wirken.«
»Tja, ich habe mich nicht sinnlos besoffen, wegen etwas Liebeskummer. - Ach ja, die Firma hat angerufen, irgendetwas wegen der Finanzen. Tom nuschelt immer so leise …«
»Tom?! Der hat von mir Urlaub bis Montag bekommen. Ich glaube, ich werde ihm wirklich noch eine Wohnung im Bürogebäude einrichten lassen.«
»Das würdest du machen!«, bestätigte er.
»Ach ja? Ich dachte, ich bin nur ein Geizhals und beute meine Arbeiter aus.«
»Machst du ja auch. Ganz besonders, wenn ein Abgabetermin näher rückt, dann bist du wirklich nicht mehr zu ertragen.«
»Pass auf, nicht dass du von dir redest, du hast nicht umsonst deinen Spitznamen, alter nörgelnder Knacker, innerhalb der Firma weg.« So ging es noch eine Zeit lang, doch ich musste mir eingestehen, es half mir. Parker hatte einfach das Gespür mich wieder normal denken zu lassen.
Meine Kopfschmerzen waren hammermäßig. Die Zwerge hatten keine Lust, eine Pause einzulegen und ich warf mir die zweite Tablette ein. Parker holte noch schnell vier Fische für Jaydon aus dem Teich, dann packten wir das Campingzeug zusammen.
»Ich weiß nicht, ob du das gestern noch mitbekommen hast, aber ich würde ihn nicht so einfach gehen lassen. Auch wenn es heißt, dass er mit seinem Vater bricht und du deinen Schwiegervater in spe in der Firma ertragen musst. Aber ich bin ja nur ein nörgelnder alter Knacker, der davon absolut keine Ahnung hat. - Außerdem wird sich die Sache mit seinem Vater früher oder später wieder einrenken.«
»Oder auch nicht«, wand ich ein. »Nicht alle Väter ändern auf die Schnelle ihre Meinung.«
»Oder auch nicht!«, wiederholte er und ich fuhr ihn heim.
Nach der zweiten Aspirin gaben mir meine hämmernden Zwerge eine Verschnaufpause und ich freute mich richtig auf eine heiße Dusche. Ja erst eine Dusche und dann in die Firma, irgendetwas stimmte mit den Finanzen nicht. Ich nahm mein Handy zur Hand und stellte fest, dass es keine neuen Nachrichten von dem Stalker gab. Erleichtert atmete ich auf und wählte die Nummer von Mr. ›Ach so nett‹ Fleischhauer.
»Der Anschluss ist vorübergehend nicht erreichbar!«, meldete sich eine blecherne weibliche Stimme und ich legte auf. Schließlich rief ich in der Firma an.
»Tom, ich bin in der nächsten Stunde da. Trommeln Sie Freim, Fleischhauer und Houer zusammen und bereiten Sie sämtliche Unterlagen über unsere Kontenbewegungen vor. Auch will ich eine Standleitung zu Stephan Poetig haben.«
»Ähm, Mr. Fleischhauer hat sich seit gestern beurlauben lassen.«
»Warum denn dass schon wieder?«, schrie ich fast in das Handy.
»Hmm, ich weiß auch nicht so richtig, aber es wird gemunkelt, dass jemand aus seiner Familie im Krankenhaus liegt. Burn-out oder so was.« Für einen kurzen Moment schloss ich meine Augen. In letzter Zeit machte Fleischhauer mir etwas zu oft Urlaub.
»In Ordnung, dann schauen Sie, dass die Stellvertretung von Fleischhauer anwesend ist.«
»Das könnte ich gerade noch schaffen.«
»Was meinen Sie?«
»Ich bin heute auf der Auktion … und die fängt in zwei Stunden an.« Ach ja richtig, stimmt ja. Das hatte ich total vergessen und ich rieb mir über die Stirn.
»Geht klar, Tom. Seien Sie erfolgreich.«
»Ähm ja, wie hoch ist eigentlich das Budget für so eine Versteigerung?« Ich schmunzelte.
»Ich schreibe Ihnen einen Scheck aus.«
»Einen Scheck?!«
»Tom, ich muss auflegen!« Was ich auch tat. Ich fuhr in meine Einfahrt und hatte immer noch das Handy in der Hand. Ich parkte den BMW in der Garage und blickte auf das Display. Automatisch hatte ich Saschas Nummer rausgesucht und war schon dabei auf ›verbinden‹ zu drücken, als mir die ›befehlende Warnung‹ einfiel. Es brachte mir nichts, Sascha anzurufen, denn Anthony würde die Verbindung kappen. Wieder schnaubte ich und stieg aus. Zu guter Letzt warf ich noch einmal einen Blick auf den BMW und schüttelte verdrossen den Kopf. Eins war sicher, ich musste noch in die Waschanlage fahren. Selbst dafür könnte ich Parker schon wieder den Kopf abreißen.
Bevor ich duschen ging, blickte ich in den Kühlschrank. Allerdings schloss ich ihn gleich wieder, denn mein Magen machte unglaubliche Purzelbäume und war der Meinung sich unwirklich verdrehen zu müssen. Übelkeit und Sodbrennen würden mich noch den ganzen Tag verfolgen, wie ein schleichender Nebel. Verdammter Jackie, warum nur hatte ich wieder nach dieser Flasche gegriffen. Nun bezahlte ich den Preis dafür. Wäre es nur Bier gewesen, würde ich mich nicht so fühlen. Und so wie es aussah, war die Pause bei den Zwergen in meinem Kopf auch wieder vorbei. Unaufhaltsam pochte es von Sekunde zu Sekunde wieder heftiger und ich sah mich gezwungen, wieder eine Tablette einzuwerfen. Es war dann die Dritte und ich schwor mir, dass es auch die Letzte blieb.
Ich saß im kleinen Konferenzsaal und wartete, bis sich meine Vorstandsmitglieder einfanden. Tom hatte es sich nicht nehmen lassen, mir ein Tablett mit Essen aus der Firmenkantine zu besorgen. Eigentlich war es gutes Essen, es wurde vom städtischen Krankenhaus geliefert, nur mein Magen war immer noch der Meinung, dies zu verweigern und so sah ich die zwei Scheiben Brot, das Stückchen Butter sowie die Wurst und den Käse an. Mehr konnte ich nicht, allein schon der Gedanke etwas zu essen ließ mich würgen. Sogar den Kaffee ließ ich stehen und trank stattdessen das Mineralwasser. Ohne anzuklopfen, betraten Freim und Houer den Saal und setzten sich mit einer knappen Begrüßung auf ihre Plätze. Dicke Ordner hatten sie dabei und selbst Tom kam mit einem Stoß von Schnellheften und Akten noch einmal rein, bevor er sich verabschiedete.
»Den Scheck haben Sie?« Er wurde blass. Seitdem er auf den Scheck geschaut hatte und die Zahl Zehn mit den fünf Nullen dahinter gesehen hatte, änderte sich seine Hautfarbe irgendwie nicht mehr. Im Gegenteil, er war noch weißer. Kurz nickte er und war verschwunden.
»Bevor Nicole kommt, möchte ich einen Misstrauensantrag gegen Mr. Fleischhauer stellen«, sagte Freim und schob mir seine oberste Akte zu.
»Wir sind hier nicht vor Gericht«, warf ich ein und handelte mir einen bösen Blick von ihm ein.
»Das weiß ich selbst, Kyel!« Oh, Mr. Freim nannte mich beim Vornamen, also war die Sache entweder persönlich oder wie in diesem Fall besonders beschissen ernst. Ich horchte auf und Houer, der niedergeschlagen, wegen seiner sterbenden Frau aussah, nickte unmerklich.
»Peter und ich haben uns diesbezüglich schon unterhalten und selbst einige Nachforschungen angestellt. Auf dem Geschäftskonto fehlen einige Einzahlungen, ebenso wurde eine Auszahlung in die Schweiz getätigt.«
»Schweiz? Dort wohnt doch Taroma?«, stellte ich fest und die beiden nickten.
»Ja, aber die Bank konnte uns nicht mitteilen, ob es sich bei diesem Konto, tatsächlich um ein Konto von Taroma handelt. Schweiz …«
Es klopfte und ich sagte noch schnell, dass ich den ›Misstrauensantrag‹ bewilligte. Nicole, eine junge Frau, Mitte zwanzig, mit mahagonifarbenem Haar, das sie gerne offen trug, kam herein. Sie trug einem Hosenanzug, dessen Grau perfekt mit ihren Haaren harmonierte. Wäre ich hetero, würde ich sie wahrscheinlich, wie die anderen, umgarnen. Aber ich wusste natürlich auch, da ich der Chef war, würde sie mich nicht aus ihrem Bett stoßen. Frauen waren so berechenbar. Sie setzte sich auf dem Platz von Mr. Fleischhauer und auch sie war mit vielen Schnellheften und Akten beladen.
»Bitte, es tut mir außerordentlich leid. Als Tom gesagt hat, dass es eine interne Konferenz über die Finanzen gibt, habe ich schnell einige Sachen zusammengesucht, die mir eigentlich etwas spanisch vorkommen. Mr. Fleischhauer ist wirklich ein guter Mann und …«
»Geht in Ordnung. Mr. Fleischhauer wird Ihnen bestimmt nicht gleich den Kopf abreißen«, sagte ich und sie nickte etwas nervös.
Eigentlich hatte ich gedacht, dass die Konferenz in einer Stunde vorüber wäre, doch im Laufe des Gespräches kamen immer mehr Ungereimtheiten zutage. Und so zog sich die Konferenz bis spät in den Nachmittag rein. Nicole hatte wirklich gute Arbeit geleistet. Seit sie hier angefangen hatte, hatte sie selbst einen Ordner, über die Kontobewegungen der Firma, angelegt.
»Nun ja, wie Sie sehen, seit Markus hier im Vorstand ist, hat sich dies immer weiter verändert«, sagte sie und zeigte auf eine von ihr angefertigte Tabelle.
Freim kicherte leise süffisant auf. »Kyel, der treibt dich schleichend in den Ruin. Spätestens in fünfzehn Jahren hast du nichts mehr.«
Nachdem die Fakten offen gelegt waren und wir, im wahrsten Sinne des Wortes, auf keinen Nenner kamen, beendete ich die Konferenz und verschwand in mein Büro. So wie die Sachlage sich darstellte, arbeitete Markus mit Taroma zusammen und mit noch vielen anderen, denen ich, im letzten halben Jahr, mehr oder weniger, das Geschäftsverhältnis gekündigt hatte. Nach einigem Hin- und Hergrübeln stand ich auf und ging zur Anmeldung. Ein unbekannter Anblick erwartete mich, denn es war niemand dort. Tom, das lebende Inventar, war nicht anwesend und ich schmunzelte innerlich darüber, wie sehr ich mich an seine ständige Anwesenheit gewöhnt hatte. Kurz suchte ich die Unterlagen für den Urlaubsanspruch heraus und nahm mir einen Zettel. Ich füllte ihn aus und überreichte es einem Lehrling, mit der Bitte, dass er es in die Personalabteilung schaffen sollte, sie sollten Fleischhauer über seine unbefristete Beurlaubung unterrichten. Als ich wieder in mein Büro zurückwollte, klingelte das Telefon der Anmeldung. Ich nahm ab.
»Kastner Import Export. Sie sprechen mit Kastner.« Die Leitung knackte und ich hörte ein leichtes Schnaufen.
»Ähm ja!«, meldete sich eine Frauenstimme.
»Hier ist Sarah Fleischhauer. Ist Mr. Kastner zu sprechen?« Ihre Stimme klang fest, dennoch vernahm ich einen zittrigen Klang und ich wurde hellhörig.
»Ich bin dran!«
»Ja, ich … ich … es tut mir leid, dass ich Sie anrufe, aber ich weiß einfach nicht mehr weiter … Sascha und Dad und …« Ich hörte, dass sie schniefte und allein der Name Sascha zog mein Herz wieder zusammen.
»Ist mit Sascha alles in Ordnung?«
»Schon, nein … können wir uns treffen … Es tut mir leid, wenn Sie keine Zeit haben, aber … Sascha liegt im Krankenhaus … und … und …!« Ihre Stimme stockte und sie schniefte immer heftiger, als ob sie ihr Weinen unterdrücken wollte und es dennoch, unaufhaltsam in ihr hochstieg.
»Ist Ihr Vater zu sprechen?«, fragte ich und hatte das dumpfe Gefühl, dass sie mir gleich etwas sagen würde, das für sie die Wahrheit war und für mich eine totale Lüge.
»Nein, er müsste in der Firma sein …« Tata … dachte ich es mir doch.
»Ich komme bei Ihnen vorbei. Ist Ihre Mutter …«
»Nein, wir sind im Krankenhaus«, schnitt sie mir schnell das Wort ab.
»Station 5 Zimmer 12.« Moment, in der Zeit als ich im Krankenhaus mein Praktikum absolviert hatte, war die Station 5 für Nervenkranke. Mit anderen Worten die Psychiatrie. Mir wurde schlecht und ich schloss für einen kurzen Moment die Augen, um das Schwindelgefühl zu unterdrücken.
Sascha lag also im Krankenhaus, wieder einmal. Er hatte es wirklich geschafft, ihn so fertigzumachen. Und selbst ich trug einen großen Teil mit dazu bei, dass es so weit kam. Während des ganzen Wegs ins Krankenhaus sah ich immer wieder das traurige und entschlossene Gesicht von Sascha vor mir. Wie er mich von sich weggestoßen hatte. Angeschrien, dass ich ihn in Ruhe lassen sollte. Gott, mir war kotzübel, aber nicht von der durchzechten Nacht, sondern, weil meine Schmetterlinge, die unbedingt Sascha wiedersehen wollten, keinen Tanz hinlegten, sondern gleich ein ganzes Gebäude einstürzen ließen. Auch beschwerte sich mein Magen, weil er immer noch keine Nahrung bekommen hatte, was auch noch einen erheblichen Teil zu meiner Übelkeit beitrug.
Ich stand vor der Tür und blickte, keine Ahnung das wievielte Mal, auf die Nummer. Unfähig meinen Arm zu heben und anzuklopfen. Was würde mich da drinnen erwarten? Wieder ein schneeweißer Sascha, der gedankenverloren aus dem Fenster schaute. Mit der verzweifelten Hoffnung, dass niemand hinter seine aufgestellte Fassade blicken konnte, die ich mit roher und brutaler Gewalt zum Bröckeln gebracht hatte. Ich war schuld. Nur ich alleine war schuld, weil ich darin eine Herausforderung gesehen hatte. Tief holte ich Luft. Ich versuchte vergebens, die aufkommenden Kopfschmerzen, sowie den umgedrehten Magen zu ignorieren. Schließlich klopfte ich zögerlich an, vernahm ein leises ›Herein‹ und sah, wie meine Hand sich zitternd auf die Klinke legte. Wieder holte ich tief Luft, dann öffnete ich die Tür.
Scharf sog ich die Luft ein, als mir dieser Anblick entgegensprang. Mrs. Fleischhauer saß am Bett und hielt sanft Saschas Hand. Sarah stand am Fenster und ihre Augen waren tränenverquollen und sie schnäuzte in ein ziemlich verbrauchtes Taschentuch. Sascha selbst lag mit geöffneten Augen, an die Decke starrend, im Bett und rührte sich nicht. Als Mrs. Fleischhauer mich erblickte, stand sie, wie es mir schien, sich ungern von Sascha trennend, auf und kam auf mich zu. Ihre Hand zitterte genauso, wie meine Hand es getan hatte, und reichte sie mir. Mir fiel auf, dass sie auf der rechten Wange einen leichten blauen Fleck hatte.
»Vielen Dank, dass Sie gekommen sind«, murmelte sie und Sarah wusste nicht, wie sie mir entgegenkommen sollte. Ich trat an Sascha heran und diesmal gab es mir einen deftigen Stich in mein Herz. Saschas Gesicht war nicht nur blass, es war grau und tief eingefallen. Seine Augen waren schwarz umrandet und vor allem waren sie leer. Kein Glanz, kein Funke der Erkenntnis war in ihnen und er starrte, flach atmend, an die Decke. Ich bezweifelte sogar, dass er die Decke sah. Er war mehr, als nur apathisch.
»Was ist passiert?«, fragte ich und meine Kehle war trockener, als in der früh nach der durchzechten Nacht. Selbst das Schlucken viel mir schwer und ich strich automatisch, eine Strähne aus seinem Gesicht. Nicht einmal diese leichte Berührung nahm er wahr.
»Dr. Kram sagt, dass es ein Fall von akutem Burn-out ist. Aber so stark, dass sein Unterbewusstsein zugemacht hat und er in eine Art von Wachkoma gefallen ist.« Dr. Kram? Ah, ich erinnerte mich, er war der Freund von einer Freundin, dessen Cousine wiederum, keine Ahnung, mit Emily befreundet war oder so ähnlich. Apropos Emily. Ich sollte mich mal bei ihr melden, immerhin war ich der Pate von Little Johnny, oh Verzeihung, John.
Nach minutenlangem Schweigen beschloss ich, diese beiden Frauen auf einen Kaffee einzuladen. Mrs. Fleischhauer sah aus, als ob sie einen Kaffee mit einem kräftigen Schuss nötig hatte und Sarah mied irgendwie meinen Blick. Auch hatte ich das unbeständige Gefühl, das sie mir etwas sagen wollte und es nicht übers Herz brachte. Dies konnte ich nur in Erfahrung bringen, wenn ich die Mauer, die aus Eis bestand, zu Fall brachte. Und ich musste es wissen. Ich wäre in meinem Leben nicht so weit gekommen, wenn ich nicht hin und wieder, meine angeborene Diplomatie, angewendet hätte.
Dankend nahm Mrs. Fleischhauer den Kaffee entgegen, Sarah hatte sich eine Cola bestellt und wir setzten uns an einen freien Tisch. Auf die Terrasse konnten wir nicht, weil der Nieselregen wieder eingesetzt hatte. Mann, was für ein Wetter und selbst ich, trank einen heißen, nach Pappe schmeckenden, Kaffee.
Allmählich taute Mrs. Fleischhauer auf und wieder bedankte sie sich, dass ich gekommen war. In ihren Blick erkannte ich wahrhaftige Sorge. Nicht die Aufgesetzte nach außen hin, ›ach bin ich aber eine tolle Mutter‹. Vor allem, weil ich diesen Glanz schon einmal bei ihr gesehen hatte.
»Ich. Ich … habe Ihnen viel zu verdanken«, sagte sie schließlich, nach Worten suchend, an mich gewandt. »Sie haben Sascha in der ganzen Zeit Halt gegeben …«
»Nein, habe ich nicht … ich kenne ihn erst seit letzter Woche.« Überrascht schaute sie mich an.
»Sie sind der ›Freund‹, bei dem Sascha übernachtet hat!«, rutschte es aus Sarah raus und ihre Mutter war noch überraschter, als ich dem zustimmte. Es hatte absolut keinen Sinn mehr, noch zu lügen und noch mehr Mauern zwecks Sascha aufzubauen, die ich wieder ohne Gewissen einschlug. In Mrs. Fleischhauer überraschtem Ausdruck ließ sich eine Frage erkennen, bei der ich Zweifel hatte, ob sie die Antwort, auf diese Frage, verkraften würde. Doch leider kam Sarah ihrer Mutter und mir wieder zuvor. »Sind Sie mit ihm zusammen? Ich meine so richtig!« Diese Frage kam fest und mit sehr viel Überzeugung. Definitiv wusste sie etwas und deshalb war Lügen überhaupt nicht mehr angebracht.
»In gewisser Weise, ja.« Mrs. Fleischhauer sog daraufhin etwas zu hastig die Luft ein und schloss ihre Augen.
»Gott, wenn das mein Mann wüsste!«, flüsterte sie, ohne zu merken, dass sie es doch lauter ausgesprochen hatte, als beabsichtigt.
»Das ist jetzt scheißegal, ob Dad es weiß oder nicht! Überlege, was er zu dir gesagt hat und wie er dich gestern behandelt hat!« Mrs. Fleischhauer zuckte leicht zusammen und berührte gedankenverloren ihre Wange. Ich zog meine Augenbrauen zusammen.
»Hat er Sie geschlagen!«, fragte ich gleich drauf und sie blickte verschämt zu ihrer Tochter.
»Nein, ich bin gegen die Tür gerannt.« Sarah biss sich fast auf die Lippe und schaute ihre Mutter wütend an.
»Lass das endlich sein!«, ging Sarah ihrer Mutter dazwischen, »Ja, Dad hat sie geschlagen und sie als Schwuchtelhure bezeichnet.«
»Geschlagen? Schwuchtelhure?!«, wiederholte ich diese mir unbegreiflichen Wörter und sah, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten.
»Nicht nur das, er warf ihr vor, mit einem Schwulen im Bett gewesen zu sein, weil Sascha jetzt schwul ist und wir nicht seine Kinder sind. Und noch vieles mehr.«
»So schlimm war das nicht. Wir hatten gestern nur eine kleine familiäre Auseinandersetzung.«
»Fängst du schon wieder damit an. Es war keine Auseinandersetzung, das war ein heftiger Streit. Und außerdem hättest du dich schon damals von ihm trennen sollen. Aber nein, du hast dich wieder einlullen lassen!«, redete Sarah sich in Fahrt und ihre Mutter kam langsam mit dem Wegwischen ihrer Tränen nicht mehr nach.
»Es tut mir leid, dass Sie das miterleben«, entschuldigte die Mutter sich bei mir und ich winkte ab.
»Dass ihr Probleme habt, das weiß ich schon längst. Nur so, wie es aussieht, beschränkt sich das nicht nur auf Saschas Homosexualität. Ihr habt nicht nur ein familiäres Problem, sondern noch ein viel Größeres.« Mir war es egal, ob sie davon erfuhren oder nicht. Ich wollte einzig und allein dieser Familie die Fehler an den Kopf schreien. Vor allem war das Wichtigste, Sascha um jeden Preis Sascha zu helfen und ihn zurückzubekommen.
Es bestand bei zwei Punkten dringender Handlungsbedarf. Punkt eins, die immer stärker werdende Erkenntnis, dass Mr. Fleischhauer ein doppeltes Spiel spielte und ich dem entgegenwirken musste. Punkt zwei, ich wollte die kleine Familie Fleischhauer, die zu diesem Zeitpunkt nur aus Loren, Sarah und Sascha bestand, unterstützen.
Im Laufe unseres Gespräches kamen Sachen an die Oberfläche, an die ich nie im Leben gedacht hätte. Sarah hatte es geschafft, die Zunge ihrer Mutter zu lösen, und irgendwann offenbarte sie mir einige Familiengeheimnisse, bei denen selbst Sarah manchmal die Spucke wegblieb. Besonders als Loren, wir haben uns das du angeboten, mit der Sprache rausrückte, dass sie vor vier Jahren ein Verhältnis mit dem damaligen Englischlehrer von Sarah, Mr. Clancy, hatte. Der gleichzeitig auch der Klassenlehrer der Zwillinge war. Es war ein, etwas tiefer gehendes, freundschaftliches und auf Sex basierendes Verhältnis. Selbst Mrs. Fleischhauer, also Loren hatte keine so reine weiße Weste, wie sie gerne nach außen hin zeigte. Diese Familie ›Ach so nett‹ und freundlich nach außen hin, hatte mehr Leichen im Keller, als man dachte.
Mr. Clancy, dieser Name verfolgte mich schon seit einigen Tagen, da Anthony mir die Bilder der damaligen Red Eyes Mitglieder gezeigt hatte, zu denen auch er gehörte.
Bevor ich mich verabschiedete, ging ich in Saschas Zimmer zurück und wie schon so oft, stahl ich mir einen Kuss. Nur diesmal kam keine Reaktion und seine Lippen waren kalt und trocken. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Loren kurz zusammenzuckte und betreten aus dem Fenster schaute. Nun hatte ich ihn offiziell zu meinem Geliebten gemacht und Nichts und niemand konnte ihn mir noch wegnehmen. Außerdem hatte ich ihm auf diese Weise die Aufgabe abgenommen, seinen Eltern zu sagen, dass er einen Freund hatte, der nun ja, nicht nur ein platonischer Freund war.
Was mich allerdings wunderte, war, dass es Loren recht gefasst aufgenommen hatte, als ans Licht kam, dass zwischen Sascha und dem Chef ihres Mannes - mir - schon etwas mehr, als nur Händchenhalten war. Dennoch sah ich ihr hin und wieder an, dass ihre Gedanken mit ihren Emotionen nicht immer übereinstimmten. War mir egal, dieses ewige Versteck spielen, wurde mir sowieso zu blöd. Sascha war erwachsen und konnte machen, was er wollte, selbst wenn er mit zwei Männern und einer Frau ins Bett steigen wollte, was ich allerdings nicht hoffte, konnte sie dennoch nichts mehr dagegen unternehmen.
Ich setzte meinen Blinker und fuhr auf den Parkplatz vor dem alten Theater. Die Versteigerung müsste in vollem Gange sein, und da ich im Moment nichts Besseres zu tun hatte, wollte ich, für mich persönlich, einige Sachen aus der Hinterlassenschaft von Clara von Dorings, ersteigern. Leider kam ich zu spät. Die Versteigerung, der Hinterlassenschaft der verstorbenen Dame, war schon vorüber. Stattdessen ging ich in den anderen Raum, wo noch Dinge versteigert wurden. Auf den ersten Blick erkannte ich, dass es sich dabei, um eine öffentliche Wohnungsauflösung handelte und die Familien, die Erbstücke, die sie nicht selbst behalten wollten, so verkauften. Ein Flohmarkt mehr nicht. Ich setzte mich dennoch hin und betrachtete kurz die Nummer, die ich mir geholt hatte. Das Erste, dass ich von der laufenden Versteigerung mitbekam, war, eine normale Taschenuhr, bei der das Anfangsgebot 1 $ war. Diese wurde für 5 $ versteigert. So ging es weiter, bis mir ein Ölbild ins Auge stach, das weit unterm Wert angeboten wurde. Diese Familie konnte wirklich keine Ahnung haben, allein dieses Bild hatte einen Wert von knapp fünftausend Dollar und wurde mit einem läppischen Anfangsgebot von 100 $ angeboten. Natürlich ersteigerte ich das Bild für 110 $. Und noch andere, kleinere Sachen, die ich wertschätzen lassen, restaurieren und verkaufen wollte. Ich hatte genügend Antiquitätenhändler, Ramschladenbesitzer oder andere Kunden zur Hand, die mir auch die kleineren billigeren Sachen abkauften. Ja es war so, Kleinvieh machte tatsächlich viel Mist.
Auf dem Gang traf ich auf Tom, der sich wild gestikulierend und etwas heftiger mit jemandem unterhielt.
»Das darf doch nicht wahr sein! Was soll das heißen … ein Bein ist während des Transportes abgefallen und jetzt stehe ich da! Ich sehe nicht ein, dass ich den vollen Betrag dafür bezahle. Vor noch nicht einmal drei Stunden, war der Tisch noch komplett in Ordnung und jetzt … können Sie mir bitte verraten, wie ich das meinem Chef klarmachen soll, dass dem guten Tische, während des Transportes ein Bein abgefallen ist?«
»Wir können den Betrag nicht mehr zurückziehen. Entweder verzichten Sie auf den Tisch oder bezahlen den vollen Betrag. Noch können Sie das Gebot stornieren.«
»Ich hör wohl nicht richtig! Immerhin ist das Ihr Fehler, dass Sie unfähig sind, einen Tisch zu transportieren. Ich hoffe nur, dass er nicht auch noch ein Brandloch aufweist, nur weil einer Ihrer Mitarbeiter ihn als überdimensionalen Aschenbecher ansah und seine Zigarette darauf ausgedrückt hat.«
»Tom beruhigen Sie sich!«, er erschrak und sein Gegenüber fing süffisant zu grinsen an.
»Oh, Mr. Kastner. Die Auktion von Clara von Dorings ist leider schon vorüber, aber wir haben noch einige Bestände aus ihrem Nachlass, wenn Sie möchten, dann führe ich Sie persönlich …«
»Nein danke, mein Interesse gilt nur dem Tisch aus der Renaissance und dem Bild ›Der blaue Apfel‹ …«, der Mann wurde weiß.
»Ich berufe mich auf die *dritte Regelversicherung. Hiermit beanspruche ich sie für das, was mein Sekretär Tom Selter in meinem Namen ersteigert hat«, sagte ich und Tom blickte mich verdattert an. Der Mann nickte verhalten und holte einen Zettel aus seinem Jackett.
»Was?«
»Ich habe mich darauf berufen, dass ich gewillt bin, das beschädigte Teil, das wegen einem Transportfehler oder einem anderen Malheur aufseiten des Verkäufers passierte, dennoch zu kaufen. Sie mir aber im Gegenzug einen 25-%-Nachlass, auf das von ihnen beschädigte oder kaputt gegangene Teil geben.«
»Da … das wollte ich ja auch, aber warum?«
Ich nahm Tom auf die Seite und gab dem Auktionator die Gelegenheit sich in Ruhe, um meinen Auftrag zu kümmern.
»Hmm, Tom. Diese Leute haben gemerkt, dass Sie noch neu in dem Geschäft sind und deshalb haben sie gedacht, mit Ihnen kann man spielen. Und je mehr Sie sich da hineingesteigert hätten, umso eher hätten Sie am Ende entweder den vollen Preis bezahlt oder storniert und das wäre für sie ein Gewinn gewesen. Wenn Sie es storniert hätten, hätten sie das Stück wieder versteigert, natürlich mit dem Hinweis, dass ein Bein kaputt sei und wer weiß, vielleicht hätten sie sogar mehr dafür bekommen. So verlieren sie 25 %. Das ist für sie ein größerer Verlust, als einen kaputten Tisch erneut zu versteigern, wobei sie dafür eine deftige Geschichte erfunden hätten, um den Preis noch mehr anzuheben. Gegenstände mit einer dunklen Geschichte lassen sich sehr gut und teuer verkaufen.«
»Ah!«, gab er als Antwort und ich bezweifelte, dass Tom irgendetwas davon verstanden hatte.
Am Abend fuhr ich nicht nach Hause, sondern ins Büro. Ich hatte absolut kein Interesse, in meinen eigenen vier Wänden, die ohne ihn so leer waren, zu schlafen. Mit Loren hatte ich ein Treffen für den kommenden Abend ausgemacht. Sie sollte ins Büro kommen, denn ich hatte Mr. Fleischhauer in den Zwangsurlaub geschickt. Und ihn daheim anzutreffen, während ich mit Loren über Sascha redete, wollte ich auf eine gewisse Art nicht. Nicht, dass ich mich dafür schämte oder einfach zu feig war, nein, ich wollte dieser Familie nicht noch mehr Probleme bereiten, als sie schon hatte. Schon gar nicht beabsichtigte ich, dass Mr. Fleischhauer Lorens Gesicht wieder mit einem Sandsack verwechselte. Gott, je länger ich mit dieser Familie in Kontakt war, umso weniger war mir der einstige, immer fröhliche, viel lachende, in seine Arbeit versunkene, rechtschaffene Mann noch sympathisch. Nein, ich entwickelte langsam einen regelrechten Hass auf ihn. Dieser Mann hatte nicht nur was gegen Schwule, sondern schlug zudem auch noch seine Frau und seinen Sohn, außerdem stand er unter Verdacht, mein Geld zu veruntreuen. »Was für ein Tag!«, dachte ich und legte mich auf meine hergerichtete Couch. »Tut mir leid, Tom. Heute schlafe ich darauf.« Mit diesen Gedanken schlief ich ein.
Am nächsten Morgen wachte ich mit einem dummen Gefühl auf. Kurz danach polterte und trommelte es ohne Rücksicht an meine Tür. Wenigstens hatte mich meine Vorahnung schon eine halbe Stunde früher geweckt und ich sah dadurch nicht so arg verschlafen aus. Der Rausch hing mir immer noch in den Knochen. Ich war eben auch nicht mehr der Jüngste und rief: »Herein!« Wie schon geahnt, kam ein wütender Markus Fleischhauer, mit zornigem Blick, in mein Büro geschossen und warf mir den Zettel mit dem Zwangsurlaub vor die Nase.
»Wie darf ich das verstehen?«, fing er an und ich hielt seinem Blick stand. Mir war egal, wie sauer er war und wenn er vor mir vor Wut platzte, was wiederum eine schöne Vorstellung war, würde ich nicht klein beigeben.
»So wie es draufsteht.«
»Das ist eine Suspendierung!«
»Genau.«
»Darf ich den Grund erfahren?«
»Natürlich dürfen Sie das.«
»Und was ist der Grund?«
»Verdacht auf Veruntreuung!« Er schnaubte wie ein Stier. Ich fragte mich schon, wann er solch rötlichen Augen bekommen würde, wie es immer in den Zeichentrickfilmen gezeigt wurde, wenn einer kurz vor der Explosion stand.
»Mr. Kastner, Sie glauben doch wohl nicht ernsthaft den Gerüchten, die seit einiger Zeit im Umlauf sind?« Ich hatte noch keine Gerüchte gehört.
»Nein, es sind keine Gerüchte, die mich zu diesem Schritt veranlasst haben. Für mich zählen allein nur Fakten und Tatsachen. Und Tatsache ist, dass Ihr Name vermehrt in verdächtigen Unterlagen und Kontobewegungen auftaucht. Und solange das nicht geklärt ist, sind Sie suspendiert. Machen Sie sich einige schöne Tage mit Ihrer Familie.«
»Das ist eine hochgradige Verleumdung. Jemand will mir was in die Schuhe schieben!«
»Warum sollte jemand das tun? Und wenn Sie von irgendwelchen Gerüchten Kenntnis hatten, warum haben Sie sich diesbezüglich nicht mit mir in Verbindung gesetzt? So gelten eben nur die Fakten.« Um Himmels willen, wenn Blicke töten könnten, wäre ich schon mindestens drei Mal gestorben.
»Ich wünsche Ihnen, einen guten Tag, Mr. Fleischhauer.« Mit hochrotem Kopf verließ er mein Büro. Da er ja eine ›gute‹ Erziehung genossen hatte, schlug er die Tür nicht zu, sondern knallte sie so heftig ins Schloss, dass ich die Vibration noch auf dem Schreibtisch spürte.
»So weit dazu!«, murmelte ich und schloss für einen kurzen Moment meine Augen.
Es war Donnerstag und eigentlich wollte ich Sascha eine Überraschung bereiten. Eine vorgezogene Überraschung. Weil wir uns am Freitag, zwei Wochen kannten. Nur lag er im Krankenhaus und so saß ich da und betrachtete die zwei Tickets in meiner Hand für das Konzert von »Die Kazas«. Verdrossen schnaufte ich ein. Ich müsste mich mal, mit Timothy Feiler in Verbindung setzten, bevor er in den Ruhestand geht. Vielleicht könnte ich es so arrangieren, dass Sascha einmal Backstage dabei sein konnte. Er liebte diese Gruppe und war ein totaler Fan.
Kaum zu glauben, diese Gruppe hielt sich schon seit über dreißig Jahren auf der Bühne. Sicherlich waren es nie die gleichen Sänger und Tänzer, aber diese Gruppe hatte ihren Kultstatus schon lange erreicht und der Erfolg lag ihnen immer noch zu Füßen. Vor fünfundzwanzig Jahren gab es mal ein sehr großes Aufheben um diese Gruppe, was ja auch kein Wunder war. Sie traten in einer Region auf, wo der Bürgerkrieg jahrzehntelang geherrscht hatte. Zwei oder drei Backgroundsängerinnen und eine Leadsängerin verschwanden auf mysteriöse Weise. Bis dato wusste keiner, was mit ihnen passiert war. Aber nachdem die Gruppe dort ihren Auftritt hatte, wurde der Bürgerkrieg beendet und seitdem herrschte dort Frieden.
Ich zog die Schublade auf und verstaute die Tickets darin. Dann suchte ich mein Jackett, das ich auf der Couch fand und anzog. Schnappte mir meinen Schlüssel und verließ das Büro. Mein erster Weg führte mich ins Krankenhaus, und als ich Sascha sah, der immer noch unverändert an die Decke stierend dalag, wusste ich eindeutig nicht mehr weiter. Ich spürte, wie meine Augen brannten, als er wieder keine Reaktion zeigte, während sich unsere Lippen berührten. Selbst sein so wundervoller, streichelnder Atem war nur noch flach und kaum wahrnehmbar.
»Komm zurück … Gott, Sascha komm zu mir zurück!«, flehte ich ihn murmelnd und tief aus meinem Herzen an. Ich wusste nicht, wie oft ich diese Wörter, immer und immer wieder, wiederholte. Mit meiner Stimme, in meinen Gedanken und vor allem schrie sie mein Herz. Mein ganzer Körper brüllte ihn an, doch er machte keine Anstalten, diese Wörter, die aus Verzweiflung bestanden, zu erhören. Zärtlich fuhren meine Finger über sein Gesicht und zeichneten seine leichten Falten auf der Stirn nach. Seine Nase bis hin zu seinen Lippen, dann über die Augenbrauen zu seinen Ohren weiter zu seiner besonderen Stelle. Nichts! Keine Reaktion. Seine Hand hatte ich in die Meine genommen und hauchte zärtliche Küsse auf die Fingerspitzen. Ich wusste nicht, wie lange ich es tat. Ich bekam auch nicht mit, dass inzwischen Loren im Zimmer war. Sie hielt aber einen gebührenden Abstand, um mich nicht zu stören. Ich bemerkte sie erst, als sie sich einen Stuhl herangezogen hatte und ebenfalls eine Hand von ihm in die ihre nahm. Kurz trafen sich unsere Blicke und in diesem kurzen Moment trafen wir ein stummes Abkommen. Gegenseitiges Verständnis.
»Ich bin schwul. Da … das ist … das Prob…« Ich erschrak fürchterlich und selbst Loren sah geschockt zu Sascha. Seine Augen waren immer noch starr an die Decke gerichtet und dennoch spürte ich, wie seine Hand zitterte, seine Atmung sich beschleunigt hatte und von einer Sekunde auf die Nächste, war er wieder apathisch. Loren rannte aus dem Zimmer, so schnell konnte ich nicht reagieren, da hörte ich sie auch schon draußen auf dem Gang schreien.
»Dr. Kram … Dr. Kram!« Ich schnaubte und einer inneren Regung nachgebend, nahm ich sein Gesicht in meine Hände. Beugte mich zu ihm runter und hauchte wieder einen zärtlichen Kuss auf seine Lippen. Wie automatisch fuhr meine Zunge über seinen Mund, nur um etwas von seinem wunderbaren Geschmack zu erhaschen. Wie ich ihn vermisste. Sein süßes Lächeln. Wie er immer die Augen verdrehte, wenn er sich aufregte. Seine ganze Körperhaltung, wie sie sich verändert hatte. Wie er offener wurde, gegenüber sich selbst und gegenüber mir, wieder schnaubte ich und setzte mich auf den Stuhl zurück. Leicht lächelte ich, als ich mich daran erinnerte, wie es war, wenn er sich über mich ärgerte. »Du bist einfach unverbesserlich.« Denn genau das würde er sagen. »Mein kleiner Orkan komme endlich zu mir zurück.« Die Tür wurde aufgestoßen und Loren kam mit dem Doktor in das Zimmer.
»Dann wollen wir mal schauen!«, sagte er. Ich stand auf, zog den Stuhl vom Bett und gab dem Arzt somit Platz, besser an Sascha heranzukommen. Er holte eine kleine Taschenlampe aus seinem Kittel und leuchtete damit in Saschas Augen.
»Hmm, die Pupillen zeigen normale Reaktionen. - Was haben Sie gemacht, dass er etwas gesagt hat?«
»Ich habe mit ihm gesprochen.« Der Arzt blickte mich an, doch dann schmunzelte er.
»Haben Sie ihm eine Frage gestellt?« Ich schüttelte den Kopf. »Hmm, das wäre einen Versuch wert. Sprechen Sie mit ihm. Alle. Jeder auf die Weise, die Mr. Fleischhauer von demjenigen kennt!« Sarah, die inzwischen auch schon da war, schaute den Arzt fragend an. »Er ist schon dabei aufzuwachen, nur wir geben ihm einen Anstoß, dass es schneller geht. Reden sie mit ihm. Erzählen sie ihm irgendetwas.«
»Sascha! Komm endlich zurück. Lass dich nicht so lange anbetteln!«, fing ich an und sah, wie sich seine starren Augen mit Tränen füllten. Sanft wischte ich eine kullernde Träne weg.
»Das sind gute Anzeichen. Er scheint zurückzukommen. Er reagiert auf Sie ...«, trieb mich der Arzt weiter an.
»Sascha! Komm zurück. Wie lange willst du mich noch warten lassen?« Sein Kopf bewegte sich etwas und dies bestärkte mich. »Komm zurück, alle warten auf dich. Ich warte auf dich … « Ich versuchte, all meine Gefühle mit diesen Worten zu vermitteln. Der Arzt war auf der anderen Seite des Bettes und hielt ein Stethoskop an Saschas Brust.
»Reden Sie weiter, sein Unterbewusstsein reagiert auf Sie. Machen Sie weiter, Sie alle. Sein Herzschlag erhöht sich …«
»Sascha! Komm zu uns zurück. Du brauchst dich nicht mehr zu verstecken, du Volldepp. Verdammt, was soll ich denn ohne dich machen, wenn ich niemanden mehr zum Streiten habe?!«, schluchzte Sarah und sie streichelte über seinen Kopf. Auch sie wischte eine Träne aus seinem Gesicht.
»Schatz, bitte, wir alle vermissen dich! Sascha! Ich weiß, ich habe einen großen Fehler begangen. Bitte verzeih mir. Ich will, dass du wieder bei uns bist … - Sascha, mein Sohn, es tut mir alles sehr leid«, bestärkte Loren ihn und ich sah schon eindeutig einige Reaktionen von ihm. Seine Brust hob und senkte sich verstärkt. Seine Hand umgriff die Meine und sein Schnaufen wurde tiefer.
»Sascha, … komm, mach schon!« Sein Griff wurde fester und plötzlich atmete er so tief ein, dass er sich sogleich an seiner Spucke verschluckte und keuchend hustete. Wieder blickte der Doktor in seine Augen und Sascha wandte seinen Kopf ab.
»Er ist wach. Sie haben es geschafft.«
Sascha versuchte sich aufzusetzen, doch seine Kraft blieb ihm versagt. Ich beugte mich etwas über ihn und spürte, wie sich ein erleichtertes Grinsen auf meinem Gesicht breitmachte.
»Kyel«, keuchte er und verdrehte seine Augen.
»Sascha, hey Sascha …!«, rief ich und zog ihn an mich heran. »Gott, bleib bei mir«, flüsterte ich in sein Ohr und spürte, wie warme Tränen auf mein Hemd tropften. Erleichtert atmete ich ein, als seine Arme um mich griffen. Sanft küsste ich seine Stirn und drückte ihn an mich. Niemals wollte ich den Moment vergessen, als er mich erkannt hatte.
»Ich liebe dich«, murmelte ich in sein Haar.
Im ganzen Zimmer war es mucksmäuschenstill, nur manchmal hörte man ein Schluchzen oder ein befreites, erleichtertes Aufatmen. Nur eins schien in diese Ruhe nicht zu passen, ein Knacken und der plötzliche Schrei von Loren, gefolgt von einem Pistolenschuss.
»Das ist dafür, dass du mich die ganzen Jahre betrogen und belogen hast, du Schwulenhure.«
Ein Knall holte mich mit Brutalität zurück und ich hörte nur noch, dass Mom und Sarah schrien. Fest viel zu fest wurde ich an einen harten Körper gedrückt und sein heftiger Atem drückte mir die Luft ab. Wo war ich? War das immer noch der dunkle Traum, der mich festhielt?
»Scheiße!«, hörte ich jemanden murmeln und ich nahm wahr, dass ich an Kyel gedrückt wurde. Es war nicht mein Vater. Es war die ganze Zeit Kyel, der bei mir war. Und doch, ich erinnerte mich, dass Dad mich angelächelt hatte, bevor … bevor.
»Markus bist du wahnsinnig geworden?«, schrie Mom hysterisch und ich befreite mich von Kyel, der auch starr und erschrocken zu meinem Vater schaute.
»Ich bin nicht wahnsinnig. - Ihr alle seid das Letzte!«, zischte er und zielte mit einer Waffe auf meine Mom. »Besonders du! Du Schlampe! Die ganzen Jahre hast du mich belogen und ständig fragte ich mich, warum … warum mein Sohn so abartig ist. Ich weiß es jetzt. Und jetzt mache ich dem ein Ende!« Er entsicherte wieder die Waffe, und bevor er abdrücken konnte, wurde die Tür aufgestoßen. Zwei Sicherheitsbeamten kamen reingestürmt und überwältigten meinen Vater. Was zum Teufel war passiert? Es ging alles so schnell, dass ich nur die Hälfte mitbekam. Dad lag am Boden, Mom wurde aus dem Zimmer geführt und Sarah hatte sich in eine Ecke geflüchtet. Mein Blick wanderte zu der Wand, die leicht abbröckelte. Diese Kugel hatte Mom um nur wenige Millimeter verfehlt. Aber warum schoss Dad auf Mom?
Als ich in ein neues Zimmer kam und alleine war, hatte ich keine Ahnung, wie lange ich schon aus dem Fenster starrte. Die Wolken zählte und die vereinzelten Sonnenstrahlen, die mit ganzer Kraft versuchten, uns doch noch einen schönen Herbst zu bescheren, betrachtete. Irgendwann kam Kyel mit Mom und Sarah zurück. Unglauben brach über mich ein, als Mom mir einen Blumenstrauß auf das Nachtkästchen stellte und mir eine Packung Schokolade in die Hand drückte. Sich dann zu mir beugte und mich auf die Wange küsste.
»Wie geht es dir?«, fragte sie und richtete die Blumen in der Vase etwas zurecht. Ich nickte und hörte, wie sie lauter als gewollt einatmete.
»Es braucht Zeit, Loren. Ich hatte auch lange zu knabbern, bis er aus sich rauskam«, säuselte Kyel und drückte mir unverhofft einen Kuss auf die Lippen. Ich war schon versucht, mich gegen ihn zu wehren, doch seine sanften und warmen Hände hielten mich davon ab. Noch mehr Unglauben brach über mich ein und er lächelte mich ziemlich verschmitzt an.
»Laut Dr. Krom kannst du morgen wieder raus. Er möchte dich nur noch eine Nacht unter Beobachtung hier behalten«, sagte Mom und zog einen Stuhl an mein Bett. Mir blieb die Stimme weg und mein Gehirn schien Überstunden beantragt zu haben und ich suchte in ihrem Gesicht, in ihrer ganzen Haltung nach dieser Abwehr und Kälte, die mich in den letzten Monaten ständig begleitet hatte. Nichts!
»Was ist mit Dad?« Traurigkeit überflutete ihr sanftes Gesicht.
»Er ist in Untersuchungshaft. Ich habe ihn angezeigt, schon gestern.«
»Gestern? Was ist passiert?«
»Er hat Mom verprügelt!«, kam es fest von Sarah. Schock! Bitte! Was? Mein Herz raste.
»Und meine Firma hat ihn gestern auch angezeigt.« Noch mal, WAS? Was um Himmels willen war nur passiert?
»Aber … aber …!«
»Der Arsch hat es nicht anders verdient. Der ist total durchgeknallt«, murmelte Sarah. An Überstunden war gar nicht mehr zu denken, mein Gehirn hatte den Akkordgang eingeschaltet und sämtliche Gedanken schoben sich, nur halb fertig gedacht, von einer Ecke zur anderen. Fragend blickte ich Kyel an, der immer wieder eine freie Stelle von mir berührte und mir damit ungeheuerliche Schauer bereitete.
»Die Polizei, ist gerade in unserer Wohnung und durchsucht sie«, sagte Mom gedankenverloren, und wenn ihre Augen auf mich trafen, lächelte sie sanft.
»Okay, Okay, kann mir jetzt mal jemand reinen Wein einschenken. Ich bekomme nämlich irgendwie nur die Hälfte bis gar nichts mit!«, forderte ich ungehalten auf.
»Kannst du bitte Englisch sprechen? Ich verstehe immer noch kein Deutsch«, grinste Kyel mich an und ich lächelte leicht verlegen.
»Tschuldige. Wir reden eigentlich nur Deutsch, wenn wir unter uns sind.« Er winkte ab. Im Laufe einer Stunde erfuhr ich alles, was in den letzten Tagen passiert war. Auch erfuhr ich, dass Mom mit ›Ekelpaket‹ Mr. Clancy eine kurze Affäre hatte. Der Grund war mir klar. Dad hatte seinen Alkoholkonsum nicht mehr unter Kontrolle gehabt und schon damals hatte er Mom geschlagen. Eigentlich schlug Dad Mom schon immer, wie sie mir erzählte. Sie hatte es jahrelang vor uns geheim gehalten.
»Kannst du mal auf dem Punkt kommen, warum er so ausgerastet ist und dich töten wollte?«, ging Sarah dazwischen und Mom schaute verlegen zur Seite. Kräftig schluckte sie.
»Markus hatte den Vaterschaftstest gefunden. Und … und …«
»Mom wurde vergewaltigt, bevor sie Dad kennengelernt hatte. Sie war da schon im zweiten Monat schwanger«, erklärte Sarah mir und mir gingen die Augen über.
»Ich habe es verdrängt und mir selbst eingeredet, dass ihr die Kinder von Markus seid. Frühchen gibt es immer wieder, besonders bei Zwillingen kommt es vermehrt vor. Doch er hatte immer wieder davon gesprochen, ganz besonders in den letzten Monaten, dass Sascha nicht sein Sohn sei. Er habe keine Tunte gezeugt.« Entschuldigend schaute sie mich an. »Du weißt es ja«, ich nickte.
»Und … und wer ist dann …?«, versuchte ich die unaussprechliche Frage zu stellen.
»Ich weiß es nicht. Es waren mehrere. Aber wichtig ist doch, dass ich eure Mom bin. Oder?«, fragte sie flehend und Sarah nickte heftig. Ich nur zögerlich. Surreal und es kam mir so vor, als ob ich wieder in so einem irrealen Traum gefangen war.
In der Nacht konnte ich fast gar nicht schlafen, immer wieder kam mir das Gespräch mit Mom in Erinnerung. Der Weckdienst kam und schließlich das Frühstück. Dr. Krom erkundigte sich noch, wie es mir ging und als alles in Ordnung war, durfte ich die Entlassungspapiere unterschreiben. Mom kam und holte mich ab. Ich staunte nicht schlecht, als sie vor einem BMW stand, der auch schon lange nicht mehr gewaschen worden war. Was mir egal war. Das war ein BMW Cabrio und sie betätigte die Zentralverriegelung. Danach schnappte sie den Rucksack und schmiss ihn in den Kofferraum.
»Wo hast du den denn her?« Sie lächelte wieder verlegen.
»Von Kyel. Der Audi steht bei der Polizei. Er wurde konfisziert. Eigentlich hat die Polizei alles mitgenommen, was mit Markus zu tun hat. Selbst das Konto wurde gesperrt.« Sie zuckte mit den Schultern und stieg ein.
Von Kyel. Von Kyel!!! Schock. Heißt das etwa … ich mein …, mir wurde es heiß … Inständig hoffte ich, dass sie davon nichts wusste. Ich mein wie peinlich war das denn? Wenn sie erfahren würde, dass Kyel und ich, ich und Kyel … Gott! Der Kloß wurde überdimensional.
»Was ist? Steig endlich ein! Janet wartet mit Lasagne auf uns.« Janet? Ich riss die Tür auf.
»Woher kennst du Janet?«
»Na jede Mutter will die Eltern vom Freund des eigenen Kindes kennenlernen.« Sie wusste es. Sie wusste es und sie … sie … Mom hatte nichts dagegen? Aber wie?
»Sascha steig endlich ein. Ich werde dich nicht beißen, auch nicht, wenn du dich für einen Mann entschieden hast. Ich muss dazu sagen, besser hättest du es nicht erwischen können. Kyel liebt dich … auch wenn ich finde, dass er etwas zu alt für dich ist. Ein etwas Jüngerer wäre eher in meinem Sinne …«
»Mom!!«
»Ist ja schon gut. Komm die warten mit dem Essen auf uns.«
Den ganzen Weg, ich musste mir eingestehen, ich erkannte meine Mutter nicht mehr, zog sie mich immer mit irgendetwas auf. So wie früher und ich fühlte mich geborgen, wenn auch öfters peinlich berührt. Immerhin wurde ich bald neunzehn und sie sprach mit mir, als ob ich fünfzehn oder sechzehn wäre und ihr offenbart hätte, dass ich eine Freundin hätte, mit der ich irgendwann einmal etwas mehr haben möchte. Es kam das Gespräch auf, ob ich mit ihm schon etwas hatte und ich darauf schauen sollte, dass ich geschützten Sex habe. Erwartungsvoll schaute sie mich an, und als ich nichts darauf sagte, bohrte sie nach. Nicht so wie sonst in letzter Zeit, dass sie es so hinnahm oder mir das Gefühl gab, nicht mehr wissen zu wollen. Nein! Sie wollte wissen!
»Und?«, bohrte sie weiter. Ich spürte, wie ich rot wurde und am Ende doch nickte.
»Was jetzt schon? Warum habt ihr euch keine Zeit gelassen … - Also ich werde mir Kyel diesbezüglich auch noch schnappen. So geht das nicht!« Sie steigerte sich darein, und obwohl es mir nun total peinlich war und ich im BMW nach einem Mauseloch suchte, in das ich mich verkriechen konnte, umschlich mich eine unsagbar wohltuende Wärme und ich fühlte mich geborgen. Ich spürte, wie mir ein Kichern hochstieg, das ich versuchte zu unterdrücken und es am Ende doch aus mir rausplatzte. Verwundert blickte sie mich an und ich sah, wie warm und erleichtert ihr Blick war. Sie konnte nicht anders und ging auf mein Kichern, das ins Lachen überging, mit ein. In diesem Moment fiel eine große Last von meinem Herzen und das Zerbersten der Steine war sicher noch meilenweit zu hören.
Mom parkte neben dem Jaguar, sperrte das Auto zu und ging zur Haustür. Kurz kramte sie in ihrer Handtasche und holte einen Schlüssel hervor, den sie in das Schloss steckte. Verwundert blickte ich sie an. Mom hatte einen Schlüssel zu Kyels Haus? Ähm, Villa.
Ein herrlicher Duft schlug mir entgegen und Mom knuffte in meine Seite.
»Du hast das Rezept von Oma weitergegeben, du Schlingel«, flüsterte sie mir zwinkernd zu.
»Was?«
»Janet schwärmt die ganze Zeit, wie gut du die Lasagne zubereitet hast.«
»Ich habe das Rezept nicht weitergegeben.«
»Doch hast du!«
»Habe ich nicht!«
»Doch, du unterschätzt die Fähigkeiten einer Mutter«, wieder zwinkerte sie mir zu und hing ihre Jacke an die Garderobe. Garderobe? Moment die kannte ich doch. Das war die von uns? Ich ging in die Villa. Im Eingangsbereich befanden sich einige unausgepackte Kartons. Das Wohnzimmer war wie immer, nur sah ich, dass dort Sarahs Bett, in Einzelteilen, vor einer Wand lag und ein etwas älterer Herr, der verdammte Ähnlichkeit mit Kyel hatte, sich ein Brett schnappte und vor sich hinfluchte.
»Faules Pack, da werde ich von meiner Süßen weggerufen, um hier weiterzuschuften.«
»Parker, das Essen ist fertig!«, hörte ich jemanden neben mir und suchte ihn etwas weiter unten, da die Stimme von dort gekommen war. Ich erschrak, als mich zwei lebensfrohe Augen von unten nach oben anblickten.
»Hi, ich bin Jaydon. Ich bin ein Onkel von Kyel und du musst Sascha sein. Hmm, genau sein Geschmack.« Er kicherte und rief wieder den Mann, den er vorher Parker genannt hatte.
»Was? Die werte Dame will heute noch in ihrem Bett schlafen, also lungert hier nicht so rum, sondern packt mit an. Faules Pack, alle Schlafmützen. Meine Süße braucht 'ne Überholung und ich schufte mir hier weiter den Arsch ab.«
»Ach, da bist du!«, vernahm ich die warme und sanfte Stimme von Kyel und schon umgriffen mich zwei Arme, um mich an eine stahlharte Brust zu drücken. Einen leichten Hauch spürte ich an meinem Hals und schon standen alle meine Nerven auf Spannung. Sanft strich seine Zunge über meine Stelle und ich sog scharf die Luft ein. Besonders als ich ihn an meinem Po spürte. Er kicherte und zog mich in die Küche. Dort herrschte ein reges Gewusel. Sarah unterhielt sich mit Mom. Clive mit Raoul. Janet mit Emily und Anthony, der den schlafenden Little Johnny im Arm hatte, während er gleichzeitig die Lasagnesoße aus dem Topf futterte. Woraufhin er sich natürlich einen Klaps auf die Hand von Janet einheimste.
Mom war aufgetaut wie seit Langem nicht mehr. Und mir fiel ein kleiner blauer Fleck auf ihrer Wange auf. Ein Stich durchzog mein Herz und verteufelter Hass gegen meinen Vater kam hoch. Vater. Er war gar nicht mein Vater, nur auf dem Papier mein Erziehungsberechtigter, was eh hinfällig war, da ich volljährig war und am Sonntag neunzehn wurde. Sarah hatte kleine rötliche Flecke auf ihrer Stirn, die sich über die Nase weiter zu ihren Ohren hinzogen und als sie sich ein Schluck aus einem Weinglas gönnen wollte, zog Mom es ihr weg.
»Wie lange wollt ihr hier noch Löcher in die Luft starren. Jaydon kommt nicht durch. Ihr versperrt den Weg!«, hörte ich den älteren Herrn, der sich Parker nannte, hinter mir und Kyel zog mich auf die Seite, damit der Mann im Rollstuhl in die Küche geschoben werden konnte. Jaydon bedankte sich und lächelte mich verschmitzt an.
»Hör auf zu flirten, du alter Knacker, der Junge ist vergeben. Man, wenn ich kein Auge auf dich habe …«, schimpfte Parker weiter und schob Jaydon an den Tisch, der ausgezogen worden war. Und trotz der stattlichen Größe des Tisches war in der Küche immer noch so viel Platz, um noch weitere drei Tische dieses Kalibers reinstellen zu können. Übertrieben gesagt. Sichtlich erleichtert atmete ich tief ein und setzte mich auf einen freien Stuhl. Kyel setzte sich neben mich und schnappte sich eine Brezel, die in einem Korb auf dem Tisch stand. Mom verteilte die Lasagne und irgendwann war die Stimmung so ausgelassen, dass jeder mit jedem sprach und jeder mit jedem stichelte und jeder, jedem zuprostete und ich schweigend, alles tief in mich reinzog.
Meine dunkle Vorahnung, die sich unaufhaltsam in mir breitmachte, legte sich wie ein dunkler undurchdringlicher Nebel um mich.
»Sascha, was ist los?« Ich spürte, wie Kyel den Arm um mich legte. Leicht schüttelte ich den Kopf und bekam nicht mit, wie sie alle ruhig wurden.
»Der Typ …!«
»Du meinst den Stalker, der hinter dir her ist?« Wurde ich brutal daran erinnert und bemerkte, wie alle mich ansahen. Ich nickte. Emily und Raoul zogen die Luft ein und Anthony schüttelte den Kopf.
»Du musst die Anzeige machen …!«, meinte Anthony.
»Aber ich kann nicht, wenn es bekannt wird, das Kyel …«
»Mach dir um mich keine Sorgen. Ich habe mein Outing schon lange hinter mir und wer es eben noch nicht mitbekommen hat, ist eben selber schuld.«
»Das stimmt, Kyel macht nie ein Aufheben um sich. Er sagt es immer geradeheraus«, mischte sich Raoul ein und stibitzte eine Gurke aus dem Salat von Sarah. Woraufhin er sich natürlich einen bösen Blick von ihr einhandelte. Er grinste sie an.
»Aber …!«
»Und dein Vater kann nichts dagegen machen. Schau er ist, ich sage es mal hart ausgedrückt, aus dem Weg geräumt. Außerdem, falls du es noch nicht mitbekommen hast. Deine Mom hat die Scheidung eingereicht und ihr zieht gerade bei mir ein.«
»Aber …!«
»Nix aber. Mach dir nicht so viele Gedanken …!«, sagte Kyel und drückte, vor allen Leuten, seine Lippen auf die Meinen. Mein Herz hüpfte mir in die Hose, dann zurück zu seinem angestammten Platz und weiter bis in meinen Kopf. Ich konnte nicht anders und gab Kyels Drängen nach. Ich öffnete meinen Mund und ließ ihn rein.
»Och, ist das nicht süß!«
»Ja, das ist es!«, schwelgten Sarah und Raoul und ich kam wieder in die Realität zurück. Kurz räusperte ich mich und sah, wie Mom mich anlächelte. Ihr Blick verriet mir, dass ich glücklich werden sollte und die ganzen letzten Monate brachen urplötzlich über mich ein. Die Tränen schossen in meine Augen, noch bevor sich das allbekannte Brennen eingestellt hatte.
Meine innere, seit Monaten aufgebaute Fassade war vollständig zusammengebrochen und es hatte nur diesen Blick, diesen sanften mitfühlenden Ausdruck von meiner Mom gebraucht, die ich endlich wieder hatte. Ich stand auf, ging um den Tisch und umarmte sie. Fest vergrub ich mein Gesicht an ihrer Schulter und dankte, wem auch immer, dass ich sie zurückhatte. Selbst Sarah ging in die Umarmung mit ein und ich hörte nur noch, wie Mom sich leise bei mir entschuldigte.
Viel hatte ich an diesem Abend nicht mehr von Kyel. Parker, der wie sich herausgestellt hatte, sein Onkel war, beanspruchte ihn, auf Teufel komm raus, beim Aufbau diverser Möbelstücke. Ich lag auf Kyels Bett und zappte wieder einmal durch sämtliche Programme. Hin und wieder hörte ich Parker fluchen, bis es irgendwann vollkommen still war und ich nicht mitbekam, wie ich einschlief.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag ich alleine im Bett. Kyel musste schon aufgestanden sein und ich hievte mich, noch etwas gerädert, aus dem Bett. In einer Ecke des Zimmers sah ich einige Koffer von Mom stehen und ging darauf zu. Öffnete einen nach dem anderen und sah, dass sie alle vollgepackt mit meinen Sachen waren. Kurz lächelte ich und holte mir frische Klamotten raus. Auch sah ich, dass Mom meinen Reader eingepackt hatte und noch einige andere persönliche Sachen. Ich stieg unter die Dusche und spürte, wie die Last nun endgültig in den Abguss davongeschwemmt wurde. Ein Grinsen zog sich über mein Gesicht, das ich nur schwer wieder abstellen konnte. Danach ging ich in die Küche, die ausnahmsweise leer war, und nahm mir eine Tasse aus dem Schrank. Schenkte mir Kaffee ein und sah, dass der Frühstückstisch gedeckt war. Einige Teller waren benutzt, andere wiederum nicht. Ich setzte mich an den Tisch und griff mir eine Semmel. Immer wieder huschte ein Schmunzeln über mein Gesicht. Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass wir, wir alle, bei Kyel wohnen sollten. Ich, meine Liebe zu ihm und meine Sexualität nicht mehr verleugnen brauchte.
»Also so geht das nicht. Ich kann hier nicht den Möbelpacker spielen, wenn meine Süße …«
»Parker, du hast Urlaub …!«
»Ja, sehe ich, schöner Urlaub! Wehe, wenn ich den nicht bezahlt bekomme, dann siehst du meinen Anwalt wieder. Ach guten Morgen, Sascha!«, wurde ich begrüßt und Parker zündete sich eine Zigarette an.
»In meinem Haus wird nicht geraucht!«
»Mir egal! Es hat dich sonst auch nie gestört«, schnaubte Parker und schenkte sich einen Kaffee ein.
»Guten Morgen, Sascha!«, grüßte Kyel mich und schon wurde ich zu ihm hochgezogen. Fest umarmte er mich und ich spürte deutlich, dass er letzte Nacht sehr ungern auf mich verzichtet hatte. Wir suchten unsere Lippen und versanken in der Berührung des anderen. Ich vergaß alles um mich herum. Für mich existierte nur noch er. Seine Lippen, sein Duft und seine Begierde, die ich sehr deutlich auf meinem Bauch spürte. Ich bekam nicht genug von ihm und legte meinen Kopf etwas in den Nacken, damit er besser an meine besondere Stelle kam. Ein Räuspern holte uns wieder zurück und ich blickte leicht verlegen zu meiner Mutter, die in die Küche kam. Irgendwie kam einer nach dem anderen rein und eine rege Unterhaltung, wie die am Tag zuvor, fing von Neuem an. Wenn Dad dies sehen würde, dass wir uns nicht an die Regeln hielten, der würde glatt ausrasten. Dieser Gedanke huschte mir durch, den ich allerdings gleich wieder aus meinem Kopf verbannte. Ich wollte nicht an ihn denken und genoss nur noch das Frühstück.
Nach einer Weile offenbarte Mom mir, dass ich die nächsten drei Wochen vom Unterricht befreit war, wegen meines Burn-outs und entschuldigte sich gleich, weil sie mit Janet einen Stadtbummel machen wollte und sie nicht zu spät kommen möchte. Sarah musste Mom antreiben, die total in ein Gespräch über die neue Mode und Kosmetika mit Raoul vertieft war. Hier haben sich zwei gesucht und gefunden. Die beiden schwelgten wirklich in ihrer eigenen Welt.
»Geht in Ordnung, Mrs. Fleischhauer, ich werde Sarah zur Schule fahren«, sagte Raoul und die Sache war gegessen. Wirklich sämtliche Regeln waren über Bord geworfen worden und es schien Mom nicht im Geringsten etwas auszumachen. Sie war vollkommen erblüht und ganz besonders fiel mir auf, dass sie sich herausgeputzt hatte. Nicht ihr typisches Standard Make-up, sondern wirklich, einfach wow. Selbst ihre Haare waren frisiert, als ob sie frisch aus dem Friseursaloon kam. Verstohlen blickte ich ihr hinterher und konnte es nicht fassen. War das wirklich meine Mom?
»Geil schaut sie aus, nicht wahr?«, lächelte Sarah mich an. »Raoul hat sie so rausgeputzt. Du musst wissen, er ist Inhaber eines Friseur- und Kosmetiksalons. Er hat es voll drauf«, träumte sie weiter. Raoul blickte sie fragend an, weil er, so wie es aussah, seinen Namen gehört hatte, er aber keinen Ton Deutsch verstand. Sie wiederholte es und er strahlte über sämtliche vier Backen. Irgendwann verabschiedeten sich auch Sarah und Raoul und zurückblieben Parker, der wie üblich seine Zigarette rauchte, Kyel und ich. Aber Parker trank nur seinen schwarzen Kaffee aus und ging ebenfalls. Nun waren wir allein und ich sah aus dem Augenwinkel, wie Kyel mich musterte. Kurz nippte ich an meiner Tasse und meinte: »Musst du nicht in die Firma?«
»Nö!«
»So!«
»Jap!«
Ich stellte meine Tasse hin und im Nu war er nicht mehr zu bremsen. Mit leichter Brutalität zog er mich an sich, griff mit einer Hand in meinen Schopf, hielt mit der anderen mein Kinn und blickte mir tief in die Augen.
»Jetzt kommst du mir nicht mehr weg. Seit Tagen hältst du mich auf Abstand. Hast mit mir Schluss gemacht, hast mir einen Schrecken nach dem anderen eingejagt, machst mich bis zum verrückt werden geil und ziehst mich mit deinen Blicken aus. Du machst mich fertig, mein kleiner Orkan. Ich will dich, jetzt … « Ich ließ ihn nicht mehr weiter reden, sondern drückte ihm fordernd meine Zunge rein. Ein Stöhnen entrang sich seiner Kehle und ich fühlte mich bestärkt. Gott, ich brauchte ihn, ich wollte ihn. Vielleicht mehr, als er mich und ja, verdammt ja, ich wollte es auch.
Auf der Stelle!
Irgendwie, unter unseren stürmischen Küssen, landeten wir im Schlafzimmer auf seinem Bett. Mein Shirt war bereits ausgezogen und ich spürte seine warme Hand auf meiner Haut. Er biss mir in den Hals und zog daran. Wie unter elektrischem Strom bekam mein Körper keine Zeit mehr sich zu beruhigen. Allein seine Küsse brachten mich dazu, dass ich kam.
»Scheiße!«, rutschte es mir raus und Kyel blickte mich leicht fragend an.
»Tut mir sorry, es ging zu schnell, ich konnte es …«, schelmisch grinste er und machte sich an meine Hose zu schaffen.
»Oh Yeah, ich sehe es«, murmelte er und zog mir die Hose samt Unterhose mit einem Ruck runter. Half mir, sie von meinen Füßen zu bekommen und machte sich gleich an meinem besten Stück zu schaffen. Ein eiskalter Schauer lief mir den Rücken runter, als mir bewusst wurde, was er da tat.
»Du wirst doch nicht wieder …!«, doch ich bekam keine Antwort von ihm, sondern ein sehr intensives Gefühl. Ich stöhnte auf, als ich wieder auf seine etwas eigenartige Behandlung ansprach. Tief hatte er mich in seinem Mund aufgenommen und ich fasste automatisch in seine Haare. Mein Schwanz regte sich und es dauerte nicht lange, bis ich wieder meine volle Größe aufweisen konnte. Kyel stand vor mir und blickte mich süffisant lächelnd an. Immer wieder streichelte er über meine Spritze, schob meine Haut rauf und runter und reizte meine besonderen Stellen. Mir wurden die Knie weich und ich stützte mich auf seiner Schulter ab. Kyel hatte es wirklich wieder vor.
»Tu es nicht. Es ist zu heftig«, keuchte ich und war wieder kurz davor zu kommen. Er bemerkte es und ließ meinen aufkommenden Orgasmus abschwellen.
»Was soll ich nicht tun!«
»Mich durch die vielen Orgasmen jagen.« Er kicherte.
»Es hat dir aber gefallen.«
»Schon, aber ich will nicht den ganzen Tag verschlafen.«
Ich blickte ihn an, sah in seinen Augen nur seine Liebe, unendliche Liebe, und suchte seinen Mund. Er roch nach mir und ich schmeckte mich. Mich hielt nichts mehr. Ich zog ihm sein Hemd aus und öffnete seine Designerhose. Er zog sie sich runter und wir stürzten, weil wir das Gleichgewicht verloren hatten auf sein Bett. Sofort lag er auf mir zwischen meinen Beinen. Ohne irgendwelche Zärtlichkeiten auszutauschen, hob er meine Beine an und drang mit dem Finger in mich ein. Ich stöhnte laut auf, weil er sofort meine Stelle gefunden hatte und sie brutal reizte. Keine Rücksichtnahme auf mich, stattdessen drang er gleich mit dem Zweiten rein. Ich keuchte nur noch und versuchte mit seinen Bewegungen mitzugehen, versuchte mich zu entspannen, was mir allerdings nicht gelang, weil sogleich der dritte Finger folgte. Ich schrie und fing sofort zu keuchen an, als er mich auch noch pumpte. Er war brutal, aber das war sein Sex. Meine Hände hatten sich in das Bettlaken gekrallt. Mein Herz pochte mir bis zum Hals und meine Atmung kam nur noch stoßweise. Plötzlich spürte ich, wie sein vierter Finger in mich eindrang und ich drückte meinen Kopf nach hinten in das Kissen. Ich war einer Ohnmacht nahe.
»Oh Gott!«, schrie ich. Ein-, zweimal stieß er mit seinen Fingern, dann nahm er meine Beine über seine Schultern. Er richtete sich in Position und drang mit Leichtigkeit in mich ein. Erst langsam und dann immer heftiger, sodass ich nur noch das Geräusch seiner an mich stoßenden Hüfte wahrnahm. Meine Beine nahm ich von seiner Schulter und schlang sie um ihn. Er keuchte, stöhnte und murmelte, wie herrlich eng ich sei. Küsste mich, biss mich, leckte mich und vor allem vögelte er mir den Verstand raus, bis ich lautstark stöhnend kam. Ich riss ihn mit über die Klippe und spürte, wie er sich in mir ergoss. Dann sank er auf meine Brust. Zärtlich strich ich ihm über dem Rücken und küsste seine störrischen Haare. Gott, ich hatte mich total in ihn verknallt.
Er legte das Kinn auf seine Hände, die auf meiner Brust lagen, und wir schauten uns minutenlang an. Wir brauchten uns nichts mehr zu sagen, wir verstanden uns auch so.
»Eins sage ich dir …!«, sprach Kyel, während er seine Krawatte festband und die nassen Haare aus seinem Gesicht schüttelte. »Das werden wir definitiv zusammen durchstehen.«
»Hmm«, sagte ich nur darauf und richtete mich zum Fußende des Bettes auf den Bauch, legte den Kopf auf meine Hände und beobachtete ihn weiter.
»Ich frage mich immer noch, warum du das machen willst«, sagte ich schließlich und Kyel setzte sich zu mir aufs Bett.
»Ist das immer noch nicht in deinen Schädel gegangen. Weil ich dich liebe«, kurzerhand beugte er sich zu mir runter und küsste mich. »Komm, mach weiter … und ich warne dich, wenn du wieder abhaust, werde ich dich eigenhändig dort hinschleifen.«
»Tzz!«, machte ich nur und hievte mich aus dem Bett.
Ich trat unter die Dusche und das warme Wasser tat meinem Körper gut. Kyel hatte mich wirklich total gefordert und ich zuckte zusammen, als etwas Duschgel über mein Hintern floss. Das zahle ich ihm definitiv irgendwann heim. Und ich spürte, wie sich ein verliebtes Grinsen in meinem Gesicht breitmachte. Und genauso stieg ich aus der Dusche. Im Spiegel betrachtete ich mich und sah einen blauen Fleck an meinem Hals. ›Na Bravo‹, durchschoss es mich. Der Volldepp hatte mir einen Knutschfleck verbraten und ich schnaubte verdrossen. Alles, aber wirklich alles durfte er mit mir machen, aber keinen Knutschfleck. ›Oh Kyel, zieh dich warm an, das wirst du mir büßen.‹
Ich kam aus dem Bad heraus und schon fand ich mich in einer innigen Umarmung mit Kyel wieder. Sein Duft überrannte mich und unsere Zungen fochten einen hektischen Kampf aus.
»So stürmisch!«, rang er nach Atem und ich sah, wie ein herausforderndes Lächeln sein Gesicht überzog. »Hmm, du hast was vor?« Shit, woher nahm er nur immer seine Intuition. Ich strich ihm über seine Wange.
»Wohl kaum, ich kann mich gegen dich nicht wehren«, sagte ich und sein spitzbübisches Grinsen verstärkte sich.
»Zu spät. Du hast keine Chance mehr, deine Fassade mir gegenüber aufzubauen.« Er ließ mich los, aber nicht ohne sich vorher noch einen leicht gehauchten Kuss von mir zu holen. Tief atmete ich ein und folgte ihm schließlich in die Küche. Dort sah ich, wie er eine Akte von der Ablage nahm und sie in seinen ›Aktenkoffer‹ verstaute. Er sah aus wie ein Rechtsanwalt oder Gerichtsvollzieher, aber bestimmt nicht, wie eine Privatperson, die auf dem Weg zur Polizei war.
Zur Polizei. Es war also wirklich so weit. Und Kyel wollte das wirklich durchziehen. Mir wurde immer noch schlecht, wenn ich daran dachte, wenn ich an das letzte Mal dachte.
»Bereit?« Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte es immer noch nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, das Kyel, der Wirtschaftsguru, der Meister im Kaufen und Verkaufen, der Ach-was-weiß-ich-noch-alles, sich sozusagen ins Feuer stürzte, nur um mir zu helfen. Diese Bilder und diese Nachrichten, Gott, ich konnte das nicht.
»Hey, du packst das schon. Anthony ist auch dort und schreitet ein, wenn es zu hart wird.« Ich blickte ihn an und er lächelte mich sanft, Mut zusprechend, an.
»Es ist nur eine Anzeige.« Ja freilich, nur eine Anzeige, dachte der Depp wirklich nicht an die Bilder, die ihn mit mir in dieser Lage zeigten? Wahrscheinlich nicht. Dem gehörte es wirklich mal das Gehirn durchgeblasen und ich wandte meinen Blick von ihm ab. Am Ende blieb mir nichts anderes übrig und ich fand mich im Jaguar wieder. Kyel ließ mich die ganze Zeit nicht mehr aus den Augen und benahm sich schlimmer, als eine Glucke die ihre Küken beschützte.
Lange dauerte die Fahrt nicht und von der Umgebung bekam ich auch nicht sehr viel mit. Ich hing meinen Gedanken nach und immer wieder stellte ich mir die Frage, warum? Warum er? Warum Kyel Kastner. Es hätte jeder andere sein können, aber nein, ich blieb an ihm hängen. Und je mehr ich darüber grübelte, umso weniger konnte ich mir weiterhin einreden, dass es nur eine Beziehung war, die aus Sex bestand. Schon gar nicht, nachdem ich ihm, vor meinem Zusammenbruch, die drei Wörter zugeflüstert hatte. Ich atmete verdrossen und schon spürte ich seine warme Hand auf meinem Oberschenkel. Ich hatte wirklich versucht Abstand von ihm zu bekommen, aber wie es sich herausgestellt hatte, war es vergebens. Dieser Versuch hatte nur dazu geführt, dass ich in ein tiefes Loch versank und innerlich tot war.
Kyel ging schnurstracks zur Anmeldung und erklärte in kurzen Sätzen unser Anliegen. Beziehungsweise mein Anliegen. Als er fertig war, betrachtete mich die Frau mit verengten Augen und nickte schließlich. Sie führte uns in eine Art Warteraum und ließ uns dort. Der Warteraum war fast leer, nur ein Mann, gut durchtrainiert, mit etwas zu enger Bekleidung, saß mit überschlagenen Beinen dort und las in einer Fachzeitschrift, die man im Allgemeinen ausschließlich bei Ärzten in den Warteräumen vorfand.
Gott, mein Herz machte plötzlich Überstunden, nicht wegen des Mannes, sondern weil Kyel sich etwas angespannt hatte und seine Verspannung sich verstärkte, als die beiden sich stumm zunickten. Fragend blickte ich die beiden an und tat es mit einem Schulterzucken wieder ab, als der Mann sich wieder in die Zeitung vertiefte und Kyel sich auf einen Stuhl setzte.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir schon warteten, aber der Mann hatte eine anziehende und sehr freundliche Ausstrahlung, die dennoch abweisend war. So in der Art, hey anschauen ist erlaubt, aber anfassen tut jemand anderes. Ich biss mir auf die Unterlippe und widmete mich wieder der Zeitung, die ich zu lesen angefangen hatte. Als Kyel plötzlich scharf die Luft einzog, ein murmelndes ›Fuck‹ und ›dachte ich mir es!‹, von sich gab, während er den Mann erblickte, der das Wartezimmer betrat.
»Und?«, hörte ich den gut Durchtrainierten den reinkommenden Mann fragen und wunderte mich, dass es Deutsch war.
»Tzz, die hocken auch nur auf ihren Stühlen«, erwiderte er auf die Frage und setzte sich neben den anderen Mann. Zwei Deutsche, hier in diesem Kaff? Was für ein ausgesprochener seltener Zufall. Gott, mein Herz zog sich wieder zusammen, was war das für eine Aura zwischen den beiden. So eine knisternde Spannung. Ich starrte, wahrscheinlich etwas zu lange, zu ihnen rüber, denn ich spürte, wie Kyel mir auf den Oberschenkel fasste und tief einatmete.
»Kyel …!«, wurde er plötzlich angesprochen und er blickte zu dem Mann, der als Letzter reinkam.
»Sven!«
»Lange nicht mehr gesehen!«, sprach er in perfektem Englisch und Kyel lächelte mit seinem typischen Geschäftslächeln den Mann an.
»Wahrhaftig, sehr lange ist es her. Was bringt dich hier in diese Gegend?« Der Mann strich sich mit seiner Hand durch die Haare und lächelte mich süffisant an. Er zog mich förmlich mit seinem Blick aus und mir wurde es mulmig. Der Mann neben ihm berührte ihn leicht an seiner Hand.
»Urlaub. Kai … und ich«, gelangweilt schnaubte er.
»Unser Hotelzimmer wurde ausgeraubt«, gab der Durchtrainierte an. Selbst ihn lächelte dieser Sven mit diesem herablassenden Lächeln an, der dies wiederum mit einem spitzbübischen Grinsen erwiderte. Keine Ahnung, was zwischen den beiden vorging, aber dieses Knistern entpuppte sich als eine Stichflamme, die genauso gut auch uns verbrennen könnte.
»Urlaub. Sieh an.« Kyel wurde immer zurückhaltender und seine Nervosität sprang mich buchstäblich an.
»Und du? Ich hörte, dass aus dir ein ganz Großer geworden ist und du im Handel tätig bist?« Gott, was war denn das? Wut stieg in mir hoch. Der Typ hatte sie doch nicht alle. Wie konnte er es wagen ... Kyel so … so … wie eine Lok auf dem Abstellgleis zu behandeln. So arrogant, so … mir fehlten die Wörter. Und ich bekam die Antwort von Kyel nicht mit.
Die beiden fremden Männer unterhielten sich und ich vernahm, wie sie über mich tuschelten. Tuschelten war wohl nicht das richtige Wort, sie unterhielten sich in Deutsch und das nicht gerade leise. Sie dachten wohl, ich verstehe nichts.
»Süßer Twink, wenn ich ihn früher zwischen die Hände bekommen hätte«, sagte Sven.
»Hmm, wer weiß, wer ihn als Erster gehabt hätte«, gab der andere zur Antwort und da Kyel deutsch nicht verstand und sichtlich immer nervöser wurde, legte ich die Zeitung auf meine Beine.
»Ich frage mich, wie der zu so einem süßen Twink kommt?«, sinnierte der, den Kyel Sven genannt hatte.
»Sven hör auf damit!«, meinte Kai.
»Warum es macht gerade Spaß, besonders da ich ihn schon hatte«, schwelgte Sven belustigt in seiner Erinnerung.
»Wen? Den Twink wohl kaum?«, entgegnete ihm sein Partner.
»Nein, den anderen und er war eine Rakete und blasen konnte er …«
»Sven du bist keine 25 mehr, also hör auf …«, fuhr Kai ihm über den Mund und schüttelte leicht seinen Kopf. Boah, spinnen die und der Mann, Sven zwinkerte mir zu. Nun konnte mich nichts mehr bremsen. So eine billige Anmache! Ich musste aber eingestehen, dass sie durchaus Wirkung zeigen könnte, wenn ich nicht vergeben wäre.
»Erstens bin ich kein Twink und zweitens verstehe ich sehr gut deutsch, also wenn ihr was zu sagen habt, dann in Englisch, damit es mein Lebensgefährte auch versteht!« Die beiden blickten mich mit großen Augen an und ihre Musterung meines Körpers hörte auf. »Und soll ich das in Deutsch wiederholen? Wie gut Kyel blasen kann? Denn das scheinen Sie ja schon zu wissen!« Kyel hustete los. Kai kicherte und meinte, dass er so was noch nicht erlebt hatte. Vor allem hätte ich eine gewisse charakteristische Ähnlichkeit mit einem Leon, wer auch immer das sein sollte.
»Ja Leon ist aber jetzt erwachsen und um einiges ruhiger …«, sinnierte wieder Sven und leckte sich gedankenverloren über die Lippen. Diese Geste blieb nicht unbemerkt und ich sah, wie der Durchtrainierte, Kai oder so ähnlich leicht zischend ausatmete. Ich vernahm nur noch, »Du kannst es einfach nicht lassen …«, bevor ihre Unterhaltung von einem Polizisten, der in den Warteraum kam, unterbrochen wurde.
»Mr. Sascha Fleischhauer und Mr. Kyel Kastner!«, rief er uns und wir standen auf.
»War mir ein Vergnügen, Sascha Fleischhauer …!«, Sven nickte Kyel zu. »Kyel Kastner.« Wir gingen aus dem Warteraum raus und ich atmete irgendwie erleichtert. Selbst bei Kyel schien so was wie ein Stein aus dem Magen zu fallen. Wir folgten dem Polizisten.
»Woher kennst du die beiden?«
»Es ist eine lange Geschichte …!«, tat er es abweisend.
»Ich will sie aber hören, besonders weil du schon mit dem einen im Bett warst!« Der Schalk blitzte in seinen Augen auf.
»Etwa eifersüchtig …!«
Puff mein Kopf schien zu zerplatzen. Von null auf Hundert und ich schluckte sichtlich hart. Kyel kicherte nur und beugte sich zu mir runter.
»Sven und ich hatte in dem Sinne keine Beziehung, damals vor zehn Jahren, war ich in Deutschland und wollte mir einen schönen Abend machen. Sven wurde auf mich aufmerksam und dann kam das eine zum anderen. Er hatte eine Art an sich, die, wie soll ich sagen, sich nicht erklären lässt. Tja und so war es dann für mich das erste Mal, dass ich ›unten‹ lag. Egal was ich tat, Sven hatte mich fest im Griff. Allein die Lust in seinen Augen zu sehen und sie befriedigt wissen zu wollen, wie er aussah, wenn er kam, das machte mich neugierig und total scharf. Denn Sven war ein Top durch und durch, bis er Kai begegnete. Du kannst nicht glauben, wie überrascht ich war, die beiden miteinander zu sehen …«, erklärte er und ich verstand allerdings nur die Hälfte. Vor allem schob sich unaufhaltsam ein Gefühl der Abneigung gegen diesen Sven in mir hoch.
»Hattest du auch was mit Kai?« Er schüttelte den Kopf.
»Nein … wenn ich dann in Deutschland war, schaute ich immer darauf, nur Twinks in mein Bett zu bekommen. Das ist etwas einfacher. Das mit Sven war eine einzige und einmalige Gelegenheit, die nie wieder vorkam. Sicher hat es Kai irgendwann auch versucht, aber ich durchschaute ihn und wir gingen als Gleichgesinnte wieder auseinander. Der einzigen Top, den ich jemals im Bett hatte, war Sven. Und mich noch einmal so erniedrigen lassen, wollte ich nicht«, meine Gedanken sprudelten über und eine Frage schien sich direkt in mein Gehirn zu bohren.
»Sag mal, wenn du so oft in Deutschland warst oder bist, warum versteht du dann kein Deutsch?« Er zuckte mit den Schultern.
»Brauche ich nicht, mein Sekretär kann Deutsch und er begleitet mich immer, wenn ich außer Landes Geschäfte zu erledigen habe. Gegebenenfalls half mir dein Vater auch aus«, urgh, allein durch die Nennung meines Vaters zogen sich mir sämtliche Zehennägel nach oben.
Wir wurden in einen Raum, ziemlich weit hinten, geführt und der Polizist wies uns an, uns zu setzen. Kyel legte seine Aktentasche auf den Tisch und setzte ein ganz anderes Gesicht auf, als das, was ich von ihm kannte. Das geschäftliche Lächeln, was er immer so drauf hatte, kannte ich schon, nur diesen Ausdruck eben noch nicht und ich fragte mich, wie er das machte. Sicherlich hatte er sich dieses ›Face‹, wie Kyel es immer gerne nannte, angewöhnt, nur um von einer Sekunde auf die Nächste so unnahbar und ich sage mal, dominant zu wirken, nur kannte ich es nicht und fühlte mich klein. Wirklich klein.
Eine Polizistin, die als Erstes Kyel die Hand gab und dann mir stellte sich als Ltd. Natalie Smitz vor. Sie war ca. Mitte dreißig und ihre Züge waren sehr freundlich. Von ihren Haaren hatte sie nur den vorderen Teil nach hinten zu einem Zopf zusammengebunden und der untere Teil hing leger über die Schulter. Sie setzte sich auf ihren Stuhl und zog sich an den Schreibtisch.
»Mr. McAlastar hat mir Ihre Situation schon etwas erklärt. Er müsste eigentlich auch jeden Moment hier sein.« Die Art und Weise, wie sie über Anthony sprach, zeugte davon, dass sie ihn anscheinend kannte. Und er ließ auch nicht lange auf sich warten.
»Oh, ich sehe schon, du hast es auch mitgebracht. Aber ich habe es vollständig«, fing Anthony geschäftig zu reden an, ohne jemanden zu begrüßen.
»Was, gibt es schon wieder was Neues?«, fragte Kyel und Anthony nickte.
»Ja, aber ich habe es zurückgehalten, als du mir gesagt hast, dass du mit Sascha zur Polizei gehst«, schnaubend schloss ich meine Augen. Dies blieb nicht unbemerkt und die Polizistin verlangte die Akten.
›Jetzt ist es zu spät. Jetzt komme ich hier nicht mehr raus und kann keinen Rückzieher machen. Jetzt wird alles offenbart. Alles.‹
Ich öffnete meine Augen wieder und sah, wie diese Ltd. Shmitz zuerst neutral, dann mit mehr Emotionen und am Ende sehr sprachlos an die Sache ranging. Mir war schlecht. Ich sah es ihr an, dass es ihr mehr Unbehagen bereitete, als beabsichtigt und ich blickte hoffnungsvoll zu Kyel. Er selbst schien nur noch körperlich hier zu sein und überließ alles Anthony. Irgendwann kam ein anderer Polizist herein und Ltd. Shmitz erklärte ihm die Sache. Am Anfang schien er begeistert und auf unserer Seite zu sein, doch als er weitere Details erfuhr und die Bilder erblickte, die uns in bestimmten Posen zeigten, war er doch eher ungehalten, wenn nicht sogar mit sehr großem Vorurteil behaftet. Ich sank auf meinem Stuhl zusammen, hatte genug davon, wollte einfach nur mein Leben leben, ohne jemanden Rechenschaft darüber ablegen zu müssen, mit wem ich ins Bett stieg. Anthony erklärte wieder und wieder den Sachverhalt, hin und wieder gab Kyel auf eine explizite Frage eine Antwort, mich fragten die Polizisten erst gar nicht, denn ich stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
Diese zwei Stunden strich ich, nachdem wir total fertig, wieder aus dem Revier heraus waren, komplett aus meinem Gedächtnis. Mir wurde ein Psychologe zur Seite gestellt, nachdem die Polizistin bemerkte, wie verkrampft und aufgelöst ich auf die Bilder gestarrt hatte. Meine Finger unterm Tisch zusammen geknetet und immer wieder gegen die aufkommenden Tränen gekämpft hatte. Vor allem als bekannt wurde, dass ich deswegen schon im Krankenhaus gelandet war. Kyel hingegen erschien sehr gelassen, was allerdings nur seine äußere Fassade war. Er schien innerlich mehr zu brodeln, als ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Besonders schienen ihn die unausgesprochenen homophoben Fragen zu stören. Die abgeneigte Haltung des einen etwas dicklichen Polizisten, der seine Augen verdrehte, sobald seine Kollegin mir die Hand tätschelte und nachfragte, ob ich es noch aushalte. Sehr unsanft schlug er die Tür des Jaguars zu und fluchte vor sich hin.
»So etwas ist mir, seitdem ich mich geoutet habe, noch nie untergekommen! Diese Noops!«
»Hmm, damit habe ich seit Monaten zu kämpfen …«, erwiderte ich, doch Kyel schien mich nicht gehört zu haben.
»Hast du den Bullen gesehen, wie der uns angesehen hat?« Ich nickte nur auf seine Frage und schloss die Augen.
»Ich will heim!«, sagte ich nur darauf und hörte, wie er sich selbst durch tiefes Einatmen beruhigen wollte.
Tief in Gedanken versunken blickte ich aus dem Fenster. Die Regentropfen bahnten sich durch den Fahrtwind eine Schneise an den Scheiben und ich verfolgte ihren Weg. Leise Musik ertönte aus dem Radio und die mir zu schnulzig war, also drückte ich sie weg.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte mich Kyel und strich mir sanft über meinen Oberschenkel.
»Das Gleiche könnte ich dich auch fragen«, meinte ich nur und verfolgte den nächsten Tropfen. Ich hörte, wie er einschnaufte und die Hand, weil er schalten musste, von meinem Bein nahm. Der Verlust tat weh und ich blickte ihn an. Ich wusste nicht, wie lange ich ihn anschaute, aber seine weichen Züge und der kleine Leberfleck, tat seine Wirkung. Es kribbelte mit einem Mal in meiner unteren Region und ich konnte ein kurzes Keuchen nicht unterdrücken. Von der Seite blickte er mich an und ich sah, wie er süffisant grinste. Seine Hand lag nun nicht nur wieder auf meinem Oberschenkel, er strich darüber. Da ich sowieso schon tierisch gereizt war, sandte es nicht nur ein weiteres Kribbeln durch mein Rückenmark, sondern flutete meinen ganzen Körper. Automatisch setzte ich mich legerer hin und öffnete meine Beine. Diese Einladung ließ Kyel sich nicht entgehen und ich spürte, wie er sanft über meinen Reißverschluss bis hin zu meinen Eiern streichelte. Wieder war seine Hand weg, da er schalten musste und ich verfluchte dieses Auto. Warum wurde mir immer wieder diese Wärme genommen, entweder von Menschen oder situationsbedingt. Als er wieder seine Hand auf mein Bein legen wollte, klingelte sein Handy.
»Lass es klingeln!«, flehte ich ihn innerlich an. »Lass das Ding jetzt bloß klingeln!« Nein, er ging ran und ich schüttelte innerlich meinen Kopf.
»Ich muss in die Firma«, offenbarte er mir und schnappte sein Klapphandy zu. Plötzlich gluckste er auf und ich blickte verdattert zu ihm.
»Du bist einfach zu köstlich!« Ach ja und warum, dachte ich und schnaubte.
»Hmm!«, machte ich nur und schlug meine Beine übereinander. Wieder gluckste er und betätigte den Blinker, um in Richtung seiner Firma zu fahren. Ein überdimensionales Schild überfiel mich, als wir dort ankamen und ich grinste. Auf diesem Schild stand: ›Kastner Import Export - Wir verkaufen alles.‹ Was für eine Geschäftsdevise. Kyel parkte das Auto auf dem für ihn reservierten Platz und stieg aus. Eigentlich wollte ich nach Hause, fügte mich aber kopfschüttelnd dieser Situation. Na ja, so schnell würde sich meine Libido nicht mehr rühren und wenn, er kam sowieso auf seine Kosten. Wahrscheinlich schneller als es mir lieb war. Ich ging hinter Kyel her und er hielt mir die Tür auf. Mit sanftem Druck auf meinen Rücken schob er mich in das Gebäude. Hier roch es wirklich nach Ozon erzeugenden Geräten und ich hatte schon die Befürchtung einen sterilen Raum zu betreten.
Ich blickte mich um und wow. Einige Ölgemälde hingen an den Wänden. Der mosaikartige Marmorboden und die Tische in diesem Bereich waren Unikate. Die Leuchten waren in die Decke integriert worden und strahlten ein sehr wohltuendes Licht ab. Es sah sehr modern aus und doch lag auch ein Hauch Altertum in dem Eingangsbereich. Kyel ging an die runde Anmeldung und unterhielt sich mit jemandem. Ich hingegen betrachtete die Gemälde und musste mir eingestehen, dass ich darauf nichts erkennen konnte. Ein Dreijähriger konnte schöner zeichnen oder malen. Diese hier bestanden aus Farbklecksen, Kreisen, Rechtecken und wirkten, als seien sie mit irgendwelchen zusammengemischten Farben dahin gepinselt worden.
»Dieses Bild hat einen Wert von drei Kleinwagen, also sei bitte etwas vorsichtig, Bursche!« Ich erschrak und drehte mich zu der fremden Stimme mit ausländischem Akzent um und funkelte ihn böse an. Ich konnte es nicht haben, wenn jemand eine höfliche Bitte mit einer Beleidigung mischte. Vor mir stand ein Schrank von einem Mann, angezogen wie ein Scheich und musterte mich mit seinen dunkelbraunen Augen. Seine Haut war ebenfalls dunkel und schimmerte kastanienbraun. Noch dazu besaß er einen Dreitagesbart, was meinen Unmut ihm gegenüber nicht besser werden ließ.
»Ah Mr. Nigrim, schön, dass Sie hergefunden haben«, begrüßte Kyel den Mann und schüttelte ihm die Hände.
»Ein wahres Prachtexemplar, nicht wahr?«, säuselte er weiter und ich war mir sicher, dass er nicht mich gemeint hatte. »Es macht sich wirklich hervorragend, hier im Eingangsbereich.« Der Mann nickte und ich sah, wie sich seine Augen erhellten.
»Wirklich, Mr. Kastner, ich hätte keinen besseren Platz für dieses Bild finden können. - Und Bursche, gefällt dir das Bild?« Wieder zuckte ich zusammen und versuchte zu lächeln, was mir allerdings nicht gelang. »Das Bild steht zum Verkauf …«
»Oh Mr. Nigrim, dieses Gemälde ist bereits verkauft. Deswegen habe ich Sie hergebeten, damit wir den Vertrag endgültig abschließen können. Wenn Sie mir in mein Büro folgen würden!« Ich wartete draußen und ein junger Mann, von knapp über 20, kam auf mich zu.
»Hi, ich bin Tom und Mr. Kastners Sekretär. Kann ich dir was bringen?«, fragte er und ich blickte in zwei sehr freundliche blaugraue Augen.
»Ja, einen Kaffee, wenn es keine Umstände macht.« Er lächelte und war auch gleich verschwunden, nur um sogleich mit einem Tablett, auf dem zwei Tassen, eine Kanne Kaffee, Milch und Zucker standen, zurückzukommen. Er setzte sich mir gegenüber und streckte seinen Rücken durch.
»Ah, tut das gut, endlich mal Pause. Du musst Sascha sein. Mr. Fleischhauers Sohn!« Urgh, wieder wurde mein Vater genannt und ich nickte leicht verdrossen. Obwohl er nicht mein biologischer Vater war, was sich vor ein paar Tagen herausgestellt hatte. Wurde ich dennoch weiterhin mit ihm in Verbindung gebracht. Eigentlich konnte ich ja auch erwarten, dass alle im unmittelbaren Umkreis über meine familiären Verhältnisse Bescheid wussten. Nach etwa einer halben Stunde kam der Scheich wieder aus dem Büro und er schien sehr zufrieden zu sein.
»Oh, die Pflicht ruft!«, murmelte der Sekretär und sprang auf. Der Scheich ignorierte mich und ging.
»Ähm, Sascha, du sollst zu Mr. Kastner ins Büro kommen!« Die Art und Weise, wie er es gesagt hatte, brachte meine sämtlichen Nanoströme durcheinander und ich brachte nur noch ein krächzendes Danke hervor. Ich trat ein und Kyel empfing mich mit geöffnetem Hemd und geöffneten Hosenknöpfen. Langsam kam er auf mich zu, zog mich mit seinem Blick aus. Nahm mich in seine Arme und flüsterte mir ins Ohr.
»Ich muss mich noch für den ›Lebensgefährten‹ bedanken«, sanft leckte er mir mit seiner Zunge über meinem Hals und es war aus mit mir.
Ich wusste nicht, wie lange ich vor dem Spiegel in diesem herrlichen Bad von Kyel und Sascha stand und mich von oben nach unten und wieder zurück ansah. Raoul hatte wirklich was drauf und die Kleiderzusammenstellung war so was von ›wow‹. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich, mit meinen Klamotten, so stylen konnte. Ich trat aus dem Bad und befand mich im Schlafzimmer. Kurz blickte ich mich um. Der Boden war voll mit gestapelten Kartons und ich schüttelte den Kopf. Sascha hätte schon längst einiges auspacken können. Ich fragte mich, was er den ganzen Tag trieb.
Die Hausklingel ertönte und ich rannte aus dem Schlafzimmer. Parker, der wie immer vor sich hin fluchte, hatte schon geöffnet und musterte den Neuankömmling etwas zu skeptisch.
»David!«, rief ich und schob mich an Parker vorbei.
»Du kennst den Burschen?«, fragte Parker mich barsch und ich nickte.
»Ja, das ist David, mein Freund!«
»So, so dein Freund!« Parker musterte mich mit abschätzendem Blick und verzog herablassend seine Mundwinkel.
»Ich hoffe Mädchen, du weißt, wen du da an der Angel hast!«, meinte er und ging wieder zurück in die Villa und bei jedem Schritt fluchte er unverständliche Dinge, die ich nie wiedergeben würde.
»Hi!«, grüßte ich David und er nahm mich in seine Arme.
»Hi, ich habe dich vermisst!«, flüsterte er und schaute mir tief in die Augen.
»Du hast mich doch heute schon in der Schule gesehen!«
»Schon, aber das reicht nicht aus.« Ich ließ ihn rein und er schaute sich pfeifend um.
»Was für ein Anblick. Und ich dachte, du schwindelst, als du gesagt hast, dass ihr hier einzieht«, kopfschüttelnd grinste ich ihn an. Nachdem er sich wieder gefasst hatte, führte ich ihn in mein Zimmer und selbst da blickte er sich halb pfeifend halb sprachlos um. Ich zog ihn zu meiner, von mir ausgesuchten und von Mom mit Kyels Kreditkarte bezahlten, Couch. Ich musste dazu sagen, Mom schluckte kräftig als Kyel ihr seine Black-Card in die Hand drückte und meinte: »Hier, das sollte genügen.« So eine Kreditkarte bekam man nicht einfach mal so, da musste schon mindestens eine Zahl mit über sechs Nullen auf dem Konto sein.
»Herr Gott, in diesem Haushalt findet man auch wirklich nichts!«, hörten wir Parker von irgendwoher fluchen und ich verdrehte die Augen.
»Wer ist dieser alte Knacker?«, fragte David mich und ich sah, dass er ihn auf Anhieb nicht leiden konnte.
»Es ist Parker, der Onkel von Kyel. Ein wirklicher seltsamer Kauz«, meinte ich und zog David zu mir. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und schon trafen sich unsere Münder. So richtig konnte ich mich nicht auf ihn konzentrieren, weil ich immer an die Tickets in meiner Hosentasche dachte. Man war ich froh, dass ich überhaupt noch welche bekommen hatte. Kazas. Das war schon eine Gruppe. Es war - die Gruppe - der Welt. Das bedeutete, cool, im Trend sein und vor allem war es ein totales Muss, dorthin zu gehen. Wann hatte so ein Kaff einmal die Gelegenheit, so eine wahnsinnige Gruppe auftreten zu lassen? Eigentlich niemals.
»Was ist, du hast seit heute früh ein Dauergrinsen im Gesicht?«, murmelte er zwischen einigen Küssen und ich kicherte in seinen Mund.
»Wow, du machst mich wahnsinnig!«, und seinen Wahnsinn spürte ich bereits. Ich kicherte wieder und schob ihn etwas von mir weg. Leicht lasziv tänzelte ich vor ihm, und immer, wenn er mich in seine Arme nehmen wollte, entzog ich mich ihm.
»Oh man, was ist denn los?« Ich kicherte wieder und holte die zwei Tickets aus meiner Hosentasche. »Wow, ist es das, was ich denke?« Ich nickte. »Nee, ist nicht dein Ernst! Weißt du, wie lange die Wartezeit für diese Karten ist?«, wieder nickte ich und langsam hatte ich das Gefühl, dass das Grinsen gar nicht mehr aus meinem Gesicht verschwand.
»Über ein Jahr, aber ich habe sie schneller bekommen. Kyel muss irgendwelche Connection zu dem Manager der Kazas haben. Sonst hätten wir sie nicht bekommen. Die Karten sind schon seit über einem halben Jahr ausverkauft.« Kurz drehte ich die Karten in meiner Hand. »Siehst du, sogar Backstage«
»Echt, wow zeig mal her!«
Zu Zärtlichkeiten kamen wir nicht, da kurz drauf, Parker an meine Tür pochte und meinte, ich sollte ihm mal schnell helfen. Tief atmete ich ein und zuckte entschuldigend mit den Schultern.
»Tut mir leid, Parker braucht mich.« David verdrehte verdrossen seine Augen und gab mir Handzeichen, das er hier im Zimmer auf mich wartete.
Irgendwo in der zweiten Etage fand ich Parker endlich. Er war dabei, Moms Reich zu renovieren. Stellt euch das Mal vor! Mom bezog fast eine Etage für sich alleine und ich selbst hatte unten fast eine ganze Wohnung für mich. In dieser Villa, wenn die richtig aufgeteilt wurde, hatten mindestens drei fünfköpfige Familien Platz.
»Mädchen, sei mir nicht böse, aber ich kann den Typen nicht leiden …!«, fing er geradeheraus an und ich unterdrückte meine aufkommende Wut. Was zum Teufel fiel ihm ein? »Es ist meine Entscheidung, mit wem ich zusammen bin«, hätte ich ihm gerne an den Kopf geschmissen, doch ich besann mich. Mit Parker konnte man nicht so reden. Er würde ausrasten und alles kurz und klein schlagen, auch wenn er schon weit über die 60 war.
Ich atmete wieder tief durch und fragte: »Warum?«
»Er ist der Sohn von den Welmons. Schlechte Menschen. Ihre Meinungen sind wechselhafter als das Wetter. Außerdem hat er eine schlechte Ausstrahlung. Ich sehe das in seinen Augen«, meinte er und schlug einen Nagel in ein Brett.
»Was meinst du damit?«, bohrte ich weiter, weil ich mich nicht so einfach von ihm abspeisen lassen wollte.
»Hmm, ich sehe schon … Deine Liebe macht dich blind. Aber das musst du wissen. Ich kann nur sagen, dass der Typ nichts für dich ist.« Er hielt inne und schlug einen weiteren Nagel in das Brett, das er bearbeitete. »Der Typ ist ein Trophäensammler und ihm ist jedes Mittel recht, um seine Trophäe zu bekommen. Ich weiß nicht, was er mit dir vorhat, aber ich sehe, dass er nicht nur deinetwegen hier ist. Bitte sei vorsichtig. Du bist mir sehr lieb«, sagte er und nahm das behandelte Brett und ging damit in einen anderen Raum. Fragend blickte ich ihm hinterher und zuckte kurz mit den Schultern. Besonders war, dass er nicht in jedem Satz geflucht hatte, was sonst seine Art war und ich nahm mir vor, über das Gesagte nachzudenken. Auch wenn er ein alter zynischer Knacker war, so musste ich mir eingestehen, dass er einen ganz weichen Kern besaß. Besonders, wenn Jaydon in seiner Nähe war. Diese Liebe, diese Aufopferung, fand man nicht bei jedem Paar. Ihre Liebe war etwas ganz Besonderes und ich hoffte, so etwas auch mal zu erleben.
Immer wieder versuchte David mich zum Sex zu überreden und genauso oft kamen mir die Wörter von Parker in den Sinn. »Er ist nicht nur deinetwegen hier.«
Meine ganze Vorfreude auf David war dahin und wir verbrachten die restliche Zeit, bis das alte Theater aufmachte, mehr oder weniger schweigend. Selbst als wir durch die Stadt fuhren und sämtliche Umleitungsschilder umfuhren, kam keine Unterhaltung auf. Wenn ich recht überlegte, hatten wir nie tiefer gehende Gespräche geführt. Immer fand unsere Zweisamkeit im Bett statt.
Die Kazas, das war ein Event, das nur alle 100 Jahre, hier in dieser Stadt stattfand. Es war sowieso ein Wunder, das der hiesige Bürgermeister, dem zugestimmt hatte. Er war so eingestellt, dass alles, was nicht gebraucht wurde, unnötig war und sich damit zu beschäftigen nicht lohnenswert. Genauso fand vor einigen Monaten eine Bürgerumfrage statt, in dem viele Mütter für einen neuen Spielplatz plädierten. Leider war dem Bürgermeister ein neues Finanzamt, das wieder Millionen geschluckt hatte, wichtiger, als die Bedürfnisse von Kindern zu befriedigen.
Nach den unzähligen Absperrungen und Umgehungsschildern kamen wir wirklich nicht mehr weiter und David stellte das Auto vor seinem Zuhause ab. Das war die einzige Parkmöglichkeit, die wir noch hatten, und stiegen aus. War ich froh, dass wir früh genug losgefahren waren, sodass wir den restlichen Weg zum Alten Theater laufen konnten.
David versuchte ständig, mich zu umarmen oder meine Hand in seine zu nehmen und jedes Mal entzog ich mich ihm. Auch wenn ich Parker nur ein paar Tage kannte, so war mir seine Warnung viel zu tief ins Blut gedrungen, um diese einfach zu ignorieren. Parker hatte es in wenigen Worten umschrieben, was ich selbst, nach all den Jahren, in denen ich David schon kannte, bereits wusste. Ich schnaubte und blickte zum Horizont. ›Trophäensammler‹ Was sollte ich tun? Ich liebte David, da war ich mir sicher. Selbst nachdem er mir sein dunkles Geheimnis verraten hatte und doch … ich wusste einfach nicht weiter. Noch vor einigen Stunden konnte ich es nicht erwarten ihn zu sehen, nun stand er neben mir und ich wollte von ihm nicht berührt werden. Es war, als ob ihn eine dunkle Aura umhüllte, in der Art, dass man diesen Menschen vom ersten Augenblick an nicht leiden konnte, obwohl derjenige einem nichts getan hatte und das nur, weil Parker mit mir gesprochen hatte.
Aus dem Augenwinkel sah ich Sascha, der sich mit einer fremden Frau unterhielt und ich blickte genauer hin. Das durfte doch nicht wahr sein! Es war Sue Kansas, die ehemals Leaderin der Kazas. Selbst nach über 25 Jahren, sah sie einfach umwerfend aus. Sie müsste, wenn ich es noch richtig wusste, vor einigen Wochen ihren 40. Geburtstag gehabt haben. Ohne ein weiteres Wort ging ich auf die beiden zu. David fragte mich, was los sei, doch ich gab ihm keine Antwort. Plötzlich wurde ich gestoppt und ein Schrank von einem Mann versperrte mir den Weg.
»Wohin des Weges?«, fragte er mich und es klang nicht boshaft. Dennoch wich ich erschrocken zurück.
»Ich möchte zu meinem Bruder.« Ich zeigte mit dem Finger zu Sascha.
»Ist er wirklich dein Bruder?« Ich nickte.
»Ja, er ist mein Bruder«, sagte ich und schrie zu Sascha rüber. Gott sei Dank, drehte er sich zu mir um und winkte. Wie aus heiterem Himmel ließ mich der Mann durch und ich bahnte mir den Weg durch die Menschenmenge, die mir anfänglich nicht so voll erschien. Es dauerte nur wenige Minuten und ich stand bei Sascha. Er lächelte kurz und ich sah, wie er zu David rüberblickte. Ich folgte seinem Blick und sah, dass David nicht an dem Mann vorbeikam, der auch mich aufgehalten hatte.
»Hallo Sarah. Ich bin Sue Kansas. Ich werde euch heute durch den Backstagebereich führen.« Wieder schaute ich zu David und er war verschwunden. Ein leichtes Verlustgefühl stieg in mir hoch und dennoch war ich auch irgendwie erleichtert, dass David nicht mehr zu sehen war. Ich konnte es nicht beschreiben, meine Sehnsucht nach ihm war weg. Mir begegnete ein freundliches Lächeln von Sue Kansas.
»War das dein Freund?« Ich nickte und hörte, wie Sascha zischend die Luft ausatmete. »Ich habe gerade gesehen, wie er mit einem anderen Mädchen davongegangen ist«, sagte Sue und ich erschrak leicht.
»Der ändert sich eben nicht«, nörgelte Sascha und wandte sich Kyel zu.
»So sind wir alle versammelt, dann kann es ja losgehen«, meinte Sue und wir gingen ihr hinterher. Vor ihr waren zwei Männer, die uns den Weg durch die Menge bahnten und hinter uns waren ebenfalls zwei Männer, die die Fans auf Abstand hielten. Es war ein wahnsinniges Gefühl, live bei so einer Aufführung dabei zu sein. David war vergessen, wenn auch nicht für lange. Wir wurden von einem anderen Mann aufgehalten, der David in Schlepptau hatte.
»Der hat auch eine Backstagekarte«, sagte er zu Sue und sie nickte, nur ihre Augen waren nicht mehr so strahlend.
»Sind wir jetzt vollzählig?«, fragte sie in die Runde und zählte kurz, dann nickte sie wieder. »Ja, der Fünfte ist bereits dort«, meinte sie wohl eher zu sich selbst.
»Ich glaube, dass es Raoul ist«, kicherte Kyel und die Augen von Sue blitzten schelmisch auf. Schließlich grinste sie und am Ende kam ein Kichern von ihr.
»Ja, Raoul, das ist sein Name. Er und Mes unterhalten sich sehr angeregt.« Ihre Augen lächelten wieder. Kyel äußerte so etwas wie: »Ist ja wieder typisch für Raoul!«
Sue führte uns in den Backstagebereich und dort fanden wir auch Raoul vor, der sich angeregt mit einem Mann mittleren Alters unterhielt. Er sah uns und schon stolzierte er auf Kyel zu. Er gab ihm ein Küsschen auf die Wange und David zog leicht angewidert die Luft ein. Überrascht schaute ich zu ihm. Ich verengte meine Augen, und als er sah, wie ich ihn musterte, lächelte er mich an. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. So eine schnelle und für mich raffinierte Umstellung. Zumal er mir, vor gar nicht langer Zeit, offenbart hatte, dass er bisexuell sei und das es ihm nicht das Geringsten ausmachte, wenn zwei Männer sich küssten und nun das! Sollte ich sprachlos sein? Sollte ich ihn darauf ansprechen? Sollte ich ihm sein so dunkles Geheimnis weiterhin glauben? Ich wusste es nicht.
David kam auf mich zu und wollte mich wieder in den Arm nehmen. Wieder entzog ich mich ihm. Ich suchte etwas. Ich suchte etwas an oder in ihm, etwas das ich bisher gesehen hatte und das verschwunden war. Ich fand es nicht mehr. Oder lag es an mir? Waren es diese einfachen Worte von Parker, die mich zweifeln ließen? Wieder fand ich darauf keine Antwort.
Das Konzert begann und es war hammermäßig. Ich beneidete Sascha und Kyel, wie sie miteinander tanzten und es schien, als ob keiner Notiz von den beiden nahmen. Alle waren wie hypnotisiert und bewegten sich im Takt und Rhythmus mit und sangen den Text.
Ich tanzte alleine. David war wie vom Erdboden verschluckt. Meine Zweifel waren wie weggefegt, als ich mich kurzerhand im Tanz mit einem gut aussehenden Mann wiederfand. Seine Augen waren hellbraun. Okay, er war blond. Ich musste dazu sagen, ich hatte leider ein Faible für blonde Jungs und vor allem kam er mir bekannt vor. Kurz überlegte ich woher und dann erinnerte ich mich. Als ich bei einem Probeunterricht in der Uni war, saß ich neben ihm. Wir hatten uns auf Anhieb gut verstanden, und bevor er mir seinen Namen anvertrauen konnte, wurde ich brutal von ihm weggezogen. David funkelte meinen Tanzpartner böse an.
»Lass deine dreckigen Finger von meiner Freundin!« Boah! Das durfte nicht wahr sein.
»Hey!«, schrie ich David an, doch er hörte mich nicht. »Hey!«, schrie ich noch mal und wieder ignorierte er mich.
»Sie gehört mir …!« Nee … oder? Was hatte ich da gehört? Ich sollte ihm gehören? Moment ich gehörte immer noch mir.
»Sag mal spinnst du!« David war immer noch taub und war nur auf seinem Gegner fokussiert. Dann zog ich an seinem Ärmel und stellte mich aufrecht mit herausgereckter Brust vor ihm hin.
»Was?«, fauchte er mich an.
»Was! Was?«, gab ich zurück. »Du spinnst doch ein wenig oder nicht? Ich glaube, bei dir sind die Hamster im Laufrad auf Droge. Du hast hier nicht zu bestimmen, wer hier mit wem tanzt.«
»Oh doch, das scheinst du wohl nicht zu wissen. Du bist meine Freundin und ich lasse nicht zu, dass du mit so einem schwulen Typen tanzt.« Hier war es. Das Wort. Und meine Augen wurden mir auf bestialische Weise geöffnet.
»Ich tanze, mit wem ich will! Das hast du mir nicht zu sagen!«
»Oh doch! Du hast das zu machen, was ich will!« Ich hörte wohl nicht richtig und Aiden wollte David beruhigen. Aiden, der Name, ich erinnerte mich wieder, lief wie Zucker durch meine Sinne. Ich spürte, wie wild gewordene Schmetterlinge sich in meinem Bauch breitmachten, durch mein Rückenmark weiter zu meinem Nacken hoch flatterten und mich irgendwann im Gehirn kitzelten. Wow was für ein Satz, aber genauso fühlte ich mich. Ohne Punkt und Komma.
Er wich dem Schlag von David aus und versetzte ihm im Gegenzug einen Bauchhieb.
»Du schwule Sau!«, fluchte David und wollte sich sogleich wieder auf Aiden stürzen. Doch dieser hielt ihn am Boden.
»Es tut mir leid, dass ich mit deiner Freundin getanzt habe. Also nimm es nicht so schwer. Ich will sie dir doch nicht wegnehmen.«
»Du Tunte such dir einen der dich in den Arsch ficken kann …«
Das war zu viel und ich beugte mich zu David, der immer noch von Aiden auf dem Boden gehalten wurde.
»David, es tut mir leid. Aber solltest du es nicht besser wissen, wie es ist, in den Arsch gefickt zu werden?« Seine Augen wurden groß und er lachte zynisch auf.
»Du Schlampe. Du Tuntenliebhaberin … Was bist du schon? Du bist ein Nichts. Schon erst recht, mit so einer Tunte als Bruder …«, da rastete ich völlig aus und feuerte ihm meine flache Hand ins Gesicht.
»David, du hast mich belogen.«
»Oh, du Schnepfe hast es endlich bemerkt. Ihr seid alle Schwulen Liebhaber und so was von blöd, dass es schon wehtut. Selbst dein Bruder!« Ich funkelte ihn böse an. Und ab da brach alles über mich ein. Seine Augen, sein Benehmen, das seit Tagen so anders war und vor allem seine Verschlagenheit, von wegen er hatte nichts gegen Schwule, weil er ja selbst. ›Oh Gott, ich bin total auf ihn reingefallen, und wenn ich nichts dagegen tue, fällt Sascha auch auf ihn rein.‹ Das wurde mir plötzlich klar, denn die Worte von Parker entfalteten ihre ganze Macht.
»David, es ist aus. Und wage es ja nicht mehr, in mein Leben zu treten«, damit ließ ich ihn stehen bzw. liegen und hakte mich bei Aiden ein.
»Es tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest.«
»Sorry, dass ich das sage, aber ich habe schon von Anfang an gemerkt, dass er ein Arschloch ist.« Die Art und Weise, wie er es sagte, ließ mich auflachen und ich versank in seinen hellbraunen Augen, die wieder einen Schwarm Schmetterlinge in meinem Bauch verursachten.
Eng umschlungen saßen wir in meinem Büro auf der Couch und hatten die Augen geschlossen. Sascha war so sanft und ich konnte es einfach nicht lassen, ihm immer wieder über seinen Rücken zu streicheln. Ein leichtes Grinsen huschte über mein Gesicht, als ich die letzten Stunden Revue passieren ließ.
Ich glaubte, ich hätte mich verhört. Hatte Sascha das wirklich zu diesen Machomännern, mit geballtem Sex-Appeal, gesagt? Mir blieb die Spucke weg. Nein, sie zog sich zähflüssig in meinen Rachen abwärts und blieb an meinem Zäpfchen hängen. ›Mein Lebensgefährte‹ und im gleichen Atemzug, dass ich sehr gut blasen konnte. Ich musste husten und dennoch stahl sich ein leichtes Grinsen in mein Gesicht. Mein kleiner Sascha. Er war wirklich ein Orkan in jeder Hinsicht. Ohne mit der Wimper zu zucken, stellte er sich Sven entgegen. Sven Hofland, allein der Name brachte Gänsehaut an jegliche erdenkliche Stelle eines unbedeckten Körpers. Besonders dem meinem. Gott, ich durfte nicht daran denken, wie er mich genommen hatte. Nur auf sich bedacht und ohne Rücksicht auf den, der unter ihm lag. Dennoch wurde ich von meiner Lust getrieben und machte alles, was er von mir verlangt hatte. So musste sich ein Sub oder ein Twink fühlen. Dominiert von jemandem, der nur auf sich schaute, auf seine eigene Befriedigung und dennoch seinem Partner die totale Ekstase bereitete. So war ich auch. Ein Top. Seitdem es mir mit Sven passiert war, war das nie wieder vorgekommen, dass ich für jemanden die Beine breitgemacht hatte. Doch seit ich Sascha kannte, sehnte ich mich danach, von ihm genommen zu werden. Sicher, ich hatte sein bestes Stück schon in mir gehabt, doch damit hatte ich ihn etwas überfordert, und wartete seitdem darauf, dass er die Initiative ergriff.
›Sascha, ich werde dich dahin führen, damit auch du in den Genuss kommst, zu erfahren, wie es ist, einen anderen Körper vollständig zu dominieren. Ich warte, bis du so weit bist, und sei dir sicher, ich werde es genießen und dir meine Lust entgegenschreien. Ich werde dich durch meine Lustschreie weiter antreiben, bis ich dir vollständig erlegen bin und nur darauf warte, dass du mir die Erlösung schenkst.‹
Wir wurden aufgerufen und wie sollte es auch anders sein, verabschiedete sich Sven durch seine aalglatte eigene Manier. Ich sah, wie Sascha sich anspannte und ihn ziemlich lodernd anfunkelte. Ab da wusste ich, egal wie der Mann heißen sollte, er würde es nicht schaffen, Sascha zu bezwingen.
Die nächsten Stunden waren nicht nur grausam, sondern sie waren die Hölle. Je länger ich in diesem Raum mit dem dicken schwabbeligen Mann war, umso mehr musste ich mich beruhigen. Der hatte von gar nichts eine Ahnung. Der brauchte einmal einen richtigen Top oder noch besser einen Dom. Auch zog sich alles in mir zusammen, als Ltd. Ach so lieb und geht es dir wieder gut, Sascha bemutterte und ihn immer wieder angrapschte. Herr Gott, ich hatte von alldem die Nase gestrichen voll. Ich hatte einen Arsch voll Arbeit in der Firma und die konnten von nichts anderem reden, als den Bildern und Briefen. Ob das alles der Wahrheit entsprach. Fuck! Hätte ich Sascha nicht bei mir, würde ich ins Glamour fahren, mir einen Twink schnappen und mir den Verstand rausvögeln. Vor allem würde ich den Nerds Bullen meinen Rechtsanwalt auf den Hals jagen, der mir für eine Stunde mehr als 500 $ aus der Tasche zog. Nur leider kam ich hier nicht weiter. Dies ist das Terrain der Bullen. Ihr Reich. Ihre Regeln. Nur der ermahnende Blick von Anthony und der Pokerface-Ausdruck von Sascha hielten meine brodelnde, zum Überlaufen aufgestaute und zum Ausbrechen bereite Wut im Zaun. Ich musste Dampf ablassen, auf der Stelle. Doch als ich aus dem Augenwinkel Sascha sah, wurde ich eines Besseren belehrt. Ein ungeahntes sanftes Gefühl machte sich in mir bereit und ich atmete sehr flach ein.
Immer wieder ließ ich diverse und prekäre Fragen über mich ergehen und immer wieder schaute ich darauf, dass ich bei meinen Antworten nichts wegließ oder was dazudichtete. Meine Diplomatie war hier definitiv fehl am Platz. Ab und zu gab Sascha eine Antwort, aber er war mehr oder weniger damit beschäftigt, nicht in Tränen auszubrechen.
Wir waren auf dem Weg nach Hause, als Sascha unmerklich einen höchst lasziven Ton von sich gab. Ich bemerkte, wie er mich immer wieder von der Seite ansah, und konnte mich nicht mehr zurückhalten. Ich musste ihn sehen, ich musste es in seinen Augen sehen und fing an, meine Finger langsam über seinen Oberschenkel gleiten zu lassen. Er reagierte für mich sehr überraschend darauf, doch fühlte ich mich darin bestärkt, besonders als er seine Beine weiter spreizte. Gott war das ein Anblick. Er war kurz vorm Kommen. Ja und dann würde ich ihn, in unserem Schlafzimmer, nehmen. Dieser Gedanke zerfloss in mir wie geschmolzenes Eis und ich wiederholte ihn stetig.
Wie schaffte es Sascha nur, mich so zu beruhigen. Mich in Gefühlen zu verstricken, von denen ich noch nie was geahnt hatte. Allein sein Bekenntnis mir gegenüber hatte etwas in mir entfacht, was ich noch nie gefühlt hatte. Scheiße, Fuck und ja, ich liebte ihn. Mehr als ich es mir jemals erträumt hatte. Nicht einmal mit Paul hatte ich so etwas erlebt und selbst er war für meine Maßstäbe die Wucht. Leider war er auch ein absolutes Anhängsel, wenn er bei mir war. Wobei ich daran nicht ganz unschuldig war. Immerhin war ich Pauls Master.
Leise stöhnte Sascha unter meinen Berührungen und hätte ich nicht am Steuer gesessen … hätte ich ihn geschnappt und ihm den Himmel auf Erden beschert.
Der unmissverständliche Ton meines Handys, über den er sich köstlich aufregen konnte, ertönte und ich spürte, wie Sascha sich anspannte. Ich sah auf das Display und erkannte, dass es die Firma war. Im Moment hatte ich einen verdammt hartnäckigen Verhandlungspartner am Haken. Aber so wie es sich herausstellte, war nur ein Verkäufer anwesend, der im Laufe des Vormittags zum Flughafen musste. Gott, nur wegen einer läppischen Unterschrift musste ich auf Sascha verzichten.
Ich konnte es nicht fassen, wie lange man für eine einfache Unterschrift brauchen konnte. Immer wieder blickte ich verstohlen auf die Wanduhr aus dem 19. Jahrhundert bis Mr. Nigrim sich endlich erbarmt hatte zu unterschreiben und sich zu verabschieden. Ich drückte auf internes Gespräch und hatte auch gleich Tom am Hörer. Zu ihm sagte ich, dass er Sascha ins Büro schicken sollte und dass ich, bis ich mich wieder bei ihm meldete, niemanden im Büro sehen möchte. Nebenbei hatte ich mir mein Hemd geöffnet und die Knöpfe meiner Hose aufgemacht. Nicht weil sie mir zu eng geworden war, sondern weil ich Sascha endlich wollte. Weil er es wollte. Wieder huschte mir seine Aussage von damals durch den Kopf.
»Warum bist du so? Ich bin doch nur jemand, der sich von dir ficken lässt. Ich mein, ich sehe dich oder ich denke an dich und schon verlange ich von dir, dass du es mir besorgst. Ohne auf dich zu achten« Ja, verdammt er hatte recht und ich schloss meine Augen. Es war die Wahrheit, Sascha wollte es und ich stand stramm. Aber ich konnte nicht anders. Ich wollte ihn befriedigen. Ich wollte ihn schmecken. Ich wollte seine wunderbare Enge spüren, und wenn er kam, in sein Gesicht blicken. Es abküssen. Jeden Zentimeter seiner Haut berühren und ihn zur Ekstase treiben, dass er erschöpft in meinen Armen lag und ich seinen immer ruhiger werdenden Atem auf meiner Brust oder im Nacken spürte.
Die Tür ging auf und Sascha trat rein. Sofort blitzten seine Augen auf und wie eingeübt, huschte ein Teil seines erlernten Pokerface über seine Züge. Ich ging auf ihn zu und nahm ihn in meine Arme.
»Hmm, ich muss mich noch für den Lebensgefährten bedanken«, murmelte ich in sein Ohr und spürte, wie er sich leicht anspannte. Oh Sascha, ich kannte deinen Körper, und ich sah, es waren die richtigen Wörter. Ich beugte mich zu ihm runter und leckte über seine herrlich empfindliche Stelle. Kurz zuckte er kichernd zusammen und gab mir mehr Freiraum. Langsam fuhr ich über sein Kinn zu seinen gewölbten Lippen. Er öffnete sie leicht und ich drang mit meiner Zunge in seinen Mund und suchte die Seine.
»Ich glaube kaum, dass das nur ein Dankeschön für den Lebensgefährten ist!«, hauchte er kaum noch atmend in meinem Mund.
»Wie du das weißt«, flüsterte ich zurück und hob ihn hoch. Trug ihn zum Schreibtisch und setzte ihn drauf.
»Au!«, keuchte er, rutscht auf die Seite und hob einen Papierlocher hoch. Grinsend legte er ihn etwas weiter weg. Unsere Münder vereinigen sich wieder und in dem Moment, wo ich meine Hand unter sein Shirt legen wollte, keuchte er wieder auf.
»Au!«, kurz darauf zog er einen Heftapparat hervor und blickte mich belustigt an.
»Ich glaube, dein Schreibtisch ist einfach zu voll.«
»Hmm, kein Problem, dann weichen wir auf die Couch aus«, und ich hob ihn wieder hoch. Wie automatisch schwang er seine Beine um meine Hüfte und ich spürte seine Erregung. Er war einfach herrlich.
Ich rutschte etwas zur Seite, um aufstehen zu können, womit ich mir allerdings ein leichtes Genörgel von Sascha einhandelte.
»Lass mich mal schnell aufstehen«, meinte ich und Sascha setzte sich auf. Wow, war mir plötzlich kalt und ich fröstelte durch den Verlust seiner Körperwärme. Ich suchte meine Klamotten und zog mich an. Sascha beobachtete mich mit zusammengezogenen Augen.
»Was hast du jetzt vor?«, fragte er mich und streckte sich. Auch er umschlang kurz seinen Oberkörper mit den Armen und stand ebenfalls auf. Ich grinste ihn an und schon sah ich, wie er wieder seine Augen verdrehte. Einfach himmlisch. Ich liebte es, wenn er unbedacht aus sich herauskam und ging zum Schreibtisch.
»Hmm habe für heute Abend noch etwas vor«, sofort gefror sein Gesicht und ich musste ein Kichern unterdrücken. Die Schublade, in der ich die zwei Tickets für die Kazas aufbewahrte, zog ich vor und holte diese raus. »Tut mir leid, aber ich muss unbedingt zu dieser Vorstellung, dort wartet ein wichtiger Kunde.«
»Verstehe! … Wann wirst du wieder daheim sein?« Oh, daheim!? Gott Sascha, allein diese Aussage machte mich zu einem glücklicheren Menschen. Ich räusperte mich.
»Keine Ahnung. Der Kunde ist sehr anspruchsvoll. Könnte länger dauern«, sagte ich und hielt die Karten so, dass es nicht zu auffällig war, und schmiss sie regelrecht auf den Schreibtisch.
»Die Kazas?«, rief er aus und sog scharf die Luft ein. Ein Hauch von Traurigkeit überzog sein Gesicht. Und er versuchte vergebens, seine Betroffenheit nicht zu zeigen. Kurz blickte ich auf das Telefon, das schon wieder schlimmer blinkte als sämtliche Alarmanlagen in der ganzen Stadt nach einem Erdbeben. Plötzlich fiel mir etwas ein und ich meinte entschuldigend:
»Die Arbeit ruft. Tom wird dich schnell heimfahren«, wieder sah ich, wie er verdrossen einschnaubte und sich dabei anzog. Es aber mit einem leichten Schulterzucken abtat. Gott Sascha, wenn du wüstest und ich nahm, den ersten Anruf entgegen.
Meine Vorfreude blieb den ganzen langen Tag bestehen, und als das Telefon nicht mehr permanent klingelte oder ein Anrufer, der in der Warteschleife saß, aufleuchtete, beschloss ich Feierabend zu machen. Ich schaute auf die Uhr und gluckste innerlich. Noch hatte ich genügend Zeit und konnte mir Sascha vorstellen wie er daheim, … ja daheim … ich musste mir das auf der Zunge zergehen lassen, vor sich hin schmollte und niemandem zeigte, wie sauer er war, dass er nicht zu den Kazas gehen konnte. Die Karten steckte ich ein und verließ das Büro. Tom gab ich auch eine, der mir daraufhin, fast, wie aus dem Häuschen, um den Hals fiel und Nicole, die von nun auf gleich ins kalte Wasser gestoßen worden war, indem sie meine neue Finanzchefin wurde, bekam ebenfalls eine.
»Auf einen guten Start!«, sagte ich und sie starrte mich fassungslos an. »Ach, haben Sie einen Freund oder eine Freundin?«, fragte ich und ihre Augen wurden noch größer. Nur zögerlich nickte sie und ich gab ihr noch eine. Ich musste nur darauf schauen, dass ich die Backstagekarten nicht mit den Normalen verwechselte, und zwinkerte ihr zu. Sie brachte immer noch keinen Ton heraus und ich rief in die Runde, dass sie alle auch die normalen Arbeiter ab 16 Uhr freihatten. Ich blickte auf meine Armbanduhr und musste mich langsam beeilen. Immerhin hatte ich noch etwas mit Sascha vor. Als ich rausging, hörte ich, wie meine, noch relativ neuen, Angestellten, darüber tuschelten, ob das öfters vorkam.
»Jep. Kommt schon mal öfters vor, dass Mr. Kastner alles früher zusperren lässt. Aber auch nur, wenn keine größeren Aufträge anstehen«, sagte Tom. Mehr vernahm ich nicht mehr und stieg in mein Auto.
Mit einem Schwarm Schmetterlingen im Bauch bog ich in meine Einfahrt und stellte den Jaguar neben den BMW, der wie ich sah, gewaschen war. Ich ging in die Villa und rief Sascha. Aus dem Schlafzimmer hörte ich seine Antwort, die irgendwie genervt klang und ich trat ein. Der erste Gedanken, der mir durch den Kopf ging, war, ›Eine Bombe hat eingeschlagen‹ und ich sah Sascha, der mich leicht entschuldigend ansah, inmitten des Chaos.
»Tschuldige, ich habe meine externe Festplatte gesucht. Ich mach das gleich wieder weg.«
»Wofür brauchst du die jetzt?«
»Ähm, da habe ich einige E-Books drauf, und da, na ja, mein PC noch in der alten Wohnung steht …«, meinte er und ich nickte ihm zu.
»Wofür brauchst du jetzt deine Festplatte?«, bohrte ich nach und fing an, einige Sachen wieder in die Kartons zu verstauen.
»Da ich heute Abend alleine bin, brauche ich Lesestoff«, sagte er und ich sah, wie seine Augen wieder recht wütend funkelten.
»Aha … lass es, die kannst du morgen auch noch suchen. Hör zu, könntest du bitte unter die Dusche gehen und etwas Elegantes anziehen?«, fragte ich nebenbei und er blickte mich leicht sprachlos an.
»Warum?«
»Weil ich mit dir noch den restlichen Tag verbringen will, bevor ich zu meinem wichtigen Kunden muss. Ich habe nämlich mächtigen Hunger und meine Küche sieht wie ein Schlachtfeld aus.«
»Wie soll die wie ein Schlachtfeld aussehen, du hast doch eh nichts zu essen daheim«, fing er zu Stänkern an.
»Eben drum, ich will mit dir essen gehen. Und es ist kein McD. Also schmeiß dich in Schale, damit ich es dir dann später vom Körper reißen kann.«
»Tzz … du bist einfach unverbesserlich«, meinte er und blickte mich wieder mit diesen unsagbar tiefgründigen ›ich will dich‹ Blick an, wo sich sämtliche Empfindungen nach unten verzogen und um eine einzige Region kämpften. Ich zischte die Luft aus und musste mich von ihm wegdrehen, weil ich ihn sonst sofort angesprungen hätte. Gott, was hatte der Junge nur an sich, dass ich ihm nicht widerstehen konnte. Wenn das so weiterging, dann schlug ich meinen eigenen Rekord. Ich war wirklich verrückt nach ihm und sah mich nach weiteren Sachen um, die auf dem Boden lagen, damit ich sie in die Kartons einräumen konnte. Mensch, wie hatte das alles in sein kleines Zimmer gepasst. Ich war leicht überfordert und schon kam mir ein doofer Gedanken. Vielleicht hatte er alles unterm Bett verstaut gehabt? Wie ein Kind, das seine Sachen unters Bett schob und meinte: »Bin fertig mit dem Aufräumen!« Raouls Patenkinder waren solche Agenten und Raoul hatte dann fast immer einen Herzinfarkt bekommen, wenn er seine Momkontrolle machte, so wie er es immer nannte, wenn sie bei ihm übernachteten. Nach einiger Zeit hatte er es sich abgewöhnt, unters Bett zu schauen. Na ja, manchmal hätte er öfters darunter schauen sollen. Ich grinste in mich hinein.
»Was hast du?«, holte Sascha mich aus den Gedanken und schon wieder blieb mir die Luft weg. Er war nur mit einem Handtuch bekleidet. Stand lässig vor mir und trocknete seine Haare. Gott, war der geil und ich spürte, wie meine Lippen anfingen zu brennen. Um mich von seinem wahnsinnigen Anblick abzulenken, blickte ich auf meine Uhr und meinte, er solle sich etwas beeilen. »Immer der Geschäftsmann!«, nörgelte er und ging zu einem Koffer, den er ebenfalls noch nicht ausgepackt hatte. Hatte ich da einen gewissen Unterton gehört? ›Sascha halte dich jetzt bitte im Zaun. Mir ist auch so schon zur Genüge heiß‹. Ich versuchte mich weiter von ihm abzulenken, und als er dann kurzzeitig nackt vor mir stand, musste ich das Zimmer verlassen. Der Typ machte mich wahnsinnig. Und wahrscheinlich wusste er nicht einmal, was er mir mit seiner jugendlichen Unschuld antat.
Ich stand in der Küche und hatte das Fenster weit geöffnet. Parker mit seinem Qualm war langsam echt nicht mehr auszuhalten. Ich fragte mich, wie oft ich es ihm schon gesagt hatte, dass in meinem Haus nicht geraucht wurde. ›Er ist und bleibt eben ein unverbesserlicher alter Knacker.‹ Halt, was hatte ich da gedacht? Unverbesserlich! Ich kicherte leicht, und als ich jemanden hinter mir hörte, drehte ich mich um.
»Na, fertig!«, fragte ich und er zuckte mit den Schultern. Kurz musterte ich ihn und verzog meine Lippen.
»Was?«, fragte er etwas zu zornig und ich blickte ihn leicht belustigt an.
»Das nennst du elegant?«, er verdrehte seine Augen.
»Tja, ich bin eben keine Geldsau, so wie du, und das ist das Beste, was ich eben habe«, grummelte er und ich zuckte mit den Schultern.
»Na gut, dann verschieben wir eben das Essen. Wir werden zuerst einkaufen gehen.«
»Hä, einkaufen?!«
»Jap, einkaufen!«, sagte ich und schnappte mir seine Hand.
»Schaffst du es dann noch zu deinem Termin?«
»Aber sicher doch.«
Sascha blickte sich in dem Laden um und zog eine Hose von Ständer. Als er auf den Preis schaute, schluckte er kräftig und tat sie wieder zurück.
»Gefällt dir die Hose?«, fragte ich ihn, er nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf.
»Etwas zu teuer!«, meinte er und ich blickte kurz auf den Preis.
»Das nennst du teuer? Das ist noch ein Schnäppchen?«, stänkerte ich mit einem Augenzwinkern und er verdrehte seine Augen. Ich konnte mir schon denken, was er dachte. ›Du bist einfach unverbesserlich‹ und ich nahm die Hose vom Ständer. Hielt sie kurz an ihn ran und meinte, dass er sie anprobieren sollte.
»Das kannst du gleich vergessen. Die kostet über 250 $!«, schnappte er.
»Und?«
»Was und?«
»Zu deiner Information. Wir gehen in das Grand One Beach Hotel zum Essen!« Er wurde weiß.
»Weißt du, was es dort kostet? Dort kannst du für ein Essen gleich ein Auto stehen lassen.«
»Guter Vergleich und ja, aber das ist für die Übernachtung. Das Essen ist schon etwas günstiger.«
»Du bist wahnsinnig verrückt!« Oh, mal nicht unverbesserlich und ich beuge mich zu ihm.
»Nach dir!« Ich spürte sofort, wie seine Haltung sich veränderte, und hauchte ihm einen Kuss auf seine Stelle. Er hatte die Augen geschlossen und schluckte hart. »Sei nicht so zimperlich, mein kleiner Orkan.«
»Das ist aber zu teuer!«
»Nicht für mich.«
»Ich kann das nicht annehmen!«, und er hing die Hose wieder auf den Ständer zurück. Ich zuckte die Schulter. Fest blickte ich ihm in die Augen.
»Wenn du selbst bezahlen willst, ist es kein Problem.«
»Aber ich habe nicht so viel Geld!« Ich gluckste.
»Wer sagt denn, dass du es mit Geld zahlen sollst«, geschockt blickte er mich an und ich musste mir wirklich das Lachen verkneifen.
»Du bist einfach unverbesserlich.«
»Nein, nur ein Geschäftsmann, der auf seine Provision aus ist!«, und ich nahm die Hose wieder vom Ständer.
Irgendwann hatte ich es geschafft ihn so weit zu bringen, dass er sich ein Hemd, eine Hose und dazu passende Schuhe kaufen ließ. Natürlich mithilfe der Inhaberin, die ihn mit ihrer Meinung besser überreden konnte. Ich musterte ihn und er sah einfach umwerfend aus. Selbst seine etwas zu langen Haare passten zu ihm und ich entschied mich, ihn nicht auch noch zu einem Friseur zu bringen. Da hätte er bestimmt einen zu großen Aufstand gemacht, wenn ich ihn noch zu den vier Sterne Friseuren geschleppt hätte. Nun gut, soweit so gut. Sascha saß leicht verkrampft neben mir.
»Sag mal, wie benimmt man sich in so einem Nobelhotel?«, fragte er und ich musste kräftig schlucken, nicht dass ich laut loslachte.
»Tja, ganz normal.«
»Wie normal? Da gibt’s doch Benimmregeln, wie man isst und so!« Ich konnte nicht anders und mein Mund verzog sich zu einem Schmunzeln.
»Hör auf mich auszulachen!«
»Ich lach dich nicht aus, mach mir einfach alles nach.« Er schaute aus dem Fenster. Gut, noch hatte er nicht gemerkt, wohin wir fuhren und ich bog zu einer Restaurantkette mit einem roten und gelben M. Plötzlich blickte er mich an, und als ich zum Drive-in Schalter fuhr, starrte er mich nur noch fragend an.
»Willst du auch was?«, fragte ich beiläufig.
»Aber ich dachte …!«
»Tut mir leid, aber ich habe so einen Hunger und bis wir zu dem Hotel kommen, durch die ganzen Umleitungen …« Er blickte skeptisch drein und irgendwie war er erleichtert. Er gab mir seine Bestellung und ich gab sie an die Frau am Schalter weiter. Nachdem ich das Essen in Empfang genommen hatte, stellte ich das Auto auf einem der Parkplätze ab und packte meinen Burger aus.
»Lass es dir schmecken!«, meinte ich nur und biss rein. Sascha tat es ebenfalls und war total darauf bedacht, sich nicht zu beklecksen. Irgendwann, nachdem wir aufgegessen hatten, fragte er mich: »Wann musst du zu deinem Meeting!« Obwohl ich die Uhr stetig im Blickfeld hatte, blickte ich auf meine Armbanduhr und tat überrascht.
»Herr Gott noch mal, ich komme zu spät. Das Meeting hat vor zehn Minuten angefangen. Aber nicht so schlimm …«, sagte ich und stieg aus. Er blieb fragend sitzen und ich beugte mich ins Auto. »Komm, dann gehst du einfach mit. Oder willst du hier im Auto auf mich warten. Kann aber lange dauern. Der Kunde ist wirklich eine harte Nuss«, kurz überlegte er und ich hoffte, er wählte nicht die dritte Option, die ich nicht erwähnt hatte. Taxi. Er stieg aus und ich sperrte das Auto ab.
»Aber ist das Okay, das ich mitgehe?«
»Hmm, wo sollte das Problem sein. Dann bist du eben ein Lehrling.«
»Geht das schon wieder los?«
»Was geht los?«
»Du willst immer noch, dass ich bei dir eine Lehre anfange?«
»Warum nicht?«
»Hey, wir haben SEX. Deshalb geht es nicht.«
»So Sex! - ich sehe darin kein Problem.«
»Nein nur die Bevorzugung.« Ich blickte ihn an und er verzog wieder seine Augen.
»Hör mal, mir ist es egal, ob es meine Angestellten wissen oder nicht. Außerdem würden wir uns eh nicht so oft in der Firma sehen. Du hättest einen anderen Chef.«
»Ach ja und du bist dann was? Der Chef über den Chefs?«
»Der Geschäftsführer, und ich habe meistens mit Angestellten nichts zu tun. Ich arbeite fast ausschließlich mit meinen drei Vorstandsmitgliedern zusammen. Und einer davon wird dann eben dein Chef sein. Oder ich unterstelle dich Parker.« Er hustete gekünstelt.
»Bloß nicht …«, wir lachten auf und betraten den Eingang zum Alten Theater. Kurzzeitig war Sascha abgelenkt und ich übergab die Karten der Dame an der Kasse. Sie griff zu einem Telefon und sprach kurz.
»Na ja, wo soll ich auf dich warten …?«, fragte er mich und ich hatte das Gefühl, das unsere heutige Konversation nur aus Fragen und Antworten bestand.
»Bitte warten Sie hier. Sie werden gleich abgeholt«, sagte die Frau, die an der Kasse saß und ich bedankte mich freundlich bei ihr. Mir blieb der schmachtende Blick, den sie mir zuwarf, nicht verborgen. Ja, ich wusste, dass ich sehr anziehend auf beide Geschlechter wirkte, und versuchte, sie nur so weit zu ignorieren, dass sie sich nicht beleidigt fühlte. Es dauerte nicht lange und wir wurden von einem Schrank von einem Mann abgeholt. Er führte uns zu Sue Kansas, die mich sehr herzlich begrüßte.
»Hallo Sue, du siehst wie immer umwerfend aus!«, schmeichelte ich ihr und automatisch blickte ich verstohlen zur Seite, wo Sascha stand. Ich sah, dass es ihm überhaupt nicht passte, dass mich eine Frau herzlich begrüßte. Mir wurde es warm ums Herz. Er war so süß eifersüchtig.
»Hör auf! Wer ist deine wunderbare Begleitung?« Sascha wurde leicht rot, wie immer, wenn er unverhoffte Komplimente bekam.
»Sue darf ich dir meinen Lebensgefährten Sascha Fleischhauer vorstellen!« Ich schob ihn weiter zu ihr und sah, wie er sie, mit mehr oder weniger offenem Mund, anstarrte.
»Ah, hallo Sascha. Es ist mir eine große Freude. Kyel spricht fast nur von dir. Timothy ist schon hoffnungslos überfordert …«
»Sue Kansas?«, krächzte er und sie nickte. Ihre Augen strahlten wie eh und je. Ohne bescheiden zu sein, zog sie Sascha einfach mit sich. Und ich beobachtete, wie sein Gesichtsausdruck von Fassungslosigkeit, zu sprachlos, zu überrascht und zuletzt zur totalen Freude wechselte. Er blickte zu mir, und bevor ich mich versah, rannte er auf mich zu, umarmte mich, zog mich zu sich runter und schob mir stürmisch seine Zunge in den Mund. Er bekam nicht genug und ich drückte ihn fest an mich. Als er von mir ließ, was für mich wieder einen totalen Verlust bedeutete, blickte er mir in die Augen. Ich versank richtig in seinen wunderschönen braungrünen Augen und sah, dass sie einen Hauch an Nässe aufwiesen. Doch gleich darauf wieder verschmitzt und frech wirkten.
»Danke!«, hauchte er. »Du hast mich die ganze Zeit belogen!« Ich grinste.
»Nein, nur die Wahrheit etwas zurückgehalten. Es ist zwar noch zu früh, aber ich wünsche dir alles Gute zum Geburtstag.«
»Tzz, du bist einfach unverbesserlich!«
»Nein, nur einfach total in dich verliebt«, tief blicken wir uns in die Augen. »Ich liebe dich. Du hast keine Ahnung wie …«, murmelte ich. Wieder fanden unsere Lippen zueinander und wir konnten uns kaum voneinander lösen.
Ich konnte es einfach nicht fassen. Diese neureiche Tunte stahl mir einfach meinen Sascha. Ich musste ihn wiederhaben. Egal wie. Dieser Arsch von Kastner, wie konnte er so was tun? Warum nahm er meine Drohung nicht ernst. Ich dachte darüber nach, ihm einen Denkzettel verpassen.
Die ganzen Tage konnte ich mich nicht auf den Unterricht konzentrieren und meldete mich krank. Wie konnte ich mich auch darauf konzentrieren, wenn Sascha wieder, wegen diesem Arsch, im Krankenhaus lag und dann noch zwei Wochen vom Unterricht freigestellt wurde. Dann erfuhr ich aus heiterem Himmel, dass er, nein die ganze Familie zu Kastner gezogen war. Fuck, Fuck, Fuck … So hatte ich keine Kontrolle über ihn und ich musste mir schleunigst etwas einfallen lassen.
›Ich werde zu ihm gehen. Ihm persönlich seine Hausaufgaben bringen. Ja, das werde ich tun und dann werde ich eine Cam installieren, wenn niemand von mir Notiz nimmt. Oh ja …‹
Fuck … Fuck … immer, wenn ich auf die Monitore schaute, waren weniger Möbel in dem Zimmer und von Sascha absolut keine Spur. Mein Herz wurde schwer, als ich Polizisten in seinem Zimmer sah, die irgendetwas durchsuchten und am Ende seinen PC mitnahmen.
Scheiße, durchzog es mich, wenn die, die E-Mails lasen, doch dann beruhigte ich mich wieder. Diese Bullen könnten ruhig die E-Mails lesen, dann wussten sie, dass jemand auf Sascha aufpasste und was seine Neigung betraf, so ungewöhnlich war sie auch wieder nicht. Er war ein Vollblut Sub und er gehörte mir. Nur mir. Das sollten die Gesetzeshüter ruhig wissen.
Ich stand auf und wollte mir etwas aus der Küche holen, als mir ein leichter rötlich schimmernder Hauch in die Augen leuchtete. Vor dem, seit vier Jahren ungenutzten, Zimmer blieb ich stehen, ich wartete sehnlichst auf ihn. Immer wenn ich dieses Zimmer betrachtete, sah ich Sascha darin liegen und wie er sich lasziv in den Seidenlaken rekelte.
›Nicht mehr lange und du wirst wirklich dort liegen und mich um Erlösung bitten, die ich dir erst gewähre, wenn ich zufrieden mit dir bin.‹
Ich holte mir Beilagen für ein Sandwich heraus und schloss verdrossen die Kühlschranktür. Das ganze gute Essen, das in dem Kühlschrank war, gehörte allein Sascha. Nur er sollte das beste Essen bekommen und ich ging zurück zu meinen Monitoren.
Schock … was war das? Warum war der Bildschirm dunkel? Ich betätigte die Maus, in der Hoffnung, dass es nur der Stand bye Betrieb des Bildschirmes war. Nichts. Es kam kein Bild von Saschas Zimmer, sondern mein Desktophintergrund stach mir ins Auge und ein kleiner Hinweis, das der Videoeingang unterbrochen wurde. Schnell suchte ich die Datei, die mir alles aufzeichnete, und spulte die paar Minuten, die ich in der Küche war, zurück. Scheiße! Bullen waren wieder in Saschas Zimmer und mir wurde schlecht.
»Ltd. Shmitz. Hier, ich habe was gefunden. Es sieht aus wie eine Minikamera … wow, das ist Hightech …«, und die Verbindung war weg. Ich fuhr mir mit den Händen durch die Haare und raufte sie. Scheiße fluchte ich wieder und mir wurde siedend heiß. Die Bullen waren nicht wegen Saschas Vater wieder in der Wohnung, die hatten direkt Saschas Zimmer durchwühlt.
»Aber warum? Kann es sein? Nein … Sascha würde mich nicht hintergehen. Und wenn doch? Scheiße! Ich muss etwas unternehmen, und zwar sofort.«
Schnell öffnete ich meinen Medizinschrank und holte das Fläschchen mit der Aufschrift Date-Rape-Droge. Dieses kleine Fläschchen hatte mich ein halbes Vermögen gekostet. Schnappte mein Handy, stelle es auf Mr. Weißer Ritter Kyel Kastner ein und suchte die Nummer von Sascha.
»Hi …Ich will dich heute Abend im High Skills sehen!«, mehr schrieb ich nicht und drückte auf Senden.
Nervosität stieg in mir hoch und ich rieb mir immer wieder den Schweiß meiner Hände an der Jeans ab. Immer wieder blickte ich auf die Uhr und wartete ungeduldig, bis sich der Zeiger zu der Stunde bewegte.
Zu früh, alles zu früh, aber wenn ich es genau nahm, dann konnte der Zeitpunkt nicht besser sein. Meinen geliebten Sklaven zu mir zu holen.
Seine Lehrzeit war nun endgültig vorbei.
Der Freitagabend war einfach zu schön, um wahr zu sein. Ich war überglücklich und brauchte mich nicht zurückhalten, von wegen Homosexualität. Viele männliche Paare tanzten eng umschlungen und genauso viele weibliche. Ich fühlte mich wohl. Besonders, wenn ich in seine Augen, die ein tieferes Blau als der weite Ozean hatten, hineinblickte. Immer wieder versank ich buchstäblich in ihnen und unsere Küsse waren mal stürmisch und dann wieder leidenschaftlich sanft.
Nach dem Konzert waren wir dann doch noch in das Grand One Beach Hotel eingekehrt und ich versuchte die ganze Zeit, auf Kyel böse zu sein. Leider konnte ich es nicht, denn es war urkomisch, wie er sich ganz gentlemanlike verhielt. Ich hatte das dumpfe Gefühl, das er es absichtlich übertrieb. Ganz besonders, als ich sah, wie er seine Jakobsmuscheln aß, musste ich an mich halten, um nicht loszuprusten. Ich selbst hatte irgendetwas mit Entenfilet und musste mir eingestehen, es war köstlich.
Der dritte Gang war vorüber, als der Kellner an unseren Tisch kam und mir irgendeine Weinsorte unter die Nase hielt und auf Französisch, was sagte. Fragend blickte ich zu Kyel, der mich nur anschmunzelte. Gott, Französisch ich hasste Französisch genauso wie Spanisch und dennoch hatte ich ihn verstanden.
»Darf ich Ihnen den Champagne Cristal Brut anbieten. Der Champagner ist ein Hochgenuss für Ihren Gaumen.« Ich blickte zu Kyel, der plötzlich mit der Übersetzung angefangen hatte.
»Ähm …«, ging ich dazwischen und wandte mich dem Kellner zu. »Sicher dürfen Sie mir etwas von dem köstlichen Champagner anbieten …« Kyel gingen die Augen über und er schmunzelte mich an. Ich zuckte kurz mit den Schultern. Der Kellner schien erfreut zu sein, dass ich den überdimensional überteuerten Champagner angenommen hatte, und schenkte mir einen kleinen Schluck in ein frisches Glas. Ich probierte ihn und nickte dem Kellner zu. Er stellte die Flasche auf den Tisch und verließ uns wieder.
»Ich wusste gar nicht, dass du Französisch kannst?«, lächelte Kyel mich an.
»Das solltest du doch wissen.« Er verschluckte sich an dem Champagner und blickte mich herausfordernd an. Dann räusperte er sich.
»Ich meine …«
»Ich weiß, was du gemeint hast. Schon seit ich klein war, haben mich Sprachen fasziniert. Wobei Französisch nicht dazugehört, ich habe da halt so ein Faible.«
»Hmm verstehe. Du bist ein Sprachgenie. Da stellt sich mir die Frage, wie lange wirst du brauchen, wenn nur … ich sage mal, italienisch gesprochen wird, bis du es verstehst und auch sprechen kannst?«
»Drei bis vier Monate. Es ist einfach alles ganz leicht. Die meisten Sprachen sind vom Lateinischen abgeleitet. Und wenn du lateinisch kannst, kannst du eigentlich fast alles sprechen oder wenigstens verstehen.«
»Kannst du lateinisch?«, fragte er und ich nickte.
»Hmm, ich kann Türkisch, etwas Spanisch, aber das ist nicht so mein Ding genauso wie Französisch oder Italienisch. Griechisch, Deutsch, Englisch und etwas Russisch«, sagte ich.
»Also kannst du ungefähr acht Sprachen. Mit Latein, neun?«, kurz überlegte ich und zuckte wieder mit den Schultern. »Ich bin etwas sprachlos. Ich kann mit Müh und Not Französisch«, kam es von Kyel.
»Wohl kaum!«, erwiderte ich darauf und schon blitzten mich zwei meeresblaue Augen an.
»Du gehst auf ganz dünnem und glattem Eis, mein kleiner Orkan!«, murmelte er und trank vom Champagner, wobei er mich nicht aus den Augen ließ. In meiner Magengegend kribbelte es und zog sich stetig weiter zu meinen Lenden hinab.
»Was kostet überhaupt dieser Champagner?« Ich musste mich ablenken. Sein intensiver Blick raubte mir sämtliche Sinne. Und noch dazu der Alkohol, der brachte mich in ungeahnte Höhen.
»Im Einkauf ungefähr 180 €. Hier kostet die Flasche 289 $!«, meinte er etwas kühl und ich verschluckte mich daran. Süffisant grinste er mich an und ich hatte so das unbestimmte Gefühl, dass dieser Abend noch sehr lange werden würde.
Ich hatte recht!
Mom klopfte an die Tür und meinte, dass, das Mittagessen fertig sei. Automatisch fasste ich hinter mich, aber das Bett war leer. Kyel war wohl schon auf und ich blinzelte mir den restlichen Schlaf aus den Augen.
»Sascha kommst du jetzt langsam. Das Essen wird kalt«, hörte ich sie und richtete mich auf.
»Ja Mom, sofort«, gab ich zurück und die Tür öffnete sich. Sie trat ein und wandte ihren Blick von mir ab. Kurz blickte ich an mir herab und sah, dass die Bettdecke über meine Männlichkeit gerutscht war. Sofort richtete ich die Decke und tat so, als ob ich es nicht bemerkt hätte.
»Willst du mit uns am Tisch essen? Oder willst du noch liegen bleiben?«, fragte sie und ich musste meine Gedanken erst einmal sortieren.
»Hmm, warum weckst du mich dann, wenn du mich das jetzt fragst?«
»Tschuldige, ich habe nicht nachgedacht.«
»Schon gut, ich bin gleich da. Wo ist Kyel?«
»Er musste mal schnell in die Firma und lässt sich entschuldigen. Es wird spät werden, weil er noch ein Treffen mit einem Sven Hofstamm hat.«
»Hofstamm? Oder meinst du Hofland?«, sie blickte endlich zu mir und atmete etwas erleichtert auf. Dann nickte sie.
»Ja, Hofland. Kyel hat einen fürchterlichen Akzent …« Mir wurde schlecht und schwindlig zugleich. Nein, das konnte nicht sein. Das durfte einfach nicht sein. Kyel und Sven. Ich ließ mich auf die Kissen zurückfallen und blickte auf meine leere Seite. Ein Stich durchzog mein Herz und es wurde bleischwer.
»Sascha?«
»Ja, ich komme gleich. Ihr könnt schon derweil ohne mich anfangen!«, sagte ich, obwohl mir der Appetit vergangen war. Ich hörte, wie die Tür sich schloss, und drehte mich auf die Seite. Immer wieder huschten mir diese Augen von dem Kerl durch das Gedächtnis. Diese Spannung, die in dem Warteraum geherrscht hatte. Das hämische und süffisante Grinsen, während er mich buchstäblich mit seinem Blick ausgezogen hatte. Und vor allem das Wissen, das Kyel mit ihm schon einmal Sex hatte. Andere Gedanken drängten sich auf. Dunkle. Genügte ich ihm nicht mehr? Brauchte er es ›unten‹ zu liegen, so wie ich immer. Liebte er mich überhaupt? Es wäre gut möglich, dass er mich als ein Klotz am Bein empfand. Weil wir sozusagen von heute auf morgen bei ihm eingezogen waren. Oder brauchte er jemanden, der etwas mehr Erfahrung aufweisen konnte, als ich. Diese und viele andere Gedanken gingen mir durch den Kopf und ich kam einfach nicht mehr zur Ruhe.
Irgendwann hievte ich mich aus dem Bett und schlurfte ins Bad. Verrichtete meine Notdurft und zog mich an. Ein kurzer Blick in den Spiegel genügte. Es hatte keinen Sinn mich herzurichten und ich ging in die Küche. Mom musterte mich, sagte aber nichts. Ihr mütterlicher Instinkt hielt sie davon ab und sie stellte mir ungefragt einen Teller mit Essen hin. Ich stocherte darin rum. Nahm ein, zwei Bissen und schob den Teller von mir weg. Sarah, die wie üblich mit ihren Freundinnen simste, blickte kurz auf und auch bei ihr bemerkte ich, unausgesprochene Worte. Ich schnaubte und stand schließlich auf. Langsam ging ich Richtung Terrasse und trat hinaus. Frische Herbstluft umfing mich und ich zog die Arme um meine Brust. Ich blickte in die Stadt und hatte auch gleich das Gebäude von Kastner Import Export im Blick. Wieder schnaubte ich und holte mein Handy aus der Hosentasche. Ich schaute drauf und fand keine Nachricht vor. Kurz schloss ich meine Augen und ging wieder zurück. Mein Weg führte mich ins Schlafzimmer, unser Schlafzimmer und ich blickte mich um. Überall standen noch unausgepackte Kartons, doch ich konnte mich nicht durchringen, sie auszupacken.
Ich ließ mich auf den Boden fallen und zog doch endlich einen Karton an mich heran. Ich öffnete ihn und fand dennoch keinen Elan mein Zeug auszupacken. Ich beugte mich über den Karton, legte meinen Kopf in die Arme und spürte, wie vereinzelte Tränen meine Wangen hinabflossen. Nach einer gehauchten Ewigkeit blickte ich wieder auf mein Handy und wieder hatte ich keine Nachricht. Tief holte ich Luft und rang mit dem Gedanken ihn anzurufen. ›Was ist, wenn er mitten in einem wichtigen Meeting ist? Was ist, wenn er mich einfach wegdrückt? Was ist, wenn er und er …?‹ Nein, so was durfte ich nicht denken. Kyel hatte mir noch nie einen Grund dazugegeben, so was zu denken. Ich schimpfte mich einen Narren und fing letztendlich doch an, den Karton, der vor mir stand, auszupacken.
Die Stunden vergingen und draußen wurde es allmählich dunkel. Ich war wieder tief in meinen Gedanken versunken, als das Handy mich urplötzlich in die Realität zurückholte. Kyel. Kyel rief mich an und ich ging ran.
»Hey, Schlafmütze. Auch endlich wach!«
»Schon lange. Hab fast alle Kartons ausgepackt, nun hast du etwas Platzmangel im Schlafzimmer«, er lachte.
»Dein bisschen Zeugs wirst du doch in dem ›kleinen‹ Schlafzimmer unterbringen können. Immerhin war deines nicht einmal ein Viertel von Meinen.«
»Hmm … - Wann kommst du heim?«
»Ja, deswegen rufe ich an. Ich werde heute im Hotel übernachten. Das Meeting wurde verschoben.«
»Im Hotel? Kannst du nicht heimfahren?«
»Sascha, ich bin in München. Ich wollte heimkommen, aber es wurde eine Unwetterwarnung ausgesprochen. Es wird in den nächsten sieben Stunden kein Flugzeug abheben.«
»Du bist in Deutschland?«
»Ja!« Funkstille.
»Kyel Kastner, das Taxi ist da …« Schock diese Stimme, dieser Akzent und schon blickten mich intensive braune Augen an. Die mich, wie schon beim ersten Mal, auszogen.
»Ich muss weitermachen. Wir sehen uns morgen …!«
»Ja … ist … gut … - Wann … wann …?«, stotterte ich.
»Was?«
»Ähm nichts. Bis morgen …!«, und ich legte auf. Mir war es kotzübel und schwindlig zugleich. Tränen flossen unaufhörlich meine Wangen hinab und sammelten sich am Kinn. Mit der Handfläche wischte ich sie ab und suchte mir ein Taschentuch. Ich raffte mich auf und legte mich vollständig bekleidet ins Bett. Mir war so kalt. Mir fehlte seine Wärme, seine Hände, sein ganzer Körper. Er fehlte mir und ich wusste nicht, wann ich einschlief.
Es war Sonntag und ich blickte durch das Fenster. Ich sah keinen Sinn darin, aufzustehen. Zumal es mein Geburtstag war. Immer wieder blickte ich auf die leere Seite in der Hoffnung, dass ich noch schlafen würde und deswegen das Bett neben mir kalt und verlassen aussah. Aber ich war wach und an der leeren Seite hatte sich nichts geändert. Ich nahm das Handy vom Nachttisch und ich hatte immer noch keine Nachricht von ihm. Kurz blickte ich auf die Uhr und überlegte, in welcher Zeitzone er sich gerade befand. Egal, mir war es egal, ob ich ihn jetzt wecken würde, oder ob er sich inmitten des Meetings befand und ich rief ihn an. Es dauerte eine Weile und ein recht verschlafener Kyel hob ab.
»Morgen, mein Kleiner.«
»Morgen?« Ah ja, bei ihm müsste es so auf drei Uhr Nachmittag gehen.
»Tschuldige, dass ich dich anrufe! Hast du geschlafen?«
»Macht nichts. Und ja. Der Jetlag.«
»Ich vermisse dich!«
»Ich dich auch! Sascha ich rufe dich wieder an, wenn ich etwas wacher bin, sonst habe ich einen zu feuchten Traum, wenn ich noch länger mit dir telefoniere. Und das ist im Moment nicht besonders von Vorteil.«
»Warum!«, forderte ich ihn heraus.
»Ich bin hier nicht alleine …« Scheiße … doch nicht etwa ...?
»Wer ist denn noch da?«
»Hmm höre ich da etwa Eifersucht?«
»Lass das!«
»Tom ist mit im Zimmer … Also ich rufe dich an, wenn ich eine kalte Dusche hinter mir habe und fünf Liter Kaffee intus.«
»Ja, ist gut!«, sagte ich schließlich und legte auf. Wieder verspürte ich einen Stich ins Herz, der sich nagend in meinem Gehirn festsetzte.
Kyel rief nicht an und es ging schon auf Abend zu. Ich stierte die Wand an, bis Mom endgültig der Geduldsfaden riss.
»Schatz, Kyel ist im Ausland zu einem Meeting. Daran musst du dich gewöhnen. Er ist der Geschäftsführer.«
»Schon …!«
»Er kann dich nicht alle Minuten anrufen oder dir eine Nachricht schicken. Schau, er ist doch bald wieder zurück.«
»Mom, ich weiß das!«
»Schatz, du warst den ganzen Tag im Zimmer. Willst du denn nicht etwas mit uns feiern?«, fragte sie und erst nun sah ich, dass Sarah nicht da war.
»Wo ist Sarah?«
»Sie feiert ihre Party in der Lagerhalle …«
»Lagerhalle! Ach so …« Sarah hatte es nicht versäumt, ihre Party zu organisieren. Ich hatte in der ganzen Zeit keinen einzigen Gedanken daran verschwendet. Meine Mutter zog mich ins Wohnzimmer und ein Jubelgeschrei erschlug mich fast. »Happy Birthday …!« Ich blickte in die Runde und sah wie Raoul, Parker, Jaydon, Emily, die ihren Sohn auf dem Arm hielt, und Anthony mich ansahen. Wie konnte das alles passieren? Ich feierte meinen neunzehnten Geburtstag inmitten von mir eigentlich noch fremden Menschen und dennoch umschlich mich ein Gefühl der Geborgenheit.
Zur späteren Stunde, ich hatte mein Handy angeschaltet, bekam ich eine Nachricht von Kyel. Ich öffnete sie.
»Hi … Ich will dich heute Abend im High Skills sehen!« Kurz und bündig. Dennoch schlug mein Herz mir bis zum Hals und meine Knie wurden weich. Ich verabschiedete mich von meinen Gästen und machte mich schnell fertig. Mit dem Moped fuhr ich ins High Skills und blickte mich um. Neonlicht empfing mich und dröhnendes Gehämmer der Musik.
Hier war es … im High Skills, als ich Kyel das erste Mal gesehen hatte, und war vom ersten Augenblick von ihm fasziniert. Diese Faszination hielt noch immer an und wuchs stetig in meinem Innern. Verdammt, ich hatte mich wirklich in diesen Typen verliebt.
Ich ging an den Tresen und bestellte mir eine Cola. Wieder war da mehr Eis als koffeinhaltiges Getränk drin und ich setzte mich hin. Kyel war noch nicht da und ich wartete. Inzwischen war meine Cola schon fast ausgetrunken, als die Natur rief. Ich kam zurück und Kyel war immer noch nicht hier. Na ja, was sollte es und ich blickte auf eine Wanduhr. Es war kurz vor Mitternacht und ich trank aus. Der einzige Mensch, den ich an meinem Geburtstag sehen wollte, war nicht da und ich bekam nicht mehr mit, dass mein Handy klingelte.
Etwas Rötliches mit einem Hauch von Violett umfing mich, und ich versuchte zu schlucken. Es ging nicht. Mein Mund war trockener als die Sahara und mein Rachen brannte höllisch. Das rötliche Licht stach in meine Augen und ich versuchte, meine Lider zu öffnen. Die waren zu schwer, und hämmernde Kopfschmerzen begrüßten den Morgen.
Gott, ich fühlte mich, als ob ich die ganze Nacht durchgesoffen hätte und doch erinnerte ich mich an nichts mehr. Mein Körper war bleischwer und schon allein die kleine Bewegung meinen Kopf zu heben verursachte Schwindelgefühle und ich schloss meine Lider fester.
»Guten Morgen, Sascha!«, diese Stimme. Ich kannte sie und doch. »Hast du gut geschlafen?«, wieder. Woher kannte ich sie? Ich musste meine ganze Kraft aufwenden, um meine Augen zu öffnen. Schemenhaft sah ich eine Gestalt über mich gebeugt und irgendetwas strich über meinen Oberkörper. Kyel huschte es durch meine Gedanken, aber diese Stimme passte nicht zu ihm und ich zwinkerte mir die Benommenheit endgültig weg. Langsam nahm die schemenhafte Gestalt festen Bestand an und ich konnte es nicht fassen. Graue ältere Augen blickten mich an und ich wich automatisch zurück. Geschockt schaute ich an mir hinab. Ich war nackt und wollte schon aus dem Bett springen, aber etwas am Handgelenk zog mich zurück. »Schsch, böser Junge!«, sagte die Gestalt und meine Benommenheit war vollständig weg. »Leg dich wieder hin. Bis die Wirkung der K.O. Tropfen aufhört. Es kann noch eine Weile dauern, Sascha.« Ich schüttelte den Kopf und starrte ihn fassungslos an. Meine Zellen arbeiteten langsam wieder und zu dem mir überaus bekannten Gesicht fiel mir auch endlich der Name ein.
»SIE …!!!!«
Ende …???
Texte: Conny J. Gross
Bildmaterialien: E.R. Thaler, Anna Lena
Cover: E.R. Thaler, Anna Lena
Lektorat: Angelita Panther
Tag der Veröffentlichung: 04.04.2018
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