Cover

Copyright

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten, sowie die gesamte Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten zu existierenden Personen sind rein zufällig. 

 

Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.

Alle Rechte vorbehalten.

 

Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin

 

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Danke

 

Ich möchte euch darauf hinweisen, dass diese Geschichte komplett aus meiner Fantasie entsprungen ist. Wer in dieser Fantasy Geschichte die Realität sucht, sollte jetzt bitte aufhören zu lesen und die Tageszeitung zur Hand nehmen oder die Abendnachrichten im Fernsehen anschauen, dort findet ihr die harte Realität. Allen anderen, die für ein paar Stunden daraus entkommen wollen, wünsche ich viel Spaß beim Lesen. Ich hoffe, ich kann euch für einen kurzen Moment in die Welt meiner Gedanken entführen.

Lieben Gruß eure Malaike

Prolog

»Poch, Poch, Poch, Poch, Poch, schlage du mein kleines Herz.
Schlage, wie es dir vorherbestimmt ist.
Schlage, wie es dir gefällt, oh mein liebes kleines Herz.
Schlage schnell, schlage wild, es sind die letzten Schläge deines Seins.
Schlage, solange du noch kannst.
Die letzten Sekunden brechen an.
Schlage, du kleines Herz, die letzten Schläge waren dein.
Verstumme, du armes Herz, deine Seele ist jetzt mein.«


Glühende, blutrote Augen starrten in den Himmel, das Weiß seiner Zähne, heller, als jedes Leuchten der Sterne. Blass im Gesicht und schlank von Statur, brannte in jeder Seele eines Einzelnen. Jeder kannte ihn, jeder empfing ihn, doch niemand nannte ihn jemals bei seinen Namen.

 Lächelnd summte er das Lied der Illusion und führte die Seelen seiner Opfer in das Reich des Todes.
Azrael genannt im Islam, Hermes und Charon wurde er bei den Griechen genannt, Genius im römischen Glauben. Walküren aus dem Germanischen, Erzengel Michael und Erzengel Raphael wurde er bei den Christen genannt. Shinigami aus dem japanischen Glauben, Sensenmann, Gevatter Tod oder Todesengel, waren seine eingebürgerten Bezeichnungen. Splatter wurde er genannt, wenn der Tod gewaltsam über einen kam. Und noch viele mehr. Dies waren all seine Namen.

Traum oder Wirklichkeit?

Der Tag fing genauso an, wie die letzten Tage, seit ich hier ankam und ich drückte auf den Wecker. Ein paar Minuten blieb ich noch liegen, bis ich mich schließlich aus dem Bett hievte. Gähnend schlurfte ich an das Fenster und blickte über Stadt. Wobei Stadt nicht genau das richtige Wort war, vielmehr war es ein riesiges Anwesen mit verschiedenen Schuleinrichtungen und Universitäten, hier fand man alles vor. Vom Vorschüler bis hin zum Abiturienten oder angehenden Professor. Diese ›Schulstadt‹ umfasste eine Einwohnerzahl von weit über fünftausend. Nur Schüler und Lehrer, die irgendwo ein Zimmer zugewiesen bekommen hatten. Zudem gab es Lokale für irgendwelche öffentlichen Veranstaltungen, kleine Supermärkte, in denen sogar Friseurgeschäfte untergebracht waren, sowie verschiedene Waschsalons, die eher wie ein öffentliches Bad mit integrierter Waschküche waren.

Verdrossen atmete ich ein und wandte meinen Blick von dem Bild der langsam aufgehenden Sonne ab.

»Hoffentlich sind die Ferien bald vorbei. Ich vergehe hier vor Langeweile!«, murmelte ich, ging in die kleine Küche und setzte Kaffee auf.

Solange der Kaffee aufbrühte, duschte ich mich und zog die Klamotten vom Vortag noch einmal an. Frische hatte ich nicht, denn der Waschsalon in meiner Nähe, hatte während der Ferienzeit nur am Mittwoch geöffnet und dort musste ich noch hin. Vor allem, weil es auch der einzige Ort war, wo sie die Schuluniformen ausgaben. Am Montag, wenn der reguläre Unterricht wieder anfing, müsste ich sonst notgedrungen die alten verschlissenen Klamotten, die ich hatte, tragen. Obwohl es mir eigentlich egal war. Ich war einfach froh, dass ich während des Schuljahres noch einen Platz bekommen hatte und hoffte, dass ich hier ein so etwas wie ›ein normales‹ Leben führen konnte. Auch wenn es öde und langweilig war.

Kaffee und Zigaretten waren der Hauptbestandteil meines geringen Frühstücks und anschließend schlenderte ich durch die pingelig gesäuberten Straßen. In beiden Händen trug ich die Plastiktüten voll mit Wäsche und betrat den Waschsalon.

Ein Windspiel erklang, als es von der Tür gestreift wurde, und klingelte nochmals, während dem schließen der Tür, als es vom Luftzug bewegt wurde. Die Frau hinter der Anmeldung blickte kurz desinteressiert auf und musterte mich. Ich nickte ihr zu und lächelte, wissend, dass mein Aussehen nicht in ihre Weltvorstellung passte. Aber das war mir egal. Sie richtete ihre Brille und widmete sich wieder ihren eigenen Dingen zu.

Kurz konnte ich einen Blick auf das Buch werfen, bevor es unter ihrem Ladentisch verschwand und grinste in mich hinein. Da es den Anschein hatte, dass ich der Einzige war, belegte ich sämtliche Waschmaschinen, um schnell wieder fertig zu werden. Ich konnte mir nichts Langweiligeres vorstellen, als den ganzen Tag hier zu verweilen.

Als meine gesamte Wäsche in den Trommeln vor sich hin wusch, ging ich zu der Frau an der Anmeldung. Ich hörte, wie sie kurz aufatmete und sah, dass ihre Wangen einen leicht rötlichen Glanz aufwiesen. Sie nahm mich nicht wahr und ich räusperte. Leicht genervt sah sie zu mir und ihr Blick verriet mir, ›jetzt nerv mich nicht‹. Dennoch verstaute sie das Buch, in dem sie gelesen hatte unter dem Tisch. ›Möchte zu gerne wissen, bei welchem Kapitel sie gerade war‹, dachte ich mir, obwohl es eigentlich egal war. Ich hatte das Buch sehr wohl erkannt, die Sexszenen darin wurden sehr explizit wiedergegeben und ich musste mir ein Grinsen verkneifen.

»Bitte entschuldigen Sie, ich möchte meine Uniform abholen«, sagte ich leise mit einem wissenden Lächeln und sah, wie sie schluckte.

»I ... Ihr Name?«, fragte sie stotternd und ich gab ihn ihr an. Ich tat gedankenverloren und spielte mit dem Bleistift.

»Bitte könnten Sie Ihren Namen wiederholen?«

»Natürlich! Gerne!«, flüsterte ich. »Light Dark«

»Bitte?«, fragte sie mich noch einmal und ich amüsierte mich an ihrem glasigen Blick. Solang ich mit dem Bleistift spielte, war sie in meinem Bann gefangen. Menschen waren so berechenbar und doch rief ich mich zur Ordnung. Die Zeiten, in denen ich die Menschen wie Marionetten behandelt hatte, waren vorbei. Dank einer gewissen Frau. Ich hatte mir geschworen, wenn ich diese Frau jemals wieder in die Finger bekam, würde sie diesen Tag garantiert nicht überleben.

»Galant Laurey!«, sagte ich nun mit etwas lauterer Stimme und sie schreckte aus ihren Träumereien auf.

»Mr. Laurey?«, wiederholte sie nickend und drehte sich zu einem Regal, das schräg neben der Anmeldung stand. Einige Stapel von Klamotten und Handtüchern durchstöberte sie bis sie sich mit einem ›Ah! Ja hier!‹ wieder zu mir umdrehte und mir die in Plastik eingepackte Schuluniform überreichte.

»Klements und Klar Privatschule«, sagte sie und schaute mich wieder an. Meine Klamotten schienen nicht zu einem reichen und gebildeten Sohn aus einer angesehenen Familie passen.

»Danke!«

Ich tat so, als ob ich dringend nach meiner Wäsche schauen musste.

»Hab noch einen schönen Traum!«, wünschte ich ihr. Doch was ich sagte, hatte sie nicht so richtig wahrgenommen und sie las in ihrem Buch weiter.

Nach endlosen langen drei Stunden kam ich endlich mit meiner frischen Wäsche aus dem Waschsalon raus und ging wieder in mein kleines Zimmer zurück. Obwohl mir langweilig war und ich mich nach etwas sehnte, dass ich unternehmen konnte, sah ich dennoch keinen Grund meine Wäsche, die immer noch in den Plastiktüten war, in die Schränke zu verstauen. Das Typische, ›Arbeit ist zwar da‹, aber keine Lust sie zu erledigen. Genauso verhielt es sich mit meinen Kaffeetassen, die sich langsam im und um das Spülbecken stapelten.

 

Ich lag auf dem Bett und starrte, wie die letzten Tage auch, seit ich in das Zimmer gezogen war, an die Decke.

»Die hat sich auch noch nicht verändert …!«, murrte ich und schloss meine Augen.

 

Am Freitagabend besuchte ich eines der Lokale. Kalter Rauch und Alkoholgeruch schlugen mir entgegen und ich blickte mich kurz um.

»Tote Hose!«, dachte ich und setzte mich an den Tresen. Ein pickelgesichtiger Junge fragte mich, was ich trinken möchte und verlangte im gleichen Atemzug meinen Studentenausweis.

»17!«, sagte er knapp und schaute hoch. Ich hatte das Gefühl, das er überall hinblickte, aber nicht zu mir.

»Sprite, Cola, Cola Light, Orangenlimonade, Ananassaft. Limettensaft …!«, ratterte er herunter und ich ließ ihn, mit dem Kopf auf eine Hand abgestützt, seine Arbeit machen. Mit anderen Worten, ich durfte mir nichts Alkoholisches bestellen. Ich wartete, bis er fertig war, und bestellte mir dann eine Cola.

Nach einer Weile rief ich den Pickelgesichtigen wieder zu mir und fragte ihn, ob es immer so ruhig war. Der schaute mich an, als ob er in Zeitlupe meine Frage noch einmal für sich wiederholte, und schüttelte dümmlich mit seinem Kopf. Meine Güte, diese Dämonen hatten einen sehr hohen IQ, doch wenn es um banale Dinge ging, waren sie hoffnungslose Fälle.

»Nee. Während der Schulzeit ist hier immer etwas los«, sagte er bedeutend langsamer als zuvor, als er die Getränkekarte für Minderjährige heruntergeleiert hatte, und ging wieder.

»Du bist auch nur eingestellt worden, weil du die Liste auswendig kennst«, dachte ich verdrossen und trank von meiner Cola.

»Öde!«

Ein klirrendes Geräusch kam mir in meinem Zustand des Nichtstuns sehr ungelegen und ich drehte mich dorthin. Ein Mann, dessen Alter ich nicht richtig einordnen konnte, weil man vor lauter Muskeln den Hals nicht von seinem Kopf unterscheiden konnte, packte den Pickelgesichtigen am Kragen.

»Du willst mich wohl verarschen. Ich habe dir 'nen Hunderter gegeben und du gibst mir auf 'nen Zwanziger raus!«, brüllte er den Jungen an. Doch ich wundere mich, dass der so ruhig blieb. Im Allgemeinen gerieten diese Dämonen sehr schnell aus der Fassung, doch dieser? Es musste wohl an dieser Stadt liegen, dass er sich zusammenriss.

»Nein! Es war ein Zwanziger und ich habe dir genau rausgegeben«, sagte er wieder sehr langsam, als ob er erst die Wörter aus dem Duden nachlesen musste. Ich fasste es nicht. Schüttelte meinen Kopf, trank meine Cola aus und schwang mich vom Barhocker. Meine Hände steckte ich mir in die Hosentasche und wollte schon das Lokal verlassen, als ein herrlicher Duft, der überhaupt nicht in das Gemisch von kaltem Rauch und Alkohol passte, mir in die Nase stieg. Bekannt … Sehr bekannt.

Ungewollte suchte ich nach diesem Duft und wurde bald fündig. Leicht bewegte ich meinen Kopf in diese Richtung und ein Junge rempelte mich lachend an. Ich ließ mich absichtlich auf meinem Hintern fallen und der Junge stolperte über mich. Knapp konnte er noch sein Gleichgewicht halten und kämpfte darum zu verhindern, dass er auf mich fiel.

»Ach her je! Entschuldige bitte!«

Er beugte sich zu mir runter und reichte mir seine Hand. Beim Aufstehen trafen sich unsere Blicke und ich spürte eine unerklärbare Wärme in mir aufsteigen.

»Tut mir jetzt wirklich leid, ich war mit meinen Gedanken ganz woanders. Mein Freund hat wieder nur Müll gelabert. Mein Name ist Lee Young …«

»Ja! Willst du mit mir schlafen?«, fragte ich, ohne zu wissen, was ich sagte und ich versank in seine Augen.

»Gerne!«

Plötzlich wurde mir schlagartig bewusst, was ich gefragt hatte. Schnell löste ich mich von seiner Hand und räusperte mich. Durch mein Räuspern schien Lee auch wieder in die Realität zurückzufinden und lächelte mich an.

»Ja! Ehm! Mein Name ist Galant Laurey«, stellte ich mich nun ebenfalls vor.

»Das ist ja ein schöner Name. Ist er englisch?«, fragte er und ich wusste, dass er meine peinliche Frage vollkommen vergessen hatte. Oder zumindest hoffte ich es.

»Gott sei Dank!«, dachte ich und zuckte nur mit meinen Schultern. »Das weiß ich nicht, hab mich noch nie mit der Abstammung befasst.«

Ich strich mir mit der Hand durch die Haare. Das war eine sinnlose Angewohnheit von mir, um etwas cooler und jünger zu wirken. Ohne weiteres Zutun lud er mich zu seinen Freunden mit ein und ich verbrachte den ersten kurzweiligen Abend seit meiner Ankunft in dieser Stadt.


Ich lag auf meinem Bett und las ein Buch, als es an meiner Zimmertür klopfte. Das Buch legte ich auf mein Kopfkissen und öffnete die Tür. Überrascht blickte ich in seine klaren blauen Augen und spürte, wie mir anders wurde. Warum war das so? In der Regel verfielen die Menschen mir und ich nicht ihnen.

»Hi!«, grüßte Lee und schob mich zur Seite. Verdattert blickte ich ihm hinterher, als er sich auf meinem Bett, das natürlich die einzige bequeme Sitzmöglichkeit im Zimmer war, niederließ und das Buch auf meinem Kopfkissen kurz betrachtete.

»H… Hi!«, kam es stotternd über meine Lippen, während ich die Tür schloss. Ich fragte mich, warum Lee so unbefangen mir gegenüber war. Er benahm sich, als ob wir uns schon eine Ewigkeit kannten. Obwohl es erst letzte Nacht war, in der wir zusammen gerammelt waren und doch ...

»Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen?«, fragte er und musterte meinen Aufzug. Mir war es in diesem Moment nicht bewusst, das ich nur mit einer Short bekleidet, vor ihm stand und ihn anstarrte. Etwas stimmte nicht ... etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Warum verfiel er mir nicht?

»N… Ne… Nein! Natürlich nicht!«, brachte ich nur raus, denn ich musste mich sehr zurückhalten, dass ich ihn nicht anfiel. Sein Duft!

»Interessantes Buch. Gefallen dir solche Geschichten? Mit Vampiren und so.«

»Geht so!«, meinte ich lapidar und zog mir ein Shirt über. »Sind einfach, zu lesen«, und schlüpfte in meine zerrissenen Jeans.

Nach kurzem Small Talk bot ich Lee etwas zum Trinken an und irgendwann kam er mit der Sprache raus, warum er mich aus heiterem Himmel besuchte.

»Heute ist ja der letzte Ferientag, und laut Schulordnung ist es für die Schüler verboten, während der Schultage das Gelände zu verlassen. Deshalb wollte ich dich fragen, ob du mich nach Hause begleitest?«

›Schock! Was?‹

Ich riss meine Augen weit auf, und hätte dabei beinahe den Wasserkocher fallen lassen.

»Warum fragst du mich das?«, schoss es aus mir heraus und ich sah, wie er zur Seite blickte. Ich bereute meine Worte. Doch warum bereute ich meine Worte? »Ne ja! Du hast doch bestimmt einen guten Freund, der …!«

»Nein! Das sind in dem Sinne keine guten Freunde, sondern Kameraden. Wir dürfen nur in den Häusern, in denen wir wohnen und zum Unterricht gehen Freundschaften schließen, das finde ich ziemlich blöd. Freundschaften kann man doch nicht erzwingen«, unterbrach er mich und ich verstand langsam die Bedeutung des Wortes Haus.

»Also du meinst, in deinem Haus, da gibt es keine guten Freundschaften.«

»Nein, ja, jedenfalls nicht für mich.«

Er stand auf, weil der Wasserkocher auf meiner einzigen Herdplatte zu pfeifen anfing. Kurz stöberte er meine Schränke durch, die allesamt noch leer waren, und fand schließlich ein einsames Päckchen Tee. Wieder fragte ich mich, warum er so unbefangen war und warum er sich hier so gut auskannte. Okay! Es war keine Kunst sich in einem kleinen Studentenzimmer zurechtzufinden. Sicher! Das war 'ne fahle Ausrede, aber seine Art …

Lee machte sich seinen Tee fertig und ich beobachtete jeden geschmeidigen Handgriff von ihm. Ich musste schlucken, doch die Spucke, die sich in meinem Mund angesammelt hatte, blieb zäh an meinem Rachen hängen und ich fing an zu husten. Sanft klopfte er mir auf den Rücken, und als sich der Husten wieder gelegt hatte, schaute er mir fest in die Augen.

»Galant du solltest mit dem Rauchen aufhören. Es ist doch bestimmt nervig, jedes Mal zu husten.«

War ich heilfroh, dass er es so annahm und nicht mein Dilemma sah. Dennoch fragte ich mich, woher er wusste, dass ich rauchte. Soviel ich wusste, hatte ich letzte Nacht im Lokal nur eine Zigarette geraucht und das war, bevor er mit seinen Freunden reinkam. Der eingezogene Rauch im Inventar des Lokals stillte mein Verlangen nach dem Glimmstängel. Verdattert lächelte ich ihn an.

Letztendlich hatte ich doch zugesagt und saß nun in einem Mittelklassewagen, dessen Fahrer Lee`s älterer Bruder war.

»Das ist nicht gut! Das ist nicht gut! Das ist überhaupt nicht gut!«, dachte ich, während der ganzen Fahrt und starrte aus dem Fenster. Die Bäume, die Häuser und die Landschaft huschten nur an mir vorbei, ohne dass ich irgendetwas davon registrierte.

Dieser Duft! Sein Duft, machte mich wahnsinnig. Sein Lächeln und seine Augen raubten mir die Sinne. Seine Stimme war wie die sanfte, einladende Melodie einer Sirene. Sie ließ eine wunderbare Wärme in meiner Lendengegend entstehen und ich biss mir in den Finger, denn nur so, konnte ich diesem Gefühl in meinem Innern widerstehen.

Es war eine lange Fahrt und ich hatte schon die Befürchtung, dass sie nie endete. Ich musste raus. Raus aus dem beengten Fahrzeug. Als der Wagen stand, riss ich die Tür auf und holte tief Luft. Zu viel! Mir wurde schwarz vor Augen und ich suchte halt an dem Auto. Lee war neben mir und fing mich auf.

»Hey! Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er mich, und als das Schwindelgefühl vorbei war, nickte ich nur.

»Du hättest es mir sagen sollen, dass dir beim Autofahren schlecht wird. Du bist ja eh schon blass, aber jetzt bist du nur noch fahl.« Er lächelte mich an. »Es ist gar nicht gut, wenn du meiner Mutter, so weiß, wie du bist, unter die Augen trittst. Sie wird dich glatt ins Bett schicken und dich mit ekelhafter Medizin vollpumpen, dass du nur noch am Speien bist.

»Sorry!«, ich grinste verlegen. »Aber jetzt geht`s schon wieder!«

Schnell löste ich mich aus seinen Armen. Sein großer Bruder, der sich als Bruce vorgestellt hatte, führte uns in das elterliche Haus. Sofort kam eine Frau mittleren Alters auf Lee zugestürmt und nahm ihn in ihre Arme. Dann gab sie ihm auf jeder Wange ein Küsschen und ließ von ihm ab. Sie wandte sich mir zu.

»Ah! Du musst Galant sein!« Sofort zog sie mich in ihre Arme, nur die Küsse ließ sie bleiben. »Du weißt gar nicht, wie ich mich freue, dass Lee endlich mal einen Freund mit nach Hause bringt.«

Ich schaute zu Lee, der nur mit den Schultern zuckte.

Kurz erschrak ich, als sie sich von mir abwandte. Auch bei ihr nahm ich den Duft wahr. Nur war er bei ihr nicht so ausgeprägt wie bei Lee. Noch während sie vor ins Wohnzimmer ging, schaute sie nach hinten.

»Ich hoffe, du hast genügend Hunger mitgebracht, denn als Lee mich vorhin angerufen hat, dass ein Freund mitkommt …!«

»Mutter!« Schnitt Lee ihr das Wort ab und schüttelte mit dem Kopf. »Du wirst doch wohl nicht ...«

»Doch mein Lieber!«, flötete sie und verschwand durch eine Tür.

»Tja! Du kennst doch unsere Mutter.« Bruce lachte los und schlug seinem jüngeren Bruder auf die Schulter.

 

Als wir am Tisch saßen, fragte ich mich, wie sie in einer so kurzen Zeit ein solches Menü zaubern konnte. Ich war sprachlos. Es gab eine Lauchcremesuppe als Vorspeise und dazu, das wunderte mich, goss sie jedem französischen Weißwein ein. Der Hauptgang bestand aus Gänsebrust und als Getränk schenkte sie jedem trockenen Rotwein ein. Das Herkunftsgebiet konnte ich nicht erkennen, denn sie verdeckte das Etikett mit ihrer Hand und zur Nachspeise Tiramisu, diesmal waren die Getränke freie Wahl. Ich entschied mich für trockenen Rotwein, der mein aufgewühltes Inneres etwas beruhigen sollte.

Nach dem Essen musterte mich Lee`s Mutter eindringlich und meinte, dass ich für meine Größe und Körperstatur viel zu wenig esse. Es stimmte. Ich hatte nicht alles aufgegessen, was sie mir auf den Teller geladen hatte, und tat es auf meinen nervösen Magen ab. Trotzdem bedankte ich mich für das gute Essen und Lee zog mich, bevor ich es richtig mitbekam, in sein Zimmer.

»Endlich sind wir alleine«, sagte er und drehte sich zu mir um. Plötzlich packte er meine Hand und drückte mich an die Wand.

»L… Lee! W…?«, weiter kam ich nicht, denn ich spürte seine warmen Lippen auf den meinen. Anfänglich wehrte ich mich und wollte ihn von mir wegschieben, doch in mir keimte wieder das unbeherrschbare Gefühl auf. Meine Hand, die auf seiner Brust lag, erschlaffte. Meine Gier nach ihm wuchs mit jeder Sekunde.

»Das ist nicht gut! Nicht gut …!«, dachte ich immer wieder, obwohl ich ihn wollte. Irgendwann trat er einen Schritt zurück und lächelte mich an.

›Scheiße! Dieses Lächeln …! Es ist wahnsinnig schön!‹

Ich bemerkte nicht, dass ich ihn geschockt anstarrte. Es war mir unmöglich, mich zu rühren. Unmöglich etwas zu sagen, und ich schluckte den herrlichen Geschmack, den ich nun auf meiner Zunge schmeckte, runter. Bekannt … Der Geschmack kam mir bekannt vor …

»Du bist so schön!«, flüsterte er und legte seinen Kopf etwas auf die Seite.

»W… Warum… hast du das getan?«

Ich war geschockt über das, was passiert war und er zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß nicht. Es kam einfach über mich. Schon vom ersten Augenblick, als ich dich das erste Mal sah, wollte ich dich. Du sahst so fertig aus, und die Frau, die dich in das Haus führte, sah auch nicht minder überrascht aus. Jedes Mal hattest du die gleichen Sachen an. Wenn du einkaufen gingst oder in den Waschsalon. Deine Haare, es war, als ob sie sich im Wind bewegten und auch wieder nicht. Die Sonne schien dich zu verschlucken. Unbewusst zogst du mich an. Ich spürte dich. Egal wo du warst, ich wusste immer, wo du dich aufhieltest.«

›Er beobachtete mich? Und ich habe nichts von all dem gespürt. Also war es keine Absicht, als er mich anrempelte‹, dachte ich und blickte ihn geschockt an. Nicht zu wissen, was er bereits alles von mir wusste, war ich dennoch erfreut, weil es jemanden gab, der sich für mich interessierte.

Wieder rührte sich etwas in mir, und als ich mir seinen Geschmack ins Gedächtnis zurückrief, fühlte es sich gut an.
Langsam kam er wieder einen Schritt auf mich zu und streichelte mir sanft über die Wange.

»Du bist so wahnsinnig schön. Deine tiefschwarzen Haare, die dein blasses Gesicht hervorheben«, flüsterte er wieder und strich mit seinem Finger an meinem Hals entlang, hoch zu meinen Lippen. Ich reagierte auf seine Berührung und mein Atem ging schneller. Meine Augen schloss ich und genoss jede Sekunde. »Deine dunklen Augenringe heben deine grünliche Augenfarbe hervor und den leichten rötlichen Touch deiner Lippen.«

Wieder spürte ich ihn und diesmal versank ich in seinen Armen. Sehr lange und innig küssten wir uns und den leidenschaftlichen Kampf unserer Zungen wollte ich nicht nachgeben. Alles in mir schrie Aufhören, doch gleichzeitig verlangte es mich nach ihm.

›Was mache ich hier? Warum lasse ich das zu? Das darf nicht sein … Ich muss ihn töten, bevor er mich ganz einnimmt‹, huschte es durch meinen Kopf. Doch es war zu spät. Alles in mir schrie nach ihm und ich spürte seine heißen Küsse auf meiner Brust, die immer weiter nach unten gingen. Ich konnte mich seiner nicht mehr erwehren. Fest presste er mich an die Wand, meine Finger gruben sich in seine Haare und ich versank in das Gefühl, das er mir gab.

 

In der Nacht schreckte ich hoch und schaute mich benommen um. Ich war in meinem Zimmer und hielt das Buch immer noch in der Hand.
»Nur ein Traum! Gott sei Dank!«

Erleichtert atmete ich ein, doch ich roch seinen lieblichen Duft an mir …

Wer ist Galant Laurey?

Einige Tage zuvor!


»Galant Laurey? Das ist doch das Wunderkind? Der hat doch seinen Professor mit sechzehn gemacht!«, meinte ein etwas dicklicher Mann und faltete seine Hände um seinen Bauch.

»Ja! So heißt es und genauso steht es auch in den Akten, doch was davor war, weiß kein Mensch. Es ist fast so, als ob er erst vor einem halben Jahr zu existieren angefangen hat«, sagte Professor Danhouer.

»Zeugenprogramm?«, fragte ein alter Mann, der am Kopf des Tisches saß.

»Nein! Niemand, der unter diesen Namen im Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde oder diesen Namen bekommen hat. Tatsache ist, es existieren ungefähr 300 Menschen mit dem Nachnamen Laurey. Doch niemand von ihnen kennt jemand mit dem Vornamen Galant. Allerdings gab es einen Galant Laurey, der hat aber vor über 200 Jahren gelebt«, antwortete eine Frau. Sie war eine Mittvierzigerin, gut aussehend und mit freundlichen Wesen. Während der Arbeit trug sie ihr Haar stramm nach hinten gebunden und ein Kostüm, das aus feinstem Stoff bestand. Dass sie als attraktiv galt, wusste sie und nutzte dies auch geschickt aus.

»Vorstrafen?«, fragte wieder der alte Mann.

»Unbekannt. Wie Professor Danhouer schon berichtete, existiert dieser Name erst seit einem halben Jahr«, antwortete der dicke Mann.

»Dann bleibt wohl oder übel nur noch eins«, äußerte der Alte und faltete seine Hände zusammen. Starr sah er sich in der kleinen Runde um, bis er schließlich aufstand. »Hat die andere Seite ihre Finger im Spiel?«

»Nein! Es ist zumindest nichts bekannt«, warf ein gut aussehender Mann ein. »Wir haben keinerlei Informationen über einen Galant Laurey, aber ich möchte nicht zu viel vorgreifen. Mir ist aufgefallen, dass Light Dark zur selben Zeit verschwand, wie Galant Laurey auftauchte.«

»Das ist absurd. Mr. Laurey ist ein Mensch. Außerdem gilt Light Dark als vernichtet. Es gab genügend Zeugen, die davon berichteten!«, ging Professor Danhouer dazwischen.

»Sind Sie sich da sicher? Was sagen die medizinischen Unterlagen zu Galant Laurey?«, fragte wieder der gut aussehende Mann.

»Die sind in Ordnung!«

»Wirklich? Wurde er hier schon untersucht?«, fragte er weiter und diesmal schluckte der Professor. »Sehen Sie, also können Sie sich da nicht sicher sein. Seine Unterlagen von der andern Universität könnten gefälscht sein. Sie wissen, wie die Dämonen einfache Menschen beeinflussen können.«

»Das ist doch absurd. Kein Dämon kommt durch die Barriere«, warf wieder der Professor ein.

»Hin und wieder passiert es«, ging die Frau dazwischen. »Es gab in letzter Zeit oft Berichte, dass Dämonen durch die Barriere gedrungen sind.

»Ich habe da einen Vorschlag. Es gibt eine Möglichkeit es herauszufinden«, sagte ein sehr junger Mann, der knapp die Zwanzig überschritten hatte und jeder wurde abrupt still.

»Die wäre?«, fragte der alte Mann und in seinen Augen spiegelte sich sehr viel Respekt für den jungen Mann.

»Wir setzen einen Dämonenmaster auf ihn an, und ich wüsste schon, wer diesen Job übernehmen könnte. Lee Young, mein Bruder. Ihr wisst, er ist was Besonderes«, schlug er vor, und als keiner widersprach, stand der alte Mann auf.

»Gut! Ich lege es in Ihre Hände Bruce. Die Sitzung ist geschlossen.«

Der erste Schultag

Ich stand im Bad und schaute mich im Spiegel an. Versuchte vergebens den letzten Tag, Revue passieren zu lassen. Alles schien real gewesen zu sein, doch ich konnte mich nicht mehr erinnern, wie ich wieder in mein Zimmer kam, oder war es vielleicht doch ein Traum? Dass ich, während ich das Buch las, eingeschlafen war? Egal, was ich auch versuchte, ich kam einfach nicht darauf und erschrak, als der Wecker losging. Ich ging rüber und schaltete das nervende Ding aus.

»Bin schon lange wach. Du dummes Teil!«, fluchte ich und sank auf das Bett. Kurz schüttelte ich mich und schob den Gedanken an Lee beiseite. Langsam machst du dich selbst fertig, redete ich mir ein und setzte Kaffee auf.

 

Nachdem ich mein Quantum an Kaffee intus und inzwischen viel zu viele Zigaretten geraucht hatte, zog ich die Uniform an. Immer wieder drängte sich das wunderschöne lächelnde Gesicht in meinen Verstand und ich zündete mir wieder eine an. Ich musste etwas tun, mich ablenken und fing an, die Klamotten, die seit Mittwoch immer noch in den Plastiktüten verweilten, in den kleinen Schrank einzuräumen. Danach spülte ich den Berg an Tassen und räumte auch diese fein säuberlich in den dafür vorgesehenen Schrank. Es schien mir, als würde der Schrank sich freuen, dass er endlich seiner zugedachten Aufgabe wieder nachgehen durfte.

Ich hatte immer noch Zeit und schrubbte die Dusche, die seit ein paar Wochen kein Putzmittel zu spüren bekommen hatte. Doch es war alles Vergebens, immer wieder stieg sein Duft in meine Erinnerung und plötzlich keimte in mir die Sehnsucht auf. Nein, es war keine Sehnsucht, es war meine Gier, die ich lange ignoriert hatte und die nun mit stampfenden Schritten an die Oberfläche kam.

Kurz blickte ich auf die Uhr. Eine Stunde noch, bis der Unterricht losging. Ich hatte also noch Zeit und fasste den Entschluss etwas dagegen zu unternehmen. Schnell zog ich die Uniform wieder aus und schlüpfte in meine alten Sachen.

 

Alleine war ich auf den Straßen unterwegs. Es war ja kein Wunder, denn der reguläre Unterricht begann erst in ein paar Stunden. Und da es eine reine Universitätsstadt war, brauchte man nicht zu befürchten, einem Menschen über den Weg zu laufen, der schläfrig in seine Schicht ging. Schnell verließ ich die Stadt und huschte zu dem nahe gelegenen Wald.

Der typisch frühmorgendliche Duft lag in der Luft und an den Grashalmen glitzerte noch der Tau, der die ersten Sonnestrahlen ergiebig wiedergab. Vereinzelt tropfte etwas Tau auf das weiche Moos oder rann an den Blättern herunter. Ich liebte diese Stille, die langsam von den Geräuschen der erwachenden Tiere unterbrochen wurde.

Auf einer Lichtung umringt von Bäumen und Büschen stand ich und zog den Geruch des Waldes in mich hinein.

Bis ich das gefunden hatte, wonach ich suchte.

Sein pochendes Herz, seine pulsierenden Adern und der Geruch seines Atems. Noch bevor das Tier wusste, wie es ihm geschah, lag es blutleer in meinen Armen.


»Ah! Schön dich wiederzusehen! - Wie waren deine Ferien? - Was hast du alles gemacht? …« und so weiter und so fort, verfolgte mich das Stimmengewirr von den ganzen Studenten, bis hin zum Rektorat. Etwas zögerlich klopfte ich an die Tür und eine Frauenstimme bat mich hinein. Als ich die Tür hinter mir wieder geschlossen hatte, blickte die Frau mit einem leichten Begrüßungslächeln zu mir auf.

»Ah! Sie müssen Galant Laurey sein?«, fragte sie und reichte mir ihre Hand. »Herzlich willkommen auf der Klements und Klar Privatschule!«, begrüßte sie mich und stellte sich als die Rektorin dieser Universität vor. Wies mich in den Unterrichtsstoff, den Regeln und der jeweiligen Tagesordnung ein. Überreichte mir einige Prospekte von Arbeitsgemeinschaften und Klubaktivitäten. Als ob es mich interessieren würde, nickte ich ihr zu. Nachdem sie ihre Pflicht mir gegenüber getan hatte, zeigte sie mir den Weg in mein neues Klassenzimmer, und wünschte mir noch einen schönen Aufenthalt. Das alles interessierte mich nicht und doch hatte ich diesen Weg gewählt.

Der Unterricht begann in wenigen Minuten und ich suchte mir den Weg zum Klassenzimmer. An einem Fenster, wo man einen schönen Ausblick auf das Schulgelände hatte, standen einige Mädchen und tuschelten miteinander.

»Hast du schon gehört! Wir bekommen einen neuen Studenten. - Er soll angeblich sehr schlau sein, sodass er einige Klassen übersprungen hat«, sagte eine, die ihre rötlich gefärbten Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte.

»Das wird bestimmt so ein pickelgesichtiges Genie mit einer Hornbrille sein, der außer Büchern und Computerprogrammen nichts vom Leben weiß«, meinte ihre Nachbarin, die anscheinend einen Malkasten gefallen war. »Echt schade, dass die Genies immer solche Langweiler sind.«

»Na dann kann er sich ja mit Rumus zusammentun.«

Die andere fing schrill zu lachen an.

»Genau! Ich … habe … alles … genau … berechnet … Meine … Oma … sagte … immer …«, fing die mit dem Pferdeschwanz langsam an zu reden und hatte ein dümmliches Gesicht aufgesetzt, wie das von dem pickelgesichtigen Barkeeper aus dem Lokal. »Sprite, Cola, Cola Light, Orangensprudel …« ratterte sie schneller und alle drei fingen herablassend zu lachen an. »Das… macht… 3 Eu … ro… und… 90... Cent«, machte sie übertrieben langsam weiter. Ich schüttelte nur den Kopf und betrat das Klassenzimmer.

Einen Jungen, der genüsslich gähnte, fragte ich, welcher Platz noch frei wäre. Kurz schaute er mich verständnislos an, doch dann schien ihm doch ein Lämpchen aufgegangen sein.

»Galant Laurey?«, fragte er und ich nickte. »Hi, ich bin Kit Worns. Ähm … lass mich mal schauen … da der Stuhl neben Maggie ist noch frei.« Er zeigte hinter sich, denn der Platz befand sich drei Reihen weiter hinter ihm. Wieder nickte ich und setzte mich neben das Mädchen, das sehr vertieft auf ihrem Handy tippte. Wenigsten war sie nicht so aufgetakelt wie die anderen drei vor der Tür und ihr Körpergeruch wurde auch nicht übermäßig von eklig riechendem süßlichen Parfum übertönt. Ich begrüßte sie kurz und ohne hochzuschauen, murmelte sie ebenfalls ein: »Hi!«

Das war ein guter Anfang, denn im Moment würde mich nichts mehr nerven, als sinnlose Fragen oder das angehimmelt werden von Mädchen.

Die Schulglocke ertönte und die drei von der Tankstelle schlenderten gelangweilt wie die Königinnen persönlich zu ihren Plätzen. Nicht einmal der Abstand zwischen den Bänken schien sie zu interessieren. Sie lästerten einfach über Schüler, die nur wenige Meter von ihnen entfernt saßen, weiter.

Was hatte ich mir nur dabei gedacht, wieder in die Schule zu gehen, fragte ich mich, und stützte meinen Kopf in der Hand ab. Nach minutenlanger Verzögerung kam endlich die Lehrkraft und bat um Ruhe. Die Drei interessierte es nicht und sie schnatterten weiter über die Bänke hinweg.

»Meine Damen! Ich denke, Sie hatten in den Ferien genügend Zeit, diverse Neuigkeiten untereinander auszutauschen. Auch wenn Sie es nicht glauben wollen, wir haben wieder Unterricht. Also bitte …!« Die mit dem Pferdeschwanz ignorierte den Lehrer und laberte ihren Satz zu Ende. Für sie war es so wichtig, dass sie unbedingt die anderen einweihen musste.

»Miss Meyer würde Sie jetzt bitte ihre private Unterhaltung ruhen lassen!«

Der Lehrer wurde etwas lauter und sie schaute ihn auf eine Art ›Ach ist wohl schon Unterricht‹ an. Doch den Ton, den er angeschlagen hatte, ließ sie dennoch verstummen und sie drehte sich nach vorne.

»Als Erstes möchte ich einen neuen Studenten vorstellen. Mr. Laurey würden Sie bitte aufstehen!«, forderte der Professor mich auf.

Das musste ja wohl sein? Mich öffentlich zur Schau zu stellen. Darum erhob ich mich von meinem Stuhl. Sofort blickten ungefähr zwanzig paar Augen zu mir und ich hob kurz meine Hand.

»Hallo ich bin Galant Laurey. Ich freue mich, hier zu sein.« Ich wollte mich schon wieder setzen, als der Lehrer anfing, mich auszufragen.

»Woher kommen Sie?«

»Fourthmork!«, antwortete ich und der Lehrer überlegte kurz.

»In Fourthmork ist … dort liegt die renommierte Mozart-Privatschule. Warum haben Sie die weite Reise unternommen, um hier unterrichtet zu werden, und gehen nicht auf diese?«

Super! Nun musste ich mir was einfallen lassen. Eine Lüge auftischen? Nee, das wäre schlecht, ich blieb lieber bei der Wahrheit. Zumindest bei der Wahrheit des letzten halben Jahrs.

»Ehm! Ich habe mich dort um einen Studienplatz beworben, doch sie waren der Meinung, dass sie mir den Abschluss gleich nach dem ersten Tag ausstellen wollten.« Verlegen strich ich mir mit der Hand durch die Haare. »Tja, und da ich noch sechzehn war, war es schwierig, unausgebildet in den Professorenstand zu gehen.« Die Augen des Professors wurden groß.

»Also ist es wahr, was man über Sie erzählt. Ich habe es nicht glauben wollen. Um ehrlich zu sein, habe ich gedacht, dass Sie gleich am ersten Tag von der Uni geschmissen wurden. Da stellt sich die Frage. Wie kommen Sie darauf, dass es schwierig sei, in den ›Professorenstand‹ einzutreten, wenn Ihnen mit einem Handkuss die Urkunde überreicht wurde.«

»Die Öffentlichkeit!«

»Öffentlichkeit?«

»Ja ich bin sozusagen aus Fourthmorks geflüchtet, weil ich nicht als jüngster Professor in die Geschichte eingehen wollte. Und jetzt vertreibe ich mir sozusagen die Zeit, bis ich 23 bin und als ›normal‹ Gelernter eine Stelle finde. Die Klements und Klar Privatschule war die Einzige, die sich meinen Wünschen angeschlossen hat. Deshalb bin ich jetzt hier.«

»Verstehe! Bitte setzen Sie sich, Professor Laurey, und versuchen Sie, so wenig wie möglich meinen Unterricht zu stören.«

Erleichtert setzte ich mich. Nicht ganz erleichtert, denn besser würde es mir gefallen, wenn er diese förmliche Anrede unterlassen würde. Doch mir fiel auf, dass der Professor in sich hineingluckste. Wie gerne würde ich seine Gedanken lesen, aber ich hatte mich dazu entschlossen als normaler Mensch zu leben, also war Gedankenlesen tabu.

Der Unterricht zog sich in die Länge und ich machte mir nicht einmal die Mühe den ganzen Stoff niederzuschreiben. Meine Banknachbarin tippte ohne Unterlass nur auf ihrem Handy. Eine Zeit lang beobachtete ich Rumus, der Barkeeper und Dämon, was mich zudem noch wunderte, dass er hier in den Unterricht ging, im Takt der gesprochenen Silben hin und her wankte. Mal schneller mal langsamer. Doch irgendwann wurde es mir auch zu dumm und meine Gedanken schweiften wieder zum letzten Tag.

Ich spürte, wie mein Herz zu pochen anfing und meine Atmung schwer wurde.

»Ich muss auf andere Gedanken kommen!«, murmelte ich zu mir und holte das Physikbuch aus meinem Rucksack. Kurz las ich darin und mein Innerstes beruhigte sich allmählich.


In der Mittagspause suchte ich mir unter einem Baum ein schattiges Plätzchen. Die Sonne brannte höllisch und ich beobachtete einige Studenten, die auf der anderen Seite des Maschendrahtzauns an mir vorbeigingen. Wie ich das leiden konnte. Das Leben bestand bei ihnen wirklich nur aus dümmlicher Konversation und ich schloss meine Augen. Warmer Wind wehte in mein Gesicht und plötzlich stieg mir ein angenehmer Duft in die Nase. Dieser Duft …
Das durfte nicht sein und ich weigerte mich, meine Augen zu öffnen. »Ich muss ihn vergessen!«

»Hallo Galant!«

Nein! Das durfte absolut nicht sein und doch konnte ich nicht anders und schaute in seine Richtung.

»Lee!«, tat ich überrascht.

»Der letzte Freitag war doch ganz cool?« Letzten Freitag? Also war der Besuch bei seiner Familie und der Sex doch nur ein Traum. Kurz nickte ich und sah, wie etwas weiter entfernt seine Freunde standen, mit denen er im Lokal zusammen war.

»Ja! Das war es!«

»Können wir irgendwann wiederholen. Das heißt, falls du nicht zu sehr durch deine Freunde eingespannt wirst«, sagte Lee.

»Sicher!«

Ich sah ihm nach, wie er zu seinen Freunden zurückging. Nur ein Traum. Scheiße und doch war ich erleichtert, dass es nur ein Traum war oder ich es mir eingebildet hatte.

Nun musste ich nur noch dafür sorgen, dass ich ihm nicht mehr über den Weg lief. Was hier sehr leicht war, denn die verschiedenen Universitäten wurden durch einen elektrischen Maschendrahtzaun getrennt. Also schied dieser Platz unter dem Baum, während der Mittagspause in Zukunft aus. Ich stand auf und ging.

 


Als ob der Tag nicht noch besser laufen konnte, eröffnete mir Professor Danhouer, das ich gleich nach der letzten Unterrichtsstunde zur medizinischen Untersuchung musste.

Mit einem Formular, das mir der Professor in die Hand gedrückt hatte, suchte ich die Krankenabteilung und betrat das Zimmer. Dort wurde ich schon erwartet und wunderte mich, dass so ein junger Mann schon Arzt war. Er sah sehr gut aus, und als sich unsere Blicke trafen, stockte mir der Atem.

»Mr. Laurey ich habe schon auf Sie gewartet …!«, hörte ich ihn säuseln und hatte das Gefühl, das sich nun alles in Zeitlupe abspielte. Mir wurde schwindlig, meine Beine fühlten sich wie Gummi an und ich wurde von ihm aufgefangen. Einlullend war seine Stimme und er hob mich auf eine Liege.

 

»Das wär’s, wir sind fertig. Sie können aufstehen!«

Was? Warum lag ich auf der Liege? Ich war doch eben erst in das Zimmer gekommen.

»Bitte was haben Sie gesagt?«, fragte ich ihn und er lächelte mich freundlich an.

»Wir sind fertig, bei Ihnen ist alles Okay«, wiederholte er und ich schaute ihn verwirrt an, während ich aufstand. Unbeholfen drehte ich mich zur Tür. Es war doch keine Minute her, dass ich den Raum betreten hatte?

»Aber …!«

»Sie können gehen!«

Er nickte mir zu und verschwand durch eine Nebentür. Immer noch verwirrt starrte ich auf die Tür und fragte mich, warum ich mich an nichts erinnern konnte. Komisch! Seit ich in dieser Stadt angekommen war, hatte ich das Gefühl, das mir einige Erinnerungen fehlten. Doch das konnte nicht sein! Ich war eins der mächtigsten Wesen, welche auf der Welt existierte und fing an, an meinem Verstand zu zweifeln.

 

Ich blickte zum nächtlichen Himmel, der eine sanfte Ruhe auf mich ausübte und ging zu dem Wohntrakt, in dem sich mein Zimmer befand.

Als ich die Tür hinter mir schloss, war mein erster Gedanke, dass ich etwas Starkes brauchte. Ich zündete mir eine Zigarette an und warf einen Blick in den Kühlschrank, in der Hoffnung, darin irgendeinen billigen Fusel zu finden, den ich sinnlos in mich hineinschütten konnte. Doch der Kühlschrank war leer, und ich atmete verdrossen ein. Eigentlich wollte ich nicht mehr einkaufen gehen, aber in Anbetracht der gähnenden Leere …

 

Ich war im Laden und stand vor einer Vielzahl an Schnäpsen. Langsam war es mir wirklich zu dumm und ich nahm eine Flasche, die genau vor mir stand. Zum Zudröhnen war jede Sorte gut. Auf das Etikett blickte ich nicht und ging mit der Flasche zur Kasse. Vom letzten Einkauf wusste ich, dass das Mädchen nicht nach dem Studentenausweis fragte, und bezahlte die Flasche in bar. War hier in der Stadt ungewöhnlich, denn jeder bezahlte mit seiner Studentenkarte und wie schon beim letzten Mal schaute sie mich leicht verdattert an. Doch dann erinnerte sie sich, dass ich damals einen Aufstand gemacht und mich geweigert hatte, mit der Karte zu zahlen. Sie wünschte mir noch einen schönen Abend und ich verließ den kleinen Supermarkt.

Ich war so in Gedanken, während ich zu meinem Wohnheim lief, dass ich erschrak, als ich plötzlich an der Schulter gepackt wurde. Seit wann bekam ich es nicht mehr mit, wenn jemand sich anschlich? Etwas lief hier schief. Geschockt blickte ich in blaue fröhliche Augen.

»Jag mir nicht so einen Schrecken ein!«, fluchte ich und er fing zu lachen an.

»Jetzt schaust du sogar noch schöner aus.«

Schöner? Das hatte ich doch schon mal gehört! Aber das war in meinem Traum. Seine Hand schob ich von meiner Schulter und ging einen Schritt weiter von ihm weg.

»Tzzz! Lass den Scheiß. Lee!«, rief ich und drehte mich um.

»Entschuldige! Ich wusste nicht, dass du so darauf reagierst.« Scheiße seine Stimme. Sie ging runter wie Öl und mein Innerstes reagierte auf sie.

»Ich hatte einen miserablen Tag und außerdem schlecht geschlafen.«

»Na, dann erübrigt sich ja meine Frage. Du willst bestimmt deine Ruhe.« Meine Knie wurden weich. Tief atmete ich ein, um nicht meine Beherrschung zu verlieren, denn die Erinnerung an meinen Traum, in dem er eine Hauptrolle spielte, holte mich schrecklich schnell ein.

»Was willst du?«

»Eigentlich war ich auf den Weg zu dir, um mit dir deinen ersten Tag zu feiern.« Nun erst sah ich, dass er eine Flasche Rotwein in der Hand hielt. Sogar das Etikett konnte ich lesen. Es war eine Flasche Dornfelder. Dann hob ich meine Hand, in der ich den billigen Fusel hatte und zuckte mit den Schultern.
Lee hob seine Augenbrauen und grinste wieder.

»So schlecht war dein Tag?« Ich nickte und noch bevor ich es mitbekam, lag sein Arm über meiner Schulter. Er führte mich zu meinem Zimmer.

»Ach und 'ne Pizza habe ich auch bestellt. Aber sie kommt erst in einer Stunde.« Nun gab ich komplett auf. Ich konnte ihm nicht mehr widerstehen. Seine Stimme, sein Geruch, das alles machte mich schier wahnsinnig und ich wollte mehr. Wollte ihn.

 

Am nächsten Tag begleiteten mich höllische Kopfschmerzen und ich konnte mich noch an alles erinnern. Lieber nahm ich die Schmerzen in Kauf, als nicht mehr zu wissen, was mit mir geschah. In letzter Zeit schlichen sich immer mehr Blackouts ein.

Entscheidung

Lee lief durch die Marmorgänge seiner Universität und die Schritte hallten in deren Weiten. Es hörte sich fast so an, als ob der Donner Einzug hielt.

Immer wieder liefen Studenten an ihm vorbei, die von Wesen begleitet wurden, die für ein menschliches Auge nicht sichtbar waren. Ein kleines Mädchen das Flammen jonglierte, hüpfte auf und ab, und er lächelte in sich hinein.

Er erinnerte sich zurück, als er ungefähr in ihrem Alter war und mit seiner Gabe herumspielte. Zum Glück war dies in seinem ›Haus‹ erlaubt. Er wäre sonst innerlich zerplatzt, wenn er die Fähigkeit vor anderen hätte verstecken müssen, wie es außerhalb seines Hauses notwendig war. Kein normaler Mensch durfte von den Magiern oder Dämonenmastern wissen. Er durfte es nicht einmal Galant sagen und das nagte an ihm, wie ... er fand keinen Vergleich dafür.

 

Sicherlich wurde er bestimmt wieder angewiesen, ihm die Erinnerung zu löschen, doch er wollte es nicht mehr. Immer wieder von Neuem anfangen und immer wieder die wunderbare Zweisamkeit aus seinem Gedächtnis löschen. Verdrossen schüttelte er den Kopf, denn er hatte sich selbst geschworen, dass er ihm nicht wieder das Gedächtnis löschte.

Das Wochenende bei seinen Eltern, er wollte, dass Galant es in Erinnerung behielt, doch seine Mutter war anderer Meinung. Sie hatte es in ihre Hände genommen und die Erinnerung daran gelöscht. Es war zum Verzweifeln.

Vor einer gusseisernen Tür blieb er stehen und wie von selbst öffnete sie sich.

»Lee! Schön das Sie so schnell kommen konnten!«, begrüßte ihn der gut aussehende Mann.

»Dr. Vangil, wie immer ist es mir eine Freude.« Beide gaben sich die Hände.

Bruce stand angelehnt am Fenster und seine Mutter lächelte ihm von ihrem Schreibtisch aus zu.

»Genug mit unnötigen Floskeln!«, sprach der alte Mann dazwischen und setzte sich an die Stirnseite des Tisches.
»Professor McCallan!«, grüßte Lee ihn. »Professor Dorm!«, grüßte er auch den gewichtigen Herrn, der, wie immer seine Hände um seinen Bauch zusammengefaltet hatte und neben Professor McCallan saß. »Was ist so dringend, dass ich meine Mittagsverabredung sitzen lassen muss?«, fragte Lee, obwohl er den Grund schon kannte.

»Wie du schon sagtest, es geht um deine Mittagsverabredung«, erklärte ihm sein Bruder.

»Dachte ich mir!«

»Inzwischen sind vier Wochen vergangen, und wir haben immer noch keine neuen Erkenntnisse, ob es sich um Light Dark handelt!«, warf Prof. McCallan ein

»Ich denke, es wird sich auch nicht viel daran ändern. Keines der von mir angewandten Mittel hat mich überzeugen können, dass Galant Laurey Light Dark ist, oder ein anderer Dämon, der als Mensch umherwandert.«

»Tja! Auch die Laborwerte sprechen für ihn. Ich habe sie mehrmals überprüft. Mr. Laurey ist ein normaler Mensch«, sagte Dr. Vagil und legte die Ergebnisse vor.

»Da muss ich zustimmen«, sagte Bruce. »Nicht einmal die Magie oder die Hypnose Technik, die Mom angewandt hat, konnten uns aufzeigen, dass er Dark ist.«

»Dann ist die Sache ja geklärt. Ich denke, mit der Zeit wird sich Galant Lee ganz öffnen«, warf die Rektorin ein und kicherte.

»Mutter!«, rief Lee und sie lächelte.

»Warum denn nicht. Ihr seid doch inzwischen schon die besten Freunde geworden.«

»Mutter!« Lee konnte es nicht ertragen, wenn seine Mutter sich aufdrängte. Es war hart genug, zu wissen, dass Galant ihn nicht liebte, denn sonst würde er anders reagieren, wenn sie sich über den Weg liefen. Aber er zeigte keine diese unmissverständlichen Reaktionen. Galant war kalt und abweisend und es wurde von Mal zu Mal immer schlimmer.

»Schluss jetzt Junge! Du weißt, warum seine Erinnerungen gelöscht werden mussten. Mit Bann erzwungene Liebe, damit kannst du einen Menschen kaputtmachen!«, sagte sie scharf und Lee drehte sich um und wollte den Raum verlassen.

»Es war kein Bann …«, flüsterte er zu sich, und ballte seine Hände zu Fäusten.

»Lee!«, hörte er seinen Bruder hinter sich und er drehte sich zu ihm um. »Du weißt, dass sie es tun musste. Du hast einen Fehler gemacht, als du ihn in deinen Bann gezogen hast.«

»Du jetzt auch noch!«, zischte er und ließ seinen Bruder stehen.

 

Wie jeden Mittag ging er zu dem Schatten spendenden Baum, in der Nähe des Maschendrahtzauns, doch diesmal traf er den Gesuchten nicht.

»Warum sollte er schon auf mich warten! Es ist ja nicht das erste Mal, das ihm alles gelöscht wurde«, dachte er sich kopfschüttelnd und ging weiter. Seine Freunde saßen auf einer Bank und winkten ihn rüber. Obwohl ihm nicht danach war, machte er gute Miene zum bösen Spiel und setzte sein Lächeln auf.

»Hey! Was geht ab!«

»Gut Alter. Ich habe gehört, dass du dich dieses Jahr an die Masterprüfung wagst.« Dabei klopfte ihm Kiel, einer seiner besseren Kameraden, auf die Schulter.

»Ja! Irgendwann muss man halt anfangen«, meinte Lee beiläufig und spitzte wieder rüber zu dem Baum.

»Der Typ war schon da, aber es hat nicht den Anschein gemacht, als ob er auf etwas warten würde«, grinste Kiel Lee an.

»Was hast du denn mit ihm zu schaffen? Er ist ein ›Normalo‹!«, ging Jli, die Freundin von Kiel dazwischen.

»Eben, weil er ein Normalo ist! Es ist einfach mal angenehm, mit jemandem zu reden, der nicht nur über Dämonenbeschwörung und spirituelle Magieformeln spricht. Sachen, die für uns selbstverständlich sind, können für die ›Normalos‹ die größten Probleme bedeuten. Zum Beispiel finde ich es sehr interessant, ... wie er von seinem alten Zuhause hierher kommen konnte ... obwohl ihm beim Fahren schlecht wird. Wir öffnen einfach nur ein Portal.«

»Wir öffnen keine Portale, wir lassen sie öffnen«, verbesserte Jli ihn.

»Nee, jetzt mal ernst. Von Fouthmorks bis hierher sind es 12 Stunden Fahrt. Dazu noch drei- oder viermal umsteigen mit Gepäck und allem.«

»Es ist ja alles gut und schön, aber die Wächter haben auf der Lichtung ein halb verwestes Reh entdeckt«, wechselte Kiel das Thema.

»Und? Es sterben viele Tiere …!«, sagte Jli.

»Sicher! Doch diesmal ist es was anderes. Das Reh wies Bisswunden auf«, sagte er weiter und Jli verdrehte die Augen. »Von keinem Raubtier, dafür waren die Bissspuren zu klein, es hatte nur zwei Male und war blutleer.« Jli wurde ruhig.

»Nur zwei Male? - Aber … Aber … da …!«, fing sie zu stottern an und war kreidebleich. Kiel heimste sich verächtliche Blicke von Lee ein, und nun bemerkte er, was er gerade einfach mal so daher gesagt hatte.

»Oh! Jli! Bitte entschuldige. Es tut mir so leid. Ich … ich … wollte …!«

»Halt einfach deinen Mund! Okay!«, schnitt Lee ihm das Wort ab und nahm das Mädchen in seine Arme.

»Keine Sorge, du bist hier in Sicherheit. Niemand wird dir was antun«, beruhigte er das sonst so selbstständige Mädchen, doch wenn sie irgendetwas von Bissen hörte, die nicht von wilden Tieren stammten, war es mit ihr aus.

»Ja ist ja schon gut. Entschuldige, dass ich ihre Vampirphobie vergessen habe.« Verlegen strich Kiel durch seine Haare und versuchte zu lächeln, doch wieder trafen ihn unsichtbare Blitze in Form von Lee´s strengem Blick. »Jli es war nur ein Reh!«

»Das ist egal. Es war ein Vampir und er ist noch in der Nähe. Du weißt, dass ich Angst vor denen habe. Die ... die haben ...«, schluchzte sie.

»Außerdem ist das schon eine Weile her, nach dem Grad der Verwesung. Der Vampir ist bestimmt nicht mehr in der Nähe.« Langsam beruhigte sich Jli wieder und sie hakte sich bei Kiel ein.

»Entschuldige! Ich wollte wirklich nicht …«, versuchte Kiel es noch mal doch ihre sanften Lippen, die sie auf die seinen drückte, unterbrachen ihn.

Lee schaute wieder zu dem Baum, doch er war immer noch nicht da, obwohl er sich zur Mittagszeit immer hier aufhielt. Wie gerne würde er ihn, wie das Pärchen es neben ihm tat, in seine Arme schließen und von seinen lieblichen rötlichen blassen Lippen kosten. In seine grünen Augen schauen und ihm sagen, wie sehr er sich nach ihm sehnte.

 

Am Abend wurde er in das Konsulat geladen und dafür musste er einen Anzug mit Krawatte und feinen Lackschuhen tragen. Obwohl er es als sinnlos erachtete, da es einfach nur die Vorstellung der nächsten Teilnehmer an der Masterprüfung war. Aber es war eine alte Tradition und so zwängte er sich in den Anzug samt Krawatte.
Dieser Anzug war noch unbequemer als die pieckfeine, weiße und maßgeschneiderte Uniform, in der er jeden Tag rumlaufen musste.

Nach dem Besuch im Konsulat ging er ins Lokal, darauf wartend, dass er auftauchte, sich an den Tresen setzte und sich eine Cola bestellte. Leider blieb ihm dieser Wunsch verwehrt und Galant kam nicht. Seine Mutter hatte wirklich gründliche Arbeit geleistet. Nicht nur die Erinnerung an ihren fantastischen Sex war gelöscht, sondern auch die dazugehörenden Gefühle. Auch sonst verhielt er sich ihm gegenüber sehr zurückhaltend, was er von ihm nicht kannte. Denn das erste Mal, als sie sich sahen, war Galant viel offener und beim Essen mit seinen Eltern war es für Lee wie ein Traum. Er wollte ihn haben, wollte, das Galant sich zu ihm hingezogen fühlte. Wollte ihn mehr denn je, er leerte sein Glas, bezahlte und ging aus dem Lokal. So als ob seine Füße ein Eigenleben entwickelten, liefen sie in die Richtung des Wohnheims, indem Galant sein Zimmer gemietet hatte.

 

 

Unerträglich

Ich wusste nicht, wie spät es war, als es klopfte. Leicht genervt blickte ich zur Tür, doch entschied mich, liegen zu bleiben und in mein Buch weiterzulesen. Wieder klopfte es, und ich sog scharf die Luft ein.

»Galant ich bin es Lee!«, hörte ich die wundervolle Stimme und alles zog sich in mir zusammen. Warum war das so? Wieder klopfte es.

»Galant bitte, lass mich rein.« Diese Stimme sie machte mich wahnsinnig. Nein, nein, nein! Geh weg! Lass mich in Ruhe, flehte ich und hörte, wie ein Schlüssel in das Schloss gesteckt wurde. Die Tür ging auf und geschockt darüber, dass er einen Schlüssel hatte, konnte ich mich nicht mehr bewegen. Endlose Sekunden vergingen, in denen ich ihn nur anstarrte, bis ich meine Stimme wiederfand.

»Sag mal, geht´s dir noch gut? Woher verdammt hast du den Schlüssel zu meinem Zimmer?«, fauchte ich ihn an und sofort bereute ich meine Worte, als ich in seine Augen blickte. Sie waren strahlend Blau und sämtlicher Speichel, sammelte sich in meinem Mund. Shit! Warum war das so? Es war unbegreiflich. Warum verfolgte er mich? Vor allem, woher wusste er, wo ich wohnte?

»Tschuldige! Ich … ich habe mir Sorgen um dich gemacht«, stammelte er und wich meinen Blick aus.

»Sorgen? Warum? Warum machst du dir Sorgen um mich, wir kennen uns doch kaum«, fragte ich und plötzlich stürmte er auf mich zu und nahm mich in seine Arme. Schock, was machte er da? Er zitterte und bevor ich mich von ihm losreißen konnte, flüsterte er mir ins Ohr. »Du warst nicht da, und ich ... und ich will nicht, dass du mit anderen zusammen bist. Ich kann es nicht ertragen, dass du dein Lächeln mit jemand anderem teilst!« Das war zu viel, und ich versuchte, ihn von mir wegzustoßen.

»Lee! Lass mich los!«, forderte ich ihn auf und spürte, dass er seinen Druck erhöhte. Er war warm, mein Innerstes fing zu brodeln an, die Hitze stieg mir in den Kopf und mein Atem ging plötzlich schneller. Warum reagierte ich so stark auf ihn? Noch dazu sein Geruch. Ich wollte ihn.

»Lee!«

Meine Stimme versagte den Dienst, als er mich auf das Bett drückte und meine Arme über meinen Kopf mit einer Hand hielt. Ich spürte seinen Drang, seine Lippen auf meinem Hals und seine Zunge, wie sie die Spur der Küsse nachzog.

»Es tut mir leid, ich kann mich nicht mehr zurückhalten.« Sein warmer Atem auf meiner Haut und sein Duft, der mich unaufhörlich betörte, sich in meinem Inneren verankerte, raubten mir die Sinne. Ich wollte mich wehren, doch meine Kräfte blieben mir versagt. Was war das? Warum konnte ich ihn nicht einfach von mir stoßen? Ich verstand es nicht und erschrak, unter seinem fordernden Kuss. Ich bekam es, mit der Angst zu tun. Noch nie war ich einem Menschen so ausgeliefert, doch ich konnte nicht anders und ließ seine Zunge in meinen Mund. Sein Geschmack, süßer als das süßeste Blut ...

Seine Hand war plötzlich zwischen meinen Schenkeln und ich zuckte zusammen. Kurz war ich wieder hellwach und wollte ihn mit aller Kraft von mir stoßen, doch er war schneller. Sein Griff um meine Handgelenke wurde fester und mit der anderen fuhr er in meine Hose.

»Lee! Hör auf. Bitte hör auf!« Doch er hörte mich nicht. Stattdessen schaffte er es, mir mein Shirt über den Kopf zu ziehen, und meine Arme damit zu fesseln. Er kniete sich zwischen meine Beine und riss mir buchstäblich die restlichen Klamotten vom Leib. Ich schloss meine Augen, denn so etwas wie Angst kam in mir hoch. Nicht weil er mit mir Sex haben wollte, sondern weil ich befürchtete, am nächsten Morgen aufzuwachen und alles wäre wieder nur ein Traum gewesen. Sein Geruch hatte mein Willen gelähmt und ich schenkte ihm meinen Körper.

 

Lange lag ich noch wach und immer wieder musste ich mich vergewissern, dass er noch neben mir lag. Ich lauschte seinem ruhigen Atem und sog gierig seinen Duft ein.

 

Aus einem, für mich sinnlos gestückelten, Traum schreckte ich hoch und blickte zur Seite. Sie war leer. Er war nicht mehr da! Alles in mir zog sich wieder zusammen. War es doch wieder nur ein Traum? Aber warum roch ich seinen Duft an mir? Was passierte mit mir? Tränen sammelten sich in meinen Augen und mit zittrigen Fingern wischte ich sie weg. Fassungslos starrte ich auf das Nass.

»Tränen?«, fragte ich mich und blickte aus dem Fenster. Die morgendliche Sonne erfreute sich an ihrem Dasein, und es schien sie überhaupt nicht zu interessieren, mit welchem Leid ich zu kämpfen hatte.

 

Es ging schon auf Mittag zu, dem Sonnenstand nach, und ich stand auf. Ein legeres T-Shirt und eine noch relative unbeschädigte Jeans holte ich aus dem Schrank und zog sie an. Ich blickte zum Bett und plötzlich spürte ich seine heißen Küsse. Meine Knie gaben nach und ich sank zu Boden. Wie lange ich schließlich dalag, war mir nicht bewusst, und als ich wieder wach wurde, war es mitten in der Nacht. Oder war es noch die gleiche Nacht? Ich wusste es nicht. Tag oder Nacht ... In meinem Bewusstsein hatte sich ein dicker Nebel gebildet und Zeit spielte für mich keine Rolle mehr.

Stunden vergingen, Tage oder vielleicht Wochen, ich hatte keine Ahnung. Irgendwie lief alles nur nebenher. Ich hörte den Wecker, stand auf, duschte mich, trank Kaffee, ging in die Schule, legte Prüfungen ab oder schlief ein, ging heim, erledigte die gestellten Hausaufgaben und legte mich ins Bett. Nacht wurde zum Tag, Tag zur Nacht. Ich existierte nur noch als leere Hülle. Der letzte Traum mit ihm, hatte mich komplett gebrochen.

Sämtliche Plätze, an denen mich Lee immer gefunden hatte, mied ich. Keinen Gedanken wollte ich mehr an ihn verschwenden und schloss Freundschaften mit Studenten aus meinem ›Haus‹. Oft hing ich sinnlos mit ihnen in einen von den zwei Lokalen rum, nur um mich abzulenken, und wenn ich jemanden in einer weißen Uniform sah, verschwand ich. Ich wusste nicht, warum ich das tat, doch mein Gefühl sagte mir, das sie nicht das waren, was sie vorgaben zu sein. Doch wagte ich es nicht, meine Fähigkeit einzusetzen, um hinter ihr Geheimnis zu kommen. Irgendwie schien es mir zu gefährlich.

»Mr. Laurey!«, hörte ich von weit her. »Mr. Laurey!«, wurde mein Name wiederholt gerufen und ich öffnete langsam meine Augen.

»Professor Danhouer?« Ach ja stimmte, ich war im Unterricht.

»Bitte, Ihre Testergebnisse!« Er legte mir ein paar Zettel auf den Tisch. Ich sah, dass er seine Augen verdrehte, doch er sagte nichts. Warum sollte er auch etwas sagen, immerhin war ich ja schon ein Professor und brauchte nicht auf das Ergebnis schauen, denn ich wusste, dass es die volle Punktzahl war.

»Danke«, sagte ich und schloss meine Augen.

»Nur um die Zeit zu vertreiben …!«, murmelte er und atmete grantig ein.

»Ja! Die biologische Zeit!«, nuschelte ich und gähnte wieder. Kopfschüttelnd ging er zum nächsten Studenten. So etwas hatte er in den ganzen Jahren seiner Professorenzeit nicht erlebt. Ein Professor, der sich als Student ausgab und im Schlaf die Prüfungen absolvierte. Nur um, wohlgemerkt, die Zeit totzuschlagen. Dann verkündete er, dass ab nächste Wochen die Abschlussprüfungen anfingen, doch das wusste schon jeder, nur wie und wann, das teilte er nun per Handzettel mit.

»Das ist doch wohl ein Witz!«, rief die Blonde mit dem Zopf und tippte mit dem Finger auf den Zettel, weiter verstand ich sie nicht, denn der Professor ermahnte sie mit seinem üblichen strengen Blick.

 

Die Mittagspause verbrachte ich wie üblich im Aufenthaltsraum, denn nur so war ich mir sicher, ihm nicht über dem Weg zu laufen, und setzte mich auf meinem Stammplatz. Die Studenten, die sich als meine Freunde ansahen, setzten sich zu mir und fingen wie immer an, über unwichtiges Zeug zu reden. Hin und wieder erschien mir
Lee´s Gesicht vor meinem geistigen Auge und ich fragte mich, was er wohl machte.

Immer wenn der Gedanken an ihn aufkam, spürte ich eine Leere in meinem Herzen, sodass ich am liebsten aufgeschrien hätte. Ich nahm das Tablett mit dem Mittagessen, das ich nicht angerührt hatte, und räumte es weg.

»Galant!«, wurde ich angesprochen und erschrak leicht. Das war wohl langsam an der Tagesordnung, dass ich immer mehr wie ein Mensch reagierte.

»Hey Justin!«

»Können wir mal reden?« Ich nickte und zusammen gingen wir raus auf das Gelände. Doch ich bewegte mich nicht weiter als fünf Meter von der Tür weg.

»Was gibt’s?«, fragte ich und er druckste etwas herum. »Schieß schon los. Ich beiße nicht!« Justin schaute zu ein paar Mädchen, die unweit von uns standen.

»Ach herrje! Der wird doch wohl mich nicht fragen wollen, ob ich für ihn ein Mädchen anspreche ...«, schoss es durch meinen Kopf.

»Ähm! Ich wollte dich fragen … Na ja! Du …!«

»Sag schon!«

»Du bist doch gut?«
»Gut? In was?«

»Ja! Du bist doch schon ein Professor, und da wollte ich dich fragen … ob du mir etwas in Naturwissenschaft helfen könntest?« Wa ...? Ich schaute ihn ungläubig an.

»Na … Naturwissenschaft?«, fragte ich nach und fing zu lachen an. »Und ich dachte, ich sollte für dich ein Mädchen ansprechen. Sorry, da kenn ich mich leider nicht aus!« Ich sah, dass seine Hoffnung verflog, und klopfte ihm auf die Schulter. »Heute Abend, bei mir, und bring deine ganzen Unterlagen mit. Getränke und Essen besorge ich. Wann schreibst du den Test?«

Justin schaute mich an und verstand nun gar nichts mehr, doch dann zuckten seine Mundwinkel nach oben und er nickte. Kurz schaute ich ihm noch hinterher und lächelte selbst.

Wie verabredet kam Justin pünktlich mit seinen ganzen Unterlagen und ich breitete sie auf dem Boden aus. Ein Blatt nach dem anderen schaute ich mir an und Justins Blick folgte meinen Bewegungen. Als ich damit fertig war, und sie auch noch richtig sortiert hatte, sah ich ihn an und fing seinen Blick auf. Der Glanz erlosch in seinen Augen, seine Bewegungen wurden langsamer, bis sie ganz erschlafften.

»Justin! Hörst du mich!«, versuchte ich, seine Aufmerksamkeit zu erlangen.

»Ja!«

»Hör mir genau zu, ich gebe dir jetzt, was du willst.«

»Ja!«

»Dafür verlange ich etwas. Bist du bereit es mir zu geben?«

»Ja!«

»Zieh dein Hemd aus!« Sofort öffnete er sein Hemd und zog es aus. Also war er in meinem Bann. Nun könnte ich alles von ihm verlangen, was ich wollte. Doch aus Erfahrung wusste ich, dass es auch nach hinten losgehen konnte. »Ich sage dir jetzt, was ich verlange.«

»Ja!«

»Ich will ein Stück von deinem Herzen und etwas Blut. Bist du immer noch bereit, es mir zu geben?«, fragte ich und sah, wie er zu zittern anfing. »Es gibt aber auch eine andere Alternative, doch die ist mir zuwider. Ich bin kein Typ, der gerne bis in die Nacht vor dem Stoff hockt und büffelt. Das Angebot, das ich dir unterbreite, ist effizienter und es dauert nur ein paar Minuten. Du wirst sehen, wenn du aus dem Zimmer gehst, brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen, ob du die Prüfung bestehst«, sprach ich ruhig und langsam nickte er. »Gut. Du wirst nichts spüren!« Ich nahm ihn in meine Arme. Sein Herz schlug schneller, sein Puls raste und genau das war es, was ich brauchte. Ich hörte sein Blut rauschen und spürte, wie mein anderes Ich die Oberhand übernahm. Das dunkle Ich, tief in meiner Seele eingeschlossen, die Gier, der Dämon. Das Schrecklichste aller Wesen. Mein wahres Ich. Mein verfluchtes Ich.

Sanft bohrte ich meine Zähne in das weiche Fleisch und saugte kräftig, bis ich das köstliche warme Blut auf meiner Zunge spürte. Herrlich floss es durch meine Kehle. Justin vergrub seine Finger in meine Haare, schloss seine Augen und stöhnte.

Langsam tastete ich mit meiner Hand über seinen Oberkörper und suchte sein Herz. Legte die gesamte Handfläche auf seine Brust, bis ich das gleichmäßige Pochen seines Herzschlags spürte. Suchte das Stück, das ich von ihm verlangt hatte, und nahm es in mir auf. Meine Gier war gestillt und ich leckte mit meiner Zunge über die winzigen Wunden an seinem Hals. Sofort verblassten sie und nichts war mehr zu sehen. Ich sank auf meine Knie und genoss die kurze berauschende Wirkung. Auch wenn es nur für ein paar Minuten war, war es dennoch nicht so intensiv, als ob ich mein Opfer töten würde. Ja den Tod eines Wesens zu spüren, war besser als die Ekstase beim Sex.

»Justin! Hörst du mich? Wach auf!« Seine Augen klärten sich wieder und er schaute mich verdutzt an.

»Was ist passiert?«, fragte er mich, als er sah, dass ich seine Unterlagen zusammenräumte.

»Wir haben gelernt!« Ich überreichte ihm seine Unterlagen.

»Ah! Ja stimmt! … Haben wir wirklich gelernt?« Ich schaute ihn an und stellte eine Frage aus dem Stoff, die er wie aus der Kanonenkugel geschossen beantwortete. Verdattert schaute er mich an und ich grinste.

»Siehst! Jetzt kannst du es sogar im Schlaf. Hunger?«, fragte ich ihn und bot ihm ein Stück erkaltete Pizza an. Dankend nahm er sie, denn er hatte nun wirklich Hunger und er fühlte sich wie ausgelaugt. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, das ihm etwas fehlte, etwas das nur er besaß. Etwas das ihn als Persönlichkeit ausmachte.
Ich stand auf und schenkte mir ein Glas mit einem billigen Fusel ein.

»Willst du noch das letzte Stück?«, fragte er mich und ich lächelte ihn an.

»Nein! Danke, hab keinen Hunger.«

 

Einige Zeit unterhielten wir uns noch, und als er nach Hause ging, lächelte ich in mich hinein.

»Ich hoffe, ich konnte dir helfen, jetzt solltest du keine Probleme mehr mit Mädchen haben, denn das war der eigentliche Grund und nicht die Naturwissenschaft. Und ich bin wieder für einige Wochen gesättigt.«

Dennoch fühlte ich diese Leere …

Die Leere war mein ständiger Begleiter geworden und es war unerträglich. Dichter Nebel drang in mein Bewusstsein und ich sank auf die Knie.
›Lee‹

 

Gebannt

Die lästigen Abschlussprüfungen waren endlich vorbei und ich genoss die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Justin kam vorbei und setzte sich neben mich in das Gras.

»Danke«, sagte er und ich schaute ihn an.

»Für was?«

»Ich weiß nicht für was, aber als ich damals aus deinem Zimmer ging, war ich wie neugeboren. Obwohl ich mich überhaupt nicht daran erinnern kann, dass wir gebüffelt haben.« Ich schaute ihn an und lehnte dann meinen Kopf an den Baumstamm. Natürlich hatte ich mir vor einiger Zeit einen Baum auf der anderen Seite gesucht, denn ich wollte ihm auf keinen Fall wiederbegegnen.

»Nichts zu danken!«, sagte ich schließlich und Justin ging. Ich sah, wie er einem Mädchen, welches er noch vor Kurzem verlegen angeblickt hatte, seinen Arm um die Schulter legte und ihr einen leichten Kuss gab. Ich schmunzelte, dann öffnete ich meine Hand und ein leichter Windhauch war zu spüren.

»Sieht so aus, als ob du dieses Stück deines Herzens nicht mehr gebrauchen kannst, Justin. Du kleines Stück Herz, ich gebe dich frei. Suche dir jemanden, der etwas mehr Schüchternheit gut gebrauchen kann.«

 

»Ist schon etwas Neues herausgekommen?«, fragte Lee´s Mutter und schaute sich in der Runde um.

»Mrs. Young wir haben keine neuen Erkenntnisse. Das Reh war der einzige Kadaver, den die Sucher finden konnten. Anscheinend ist der Vampir weitergezogen.«

»Sie sind sich sicher, dass es ein Vampir war?«, fragte sie weiter.

»Ja! Das Reh wurde mit Sicherheit von einem Vampir angefallen und getötet.«

»Wurde auch nach Menschenkadavern gesucht?«, fragte sie schließlich, doch diese Frage erübrigt sich dann von selbst. Die Sucher waren keine Amateure, sondern ausgebildete Profis.

Nach einigem Hin und Her beendete sie die Konferenz und fuhr nach Hause. Obwohl sie ein Zimmer in der Universitätsstadt gemietet hatte, gab es an diesem Abend einen besonderen Anlass, sodass sie nach Hause musste, und sie war aufgeregter, als ihr Sohn, den es betraf. Unentwegt klingelte ihr Handy, bis es ihr allmählich lästig wurde und sie es ausschaltete.

»Die wissen doch, was heute für ein Tag ist. Diese Idioten. Nichts können sie selbst machen. Wofür habe ich den Stellvertreter, wenn ich sowieso immer alles machen muss!«, schimpfte sie noch eine ganze Weile, doch ihre Wut war bald verflogen, und sie freute sich nur noch auf ihr Zuhause.

Sie fuhr in die Einfahrt und sah, dass alle Plätze schon vollgeparkt waren und nicht nur das, auch die Barriere war schon errichtet worden.

»Hoffentlich komme ich nicht zu spät!«, murmelte sie noch, und als sie es endlich geschafft hatte, durch die enge Lücke zu ihrer Garage zu zirkeln, stieg sie aus und schmiss achtlos die Autotür hinter sich zu. Sie machte ein kurzes Handzeichen und trat durch die Barriere. Ein leichtes Kitzeln durchfuhr ihren Körper und sie schaute sich kurz um, nicht dass sie ein Loch in der Barriere hinterlassen hatte.

»Moron!«, rief sie kurz und ein Falke landete auf ihren Arm.

»Wie weit sind sie schon? - Ja das ist gut. - Dann habe ich es noch rechtzeitig geschafft. - Beschwer dich nicht. - Es hatte einen Grund, warum ich dich heute daheim gelassen habe. - Ja ich werde es wieder gut machen.« Unterhielt sie sich mit dem Falken und schloss die Tür auf. Sofort kam ein alter Mann auf sie zu und drückte sie fest an sich.

»Meine Liebe! Heute ist es so weit. Heute wird Lee achtzehn Jahre und heute stellt es sich heraus, ob er ein Magier wie sein Vater und Bruce wird oder ein Dämonenmaster wie du, seine Mutter. Tja! Das ist so aufregend!«, gluckste er.

»Ja Papa. Von Bruce habe ich immer gewusst, dass er ein Magier wird, aber Lee hat von allem etwas.«

»Das Schicksal wird es bestimmen.«

Die beiden gingen in die Wohnung. Als sie das Wohnzimmer betraten, war es, als ob sie in eine andere Welt eintraten. Überall waren Kerzen aufgestellt und entzündet worden. Dort wo der Wohnzimmertisch immer stand, zierte nun ein großes mit Kreide gezeichnetes Pentagramm den Boden. Sie sah ihren Sohn in seinem Gewand, der gedankenversunken einige Formeln zur Beschwörung eines Dämons an das Pentagramm zeichnete und die ganze Verwandtschaft stand um ihn herum. Die Luft war mit Minze und einigen anderen magischen Düften erfüllt. Ein leichter summender Gesang drang in ihr Ohr, in den sie wie hypnotisiert mit einfiel.

Lee, der die Heimkehr seiner Mutter nur am Rande mitbekommen hatte, begutachtete noch einmal die verschiedenen Formeln, Zaubersprüche und das Pentagramm. Er erkannte, dass die weißen Kerzen der Künste noch nicht brannten, und entzündete sie mit nur einem Handzeichen. Rauch stieg auf, der das ganze Haus einhüllte und er betrat die Mitte des Pentagramms.

Die Mutter erkannte, dass er vorhatte, die beiden Beschwörungen des Schicksals anzuwenden und erschrak leicht. Doch der Gesang, in den alle Anwesenden gefallen waren, packte sie und sie summte mit.

Er hob seine Arme und murmelte vor sich hin. Der Rauch der Kerzen flachte ab und von weit her rumorte ein aufkommender Donner, der immer lauter wurde. Plötzlich erhellte sich der Raum und Blitze zuckten auf die weißen Kerzen nieder. Die Kerzen erloschen und gleichzeitig leiteten sie den Blitz auf Lee. Hell leuchtete er auf und sank auf die Knie.

Die Mutter erwachte aus ihrer Hypnose und starrte nur noch ihren Sohn an. ›Ein Magier‹, durchschoss es ihre Gedanken und sie fasste sich an den Mund. Lee schien nicht mehr hier zu sein und doch sah sie, wie er aufstand, sich einmal um die eigene Achse drehte und auf jede der fünf weißen Kerzen einen schwarzen Lichtstrahl losließ. Er verließ das Pentagramm und stellte sich genau vor die nördliche Spitze.

»Das ist unmöglich …!«, murmelte sie, denn sie sah, dass sich die weißen Kerzen der Kunst in die schwarzen Kerzen der dunklen Künste verändert hatten.

»Er hat zwar das Studium zu einem Dämonenmaster absolviert, war aber nie gut darin«, dachte sie noch, bevor sie vom dunklen dichten Nebel vollständig eingehüllt wurde. Diesmal gab es kein Entkommen mehr und sie fiel nun komplett in das Summen und Singen mit ein.

 

Ich lag auf meinem Bett und las in einem neuen Buch, als ich einen Donner hörte. Kurz schaute ich zum Fenster und zuckte mit der Schulter. »Der wird bestimmt weiterziehen«, dachte ich und setzte eine Flasche billigen Fusel an den Mund. Kräftige trank ich daran und der Schnaps brannte in meiner Kehle. Es war zwar nicht wie Blut, aber es hatte fast die gleiche Wirkung, und ich widmete mich wieder dem Buch.

Nur noch einen Tag Schule und die Sommerferien begangen. War der Unterricht schon todlangweilig, aber Ferien waren tödlicher als Tod. Die Sekunden vergingen wie Stunden und ich konnte nichts dagegen machen. Doch überleben würde ich es trotzdem. Mein Drang war vor Kurzem gestillt worden, auch wenn es nicht das Wahre war. Da hatte mir das Reh mehr gegeben und ich nahm erneut einen kräftigen Schluck. Wieder hörte ich den Donner diesmal gefolgt von einem blauen Blitz. Leichte Unruhe breitete sich in mir aus und ich schimpfte mich als einen Narren.

»Du führst dich wirklich wie ein Schwächling von einem Menschen auf. Jetzt bekommst du sogar schon Schiss von einem Gewitter«, dachte ich und nahm noch einen kräftigen Schluck. Irgendwie konnte ich mich nicht mehr auf den Inhalt meines Buches konzentrieren und legte es zur Seite. Wieder setzte ich die Flasche an, doch sie war leer. »Na toll!« Ich stand auf. Plötzlich fror ich und unbewusst zog ich mich an, bevor ich zum Kühlschrank ging, um mir eine neue Flasche zu holen.

Mit einem Mal durchzogen mich stechende Schmerzen an den Schläfen und ich schrie auf. Gerade noch konnte ich mich am Schrank festhalten. »Kopfschmerzen! - Na prima, ich sollte wohl besser auf die andere Flasche verzichten.« Unerwartet wurde mir schwindlig. Das konnte nicht sein, ich hatte doch vor Kurzem etwas Blut getrunken. Wenn es sein musste, konnte ich bis zu einem halben Jahr ohne auskommen.

Es kam anders, der Drang nach warmem süßem Blut pochte in meinen Adern und eine unbändige Gier kam mit ganzer Kraft an die Oberfläche. Ich spürte, wie meine Zähne länger wurden. Wie meine Augen brannten, mein Atem sich beschleunigte und ich hörte von überall das sagenhafte liebliche Rauschen, des lebensspendenden Elixiers. Jemand rief mich. Meine Statur veränderte sich und ich verwandelte mich in mein wahres Ich.

»Eine Dämonenbeschwörung!«
Aber es konnte nicht sein, nicht wenn ich in meiner menschlichen Gestalt war, und ich versuchte mich dagegen zu wehren, doch es war zu spät. Diese Stimme bekannt und lieblich, sie übernahm meine Sinne, mein Bewusstsein und plötzlich wurden meine Arme nach oben gerissen. Ketten umschlossen meine Handgelenke und sie zogen mich brutal nach oben. Die Ketten bahnten sich ihren Weg um meinen Hals und umschlossen meinen ganzen Körper. Ich zerrte an den Ketten und versuchte mich in meine menschliche Gestalt zurückzuverwandeln, doch vergebens ich stand in meinem wahren Aussehen da. Meine Haare wuchsen und fielen bis zum Boden, die Zähne leuchteten, wenn ich meinen Mund öffnete, und meine Sinne waren bis auf das Äußerste gereizt. Ich spürte nur noch, wie ich aus dem Zimmer verschwand und durch die Beschwörung zum Ort des rufenden Dämonenmasters kam.

Dichter Nebel umhüllte mich und ich hatte nur einen Gedanken. Diesen Dämonenmaster zu vernichten.

Die schwarzen Kerzen, du nun um mich herumstanden erloschen und der Nebel löste sich langsam auf. Ich sah, wie viele Magier und Dämonenmaster sich wie hypnotisiert in ihrem eigenen Summen hin und her wiegten. Obwohl ich niemanden reden sah, hörte ich deutlich diese warme Stimme.

»Wie ist dein Name?« Sie flüsterte mir zu und doch war sie zu laut. Sie erwärmte mein Herz und doch fror sie meine Glieder ein. Immer wieder forderte sie mich auf, meinen Namen zu sagen. Immer weiter drang sie in mein Bewusstsein, wo ich sie niemals wieder hören wollte. »Sag mir deinen Namen!« Sanft übernahm sie meinen Willen. Diese Stimme, in die ich verliebt war, die ich brauchte, und die mich in den Wahnsinn trieb. Zerrend versuchte ich, mich von den Ketten zu befreien, bis sich meine Haut aufrieb. Kaltes Blut lief an meinen Armen herab, und je mehr ich mich wehrte, umso fester zog sich die Kette um meinen Körper. »Wehre dich nicht gegen die Titanenketten!« Auch wenn ich es nicht wollte, so gab ich nach, denn ich kannte die Titanenketten. Sie wurden aus einem Metall gefertigt, das nicht einmal die Götter kannten, und hatte diese Kette ein Opfer, so wurde es nie wieder losgelassen. Das Einzige, was dem Gefangenen bevorstand, war der elende, qualvolle Tod. »Sag mir deinen Namen!«, befahl die Stimme wieder. Diesmal um einiges kräftiger und ich fing zu zittern an. Nein, nein, dachte ich nur …

»Deinen Namen!« Nun traf mich die Stimme wie ein Blitz und ich schrie auf. »Du kannst ihn mir freiwillig sagen oder ich werde dich dazu zwingen müssen.« Noch bevor der Satz zu Ende gesprochen wurde, erschien neben mir eine Gestalt, die eine Peitsche in der Hand hielt. Ich erschrak, obwohl ich wusste, dass es nur eine Illusion war. Aber diese Illusion konnte durchaus jemandem, der in einem Pentagramm gefangen war, höllische Schmerzen zufügen.Der erste Hieb traf mich unerwartet und brannte wie Feuer, sodass ich qualvoll aufschrie. »Sag mir deinen Namen!« Der zweite Schlag traf mich. Ich wusste, dass es, solange weitergehen würde, bis ich ihm das sagte, was er hören wollte.

»Light … Dark!«, krächzte ich.

»Gebannt seiest du, Light Dark!« Nachdem der Bann ausgesprochen war, löste sich die peitschende Gestalt in Luft auf sowie die Ketten um meinen Körper. Plötzlich traf mich ein Blitz und ich sank zu Boden.

Ich hörte nur noch, wie jemand »Lee« schrie.

»Was passiert mit mir? Ist das wieder ein Traum?«

 

Ich erwachte und konnte mich nicht rühren. Meine Arme sowie die Beine waren gefesselt. Meine tiefschwarzen Haare fielen mir über das Gesicht und ich erkannte, dass ich in meiner wahren Gestalt war. Nicht nur das, einige meiner verloren gegangenen Erinnerungen waren wieder da und ich wusste, dass ich das mit Lee nicht geträumt hatte.

Das war echt super! Der Kerl hatte mit meinem Gehirn Tcha-tcha-tcha getanzt, das würde er mir büßen. Ich lächelte. In diesem Haus voll von Magiern und Dämonenmastern konnte ich in meiner wahren Gestalt umherlaufen und auch für einen kleinen Teil meine Fähigkeiten nutzen. So gut, wie es ging, hievte ich mich hoch.

»Er ist wach!«, hörte ich und grinste den alten Mann durch meine Haare an.

»Light!«, durchfuhr mich die Stimme und ich zuckte zusammen. Langsam drehte ich meinen Kopf in seine Richtung und sah ihn. ›Lee‹

»Sieh an, sieh an. Ein frisch von der Akademie kommender Dämonenmasterneuling. Wer hätte das gedacht?«, zischte ich.

»Pass auf Lee, seine Augen sind rot!«, warnte ihn der alte Mann und ich grinste ihn an.

»Pass auf Lee, seine Augen sind rot!«, äffte ich den Alten nach.

»Light ich löse dich jetzt von den Fesseln, wage es nicht, jemanden anzugreifen.«

Ich versank in seiner Stimme und doch kam ich nicht drum rum, ihn necken zu wollen.

»Das heißt, ich löse jetzt die Fesseln.«

Ich neigte meinen Kopf etwas zur Seite. Lee ignorierte mich und befreite mich von den Titanfesseln. Ich rieb mir die Handgelenke und spürte, dass das Leben in meinen Armen zurückkam.

»Zeige mir das Bannmahl!«, befahl Lee und ich hob mein T-Shirt hoch. Etwa drei Fingerbreit über meiner Brust zierte, wie eine Art Tätowierung ein schwarzes Mahl. »Von ihm brauchen wir nichts mehr zu befürchten, das Mahl verhindert, das er gegen meine Befehle verstößt.«

Ich lächelte ihn an.

»So sicher würde ich nicht sein. Immerhin ist die Zeit auf meiner Seite, die Vergangenheit, die Gegenwart und sogar die Zukunft sind mir wohl gesonnen.« Nun war es Lee, der lächelte.

»Das du dich da nicht täuscht. Dieses Mahl entstammt nicht einer normalen Dämonenbeschwörung. Schwarze Magie und dunkle Künste sind darin mit eingewoben worden.«

»Tzz! Schwarze Magie und dunkle Künste sind ein wichtiger Bestandteil bei einer Dämonenbeschwörung. Es ist aber auch das Einzige, was die Dämonenmaster drauf haben.«

»So du kennst dich also aus, aber ich denke, du hast es schon bemerkt, dass ich nicht nur die dunklen Beschwörungs- und Bannkünste beherrsche«, sagte Lee und mir kamen, der weit entfernte grollenden Donner mit dem blauen Blitz in Erinnerung. Die für ein menschliches Auge wie eine normale Naturgewalt aussah, doch im Zusammenhang mit meiner inneren Unruhe, verstand ich seine Aussage.

»Oh, ihr sprecht die Magierauswahl an. Das ward Ihr? Sehr beeindruckend. Niemand hatte es bemerkt.«

Seine Mutter und Bruce tauschten untereinander Blicke aus.

»Dein Name ist Light Dark?«, fragte mich Lee´s Mutter, obwohl es klang eher wie eine Feststellung. Gekonnt ignorierte ich sie und ließ Lee nicht aus den Augen.

»Antworte ihr. Sie ist der Firstmaster des Konsulats.«

»Wahrscheinlich! Aber ich hatte schon viele Namen, dass ich mich an meinen Richtigen gar nicht mehr erinnern kann«, beantwortete ich auf seinen Befehl hin, ihre Frage und ignorierte sie weiter.

»Ohne den Geburtsnamen funktioniert die Dämonenbeschwörung nicht«, warf Bruce ein.

»Was weiß ein Magier schon von der Welt der Dämonen. Es gibt viele Geheimnisse, die noch nicht entdeckt wurden. Außer Erinnerungen löschen und Illusionen hervorrufen, habt ihr nichts auf dem Kasten.«

»Genug! Tatsache ist, dass du gebannt wurdest.«

»Auch nur weil ich überrascht wurde. Sonst hättet Ihr kläglich versagt.« Ich atmete theatralisch ein. »Nein! Das war es nicht. Mir war so langweilig«, säuselte ich bemitleidend und grinste Lee an. Wieder versank ich in seinen Augen und wandte mich deshalb von ihm ab.

 

Ich konnte es nicht fassen. Lee, die Person, der ich bis auf den letzten Nerv verfallen war, entpuppte sich als ein Dämonenmaster. Als mein Master. Er hatte mich schon eingenommen, bevor er mich gerufen hatte. Nun da ich wusste, dass der Sex, den wir hatten, kein Traum war, verlangte es mich umso mehr nach ihm. Ich wollte ihn spüren. Ihm schmecken, mich in seiner Leidenschaft wiegen. Alles würde ich aufgeben, nur um in seiner Nähe zu sein, nur um das zu bekommen, was ich von ihm verlangte, was ich wollte, wonach ich mich verzehrte.

Ich spürte seinen Blick und ich hatte keine Kraft mehr ihm zu widerstehen. Meine Beine gaben nach und ich sank zu Boden. Keuchend versuchte ich, mich wieder aufzurichten, doch es war vergebens.

»Was passiert da?«, fragte Bruce seine Mutter leise und sie hob den Zeigefinger an ihren Mund.

»Es ist ein innerer Kampf, den Lee mit dem Dämon ausfechten muss. Für uns ist es nicht sichtbar, aber die Reaktion von Dark ist eindeutig, er ist dabei zu verlieren.«

»Ich verstehe es nicht …!«

»Dark ist kein gewöhnlicher Dämon. Er gehört zu der Kategorie Zero. Er ist ein Vampir. Und Vampire sind sehr schwer zu kontrollieren, geschweige denn zu bannen. Im Normalfall übernimmt der Vampir die Kontrolle über den Menschen und spielt mit ihm Hampelmann.«

»Ich werde Euch bis zu Eurem letzten Atemzug dienen, aber verlangt nie von mir, dass ich Euch meine menschliche Gestalt zeige. Niemals.«

»Ist das die einzige Bedingung, die du stellst?«, hörte ich ihn in meinen Gedanken. Keuchend nickte ich und war immer noch unfähig aufzustehen.

»Ja das ist die Einzige. Bitte gewährt sie mir!«, flehte ich und er drehte sich von mir weg. Der Druck verschwand und ich blickte ihn durch meine langen Haare hinterher. Nach einigen Schritten blieb er stehen und sprach zu mir: »Sag mir eins! Ist dein Name wirklich Light Dark?«

»Warum fragt Ihr mich das, es ist egal, unter welchen Namen ich existiere.«

»Ganz einfach. Light Dark gilt als ausgelöscht.« Ausgelöscht! So nannten sie es, wenn ein Vampir vernichtet wurde.

»Ob dieser Name mein wahrer Name ist, oder nicht, müsst Ihr selbst entscheiden. Tatsache ist, dass Ihr mich durch diesen Namen an Euch gebunden habt.«

»Verstehe!«

 

Gelangweilt lag ich auf seinem Bett und gähnte. Nach der sogenannten Zeremonie folgte die eigentliche Geburtstagsparty und ich war überrascht, dass es genauso verlief wie bei den ›Normalos‹. Nach Sinnlosem vor mich hinstarren, stand ich vom Bett auf und durchstöberte seine Regale. Die meisten Romane und Taschenbücher kannte ich schon und stellte sie zurück. Mangas und Comichefte zierten ein anderes Regal, bis ich zu einem kleinen Stapel von Schnellheftern kam. Ich dachte schon, dass es Studienunterlagen waren, weil überall sein Name am Rand stand. Ich atmete ein, etwas Langweiligeres, als Schulsachen konnte es hier wirklich nicht mehr geben. Bis mein Blick auf etwas haften blieb und ich den Schnellhefter hervorzog.

»Grüne Augen - von Lee Young«, las ich und es weckte mein Interesse. Mit dem Schnellhefter ging ich zum Bett zurück. Ließ mich darauf fallen und fing an zu lesen. Es dauerte nicht lange, bis ich begriff, dass es sich um mich handelte und mein Verlangen nach ihm wuchs wieder.

Ich hatte es fertig gelesen und legte die Kurzgeschichte zurück. Allmählich ließ das Brennen auf meiner Brust nach und ich lächelte.

»Na, wer sagst denn! Wie Bruce es schon erwähnt hat, funktioniert eine vollständige Dämonenbeschwörung nicht ohne den richtigen Namen«, grinste ich in mich hinein und schaute auf die Stelle, wo das Mahl sein sollte. Langsam fuhr ich mit der Hand hin und erstellte eine genaue Kopie von dem, dass mich gebannt halten sollte.

›Du brauchst es nicht Lee, solange ich das bekomme, was ich von dir will. Solange werde ich immer bei dir bleiben. Als Galant Laurey oder als Light Dark.‹ Tief in mir spürte ich jedoch, dass Lee mich tatsächlich gebannt hatte. Nicht an diesem Abend, sondern schon viel früher. Nur wann?

Unrealistische Träume

Die letzten Tage waren ja schon nervig, nicht nur wegen, der anstehenden Abschlussfeier, sondern ganz besonders auch wegen Lee, der es nicht lassen konnte, mich ständig für die banalsten Dinge zu rufen. ›Light öffne mir ein Portal. Light gib mir dies und das. Light hier und Light da!‹

Doch nun überschlugen sich auch noch die Studenten. Überall standen sie zusammengepfercht und schnatterten über den Ball, der am Abend stattfinden sollte. Nicht nur das, diesmal war es sogar ein besonderes Ereignis, weil drei Universitäten die Abschlussfeier zusammen veranstalteten. Die, auf die ich ging, dann die Kunstuniversität sowie die Universität auf die Lee ging. Ich fragte mich, wie die Dämonenmaster ohne ihre Dämonen auskamen. Doch da fiel mir ein, dass Dämonen für das menschliche Auge unsichtbar waren. Genauso waren sie für mich unsichtbar, wenn ich in meiner menschlichen Gestalt war. Nur spüren konnte ich sie und anhand ihres Levels einordnen, um welchen Dämon es sich handelte.

Mit eingezogenen Schultern schlängelte ich mich an ihnen vorbei. Nicht das noch ein Mädchen auf die Idee kam und mich fragte, ob ich mit ihr auf den Ball gehen möchte.

Ich holte mir aus der Kantine einen Kaffee und setzte mich unter einem Baum. Justin konnte sich inzwischen von Angeboten nicht mehr retten, doch er blieb seinem Mädchen treu. Kurz nippte ich an den Kaffee und erschrak, als ich die sanfte warme Stimme hörte.

»Ah!«, schrie ich, denn ich hatte mir den heißen Kaffee über das Hemd geschüttet.

»Tschuldige! Ich wollte dich nicht erschrecken!« Ich schaute zu der Stimme hoch. Gott sei Dank hatte ich nicht laut geflucht, denn mein Master stand genau vor mir, nur, ich war natürlich als Galant unterwegs.

»Lee! Was machst du denn hier?«, fragte ich ihn überrascht.

»Die Universitätsleitung hat zugestimmt, dass die Tore jetzt schon geöffnet werden sollen und nicht erst heute Abend. - Darf ich mich zu dir setzen?«, fragte er und ich nickte. Ein Hauch von seinem Duft stieg mir in die Nase und nur am Rande bekam ich mit, dass er mit mir sprach.

»Lee! Da bist du ja!«, hörte ich eine kräftige Mädchenstimme und blickte kurz zu ihr. Sie trug genauso eine weiße Uniform wie Lee.

»Jli, Kiel, das ist Galant!«, machte er uns bekannt und sie setzten sich neben uns in das Gras. Sie waren es auch, mit denen Lee in das Lokal gekommen war. Sie sprachen über belanglose Sachen und ich gähnte. Das ständige Wechseln von meiner wahren Gestalt in die menschliche und zurück, forderte langsam ihren Tribut.

»Von Nahen bist du ja noch süßer!«, sagte Jli zu mir, und ich spürte, wie sie in meine Gedanken dringen wollte.

»Das habe ich schon öfter gehört!«, blaffte ich sie genervt an und Lee blickte mich verblüfft an, doch es tat seine Wirkung, denn sie zog sich zurück.

»Kann es sein, dass du mich nicht leiden kannst?«, fragte sie.

»Leiden? - Keine Ahnung!« Ich zuckte mit den Schultern. Wieder versuchte sie es und ich starrte ihr tief in die Augen. Erschrocken verzog sie ihre Mundwinkel und widmete sich wieder ihrem Kiel. ›Nichts Besonderes. Er ist halt doch nur ein Normalo‹, schnappte ich auf.

»Galant kommst du mal mit!«, forderte Lee mich auf und ich stand notgedrungen auf.

 

»Was hast du denn gesehen?«, fragte Kiel Jli, als wir außer Sichtweite waren.

»Was alle Idioten denken, wenn sie Mädchenröcke sehen«, sagte sie und er lächelte.

»Das glaube ich nicht …!«

»Du hast recht. Er hat es sich richtig bildlich vorgestellt, was er alles mit mir im Bett machen würde.«

»Seit wann schreckt dich das ab?«

»Wie soll ich es sagen, sonst sehe ich nur schemenhafte Bilder, Verzerrungen und so weiter, doch bei ihm war es klar und deutlich. Sogar mein Muttermal und meinen Stein am Zahn habe ich durch seine Vorstellung gesehen. - Und ich habe es gespürt. - Kiel ich habe es gespürt, was er alles macht, alles.«

»Mach dir keine Gedanken mehr darüber. Solange er es sich nur vorstellt, kann es mir egal sein.«

»Dir vielleicht, aber nicht mir!«, dachte Jli und fröstelte, aber nicht vor Kälte, sondern weil der Gedanke an das eben erlebte, ihr wohlige Schauer verursachte, die sich in ihrer Mitte sammelten und es nur noch einen kleinen Funken benötigte, um sie zur Explosion zu führen.

 

Ich folgte Lee und fragte mich die ganze Zeit, warum ich es bei dem Mädchen gespürt hatte, wie sie in meine Gedanken dringen wollte und bei Lee nicht. Konnte es sein, dass er nie seine Fähigkeiten bei mir angewandt hatte? Ich ihm vielleicht verfallen war, weil ich mich auf dem ersten Blick in ihn verliebt hatte. Ich liebte ihn mehr, als sich das jemand vorstellen konnte. Das war klar. Doch hatte ich Angst davor, wieder aufzuwachen und erneut zu denken, dass es nur ein schöner Traum war. Die menschlichen Gefühle trieben mich in den Wahnsinn und verfolgten mich bis in mein wahres Äußeres. Ich konnte es nicht abschalten und fiel wieder in den Abgrund, als ich seine Lippen auf meiner Haut spürte. Kurz schloss ich meine Augen und auch ein kehliges Stöhnen entkam mir, doch als ich mich wieder gefasst hatte und realisierte, wo ich war, fauchte ich ihn an: »Lee! Was soll das? Hör auf!« Ich stieß ihn von mir weg und er schaute mich an.

»Warum soll ich aufhören? Es gefällt dir doch?«

»Wohl kaum!« Plötzlich spürte ich seine Hand an meinem Schritt.

»Ach! Wohl kaum? Und was ist das?«

»Lass mich einfach in Ruhe!«

»Sag mal, was bist denn du für einer? Erst umklammerst du mich und dann das?«

»Das wirst du nicht verstehen und jetzt verschwinde!« Was sagte ich da? Nein!

»Was werde ich nicht verstehen?«

»Ganz einfach und du kannst mich dann als verrückt hinstellen, ist mir egal. Doch ich habe keine Lust noch einmal in meinem Bett aufzuwachen und nicht zu wissen, ob wir Sex hatten oder nicht.« Okay wir hatten Sex, das war mir nun klar. Doch wusste ich auch nicht, ob es dann noch einmal funktionierte, wenn er, oder jemand anderes, mein Gedächtnis löschen wollte, ohne die folgende Konsequenz tragen zu müssen. Die mit höchster Wahrscheinlichkeit war, dass ich als Light Dark vor ihnen stand und sie tötete. Lee ging nun einen Schritt von mir weg und musterte mich. Tief atmete er ein und lächelte leicht.

»Das ist das Schönste, was du je zu mir gesagt hast!«

»Wa ...? Hast du mich nicht verstanden?«

»Doch habe ich und ich schließe daraus, dass du von mir träumst und wir miteinander Sex haben. Warum also ... deine Träume nicht wahr werden lassen. Galant ich will dich und du willst mich. Deine Küsse eben, sagen es.« Bevor ich was erwidern konnte, waren seine Lippen wieder auf den Meinen. Seine Zunge stupste mich sanft an und ich ließ sie ein. Gemeinsam kämpften wir um die Vorherrschaft, die Lee gewann. Ich war ihm verfallen, ob als Light oder als Galant.

»Verdammt ja! Ich will es, auch wenn es wieder als Traum endet«, murmelte ich und Lee nahm meine Hand. Ich wusste, dass er mich nehmen konnte, wie er es wollte, doch wollte ich auch, dass wenn ich als Light Dark dastand, die ganzen Erinnerungen wieder über mich herfielen? Nein, das wollte ich nicht und ich fing an mein menschliches Dasein, in das ich mich freiwillig begeben hatte, zu verfluchen.

Sicherlich konnte ich mich verwandeln und dem ganzen ein Ende setzen. Doch dann würden die Wächter auf mich aufmerksam werden und das Spiel, in das ich gezwungen wurde, wäre vorbei.

 

Wie ein Hund an der Leine, der ich ja nun auch irgendwie war, folgte ich ihm. Er ging zu seinem ›Haus‹. Durch die Tore, durch die Gänge, einige Treppen hinauf, bis er vor einer Tür anhielt. Doch dafür hatte ich keine Augen. Ich sah nur ihn.

So als ob es eine automatische Tür wäre, ging sie auf. Kaum hatte ich den Raum betreten, fand ich mich an die Wand gedrückt wieder und er küsste mich um den Verstand. Langsam zog er mich aus, umkreiste mit seiner Zunge meine Brustwarze und biss hinein, sodass ich aufstöhnte. Gleichzeitig führte er eine Hand zwischen meine Schenkel, massierte mich, bis ich hart wurde, während seine andere Hand über meinen Hintern streichelte und er mit einem Finger in mich eindrang. Ich stöhnte auf. Je mehr ich mich ihm hingab, umso leidenschaftlicher und verlangender wurden seine Küsse.

»Galant«, hauchte er mir ins Ohr und ich spürte, wie hart er selbst war. Meine Hand fand den Weg zu seinem Geschlecht, leicht überrascht schaute er mir in die Augen und dann trafen sich unsere Zungen erneut. Er wurde wilder und fordernder, doch plötzlich hielt er inne und forderte mich auf, ihm zum Bett zu folgen. Lee legte sich hin und breitete seine Arme aus. Willig folgte ich dieser wortlosen Aufforderung und er nahm sein Tun wieder auf.

Ich beschäftigte mich damit, ihn von seinen Klamotten zu befreien und als ich es endlich geschafft hatte, musste ich jede Stelle nackte Haut erfühlen. Seine Zonen ertasten und verwöhnen.

Wieder spürte ich, wie er einen Finger in mich schob, die Prostata erwischte und ich bäumte mich auf. Er war sanft, grob und fordernd und es dauerte nicht lange, da machten seine Finger Platz für seinen Schwanz. Es kam zu plötzlich, der Dehnungsschmerz raubte mir die Sinne und ich schrie auf.

»Tut weh!«

»Der Schmerz wird nachlassen!«, keuchte er. »Und dann wirst du nur noch glauben, du bist in einem Traum.« Sanft stieß er in mich.

Ich hörte seine Worte und meine Augen füllten sich mit Tränen. Tränen! Diese menschliche Neigung häufte sich.

»Nein! Kein Traum. Bitte. Ich weiß nicht, ob ich es noch einmal überstehe«, flüsterte ich oder hatte ich es gedacht. Er erhöhte seinen Rhythmus und ich konnte nur an eins denken: »Nicht wieder die Erinnerung löschen.« Ich würde sonst wahnsinnig werden, wenn ich das nächste Mal zu Light werde und alles wieder zurückkommt.

»Mehr!«, forderte ich und er zog mich auf seine Schenkel. Noch tiefer drang er in mich ein und die Bewegungen wurden stürmischer.

»Du bist so schön eng.«

Und wir beide flogen über die Klippe.

 

»Du musst ihm die Erinnerung löschen!«, hörte ich Jli und tat so, als ob ich schlafen würde.

»Nein! Diesmal werde ich es nicht tun!«

»Du musst. Er ist ein Normalo. Du kannst mit ihm keine Beziehung führen.«

»Nein werde ich nicht, denn noch einmal würde es sein Geist zerstören!«

»Dann wird es Bruce machen müssen.«

»Wage es ja nicht, irgendjemanden davon zu erzählen!«

»Lee du missachtest die Gesetze. Wie lange wirst du es vor ihm geheim halten können. Auch noch ein Junge, der sich mit Mädchen im Bett sieht und nicht mit dir!«

»Jli, versteh doch, ich kann es nicht mehr länger mit ansehen. Es tut mir weh!« Lee fasste sich an seine Brust. »Verstehst du es denn nicht. Ich kann ohne Galant nicht mehr leben, und jedes Mal wieder von vorne anfangen. Ihm beim Zerbrechen zuzuschauen. Das kann ich nicht mehr!«

Jedes Mal wieder von vorne anfangen? Was meinte er damit? Wie oft wurden meine Erinnerungen schon gelöscht? Ich erinnerte mich an zwei Mal. Konnte es sein, dass es die anderen Male jemand anderes getan hatte? War er es die letzten zwei Male? Wie stark waren denn seine Fähigkeiten? Meine Decke wurde etwas von meinem Gesicht gezogen und ich drehte mich um, während ich einen grunzenden Ton von mir gab.

»Dann lösche seine Erinnerungen, wie du es bei den anderen getan hast, und lass ihn sein Leben weiter leben.«

»Nein. Diesmal nicht. Jli wehe, wenn du jemanden davon erzählst. Ich schwöre dir, ich werde Light auf dich hetzen. Und glaube mir, dein Löwendämon hat nicht die geringste Chance gegen ihn.«

»Abartig!«, zischte sie. »Wie jedes Mal.«

»Für dich ist es abartig, aber mir bedeuten seine Träume viel. Diesmal werde ich ihm die Erinnerungen nicht löschen!«, sagte er und mir kam seine Kurzgeschichte in den Sinn. Besonders der Schluss. »Wie immer sehe ich seine Träume und hoffe, dass sie irgendwann für mich real werden.«

 

Ich hörte, wie die Tür ins Schloss fiel, und machte mich auf das Schlimmste gefasst. Doch statt in meinem Bett aufzuwachen, spürte ich seine Lippen, wie sie mich sanft liebkosten. Langsam öffnete ich meine Augen und sah in sein lächelndes Gesicht.

»Habe ich dich geweckt? Tschuldige!« Unsere Lippen berührten sich. »Wie ich es versprochen habe, bleibt es kein Traum. Auch wenn ich nicht weiß, was du damit gemeint hast!«, log er und das leere Gefühl schien langsam zu verschwinden.

»Das war gut.« Ich leckte mir über die Lippen. »Ähm! Lee ich denke, das sollten wir für uns behalten.«

»Ja.« Er schien mit den Gedanken woanders zu sein und wechselte abrupt das Thema. »Ich frage mich, was du in den Ferien machst. Fährst du heim?« Ich schüttelte den Kopf.

»Nein ich bleibe in meinem kleinen Zimmer. Wahrscheinlich werde ich mir mal einen Fernseher zulegen und den ganzen Tag nur vor der Glotze hocken.«

»Komm doch zu mir … wir haben noch ein Gästezimmer.«

»Lee?«, fragte ich überrascht. »Das geht nicht. Es ist mir etwas peinlich und ich weiß nicht, wie lange ich mich zurückhalten kann. Was ist, wenn uns jemand erwischt?«, meinte ich verdattert. Obwohl es mir eigentlich egal war.

»Du hast recht!« Unsere Blicke trafen sich wieder. »Du bist so wunderschön!«, flüsterte er, und wir versanken wieder in unserer Leidenschaft.

»Schlaf mit mir … mehr will ich nicht!«, dachte ich und grub meine Hände in seine Haare.

 

Ich stand an seinem Zimmerfenster, rauchte und schaute auf das gegenüberliegende Gebäude, meine Universität. Und wenn ich mich etwas streckte, erkannte ich etwas weiter hinten den Wohnblock, indem ich das kleine Zimmer gemietet hatte.

Lee kam aus der Dusche und schaute mich missbilligend an. Ein schlechtes Gefühl stieg in mir hoch, denn ich wusste nicht, was ich falsch gemacht hatte. Seine Züge lockerten sich etwas.

»Mach bitte die Zigarette aus. Ich möchte es nicht.« Deswegen hatte er mich so angesehen, und da es eh mein letzter Zug war, schmiss ich sie achtlos aus dem Fenster. »Die Dusche ist frei.«

 

Nachdem ich geduscht hatte und wir endlich wieder voneinander loskamen, machten wir uns auf dem Weg zur Abschlussfeier. Natürlich hielten wir respektablen Abstand zueinander und ich spürte den missbilligen Blick von Jli auf meinem Rücken.

Ich fragte mich, wie oft ich wohl schon in seinem Zimmer war, und ich mich nicht mehr daran erinnern konnte. Okay an ein paar Mal erinnerte ich mich. Wahrscheinlich waren es seine Löschungen, die wieder zurückkamen, als er mich gebannt hatte, aber die anderen Male ...

 

Sein Geschmack auf meiner Zunge war, wie ich es immer geträumt hatte. Genauso sein Duft auf meiner Haut. Diese realen Träume, die ich immer hatte, waren der Weg zu dem Wahnsinn, der mich befallen hatte. Meine Gier, die unbändig wurde, die ich mit Schnaps zu beruhigen versuchte, weil ich es nicht einordnen konnte. Alles hing nur damit zusammen, dass mir meine Erinnerungen gelöscht wurden und ich nicht einmal in meiner wahren Gestalt den Unterschied zwischen Traum und Realität erkannte.

Nun lebte ich zwei Leben und doch wusste ich nicht, ob ich am nächsten Tag nicht wieder alles vergessen hatte.

 

Schon auf der Straße hörte ich die Musik und trat in den großen Saal ein. Lee kam hinter mir rein und wir trennten uns. Justin winkte mir zu und ich ging zu ihm. Kurz unterhielten wir uns, doch er wurde von seiner Freundin auf die Tanzfläche gezerrt. Ich blickte mich um und schüttelte den Kopf. Tatsächlich standen die Studenten nur unter sich zusammen und ich ging zu der Bar. Ohne Weiteres bekam ich mein bestelltes Getränk und kippte es runter. Kurz brannte es in meiner Kehle und ich sagte dem Jungen, er soll mir gleich die ganze Flasche geben. Er lächelte nur und tat es.

Immer wieder ertappte ich mich dabei, dass ich Lee suchte, und bemerkte, wie arrogant doch die Dämonenmaster wirkten. Kurz schüttelte ich den Kopf und nahm einen kräftigen Schluck. Die Feier ging noch eine Zeit lang und ich stellte fest, dass der Fusel keine Wirkung zeigte.

 

 

Das Konsulat

Der Nachtwind war angenehm warm und streifte mir sanft durch meine langen Haare. Öfters blieb ich an einem Zweig oder Ast hängen, war froh, dass ich zuvor die Uniform ausgezogen hatte und meine alten verschlissenen Klamotten angezogen hatte. Meine Füße trugen mich sanft durch das unebene Gelände, als wüssten sie, wo sie auftreten mussten und ich jagte dem Geruch hinterher. Kräftig stieß ich mich ab, war mit wenigen Sprüngen auf einem der obersten Äste und spähte auf die Lichtung.

Ich schloss meine Augen und lauschte dem pochenden Klang des unschuldigen Herzens meines Opfers. Nach einem kurzen Augenblick war ich mit ihm in Einklang und stürzte mich auf das Tier. Die anderen flüchteten.

Keinen Laut brachte es hervor und ich schmeckte nur seinem Überlebenskampf, der mich antrieb. Der Geschmack des Todes brannte in meiner Kehle und in den Adern. Selbst seinen letzten Atemzug genoss ich und hielt für den kommenden Rausch die Arme willkommen auf.

»Light!«, hörte ich Lee laut in meine Gedanken und erschrak.

»Ahhh!«, stieß ich aus und fasste mir an den Kopf. Seine wunderbare Stimme und der Blutrausch brachten mich zur Ekstase. Keuchend fiel ich auf meine Knie. Ich warf meinen Kopf in den Nacken, die Haare flogen nach hinten und ich atmete stöhnend aus. Meine Hände zu Fäusten geballt wartete ich, bis sich mein Blut beruhigte.

»Light!«, hörte ich ihn wieder und stand auf. Leicht grinste ich in mich hinein.

»So, so, fast drei Wochen lässt mein Master nichts von sich hören und jetzt soll ich wie ein Hündchen zu ihm laufen!«, zischte ich herablassend und machte ein kurzes Zeichen. Ungefähr einen Schritt weiter verzerrte sich die Lichtung und ich trat in dieses Gebilde. Bevor ich ganz in dem Portal verschwunden war, blickte ich kurz auf einem Ast und zwinkerte Jli und Kiel zu. Jli sah geschockt zu mir und starrte immer noch auf den Fleck, wo ich gestanden hatte.

»Hast du das gesehen?«, fragte sie verwirrt.

»Dass er dir zugezwinkert hatte? Ja!«

»Nein das meinte ich nicht. Diese Ähnlichkeit!«

»Welche Ähnlichkeit?«, fragte Kiel, und Jli schaute ihn genervt an.

»Na! Als er seine Haare nach hinten geworfen hat.«

»Jli! Ich habe dich gewarnt, aber du wolltest nicht auf mich hören!«, sagte er, als er sie immer noch auf dem Platz starren sah, und ihre Hand festhielt.

»Er sieht aus, wie Laurey!«, murmelte sie und Kiel verstand gar nichts mehr.

»Sag mal, verfolgen dich jetzt Normalos und keine Vampire mehr!« Jli schloss ihre Augen, sie hatte sich immer noch nicht richtig beruhigt, und war heilfroh, das Kiel bei ihr war. Sonst hätte sie einen tödlichen Nervenzusammenbruch erlitten, als sie ihn gesehen hatte, wie er über das zuckende Tier gebeugt war.

 

Im nächsten Moment befand ich mich im Wohnzimmer von Lee´s Elternhaus, und wieder hatte ich das Gefühl, das es anders aussah als das letzte Mal.

»Magier!«, zischte ich.

»Hast du was gesagt?«, hörte ich Bruce hinter mir und grinste in mich hinein.

»Was hat dich aufgehalten?«, fragte Lee streng und ich schaute ihn durch meine Haare hindurch an.

»Bedürfnisse!«, sprach ich leise, aber laut genug das es jeder in unmittelbarer Nähe hörte. Er musterte mich von oben nach unten und ich musste für ihn wirklich schrecklich aussehen in den zerrissenen schmutzigen Klamotten.

»Verstehe. Das nächste Mal, wenn ich dich rufe, kommst du sofort«, befahl er mir und hielt inne, weil wieder ein Portal geöffnet wurde. Jli sah mich und wich automatisch zitternd zurück.

»Jli!«, rief Lee und ich drehte mich zu ihr um. Leicht hob ich meinen Kopf. Angst roch ich und spürte, wie die Gier in mir erwachte. Doch da ich mich gerade genährt hatte, konnte ich sie kontrollieren und so grinste ich sie nur hämisch an. Leicht leckte ich mir über die Lippen.

Kiel kam und drückte sie fest an sich. Ein kurzes »Hm!«, ließ ich von mir hören und drehte mich wieder zu Lee. Lässig blickte ich ihn mit Händen in der Hosentasche an. »Warum habt Ihr mich gerufen? Master!«, fragte ich mit derselben leisen Stimme.

»Morgen ist ein offizieller Empfang im Konsulat …!«

»Ah! Und da soll ich geschniegelt und gestriegelt erscheinen. Tzz! Menschen«, ergänzte ich den Satz.

»Wenn es dir möglich ist.«

»Möglich ist alles, nur vergesst nicht, dass ich einen Ruf wahren muss.«

»Ruf?«

»Tja! Meine Lebensspanne ist schon ziemlich lang.«

»Es ist aber nicht das, was ich meine!«, schnitt er mir das Wort ab.

»Es gibt ein paar Leute, die, sagen wir, eine gewisse Abneigung gegen Vampire hegen. Sie sind unberechenbar und vor allem sehr gefährlich, für Menschen!«

»Ist das alles?«, fragte ich lachend.

»Es ist nicht witzig!«, funkelte Bruce mich wütend an.

»Natürlich ist das witzig. Besonders für mich. Weil der Horizont der Menschen so gering ist.«

»Du Bastard!«, zischte Bruce und ich hob meine Hand.

»Magier hast du vergessen, dass er mich gebannt hat. Wie ich schon sagte, der Horizont der Menschen geht nicht über den eigenen verkümmerten Verstand. - Es sieht so aus, als ob diese kleine Konversation auf deinen Mist gewachsen ist, Magier.«

»Tzz! Irgendetwas sagt mir, dass du nur ein Spiel spielst«

»Welches Spiel? Das Leben besteht nur aus einem großen Spiel. Ah! Wenn ich wirklich spielen würde, dann würde ich mich nicht auf dieses deprimierende Niveau herablassen und einem Menschen dienen. Obwohl, eine menschliche Lebensspanne, beträgt keine Ewigkeit.«

»Wer bist du wirklich?«

»Light Dark! Das sagte ich bereits.«

»Nein, Light Dark der mächtigste Vampir wurde ausgelöscht.«

»Ausgelöscht? Wohl eher hinterrücks ermordet. Der Arme ist in eine Falle getappt. Seine ach so geliebte Menschenfreundin hat ihn mit einem Lächeln erdolcht. Das muss ein richtiger Genuss für die Schlampe gewesen sein. Sich erst ficken lassen und dann zustoßen. Aber er hatte es nicht besser verdient. Die Welt existiert auch ohne ihn weiter«, schwelgte ich vor mich hin.

»Also ist dein Name nicht Light Dark.«

»Habe ich das jemals behauptet? Der Horizont könnte unendlich weit sein, wären da nicht ein paar Menschen, die ihn verkürzten.«

»Wer bist du dann?«

»Wer ich bin. Keine Ahnung. Nach unserer Wiedergeburt besitzen wir keinen Namen mehr. Unser Geburtsname stirbt, wenn unser menschliches Leben ausgesaugt wurde. Deswegen sind Vampire auch nicht kontrollierbar. Ich habe diesen Namen genommen, weil er mir gerade in den Sinn kam, und euer Henker hat sich damit zufriedengegeben.«

»Also ist Light Dark wirklich Tod!«, hörte ich die Mutter von Lee sprechen.

»Warum sollte er es nicht sein. Einen Silberdolch direkt in das Herz überlebt nicht einmal ein berüchtigter Vampir, wie er es war«, sagte ich und grinste die Frau an. »Diese Jägerin? Lebt sie noch? Denn Dark hatte viele Anhänger.«

»Das geht dich nichts an!«, sagte Lee´s Mutter und ich schmunzelte.

»Verstehe! Ist auch nicht meine Sache. Doch sie sollte sich aus dem Geschäft zurückziehen, einen anderen Namen annehmen, das Gesicht verändern und alles, was mit Jagen, Dämonen und Magie zu tun hat, hinter sich lassen. Jeder nicht gebannte Dämon und jeder Vampir, der auf ›Darks‹ Seite war, ist hinter ihr her.« Sie zuckte etwas zusammen.

»Ich denke, dass es nur noch vereinzelte Strohfeuer sind, seit sie wissen, dass Dark verschwunden ist. Der Rest hat sich in alle Windrichtungen verstreut.«

Ist nicht wahr? Was für ein Ding! Professor Danhouer war auch mit dabei. Aber er strahlte keine Energie aus und das, obwohl in diesem Haus eine Blockade war, die verhinderte, dass genau diese Energie nach außen dringen konnte. Vermutlich war er ein Jäger oder ein in die Jahre gekommener Jäger, der nur noch mit Wissen und Rat zur Seite stand. »Ich bin die Akten noch einmal durchgegangen«, sprach er zu Lee´s Mutter. »Mr. Laurey! Weiß jemand, wo er sich aufhält?«, fragte er und schaute Lee an.

»Nach meinem Wissen wollte er in die Großstadt und sich ein Fernseher kaufen.«

»Ein Handy wäre angebracht. Langsam bräuchte ich eine Antwort. Die Rektorin geht mir schon langsam auf die Nerven.«

»Inwiefern?«, fragte Lee.

»Mr. Laurey hat ein Angebot von uns bekommen, das er, bis er offiziell als altersgerechter Professor arbeiten kann, ein paar Schüler unterrichtet.«

»Bitte? Ist er so gut.«

»Sie müssten es sehen. Er schläft im Unterricht, füllt nebenbei die Prüfungen aus und schläft weiter. Es ist für mich zwar angenehm, aber sein Talent wäre sinnlos verschwendet. Außerdem ist er schon Professor. Er bräuchte sich gar nicht in den Unterricht setzen.« Verdrossen atmete er ein. »Und ich hätte dann nicht das Gefühl, das mein Unterricht langweilig ist.« Lee lachte und meinte, dass das Galant gar nicht ähnlich sah.

»Natürlich nicht, wenn er nicht ständig sein Gedächtnis verlieren würde und wie ein Vampir blass durch die Gegend läuft. Ein paar Tage mit Ihnen zusammen und er versprüht das pure Leben, bis er wieder … ach es ist nicht meine Sache. Aber er wird immer aggressiver, wenn es passiert, und stinkt nach Alkohol!«

»Das ist also eure fantastische Lebenseinstellung. Die Normalos aus allem raus halten, und wenn es langsam zu gefährlich wird, ihnen einfach das Gedächtnis löschen. Einmal das Gedächtnis eines Menschen löschen, ist noch recht ungefährlich, aber öfters, zersplittert es die Seele und der Betroffene wird wahnsinnig. Da frage ich mich, wer hier eine grausame Bestie ist? Ihr mein Master oder ich. Aber es gefällt mir. Ihr spielt mit der Seele und mit dem Körper dieses Jungen«, mischte ich mich ein und blickte Lee angewidert an. Vor allem weil es meine Seele war und ich ihm hoffnungslos verfallen war. »Genau, wie ich es tu. Ich nehme mir den Körper und dann die Seele, sobald ich beides habe, gönne ich mir das einzige Wichtige, das nur demjenigen gehört. Sein Leben. Ich töte ihn und lasse mein Opfer nicht dahinvegetieren, um mich immer wieder an ihm zu verköstigen.« Lee erschrak. So hatte er es noch nicht gesehen.

»Was weißt du schon?«, schnauzte er mich an und ich blickte kurz zu Jli, die zitternd an Kiel hing.

»Bitte entschuldigt mich, aber dieser Duft der Angst erregt mich. Lange kann ich mich nicht mehr zurückhalten! Ruft mich, wenn Ihr Euch auf dem Weg zum Konsulat macht«, zischte ich und verschwand.

 

Da meine Gier gestillt war und ich mir längst den Fernseher besorgt hatte, zappte ich kurz durch die Programme und schaute auf meinem Wecker. Bis zu diesem Treffen im Konsulat hatte ich noch ein paar Stunden Zeit und legte mich wieder aufs Bett. Ich nahm ein Buch zur Hand und fing zu lesen an. Nebenher lief der Fernseher.

Nach einer Weile klopfte es an meiner Tür und ich roch ihn bereits. Seit ich dieses Doppelleben führte, schaute ich darauf, dass meine Sinne nicht wieder so abstumpften. Trotzdem fragte ich, wer an der Tür war. »Galant! Ich bin es Lee!« Seine warme Stimme erfreute meine Lenden. Alles! Jede einzelne Zelle schrie nach ihm. Seit dem letzten Schultag waren wir zusammen und ich hatte seither nichts vergessen. Anscheinend hielt er sein Wort.

Wieder klopfte es und ich öffnete die Tür. Ich sah in seine Augen und konnte es nicht mehr erwarten, dass er mich in seine Arme nahm. Sanft küssten wir uns, lange dauerte es nicht, bis wir uns ins Bett begaben und uns unserer Leidenschaft hingaben.

»Du bist so süß, wenn du so stürmisch bist!«, flüsterte er mir in das Ohr.

»Ich sehe dich so selten.«

»Jetzt komm mir nicht so, mein kleiner Galant. Ich habe dir angeboten, die Ferien über bei mir zu schlafen.«

»Ich weiß, aber …«

»Du hast Angst, dass wir erwischt werden. Darüber brauchst du dir keine Gedanken machen, meine Familie weiß es bereits«, sagte er und ich schaute ihn verdattert an.

»Sie wissen es?«

»Ja was denkst du denn? Dass ich schwul bin, wissen sie schon, seit ich dreizehn war. Außerdem möchte meine Familie dich gerne kennenlernen!«, sagte er zwischen einigen Küssen und ich hielt inne. Irgendwie fühlte ich mich mit dem Gedanken unwohl und drehte mich von ihm weg. Unwohl war wohl nicht das richtige Wort. Es war eher gefährlich. Das ständige Wechseln meines Ichs könnte bei seiner Familie schneller auffallen, als das es mir lieb war.

»Lee ich weiß nicht so recht.«

»Warum denn nicht? Lass uns doch die letzten zwei Wochen der Ferien zusammen verbringen, dann haben wir eh nur noch wenige Chancen uns zu sehen. Gut, durch den Maschendrahtzaun können wir uns jeden Tag sehen, aber unser Haus hat die Regeln verschärft. Wir dürfen nach Sonnenuntergang das Gelände nicht mehr verlassen.«

»Ja, von dieser Regel habe ich auch schon gehört, aber …«, ich hielt inne und blickte in seine strahlend blauen Augen. »Aber wenn ich das Angebot annehme, dann könnte ich ... Dann könnte ich natürlich diese Regel umgehen«, sagte ich erfreut und strahlte ihn an.

»Welches Angebot?«

»Professor Danhouer hat mir einen Posten als Lehrkraft angeboten. Irgendwie kam er mit dem Gedanken nicht zurecht, dass sein Unterricht eine einschläfernde Wirkung auf mich ausübt«, lachte ich und Lee lachte mit.

»Du bist wirklich in seinem Unterricht eingeschlafen?«

»Ständig! Eigentlich immer!«, sagte ich und stand vom Bett auf, um am Fenster eine Zigarette zu rauchen.

»Du solltest das Rauchen sein lassen!«, sagte er und ich zuckte mit den Schultern.

»Lee! Ich weiß nicht, wann ich das Rauchen angefangen habe, ich kann mich an nichts mehr erinnern, was über ein Jahr her ist. Ich erinnere mich nur noch, dass ich im Krankenhaus aus dem Koma aufgewacht bin. Was war, ist nur Leere. Ich weiß nicht, ob mein Name Galant Laurey ist und an meine Eltern kann ich mich auch nicht erinnern. Lee ich habe mein Gedächtnis verloren. Verschiedene Schulen habe ich besucht, doch alle haben mich wieder rausgeworfen, weil ich zu intelligent bin. Selbst eine Elite Universität hat mich nach dem ersten Tag rausgeschmissen und den Professoren Titel gleich hinterher. Plötzlich interessierte sich jeder für mich. Besonders Wissenschaftler. Ich und ein Wunderkind. Gott!«, log ich und schlug mir die Hand an dem Kopf. »Das Einzige was ich habe, ist ein fotografisches Gedächtnis. Als ich das erkannte, war ich darauf bedacht, dass ich von da wegkam. Hab alles liegen und stehen gelassen und bin hierher gekommen. Dann sah ich dich im Lokal und hatte das Gefühl, das ich dich von irgendwoher kenne«, erzählte ich ihm und er schaute mich geschockt an. Ich hatte keine Ahnung, welche Geschichte ich ihm früher erzählt hatte und in meinen Träumen kam nichts vor, was mit meiner Vergangenheit zu tun hatte, aber diese Variante schien ihm neu zu sein.

»Du hast ein fotografisches Gedächtnis?«, fragte er mich und ich nickte. Nebenbei drückte ich meine Zigarette aus.

»Ja! Ich brauche mir nur eine halbe Stunde zuvor den Stoff anschauen und ich merke es mir zu 100 % für die nächsten 72 Stunden, dann lässt es nach. Aber es bleibt immer etwas hängen« meinte ich schulterzuckend. »C’est la vie! Ich beherrsche außerdem noch fünf Fremdsprachen«, ließ ich dann noch nebenbei verlauten, aber dass ich die Sprachen und einiges mehr über Jahrhunderte erlernt hatte, behielt ich für mich.

»Ich bin ja mit einem richtigen Streber zusammen!«, stänkerte er und ich legte mich wieder unter die warme Decke. »Pah! Du bist kalt und du stinkst nach Rauch.« Meine Hände fuhren über seinen Oberkörper, hinauf zu seinem Kinn und ich zog ihn zu mir heran. Sanft berührten sich unsere Lippen. »Geh weg!«, stänkerte er weiter und hielt sich die Nase zu. Es gelang mir trotzdem, ihn dazu zu bringen, mir das zu geben, was ich von ihm wollte. Diesmal war es nicht nur reine Begierde, sondern heiße Leidenschaft und es verlangte mich nach immer mehr.

 

Lee war gegangen und ich machte mich fertig für den nervigen Auftritt im Konsulat. Nun brauchte ich nur noch zu warten, bis er mich rief. Kurz schaute ich in den Spiegel und verwandelte mich. Mein Spiegelbild verschwand.

»Na toll! Das habe ich ja ganz vergessen.«

Notgedrungen band ich mir blind die Haare zusammen, ließ aber einige Strähnen über mein Gesicht fallen. Selbst zusammengebunden fielen mir die Spitzen bis zum Boden. Ich schaute noch mal an mir herab und musterte mein Aussehen. Ein schwarzes T-Shirt und eine dunkle Jeans hatte ich angezogen, sowie schwarze Stiefel.

»Prima! Und für dieses Aussehen habe ich über 50 Kröten bezahlt. Man-o-man, warum mussten meine ganzen Designersachen in Flammen aufgehen?«, schwelgte ich in der Erinnerung, atmete tief ein und verfluchte das Weib, die mir den sogenannten Gnadenstoß gegeben hatte. »Aber es war wirklich Zeit von der Bildfläche zu verschwinden. In diesem Punkt gebe ich dir sogar mal recht, Vater!«

 

Aus einem Karton, den ich unterm Bett versteckt hatte, holte ich einen schwarzen Ledermantel hervor, den ich vor dem Feuer retten konnte und einige Waffen, die ich sorgfältig im Mantel verstaute.

Das Konsulat betrat man nicht ohne Bewaffnung, das lehrte mich die Vergangenheit. Kurz blickte ich auf einen Dolch und berührte ihn mit meinem Zeigefinger. Ein fürchterlicher Schmerz durchströmte meinen Finger und ich zog ihn weg. »Laura - du verlogene Schlampe. Für dich hätte ich alles aufgegeben! Komm in meine Finger und ich reiße dir die Kehle auf!«

»Light!«, riss er mich aus den Gedanken. Daran würde ich mich wohl nie gewöhnen und sprang aus dem Fenster. Sicherlich könnte ich ein Portal öffnen, um den Wächtern aus dem Weg zu gehen, aber warum sollte ich auf etwas Spaß verzichten. So rannte ich durch die Stadt über das Universitätsgeländer und mit einem Satz überwand ich den elektrischen Maschendrahtzaun. Kurz spürte ich ein Ziehen, das von der Barriere herkam und die Umgebung veränderte sich. Lee´s Universität sah nicht mehr wie ein normales Universitätsgebäude aus, sondern hatte den Stil eines alten Schlosses angenommen. Meine Güte noch klischeehafter konnten sie es nicht halten. Das war vor vielen Hundert Jahren modern, aber in der heutigen Zeit? Ich konnte es echt nicht glauben. Dennoch atmete ich verdrossen ein, weil ich die Veränderung nie mitbekam, wenn ich als Mensch unterwegs war. So stark war meine Wahrnehmung eingeschränkt. Nun kam ich an eine stärkere Barriere, die mich mit Blitzen begrüßte. Mir blieb wohl doch nichts anderes übrig und ich öffnete ein Portal. Sollte kein Problem darstellen, da Lee mich gerufen hatte.

 

 

»Starke Energie auf dem Gelände!«, sagte ein Wächter.

»Auf dem Bildschirm!«, befahl Dr. Vangil und alle blickten zum Monitor.

»Was ist denn das?«, schoss es aus Bruce raus.

»Ein Vampir!«, rief Dr. Vangil. »Alles in Bereitschaft.«

»Nein halt! Es ist Lee´s Dämon!«, rief die Rektorin. »Er hat ihn gerufen.«

»Lee´s Dämon ist ein Vampir? Aber Vampire können nicht gebannt werden! Sie sind die Könige unter den Dämonen!«, sagte Dr. Vangil. »Es ist einfach unmöglich! Von wo …!«

»Er ist durch ein Portal!«, sagte der Wächter wieder.

»Wo öffnet sich das Portal wieder?«

»Hier im dritten Obergeschoss!«

»Lee´s Zimmer!«, sagte die Rektorin.

»Wächter in Bereitschaft. Umgebung und die Universitätsstadt untersuchen. - Warum hat mir keiner gesagt, dass hier ein Vampir rumläuft. - Alle Schüler zur Untersuchung!«, befahl Dr. Vangil und fluchte.

 

Kaum in Lee´s Zimmer angekommen, befahl er mir, ein weiteres Portal zu öffnen, das uns ins Rektorat dieser Universität befördern sollte. Lee und ich schritten durch das von mir geöffnete Portal und mein Master erschrak, als plötzlich Waffen auf uns zielten. Viele Wächter stürmten auf mich zu und zerrten mich zu Boden. Schläge hagelten auf mich ein und ich hörte nur ›wehr dich nicht‹. Irgendwann, als ich mich nicht mehr rühren konnte, wurde ich an den Haaren nach oben gezerrt. Meine Hände waren fixiert und Blut lief mir aus dem Mund, das ich herausfordernd ableckte. Mit abfälligem Blick schaute Dr. Vangil mich an und ich grinste.

»Was sollte das?«, fragte Lee den Doktor.

»Was sollte was? Sie wissen es ganz genau! Er ist ein Vampir!«

»Das weiß ich selbst und Sie wissen, wenn er sich gewehrt hätte, würde keiner mehr stehen.«

»Wo ist das Mahl. Wenn Sie ihn wirklich gebannt haben, dann muss irgendwo auf seinem Körper das Mahl sein.«

»Wo befindet sich das Mahl?«, fragte Lee mich.

»Oberhalb der linken Brust!«, säuselte ich und der Doktor zerrte mir das T-Shirt hoch.

»Weiter!«, hauchte ich und tat so, als ob es mich erregte. Kurz betrachtet er das Mahl und zog das Shirt wieder runter.

Ohne ein weiteres Wort befahl er seinen Männern, mich wieder loszulassen. Langsam entspannte sich die Lage, und als sie sich auf den Weg zum Konsulat machten, lief ich hinter Lee her.

Das Gebäude war auch mit einer Barriere versehen, und Lee´s Mutter machte eine Handbewegung. Sie schritt als Erstes durch und ein Falke erschien auf ihrer Schulter. Professor Danhouer, Dr. Vangil, Lee´s Bruder und zum Schluss wir, folgten ihr. Sorgfältig schloss sie die Barriere wieder hinter unserem Trupp.

»Mir wäre es wirklich lieber, wenn sich Ihr Dämon auch in der äußeren Welt unsichtbar machen würde«, sagte Dr. Vangil zu Lee.

»Ich werde mit ihm reden.«

»Tzz! Diesen Gefallen kann ich nicht erfüllen. Dies ist ein von der Natur gezeugter Körper. Nur das Blut, welches ich zu mir nehme, erhält mich am Leben. Wir fallen zwar unter die Kategorie Dämon, doch in Wirklichkeit sind wir Abkömmlinge der Menschen.«

Ich ging an Dr. Vangil vorbei. »Ich bin kein Dämon. In mir ist der Dämon«, flüsterte ich und der Doktor schwankte.

Wie automatisch öffneten sich die Tore des Konsulats und wir traten ein. Überall liefen Menschen hektisch auf und ab. Neben ihnen oder hinter ihnen, ihre Dämonen. Ein Mann diktierte einem Stift etwas und dieser schrieb es auf ein schwebendes Blatt. Das war also das Konsulat, wo Magier, Zauberer, Hexen und Dämonenmaster zu Hause waren. Wo die ganze magische Welt regiert wurde und ich blickte mich um. Ich war bisher nur einmal in diesem Gebäude und konnte es nur knapp lebend verlassen. Recht viel verändert hatte sich nicht. Sicherlich wurde es modernisiert und die Fackeln an den Wänden wurden durch Leuchter ersetzt. Der Steinboden wich dem Marmor und die luftigen Fenster bekamen Glasscheiben. Überall standen Computer und eine Frau kam auf uns zu. Der Aufprall ihres Schrittes kam mir bekannt vor und ich wich hinter Lee. Dann löste ich meine Haare und sprach zu ihm: »Master diese Frau ist gefährlich. Wer ist sie?« Er schaute mich ungläubig an.

»Laura Marx! Sie ist die Stellvertreterin des obersten Konzils!«, hörte ich ihn in meinen Gedanken.

Laura! Sie einer an. Eigentlich hatte ich mir geschworen sie zu töten, sollte sie mir noch einmal über den Weg laufen, doch in meiner momentanen Situation wäre dieses Vorhaben ungünstig.

»Master, mit ihr ist nicht zu spaßen, sie hat die Fähigkeiten magische Banne aufzuheben und falsch angelegte zu durchschauen.«

»Wie kommst du darauf?«

»Sie ist die Person, die meinen Namensvetter ermordet hat. Bitte helft mir. Wenn sie mich sieht, werde ich meinen zweiten Schöpfer, dem Teufel, ins Antlitz schauen.«

»Ich verstehe dich nicht!«

»Master, ohne Eure Befehle kann ich mich gegen diese Frau nicht wehren«, sagte ich und bei jeder Bewegung, die er machte, ging ich mit.

»Gut. Aber erkläre es mir schnell.«

»Laura und ich wir waren zusammen, sie hat mir den Silberdolch in die Brust gejagt. Das war vor einem Jahr. Eigentlich wollte ich einige Jahrzehnte verstreichen lassen, bevor ich mich wieder sehen lasse, doch Ihr habt mich gerufen, und ich wurde zu Eurem Diener.« Verdattert blickte er mich mit großen Augen an.

»Du bist also doch der, welcher Light Dark genannt wird!«

»Ja! Ich habe es überlebt. Helft ihr mir, oder nicht? Es kommt Euch zugute.«

»Was bekomme ich dafür, wenn ich dir helfe.«

»Was wollt Ihr?«

»Ich will deine menschliche Gestalt sehen.« Ich zuckte zusammen und ein ›Tzz‹ kam über meine Lippen. »Dann kannst du es vergessen.«

»Okay. Ich werde sie Euch zeigen, doch könnt Ihr Euch im Moment mit meinem richtigen Namen begnügen?«

»Du sagtest, du hast keinen.«

»Doch, es ist der Name, den ein jeder von seiner Mutter bekommt.«

»Aber …!«

»Ich weiß, was ich gesagt habe, und es war gelogen. Jeder Vampir erinnert sich an seinen richtigen Namen. Er ist ein Teil des menschlichen Daseins, welches wir nicht aufgeben und erinnert uns immer daran, wie wir als Mensch waren. Das erweckt die Sehnsucht zu leben.«

»Okay! Sag ihn mir.«

»Noch eins. Liebt Ihr diesen Jungen. Galant Laurey?«, schoss es aus mir heraus und er schaute mich fragend an.

»Wie kommst du darauf?«

»Eure Gedanken sind voll von ihm. Sagt es mir, dass ich sie vor mir verschließen kann.«

»Ja! Ich liebe ihn.«

»Gut. Simon Darkness.«

»Darkness?«

»Simon Darkness. Das ist mein richtiger Name.« Doch weiter konnte Lee mich nicht mehr ausfragen, denn Laura war inzwischen bei uns und begrüße die Gruppe. Sie unterhielt sich mit Lee´s Mutter und blickte zu Lee. Als sie mich hinter ihm sah, kam sie auf uns zu.

»Hallo Lee. Du bist groß geworden. Schön dich hier zu sehen. Du hast einen Freund mitgebracht?«

»Nein Laura, er ist mein Dämon«

Ich spürte, wie sie in meine Gedanken eindrang, die ich abblockte.

»Lee, ist er wirklich dein Dämon? Ich spüre keine magische Verbindung zwischen euch.«

»Ja ist er, muss man so etwas spüren?«

Sie ging auf seine Gegenfrage nicht ein.

»Wie ist sein Name?«

»Den werde ich nicht verraten.«

»Er ist ein Vampir. Ich möchte gerne wissen, wie du es geschafft hast. Oder er folgt dir freiwillig, aber das ist für dich dann tödlich«, sagte sie und sah forschend in mein Gesicht. Viel konnte sie nicht erkennen, da meine Haare es fast vollständig verdeckten. Ich ging einen Schritt weiter nach hinten. Lee sah meine Anspannung und seine Stimme hallte in meinen Kopf nach.

»Jetzt komm endlich wieder runter. Wie du siehst, habe ich dich nicht verraten. Du schuldest mir was.«

»Ich? Euch was schulden?«

»Okay, wenn du es so meinst, dann will ich gleich deine menschliche Gestalt sehen!« Ich erschrak und Laura blickte ernst zu Lee.

»Was hast du zu ihm gesagt?«

»Nichts Besonderes, außer das ihn eine Strafe erwartet, wenn er etwas machen sollte.« Das war gelogen. Warum log er?

»Eine Strafe? Einen Vampir kann man nicht bestrafen.« Lee zuckte mit der Schulter und ich überlegte, ob ich von hier fliehen sollte. Das Weib ging mir auf die Nerven und es juckte mich, ihr an die Gurgel zu gehen. Sehr leicht konnte ich die paar Angestellten und die Magier besiegen, doch konnte ich Lee einfach zurücklassen? Auch wenn ich mir einredete, fliehen zu wollen und mir viele Möglichkeiten durch den Kopf gehen ließ, mein Körper wollte nicht gehorchen.

»Sag mir noch eins, Lee. Wie alt ist er?«, wieder zuckte er mit der Schulter.

»Kannst du die Frage beantworten?«

»Kommt drauf an, welches Alter sie wissen möchte«, gab ich zurück und er schaute mich an. Obwohl sie gefasst wirkte, irgendetwas an mir schien sie zu beunruhigen. Wieder trat sie einen Schritt näher.

»Dann formuliere ich es anders, wie lange verweilst du schon als Untoter.«

»Knapp 2000 Jahre!«, antwortete ich und sie sog scharf die Luft ein.

»Das ist wohl ein Witz! Nur die Königsfamilie kann auf eine so lange Lebensspanne zurückblicken.«

»Light! Was geht hier ab?«

»Simon!«

»Simon, entschuldige.«

»Sie versucht mich, aus der Reserve zu locken. Sie provoziert mich. Sie versucht, während sie sich mit Euch unterhält, in meine Gedanken zu dringen.«

»Block sie ab!«

»Das tue ich bereits, doch sie lässt sich davon nicht beirren.«

»Gibt es eine Möglichkeit, dass sie aufgibt?«

»Natürlich, Ihr müsst mir gewähren, meine Fähigkeit einzusetzen.«

»Dann mach es.«

»Gerne!« Um mich herum verschwand alles, nur ihr Gesicht blieb vor meinem Auge, und von weit her hörte ich, wie jemand ständig ihren Namen rief.

»Möchte zu gerne wissen, welchen Traum sie hat!«, flüsterte ich.

 

Die Zeremonie, für die Lee in das Konsulat eingeladen wurde, war schnell vorbei. Ich lehnte, weit hinten, mit verschränkten Armen an einer Wand und ignorierte die neugierigen Blicke der verschiedenen Dämonen.

War die Zeremonie schon langweilig, der inoffizielle Teil übertraf es bei Weitem und ich gähnte vor mich hin. Lee wurde von vielen Mädchen, die mit ihm die Masterprüfung absolviert hatten, belagert und ihm schien es zu gefallen, so angehimmelt, im Mittelpunkt zu stehen.

»Sag mal, wirst du an den Masterwettkämpfen auch teilnehmen? Das Preisgeld ist ja der Wahnsinn.«

»Ich weiß es noch nicht, irgendwie ein Champion zu sein ist schon was Tolles, aber die Welt draußen außerhalb der Barriere muss beschützt werden. Ich denke, ich werde mein Können der Allgemeinheit darbieten.«

»Tzz! Darbieten, was für ein Ding. Egal wie, ich bin mit keinem von beidem einverstanden. Obwohl ein paar schwarze Schafe erledigen, könnte die Zeit etwas verkürzen! Lee und ein Jäger? Tja wäre interessant, sadistisch veranlagt ist er ja. Ein bisschen«, hing ich meinen eigenen Gedanken nach.

 

Von einem anderen Gespräch hörte ich, das ein gewisser Lord im Moment die Außenwelt tyrannisierte und seit einigen Wochen viele mordgierige Dämonen um sich scharte. Er sollte sogar noch gefährlicher als Light Dark sein. Als ob ich jemals gefährlich war! Ich hatte immer darauf geachtet, dass fast keine Unschuldigen zuleide kamen. So weit es meine Gier zuließ. Nicht die Gier in meinem Innern, sondern vielmehr die Habgier. Ich besaß ein tolles Auto, Mädchen so viele ich wollte, eine edel eingerichtete Wohnung. Viele Kleinganoven, die ihre Hände nach mir ableckten, nur um einen Krümel von meinem Kuchen zu bekommen scharten sich um mich. Tja, und dann kam ein Ding nach dem anderen. Viele gönnten mir meinen Aufstieg in der menschlichen Unterwelt nicht. Und dann kam auch noch Laura ... Nun, ja! Mein kleiner Traum schien noch auf sie zu wirken, denn sie sah mich nicht.

Ich schmunzelte in mich hinein.

 

Masterklasse

Wie viele Tage waren inzwischen wieder vergangen? Ich hatte keine Ahnung. Mir war es egal. Für mich zählten nur, die warme Haut, die sanften Küsse und die vielversprechenden Berührungen.

Ich liebte die Figur Galant Laurey. Er war ein unschuldiger, blasshäutiger siebzehnjähriger Junge, der sich ihm nicht verwehren konnte. Ihm, der auch mein Master war. Er übte eine Macht aus, die in mir alles zerriss. Ich spürte Leid, wenn er mich nicht berührte. Ich spürte Zorn, wenn er mich nicht ansah. Ich spürte Angst, wenn er nicht bei mir war. Alles in mir schrie nach ihm, und wenn er hier war, erfüllte es mich mit Schrecken.

 

Genauso wie in dieser Nacht. Lange lag ich wach, und als am Horizont die ersten Sonnenstrahlen das Leben weckten, stand ich auf und zündete mir eine Zigarette an. Der Fernseher war seit Tagen nicht mehr angestellt worden. Am Boden ungelesene Bücher sowie lose Blätter und Unterlagen, die mir Professor Danhouer hatte zukommen lassen.

Noch immer hatte ich nicht Bescheid bekommen, in welchem Haus ich unterrichten sollte. Es war mir egal. Ich atmete die frische Morgenluft tief ein. Wie viele Tiere waren in der letzten Nacht gestorben? Ich roch noch ihr warmes Blut und spürte, wie meine Gier erwachte. Kurz schüttelte ich mich und schloss das Fenster.

Als bekannt wurde, dass ein Vampir die Rehe gerissen hatte, hatte mein Master mir verboten, auf die Jagd zu gehen. Wieder ein Leid mehr, das ich für ihn auf mich nahm.

 

Ich ging in meine kleine Küche, setzte Kaffee auf, zündete eine Zigarette an und starrte auf den Wecker. In Gedanken zählte ich die Sekunden und bekam ein leichtes Hochgefühl, dass die digitalen Minutenzahlen genau, als ich bei sechzig ankam, umschalteten. Dieses sinnlose Spiel wiederholte ich ein paar Mal, bis es mich nervte. Nachdem ich meine erste Tasse Kaffee getrunken hatte, stieg ich unter die Dusche. Lange ließ ich das warme Wasser über meinen Körper fließen und schaute an mir herab. Überall waren die Spuren seiner Liebe. Diejenigen, welche bereits verblasst waren, und die, die vor einigen Tagen dazugekommen waren. Vor einigen Tagen …

Langsam sank ich auf die Knie und nahm meinen Kopf in die Hände. Es zerriss mein Herz, wenn er mich so lange allein ließ. Leider brachte es nichts, in Mitleid zu versinken, denn es war mein Wunsch, die restlichen Ferien in meiner kleinen Wohnung zu verbringen und die paar Minuten, wenn er mich als Dämon rief, reichten nicht aus, um mein Verlangen zu stillen. Er sah wirklich nur den Dämon und nichts war von dem Lee, der Galant liebte, zu spüren.

 

»Guten Morgen!«, begrüßte ich die Professoren, Rektoren und Lehrer der verschiedenen Universitäten und war überrascht, dass es so viele waren.

Kurz wurde über die neue Regelung gesprochen und das am Ende des 2. Semesters wahrscheinlich wieder einige Tore, wenn nicht alle, geöffnet werden sollten. Doch die Mehrzahl sah darin ein kleines Problem. Wo sollte der Platz für Tausende Schüler hergenommen werden. Dieser Punkt wurde sogleich unterm Tisch fallen gelassen und sie beschränkten sich auf jeweils zwei bis vier Universitäten.

Im Vordergrund dieser alljährlichen Konferenz, wie es Professor Danhouer nannte, der sich als mein Mentor aufspielte, stand ein sportliches Ereignis. Da ja dieses Jahr viele Studenten in verschiedenen sportlichen Aktivitäten unterwegs waren, musste diesbezüglich besser geplant werden. Im Großen und Ganzen ging die Konferenz schnell über die Bühne, da es nur einen Sprecher gab, der die ganzen Punkte ansprach und diese mit Handzeichen entschieden wurden.

 

Nach der Konferenz kam Lee´s Mutter auf mich zu und schüttelte mir die Hand. Sie faselte irgendetwas über Dinge, die mich nicht interessierten und das sie sich darüber freuen würde, und, und … Blabla. Dabei zog sie mich mit. Sie redete ohne Unterlass, bis ich begriff, dass ich in ihrem ›Haus‹ unterrichten sollte.

»Na toll!«, dachte ich mir. Was Besseres hätte mir nicht passieren können. Ein ›Normalo‹, der außerdem noch ein ›gebannter‹ Dämon war, unterrichtete in einer Magierschule. Na, wenn das nicht tolle Aussichten waren! Scheinheilig tat ich erfreut, damit sie nicht enttäuscht war.

»Galant, du wirst das erste Jahr der Masterklasse übernehmen.«

»Ganz?«, fragte ich und sie nickte.

»Natürlich! Ganz! Es war gerade eine Stelle frei.«

»Ähm! Was ist eigentlich eine Masterklasse?«, fragte ich unschuldig und sie lächelte.

»Eine Uniklasse«, antwortete sie wahrheitsgemäß und gluckste. »Ich weiß es hört sich dumm an, aber da es eine Eliteuniversität ist, und wir den Studenten damit mehr Selbstvertrauen vermitteln wollen, hat sich der Name mit der Zeit so eingebürgert.«

»A-ha!« Dass es sich dabei aber um Magier und Dämonenbändiger - Master handelte, behielt sie für sich. Warum sollte sie diese Tatsachen einem ›Normalo‹, auch auf die Nase binden? Er würde einen Lachkrampf bekommen und danach sehr wahrscheinlich tot umfallen.

»Wie sind die Jahrgänge der Studenten?«, fragte ich weiter, bevor ich mich selbst verriet und sie gluckste wieder.

»Sie sind alle älter, als du.«

»Ah ja!«

»Keine Sorge, es sind tolle Studenten und Lee ist auch in der Klasse.« Ich schluckte. Das konnte nicht wahr sein. Wie um Himmelswillen sollte das denn funktionieren?

Sie führte mich durch viele Gänge. Einige Studenten liefen an uns vorbei und sie machten nicht den Eindruck auf einer Magierschule zu sein. Wahrscheinlich war ich nicht der erste oder einzige Normalo, der hier unterrichtete. Kurz kramte sie in ihrer Handtasche, schloss eine Tür auf und wir betraten den Raum.

»Das hier ist dein Büro und diese Tür führt dich ins Klassenzimmer. Die Studenten benutzen die Tür, die neben deiner Bürotür ist. Auf deinem Schreibtisch habe ich dir die Akten deiner Studenten gelegt und den Stundenplan sowie den Lehrplan. - Ah! Hier, das sind jetzt deine Schlüssel.« Sie überreichte mir die Schlüssel, an denen ein kitschiger Anhänger hing.

»Danke!«, murmelte ich und ich fühlte mich, als hätte man mich ins kalte Wasser geschmissen.

»So! Herzlich willkommen!« Plötzlich drückte sie mich an sich, dann verschwand sie und ließ mich, in diesem großen Raum, allein. Der Raum war so groß, dass noch zwei ganze Klassenzimmer darin Platz gehabt hätten.

Ich schaute mich um und studierte kurz die Bücher im Regal. Es schien, als hätte man sie erst vor Kurzem ausgewechselt. Auf dem Schreibtisch lagen Locher, Bleistift, Füller und sogar einen Laptop. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht und ich spielte mit dem Gedanken, dass ich den Lappi nach dem Unterricht mitnehmen würde.

Ich blickte auf die Wanduhr, und da ich noch ein paar Minuten Zeit hatte, bis die ersten Studenten kamen, ging ich den Stoff durch, den ich unterrichten sollte. Anschließend studierte ich die Akten der Studenten. Erst danach betrat ich das Klassenzimmer. Es war nicht so groß wie mein Büro. Noch waren keine Studenten da und ich sah mich um.

Auf jedem Tisch stand ein etwas älteres Modell eines Laptops. Die Tafel war zugeklappt und ich strich mit dem Zeigefinger über mein Pult. Auch hier durchsuchte ich die Schubladen, die genauso leer waren und nur darauf warteten, mit sinnlosem Klump gefüllt zu werden. Danach setzte ich mich auf den Stuhl, der sehr bequem war, und schaute mich noch mal um.

Dieses Klassenzimmer unterschied sich nicht von anderen, die ich bisher sah und ich war ein bisschen enttäuscht. Ich hatte mir von einer ›Masterklasse‹ schon etwas mehr erhofft und doch war ich in gewisser Weise, erleichtert. Ich stand auf, ging zur Tür und sperrte sie auf. Dann lief ich zurück zur Tafel, klappte sie auf und schrieb meinen Namen in einer fremden Schrift auf. Verschiedene Schriften und ihre Ursprünge waren in meinem Lehrplan vorgesehen. Warum also nicht gleich damit anfangen.

 

Als die ersten Studenten schnatternd das Zimmer betraten, saß ich an meinem Pult und las in einem Buch. Einige kicherten, als sie mich sahen und ich vernahm öfters ›Normalo‹. Ich schmunzelte in mich hinein, denn ich hatte beschlossen, Galant Laurey, den schüchternen, schwachen Student abzulegen und Professor Laurey ins Leben zu rufen.

Die Schulglocke läutete und ich sah, dass noch immer einige Studenten fehlten und so las ich weiter. Drei, um genau zu sein. Lee, Jli und Kiel. Im Klassenzimmer herrschte der übliche Lärm und ich beobachtete, dass sich die fehlenden Studenten endlich zu ihren Plätzen bequemten. Allerdings erst, als sie bemerkten, dass ich, ihr Lehrer, schon längst da war.

»Ms. Feiler! Sie sind als Letzte in das Klassenzimmer gekommen, würde Sie bitte die Tür schließen? Oder sind Sie der Meinung, dass Sie noch auf einen Geist warten wollen?«, sagte ich, ohne aufzuschauen und die Studenten zuckten zusammen. Obwohl ich leise gesprochen hatte, übertönte meine Stimme ihre Unterhaltungen und sie waren sofort still. Wahrscheinlich wurde ein Zauber gesprochen, dass die Stimme des Lehrers jeden zu übertönen vermochte. Oder, was ich wohl eher in Betracht zog, war, dass ich unbewusst meine Fähigkeit eingesetzte hatte. Wobei ich an dieser Möglichkeit zweifelte, denn in meiner menschlichen Gestalt konnte ich meine Magie nur bedingt einsetzen. Ich klappte das Buch zu und schaute mich in der Runde um. Stark musste ich mir das Lachen verkneifen, als ich Lee´s überraschtes Gesicht sah. Ich stand auf und trat vor die Tafel.

»Herzlich willkommen im ersten Jahr der Masterklasse. - Als Erstes möchte ich darum bitten, dass Sie das Sprachenlehrbuch Nummer 13, Seite 5, aufschlagen. Wer es rein zufällig vergessen hat, kann sich leihweise eins aus dem Regal nehmen, oder beim Nachbarn mit reinschauen«, fing ich an und wartete. Ein Mädchen mit roten Haaren hob die Hand. Susan hieß sie und ich rief mir schnell ihre Akte ins Gedächtnis.

»Ähm! Wie sollen wir Sie ansprechen? Mr. Professor oder irgendwie anders?«, fragte sie und einige fingen zu lachen an. Ich gab bestimmt eine tolle Lachnummer ab. Zumal sie sich gedanklich unterhielten. Oder ihre Dämonen, die sich inzwischen auch schon alle eingefunden hatten, zu ihren Klassenkameraden schickten, um sich auf diese Weise mit ihnen zu unterhalten. Ja, es wunderte mich, dass ich sie sehen konnte. Daraus schloss ich, dass ich mich innerhalb der Barriere befand und das ›Haus‹ mich als Mitglied der Gemeinschaft ansah. Je nachdem.

»Es ist Ihre Aufgabe, das herauszufinden. Ms. Worms. Deshalb seien Sie so freundlich und schlagen das Sprachlernbuch Nummer 13, Seite 5, auf!«, sprach ich ruhig, aber bestimmend. Sie schaute mich leicht verdattert an. »Wie Sie sehen, besteht dieses Buch nur aus Schriftarten. Wenn Sie wollen, können Sie es kurz durchblättern. Eintöniger Stoff, nicht wahr?«, fragte ich, als ein Junge angewidert seinen Mund verzog. »Auf der ersten Seite finden Sie eine kurze Anleitung, wie dieses Buch zu handhaben ist. Aber das ist im Moment unwichtig, denn dafür bin ja ich da. Gut, kommen wir zurück zu Seite 5. Laut Überlieferung sind das die ersten Schriftzüge des Homosapiens. Eine schöne Schrift. Findet ihr nicht auch? Nur Bilder. Gehen wir weiter, da Sie nun wissen, um was es hier geht. Auf Seite 19 findet ihr die Schrift, die ich schon an die Tafel geschrieben habe. Es ist eure Aufgabe, eine kurze Erläuterung zu dieser Schrift und ihrem Ursprung abzugeben. Euren Namen in dieser Schrift auf den oberen rechten Rand zu ›malen‹, schreiben kann man das nicht nennen und natürlich herauszufinden, wie mein Name lautet. Ihr habt fünfzehn Minuten Zeit. Gruppenarbeit wird gerne gesehen.« Tief musste ich einatmen und doch unterdrückte ich das laute Ausatmen. Ich war doch nervöser, als angenommen. Hatte ich in der Vergangenheit immer nur alleine agiert, oder spielte mit den Menschen wie mit Marionetten, so war das hier ein ganz anderes Kaliber und ich setzte mich auf meinen bequemen Stuhl, bis Lee die Hand hob.

»Mr. Young!«, nickte ich ihm zu und er stand auf.

»Wir brauchen etwas Hilfe!«, bat er und ich ging zu der Gruppe, die aus Jli, Kiel, Lee und dem Mädchen Susan bestand.

»Wo ist das Problem?«

»Irgendwie hat jeder was anderes raus«, sagte Susan etwas genervt und ich kontrollierte es nach. Aus Lee´s Schlampermäppchen nahm ich mir einen roten Stift und strich die Fehler an.

»Ich glaube kaum, dass Sie Frosch heißen«, sagte ich zu dem Mädchen und sie wurde rot. »Charmant ist auch nicht mein Name, obwohl er ähnlich ist. Dieses Zeichen wird für eine Person verwendet, die sowohl charmant als auch arrogant wirkt. Dieses ist für elegant!« Ich zeigte kurz auf die Tafel. »Nehmen Sie den Punkt von dort weg und schauen Sie in die nächste Zeile. Jeder Schriftzug wird hier erklärt. Ihre Bedeutungen und Ableitungen«, erklärte ich und umkreiste den kurzen Absatz im Buch. Ich verbesserte die Schriftzüge und schrieb die Wörter, richtig übersetzt, unter dem Gekrakel der Schüler. Auf diese Weise erkannten sie, was falsch war und ging wieder zurück zur Tafel.

Obwohl das was ich gelesen hatte, wirklich dumm war und mich erheiterte, lachte ich nicht. Ich schnappte mir Kreide und schrieb meinen Namen auf die Tafel.

»Mein Name lautet, Professor Galant Laurey.« Nebenbei erklärte ich die einzelnen Schriftzüge und wie sie sich zu diesem Namen zusammensetzten. Natürlich konnte ich nicht gleich von jedem erwarten, dass er es verstand, und machte eine Hausaufgabe daraus. Langsam versiegte meine Nervosität und ich musste mir eingestehen, so als Lehrer, war es gar nicht mal schlecht.

»Haben Sie das studiert?«, fragte Susan mich ungläubig.

»In gewisser Weise ja, sonst wäre ich nicht hier und würde versuchen, es euch beizubringen.«

»Wie alt sind Sie denn?«, fragte sie weiter und ihre Augen strahlten mich an.

»Siebzehn!« Ich sah, dass sie sprachlos war und sich ziemlich stark beherrschen musste. Einige Funken strömten aus ihr und ich schloss daraus, dass sie eine Feuermagierin war. Das konnte noch heiter werden! Mir blieb nichts anderes übrig, als mich zur Tafel zu drehen, und meinen Namen wegzuwischen. Dennoch konnte ich es ihr nicht verübeln, sie war laut ihrer Akte 24 Jahre und nun ja ich ... Auch hörte ich, dass ihre Nachbarin versuchte, sie zu beruhigen.

»So, da wir den ersten trockenen Stoff hinter uns gebracht haben, kommen wir zu etwas Erfreulicherem. Die Geschichte der Mystik. Wer spielt Computerspiele?«, fragte ich lächelnd und die Studenten schauten mich fassungslos an. Dass was ich als erfrischend bezeichnete, war für sie eins der wichtigsten Dinge, um in der anderen Welt zu überleben, aber ich stellte mich dumm. Einige hoben ihre Hände und ich nickte. »Dann wissen Sie ja, was ich mit Mystik meine. Fantasie, Fabelwesen usw. Kommt in der Geschichte der Menschheit sehr oft vor, und viele Gute Nacht Geschichten für die Kinder, wurden darüber geschrieben. Doch der eigentliche Punkt ist der, dass es immer mit etwas Realem zu tun hat, dass nur etwas umgeändert wurde, um Angst und Schrecken zu verbreiten, oder auch, um Sehnsüchte zu stillen. Wir werden mit einem Fabelwesen anfangen, worüber sogar noch in der heutigen Zeit gesprochen wird. Das in Computerspielen und Filmen gezeigt wird. Der Vampir.« Jli zuckte bei diesem Wort zusammen. »Warum wird dieses Wesen Vampir genannt, woher kommt es, was ist der Ursprung? Die Meinungen gehen in dieser Beziehung weit auseinander und ich werde versuchen, Ihnen das, was in der Geschichte der Menschheit wiedergegeben wurde, zu vermitteln. Graf von Dracula auch Vlad Tepes genannt, was übersetzt Vlad der Pfähler heißt. Hat schon jemand was davon gehört oder darüber gelesen?«, fragte ich und es wurde ein reges Thema. Vermehrt bemerkte ich, wie einige zu Lee schauten, der wohl langsam vom Thema Vampir, genervt war. Natürlich gab ich zu diesem Thema auch eine Hausaufgabe mit auf den Weg und mein Unterricht war für diesen Tag erledigt.

 

Ich saß in meinem Büro und starrte auf einen Punkt an der Wand, als es klopfte. Sein Geruch eilte ihm voraus, ein Lächeln huschte über meine Lippen und ich bat meinen Gast hinein. Lee kam herein und setzte sich auf den Schreibtisch.

»Na Professor Laurey. Wie war Ihr erster Tag?«, fragte er mich und ich grinste ihn an.

»Ging!«, sagte ich und er drehte den Laptop zu sich.

»Anatomie des Menschen?«

»Ja, brauch ich, weil ich selbst noch ›Student‹ bin, und das wird von Professor Danhouer verlangt. Er schmeißt mir die Unterlagen hin und sagt, dass er sich irgendwann rühren wird, wenn ein Test ansteht …!« Lee lachte.

»Du überrascht mich immer wieder!« Er trat hinter mich und sanft berührten seine Lippen meinen Hals. »Du hast doch nicht wirklich die Schriftzüge studiert!«

»Nö hab’s mir heute erst angesehen.« Meine Stimme zitterte unter seiner Liebkosung.

»Verstehe! Fotografisches Gedächtnis.« Mit einem Ruck drehte er den Stuhl um die eigene Achse, sodass ich mit dem Gesicht genau vor ihm saß.

»Ja!« Unsere Lippen berührten sich.

»Was halten Sie von etwas Nachhilfe, Professor?«

»Könnte ich einrichten. Wo haben Sie ihre Probleme?«

»Leistengegend und die Blutzirkulation!«

»Muss ich erst nachlesen …!«

»Das brauchen Sie nicht, Sie beherrschen das perfekt.« Lee beugte sich zu mir runter und unsere Zungen trafen ausgehungert aufeinander. Ich nestelte an seiner Hose und half ihm, sie auszuziehen, ohne dabei den Kuss zu unterbrechen. Es selbst hatte meinen Reißverschluss geöffnet und massierte mich. Hart, prall und verlangend schaute mein Schwanz durch den Verschluss und Lee sank auf die Knie.

Ja, nicht mehr lange und schon stülpte er seine Lippen über mich. Die Reizströme ließen mein Denken versiegen und die Tage ohne ihn, forderten ihren Tribut.

Lee blickte hoch, leckte die restlichen Spuren ab, lächelte mich an und zog mich zu sich hoch. Ich spürte, wie unbefriedigt er noch war, doch für mehr ließ er mir keine Zeit und bugsierte mich bäuchlings auf meinen Schreibtisch. Öffnete meinen Knopf und die Hose rutschte wie von alleine nach unten. Meine Shorts folgten der Hose und ich spürte, wie er mir über die Rosette streichelte.

Nur ein Genussvolles ›hmm‹ hörte ich und schon überkam mich der Dehnungsschmerz, als seine Spitze, für mich viel zu langsam, in mich eindrang. Ich richtete mich in Position und drückte mich ihm entgegen. Er keuchte auf, aber er hatte es verstanden. Heftig, schnell und hart stieß er in mich, bis er zu seiner Erlösung kam. Danach lag er auf meinem Rücken, bis sich sein Herzschlag normalisiert hatte und er sich aus mir herauszog. Ohne weitere Zärtlichkeiten zogen wir uns an.

»Danke für die Lehrstunde …!«, sagte er und ging, doch in seinen Augen war etwas, was ich, als Galant Laurey, noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte. Nur dann, wenn er seinen Dämon rief. Konnte es sein, dass er es wusste? Unwahrscheinlich und doch, dieser strenge Blick. Kälte erfasste mich und dieses Gefühl war mir neu.

Mit diesem Gefühl ging ich heim und es begleitete mich bis zum nächsten Tag. Als ich das Klassenzimmer betrat, bemerkte es keiner der Schüler.

»Das gibt es doch nicht! - Was soll denn das? Ein Normalo ist ja alles gut und schön, aber er ist erst siebzehn. Er ist jünger als wir und vor allem lehrt er die alten Sprachen, die in der Welt der Menschen gar nicht existieren …!«, schimpfte Susan und zupfte an ihren roten Haaren.

»Er wird einer Gehirnwäsche unterzogen«, antwortete Jli. »Jedes Mal wenn er aus diesem Gebäude geht, erinnert er sich nicht mehr daran, was er unterrichtet hat.«

»So ein Schwachsinn!«, entgegnete Lee.

»Nichts Schwachsinn Lee. Das ist mein purer Ernst oder wie soll er sonst hier unterrichten können? Wegen ihm müssen wir alle schauen, das wir unsere Dämonen in Schach halten und die Magier dürfen keine Magie anwenden!«, warf sie wieder ein. »Oder was glaubt ihr, was Galant weiß?«,

Tief atmete ich ein und ging zum Pult. Sie hatten mich immer noch nicht bemerkt, oder wollten es nicht. Vor allem diese Unterhaltung, die sie führten, durften sie nicht führen.

»Professor Laurey heißt das und danke für Ihre Aufmerksamkeit. Die Glocke hat längst geläutet und wer seine Hausaufgaben noch nicht fertig hat, hätte bis jetzt die Möglichkeit dazu gehabt. Ms. Worms bitte sammeln Sie die Hausaufgaben ein, und legen sie auf mein Pult«, fing ich den Unterricht an und kritzelte irgendetwas an die Tafel. »Meine Damen und Herren, das ist ihre Aufgabe für die kommenden eineinhalb Stunden. Sie dürfen ihre Bücher zur Hilfe nehmen und in Gruppen daran arbeiten. Notieren Sie das bitte entsprechend, damit ich es richtig bewerten kann«, wies ich die Studenten an und war wieder auf dem Weg zur Tür.

»Was soll das?«, fragte Lee mich.

»Hab kurzfristig was zu erledigen, im anderen Haus. Das dürfte Sie nicht weiter stören!« Dann zeigte ich auf die Tafel. »Kommt in der Prüfung vor, also lernen Sie es!«, sagte ich der ganzen Klasse, und verschwand. Das wäre ja noch schöner, wenn ich ihnen anvertraut hätte, dass ich selbst eine Prüfung zu schreiben hatte.

Diesen einfachen Test hatte ich in weniger als einer halben Stunde fertig und ging wieder. Professor Danhouer schaute mir nur hinterher und schüttelte den Kopf.

 

In meinem Büro spürte ich einen Katzendämon. Er schien zu Susan zu gehören und ich tat so, als ob ich ihn nicht bemerkte. Gemächlich setzte ich mich an den Laptop und erinnerte mich, dass ich ja das Teil eigentlich mitnehmen wollte.

»Laurey ist wieder da, er ist in seinem Büro«, hörte ich die rothaarige Susan. Kratzte mir kurz am Kopf und wunderte mich, wie ausgeprägt nun meine Sinne plötzlich waren, und warf einen Blick auf die Uhr. Ich hatte noch etwas Zeit. Der Dämon verhielt sich ruhig und ich zappte durch das Internet, ob ich etwas Neues über Vampire herausfinden konnte. Was wohl eher unwahrscheinlich war, denn etwas zu finden, dass ich noch nicht wusste, war praktisch unmöglich. Ich wandle seit über 2000 Jahren auf der Erde und Vampire bekamen erst, als der Pfähler auf die Bildfläche erschien, ihren Namen.

 

»Was macht er?«, hörte ich Kiel.

»Noum sagt, er surft im Internet, über Vampire. Moment, er ist auf das dunkle Buch gestoßen.«

»Das dunkle Buch?«, fragte Lee zischend.

»Jetzt schaut er in das Regal, er steht auf. Er geht die Bücher durch. Er zieht sich einen Stuhl heran und holt ...Mein Gott, das dunkle Buch ist in seinem Büro ... er schmeißt es weg. Er hat irgendwas gemurmelt, dass wie Duplikat klang. Er geht zurück zu seinem Schreibtisch. Er telefoniert. - Galant Laurey mein Name, hätte gerne eine Info über ein Buch, welches ›Das dunkle Buch‹ genannt wird. Original: The Darkness. Geschrieben von Simon Darkness so um 1300. - Keine Einträge. - Ja, da wäre mir geholfen. - Ja, hab ich danke. - Er legt auf und wählt neu. Es ist keine Nummer von hier. - Mist, diese Sprache versteht Noum nicht. - Falkon?«, stieß Susan vor. Er spricht von Falkon. Noum hat ganz deutlich Falkon gehört. Der Prinz der Dunkelheit«, gab sie weiter und ein allgemeines Getuschel ging durch die Klasse.

 

Ich legte auf und schaute wieder auf die Uhr, dann nahm ich das Buch, das ich achtlos auf den Boden geschmissen hatte, und blätterte darin.

»Witz, Idiotie, Schwachsinn!« Ich rieb mir die Stirn, schüttelte den Kopf und das Buch landete im Papierkorb. Ich konnte es nicht fassen, dass dieses Buch, welches ich selbst geschrieben hatte, so verstümmelt werden konnte! Es war mir unverständlich, dass diese Ausgabe so auf die Menschheit losgelassen wurde. Wieder ließ ich meinen Blick auf die Uhr wandern und inzwischen waren die eineinhalb Stunden vorbei. Die Zeit passte und ich ging in das Klassenzimmer zurück.

Von Susan ließ ich die Arbeiten einsammeln und nahm das erste Blatt. Kurz las ich und musste ein Schmunzeln unterdrücken.

»Sieht so aus, als ob diese Gruppe ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Wenn das jetzt eine Prüfung wäre, würden alle, die darauf stehen, durchfallen«, sagte ich und hob den Zettel hoch. »Markus, würden Sie bitte den Projektor aufstellen.« Während er versuchte, den Projektor an die Steckdose anzuschließen, besah ich einige der Ergebnisse. Das Blatt mit dem besten Ergebnis nahm ich in die Hand. Doch zuvor musste ich noch weiter so tun, als ob ich von Markus nichts mitbekam, welcher schlussendlich seine Magie einsetzte und so den Projektor zum Laufen brachte. »Gruppe Jli, Kiel, Lee und Susan«, wandte ich mich ihnen zu. »Um es noch einmal zu verdeutlichen, auch wenn es erst der Anfang des ersten Semesters ist, haben wir dennoch nur ungefähr ein halbes Jahr Zeit, um dieses Buch komplett durchzuarbeiten. Ihr habt das Fach Schriftzüge und ihren Ursprung als eines eurer Hauptfächer gewählt, nehmt bitte diese Sache ernst! Was ich hier gelesen habe, ist nur Müll. Ihr hattet die Möglichkeit das Buch zurate zu ziehen und eine Gruppe zu bilden. Ihr hättet es auch gemeinsam mit der ganzen Klasse ausfüllen können. Das wäre kein Problem gewesen«, sagte ich und ging zum Projektor, der nun lief, auch wenn er keinen Strom bekam. Amüsant, wie er auf die Schnelle versucht hatte, den Stecker und die Steckdose unter einem herrenlosen Tisch zu verstecken. Ohne Magie waren sie hoffnungslos aufgeschmissen.

Noch einmal schrieb ich, was ich schon an die Tafel geschrieben hatte, auf ein Folienblatt.

»Mr. Young, Sie und Ihre Gruppe habe die beste Übersetzung abgegeben. Würden Sie Ihren Mitschülern bitte sagen, was an der Tafel steht und was ich wieder auf die Folie geschrieben habe.«

»Ehm! Klasse - Sprechen- Mittagszeit - Saal«

»So ungefähr. Richtig übersetzt bedeutet es.« Ich schrieb es unter den Text. Die Klassensprecherwahl findet um 12:30 in diesem Zimmer statt. »Natürlich wird die Wahl in dieser Schrift abgehalten«, setzte ich noch eins drauf.

»Muss das sein? Wir brauchen ja ewig, um herauszufinden, wie jemand geschrieben wird!«, murrte Lee und er bedachte mich wieder mit diesem Blick.

»Es gibt eine Möglichkeit. Sie sind fünfzehn Studenten in der Klasse. Hier haben Sie fünfzehn Blätter und jeder schreibt seinen Namen, in dieser Schrift, auf das Blatt und daneben in der normalen Schrift«, schlug ich vor und es wurde angenommen.

 

Nachdem das Chaos mit der Klassenwahl und der Schrift vorbei war, ging ich in mein Büro zur wohlverdienten Pause. Langsam musste ich mir eingestehen, dass es mir wirklich gefiel zu unterrichten. Besonders mit der Erkenntnis, dass ich über meine Studenten Bescheid wusste, während sie mich immer noch als einen Normalo ansahen. Ich würde zu gerne erfahren, wie sie reagierten, wenn sie erfahren würden, dass ein Vampir sie unterrichtet.

Die Präsenz des Katzendämons war verschwunden und ich schloss die Augen.

 

Das dunkle Buch

Die Wochen vergingen und besser konnte mein Leben nicht sein. Seit ein paar Minuten schaute ich aus dem geöffneten Fenster. Der Himmel zeigte bereits Anzeichen des nahenden Winters. Ein kalter Luftzug ließ mich etwas frösteln und gleichzeitig hörte ich ein Gemurre, das vom Bett herkam.

»Mach das Fenster zu, du Suchtlunge!« Der Bewohner der anderen Seite meines kleinen Bettes zog sich die Decke über den Kopf. Etwas verdrossen blickte ich in die Richtung zum Wald. Nun jagen, das wäre eine gute Sache. Doch einerseits konnte ich das nicht, weil es Anschläge und Aufstände von Dämonen in der nahen Umgebung gab und andererseits, weil Lee es mir ausdrücklich verboten hatte.

 

Langsam beugte ich mich über ihn und hauchte ihm einen leichten Kuss auf die Wange.

»Was möchtest du Frühstücken?«, fragte ich und er blinzelte mich an. Kurz huschte ein leichtes Lächeln über sein Gesicht und er zog mich an sich heran.

»Was denkst du?«, murmelte er und unsere Lippen berührten sich.

»Du bist verrückt!«, lachte ich.

»Nach dir Professor Laurey!«

»Ich darf doch bitten, Mr. Young. Sie können doch nicht Ihren Lehrer verführen!«

»Ist bereits passiert. Ich Schwerenöter!«

»Wie wahr! Sie Lustmolch.« Sofort zog ich die Decke von ihm runter und schmiss sie neben das Bett. Kurz blickte ich auf seinen Oberkörper und konnte es nicht fassen, dass ich wieder in Flammen stand. Lee war wunderschön. Sicherlich hatte ich in meinem ›Leben‹ schon viele Körper gesehen, Frauen sowie Männer, doch der, welcher vor mir lag, berauschte mich allein nur durchs Betrachten. Wie von selbst fuhren meine Finger die Konturen seiner Muskeln nach, die sehr ausgeprägt waren. Wie viel Sport musste er betreiben, um so ein Sixpack zu bekommen?

Vom Lehrplan her wusste ich, dass in seinem ›Haus‹ Kampftraining unterrichtet wurde, dem ich als ›Normalo‹ natürlich nicht beiwohnen durfte.

»Man bist du kalt!«, riss er mich aus meiner Musterung und ich blickte ihm in seine Augen.

»Hab gerade eine am Fenster geraucht.«

»Schon! Aber du bist auch kalt, wenn ich eine halbe Stunde nach dir ins Bett gehe.« Ich zuckte nur mit der Schulter, ohne dabei meine Streicheleinheiten, um seine Brustwarzen zu unterbrechen.

»Du übertreibst ...« Ich ließ nicht zu, dass er mehr sagte, streichelte über sein Gesicht und zog ihn etwas zu mir hoch. Unsere Lippen berührten sich sanft. Ich spürte seine warmen Hände auf meinem Rücken, die nun selbst ihr Spiel mit meinem Körper aufnahmen. Wohlig stöhnte ich unter seinen Berührungen auf und es dauerte nicht lange, bis er mich wieder vollständig für sich beanspruchte.

 

»Ich mag nicht aufstehen!«, murrte Lee.

»Dann tu' s nicht!«

»Aber du! Mr. Professor.«

»Ich muss. Es wurde eine Lehrerkonferenz einberufen.« Tief atmete Lee ein und schüttelte bedauernd den Kopf.

»Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du mein Lehrer bist. Kannst du mir nicht etwas Heimvorteil geben?«, schäkerte er und ich küsste ihm auf die Nase.

Mit einem ›ich muss‹, stand ich auf und ging ins Bad. Schaute mich im Spiegel an und erschrak leicht. Shit! Das war schlecht. Ich musste mich dringend nähren, denn meine menschlichen Augen wiesen bereits einen rötlichen Touch auf. Doch wie sollte ich es anstellen? Auch wenn der Bannspruch nicht richtig funktioniert hatte und ich der Meinung war, ihm freiwillig zu folgen, so verspürte ich diesen Gehorsam gegenüber Lee. Wir waren verbunden, dass stand außer Frage, aber wie konnte dies passieren? Vor allem, wann geschah das? Auf jeden Fall nicht bei dem Ritual. Ich hätte es mit Leichtigkeit abwehren können, die Magie war zu schwach und doch, war es mir unmöglich, mich zu wehren.

Egal wie oft ich mich in alten Büchern darüber informierte, egal wie bewandert ich in weißer und schwarzer Magie war, egal wie oft ich schon selbst Dämonen gebändigt hatte, ich kam auf keinen Nenner. Es gab, selbst nach 2000 Jahren, für mich noch offene Fragen.

 

Lee stand noch unter der Dusche, als ich ging und vor der Tür atmete ich tief ein. Langsam konnte ich meine innere Gier nicht mehr unterdrücken, sie wurde von Mal zu Mal immer stärker, wenn ich mit ihm zusammen war.

Ich machte mich auf dem Weg zur Magierschule.

Als ich das Tor durchschritt, spürte ich das Kitzeln der Barriere. Verdammt, das war langsam gar nicht mehr gut. Mein menschliches Dasein und der Dämon in mir vermischten sich. Blut, ich brauchte dringend Blut.

 

In meinem Büro auf dem Tisch stand ein Päckchen. Ich brauchte nicht reinzuschauen, um zu wissen, was sich darin befand. Der Geruch, der an dem Gegenstand haftete, eilte ihm voraus und ich strich mit meiner Hand darüber. Langsam und behutsam öffnete ich es und spürte die eingewobene, verbotene Formel des Todes. Es überraschte mich nicht mehr, dass ich hier in diesem Haus die Dämonen und die ausströmende Energie der Studenten wahrnahm. Dennoch wurde es gefährlich, obwohl ich in meinem menschlichen Körper war, der die Energie des Vampirs unterdrücken sollte.

Vorsichtig nahm ich das ausgeblichene und fast zerrissene Buch heraus. Las den in feiner Linie gezeichneten, kaum noch leserlichen Namen: ›Simon Darkness‹.

»Ja du bist das Original!« Ich schlug es auf, meine Gier pochte in den Adern und mein Herz überschlug sich. Ich wollte jagen. Ich wollte das Brennen in meiner Kehle spüren, ich wollte ein Teil des Todeskampfs sein und schlug das Buch zu, denn ich war dabei mich zu verwandeln.

»Lass dass, Ciar!«

 

Gekicher und Geschnatter drangen aus dem Klassenzimmer an mein Ohr. Ich blickte mich im Büro um, es waren keine Dämonen anwesend. Dann ein Blick zur Uhr, ich hatte noch fünf Minuten, deshalb drückte ich schnell auf die Ecke der mittleren Schublade. Der Schutz öffnete sich und das unter Holzbrett schob sich heraus. Zügig nahm ich die Blutkonserve und trank den roten Inhalt aus. Meine Gier schien sich zu freuen, als meine Kehle brannte. Leider wusste ich, es hielt nicht lange an, denn ich war der Engel des Todes. Ich brauchte den Rausch des Moments, wenn mein Opfer sich im Todeskampf unter mir wand.

Mit dem Buch unterm Arm ging ich in das Klassenzimmer, und da es noch nicht geläutet hatte, bat ich nicht um Ruhe. Die Schüler verstummten von selbst, als ich das Buch aufs Pult legte. Ich spürte, wie einige Dämonen sich zurückzogen, doch ich ignorierte sie. Immerhin galt ich immer noch als ›Normalo‹. Wenngleich sich auch die Grenze langsam, aber stetig vermischte.

Es läutete und es wurde noch stiller, als es ohnehin schon war und ich schaute in die Runde. Lee saß angespannt da. Jli zitterte und hing an Kiel. Auch wenn ich es nicht wollte, so musste ich mir wirklich eingestehen, das Jli ein Empath war, die nicht nur die Fähigkeit besaß, die Gedanken der ›Normalos‹ zu lesen. Was übrigens sehr schwer und selten war. Würde ein Vampir auf sie aufmerksam werden, würde er alles daran setzen, um sie in seine Finger zu bekommen.

Die Magier mussten all ihre Kraft aufbringen, um nicht der Gefahr entgegenzuwirken, die sie verspürten. Die Dämonenmaster starrten nur auf das Buch und die Dämonen waren komplett verschwunden. Es wäre lustig, wenn ich hier in meiner wahren Gestalt stehen würde, doch so durfte ich mir meinen Teil nur denken. Hauptsächlich bestand er daraus, wie ängstlich die stark markierenden Dämonen doch eigentlich waren. Außer Protzen konnten sie nicht gerade viel. Ein bisschen mit ihren Muskeln spielen, oder ihre Krallen und Zähne fletschen. Ich amüsierte mich goldig. Ach ja, das Leben konnte so herrlich sein.

 

»Guten Morgen meine Damen und Herren. Da unser nächstes Thema, Erkennen und Erkunden beinhaltet, habe ich mir die Freiheit genommen, dieses Buch welches ›Das Dunkle Buch‹ oder auch ›The Darkness‹ genannt wird, zu besorgen. Laut Überlieferung der Literatur beinhaltet es anstößige Aussagen und wurde im sechzehnten Jahrhundert verboten. Es galt lange Zeit als verloren. Doch es verschwand nicht. Ein Kunsthändler hatte es in seiner privaten Sammlung und er hat sich bereit erklärt, mir das Buch für eine Weile zu überlassen.« Kurz ließ ich das Gesagte auf die Studenten wirken, die immer noch auf das Buch starrten. Ich strich darüber und spürte, dass sich die von mir eingewobene Magie beruhigte und somit auch die Studenten. »Einige Inhalte dieses Buchs kursieren sogar im Internet. Was mich allerdings sehr überrascht hat …«, es klopfte an der Tür und ein alter buckliger Mann mit mehr Zahnlücken als Zähnen, kam in das Zimmer und zog einen quietschenden Wagen hinter sich her.

»Professorchen, ich habe hier deine Bücher, die du wolltest.«

»Danke Kruso!«, sagte ich und wies Markus an, mir beim Ausräumen des Wagens zu helfen, und jedem Studenten ein Buch zu geben. Der Bucklige verschwand wieder.

»Bitte legt das Buch geschlossen vor euch hin. - Jli was sehen Sie? Sie können es berühren und die Unebenheiten ertasten.« Fragend schaute sie mich an. »Um es noch einmal zu erläutern, wir untersuchen, Original und Kopien. Den Unterschied zwischen einer Erstausgabe, sowie den nachfolgenden Ausgaben. Wenn ihr es nicht versteht, dann werde ich wohl auf ein Ölgemälde zurückgreifen müssen, doch das wird für eure Eltern recht teuer werden. Denn kein Museum wird ein Da Vinci Gemälde bereitwillig einer Mannschaft von Studenten ausleihen.« Jli, die sich an meine Sticheleien gewöhnt hatte, nickte kurz und tastete das Buch ab. Dann schaute sie wieder hoch, doch ihre Augen waren glasig. »Wenn es Ihnen hilft, können Sie auch daran riechen …!«, meinte ich etwas genervt und die anderen lachten. »Es ist mein Ernst, es wäre schön, wenn ihr alle es auch abtastet!«, wandte ich mich zu der ganzen Klasse. Ich wartete kurz, bis sie fertig waren, drehte mich in Richtung des Pultes und biss mir kurz auf die Lippen. Ich hätte das Buch beruhigen sollen. »Was haben Sie ertastet, gerochen oder gesehen?«, riss ich mich von meinen Gedanken an das Buch los.

»Nee ja! Es riecht nach Leder und es hat Einkerbungen, die wie Schlangen aussehen. Die Oberfläche ist ansonsten glatt.« Ich nickte.

»Maja! Was haben Sie entdeckt?«, fragte ich sie, die leicht nervös auf ihrem Stuhl saß. Erschrocken blickte sie auf.

»Der Name ist rot gedruckt, und es hat den Anschein, das es Blut ist.«

»Gedruckt! Wie Sie es schon sagten, die Bezeichnung des Buches wurde auf den Ledereinband gedruckt. Bitte schlagt die erste Seite auf. Lee würden Sie bitte, das was ganz unten steht vorlesen.«

»Ähm…! 34. Auflage aus dem Original The Darkness - das verschollene Buch. Herausgeber Simon Darkness gestorben 1578«, las er und verzog unmerklich die Augenbraue. Ja mein Lieber, das ist mein Name. Neben Light Dark und Simon Darkness hatte ich noch viele.

»Und jetzt blättern Sie bitte bis zur letzten Seite und lesen die Seitenzahl vor.«

»245!«

»Danke!« Ich ging zurück zum Pult, nahm ein etwas zerfleddertes Buch und hielt es hoch. »Ich habe in der Bibliothek gesucht und bin auf dieses Exemplar gestoßen.« Ich ging damit zu Lee und überreichte es ihm.  »Bitte würden Sie es wieder abtasten, riechen und so weiter …!« Er tat es und erklärte, was ihm auffiel.

»Die Oberfläche fühlt sich ganz anders an und die Einkerbungen sind nicht vorhanden, ansonsten ist es gleich.«

»Würden Sie es bitte öffnen und die erste Seite anschauen.« Vorsichtig öffnete er es und betrachtete die erste Seite.

»Aus was besteht das Blatt? Es fühlt sich komisch an!«

»Pergament!«, antwortete ich. »Fällt Ihnen etwas an der Schrift und der Farbe auf?«

»Tinte und Schrift sind ausgebleicht!«

»Tinte! Da kommen wir der Sache schon näher. Worauf ich hinaus will. Wir haben nun zwei Exemplare vor uns liegen, die äußerlich fast identisch sind. Aber ist es nicht komisch, dass ein Buch, das laut Überlieferung aus dem 13. Jahrhundert stammt und das angeblich mit Jungfrauenblut geschrieben sein soll, erst im 15. Jahrhundert an die Öffentlichkeit kam? Von einem Simon Darkness geschrieben, der im 16. Jahrhundert verstarb? Dann müsste Simon Darkness über 300 Jahre gelebt haben. Dieses Buch hier ist somit auch eine Fälschung, denn es wäre ja Irrsinn, dass jemand so lange lebt.«

Ich nahm das Buch von Lee´s Tisch weg und ging damit zum Pult. Knallte es darauf, damit meine Studenten aus der Hypnose, die mein Buch über sie gelegt hatte, herauskamen.

»Und dieses Buch geht als Original durch. Wird als das ›Original‹ gehandelt. Was natürlich, wenn man etwas sein Grips einschaltet, auch nur eine Fälschung sein kann, oder, was wohl eher zutrifft, die Leute, die das Buch geschrieben haben, wollten sich einen Scherz erlauben. Meine Damen und Herren, ›Das Dunkle Buch‹ ist und bleibt einfach eine Farce. Aber wie Sie sehen könnt, liegt auf meinem Tisch noch ein weiteres Buch und Sie werden sich bestimmt schon fragen, warum es in dem Klassenzimmer nach Moder und Fäulnis stinkt«, sagte ich, strich behutsam über den Buchrücken und hob das schwere, große Buch hoch. Viele hielten nun die Luft an und Lee´s Augen wurden wachsam und kalt. Abwechseln blickte er zu mir und zum Buch. »Das meine Damen und Herren, das ist das Original aus dem 13. Jahrhundert. Wenn Sie es genau betrachten, dann kommen Sie auch darauf, warum es ausgerechnet das dunkle Buch, The Darkness oder aber auch das Buch des Todes heißt. Nur allein wie es aufgebaut wurde, die Schrift, die Farbe und wie es sich anfühlt. Vom Geruch mal abgesehen. Aber na ja! Mich wundert, dass es überhaupt noch in so einem guten Zustand ist«, sagte ich und legte es vor Lee hin, der zusammenzuckte und angewidert den Kopf zur Seite drehte.

»Was ist das? Das stinkt ja fürchterlich!«

»Haut! Die eigentlich konserviert sein müsste. Ist sie aber nicht. Dieses Buch besteht komplett aus Menschenhaut. Der, der das Buch angefertigt hat, muss wohl ein Wahnsinniger gewesen sein.« Mal was Neues, das ich mich selbst beleidigte, und dann öffnete ich es. Lee würgte, was sehr selten war. Das Buch wies leichte grünliche Flecken auf, die zu leben schienen, denn die feinen Härchen auf der Haut bewegten sich mit dem Luftzug. Wenn ich es nicht besser wüsste, so würde ich sagen, es war beleidigt. War es auch und ich musste ein Augenverdrehen unterdrücken. »Dieses Buch wurde tatsächlich mit Blut beschrieben und wir werden durch das Buch den Charakter des Schreibers herausfinden«, sagte ich und die Hälfte der Studenten stürmte aus dem Klassenzimmer. Leicht lächelte ich und schlug das Buch wieder zu. »Nun gut, da es wirklich sehr unangenehm ist, werde ich mir die Mühe machen und die Seiten kopieren. Aber das, meine Damen und Herren, war ein kleines Beispiel, wie man Kopien vom Original unterscheiden kann!«

»Aber ist das Buch nicht verflucht? Jeder, der daraus gelesen oder es abgeschrieben hat, starb kurze Zeit später!«, warf Maja ein.

»Davon habe ich auch gehört, aber was bedeuten schon Geschichten?«

»Sie glauben nicht daran?«, schoss es aus ihr heraus und ich lächelte sie an. Maja war kurz davor sich entweder vor mir zu blamieren oder das Geheimnis des Hauses zu verraten.

»Warum sollte ich? - Wenn es so wäre, dann dürfte ich nicht einmal über die Straße gehen, ohne einer schwarzen Katze auszuweichen, die es massenweise gibt. Oder ich müsste vor Donner Angst haben, weil irgendwo eine Hexe ihren Zauberkessel anzündete«, sagte ich etwas herablassend und sie hatte sich blamiert.

 

Ich öffnete das Buch und las daraus vor, doch als keiner verstand, was ich sagte, übersetzte ich es.

»Denen, die es wagen, den Herrn anzurufen, wird Unheil geschehen. Denen, die es wagen, den Herrn herauszufordern, werden Niederlagen geschehen. Die, die es wagen, mich zu rufen, wird die Welt zu Füssen gelegt. Mich den Prinzen der Finsternis.

Nächte donnern, Blitze zucken. Weiße Kerzen färben sich schwarz. Nebel steigt empor. Rote Augen scheinen durch die Glut und Adern gieren nach Blut. Rhythmisch ist der Gesang, der dich ruft. Das ungesagte Versprechen ist der Bann ... «, las ich und Lee erschrak, als er seine Beschwörungsformel in der alten Sprache und übersetzt hörte.

»Ach her je, wenn es wahr ist und einer versteht diese Sprache nicht, der hat das Unheil persönlich beschworen. Wie heißt der?«, fragte ich mich und schaute auf die Vorderseite. »Ah - Simon Darkness!« Und ließ das Buch zuknallen. Jeder erschrak und ein paar kamen bleich wieder in das Klassenzimmer zurück.

 

Mit dem Buch ging ich in mein Büro, schloss die Tür hinter mir und schmunzelte, als das Buch sich an mich schmiegte.

»Ja ich weiß. Ich habe dich sehr lange alleine gelassen. Verzeih mir bitte.«

»Könnt Ihr vergessen Master!«

»Ciar!«, flüsterte ich und legte es auf meinen Schreibtisch. Streichelte das Buch und langsam spaltete es sich in der Mitte auseinander. Mit meinem Finger fuhr ich rein und spürte etwas Spitzes, das meine Haut aufritzte. Ein genüsslicher Seufzer ertönte und ich zog den Finger wieder raus.

»Ich kann Euch einfach nicht lange böse sein, mein Master! So köstlich.«

»Wie schön! Doch bedenke, ich muss mich bedeckt halten, das verlange ich von dir auch. Halte dich zurück, bis ich nach dir verlange.«

»Habt Ihr mal keinen anderen Befehl für mich?«

»Schlaf Ciar!«

 

Als ich in das Klassenzimmer zurückging, war die Anspannung verflogen und ich setzte den Unterricht fort. Am Ende kündigte ich noch einen Test an.

 

Naru - Lichtung der Opfergabe

Ich lag mit dem Kopf auf meinen Armen auf dem Schreibtisch, als Lee, ohne zu klopfen, reinkam.

»Professor! Was ist denn das für eine Haltung?«, fragte er und ich blickte hoch.

»Ich bin müde!« Lee grinste mich an. ›Ja grinse nur. Du hast keine Ahnung, wie blutleer ich bin.‹

»Das kommt daher, weil du zu wenig schläfst und ständig über deinen Büchern hängst.«

»Ich hänge nicht ständig über meinen Büchern. Irgendetwas hängt ständig an mir!« Ich gähnte und legte meinen Kopf wieder auf meine Arme.

»Das hört sich ja an, als ob ich eine Last für dich bin!«

»Ja! Aber eine sehr Angenehme.«

»Ich komme heute Nacht wieder zu dir!«

»Solltest du nicht auch mal lernen? Du hast noch Defizite bei den Schriften und ganz besonders bei den mystischen Fabelwesen.« Er verzog seinen Mund.

»Ich studiere lieber die Anatomie eines gewissen Körpers!«

»Ach!« Ich richtete mich auf und reichte ihm einen Zettel. »Weil du studieren sagst! Hier für dich!«

»Ausflug mit Übernachtung!«, las er.

»Naturheilkunde steht im Lehrplan. Es stehen drei Orte zur Auswahl. Du als Klassensprecher hast die ehrenvolle Aufgabe mit den Schülern ein Ausflugsort zu wählen.«

»Aber nicht wieder in diesen Schriftzügen!«, stöhnte er und es hörte sich wie ein Flehen an.

»Das überlasse ich dir. Ende der Woche muss es feststehen!«

»Hey, wer hat denn diese Orte ausgewählt? Da ist kein Strand mit dabei!« Oh ja, das wäre 'ne Sache, Lee in heißen, eng anliegenden Badeshorts. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu sabbern.

»Es ist Unterricht und kein Vergnügen. Es sind auch keine fünf Sterne Hotels, sondern alte vergammelte Baracken, ohne frisches Wasser oder Toiletten!«, sagte ich und er schaute mich verdattert an. Verzog seinen hübschen Mund und rieb sich die Augen. »Kann nichts dafür, steht ausdrücklich im Lehrplan und ich habe wirklich keinen Sinn danach zu fragen, warum das so ist.« Durch ein Klopfen wurde ich unterbrochen und richtete mich auf. »Ja! Herein!« Jli und Kiel kamen rein. Jli hing ängstlich an Kiel und ich tat so, als ob ich es nicht bemerkte.

»Ähm! Jli geht es nicht gut …«, sagte Kiel. Von ihm blickte ich zu ihr, die nun wirklich stark zitterte. Da sie mein Büro betreten hatte, spürte sie nun vermehrt die Anwesenheit meines Buches, obwohl ich es schlafen gelegt hatte. Sie war definitiv ein Empath.

»Jli, Sie können auf Ihr Zimmer gehen und bringen Sie mir bitte ein ärztliches Attest, wenn es länger dauert. Gehen Sie aber vorsorglich zu Dr. Vangil. Zurzeit geht ein Virus um und ich wünsche Ihnen gute Besserung!«, äußerte ich, obwohl ich wusste, dass es nur die pure Angst war, die Angst vor dem Buch. Ich musste mich vor ihr in Acht nehmen. Sie könnte, wenn ihre Fähigkeit noch weiter anstieg, mich entlarven. Mein menschliches Dasein war nur eine andere Barriere. Eine Natürliche, die von Mutter Erde erschaffen wurde, die kein Magier durchschauen konnte, aber ein Empath. Kiel verzog seine Augenbrauen und ich nickte ihm zu. »Sie können ihr Gesellschaft leisten. Heute steht nichts Wichtiges mehr an, das können Sie nachholen!« Ziemlich lange schaute er mich an, denn laut Überlieferung können normale Menschen das Buch nicht einmal anfassen, ohne sofort in den Wahnsinn zu verfallen. »Gibt´s noch etwas?«, riss ich ihn aus den Gedanken und er schüttelte den Kopf.

 

Da wir uns in meinem Büro befanden, verabschiedeten sich die Drei, wie es sich gehörte und ich schloss meine Augen. Es erfüllte mich nicht mehr, ihm meinen Körper zu geben. Mich verlangte es nach seinem Blut, erst dann konnte ich die vollkommene Befriedigung empfangen. »Verdammt!«, flüsterte ich und raufte mir die Haare.

»Es ist beschämend Euch in so einer Lage zu sehen!«, kam es aus einer Schublade und ich verdrehte genervt die Augen. Warum hatte ich es herbringen lassen?

»Wer hat dich denn gefragt, Ciar?«

»Ich weiß, dass Ihr Euch um meine Meinung nicht kümmert, dennoch solltet Ihr Euch Gedanken darüber machen, wie Ihr da wieder herauskommt.«

»Noch einmal! Ich habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt.«

»Schon klar, mein Master. Es ist mir trotzdem eine Freude, Euch weiter in die Dunkelheit stürzen zu sehen.« Tief atmete ich ein. »Dennoch frage ich mich, wie der Jüngling es geschafft hat, Euch zu bannen.«

»Wenn du darauf keine Antwort weißt, woher soll ich sie dann wissen?«

»Eben, denn alles, was Ihr wisst, weiß ich auch. Ich bin Eure Erinnerung und ich habe einige leere Seiten, die einmal gefüllt waren. Mein Master. Der Jüngling ist gefährlich und ich rate Euch, tötet ihn, bevor es für Euch zu spät ist oder wollt Ihr ...«, plötzlich verstummte das Buch und ich spürte die Präsenz einiger Dämonen in meinem Büro.

 

Auf dem Weg zu Jlis Zimmer zerstörte Kiel unser Schweigen mit der Frage: »Kann es sein, dass er auch, auf eine gewisse Weise, Magie beherrscht?« Er wechselte kurze Blicke mit seinem Freund. Lee schaute starr geradeaus und das gefiel Kiel nicht. Nach einer zu langen Pause antwortete er mit: »Ich weiß es nicht«.

 

Mir wurde es zu doof, mich von den Dämonen beobachten zu lassen. Da der Unterricht nach der Mittagspause weiterging, fuhr ich den Laptop runter und machte mich auf den Weg zur Mensa.

Die Dämonen verschwanden gerade rechtzeitig, denn ein stechender Schmerz durchzog meine Schläfen und ich hörte Lee mich rufen.

»Was wollt Ihr? Es ist mitten am Tag.«

»Und? Wo ist das Problem?«

»Tzz! Gebt mir ein paar Minuten ...«

»Du sollst sofort herkommen!«

»Sicher und dann werde ich in eine Zwangsjacke gesteckt, weil die Wachen denken, ich sei ein Exhibitionist.«

»Wa ...?«

»Ich bin nackt, weil ich nicht mit Klamotten schlafe, also seid bitte so gütig und lasst mich etwas überziehen.« Lee entzog sich mir und ich lief zurück in mein Büro. Kletterte auf einen Stuhl und holte die Tüte mit den anderen Klamotten, die ich auf einem Schrank deponiert hatte, herunter. Zog mich, während ich mich verwandelte, um und verließ mein Büro. Wäre nicht gut, wenn ich im Büro ein Portal öffnete. Wenige Sekunden später erschien ich vor Lee.

»Ich will, dass du Galant Laurey beobachtest. Finde heraus, ob er ein Teil unserer Welt ist!« Schock! Was?

»Ist das Euer Ernst?«

»Ja!«

»Ich soll wirklich Eurem Liebchen hinterherspionieren?«

»Bist du schwer von Begriff?«

»Wie Ihr wünscht Master. Aber dürfte ich den Grund erfahren!«

»Also gut! Das dunkle Buch ist hier auf der Schule ...«

»Ich weiß. Ich spüre ... ihn!«

»Willst du nun den Grund wissen oder nicht?« Ich schwieg. »Galant kann das Buch anfassen und daraus lesen, ohne das ihm etwas passiert, obwohl jeder ›Normalo‹, der es berührt in den Wahnsinn fällt ...«

»Ach! Das macht Euch Sorgen?« Ich kicherte und atmete theatralisch ein. »Ciar schläft und solange der Mistkerl schläft, passiert deinem Menschlein nichts. Dafür habe ich bereits gesorgt, oder glaubt Ihr, ich lasse es zu, dass das kleine Ekel Eurem Darling etwas antut?«

»Dann frage ich mich, wie ein normaler Mensch in Besitz dieses Buches kommen kann. Das angeblich verschollen ist und sogar vom ersten Konsulat verboten wurde.«

»Da bin ich leider etwas überfragt. Aber seid froh, dass ich Ciar noch rechtzeitig einschläfern konnte, denn sonst wäre Eure Zuckerschnute nur noch Matschbrei.«

»Das Buch ist verboten. Es dürfte gar nicht hier sein!« Lee schien mit seinen Gedanken woanders zu sein.

»Es ist mein Buch. Wo ich bin, da ist es auch«, rutschte es mir heraus und ich biss mir auf die Zunge.

 

Lee schüttelte den Kopf, ließ mich stehen und ich schaute zum Himmel. Die Sonne war von Wolken bedeckt und ich verschmolz, wie automatisch, mit dem Schatten. Das war eine Überraschung, dass ich diese Fähigkeit wieder hatte und es bewies, dass Lee stärker wurde. Dies war nun endgültig der Beweis, dass ich ein gebannter Dämon war. Ich rief mein Buch, das auch im gleichen Moment erschien.

»Was für eine wunderbare Aussicht, Euch in Eurer wahren Gestalt zu sehen!«

»Halt den Mund und suche nach einer Antwort auf die Frage, wie ein Falkon, ohne funktionierten Bannspruch, gebannt werden kann.«

»Wenn Ihr es nicht wisst, wie soll ich es dann wissen?«

»Du bist zu nichts zu gebrauchen, Ciar!«

»Tja, Ihr wisst, dass ich Eure Erinnerung bin und wenn diese Information aus Eurem Gedächtnis gelöscht wurde, dann habe ich sie auch nicht mehr. Nun, aber einen Vorteil habe ich, im Gegensatz zu Euch, mein Gebieter. Ich beinhalte alle Fähigkeiten, die Ihr jemals besessen habt, auch wenn Ihr sie im Moment nicht nutzen könnt. Es liegt etwas Süßliches in der Luft. Etwas Altes, Uraltes. Vielleicht hilft das.«

Vor meinem Büro trat ich aus dem Schatten, und während ich reinging, verwandelte ich mich zurück.

Süßliches? Es gab nur ein Wesen, in der ganzen Geschichte der Menschheit und der magischen Welt, das süßlich roch und zudem noch uralt war. Uriel!

»Ja Eure Gedanken sprechen für Euch ...«, kicherte Ciar und ich legte es zurück in den Schub. Das war gar nicht gut, wenn das Weibsstück ihre Finger mit im Spiel hatte.

 

»Ich habe euch rufen lassen, weil morgen euer Ausflug stattfindet. Nach den Informationen, die Professor Laurey mir hat zukommen lassen, geht der Ausflug zur Lichtung Naru. Für die ›Normalos‹ ist das nichts weiter, als ein Abenteuerurlaub, doch für uns kann es gefährlich werden!«, sagte Lee´s Mutter, die Rektorin und atmete tief ein. »Ihr habt somit eine doppelte Belastung und es ist für euch eine gute Übung, deshalb wurde es vom Konsulat nicht gestrichen.« Sie hielt kurz inne. »Eure Aufgabe besteht darin: Erstens die Prüfungen zu bestehen, zweitens zu überleben und drittens und das ist das Wichtigste - Professor Laurey darf davon nichts mitbekommen. Er muss diesen Ausflug überleben. Ihr habt also keinen Lehrer, der euch da raus helfen kann. Wenn wir ihm das Gedächtnis löschen müssen, ist er nicht mehr der, den ihr kennengelernt habt und ihr seid durchgefallen. Professor Laurey hat euch inzwischen sehr viel über Schriftzüge ihre Bedeutung, Geschichten und Legenden sowie Kräuterheilkunde, ich meine Naturheilkunde gelehrt. Laut Informationen müsste er schon eine Menge davon wieder vergessen haben.« Die Schüler schauten sie sprachlos an.

»Wie meinen Sie das?«

»Professor Laurey ist ein ›Normalo‹ mit einer sehr speziellen Fähigkeit, die sehr selten in der äußeren Welt vorkommt. Er besitzt ein fotografisches Gedächtnis. Das, was er liest, kann er 72 Stunden im Gedächtnis speichern, dann sind seine Ressourcen ausgeschöpft. In den letzten fünf Monaten hat er sehr viel an Informationen gespeichert, ich glaube nicht, dass er für Sachen Platz gelassen hatte, die er mit euch abgeschlossen hatte. Besonders da er selbst für seine Zukunft lernt … Und seine Zukunft steht für ihn im Vordergrund!«, erklärte sie weiter.

»Sind dann wenigstens Wächter dabei?«, fragte Jli, die überhaupt nicht mit der Entscheidung, zur Lichtung Naru zu gehen, einverstanden war.

»Wir werden zwei hinschicken, die ein Auge auf euch haben werden, und Professor Laurey, wenn es nötig wird, ausschalten.«

»Ich hoffe, bevor er etwas mitbekommt!«, sagte Lee gedankenversunken und seine Mutter lächelte ihn leicht gequält an. Naru war nun wirklich kein Ort, an dem sich Dämonenmaster und Magier aufhalten sollten. Viele Geschichten und Legenden kursieren über diese Lichtung. Der Gott des Todes hielt noch immer seinen Griff über diesen Ort. Selbst in der heutigen Zeit verschwanden Menschen auf unerklärliche Weise und kamen nie wieder zurück. Nicht einmal die Leichen oder Knochen spuckte die Lichtung aus.

 

Ich hielt den Zettel mit dem Zielort in der Hand und gluckste. Mit nur einer Stimme Mehrheit wurde entschieden, wo es hinging. Der Ausflug mit Übernachtung sollte auf der Lichtung ›Naru‹ stattfinden und ich schwelgte in Erinnerung. Viele Opfer wurden den verschiedenen Göttern dargebracht und das Geschäft boomte, vor so vielen Jahrtausenden bevor ... na ja. Ich schüttelte mich und zählte die Schüler, die bereits anwesend waren.

Einige Damen sehnten sich, noch bevor der Bus ankam, schon wieder zurück in ihr luxuriöses Zimmer und begutachteten ihre Fingernägel. Ich fragte mich, ob ihre Dämonen auch mit von der Partie waren, denn ich spürte sie, so gut wie gar nicht, wenn ich mich außerhalb des Hauses befand. Sehen konnte ich sie sowieso nicht in meiner menschlichen Gestalt.

Maja musterte mich von oben bis unten. Wahrscheinlich war ihr nie in den Sinn gekommen, dass ich auch so etwas wie Jeans, T-Shirt und Regenjacke besaß. Na ja, zerrissenen Jeans und ziemlich ausgelatschte Turnschuhe. Nun sah ich wirklich wie ein Teenager aus.

»Einsteigen bitte!«, forderte ich die Studenten auf und plötzlich hörte ich Lee´s Stimme in meinem Kopf. Ich zuckte zusammen und fasste mir automatisch an die Stirn.

»Welche Ehre wird mir zuteil! Ihr habt mich gerufen Master!«

»Bist du in der Nähe!«

»Warum? Sollte ich das?«

»Bist du in der Nähe?«, fragte er noch mal eine Spur schärfer und ich entließ gedanklich einen genervten Seufzer.

»Natürlich! Wo sollte ich sonst sein? Mein Master!«

»Kennst du den Ort Naru?«

»Ah ja! Eine hübsche kleine Lichtung, dort wurden herrliche blutreiche Zeremonien abgehalten. Habt Ihr das nicht in Eurem Unterricht durchgenommen?«

»Woher weißt du das?«

»Ich bin immer in Eurer Nähe, Master! Auch wenn Ihr mich nicht spüren könnt. Wie dem auch sei. Kann ich Euch einen Wunsch erfüllen.«

»Nein! Ich habe nur ein schlechtes Gefühl dabei …!«, sagte er und beobachtete mich, wie ich mich ans Fenster setzte. Da ich in Gedanken mit Lee verbunden war, sah ich durch seine Augen.

»Ja, da muss ich Euch recht geben. Naru ist kein Spaziergang ... doch nicht etwa, wegen Eures Sahnehäubchens?«

»Das geht dich nichts an! Und hör auf, Galant solche widerlichen Kosenamen zu geben.« Ich lachte auf und Lee entzog sich meinen Gedanken.

 

Eine vierstündige Fahrt lag bereits hinter uns, als ich eine Pause einlegte. Das Erste, was ich machte, als ich ausstieg, war, mir eine Zigarette anzuzünden. Wieder wurde ich erstaunt angestarrt.

»Was ist? Wer rauchen will, kann es vor mir aus tun. Eine halbe Stunde Rast, dann geht es ohne Pause weiter bis zu diesem Hang. Es ist ungefähr noch eine zweistündige Fahrt bis dorthin.« Ich zeigte mit dem Finger zum Gipfel des Berges. »Stellt euch darauf ein, dass es danach flott vorangeht. Dort oben wird es zwar nicht sehr schnell dunkel, aber ...«, ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr, machte einen Zug und kippte ab, »es geht danach noch ungefähr fünf Kilometer quer durch den Wald, bis wir bei unserem ›Hotel‹ ankommen.« Hotel, ich musste kichern, wenn es wenigstens ein Hotel wäre, doch da ich letzte Nacht bereits hier war, wusste ich, dass es nur eine zerfallene Berghütte war. Auf ihre Gesichter war ich gespannt, wenn sie die morsche Hütte sahen.

Auf einem Steinvorschlag setzte ich mich hin und blickte zum Himmel. Wolken zogen auf und Regen verheißender Wind streifte mein Gesicht. Für Herbst war es schon ziemlich kalt und ich machte meine Jacke zu. Lee setzte sich neben mich und sah sich nervös um.

»Sitzt du nicht zu weit vorne?«, fragte er mich und ich schaute den Hang runter.

»Wenn mich keiner schubst, fliege ich auch nicht runter!«, antwortete ich und schmiss den Stummel der Zigarette weg.

Die restliche Busfahrt verlief ruhig und die Studenten waren noch ausgelassen. Doch als sie aus dem Bus stiegen und ihre Rucksäcke schulterten, wehte ein ungemütlicher Wind.

»Sammeln!«, sagte ich und schaute noch einmal zum Himmel, der nun wirklich bedrohlich aussah. Nicht mehr lange und es fing zu regnen an, dachte ich und atmete ein.

 

Inzwischen hatte ich meine Turnschuhe mit den wasserdichten Bergschuhen gewechselt.
»Gut jeder, der der Meinung ist, dass das hier ein Spaziergang wird, kann in den Bus steigen und zurückfahren!«, sagte ich streng und die Studenten blickten mich fragend an. »Soweit ich mich erinnere, habe ich Ihnen einen Zettel mit Angaben für die Ausstattung gegeben und deshalb frage ich mich schon die ganze Zeit, warum, einige von Ihnen noch keine Regenjacke angezogen haben und feste wasserundurchlässige Schuhe. Wir werden in ungefähr einer Stunde im Regen stehen.«

»Es scheint aber die Sonne«, meinte Markus, der sich die Hand vor den Augen hielt und ich lächelte milde.

»Ja! Aber wir sind in den Bergen, und wenn Sie hinter mich schauen, werden Sie wissen, was ich meine. Diese Wolken bringen Regen und im schlimmsten Fall Hagel. - Dann ist es aus mit Top aufgestylten Frisuren und makelloses Make-up. Also bitte ziehen Sie die festen Schuhe und Schutzjacken an.« Langsam ging ich los und setzte mich an die Spitze der Gruppe. Lee atmete tief ein. Er wurde das Gefühl nicht los, das ich mich hier besser auskannte, als ein Bergführer.

Ich behielt mit meiner Vorhersage recht und nach weniger als einer Stunde kam ein Platzregen, der sich gewaschen hatte. Meine Jeans war bis auf die Haut durchweicht und sie hing schwer an mir.

Durch den Regen kamen wir nur schleppend voran und ich musste öfters ungeplanten Pausen einlegen, weil die Studenten mit diesem plötzlichen Wetterumschwung nicht gerechnet hatten. Es wurde schon dunkel und bis zur Hütte, waren es noch ungefähr drei Kilometer, diese Strecke war bei Dunkelheit und Regen zu weit, vor allem zu gefährlich. Es könnte jemand stürzen und sich verletzen. Deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als auf die Lichtung auszuweichen und die Zelte aufschlagen zu lassen.

Die Studenten schauten sich nervös um und ich tat so, als ob ich davon nichts mitbekam. In Wirklichkeit brodelte in mir die Anspannung und ich war froh, als wir endlich die Lichtung betraten. Sie galt als ein Teil zur anderen Welt. Immerhin konnte ich nun die Dämonen der Dämonenmaster wahrnehmen und einige ungebetene Gäste. ›Wächter‹. Auch nahm ich eine Barriere wahr, die anscheinend von den Gästen errichtet worden war. Ich ging einfach durch, während Lee kurz ein Handzeichen gab. Meine Gier erwachte, überall lag der Geruch des Todes und ich schwankte. Lee stützte mich ab, doch sagen tat er nichts.

 

Bevor die Inquisition ihre Hände mit ins Spiel brachte, wurden hier mehr Jungfrauen geopfert, als sich Maden auf einem verwesenden Kadaver tummelten. Diese Lichtung war Sodom und Gomorrha und sie hieß nicht umsonst Lichtung der Opfergabe.

Die Studenten waren immer noch dabei ihre Zelte aufzubauen, während ich mich in mein Zelt zurückzog, die nassen Klamotten auszog und trockene anlegte. Bevor ich sie anwies, in die Schlafsäcke zu kriechen, machte ich sie noch mit der Umgebung vertraut. Lee blieb stumm und beobachtete mich die ganze Zeit mit einem Blick, der mir Unbehagen bereitete.

 

In der Nacht wurde ich von einem verführerischen Geruch geweckt und trat aus dem Zelt.

Blut, warmes Blut, frisch vergossenes Menschenblut stieg mir in die Nase und meine Gier erwachte. Ich blickte mich um, doch als ich sah, dass die Studenten in ihren Zelten waren und ich nur vereinzelte Dämonen wahrnahm, ging ich langsam dem Geruch nach.

Ich spürte etwas. Etwas Bekanntes und meine Schritte wurden schneller. Völlig gedankenlos rannte ich los und achtete nicht mehr auf die herabhängenden Zweige. Der Geruch wurde intensiver und meine Gier schrie danach.

 

Ungebetener Gast

Plötzlich huschte ein Schatten lachend an mir vorbei und ich blieb geschockt stehen. Vor mir lagen die Wächter. Zu prüfen, ob sie noch lebten, war sinnlos. Einer war blutleer und der andere würde die Nacht ebenfalls nicht überleben. Doch im Moment hatte ich keinen Sinn für die beiden.

Schnell drehte ich mich um, denn dieser Schatten war auf dem Weg zu der Lichtung. Das Einzige, was mir durch den Kopf ging: »Die Wächter wurden angegriffen! Keine Barriere! Lee! Meine Studenten!«, und ich rannte so schnell, wie es dieser menschliche Körper zuließ, zurück. Eine Verwandlung war unmöglich. Wie sollte ich mich denn zurückverwandeln, ohne gesehen zu werden, wenn ich wieder auf der Lichtung war.

Keuchend kam ich bei der Lichtung an, und sah ihn. Seine Haare hingen ihm strähnig ins Gesicht und er kicherte wie ein Irrer. Lee und die anderen starrten erschrocken von ihm zu mir und wieder zurück. Der Kerl drehte seinen Kopf zu mir und kurz trafen sich unsere Blicke. Na toll, dachte ich nur und er kicherte wieder. Warum er? Jeder andere, von all den Wesen, die mir in meiner gesamten Existenz begegnet waren, wäre mir lieber gewesen. Warum musste ausgerechnet er es sein.

»Wer sind Sie?«, fragte ich, obwohl ich ihn kannte und er musste das Lachen unterdrücken. Jedes Mal, wenn er sich bewegte, zuckte Jli zusammen und klammerte sich an Kiel.

»Nur ein Reisender, der einen Platz zum Schlafen sucht!«, gurrte er vergnügt und aus dem Augenwinkel sah ich, wie die Studenten sich auf einen Angriff einstellten.

»Verstehe, aber wie Sie sehen, sind hier nur Studenten.«

»Sicher seid ihr das!«, sagte er und seine Augen blitzten rötlich auf. Ich tat so, als ob ich es nicht gesehen hatte. Er kicherte wieder und seine Lippen formten Wörter. Als ich keine Reaktion zeigte, was wohl daher rührte, dass ich ihn wirklich nicht verstand oder besser gesagt, nicht hören konnte, grinste er nur. »Hi, Hi welch Ironie und noch auf diesem Platz. Könnte ich nicht doch noch zum Essen bleiben?«, fragte er und ich ging kurz sämtliche Möglichkeiten durch. Die Dämonen waren zu schwach, um gegen ihn anzukommen. Die Magier würden auch sofort sterben, wenn sie sich nur einen Zentimeter bewegten und ich? Ich steckte in diesem menschlichen Körper fest. Die Chancen standen wirklich schlecht und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was er wollte.

»Ich könnte Ihnen etwas mit auf den Weg geben.« Unmerklich trat ich auf diesen unheimlichen Gesellen zu. Wieder kicherte er.

»In Gesellschaft ist es doch viel schöner!«, meinte er, sein Gesicht war wie versteinert und er kicherte nicht mehr.

»Das mag schon sein Fremder. Aber dürfte ich Sie dennoch bitten zu gehen!«, forderte ich ihn auf und Lee erschrak, wie kalt nun meine Stimme war.

»Welch eine Ironie, also gehören sie alle dir!«, fauchte er, seine spitzen Zähne waren voll ausgefahren und er griff mich an. Schnell zog ich den Silberdolch, der mir in meiner momentanen Gestalt nichts anhaben konnte, und stieß zu. Zeitgleich holte ich mit der anderen Hand aus und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Der Vampir krümmte sich und ich war selbst darüber überrascht, wie schnell ich reagieren konnte. Bevor er sich wieder aufrichtete, ließ ich den Dolch verschwinden und packte ihn an seinen Haaren. Doch sein Blick verriet mir, dass er sich absichtlich hatte verletzen lassen.

»Das war jetzt nur eine kleine Warnung, Mister!«, flüsterte ich kalt und der Vampir kicherte wieder.

»Wie erwartet, von dir Simon! Mein Bruder«, flüsterte er mir ins Ohr, löste sich kichernd aus meinem Griff und ich spürte, wie er gedanklich mit mir in Kontakt trat. »Sei gewarnt, mein kleiner Bruder. Der Lord lässt dich suchen. Es ist eine hübsche Prämie auf deinen Kopf ausgesetzt worden«, hörte ich ihn und er hüpfte einen Schritt von mir weg.

»Verschwinde jetzt lieber Gilmore, die beide Wächter werden nicht lange unbemerkt bleiben.«

»Ich habe eine Frage, was sind das für Kinder, die du um dich hast?«

»Du magst es nicht glauben, aber das sind meine Studenten.«

»Studenten? Du? Ein Lehrer? Na warum nicht! Aber warum dann dieser Aufzug, ... als Mensch? Du weißt, dass du mich mit Leichtigkeit ...«

»Ich weiß, aber warum nicht etwas spielen, die Ewigkeit ist manchmal echt tödlich langweilig.«

»Wie wahr!« Süffisant lächelte er und entzog sich meinen Gedanken. »Gehabt Euch wohl!« Er verbeugte sich überheblich und ging langsam, fasst schon zu langsam in den Wald hinein. Kurz schüttelte ich meine Hand, öffnete die Finger und tat so, als ob ich mir wehgetan hatte.

»Professor geht es Ihnen gut, ist Ihnen nichts passiert?«, platzte Susan nur so raus.

»Was für ein Landstreicher!«, murmelte ich und von allen schien die Anspannung abzufallen, doch Lee starrte mich nur an.

»Sie habe ihn ja eine volle Breitseite verpasst!«, rief Markus und ich lächelte schwach. Kurz blickte ich in Lee´s Augen, er drehte sich nur um und ging in sein Zelt. Wieder war in seinen Augen dieses Etwas, das mir Unbehagen bereitete.

 

Gab es etwas Schlimmeres als Verachtung? Verachtung, dieses Wort hallte immer wieder in meinem Kopf. Was hatte ich getan? Was hatte ich gesagt? Was zum Teufel hatte ich getan, dass ich das verachtenswerte Blitzen in seinen Augen sah.

Das Morgengrauen kam schon und ich lag immer noch wach in meinem Schlafsack und starrte an die Zeltdecke. Der Stich in meinem Herzen raubte mir die Sinne. Dieses menschliche Dasein ... es war der Mensch, der sich hoffnungslos in Lee verliebt hatte. Noch nie hatte ich für jemanden so viel empfunden. Nicht einmal für die Schlampe, die mir den Dolch ins Herz gerammt hatte.

Das ich Gilmore hier in dieser Gegend antraf, war nicht gerade überraschend. Hier hatte er sein Jagdgebiet und er war auch nicht das, worüber ich mir Sorgen machte. Auch schienen sich die Studenten wieder beruhigt zu haben, denn die Dämonen der Dämonenmaster hielten Wache. Nur wurde ich ein Gefühl nicht los, das mich im Moment beschäftigte. Jeder hatte seine Dämonen in Angriffsstellung gebracht, nur Lee hatte keinen Mucks gemacht und irgendwie versucht, mich zu rufen. Konnte es sein, dass er es herausgefunden hatte? Oder auf was hatte er gewartet? Gab es etwas, das mich auf irgendeine Weise verraten hatte? Ich konnte mich nicht erinnern und drehte mich auf die Seite.

 

Der Reißverschluss des Zeltes wurde geöffnet und ich zog blitzschnell den Dolch, den ich an Lee´s Kehle hielt. Der Atem stockte mir und ich schaute ihn entsetzt an. Zitternd ließ ich den Dolch sinken und nicht einmal dann bewegte er sich. Einige Sekunden vergingen, bis er realisierte, dass nichts Scharfes mehr an seinem Hals war, und riss mich an sich.

»Lee! Scheiße, ich dachte, du bist der Typ!«

»Halt die Klappe!«

»Lee … wa…?«

»Halt die Klappe! Verdammt!«, zischte er und dennoch zitterte seine Stimme. Er nahm meinen Kopf in seine Hände und drehte ihn leicht. Ein Gott sei Dank kam leise über seine Lippen und er fing an, mich sanft am Hals zu küssen.

»Lee, was ist los? Warum zitterst du?«

»Mein kleiner Idiot, das hätte schief gehen können. Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.« Mit seinem Gewicht drückte er mich runter, zog nebenbei den Reißverschluss des Schlafsacks auf und seine Hände fuhren über meinen Bauch bis hin zu der Mitte meiner Schenkel.

»Lee ich glaube nicht, dass das jetzt eine gute Idee ist.«

»Mit dir zu schlafen ist immer eine gute Idee. Galant ich muss dich jetzt spüren. Ich halte es nicht mehr aus. Die ganze Nacht habe ich mir den Kopf zermartert, aber ich will dich ... jetzt! Ich dachte, ich würde dich verlieren.«

»Ist schon gut. Du brauchst dich um mich nicht zu sorgen. Ich war selbst überrascht. - Adrenalin, denke ich. Es war so eine verzwickte Situation. Auf der einen Seite dieser Mann mit diesem seltsamen Grinsen und auf der anderen ihr … Ich kann es mir nicht einmal selbst erklären, wie es dazu kam!«, sagte ich und es schien, als ob er es mir abgekauft hatte. Galant besaß doch so etwas wie Macht über ihn.

»Adrenalin!? Ja!«

»So wird es gewesen sein, anders kann ich es mir nicht erklären«, bestätigte ich noch mal und er suchte meinen Mund. Ich hob den Schlafsack an und er kuschelte sich an mich heran. In den nächsten Minuten waren wir eins und niemand konnte uns stören. Danach hörte ich seinen ruhigen Atem und sah, dass er eingeschlafen war. Ich hob ihn vorsichtig hoch, drückte ihn an mich und atmete seinen Duft ein. So eng umschlungen trug ich ihn in sein Zelt zurück.

»Ich hoffe, Ihr habt einen schönen Traum. Mein Master!«, flüsterte ich und küsste ihn auf die Stirn.

 

Wiederkehrender Traum

Rückblende: Lee Young 7 Jahre

 

 

»Kira! Kira! Man wo bist du? Kira!«

 Ein Junge kaum älter als sieben Jahre, war mit seinem Hund im Wald unterwegs. Der Hund eine Mischung aus Schäferhund und Boxer rannte einem Hasen hinterher. Das war nichts Neues und der Junge wusste, das Kira auch bald wieder zurückkommen würde, doch diesmal ließ sie sich Zeit und kam nicht.

Wieder hallte die Stimme des Jungen durch den Wald und ein Wesen, älter als die Menschheit selbst, wurde auf ihn aufmerksam.

Was für eine liebliche Stimme. So verzweifelt, so voller Hoffnung und das Wesen folgte den Rufen des Jungen. Doch bevor das Wesen auch nur in die Nähe des Jungen kommen konnte, wurde es von einem anderen Wesen, das von derselben Abstammung war, zurückgehalten.

»Der Junge ist rein, Uriel. Du weißt, dass du niemanden mitnehmen darfst, der rein ist.« Uriel tat, als ob sie erschrak, und legte danach entzückt, dass sie den Fremden erkannte, den Finger an ihren Mund.

»Light! Nein, Simon! Nein, Shinigami! Nein! Ach Michael! Man, du musst einem auch immer den Spaß verderben!«, tat sie beleidigt.

»Lass den Unsinn Uriel, Vater erwartet ihn und nicht Satan oder willst du seine Seele verderben?« Uriel tat so, als ob sie es überhört hatte.

»Sieh doch, er erfriert. Er muss doch seine Wut an dem Hund auslassen.«

»Uriel wage es nicht, ihn in seinen wenigen Minuten, die er noch hat, zu verderben.« Uriel verdrehte die Augen und atmete theatralisch ein.

»Ach Michi, du Spielverderber.« Das Wesen zwinkerte dem anderen zu und winkte zum Abschied.

 

Uriel kicherte in sich hinein und ihre Gedanken überschlugen sich. In den letzten zweitausend Jahren, seit ihr Nebenbuhler von ihrem Vater auf die Erde verbannt wurde, hatte Michael keine nennenswerten Kandidaten vor Vater geführt. Warum sollte er auch, seine Macht war eingeschränkt und sie hatte die ganze Arbeit geleistet. Da sollte wohl mal langsam eine Belohnung drin sein und wenn es in Form eines reinen Jungen war. Das war ihr egal, aber wenn Michael ihm eine zweite Chance gab, würde sie in Zukunft ein Auge auf ihn haben und küsste den Wind.

Die Kälte nahm zu und der Junge hörte seine Mutter reden. ›Lee nimm die Daunenjacke. Abends wird es sehr schnell kalt.‹ Mit nur einem Ja war er aus dem Haus gerannt, doch die Jacke hatte er liegen lassen. Nun bereute er es, obwohl er nicht so lange draußen bleiben wollte, doch der doofe Hund musste ja wegrennen.

Der Engel, der die Seelen in das Totenreich führte, setzte sich neben den Jungen. Der Junge war nicht überrascht, dass er nun nicht mehr alleine war. Der Engel sah, dass der Junge weinte, beugte sich zu ihm hin und wischte die Tränen aus seinen Augen.

»Warum weinst du Junge!«

»Mein Hund, Kira ... sie kommt nicht wieder.« Der Engel reichte ihm die Hand und musste seine Gier unterdrücken, denn er war verdammt worden, in einen Körper gebannt, der sowohl menschlich als auch als Vampir durchgehen konnte.

»Komm, wir suchen nach deinem Hund. Weißt du, sie heißt wie ich ...«

»Du lügst, du heißt nicht wie Kira. Du hast keinen Namen.« Der Engel sah den Jungen überrascht an, der seine dargebotene Hand wegschlug und er kniete sich vor den Jungen hin.

»Lee!« Er konnte nur seinen Namen nennen, doch der Engel sah etwas, was jedem verborgen war. Er war der Nachkomme eines Tempelritters. Ein Hüter des Wissens. Ein Zeuge der Gegenwart. Beherrscher der Elemente und einer der mächtigsten Dämonenmaster und Magier, die es auf der Welt gab.

»Woher kennst du meinen Namen? Den habe ich dir nicht genannt.«

»Weil ich ein Engel bin.«

»Das ist wieder eine Lüge. Geh weg!« Lee schaute sich um und dann direkt in die Augen des Engels.

»Wo ist der andere?«

»Der Andere?«

»Ja der, der süßlich riecht.« Wieder war der Engel überrascht.

»Du konntest sie sehen?« Der Junge zuckte mit den Schultern und ihm war es nicht mehr kalt. Er schaute seinem warmen Atem hinterher.

»Du riechst nicht süßlich. Eher nach frisch gefallenem Schnee. Du riechst gut.«

»So?« Die Stimme des Engels wurde immer sanfter, so empfand es der Junge und doch sah er, dass dieser Engel ein sehr gefährliches Wesen war.

»Du bist kein Engel. Du bist ein Vampir.«

»Ich bin beides!« Der Engel zwinkerte ihm zu. »Soll ich dir zeigen, wie ich in Wirklichkeit aussehe?«, fragte der Vampir, dessen Haare schwarz waren und die Augen grün, wie junges Gras, die nun rötlich schimmerten. Lee nickte zögerlich, denn auch wenn er wusste, dass es ein Vampir war, so hatte er keine Angst. »Okay, schließe deine Augen. Ich lasse dich sehen, wie ich wirklich aussehe.« Der Junge tat es und schloss seine Augen.

Der Engel sandte ihm seine Gedanken, wie er sich selbst in Erinnerung hatte. Silbernes, seidiges und glänzendes Haar. Freundliche hellgrüne Augen, blasse Lippen, heller Teint. Feingliedrige Finger und schmale Hände. Er hatte ein Gewand an, das selbst Könige in Ehrfurcht versinken ließ und seine Flügel, schwarz, dunkler als die Nacht.

»Hmm, nö du bist ein Vampir. Du bist von Gott hierher verbannt worden. Was hast du getan, dass du bestraft wurdest?« Der Engel brach in Gelächter aus. So eine Schlagfertigkeit war ihm schon lange nicht mehr untergekommen und er sandte seine Gedanken zum Hund, den der Junge Kira nannte.

»Mein Vater, also dein Gott, hat mir eine zweite Chance gegeben.« Der Engel hielt inne und blickte den Jungen eindringlich an. »Lee ich gebe dir eine zweite Chance. Lebe dein Leben, wie du es willst, aber sei gewarnt. Solltest du einmal den falschen Pfad nehmen, ist dein Leben verwirkt und ich werde nicht da sein, um dich in das Reich der Toten zu führen. Solltest du jemals, solange deine zweite Zeit nicht vorbei ist und deine Seele rein, in Gefahr schweben«, die Hand des Engels öffnete sich und etwas Kleines, das wie ein Kristall aussah, erschien, »wird dieses kleine Geschenk dich beschützen. Es nennt sich, ›Der Fluch des Leidens‹. Derjenige, der dir nach dem Leben trachtet, wird dadurch verflucht und sollte derjenige, das von dir bekommen, was er beim ersten Mal nicht erlangt hat, wird der Fluch zurückgeworfen und dich treffen.«

»Ich kenne den Fluch. Damit werden abtrünnige Vampire und Dämonen gefügig gemacht.« Der Engel nickte.

»So in der Art, aber dieser hier ist um einiges mächtiger.« So kam es, dass der Hund zurück zu Lee kam und der Junge, der fast eine halbe Nacht auf seinen Hund gewartet hatte, überlebte. Der Engel des Todes hatte ihm eine zweite Chance gegeben und Lee lebte weiter, obwohl er schon längst im Himmelreich erwartet wurde.

Lee erwachte schweißgebadet und rieb sich die Augen. Diesen Traum hatte er schon lange nicht mehr, doch dieses Mal war er besonders intensiv. Der Engel erinnerte ihn an jemanden, doch jedes Mal, wenn er versuchte, dem Engel einen Namen zuzuordnen, schien es, als würde er gegen eine Mauer starren, die ihm den Weg zur Lösung versperrte.

 

Überfall

Leise zog ich das Zelt auf und legte Lee in seinen Schlafsack. Verschloss ihn und zuckte kurz zusammen, als er sich rührte. Blickte zu Kiel, der sich mit Lee ein Zelt teilte, sich kratzte und im Schlaf murmelte. Danach trat ich raus und konzentrierte mich. Es waren keine Dämonen da.

Wie nachlässig von den Dämonenmastern. Wäre ich ein Lehrer, der über die magische Welt Bescheid wüsste, würden alle Dämonenmaster eine Strafarbeit aufbekommen, so zuckte ich nur mit der Schulter und verwandelte mich.

Die erste Nacht ging reibungslos über die Bühne. Somit würden auch die Nächsten ein Kinderspiel werden. Die Kreaturen, die die Lichtung besetzt hielten, hatte ich bei meinem letzten Besuch alle vertrieben. Tief atmete ich ein und der Geruch des frisch vergossenen Blutes der Wächter, haftete noch in der Luft. Ohne das meine Füße das weiche Moos berührten, rannte ich hin. Lange hatte ich nicht mehr Zeit und meine Studenten würden aufwachen.

 

Die Wächter lagen immer noch in dieser Stellung, in der ich sie, in der Nacht, vorgefunden hatte, und ich zog einen zu mir hoch. In ihm war noch etwas Leben und ich hatte nicht mehr viel Zeit, bis die Studenten aus den Zelten krochen. Ich bohrte meine Zähne in das weiche Fleisch und sog gierig auch den letzten Tropfen aus ihm heraus.

Wieder hörte ich das Gekicher und sah zwischen zwei Bäumen eine Gestalt, die langsam näherkam. Ich ließ von dem Wächter ab und warf einen Blick durch meine langen Haare zu dem Neuankömmling.

»Simon!«

»Gilmore!«, grüßte ich und er stand vor mir.

»Ich hoffe, dir hat mein kleines Geschenk gefallen.«

»Danke!«

»Vater ist zu Ohren gekommen, dass du angeblich einem Menschen dienst.«

»Tzz!«, machte ich und wieder kicherte er.

»Mir ist es egal, aber du bist so schwach. Sieh dich an! Überall läuft Wild und du ernährst dich von halben Leichen. Und du stinkst nach dem Dämonenmaster - wann erstrahlt der Stern Simon wieder?«

»Gilmore! Wer ist dieser Lord?«, wechselte ich das Thema.

»Ich habe gehofft, dass du das fragen würdest. Nun gut, er ist ein Abtrünniger und er hat es auf dich abgesehen. Er ist der Meinung, wenn er den besten, stärksten und listigsten Vampir besiegen würde, dann wäre er der Stärkste.«

»Er will also die magische Welt an sich reißen.«

»Ja! Und du kennst natürlich Vaters Einstellung. Allerdings ist er etwas ungehalten, weil du einem Menschen gehorchst!«

»Als ob Vater, das etwas ausmachen würde!«

»Stimmt … Er hofft, dass du irgendwie, trotz deiner Lage, gegen diesen Abtrünnigen ankommst.«

»Ist das ein Befehl?«, fragte ich und er kicherte wieder. Leicht verdrehte ich meine Augen und er wurde schlagartig ernst.

»Ja, das ist ein Befehl!« Ich nickte zur Bestätigung. »Übrigens, dein menschliches Aussehen ist echt süß. Wenn ich nicht dein Bruder wäre, würde ich dich auf der Stelle … Ach!«

»Was macht deine Verletzung?« Aus dem Augenwinkel sah ich Uriel, wie sie sich die Seelen der Wachen einverleibte. Sie zwinkerte mir zu und trat hinter Gilmore. Genüsslich sog sie seinen Geruch ein und zuckte nur ihre Schulter. Gekonnt ignorierte ich sie und Gilmore strich mir über die Wange. Seine glühenden Augen musterten mich aufmerksam, als ich durch seine Berührung zusammenzuckte.

»Du hast dir schon immer, über jeden und alles, Sorgen gemacht. Aber es war wirklich nicht nett von dir, dass du mir diesen Silberdolch in den Magen gerammt hast. Dennoch verzeihe dir noch mal. Du musstest ja einen Menschen spielen.« Gilmore zog den durchlöcherten Mantel aus dem letzten Jahrhundert aus und schmiss ihn auf die Leichen. Dann strich er sich über seinen Bauch und lächelte mich an. »Ist verheilt.«

»Du solltest dir langsam, mal ein anderes Aussehen zulegen.«

»Grundgütiger! Immerhin bewahre ich die allgemeine Vorstellung eines Vampirs, aber du hast recht, denn so kann ich nicht unterrichten«, er verzog leicht seine Mundwinkel, »an dieser Magierschule!« Was hatte er gesagt, das durfte nicht wahr sein. Nun brauchte ich mich wirklich nicht mehr verstellen und wieder strich Gilmore mir über die Wange.

»Lass den Unsinn! Gilmore.«

»Was! Ich kann nichts dagegen tun, Vater will es so.«

»Das meinte ich nicht. Das du auf Vaters Befehl handelst, ist mir schon klar«, sagte ich und hielt diesmal seine Hand auf, als er es wieder tun wollte.

»Ach das? Du bist so feminin geworden. Ist das die Wirkung deines Liebhabers? Es macht mich an, den starken, unbesiegbaren Simon Darkness so verletzlich zu sehen.«

»Vater hat dich abkommandiert in der Magierschule zu unterrichten, wo ich auch bin. Was sagt das Konsulat dazu?«

»Tja! Sie waren es, die Vater um Hilfe gebeten haben, denn in letzter Zeit geschehen im Umkreis der Universitätsstadt sehr merkwürdige Dinge.« Der Lord, so wie Gilmore ihn nannte, müsste demnach stärker sein als erwartet und sehr gefährlich, wenn das Konsulat sogar den König der Vampire um Hilfe bat. »Oh! Deine Studenten erwachen langsam und ich kann die Dämonen nicht länger im Schlaf halten. Du musst zurück, wenn du diesen Zirkus aufrechterhalten willst.«

 

Ich war schon auf dem Weg zurück, als er mich an sich zog und ehe ich mich versah, berührten seine Lippen die meinen. Kurz wehrte ich mich, doch als ich das schwache Brennen in meiner Kehle spürte, das von seinem Blut verursacht wurde, gab ich nach. Er gab mir Nahrung und ich trank gierig.

»Dein ›Master‹, hält dich ganz schön kurz. Fantastisch, wie du ihm gehorchst!«, sagte er abwertend und leckte sich über die Lippen, als ich fertig war.

»Lass das!«, fauchte ich und er kicherte.

»Das ist deine Sache, mein geliebter kleiner Bruder. Ich mische mich nicht ein, und wenn du tief im Abgrund sitzt, werde ich nur zuschauen, und darauf warten, bis du mich darum bittest, dich da rauszuholen.«

»Das wird nie passieren!«

»Vergiss es, das weiß ich zu verhindern! Du und einem Menschen dienen! Das ist verachtenswert!«, zischte er und ich sah, dass er mich durchschaut hatte. »Kein Mensch wird dich so weit bringen, dass du dich für seine Seele opferst. Du bist ein Falkon. Ein Prinz der Dunkelheit!« Ja und einiges mehr, doch das wusste Gilmore nicht und er spuckte mir blutigen Speichel vor die Füße. Dann lächelte er wieder und schaute zum Himmel. »Jetzt solltest du dich wirklich beeilen. Die Sonne zeigt sich schon am Horizont.« Plötzlich stand er in seiner menschlichen Gestalt da.

»Die Dämonen!«, schoss es in meinen Kopf, denn ich wusste, wenn er seine menschliche Gestalt annahm, waren seine Fähigkeiten genauso eingeschränkt wie meine. »Bastard!«, stieß ich hervor und er kicherte.

»Mein kleiner Bruder, du hast noch genau zwei Minuten!«, murmelte er in sich hinein, doch das hörte ich nicht mehr, denn ich rannte in Richtung Lager.

 

Die restlichen Kilometer zur Hütte verliefen relativ ruhig. Auch wenn ein paar Möchtegerndämonen, die sich von mir nicht hatten vertreiben lassen, die Gruppe angriffen und die Studenten, meiner Ansicht nach, schon fast an die Grenze ihres Könnens stießen, verhielt ich mich, als ob ich davon nichts mitbekam.

Die Hütte war nicht nur heruntergekommen, sie war morsch und drinnen pfiff es durch sämtliche Löcher, die sie hatte. Doch da die Nächte langsam wirklich nass und kalt waren, waren das Dach und der offene Ofen herzlich willkommen. Lee teilte die Arbeit unter den Studenten auf. Eine Gruppe sollte Holz sammeln, die andere nach etwas Essbaren suchen, und die restlichen sollten Fleisch besorgen. An jedem Tag änderte sich die Aufteilung und ich saß meistens in der Hütte und erledigte die restlichen anfallenden Tätigkeiten.

Wieder durchschoss der Schmerz meine Schläfen, als Lee mich rief. Gott sei Dank widmete ich mich einem Buch und war nicht gerade beim Kochen. Denn egal, was sie mir brachten, ich zauberte immer ein Festmahl daraus. Sagten sie zumindest. Ich schaute mich um, ob niemand in der Nähe war, dann zog ich mich um und verwandelte mich.

»Simon!«

»Steh schon hinter Euch.« Lee zuckte und drehte sich um. Die Studenten und Dämonen erschraken ebenfalls durch mein plötzliches Erscheinen.

»Warst du das?« Er zeigte auf die Wächter und ich zuckte nur die Schulter.

»Wie sollte ich das gewesen sein mein Master? Wenn ich nicht einmal mehr ein Tier reißen kann.«

»Weißt du dann, wer das war?«

»Nicht mit Sicherheit. Der Geruch ist schon verblasst. Aber es war kein Vampir.«

»Das ist eine Lüge. Da sind Bisswunden. An beiden!«, rief Jli, die wie üblich Schutz bei Kiel suchte.

»Also, wenn du behauptest, dass das kein Vampir war, wie erklärst du dir dann die Bisse.«

»Ein Vampir jagt alleine und einer hat zwei Bisswunden. Ein Vampir beißt keine zweimal zu. Habt Ihr schon mal was von Ghulen gehört? Sie jagen in Rudel.« Lee atmete tief durch. »Mein Master, Ihr hättet im Unterricht besser aufpassen sollen. Es kam auf jeden Fall dran. Nur schade, dass euer Lehrer nun diese wirkliche Schande nicht sieht. Ihr würdet alle durchfallen und für so eine Lappalie ruft Ihr mich.«

»Sind die noch in der Nähe?« Ich kicherte.

»Wenn das so wäre, hätte dann ein Dämon nicht schon längst Alarm geschlagen?«

»Tut mir leid, dass ich mich einmische, aber wenn es wirklich Ghule waren, warum sieht man dann keine Spuren der Verwandlung an den Leichen?«, fragte Markus und ich schmunzelte. Da hatte wohl doch einer im Unterricht aufgepasst, auch wenn ich immer wieder hatte verlauten lassen, dass alles ja nur Fiktion war. Okay, einige Bilder, die ich vorgelegt hatte, kamen der Realität schon echt nahe. Lee schaute mich an und verzog seine Augenbrauen.

»Würde ich nicht sagen« entgegnete er. »Wenn der Tod plötzlich kommt, oder der Mensch nicht mehr genügend Blut im Körper hat, dann setzt die Verwandlung erst gar nicht ein. Nehmt die Wächter mit. Hier ist es zu gefährlich. Wir werden sie obduzieren und dann wissen wir mit großer Wahrscheinlichkeit, ob es ein Vampir war, vielleicht war es sogar der Vampir, der uns besucht hat oder eben ein Ghul. Markus, sag deiner Schwester, sie soll Laurey einschläfern ...«

»Na, wenn Ihr mich nicht mehr braucht, Master, dann verziehe ich mich wieder in den Schatten. Die Sonne ist mir nicht gerade wohlgesonnen.«

»Wie du meinst.«

Gerade noch rechtzeitig hatte ich es geschafft, zurück zur Hütte zu kommen, bevor Markus Schwester, die ein Geist war, ankam und versuchte mich in den Schlaf zu summen.

 

»Was ist, wenn es dein Dämon war, der die Wächter ... ich mein, es wusste doch sonst niemand ...«

»Jli so ein Schwachsinn. Er ist an mich und meine Befehle gebunden. Du weißt, was mit einem Dämon passiert, der sich gegen den Bann auflehnt.«

»Schon aber ...«

»Hör schon auf, er war es nicht. Ich denke eher, dass es der blonde Typ war, der ist mir sowieso komisch vorgekommen.«

»Wie meinst du das?«

»Leute! Laurey ... er ist nur ein normaler Mensch, also wie bitteschön kann ein Mensch, einem Vampir eine verbraten. Ich sage, dieser Blonde war ein Test, wie wir uns in so einer Situation verhalten.«

»Und sind durchgefallen, denn Laurey darf von alldem nichts mitbekommen. Dabei hatte er am ersten Abend eine Begegnung mit einem Vampir«, ging Kiel dazwischen, der einen Wächter auf den Rücken drehte, um ihn unter den Armen besser packen zu können. Markus hatte sich die Beine geschnappt.

»Das würde ich nicht sagen, das wir durchgefallen sind. Laurey hat es nicht bemerkt.«

»Wahrscheinlich hast du ihm das Gehirn wieder gelöscht.« Lee schüttelte den Kopf und schnappte sich den anderen Wächter.

Als sie endlich die Berghütte erreichten, schwebte der Geist über Markus Kopf. Er lächelte und nickte.

»Professor Laurey schläft wie ein Murmeltier.« Sofort war alles hergerichtet worden, was die Schüler für die Obduktion benötigten. Die Fähigkeit, Sachen in einem Zwischenraum zu deponierten und es zu jeder Zeit heraufbeschwören zu können, war eine, die sie bereits als Kinder lernten. Für Magier war das ein Kinderspiel, doch die Master brauchten ihre Dämonen dazu. Die Dämonen dienten in der Regel als Pforte für ihre Magie. Susan die magische Heilkraft besaß, machte sich gleich an den ersten Wächter und öffnete den Schädel. Untersuchte das Gehirn und fand etwas. Sie nannte es 'Schocktot'.

»Er starb durch einen Schock. Er war tot, bevor er blutleer war«, teilte sie mit und begab sich zur zweiten Leiche. Lee hingegen ging zu Laurey und beobachtete ihn, wie er schlief. Sanft und anmutig war sein Gesichtsausdruck. Vorsichtig hob er Laureys Hand und nahm das aufgeschlagene Buch. Las kurz und schmunzelte.

»Du magst wohl solchen Kitsch!« Danach legte er das Buch weg.

»Der Zweite wurde wahrscheinlich während eines Zeitraums, von sechs bis acht Stunden ein paar Mal gebissen. Der erste Biss war nicht tödlich. Sein Gehirn hat sämtliche Vitalfunktionen reduziert. Also hat sich der Wächter auf eine Rettung eingestellt, als er bemerkte, dass er sich nicht verwandelt.«

»Diesen Zustand kann ein Wächter maximal bis zu acht Stunden halten, bevor sein Körper aufgibt. Der Zweite war ein Gnadenbiss. Kann es sein, dass der Vampir zurückgekommen ist, um ihn zu erlösen?«, fragte Markus kopfschüttelnd, weil er das nicht glauben konnte.

»Oder er wurde gestört und ist dann zurückgekommen, um sein Werk zu vollenden«, zischte Jli. Lee schüttelte den Kopf.

»Keines von beiden. Wir haben es noch mit einem zweiten Vampir zu tun.«

»Ja, da stimme ich zu. Ich habe Speichelproben von den Einbissen genommen und wir sprechen von drei! Tatsächlich drei verschiedenen Proben!« Die umstehenden Studenten wurden abrupt still und jeder ging in Verteidigung, denn jeder dachte an das Gleiche.

Obwohl ich mich schlafend gab, hörte ich jedes Wort. Unbemerkt wurde auch ich wachsamer. Wie kam es, dass ich ihn nicht spürte? Vor allem, wie konnte er sich mir entziehen? Ein fremder Vampir schlich hier herum, und wenn er unseren Duft bereits aufgenommen hatte, waren wir in Gefahr. Es ärgerte mich maßlos, dass ich ihn nicht wahrgenommen hatte. Sofort erweiterte ich meinen Suchradius, doch es war bereits zu spät. Der Vampir befand sich innerhalb der Barriere und plötzlich spürte ich Mordlust, die rasend schnell auf uns zukam.

Die Tür wurde aufgestoßen, und bevor Lee oder jemand anderes reagieren konnte, wandelte ich mich. Zeitgleich hörte ich ihn in meinem Kopf. Die Wucht der Empfindungen ließ mich kurz straucheln und aufschreien. Der Löwendämon von Jli, der sich nicht gerne zeigte, der Geist von Markus' Schwester und der Katzendämon von Susan standen neben dem Eindringling. Hinter mir spürte ich einen Golem, einen Erdgeist sowie eine Wasserfee. Alle Dämonen standen bereit. Selbst die Magier hatten ihre spirituellen Waffen gezogen. Ich selbst schrie: »Raus aus meinem Kopf Lee!«, und stürmte auf den Vampir zu. Binnen einer Sekunde erkannte ich ihn und mein Hass auf ihn schnellte in die Höhe.

»Mablok!«, zischte ich und kickte ihn durch die Tür nach draußen. Ich baute mich vor ihm auf und holte mein Schwert aus dem Zwischenraum, den auch ich zu nutzen wusste. Schon lange hatte ich diese Fähigkeit nicht mehr genutzt und schlug zu. Ich traf ihn, doch er reagierte sehr schnell und ich erwischte nur seine Jacke.

»Irgendwie bist du zu langsam!«, höhnte er und griff mich erneut an. Mühsam konnte ich ihm ausweichen und musste mir eingestehen, dass ich wirklich zu langsam war. Verfluchter Bann. Während ich mich innerlich darüber aufregte, traf er mich und ich flog durch den Wald. Dabei knallte ich heftig gegen einen Baum. Mein ganzer Körper wurde durchgeschüttelt und ich war von dem Schmerz kurzzeitig gelähmt. Mablok stand über mir und zog mich am Kragen hoch.

»Was ist mit dir? Du bist so schwach. Ah! Verstehe! Also ist es wahr, was erzählt wird. Du bist an einem Dämonenmaster gebunden.« Er verdrehte seine Augen und sog laut die Luft durch die Nase. »Und er ist auch noch dein Macker.« Er lachte auf. »Ich fasse es nicht. Du hast dich aus Liebe an einen Menschen binden lassen. Oder ist er so gut im Bett? Ha, der Große, der Starke, der Gottgleiche, der Prinz der Dunkelheit - Simon Darkness - ist das Haustier eines Menschen geworden und dabei so schwach ...«, höhnte er.

»Simon!«, schrie Lee und ließ blaue Flammen auf Mablok los. »Lass ihn los, Vampir.«

»Nicht Lee, verschwinde. Er ist zu stark!«, kommunizierte ich gedanklich mit ihm.

»Wie kann der für dich zu stark sein. Du bist Simon Darkness ...«

»Ich bin an dich gebunden. Deine momentane Stärke ist auch die Meine.«

»Soll das heißen, das du ...«

»Das ich erst stärker werde, wenn du an Reife gewinnst. Ja genau, das heißt es«, wieder musste ich einen Tritt einstecken, der mir nun den Atem raubte, und wurde hochgerissen. Das Nächste, was ich spürte, war, wie er seine Zähne in meinen Hals hackte und mein Blut trank. Ich stand kurz vor der Bewusstlosigkeit, als alle eine Salve auf ihn losließen und er gezwungen war, mich loszulassen.

»Wir sehen uns wieder.« Wie ein Blitz verschwand er in den Wald und Lee rannte zu mir.

»Scheiße! Verlasse mich nicht. Bitte, verlasse mich nicht. Ich habe meine Schuld noch nicht gebüßt. Galant. Mein geliebter Galant.« So war es also. Lee hatte also die ganze Zeit über gewusst, wer ich war und ich hob meine Hand. Sanft berührte ich sein Gesicht und lächelte ihn an.

»Macht Euch um mich keine Sorgen, mein Master.«

»Keine Sorgen? Ich liebe dich! Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen soll, wenn du stirbst.« Ich hustete. Mablok hatte mich wirklich lebensbedrohlich ausgesaugt.

»Das ist das Schönste, was Ihr je zu mir gesagt habt!« Ich machte ein Zeichen in die Luft. »Ciar komm!« Sofort erschien das Buch und ich legte meine Hand darauf. Flüsterte den Fluch und in wenigen Sekunden lagen die Studenten und die Dämonen schlafend am Boden.

Ein neuer Lehrer

 Ich wusste nicht, wie lange ich so, mit Lee in den Armen, auf dem Boden lag. Doch ich spürte, wie der Körper, in dem ich verweilte, an seine Grenzen stieß. Wieder hustete ich und langsam hatte ich das Gefühl, das die Umgebung nach Karamell roch. Ich schloss meine Augen und ließ das Buch verschwinden.

»Das wird Zeit, das du endlich kommst. Uriel!«

»Ach nee! Is nich wahr? Oder? Mich täuschen meine Äuglein. Da dachte ich, was ist das für ein herrlicher verruchter Geruch. Von einer sehr dunklen Seele kommend und dann das ... Habe mich schon darüber gefreut, mit Satan zu feiern, doch was muss ich sehen ... es bist nur du. Michael.« Sie kniete sich neben mich und musterte mich mit ihren goldbraunen Augen. »Wie oft habe ich dich wieder ins Leben zurückgerufen?«

»Halt die Klappe, dafür hast du meine Arbeit bekommen. Mach schon, der Körper hält nicht mehr lange.«

»Tzz, dann such dir einen Neuen ...!«

»Du weißt, dass das unmöglich ist und solange Vater mich nicht ruft, habe ich keine Chance in sein Reich einzutreten. Und Satan, der mich willkommen heißen würde, mich nicht so schnell wieder aus seinem Reich rauslässt.« Theatralisch atmete sie ein und legte ihre Stirn an die meine. Tief blickte sie mir in die Augen und in Windeseile regeneriert sich mein Körper.

»Bei mir dauert es immer noch länger als bei dir. Ich frage mich, wie du das immer gemacht hast?«

»Was, die Wiedergeburt? Ich bin der wahre Tod und die Wiedergeburt. Du hast diesen Job nur zeitweise übernommen, denk daran!«

Uriel lächelte, winkte mir und verschwand.

 

Ich richtete mich auf und nahm Lee auf meine Arme. Schnupperte in die Luft und versuchte die letzte Situation hervorzurufen, bevor Mablok uns angegriffen hatte. Anschließend legte ich alle schlafenden Studenten dorthin, wo sie als Letztes gestanden hatten und verbannte, bis auf den Katzendämon von Susan, die restlichen Dämonen in die Zwischenwelt. Danach setzte ich mich auf den Stuhl, und bevor ich mich zurückverwandelte, löste ich den Schlaf, den ich über die Studenten gelegt hatte, auf. Die Erinnerung an Mablok löschte ich aus ihren Gedanken und wartete ab.

Als sie aufwachten, schauten alle zu Markus, der selbst verdattert war. Sie machten seine Schwester dafür verantwortlich, dass alle eingeschlafen waren, denn sie fanden sonst keine andere Erklärung.

 

Die letzten Tage brachen an und die Studenten kamen mit Argumenten, wie, ich sollte mal von meiner Aufgabe als Lehrer Abstand nehmen und ausspannen. Die plötzliche Fürsorge konnte nur daher rühren, dass sie wohl nicht alles vergessen hatten, was passiert war. Da sie überzeugt waren, dass Markus Schwester sie allesamt in den Schlaf versetzt hatte, dachten sie alle, dass sie wohl oder übel den gleichen Traum hatten, der sie ängstigte.

In der ganzen restlichen Zeit hatte ich keinen gedanklichen Kontakt zu Lee und er musterte mich immer wieder mit diesem kalten und sogleich traurigen Blick.

 

Erleichtert seufzten die Studenten, als sie die Sitze des Busses unter ihrem Allerwertesten spürten, und nach einigen Tagen Kampf mit der Wildnis die Heimfahrt antraten.

Am Abend nach einer ausgiebigen Dusche lag ich in meinem Bett und starrte an die Decke. Das war ganz schön heftig und nur mit Mühe konnte ich den Tränen Einhalt gebieten. Vor allem hatte es mich geschockt, dass Lee wusste, dass ich sein Dämon war. Wie gerne würde ich die Scharade aufgeben, doch konnte ich es noch nicht. Nicht, solange ich nicht wusste, weswegen oder wie es passieren konnte, dass ich wirklich ein gebannter Dämon wurde. Die Antwort lag in einer meiner verloren gegangenen Erinnerung, und bis ich sie wiedererlangt hatte, musste dieses grauenvolle Schauspiel weitergehen.

Meine Gedanken trudelten ab.

Mablok! Ich konnte es nicht fassen, dass er aus dem Gefängnis, in das ich ihn gesperrt hatte, geflohen war. Aber so abwegig war es nun auch wieder nicht. Light Dark war von der Bildfläche verschwunden, galt als vernichtet und da hatten Mabloks Anhänger freie Bahn.

Als ich mein Buch in die Hand nahm, hörte ich, wie die Tür aufgeschlossen wurde und Lee eintrat. In seinen Augen sah ich reines Verlangen und ohne ein Wort kam er auf mich zu. Das Buch viel zu Boden und seine Leidenschaft überrannte mich.

 

Wie immer war es im Klassenzimmer sehr laut und es klopfte an meiner Bürotür. Ohne das ich etwas gesagt hatte, wurde sie geöffnet und die Rektorin kam mit dem Klassensprecher sowie mit einem sehr gepflegten und eleganten jungen Mann herein. Ich blickte vom Computer hoch und stand auf. Lee´s Mutter kam auf mich zu und nahm mich kurz in die Arme.

»Galant! Du siehst müde aus!«, rief sie und musterte mich besorgt. »Bekommst du auch genügend Schlaf?«, fragte sie mich und ich schaute leicht verlegen zu Lee, der nur seine Augen verdrehte, weil es ihn nervte, ständig solche Vorwürfe von seiner Mutter zu hören. Schließlich sparte sie ja nicht gerade mit Vorwürfen.

»Im Moment nicht besonders, aber du weißt ja die Studien.«

»Ja und es tut mir auch wirklich leid, dass wir dich so sehr mit eingespannt haben. Aber wir haben nun jemanden, der dich tatkräftig unterstützen wird!« Erfreut drehte sie sich zu dem jungen Mann, der sie begleitete. Er lächelte mich an und nickte kurz. Ich brauchte einen Moment, bis ich erkannte, dass es Gilmore war. Vor ein paar Tagen sah er noch wie ein Gammler aus, doch nun hatte er sich in Schale geworfen.

»Darf ich dir Professor Emmett Star vorstellen? - Professor Star das ist Professor Galant Laurey«, stellte sie uns vor und ich sah, dass Lee sehr nervös war. Wahrscheinlich wusste er, dass er der ungebetene Gast auf der Lichtung war. Star und ich reichten uns die Hände.

»Wenn ihr mich entschuldigt. Ich gehe schon mal vor, um die Klasse darauf vorzubereiten!«, verabschiedete sich Lee und verließ das Büro.

»Professor Star wurde davon in Erkenntnis gesetzt, dass du neben deiner Lehrtätigkeit, selbst studierst, und er wird in der Zeit, wo du im anderen Haus bist, an deiner Stelle die Klasse unterrichten. Ich hoffe, dass du dann etwas entlastet wirst«, frohlockte sie und ich nickte.

»Danke! Das erleichtert ungemein.«

Mit den Worten: »Ich lasse euch alleine«, verschwand sie.

 

»Hey hört mal alle her!«, sagte Lee, als er in die Klasse kam. »Wir bekommen einen neuen Lehrer!«

»Was Professor Laurey hört auf?«, wurde sofort gerufen und ein Geraune ging durch die Klasse.

»Nein. Er hört nicht auf. Der neue Lehrer wurde zum Schutz der Universitätsstadt hergesandt.«

»Zum Schutz, aber was ist mit den Wächtern?«

»Die Meisten sind in der äußeren Welt unterwegs, deshalb haben sich, zum Schutz der Universitätsstadt, das Konsulat und der Rat der Vampire zusammengetan. Denn laut ihren Informationen muss der Lord es auf die Universitäten abgesehen haben!«

»Natürlich! Da sind überall potenzielle Soldaten, die da rumlaufen und wir können sie ja nicht alle beschützen!«

»Ist es ein Jäger, Magier oder ein Dämonenmaster?«

»Keins davon, er ist ein Vampir!« Jli erschrak.

»Ein Vampir?!«, riefen fast alle gleichzeitig.

»Ja, und wir haben ihn bereits kennengelernt. Es ist der blonde Vampir, dem Laurey eine verbraten hat und ja, es war ein Test, den wir leider versemmelt haben.«

 

»Tja, sieht so aus, dass ich jetzt schon gehörigen Respekt geerntet habe ...«, belächelte Gilmore die Unterhaltung der Studenten und ich zündete mir eine Zigarette an. Die Glocke bimmelte und ich drückte meine gerade angefangene Zigarette im Aschenbecher aus.

»Denk dran, für die Studenten bin ich nur ein ›Normalo‹, also verplapper dich nicht und mach keinen unnötigen Stress.« Er grinste nur. Das konnte ja noch heiter werden.

Ich öffnete die Tür und ließ Gilmore, nein Professor Star, zuerst eintreten. Sofort wurde es still und alle starrten ihn gespannt an. Er lächelte und ich fragte mich, wie es bei mir sein würde, wenn sie herausfanden, dass ich auch ein Vampir war. Auf der Lichtung hatten sie keine Zeit darüber nachzudenken, oder darüber geschockt zu sein.

»Guten Morgen meine Damen und Herren!«, begrüßte ich die Studenten, während ich meine Unterlagen auf das Pult legte und mich der Klasse zuwandte. »Als Erstes möchte ich Ihnen Professor Star vorstellen, der mich ab heute tatkräftig unterstützen wird, um Ihnen etwas Wissen zu vermitteln.« Er wurde recht zurückhaltend begrüßt und ich tat so, als hätte ich ihre Reaktion nicht bemerkt »Das neue Thema, das wir letzte Woche, während des Ausfluges angefangen haben, werden wir in den nächsten drei Wochen intensivieren. Dafür schlagen Sie bitte das Buch auf Seite 40 auf. Diesen Unterricht wird Professor Star führen und ich bitte Sie, dass Sie ihm Ihre Aufmerksamkeit genauso entgegenbringen, wie mir. Denn ich bin es, der die Noten vergibt. Ich hatte für heute einen Aufsatz über den Ausflug geplant, doch da ich gleich wieder weg muss, lege ich es Professor Star in die Hände. Das wäre alles, danke!«, sagte ich und verließ das Klassenzimmer.

 

»Dieser Mensch hat euch ganz schön unter Kontrolle!«, säuselte Gilmore und grinste in die Klasse. »Nun gut, werden wir erst die Aufgabe erfüllen, die er für euch vorgesehen hatte. Wir schreiben den Aufsatz, und zwar in Lateinisch. Laut Info nehmt ihr gerade diese Sprache durch und ich muss sagen, sie gehört zu meinen Favoriten, auch wenn sie nicht mehr so geläufig ist. Aber damals, als es noch die Weltsprache war ... Bitte fangt an!«, hauchte er und verdrehte seine Augen. Er musste seine ganze Kraft aufbringen, um nicht seiner Gier nachzugeben und sich an den dargebotenen Studenten zu verköstigen.

Lee war als Erster fertig und gab den Aufsatz ab. Gilmore überflog die Seiten und grinste anerkennend.

»Mr. Young! Sie sind der Master von Simon Darkness. Warum spüre ich seine Anwesenheit nicht? Ist es denn nicht die Pflicht eines Dämonenmasters, seinen Dämon immer im Auge zu haben? Ganz besonders, da er ein Vampir ist und nicht in den Zwischenraum geschickt werden kann, wie die anderen? Bedenken Sie, er könnte sich leicht auf die Seite des Lords stellen!« Lee funkelte ihn an.

»Ich vertraue Simon, außerdem brauche ich ihn nicht zu sehen oder zu spüren, um zu wissen, dass er in meiner Nähe ist.«

»Ist er nicht. Er gammelt irgendwo auf dem Gelände der Universitätsstadt herum. Nur so zehn bis zwanzig Kilometer entfernt, und wenn Ihnen was passieren sollte, kommt er womöglich zu spät.«

»Dann ist das meine Sorge Professor Star. Sie wissen wie ich, dass Menschen euch Vampire sehen können. Egal, ob ihr in eurer wahren Gestalt seid oder das Aussehen eines Menschen habt. Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, das Simon nicht hier ist. Professor Laurey würde es nicht verstehen, da er ein ›Normalo‹ ist.«

»Professor Laurey, ist er sehr streng? Denn ich hatte den Eindruck, rumfackeln tut er bestimmt nicht lange.« Gilmore rieb sich sein Kinn. »Oder seid ihr deshalb so gut, weil er euch sympathisch ist und ihr ihn gern habt?«

»Er ist ein Ekel!«, murrte Susan und der Vampir gluckste.

»Wir müssen mit ihm auskommen, weil er ein ›Normalo‹ ist.« Markus verzog seine Mundwinkel und Gilmore lächelte leicht.

»Das glaube ich nicht, dass er für euch so rüberkommt. Euer Blutfluss sagt alles!«, dachte Gilmore und blickte Lee durchdringend an. Plötzlich war er bei ihm und zog ihn zu sich hoch.

»Sieht so aus, als ob deine Kameraden deinen kleinen Professor nicht besonders leiden können!«, flüsterte er ihm ins Ohr und Lee erschrak. Als er sich wehren wollte, ging es nicht. Er war wie gelähmt.

»Du brauchst mir nichts zu sagen. Ich höre dein Herz und das Blut in deinen Adern. Außerdem trägst du seinen Duft an dir, so wie er deinen an sich haften hat. Ist er zu dir genauso streng? Wenn ihr alleine seid?« Lee spürte den kalten Atem des Vampirs. »Weißt du, was ich mit dir alles machen …!«

»Hör auf!«, zischte Lee und Gilmore zog sich zurück.

»Bitte entschuldigen Sie, ich war ziemlich lange nicht mehr unter Menschen …«

 

Lee´s Stimme durchbohrte jeden einzelnen Nerv in meinem Kopf und ich sank zu Boden. Zum Glück war ich mit dem Unterricht bei Danhouer fertig und befand mich wieder in meinem Büro. Kurz blickte ich mich um, als kein Dämon in der Nähe war, verwandelte ich mich.

Bevor Gilmore wusste, wie ihm geschah, schleuderte ich ihn gegen die Wand. Kichernd stand er auf und musterte mich.

»Das ging ja schnell!«

»War gerade in der Nähe!«

»Verstehe!«, sagte er und sah zu Lee, der immer noch wie erstarrt dastand. »Sieht so aus, als ob du recht behalten hast. Du kannst dich auf deinen Dämon verlassen.« Gilmore ließ Lee aus seiner Kontrolle und ich fing ihn auf. »Nun denn, da ihr auf der Lichtung so versagt habt, werden wir nun die fehlenden Übungen nachholen. Barriere aufbauen, sie oben halten, und jeden Eindringling herausfiltern. Herausfinden, ob es sich um einen Freund oder Feind handelt. Wir werden aufklären, in was ihr und eure Dämonen gut seid. Diese Fähigkeit wird trainiert, egal ob ein Mensch in der Nähe ist oder nicht. Es wird trainiert. Immer. So ein Versagen wie auf der Lichtung darf nicht noch einmal vorkommen. Was wäre passiert, wenn es nicht ich gewesen war, sondern ein anderer Vampir? Oder sogar der Lord?« Gilmore ließ das Gesagte etwas wirken und nickte wissend, während er die betretenen Gesichter betrachtete. »Genau! Ihr wärt alle nicht mehr da! Denn der Lord fackelt nicht. Er tötet, weil es ihm Spaß macht. Die mystische Welt wird keine mystische Welt mehr sein, wenn der Lord die Oberhand gewinnt und nun seid ihr an der Reihe, über Leichen zu gehen. Die Welt der Normalos existiert auch nur in dieser Form, weil wir es so wollen. Wir wollen, dass die Menschen nichts von uns erfahren. Das wird sich jedoch ändern, wenn solche Fehler ständig passieren. Also ruft eure Dämonen, lasst sie auf Patrouille gehen ...«

»Was ist mit Laurey?«

»Er ist ein Normalo, was soll mit ihm sein? Löscht ihm einfach das Gedächtnis.«

»Das geht nicht mehr!«, sagte Lee kleinlaut.

»Und warum nicht? Du willst wohl nicht, dass er dich vergisst?« Lee schüttelte den Kopf.

»Nein! Es ist so, Laureys Erinnerungen können nicht mehr gelöscht werden. Sie wurden schon zu oft gelöscht!« Gilmore zuckte mit der Schulter.

»Und? Dann muss er getötet werden. Wo ist das Problem? Er hat eigentlich in dieser Einrichtung nichts verloren und außerdem ist er eine Belastung für euch. So hart es auch klingen mag, Young, mach mit ihm Schluss und ich werde mit der Rektorin sprechen, damit er aus dem Dienst hier entlassen wird. Für ihn ist es das Beste und für euch kann es lebensrettend sein.« Die Glocke ertönte und Gilmore blickte auf seine Armbanduhr und dann zu mir.

»Es wird Zeit, das wir zu schauspielern anfangen, schlagt das Buch Seite 40/41 auf. Professor Laurey wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ach, und legt noch einen Wabezauber über die zertrümmerte Wand.« Er deutete auf die Stelle, auf die ich ihn geschleudert hatte. »Und Lee, du solltest deinen Dämon fortschicken. Oder willst du, dass Professor Laurey sich über einen neuen Schüler wundert, der die ganze Zeit nach Blut sabbert?«

Gesagt getan und bevor Gilmore noch die Anweisung gab, dass die Dämonen, die für menschliche Augen unsichtbar waren, auf Patrouille geschickte werden sollten, verschwand ich.

»Bitte entschuldigt, dass es länger gedauert hat!«, sagte ich, als ich in das Klassenzimmer kam. Kurz warf ich einen Blick auf die Blätter, die fein säuberlich auf meinem Pult hingelegt waren, und war überrascht, dass Gilmore sie den Aufsatz hat schreiben lassen.Dazu noch in Lateinisch. Schnell wagte ich den Blick auf die Wand und sah einen schlechten Illusionszauber. Ich schmunzelte und tat so, als ob ich etwas bemerkt hätte. Carol, die dank ihrer Wasserelfe Illusionen herrufen konnte, sah geschockt zu Gilmore.

»Professor Laurey ich hätte da eine Frage!« reagierte Lee recht schnell und ich ging zu ihm.

»Lady! Dieser Zauber ist gehörig in die Hose gegangen, wenn Lee ihn nicht abgelenkt hätte ...«, zischte Gilmore ihr ins Ohr.

»Bitte, ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe.« Gilmore zeigte ihr die Handhabung und sofort war dort eine perfekte Illusion. Sie atmete erleichtert aus.

»Ist Ihnen langweilig Carol? Wenn ja, wäre es schön wenn Sie die Seite 41 ... 41?«, tat ich auf unwissend und wandte mich an Professor Star. Er nickte. »41 auf Keltisch lesen würden, laut bitte …!« Sie schluckte.

»Warum? Er weiß doch, dass ich Schwierigkeit damit habe!«, murmelte sie.

»Und gerade deshalb ist es immer angebracht, die eigenen Schwächen mit den eigenen Stärken zu kompensieren. Ich weiß nicht, ob Sie darüber schon Bescheid wissen, die ersten Semester Prüfungen stehen vor der Tür.«

 

Schwankende Lügen

Die Zwischenfälle in und um die Universitätsstadt verstärkten sich. Ich spürte die Anwesenheit der verschiedenen Dämonen, die nicht zu den Studenten aus der Klasse gehörten. Viele Wächter, die als Studenten getarnt waren, wurden in den Häusern aufgestellt und langsam ging es mir auf die Nerven, als menschliches Wesen rumlaufen zu müssen. Den Unwissenden zu spielen und ständig nach einem Schlupfloch zu suchen, damit ich mich ungesehen verwandeln konnte.

»Das macht mich fertig!«, zischte ich und schaute aus dem Fenster. Regen klopfte unaufhörlich an die Fensterscheibe und das Klatschen ging mir sichtlich an die Substanz. Lange dauerte es nicht mehr und der Regen würde in Schnee übergehen.

»Was willst du denn noch? Du hast das ruhigste Leben seit tausend Jahren. Bekommst Geld für ein paar Stunden Unterricht. Dank deines über die Jahre gesammelten Wissens bist du schon Professor und machst dennoch Prüfungen zum Professor, obwohl du das gar nicht nötig hast. Vor allem besitzt du einen wundervollen Menschen, der dir jeden speziellen Wunsch von deinen gierigen Augen abliest. Allerdings hat dein jetziges Dasein eine kleine Nebenwirkung.«

»Gilmore lass es endlich. Mir sind die Hände gebunden. Solange …!«

»Solange was?«, heuchelte er und stand vor mir. Ich sah, dass er sich wieder in die Zunge gebissen hatte. Der Geruch stieg mir in die Nase und ich konnte meinen Blick nicht mehr von der dunkelroten zähen Spur, die seinen Mundwinkel runterlief, abwenden. Sanft streichelte er mir über das Gesicht und nahm mich in seine Arme.

Langsam kamen seine Lippen immer näher und ich spürte meinen Drang, wie er pochend meinen Verstand einnahm. Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten, mein Atem ging stockend und ich drückte ihn an mich. Gierig trank ich seine Gabe.

»Ja trink, mein kleiner Bruder. Sättige deine Gier. Deine Enthaltsamkeit macht dich schwach. Dein unbändiges Verlangen nach diesem Menschen macht dich verletzlich. Doch wie lange wirst du diese Qualen aushalten? Dein Master ist ein Dämonenmaster sowie ein Magier. Er braucht dich nicht, du dienst ihm sinnlos. Für was dienst du ihm? Für ein bisschen Liebe, dass du dir an jeder Ecke holen kannst. - Du trittst nur in deiner wahren Gestalt auf, wenn er dich ruft. WENN er dich ruft. Du wartest vergebens. Mein kleiner Bruder, du stehst schon vor dem Abgrund. Wird er da sein, wenn du ihn brauchst? Nein, du bist nur ein Dämon, den ein Master beliebig austauschen kann. Mehr bist du nicht!«, dachte Gilmore und ließ mich trinken.

 

Die Bürotür wurde aufgestoßen und die Rektorin blieb wie erstarrt stehen. Schnell entzog ich mich Gilmore, doch es war schon zu spät. Sie sah meinen blutverschmierten Mund und ihr Blick wanderte von Gilmore zu mir und wieder zurück. Ihre Absätze quietschten und bevor ich realisierte, dass sie bereits kehrtmachte, war Gilmore an der Tür und schloss sie. Er verwandelte sich und lächelte sie an.

»Wo wollen Sie hin!«, fragte er freundlich, doch seine Augen blitzen rötlich auf und seine langen Zähne leuchteten.

»Hör auf Gilmore!«, ging ich dazwischen und sie erschrak, als sie hörte, dass ich ihn bei seinem Namen nannte.

»Meinst du das wirklich? Sie hat es gesehen!«

»Ja! Bitte verwandle dich zurück!«

»Auch nur weil du es bist. Simon …!« Er stand wieder als der Professor da, zog ein Tuch aus seinem Jackett und wischte sich den Mund ab.

»Simon?«, flüsterte sie verdattert und langsam fasste sie sich wieder. »Simon?«, wiederholte sie lauter und ich verwandelte mich vor ihren Augen.
; »Mrs. Young, darf ich mich Ihnen vorstellen?«, fragte ich höflich und verbeugte mich kurz vor ihr. »Mein Name ist Simon Darkness und das ist mein älterer Bruder Gilmore Darkness. Wir sind die Söhne des Königs Viggo von Darkness, auch bekannt als Falkon, die Prinzen der Nacht!«

»Ach her je! Deine gute Erziehung kommt durch!«, stichelte Gilmore und ich verwandelte mich wieder zurück.

»Aber bist du nicht Light Dark, der Dämon den Lee …!«, fing sie an und hielt mitten im Satz inne.

»Ja. Madam. Ich bin auch Light Dark, der ergebene Diener des Masters Lee Young! Seid unbesorgt, der Master hat Kenntnis davon, dass ich Simon Darkness bin. Meinetwegen hat er dieses Wissen für sich behalten.«

»Dann ist das Ganze … das w…!«

»Eigentlich sinnlos gewesen. Ja!«, sagte Gilmore. »Doch für meinen Bruder habe ich dieses Spiel mitgespielt. Nur muss noch gesagt werden, dass Lee es nicht weiß, dass Simon auch noch Galant Laurey ist.«

»Gilmore! Lee kommt …!«

»Dann wisch dir den Mund ab, oder soll ich auf die Schnelle einen Tomatensaft besorgen, den du wie ein spukendes Baby getrunken hast!«, sagte er und warf mir sein Tuch entgegen. Ich befeuchtete es mit meiner Spucke und wollte meinen Mund abwischen, doch Gilmore riss mir das Tuch aus der Hand und fuhr über meine Augen.

»Tja! Typisch kleiner Bruder, schon fast zweitausendfünfhundert Jahre alt, und kleckert sich immer noch beim Essen ein. Wenn Mutter dich so sehen würde, was würde sie wohl wieder sagen.«

»Du gehst mir auf die Nerven!«, fauchte ich ihn an und riss ihm das Tuch weg.

»Nein das wird sie nicht sagen!«, murmelte er vor sich hin und ich setzte mich hinter den Schreibtisch.

»Weshalb bist du gekommen, Maggie?«, fragte ich endlich und sie war immer noch fassungslos. Aber sie war eine Frau mit einer hervorragenden Auffassungsgabe und kam schnell zum Detail. Der Abschlussball, der wieder vor der Tür stand.

 

Lee klopfte an die Tür und trat ein. Jeder tat irgendwie beschäftigt und die Rektorin sah eigentlich wie immer aus. Was mich wirklich faszinierte.

»Lee! Was gibt’s?«, fragte ich, doch sein Blick war gehetzt.

»Mutter ich habe dich gesucht. Sie haben gesagt, dass du bei Professor Laurey bist!«

»Ja bin ich, um ihn über die Abschlussfeier im kommenden Jahr in Kenntnis zu setzen … Es ist eine verzwickte Sache. Weil er hier ein Professor ist und in Danhouers Haus ein Student.« Lee nickte und meinte: »Stellt euch doch nicht so an. Die Tore werden wieder geöffnet und er geht als Student. Nicht wahr Galant?«
  »Lee! Wie kannst du vor Professor Star so reden!«, schimpfte seine Mutter und Lee wurde bewusst, wie er sich verhalten hatte.
  »Bitte entschuldigt mich, aber Professor Star hat es herausgefunden.« Er schaute verlegen zur Seite. »Nun ja, dass Galant, ähm ich mein Professor Laurey und ich seit fast einem Jahr zusammen sind.«

»Oh! Bitte wegen mir keine Aufregung. Es ist nicht meine Sache, und wie Lee es schon sagte, wart ihr, bevor Sie sein Professor wurden, schon ein Paar!«, wandte sich Gilmore an mich.

»Bitte entschuldigen Sie, die Unannehmlichkeiten Professor Star!«, entschuldigte ich mich ebenfalls und die Rektorin, also Maggie, saß mit halb geöffnetem Mund da, denn sie konnte es nicht glauben, wie schnell wir uns in die Situation einfügen konnten. Was sie unbewusst ebenfalls tat.

»Mutter! Können wir nun in dein Büro gehen«, forderte Lee sie ungehalten auf.

»Ja! Natürlich!« Sogleich verließen sie mein Büro.

 

»Mrs. Young ist bestimmt nicht wegen der Abschlussfeier gekommen!«, meinte Gilmore grinsend.

»Nein! Den Anschein hatte ich auch nicht. Wohl eher, weil einige Dämonen nicht ohne Weiteres in die Büros gehen können!«

»Tja! Kann man nichts machen. Macht es dir nichts aus, das es diese Frau herausgefunden hat?«

»Warum sollte es? Immerhin wäre es früher oder später sowieso herausgekommen. Mich hat es eher gewundert, dass es nicht schon früher passiert ist. Maggie gehört zu den besten Dämonenmastern, und sie ist eine hohe Person beim Konsulat.«

»Sieht so aus, dass die Dämonen dichtgehalten haben!«, frohlockte Gilmore, ich schaute ihn an und dachte nur. ›Warum war das wohl. Ich denke, dass du deine Finger dabei im Spiel hattest.‹

»Entweder das, oder sie waren so beschäftigt mich zu beobachten, dass sie das Wesentliche, genau vor ihren Augen, nicht sahen. Gilmore dein Unterricht fängt bald an.«

»Ja ich weiß, laut Plan stehen sportliche Aktivitäten an, doch ich werde wohl wieder ihre Fähigkeiten bis zum Äußersten treiben.«

»Mach es, ich werde für heute nach Hause gehen.«

»Du hast wirklich ein sehr ruhiges Leben!«, schnaubte er und verließ das Büro. Wieder stand ich auf und ging ans Fenster.

»Wirklich ein sehr ruhiges Leben. Wenn man bedenkt, dass dieser Lord ...«, ich hielt inne und schüttelte den Kopf. Der Lord war niemand anderes, als Mablok der nur meinetwegen hierher kam. Im Normalfall wäre ich schon längst von hier verschwunden. Doch ich konnte nicht. Ich war an diesem Ort gebunden. Dabei beobachtete ich, wie Blitze vom Himmel zuckten, seufzte und dachte: »Es wäre jetzt ein schöner Moment, um auf die Jagd zu gehen!« Ich zündete mir eine Zigarette an und öffnete das Fenster. Ich sah, wie Gilmore die Studenten trotz des Regens auf dem Trainingsplatz scheuchte.

 

Ich war auf dem Weg in meine Wohnung, doch bevor ich das Gelände der Magierschule verlassen konnte, durchströmte mich Lee´s Stimme. Wie immer hatte sie die gleiche elektrische Spannung, die mir fast den Atem raubte.

»Haben Sie endlich ihren Dämon gerufen?«, fauchte Gilmore ihn an.

»Ja! Hab ich. Ich frage mich, warum ich heute mit meinem Dämon trainieren soll!«

»Ganz einfach und um es allen noch einmal zu verklickern. Wir stehen mitten im Krieg und es wäre wirklich sehr angebracht, sämtliche Waffen, Fähigkeiten und Dämonen so weit zu bringen, dass die Angriffe sowie Verteidigung von alleine geschehen. Hört auf Eure Dämonen auf Gehorsam zu trimmen und lasst sie euch beschützen! Ein Dämon kann nicht anders als euch zu gehorchen, dafür sorgt der Bann. Wenn sich ein Dämon dagegen wehrt, verfällt er entweder dem Wahnsinn, hervorgerufen durch qualvolle Schmerzen, oder er stürzt sich in den Tod. Dämonen gibt es massenweise. Wenn das eintritt, dann könnt ihr ja einen Neuen an euch binden«, hörte ich ihn spöttisch sagen und betrat das Trainingsgelände. Kurze Zeit später stand ich etwas hinter Lee. »Um Himmelswillen! Mr. Young, wann haben Sie ihrem Dämon das letzte Mal erlaubt, sich anständig zu ernähren. So hält er nicht einmal fünf Minuten durch! Möglicherweise wird er zu einer rasenden Bestie, wenn er nur etwas Blut riecht. Dann ist es unmöglich ihn zu kontrollieren und Sie können ihn gleich über den Jordan schicken!«, schimpfte Gilmore überzeugend und Lee drehte sich zu mir um. Ich stand mit gesenktem Kopf da und meine langen Haare bedeckten mein Gesicht. »Wie dem auch sei. Mr. Young ich möchte, dass Sie Ihren Dämon nach dem Training auf die Jagd schicken!«

»Warum das denn?«

»Weil wir hier unter Menschen sind und er ein Vampir ist, darum! Wie lange wollen Sie ihn noch hungern lassen? Sein Geruch sagt mir, dass er nicht einmal mehr tierisches Blut in sich hat. Mr. Young, er ist für Sie eine Waffe und eine Waffe muss gepflegt werden, sonst wird sie stumpf. Ihr Dolch in ihrem Halfter ist doch bestimmt scharf? Warum ist das so?«

»Damit ich die Feinde leichter besiegen kann und ich nicht schutzlos bin.«

»Genau! Das ist es, und genau so verhält es sich auch mit den Dämonen. Sind sie stumpf, taugen sie zu nichts und gerade Sie müssen daraus Vorteile ziehen, wo es nur geht. Sie sind nicht nur ein Dämonenmaster, sondern auch ein Magier. Eine Kombination, die einmal im Millennium auftritt. Sie dürfen sich nicht nur auf ihre magische Fähigkeiten verlassen, sondern müssen sie mit ihrem Dämon kombinieren. Wissen Sie überhaupt, wie stark Ihre gemeinsame Kraft ist?« Lee schaute überall hin nur nicht zu Gilmore. »Was hindert Sie daran, Ihren Dämon zu benutzen, wozu ist er dann da?« Lee schluckte hart und Gilmore zeichnete kurz mit dem Finger in die Luft und die Studenten, die er in seinem Zauber eingefangen hatte, starrten vor sich hin. »Lee, jetzt unter uns, sag mir, was dich daran hindert, deinen Dämon zu rufen?« Er zuckte mit der Schulter.

»Ich weiß es nicht. Es ist ... irgendetwas ... blockiert mich. Ein Gefühl, wie Angst.«

»Aber in der Klasse hast du ihn gerufen?«

»Nein, oder vielleicht ja. Unbewusst.« Ich hob meinen Kopf an und leicht schüttelte ich ihn. Schloss meine Augen und rieb mir die Stirn. Das Erlebte auf der Lichtung hatte doch tiefere Spuren hinterlassen, als ich gedacht hatte. »Ich kann es echt nicht sagen.« Gilmore klopfte ihm auf die Schulter und entließ die anderen Schüler aus der Starre. Lee musterte mich und ich drehte mich etwas von ihm weg. Einen Penny für seine Gedanken, doch sollte ich es versuchen in seinen Kopf einzudringen, würde er es bemerken.

Gilmore verpasste den Studenten ein starkes, straffes Training und am Ende saß ich erschöpft an der Wand. Lee starrte mich immer wieder von der Seite an.

»Ich hätte nicht gedacht, dass du so stark bist!« Lee rang nach Atem und ließ sich an der Wand auf den Boden plumpsen.

»Das war noch gar nichts. Es ist nicht einmal der Ansatz von dem, was er beherrscht. Er ist nur ausgehungert und ihm fehlt die Jagd. Vor allem fehlt ihm Menschenblut«, fing Gilmore an, doch Lee unterbrach ihn.

»Menschenblut? Wirklich nicht, am Ende laufen noch mehr von euch herum.«

»Nicht das Blut von irgendeinem, sondern deines. Du bist sein Master!«, sagte er und ich ging ihm an die Kehle.

»Noch einen Ton davon!«, fauchte ich und drückte zu. »So viel Kraft besitze ich auch noch, um dich halbwegs fertigzumachen!«

»Stimmt, denn du hast mir ganz schön viel Blut ausgesaugt. Wir könnten in etwa gleich stark sein.« Plötzlich und ohne Vorwarnung packte er mich am Handgelenk. Schnell drehte er es um und hielt meinen Arm nach hinten. »Oder doch nicht. Vampirblut stillt nur die Gier, gibt aber keine Kraft«, säuselte er und schaute Lee durchdringend an. Danach stieß er mich weg, dass ich mich kurz vor der Wand noch abfangen konnte. »Lee, für ihn ist es sehr beschämend, von einem anderen Vampir besiegt zu werden, wenn dieser in seiner menschlichen Gestalt ist. Sorge dafür, dass er zu Kräften kommt, gib ihm dein Blut oder lass ihn jagen. Wir befinden uns im Krieg mit einer Armee von abtrünnigen Vampiren und sie sind schon hier.«

»Aber werde ich dann nicht selbst zu einem Vampir?«

»Tzz! Nicht wenn ein Prinz dich beißt. Der Speichel ist nicht vergiftet. Er kann sogar deinen sehnlichsten Wunsch erfüllen. Fähigkeiten übertragen oder schlechte Eigenschaften wegnehmen. Ich frage mich, wie du den Monsterunterricht mit einer Eins bestehen konntest, wenn du nicht einmal das weißt!«

»Da können wir nichts dafür. Unser Professor ist ein Normalo und solche Fragen wertet er als unsinnig ab.«

»Unsinnig? Ich glaube, es wird wirklich langsam Zeit, dass ihr ordentlichen Unterricht bekommt. Solch eine Farce! Einen Normalo in einer Magierschule unterrichten zu lassen. Für Mathe oder Sprachen mag ein Normalo taugen, aber nicht, wenn es um unsere Welt geht. Unmöglich. Der Zusatzunterricht ist vorbei. Schick ihn auf die Jagd.« Er hielt kurz inne und schüttelte dann seinen Kopf. »Nein, dafür ist er zu schwach. Zu viel Feindkontakt. Gib ihm dein Blut.«

»Was ist mit Blutkonserven?«, fragte Lee und wieder schüttelte Gilmore den Kopf.

»Nein, das Krankenhaus wird überwacht und das Konsulat wird es bestimmt nicht gerne sehen, wenn ein Vampir sich an Materialen vergreift, die für Menschen vorgesehen sind.«

»Aber wenn Galant die Bisse sieht?« Wieder schüttelte Gilmore den Kopf.

»Der Speichel hat auch heilende Wirkung. Ich frage mich, ich frage mich wirklich, warum du so wenig weißt, obwohl die perfekte Quelle neben dir sitzt.«

Kopfschüttelnd drehte er sich von uns weg und verschmolz mit der Natur.

 

Ich weiß, wer du bist

Ich saß am Laptop, den ich mir aus dem Büro mitgenommen hatte, und suchte einige Informationen, die ich unbemerkt im Unterricht verwenden konnte. Das Thema Vampir und ihre Vorgeschichte, die sich über die ganze Erde verstreuten, sowie die anderen Wesen und Dämonen hatte ich hinter mich gebracht, obwohl ich wusste, dass es nicht ganz der Wahrheit entsprach. Aber was sollte ich machen? Mehr als den Tipp zu geben, mal selber im Internet zu suchen und Bekannte und Verwandte zu dem Thema zu befragen, konnte ich nicht machen. Nun waren wir bei der griechischen Mythologie angelangt und selbst da, konnte ich mehr oder weniger nur die Version lehren, die bei den Menschen üblich war. Auch da musste ich mein Wissen stark zurückhalten und war manchmal froh, das Gilmore das Fehlende, die Wahrheit, den Studenten übermittelte. Das wegen meines ›nicht Wissens‹ bei einer Extraprüfung abgefragt wurde, die ich natürlich zusammenstellte. Sicherlich versuchte ich auch, etwas von der Wahrheit zu vermitteln, aber wie Lee es Gilmore schon gesagt hatte, tat ich es als unsinnig und Fantastereien ab.

Meine Augen waren schwer und meine Gier war nicht gestillt. Noch immer hatte er mir das Jagen nicht erlaubt oder mir gestattet, von seinem Blut zu trinken. Müde und ausgelaugt, wie ich war, schlief ich ein.

 

Sanft wurde mir die Strähne aus dem Gesicht gestrichen und sein lieblicher Duft erfüllte mich. Ich öffnete meine Augen und setzte mich auf.

»Hey!«

»Lee? Was machst du hier?«

»Es ist Wochenende.« Er trat auf mich zu und nahm mich in seine Arme. »Du arbeitest zu viel. Ich hätte gedacht, dass ich dich im Bett nur mit einer Unterhose oder nackt antreffen würde.« Sanft küsste er meinen Hals.

»Wenn ich weiß, wann du das nächste Mal kommst, werde ich dir diesen Wunsch erfüllen. Ganz bestimmt«, flüsterte ich ihm ins Ohr und spürte seine warmen Hände, die sich unters Hemd schoben, auf meinem Oberkörper. Langsam glitten sie nach unten und machten Halt zwischen meinen Schenkeln. Unsere Küsse wurden inniger.

Er öffnete meine Hose und betrachtete mich. Leicht lächelte er, als er sah, dass ich kaum noch atmen konnte, meine Augen geschlossen hielt und seine wunderbaren warmen Berührungen genoss.

Eng umschlungen lagen wir im Bett und ich bekam von seinem Geschmack nicht genug.

»Was ist denn heute mir dir los?«, flüsterte er und berührte mit seinen Lippen meine Nasenspitze. Tief blickte er mir in die Augen und strich mir die Haare aus der Stirn. Ich lächelte. »Du bist so süß. Schaust so unschuldig aus, wenn du mich verlegen ansiehst, Galant.« Fest griff er mir zwischen die Schenkel. Ich stöhnte auf. »Jedes Mal wenn ich es mit dir mache, ist es für mich wie beim ersten Mal. Galant ich liebe dich. Ich brauche dich!«

»Lee lass mich dich verwöhnen. Lass es mich heute mit dir machen!«, bat ich und er nahm seine Hand von mir weg. Seine Augen wurden starr und er setzte sich auf.

»Nein!« Seine Stimme war schneidend und ich zuckte zusammen.

»Warum nicht?« Ich setzte mich auch auf. »Ich möchte dich auch hier spüren …!« Sanft strich ich ihm über seinen Hintern. Schnell packte er mein Handgelenk und riss meinen Arm hoch.

»Fass mich da nicht an. Niemand darf mich da anfassen!«, fauchte er und ich blickte ihn geschockt an. Brutal drückte er mich auf das Bett und hielt meine Handgelenke fest. Doch genauso schnell ließ er mich wieder los. »Gott! Entschuldigung ... es ... es tut mir leid!« Lee legte sich neben mich und streichelte meine nackte Brust. Ich selbst schüttelte nur den Kopf und atmete tief ein.

»Nein, es tut mir leid. Doch auch du musst mich verstehen. Ich nehme zwar gerne den Part des unten Liegenden ein, aber auch ich will dich auf diese Weise spüren.« Nun blickte ich in seine wunderschönen blauen Augen, die nichts mehr von der Kälte ausstrahlten. Ich stand auf, um mir einen Tee zuzubereiten, und schwankte. Nur mit Mühe konnte ich mein Gleichgewicht halten.

»Hey was ist denn?«

»Es geht schon wieder. Mir war nur etwas schwindlig.« Dass es daher rührte, dass ich fast vor Hunger umkam und mir das menschliche Essen so gut wie gar keine Nährstoffe lieferte, behielt ich für mich. Ich ging zum Schrank, nahm mir eine Tasse, die ich mit kaltem Wasser füllte und in einem Zug austrank. Lee, der hinter mir herkam, musterte mich lächelnd. Er lehnte sich, mit vor dem Oberkörper verschränkten Armen, an den Kühlschrank und schüttelte den Kopf.

»Irgendwann fällst du um und hast mit deinen fast achtzehn Jahren einen Herzinfarkt.« Sanft strich er mir über die Wangen. »Du arbeitest zu viel …!« Und nahm mich dann in seine Arme. Ich spürte, wie die Spitzen meiner Zähne immer schärfer wurden, und erschrak. Durch meine plötzliche Reaktion ließ er mich los und schaute mich fragend an. »Was ist los?« Sein Blick war wirklich besorgt.

»Äh! Nichts.« Krächzend war meine Stimme und die Spucke blieb mir im Rachen hängen, sodass ich husten musste.

»Wirst du krank? Geh ins Bett. Ich räume hier noch etwas auf.« Sanft hauchte er mir einen leichten Kuss auf meine Lippen.

 

Ich duschte mich noch und legte mich anschließend in mein Bett. Ohne das ich es mitbekam, schlief ich ein. Dieser menschliche Körper war ohne Blut wirklich sehr schnell am Ende seiner Kräfte. Wie lange war es her, dass ich mich das letzte Mal so richtig genährt hatte? Fast ein Jahr und langsam spürte ich den Zustand des Zerfalls. Maximal und mit äußerster Disziplin schaffte ich es bis zu einem halben Jahr, bevor es kritisch wurde, doch diese Spanne hatte ich bereits überschritten und nur dank Lee´s Magie, die mich durch den Bann mit etwas Energie versorgte, konnte ich es länger ertragen. Aber nun war ich am Ende. Nicht einmal Gilmores Blut konnte es noch weiter aufhalten.

 

Am nächsten Tag wachte ich auf, roch frisch gebrühten Kaffee und hörte zwei Stimmen, die mir bekannt vorkamen.

»Er ist aufgewacht!«, hörte ich Gilmore sagen.

»Wie spät ist es?«, fragte ich verdattert, denn mein Wecker schien die falsche Zeit anzuzeigen.

»Viertel vor eins!«, antwortete Gilmore und setzte sein Gespräch mit Lee fort. Schnell setzte ich mich im Bett auf und betrachtete noch einmal ungläubig den Wecker. Sofort hustete ich und fasste mir an dem Kopf. Er schmerzte höllisch und ich stöhnte auf.

»Ist mit dir alles in Ordnung?«, hörte ich Gilmore fragen und sank aufs Bett zurück.

»Ja! Ich war nur überrascht, dass ich so lange geschlafen habe.«

»Sicher warst du das! Und dein Husten? Vor allem die Kälte, die dein Körper ausstrahlt. Ist das nichts? Ich habe dich mit einer Wärmflasche und meinem Körper gewärmt, weil du wie Espenlaub gezittert hast«, sagte Lee fürsorglich und blickte mich sanft an.

»Hast du hier geschlafen?« Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass Lee hier gewesen war.

»Es ist Wochenende! Wo soll ich denn sonst schlafen? Wenn nicht hier?« Gilmore stand auf und zog seine Jacke an. Mit wissenden Augen schaute er mich an und atmete tief ein.

»Ich gehe dann mal, und Lee es wäre schön, wenn du dem nachkommen würdest, was ich dir geraten habe. Es ist nur gut gemeint. Er braucht es.« Lee nickte kurz und Gilmore ging.

Ich stand auf und schenkte mir ein Glas Wasser ein, dass ich in einem Zug austrank. Lee nahm mich in seine Arme und unsere Lippen berührten sich.

»Wie war deine Prüfung? Ich denke, du hast sie wieder im Schlaf gemacht.«

»Es ging.«

»Es ging? Also meine war grausam. Ich glaube, dass ich in den Schriftzügen total versagt habe.«

»So schlimm war sie doch gar nicht, hab extra die Tratro genommen.«

»Ach es war die Tratro?«, versuchte er, seine Stimme empört klingen zu lassen, und ich schmiegte mich an seine Schulter. Sein Duft stieg herrlich in meine Nase und das Rauschen seines Blutes wummerte in meinen Adern wieder.

»Du bist unmöglich.«

»Hm. Professor Star hat sie hergebracht.«

»Lass mich raten, er hat sie noch nicht korrigiert.«

»Denke ich nicht!« Er löste sich von mir und gab mir einen Kuss auf die Nase, doch ich wollte etwas mehr von ihm. Ich hob meinen Kopf und stupste mit der Zunge an seinem Mund.

»Galant … ich gehe dann.« Ach nee, nicht wo es doch so schön wurde.

»Warum?«

»Ähm!«, stotterte er und ich sah, dass er nach den richtigen Worten suchte. »Na ja. Wir haben da so ein Familienfest. Meine Tante, die auch meine Patin ist, hat Geburtstag und sie ist sehr eigen in dieser Beziehung … Tschuldige!« Ich roch, dass er log, dennoch lächelte ich ihn sanft an.

»Und warum entschuldigst du dich? Es ist nicht schlimm, dass du auf eine Geburtstagsfeier gehst.«

»Aber bis jetzt warst du immer dabei, und ...«

»Lee. Es ist deine Familie, und wenn es der Wunsch deiner Patin ist, dann respektiere ich das. Warum soll ich etwas dagegen haben? Hab sowieso Arbeit für den ganzen Tag. Mir wird es nicht langweilig.«

»Ja! Aber ich habe dir versprochen, dass die Wochenenden nur dir gehören …!«

»Lee.«

»Aber gerade in diesen wenigen Stunden, habe ich dich für mich ganz allein«, hauchte er leise. Ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Wange und seine Hände auf meinem Oberkörper, die mir wohligen Schauer über den Rücken jagten.

»Lee.«

»Ich will dich!« Mit leichtem Druck schob er meine Beine auseinander. Sein Geruch raubte mir nun fast vollständig den Verstand und meine Zähne fuhren aus. Ich schob ihn bestimmt von mir weg, hielt mir sofort den Mund zu und tat so, als ob ich einen schlimmen Hustenanfall bekam. Postwendend packte Lee mich, verfrachtete mich ins Bett, deckte mich zu und legte eine Hand auf meine Stirn.

»Fieber hast du keins. Aber Untertemperatur. Ich komme bald wieder.«

 

Ich lag immer noch im Bett und schaute zu dem verhangenen Himmel. Tief atmete ich ein und Krämpfe durchschüttelten mich. Meine menschliche Gestalt schaffte es nicht mehr, dem Vampir Einhalt zu gebieten, und ich biss mich selbst. Nur etwas Blut. Ein Tropfen mehr brauchte ich nicht und plötzlich durchzuckte ein schrecklicher stechender Schmerz meinen Kopf. Ich schrie auf und krümmte mich wieder.

»Simon, komm her!«, hörte ich ihn und schloss meine Augen. Allmählich ließ der Schmerz nach. Ich hievte mich aus dem Bett, verwandelte mich und versuchte ihn ausfindig zu machen. Er befand sich nicht in der Universitätsstadt und ich öffnete ein Portal. Bevor ich durchtrat, schüttelte mich wieder ein Krampf. Tief musste ich durchatmen und stellte mich aufrecht hin.

Langsam trat ich hindurch und befand mich inmitten des Wohnzimmers der Familie Young. Die Menschen erschraken und einige Dämonenjäger hielten Waffen auf mich gerichtet. Ich grinste sie mit fletschenden Zähnen und glutroten Augen durch meine langen, tiefschwarzen Haare, die bis zum Boden fielen, herausfordernd an.

»Waffen runter, er gehört zu uns!«, rief Lee. »Das nächste Mal benutzt du die Tür!«

»Tzz! Master, wenn Ihr mich ruft, öffnet sich automatisch ein Portal neben euch …!« Ich schnupperte in der Luft. »Untergebene?! Das ganze Haus stinkt nach Untergebenen!«, murmelte ich und schaute mich um. Kurz hob ich meinen Kopf und blickte in zwei schwarze Augen und grinste wieder. Die Augen wandten sich von mir ab und er erklärte die kommende Situation. So so, der Vampirkönig persönlich führte die Truppe an.

»In genau fünf Stunden werden wir den Stützpunkt des Feindes angreifen. Die Magier verschleiern unsere Präsenz, dass wir als Normalos durch diese Linie ...«, er zeigte auf einen Plan, auf dem ein blauer Strich zu sehen war, »brechen können. Die Dämonenmaster halten sich mit ihren Dämonen hier, und hier, und hier versteckt.« Der König zeigte wieder auf verschiedene Punkte. »Sie werden dort auf das Zeichen von General Darkness warten!«, dabei sah er Gilmore an und der nickte. »Mrs. Young, ich hoffe, Ihre Kämpfer sind gut vorbereitet«, meinte er etwas herablassen und sie schaute ihn genervt an.

»Das müssen sie, sie wurden wochenlang im Kampf und in Strategie unterrichtet.«

»Der Lord ist ein sehr gefährlicher Gegner, seine Leute sind sehr stark.«

»Da muss ich Eurer Majestät zustimmen!«, sagte Gilmore. »Die Vampire des Lords haben bei jeder Gelegenheit das Tabu gebrochen. Es sind Ghule ohne Hirn und sie greifen alles an, was sich ihnen in den Weg stellt. Ihnen ist es egal, was sie angreifen. Hauptsache sie erleben ihren Blutrausch.« Er schaute Lee an und dann wanderte sein Blick zu mir. Unmerklich schüttelte er den Kopf. Ich musste für ihn fürchterlich aussehen.

 

Ich hielt mich im Schatten in Lee´s Zimmer auf, denn die Sonne brach durch die Regenwolken. Die Sonnenstrahlen waren nun nicht mehr lästig, sie waren qualvoll. Stumm beobachtete ich Lee, wie er auf seinen Computer starrte. Wie gerne würde ich ihn in die Arme nehmen und seine Lippen spüren.

»Simon!« Ich schaute auf.

»Ja!«

»Was habe ich, was dich dazu führt, deine Natur wegen mir zu unterdrücken?«

»Ich unterdrücke meine Natur nicht Master! Ihr unterdrückt sie!«, antwortete ich leise und mied seinen Blick. Langsam kam er auf mich zu und ich wich automatisch zurück. In meiner wahren Gestalt konnte ich nur schwer bis gar nicht mehr, meine Gier kontrollieren.

»Master! Bitte haltet Abstand. Ich kann Euer Blut riechen.«

»Und!« Lee hob seine Hand und ich wandte mich ab.

»Bitte berührt mich nicht.«

»Ich will nur dein Gesicht sehen!«

»Nein!«, rief ich aus und er zuckte zusammen.

»Warum nicht?«

»Mein Gesicht ist entstellt! Für einen Vampir ist das Aussehen alles, was zählt.«

»Verstehe. Ich werde es respektieren. Aber ein Mal hattest du deine Haare zusammengebunden und ich konnte irgendwie nichts Entstelltes erkennen.«

»Das kommt daher, mein Master, weil ich kein Blut zu mir nehme.«

»Ich dachte, dieser Gilmore, gibt dir Blut?«

»Schon, aber es stillt nur die Gier und hält bedingt die Lebensfunktion aufrecht. Es gibt keine Kraft und es nährt nicht. Inzwischen bin ich schwächer als jeder einfache Mensch.« Lee atmete tief ein und sein Blick wurde kurzzeitig traurig, doch er fasste sich sogleich wieder.

»Nehmen wir an, ich gebe dir von meinem Blut. Kehrt deine Kraft dann zurück?« Sofort schüttelte ich den Kopf.

»Etwas!«

»Etwas? Ich denke, Menschenblut gibt dir Kraft?«

»Schon! Aber damit meine Kraft vollständig zurückkehrt, muss ich in den Genuss des Todes kommen. Ihr nennt es Blutrausch.«

»Das kann ich nicht verantworten!«, sagte er und wandte sich von mir ab.

»Erlaubt mir ein Tier. Hat den gleichen Effekt, hält aber nicht lange nach. Bitte. Zwei Stunden nach Sonnenuntergang findet der Angriff statt. Ich werde es nicht überleben, wenn ich nichts trinke.« Außerdem war ich schon dabei zu zerfallen, doch das behielt ich für mich.

»Gut, aber nicht hier und ich will endgültig deine menschliche Gestalt sehen.«

»Wie Ihr wünscht Master.«

»Öffne das Portal!« Als ich den Zielort in seinen Gedanken sah, erschrak ich und hoffte, dass meine Kraft noch ausreichte, um es bis dorthin zu schaffen.

»Jawohl Master.« Ich machte ein kurzes Handzeichen und Lee ging hindurch. Schnell folgte ich ihm und stand dann direkt neben ihm. Hier war es Nacht. »Bleibt hinter mir. Für Euch ist es zu gefährlich!«

»Warum? Ich bin im Besitz meiner ganzen Fähigkeiten. Auf mich brauchst du nicht aufpassen. Ich passe auf dich auf.«

 

Lee errichtete eine Barriere um uns und blickte zum Sternenhimmel. Zeitgleich drang er weiter in meine Gedanken und ich krachte auf die Knie. Bitte nicht weiter flehte ich, doch er machte keinen Halt. Als er so weit vorgedrungen war, dass er nun selbst die Qualen spürte, die ich hatte, kniete er sich vor mich hin.

»Wie konntest du das alles ertragen? Wie konntest du mich ertragen, wenn ich so nachlässig zu dir war und deine Bedürfnisse nicht erkannte. Ich bin kein guter Master. Es tut mir leid. Geh und nimm dir, was du brauchst.«

»Ich soll Menschen jagen?«, rief ich aus und er schaute mich streng an.

»Ja! Das ist ein Befehl. Töte so viele, wie nötig sind, damit du wieder bei Kräften bist.« Länger als gewöhnlich starrte ich ihn an.

»Seid Ihr da sicher? Wenn es rauskommt, wird man Euch Eure ganzen Erinnerungen löschen und mich …!«

»Das nehme ich in Kauf. Es ist meine Schuld, dass du so schwach bist. Wir, nein ich, brauche deine ganze Kraft, und wenn du auch noch von meinem Blut willst, nimm es dir.« Er blickte auf die Stadt hinab und ich schüttelte leicht den Kopf.

»Das kann ich nicht.« Und ehe ich mich versah, knallte seine Hand auf mein Gesicht. Geschockt verschlug es mir den Atem, doch ich rührte mich nicht.

»Was willst du von mir? Selbst nun, wo ich dir den Befehl erteilt habe, dass du jagen sollst, weigerst du dich. Ich verstehe dich nicht. Verdammt noch mal, wenn du bei mir bleiben willst, dann gehorche. Gehorche, wie es sich für einen gebannten Dämon gehört. Geh und besorge dir Nahrung. Stille deine Gier, deinen Hunger und dann komme zu mir zurück. Ich werde hier auf dich warten!«, zischte er und sein weißer Mantel wehte im kalten nassen Herbstwind. Seine Augen leuchteten leicht bläulich und ich stand auf. Sein Antlitz raubte mir die Sinne und mein Wille verschwand vollständig.

»Wie Ihr befielt Master.« Sofort verschmolz ich mit der Nacht. Roch in die Luft und hatte bald die Menschen herausgefiltert, die in ein paar Minuten den Tod umarmten. Fing an zu summen, leise unhörbar für menschliche Ohren, doch jeder, der mich erwartete, erstrahlte in seiner Aura.

 

›Poch, Poch, Poch, Poch, Poch, schlage du mein kleines Herz. Schlage, wie es dir vorherbestimmt ist, Schlage, wie es dir gefällt, oh mein liebes kleines Herz. Schlage schnell, schlage wild, es sind die letzten Schläge deines Seins. Schlage, solange du noch kannst. Die letzten Sekunden brechen an. Schlage, du kleines Herz, die letzten Schläge waren dein. Verstumme du armes Herz, deine Seele ist nun mein‹

 

Das erste Opfer roch nach Alkohol und Drogenkonsum. Sie hatte schon mehr als einen Freier gehabt. Stark unterdrückte ich meine Gier, damit meine Augen nicht zu Rot glühten, und sprach sie an. Immer im Wissen, das Lee alles mit ansah.

»Hey! Wie viel?« Sie musterte mich, legte einen Arm um meinen Hals und nannte mir ihren Preis.

»Für dich 'nen Hunderter.«

»Für einmal reinstecken, ist das zu viel.«

»Wo denkst du hin, all inklusive. Du gefällst mir und das ist ein Rabatt, den ich dir gegeben habe. Hey Süßer, du hast geile rote Augen.«

Langsam näherte sich der süßliche Duft Uriel's, und als sie mich mit der Nutte flirten sah, verdrehte sie ihre Augen. Sofort verschloss ich den Weg meiner Gedanken, die Uriel sahen, und widmete mich dem armen Geschöpf, das nicht wusste, dass es ihre letzten Minuten waren.

»Bin Albino. Hab nur meine Haare schwarz gefärbt.« Uriel steckte sich einen Finger in den Mund und tat so, als ob sie sich übergeben musste. Die Nutte hing sich bei mir ein und wir gingen einige Schritte. Dann zerrte ich sie in eine Seitengasse und sie wollte losschreien. Doch ein Blickkontakt reichte aus, und sie stand unter meiner Kontrolle. Ich roch ihre Angst, das Adrenalin schoss in ihr Blut und ich strich ihr sanft über ihr großzügig geschminktes Gesicht. Meine Gier brach durch und ich hackte meine Zähne in ihr Fleisch.

»Ahh!«, schrie Lee in meinen Gedanken auf.

»Master? Was ist mit Euch?«

»Ich spüre es. Es brennt. Meine Kehle. Mein Körper …!« Sofort zog ich meine Zähne aus ihrem Hals.

»Die Verbindung ist zu stark. Master verschließt Eure Gedanken. Ihr werdet es nicht aushalten.«

»Nein! Was wäre ich für ein Master, wenn ich das nicht aushalten kann? Stille deine Gier, ich spüre sie, sie ist unbändig. Mach es! Gott wie musst du gelitten haben!«, schrie er und mein Körper zitterte. »Mach es. Es ist ein Befehl …, Gott es fühlt sich so gut an …!« Plötzlich wurde mir bewusst, dass er genau das spürte, was in diesem Moment in meinem Körper stattfand und ich konnte mich endgültig nicht mehr zurückhalten. Brutal schlug ich meine Zähne wieder in ihr Fleisch und gemeinsam mit meinem Master genoss ich das Gefühl des Blutrausches.

Schlaff und tot hing die Nutte in meinen Armen und ich ließ sie achtlos fallen. Uriel atmete theatralisch ein und heimste sich ihre Seele ein.

Ich summte weiter, bis ich den nächsten Todeskandidaten ausfindig gemachte hatte. Mein Master keuchte und ich schaute zu ihm. Er kniete am Boden und genoss meinen Blutrausch. Ich lächelte, denn genau das war es, was ich mit ihm erleben wollte. Die vollkommene Resonanz.

In dieser Stadt nahm ich fünf Menschen das Leben, die aufgrund eines plötzlichen und unerklärlichen Blutverlustes ohne äußere Einwirkung starben. Uriel winkte mir zu und verschwand mit ihren dunklen Seelen.

 

Kurze Zeit später stand ich vor Lee und reichte ihm meine Hand. Sein Anblick erinnert mich an einen frisch verwandelten Vampir, der seinen ersten Blutrausch erlebt hatte.

»Master!« Schwer atmend blickte er zu mir hoch.

»Hast du immer dieses Gefühl, wenn du …!«

»Wenn ich die Menschen bis zum Tode aussauge, ja.« Er ergriff meine Hand, die durch das frische Blut warm war und sank auf seine Knie. Sanft hob ich ihn hoch und betrachtete ihn kurz. Sein Herzschlag beruhigte sich langsam und sein sagenhafter lieblicher Duft berauschte meine Sinne.

»Galant!«, murmelte er lächelnd und ich erschrak. »Wie lange willst du dieses Spiel noch spielen? Ich weiß, dass du weißt, dass ich weiß, wer du bist.«

Lee verlor sein Bewusstsein und hing schlaff in meinen Armen. Sekundenlang starrte ich auf sein Gesicht, das so friedlich aussah.

»Lee! Ja ich habe es gewusst.«

Ich trat durch das Portal. Zurück in das Wohnzimmer seiner Eltern. Alle stürmten auf uns zu und Bruce wollte ihn mir aus den Armen nehmen, doch ich schaute ihn kalt und mit gefletschten Zähnen an.


 

Mensch oder Dämon

 »Bruce!«, hörte ich die bekannte herrische Stimme des Vampirkönigs. »Gehen Sie von Simon weg!«

»Aber! Was ist mit Lee?«, schrie er schon fast und seine Mutter legte ihm sanft die Hand auf die Schulter.

»Er ist ein Dämonenmaster. Lee hat die nächste Stufe erklommen. Womöglich schon die letzte Stufe. Die beiden sind eins. Sein Dämon wird niemanden in seine Nähe lassen. Jetzt noch nicht.«

»Aber?«

»Es ist alles in Ordnung. Du darfst Lee jetzt einfach nicht anfassen. Sein Dämon hat ihn dorthin zurückgebracht, wo er am sichersten ist. Ich denke, sogar ohne Befehl.«

»Simon, was ist passiert?«, herrschte Gilmore mich an.

»Blutrausch!«

»Wie das?«

»Resonanz!« Gilmore flog aus allen Wolken und fasste sich an den Kopf.

»Wie lange?«, fragte mich der Vampirkönig. »Wir brauchen jeden fähigen Mann.«

»Ein paar Minuten.« Ohne meinen König und Vampirvater anzuschauen, legte ich Lee auf die Couch.

 

Seit nun mehr zweitausend Jahren wandelte ich als Vampir durch die Geschichte. Ich, der ein Engel des Todes war, verbannt von meinem göttlichen Vater, ewig im Exil zu leben. Wenigstens durfte ich mir die Gestalt aussuchen in der ich auch noch meinem Job, als Todesengel nachgehen konnte. Das war seit jeher nicht besser, als ein Vampir zu sein. So geschah es, dass ich als Simon Darkness, als Prinz der Nacht, wiedergeboren wurde.

 

»Wie konntest du das zulassen? Du bist ein Prinz der Nacht, ein Falkon! Simon!«, schimpfte Gilmore, doch ich ignorierte ihn. »Wie konntest du zulassen, dass er so tief in deine Gedanken eindringt?«, polterte er weiter und fasste mich an der Schulter, weil er mich zu sich umdrehen wollte. Schnell packte ich sein Handgelenk und schleuderte ihn ohne viel Kraftaufwand gegen die Wand.

»Fass mich nicht an!« Gilmore erschrak. Ich musste für ihn wieder majestätisch aussehen und er verwandelt sich. Er grinste mich kampflustig an.

»Endlich!«, zischte er und ließ mich nicht mehr aus den Augen. »Das Babysitten ist vorbei.«

»Genug!«, ging der König dazwischen, und selbst die Untergebenen wichen von meiner Aura zurück. Jli zuckte zusammen und griff sich wieder Kiels Handgelenk. Selbst er starrte mich nur noch an und schüttelte den Kopf. Seine Lippen formten, »Galant! Konnte das wahr sein?«

Die ganzen Studenten konnten nichts anders, als nur noch wie Statuen dazustehen und fassungslos zu glotzen. Doch langsam verstanden sie es. Galant, der das Buch anfassen konnte und nie da war, wenn Lee's Dämon auftauchte. Es war wie in einem Heldenfilm, in dem der Hauptdarsteller zwei Identitäten angenommen hatte, um unerkannt zu bleiben.

 

Gilmore, der sich wieder aufgerichtet hatte, grinste und wurde übermütig. Er sprang durch das überfüllte Wohnzimmer und konnte den Angriff nicht mehr erwarten. In der Zwischenzeit öffnete Lee seine Augen und setzte sich auf.

»Master!«

»Werde ich es jedes Mal miterleben?«, fragte er und ich neigte mein Kopf.

»Ich bitte um Verzeihung«, murmelte ich und er lächelte mich sanft an.

»Du bist so wahnsinnig schön, wenn du verlegen bist. Mein Geliebter.«

 

Lee machte sich in seinem Zimmer fertig und ich war überrascht, wo er überall seine Waffen und seine magischen Gegenstände versteckt hatte, die er nicht in der Zwischenwelt abgelegt hatte. Dann hielt er inne und sah mich lange an. Irgendwann lächelte er und drehte sich wieder von mir weg.

Durch meine Haare beobachtete ich ihn, und nachdem er alles verstaut hatte, legte er seinen weißen Mantel auf das Bett, um ihn gegen einen Braunen zu tauschen. Ich selbst stand in schwarzer Ledermontur da.

»Komm mal her!«, sagte er und ich tat es. Kurz schaute er mich an und dann nahm er mich in seine Arme. Selbst verwandelt war ich immer noch etwas kleiner und er beugte sich zu mir herunter.

»Ma…!«, weiter kam ich nicht. Ich spürte seine warmen sanften Lippen auf den meinen und mein Willen verschwand. Er ließ von mir ab und lächelte.

»Ja du bist es.« Sanft fuhr sein Finger über meine Wange und streifte mir die Haare aus dem Gesicht. Lange blickte er mich an.

»Als Mensch sind deine Züge viel weicher und doch so gleich.« Wieder berührten sich unsere Lippen und ich musste kräftig schlucken, sein Geschmack sammelte sich in meinem Mund. »Warum hast du mir nie gesagt, dass du das Blut so nötig hast. Ich meine, ich hätte einen Weg gefunden, denn ...«

»Es wäre kein Problem gewesen, wenn Ihr mir das Jagen nicht verboten hättet.« Kurz zuckte er zusammen.

»So, ja stimmt.« Wieder musterte er mich. »Aber könntest du mir einen Gefallen tun?«

»Ich bin Euer Dämon. Ich erfülle Euch jeden Gefallen, Wunsch oder Befehl.« Er nickte nur.

»Bitte sei wieder Galant. Deine Zähne sind so befremdlich.«

»Galant ist nur ein Name, den ich angenommen habe. Er existiert nicht.« Lee drehte sich mit einem ›Ach so‹ um und ich verwandelte mich in einen Menschen.

»Aber wenn es dich glücklich macht.« Er stockte in seiner Bewegung, und als er mich in der menschlichen Gestalt sah, kam er auf mich zugestürmt und drückte mich an sich. Nun war er voller Gier und er riss mir buchstäblich die Klamotten vom Leib. Drängte mich in Richtung seines Bettes und drückte mich darauf. Dann spreizte er meine Beine und legte sich dazwischen. Seine Küsse, seine Zunge und seine sanften Bisse raubte mir vollkommen den Verstand und nur ein ›Lee‹ begleitete unsere Liebe.

 

Die Magier hatten überall an den vorher besprochenen Punkten ihre Barrieren aufgestellt und die Dämonenmaster, die für den Angriff zuständig waren, warteten nur noch auf den Befehl von General Gilmore. Ich stand hinter Lee, und da ich nicht das erste Mal mit meinem Bruder an der Front kämpfte, zog ich meine Waffen. Er lächelte, als er dies sah und wartete auf das Zeichen der Magier. Langsam ging ich an meinem Master vorbei und gesellte mich neben Gilmore.

»Es ist eine gute Nacht!«, sagte er und ich schaute zu den Sternen.

»Ja, es ist eine gute Nacht, doch wir werden heute nicht gewinnen«, erwiderte ich und er nickte zur Bestätigung.

»Da stimme ich dir zu. Der Lord hat uns längst durchschaut.«

»Ja, das hat er und wir sind umzingelt. Deine Untergebenen sind ganz schön minimiert worden. Irgendetwas sagt mir, dass Vater es so geplant hat.«

»Jepp!« Ich atmete ein und schloss meine Augen.

»Typisch. Für ihn ist das alles nur ein Spiel.«

»Aber so macht es mehr Spaß.«

»Ja! Aber nur wenn unsere Gegner menschlich wären, doch wir haben es mit einer Armee von Vampiren zu tun. Und ich habe das Gefühl, das ich diesen Lord kenne.«

»Hm! Ich denke, du denkst das Gleiche wie ich!«, meinte Gilmore und ich öffnete meine Augen wieder.

»Mablok!«, zischte ich und Gilmore hielt seinen Blick starr gerade aus.

»Dies ist für ihn nur ein Aufwärmtraining, um zu erfahren, wie stark wir sind. Er wird nicht einmal in der Nähe der Universitätsstadt sein. Er kennt die Stärke der königlichen Armee, das ist für ihn nicht das Problem, aber was er nicht kennt, ist die Stärke der Dämonenmaster. Er hat einen Heidenrespekt vor ihnen«, sprach er weiter. Das könnte unser Vorteil sein, aber sicher war ich mir deswegen auch nicht. Mablok besaß spezielle Fähigkeiten, die sogar für Vampire verheerende Folgen hatten. Doch das war nicht das eigentliche Problem und ich schaute in die Richtung, aus der ich seine Aura zu spüren glaubte. »Ich frage mich, ob er es weiß.«

»Das ich einem Menschen diene?« Ich zuckte nur mit den Schultern, denn es wusste niemand, nicht einmal mehr die Studenten, dass er uns auf der Lichtung angegriffen hatte. »Das kann ich dir nicht beantworten. Aber wenn ich die Umstände betrachte, dann könnte man schon meinen, dass er etwas davon weiß. Tatsache ist, dass er schon länger hinter mir her ist.«

»Und noch eine Tatsache ist, dass du fürchterliche Angst vor ihm hast.«

»Ich habe keine Angst vor ihm persönlich, sondern vielmehr davor, wieder in seine Hände zu fallen.«

Denn solange ich in diesem Körper steckte, war ich an den irdischen Regeln gebunden.

 

Erste Begegnung

Gilmore erwiderte darauf nichts, doch Lee hatte das Gespräch mit angehört, und wartete auf einen günstigen Moment, um Gilmore darauf anzusprechen. Irgendwie hatte er das Gefühl, das dieses Thema Simon ihm ganz schön zusetzte.

Gilmore blickte ihn durchdringend an und schnaufte tief ein.

»Du wirst eh nicht locker lassen.« Lee schüttelte den Kopf.

»Mablok ist Simons einziger Sohn.«

»Sohn?!«, rief er verdattert und Gilmore lächelte.

»Wie soll ich es erklären! Es war Bürgerkrieg und wir waren auf der Jagd. Eigentlich kann uns was Besseres als Krieg nicht passieren. Fast tote Menschen, die nur auf Erlösung warten. Also Nahrung im Überfluss. Und genau zwischen Toten und halb toten Menschen lag ein Junge, der seine Mutter fest umklammert hatte. Simon, der schon immer sehr feinfühlig war, nahm sich des Jungen an. Doch ein Schicksalsschlag folgte dem anderen. Simon anerkannte ihn als seinen richtigen Sohn. Adoptierte ihn, und weihte ihn in unser Geheimnis ein. Viele Jahre vergingen, und aus dem lebhaften, aufgeweckten Jungen wurde allmählich ein Mann. Doch das Land, dass vom Krieg beherrscht wurde, war verseucht und übertrug eine Krankheit auf den Jungen. Simon, der ihn nicht verlieren wollte, schenkte ihm deshalb das ewige Leben.« Gilmore blickte zu mir. Er wusste genau, dass ich es hörte. »Jeder hatte ihn davor gewarnt, doch er schlug es in den Wind. So vergingen wieder viele Jahrzehnte und Mablok verfiel zusehends dem eigenen Blutrausch. Nicht nur das, er respektierte Simon nicht mehr als seinen Vater, sondern wurde im Gegenüber besitzergreifend. Verlangend.«

»Was passierte dann?«

»Mablok war nicht mehr wiederzuerkennen. Sein Wahn, Simon wäre seine wahre und einzige Liebe ... Irgendwie schaffte er es, Simon in eine Falle zu locken. Er hatte ihn entführt und versklavt. Simon musste große Qualen über sich ergehen lassen und das Schlimmste war, das er ihn in der ganzen Zeit, immer noch als seinen Sohn liebte. Selbst nachdem wir ihn, ausgehungert, gefesselt und misshandelt vorgefunden hatten, liebte er seinen Sohn noch immer. Das ist eine Fähigkeit von Mablok, seinen Opfern falsche Wahrnehmungen einpflanzen. Wochenlang war Simon nicht ansprechbar und sprach nur von seinem Sohn. Als sich sein Zustand endlich besserte, sprach er nie wieder von ihm. Aber er jagte ihn, und als er ihn fand, sperrte er ihn in die tiefste und dunkelste Höhle, die er finden konnte. Sei mir nicht böse Lee, aber als ich hörte, dass Simon nun einem Menschen dient, machte ich mir die größten Sorgen. Viele Dämonenmaster finden Freude daran, ihre Dämonen zu quälen.«

»Gilmore, diese Sorgen sind unberechtigt. Nun, zumindest von jetzt an, unberechtigt. Aber ich werde in Zukunft ein besserer Master sein und genauso ein guter Liebhaber. Ich werde Simon alles geben, was er braucht. Wenn es ihm nach meinen Körper giert, so werde ich ihn freiwillig geben. Giert es ihm nach meinem Blut, so werde ich es ihm geben.« Gilmore betrachtete ihn verdattert.

»Du weißt es?«, fragte er ungläubig und Lee nickte.

»Ja! Schon seit dem Tag, als ich ihn das erste Mal sah. Das Konsulat hat mich auf ihn angesetzt. Eigentlich auf Galant Laurey, weil er in Verdacht stand, Light Dark zu sein«, antwortete Lee und Gilmore sog scharf die Luft ein.

 

Rückblick: Lee Young

 

»Ich habe einen Auftrag für dich«, sagte Bruce zu Lee, der gelangweilt auf seinem Bett saß. Er gähnte, und starrte weiter an die Decke.

»So und welchen? Soll ich wieder einen Streit zwischen Rumus und Gohr schlichten, die sich eh nur die ganze Zeit stumm anstarren und alle zehn Minuten ein Wort sagen?«, nörgelte er und Bruce lachte los.

»Das muss man wirklich gesehen haben, wenn die Dämonen streiten«, prustete er weiter und Lee verdrehte seine Augen.

»Ha, ha! Das ist sehr witzig.«

»Tja, für die vergeht die Zeit anders«, meinte Bruce und setzte sich neben seinen kleinen Bruder.

»Nein! Es ist eine Observierung!«

»Ach nö!«

»Doch! Es ist ein Auftrag vom Konsulat und wir brauchen einen Dämonenmaster.«

»Ich bin noch keiner.«

»Das weiß ich, aber du bist auch ein Magier, deshalb habe ich dich vorgeschlagen«, sagte er und warf ihm ein leicht zerknittertes Foto hin.

›Wie süß‹, dachte Lee und konnte nur noch schwer seinen Blick von dem Gesicht wenden. »Was hat er getan?«, kam es leicht stockend aus seinem Mund.

»Eigentlich nichts.«

»Nichts?«

»Ja, deshalb sollst du ihn ja auch nur observieren und herausfinden, ob dieser Junge der sich unter dem Namen Galant Laurey vorgestellt hatte, in Wirklichkeit der berüchtigte Vampir Light Dark ist.«

»Nur observieren?«

»Ja, nur observieren!«

»Langweilig!«, murrte Lee und Bruce klopfte ihm auf die Knie.

 

Lange betrachtete er das Bild von dem Jungen und schloss seine Augen. Immer wieder wiederholte er den wohlklingenden Namen Galant Laurey.

»Das ist ja wieder mal prima! Wie soll ich anhand eines Bildes und eines Namens herausfinden, ob er ein Vampir ist. Wieder mal typisch!«, dachte Lee und schwang sich aus seinem Bett. Langsam zog er sich an, nahm ein leichtes Parfum und verließ das Haus seiner Eltern. Kurz bewegte er seine Hand und die Barriere öffnete sich. Er blieb stehen und schloss sie mit der gleichen Handbewegung.

Ein Falke, der auf einem Hausdach saß, beobachtete ihn und neigte seinen Kopf etwas zur Seite. Dann spannte er seine Flügel und landete sanft auf seiner Schulter. Leicht berührte Lee die Federn des Falken und ein Portal wurde geöffnet. Lee bedankte sich und trat durch die Öffnung. Der Falke landete wieder auf dem Dach und sein Interesse richtete sich auf eine Maus, die er gerade erspäht hatte.

Lee stand in der Mitte auf dem Campus seiner Universität und blickte sich um. Es war ruhig. Eigentlich normal in der Ferienzeit, da waren sämtliche Studenten, Professoren und sonstige Angestellte daheim bei ihren Verwandten.

Noch einmal nahm er das Foto und drehte es auf die Rückseite. Dort war eine Adresse angegeben, die nicht vom Fotoladen stammte, es war eine Nebenstraße in der Stadt. Klar Nr. 409, las er. »Oh ein Elite Student. Nein, nur ein Schüler, weil er in der Klasse 11b angemeldet ist«, dachte sich Lee und steckte das Foto weg. Er machte sich auf den Weg zu dem Wohnblock, der zu dieser Schule gehörte. Der Weg war nicht sehr weit, denn es war das Nachbargebäude seiner eigenen Universität.

 

Kurze Zeit betrachtete er das Haus und sah jemanden auf sich zukommen. Seine Haare waren wirr und durcheinander, trotzdem stand es ihm. Seine Klamotten wiesen Verschleißspuren auf, trotzdem sah er darin wie ein Model aus. »Es ist der Junge!«, dachte Lee. Der fremde Junge ging einfach an ihm vorbei, und schloss die Eingangstür auf.

Lee sah, dass er eine Plastiktüte bei sich trug, dessen Inhalt wie Flaschen aussahen. Auch roch er etwas nach Alkohol. Nun, da es nur eine Observation war, machte Lee für den Abend Feierabend.

In der darauf folgenden Nacht lief er ihm in gebührendem Abstand nach. Er war auf dem Weg zum naheliegenden Wald, doch dort verlor er ihn aus den Augen. Am nächsten Tag sah er ihn, wie er in den kleinen Supermarkt ging, und einige Minuten später mit dem Mädchen an der Kasse stritt. Danach lief er Wutendbrand aus dem Laden. Nach einer Weile nahm er eine Flasche Schnaps aus der Tüte, setzte sie an und trank sie fast vollständig leer.

»Man-o-man, wenn das mal keine Alkoholvergiftung wird«, murmelte Lee, doch der Junge zeigte keinerlei Anzeichen, betrunken zu sein und lief in Richtung seiner Wohnung. Lee überlegte sich all die Tage, warum er den Jungen nachspionieren musste. Er war doch nur ein einfacher Junge, der nun ja, wohl nicht gerade viel Geld von seinen Eltern bekam. Lee nahm sich vor, dass dieser Tag der Letzte sein würde und er seinen Bericht, der recht kurz werden würde, dem Konsulat vorlegen wollte. Während er ihm weiter folgen wollte, musste er feststellen, dass er verschwunden war. Verdrossen sog er die Luft ein. Er hatte keine Lust, sich schon wieder die ganze Nacht um die zu Ohren hauen, nur um zu wissen, wo er sich aufhielt und was er machte.

 

Rückblick: Engel des Todes

 

Ich saß über ihm auf dem Baum, und irgendetwas weckte mein Interesse. Etwas Herrliches, welches mein Innerstes bewegte. Etwas vollkommenes Neues, das ich nicht kannte und mich für ihn einnahm, kitzelte meine Sinne. Es war nicht der leichte Hauch seines teuren Parfums, es untermalte den Geruch nur und ich spürte, dass meine unterdrückte Gier in mir erwachte. Mein Verlangen wuchs mit jeder Sekunde, die ich in seiner Nähe verbrachte. Ich wollte es haben, ich wollte es schmecken. Das Blut, das so sagenhaft gut roch, war mir vertraut und ich sehnte mich danach.

Lange kämpfte ich gegen den Impuls an und schwang mich leise vom Baum. Doch Lee bemerkte es und drehte sich zu mir um. Er musterte mich und ich lächelte ihn an.

»Ehm! Mein Name ist Lee Young.« Er wollte mir die Hand reichen, doch meine ließ ich stecken.

»Schön!« Ich ging an ihm vorbei, doch sein Geruch ließ mich anhalten. Ja ich kannte den Geruch und ich schaute ihn mir genauer an. Seine Zeit war noch nicht vorbei, und doch lockte mich etwas. Aber was war es, wenn es nicht der Duft des nahenden Todes war? Ich war überzeugt, ich hatte ihn schon einmal gerochen.

»Ich habe mich hier verlaufen«, sagte Lee. »Gott was Dümmeres fällt mir nicht ein?«, dachte er und lächelte mich an.

»Das ist nicht gut! In der Nacht sind die Straßen gefährlich!«, erwiderte ich.Dieses Lächeln, es zog mich magisch an.

»Könntest du mir helfen, und mir sagen, wie ich zu der Hailabzweigung komme?«, fragte er. Seine Stimme, sie hallte in meinen Gedanken wieder, und ich zeigte in die Richtung.

»Ungefähr fünf Minuten von hier, du kannst es nicht verfehlen.« Dankend drehte er sich um. Das Pochen an seinem Hals. Sein Geruch. Alt, Nachkomme, Dämonenmaster, Magier, Templer ... das schien unmöglich! Und doch, vor mir stand der Junge, dem ich vor ein paar Jahren eine zweite Chance gab. Schon damals hatte er mich fasziniert.

»Ja! Danke! Ach, wie ist dein Name?«, fragte er.

»Li… Laurey Galant.« Verdammt! Warum verriet ich ihm, so leichtfertig meinen Namen, noch dazu hätte ich beinahe den Falschen genannt. Das passierte mir doch sonst nie. Sein Blut, es wurde wärmer, der Anstieg des Rauschens in seinen Adern, wenn er sich bewegte. Die ganze Luft war von seinem Duft erfüllt. Ich konnte es nicht mehr zurückhalten, ich wollte ihn, ich wollte sein Blut und plötzlich hatte ich ihn am Hals gepackt. Er sah, dass meine Augen rötlich wurden, meine Haare bis zum Boden wuchsen und meine Zähne bedrohlich hervorschauten.

»Da bist du ja! Light Dark!«, zischte er und stach mit einem Dolch zu. Ich wich ihm aus.

»Verstehe! Also lässt du mir keine andere Wahl, als dich zu töten. Eigentlich wollte ich nur etwas von deinem Blut kosten.« Okay, ich hätte ihn nicht getötet, seine Zeit war noch nicht dran. Ich wollte ihn bis zur Bewusstlosigkeit aussaugen und ihm dann die Erinnerung an mich nehmen, doch dann ging es schnell. Als ich meine Zähne in seinen Hals schlagen wollte, hinderte mich etwas. Eine unbekannte Macht hielt mich auf und die Erinnerung holte mich ein. ›Verdammt, ich habe den Fluch, den ich ihm geschenkt hatte, vergessen!‹ Am nächsten Tag wachte ich in meinem Bett auf und konnte mich nicht mehr erinnern, auch nicht daran, wie ich nach Hause gekommen war. Die Erinnerung verblasste und verschob sich in den Teil meines Gehirns, in dem längst vergessene Erinnerungen begraben waren.

 

»Er fand es heraus und griff mich ohne Vorwarnung an. Ich hatte mich auf Anhieb in ihn verliebt. Ich konnte nicht weitergeben, dass er Light Dark war, deshalb behielt ich es für mich und löschte kurzerhand seine Erinnerung. In den darauffolgenden Tagen und Wochen wies der Jagdbestand der Menschen, immer weniger Tiere auf. Tote Rehe und Wildschweine wurden gefunden. Manchmal auch Füchse und Hasen. Ich fand heraus, dass er bei jeder Gedächtnislöschung auf die Jagd ging und sein Verhalten sich immer wieder veränderte. Er erkannte mich zwar, doch er war entweder aggressiv oder zurückhaltend, aber es verlief immer gleich. Egal, was ich auch tat, am Ende liebten wir uns, bis ich es aufgab, seine Erinnerungen an uns zu löschen.«

»Verstehe!«, sagte Gilmore. »Aber dafür habt ihr Zwei fast ein Jahr lang die Reise nach Jerusalem gespielt.«

Gilmore blickte wieder zu mir, doch diesmal hatte ich nichts mehr von ihrem Gespräch mitbekommen. Das Angriffssignal wurde gegeben und ich stürmte bereits auf eine Horde Ghule los.

 

Der Angriff

Der Gegenangriff erfolgte schnell und ich kämpfte an der Seite von Lee. Ich war überrascht, wie stark er war. In den Trainingseinheiten mit Gilmore stach seine Kraft und Ausdauer nicht besonders gut hervor. Doch nun war selbst bei einem erbitterten Zweikampf sein Gesicht entspannt. Der Mondschein spiegelte sich in seinen Augen wieder und seine Bewegungen glichen denen eines Tanzes. Zauber, Flüche und Formeln kamen wie automatisch über seine Lippen. Er donnerte mir Befehle hin, die ich sofort ausführte. Er nutzte mich, wie es sich für einen Dämonenmaster gehörte. In der ganzen Zeit wuchs zwischen uns die Resonanz und bald brauchte Lee nichts mehr zu sagen. Ich führte es einfach aus. Ich sah durch seine Augen, er durch meine. Wir bewegten uns im Einklang. Wir waren vollkommen Eins.

Gilmore ging in seinem Element auf und nur wenige Dämonenmaster und Magier wurden verletzt. Diejenigen, die gebissen wurden, heilten wir. Es glich einem Wunder, dass nur wenige, bei dieser Übermacht an Ghulen, starben. Ich selbst kämpfte nicht nur Seite an Seite mit Lee, sondern summte zudem noch das Lied des Todes und führte die reinen Seelen in das Totenreich. Uriel sprang wie ein kleines Mädchen über die Toten hinweg und pickte sich ihre dunklen Seelen raus, die sie zu Satan schickte. Sie war zu vergnügt und das passte nicht. »Uriel, was hast du vor?«, dachte ich.

 

Kiel hielt Jli am Boden und sie wurde immer hysterischer als sie mich näherkommen sah.

»Halt sie fest!«, zischte ich und Lee beobachtete mich nur.

»Komm mir nicht näher, Blutsauger!«, schrie sie und trat mit ihren Beinen um sich.

»Halt sie fest. Sie ist vergiftet worden«, wurde ich lauter und Kiel erschrak. Er verstärkte seinen Griff, doch sie wehrte sich immer noch.

»Was willst du machen?«, fragte er ängstlich, als er meine Zähne sah.

»Ihr das Gift aussaugen oder du hast bald einen Ghul als Freundin. Nämlich eine, die nach deinem Leben trachtet.« Ohne ein weiteres Wort ging Lee zu Jli und packte ihre Beine. Er sprach mit ruhiger und deutlicher Stimme auf Kiel ein und dieser nickte nur. Nachdem Jli durch die beiden fixiert war, suchte ich die Stelle, wo der Ghul sie gebissen hatte. Irgendwie hatte es Jli geschafft, sich aus Kiels Griff zu befreien und feuerte mir eine.

»Halt sie verdammt noch mal fest. Wenn die Wandlung einsetzt, dann dauert es nur noch Sekunden.«

»Geh weg!«, schrie sie und in ihren Augen loderte der Wahnsinn auf.

»Verflucht!«, schimpfte ich. »Beeilt euch! Die Verwandlung beginnt.« Sie wehrte sich immer noch. Schnell setzte ich mich auf sie und drehte ihren Kopf zur Seite, damit ich an die Wunde kam. Sie war violett gefärbt und leichte bläuliche Spuren bahnten ihren Weg bis zum Herzen. Ich biss zu und sie schrie laut auf.

Ekelhafter Geschmack machte sich in meinem Mund breit, doch ich saugte ihr Blut, bis ich davon nichts mehr schmeckte. Dann ließ ich von ihr ab. Sofort stand ich auf und übergab mich.

»Behandelt sie.« Diese Anordnung war an Susan gerichtet und ich wischte mir den Mund mit der Handfläche ab. Auch Gilmore verzog seinen Mund und selbst der König saugte den Menschen das Gift der Ghule aus. Die Magier und die Dämonenmaster standen fassungslos da und starrten nur noch.

Kiel blieb bei der bewusstlosen Jli und ihr Dämon suchte das Weite. Ich schüttelte den Kopf und dachte mir, was für ein Feigling und dummes Viech er war. Obwohl ein Löwendämon nur so von Stolz protzte und auch nicht gerade zu einer schwachen Kategorie gehörte, schien es, da er an einem Menschen gebunden war, etwas zu viel des Guten.

 

Plötzlich überlagerte ein Geruch alles andere und ich schaute zu Lee. Ich sah, dass er sich kurz am Arm festhielt und dennoch weiter die Verwundeten versorgte. Mein Verlangen stieg an und ich wandte mich von ihm ab. Lee würde es nicht vor mir eingestehen, dass er verwundet war, oder sich überhaupt von mir behandeln lassen und so machte ich die letzten Verletzten transportfähig. Die Angriffswelle war vorbei und der Rückzug wurde befohlen.

Dr. Vangil, auch wenn ich ihn nicht besonders ausstehen konnte, erledigte seine Aufgaben sorgfältig und gewissenhaft. Auch einige Dämonen hatte er behandelt und der Katzendämon von Susan wich ihm nicht mehr von der Seite. Kurz darauf sah ich den Grund. Susan war zusammengebrochen und lag auf der Trage. Sie war nicht verletzt, sondern körperlich total ausgelaugt. Ihr Dämon hatte doch etwas zu viel von ihr beansprucht. Doch ich fühlte so etwas wie Stolz. Diese beiden konnten noch viel erreichen. Zeit hatten sie, wenn ich es richtig sah und dass nicht zu wenig, sondern viel länger als ein normales Menschenleben. Abwegig war es nicht. Immerhin war Susan eine Heilerin und sie konnte, wenn sie die Kraft und die Fähigkeit erlernte, dem Zerfall des Alterns entgegenwirken.

 

Lee lag auf der Couch und hatte die Augen geschlossen. Sein Arm war verbunden. Ich stand am Fenster und rauchte.

»Die Sonne wird bald aufgehen!«, murmelte ich.

»Hast du irgendetwas vor?«, fragte Lee und setzte sich auf.

»Nein! Nur die Tests korrigieren.« Er stöhnte auf und ließ sich wieder auf die Couch fallen.

»Sag mal! Wie ist es eigentlich für dich, zu wissen, dass dein eigener Sohn dich verfolgt?« Die Frage kam überraschend und ich zuckte bei der Erinnerung an ihn zusammen.

»Er ist nicht mehr mein Sohn.«

Lee verstand, dass es für mich zu schmerzlich war, und beließ es dabei. Ich öffnete ein Portal und war schon dabei durchzugehen, als Lee fragte: »Wo willst du hin?«

»Ich brauche etwas Schlaf!« Schon spürte ich seine Arme, die sich um meinen Oberkörper schlangen.

»Dann schlafe hier! Ich werde auf dich aufpassen. Auf deinen wunderschönen sanften Körper. Auf deine leichten rötlichen Lippen, und mir ab und zu einen Kuss von dir klauen!«

Ich atmete ein und verwandelte mich. Legte meinen Kopf auf seine Schulter und genoss seine Hand, die sanft über meinen Rücken streichelte.

»Das wäre schön, mein Master.« Lee gluckste und ich schaute zu ihm.

»Es wäre schön, wenn du, so wie du nun bist, mich nicht mit Master anredest, denn dann habe ich Hemmungen, dich zu lieben. Außerdem brauchst du mich überhaupt nicht Master nennen.«

»Doch, das werde ich weiterhin tun. Ihr seid mein Master, ob ich nun in menschlicher Gestalt bin, die eh nur eine Hülle ist oder in meiner wahren Gestalt. Ich bin ein Dämon und kein Mensch. Ein Vampir.«

»Ja das ist es ja.«

»Und nun mein Master. Ihr wolltet mir Gutes tun. Macht es. Schlaft mit mir.«

»Das hört sich so doof an, wenn du als Mensch vor mir stehst.«

»Lee, wie lange soll ich noch warten, bis du es mir besorgst?«, grinste ich ihn an und zuckte herausfordernd meine Augenbrauen und Lee verfiel in Gelächter.

»Oh man ich fass' es nicht. Aber das ist schon viel besser.« Er kam auf mich zu, hob mein Gesicht an und endlich berührten sich unsere Lippen. Wohlig seufzte ich unter seiner Liebkosung und gab mich ihm hin.

 

Albtraumhafte Resonanz

In der ganzen Universitätsstadt waren Ferien, nur in der Magier- und Dämonenmasterschule herrschten Aufruhr und Unterricht. Professor Galant Laurey wurde nun fast gar nicht mehr gesichtet, doch stattdessen trat um so öfter Simon Darkness auf und es nervte mich.

Ich stand mit verschränkten Armen am Fenster und Gilmore unterhielt sich mit meinen Studenten. Hielt meinen Unterricht ab und brachte ihnen, den von mir vorbereiteten Stoff bei. Obwohl es die Studenten nicht juckte, wenn ich in der Nähe war, kamen sie immer auf mich zu, fragten mich und oft rutschte ihnen Professor Laurey raus.

Tief atmete ich ein und zählte in Gedanken, wie viele Schneeflocken an der Scheibe zu kleinen Wassertropfen wurden.

Winter! Ich liebte diese Jahreszeit und doch empfand ich innerlichen einen Widerwillen. Nur noch wenige Tage und es war Weihnachten. Ich drehte mich weg und ging in mein Büro, welches auch Gilmore für sich beansprucht hatte. Aus einer Schublade holte ich meine Zigaretten und zündete mir eine an. Dann setzte ich mich an den Schreibtisch und genoss das leicht berauschende Gefühl, welches der Nikotin hervorrief.

Nach wenigen Minuten ertönte die Glocke und ich schüttelte den Kopf. Nicht einmal während der Ferien wurde an Strom gespart, aber es war mir egal. Wieder zog ich an der Zigarette und die Tür, die zum Klassenzimmer führte wurde geöffnet. Gilmore unterhielt sich mit Lee, Kiel und Jli.

»Das würde ich nicht so sagen … Ah Simon!«, sprach mein Bruder mich an und ich schaute hoch. »Was würdest du sagen, wenn ein Gegner dich frontal angreift, es sich dann, als eine Täuschung herausstellt und er stattdessen von der Seite kommt!«

»Dann hast du die Arschkarte gezogen, wenn der Gegner ein Profi darin ist!« Mit einem Gähnen sah ich ihn belustigt an. Er schloss nur kurz seine Augen und ich drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. »Nein, im Kampf muss man immer auf das Unvorhergesehene vorbereitet sein. Wenn der Feind frontal kommt, gibt es nur zwei Dinge zu beachten, immer darauf gefasst zu sein, dass er schnell auf die Seite wechseln könnte, und die richtige Beinhaltung einnehmen. Du musst so stehen, dass du dich jederzeit auf die eine oder andere Seite drehen kannst, um die Attacke abzuwehren und wenn nötig, genauso angreifen zu können.« Gilmore drehte sich zu Kiel und grinste.

»Sehen Sie! Genau das habe ich auch gesagt und vor allem Blickkontakt halten. Nie den Gegner aus den Augen lassen!«

»Hm! Ich habe es verstanden, aber dennoch ist es für mich unbegreiflich! Wie kann ich so schnell reagieren und dann wieder agieren?«, fragte er und ich lächelte.

»Prinz Gilmore! Es wäre in Anbetracht der Thematik doch von Vorteil, wenn Ihr beim nächsten Training diese Frage praktisch erörtert!« Gilmore fasste sich an die Stirn und atmete tief ein.

»Ziemlich förmlich für einen Dämon, der seinen Mund eigentlich halten sollte!«, zischte er und schaute Lee dabei an.

»Warum? Ihr habt mich gefragt und ich war so frei und gab Euch die Antwort, Eure Hoheit«

›Lee vernachlässigt zu oft die Regelung, die für gebannte Dämonen gelten. Doch böse konnte ihm deswegen niemand sein. Er liebt Simon über alles und sein Dämon macht alles für ihn.‹ Gilmore schüttelte den Kopf und rieb sich die Augen.

»Okay! Weil dieses Thema mich jetzt seit dem letzten Kampf immer wieder verfolgt. Lee für den Rest des Tages ist Kampftraining angesagt, und wehe ich werde danach noch einmal gefragt. Was wäre wenn, wie, und warum und hätte es dennoch nicht geschehen und anders sein sollen! Simon es wäre schön, wenn du mir dabei helfen würdest!« Na toll und ich verzog meine Mundwinkel. »Du brauchst dich nicht zu beschweren, immerhin war es dein Vorschlag!« Er verwandelte sich und etwas überrascht schaute ich ihn an, dennoch verstand ich es. Nun da er mich darauf hingewiesen hatte, mich nicht frei und normal zu benehmen, obwohl ich es von meinem Master her durfte, wartete ich, bis Lee mir mit einem Kopfnicken sein Einverständnis gab.

»Wie Ihr meint Hoheit!«

»In zehn Minuten fertig auf dem Trainingsgelände!«

»Ich würde die Halle vorziehen, die Wolken scheinen zu verschwinden!« Er grinste mich an und nickte.

 

Magier standen in ihrer kompletten Übungsausrüstung da und den Dämonenmaster wurde nur die Waffe erlaubt, mit denen sie am besten umgehen konnten. Einige Dämonen schienen seit dem letzten Kampf nicht mehr sehr begeistert davon, gebannt worden zu sein, und mussten öfters aufgefordert werden, sich bereit zu machen.

Die ganzen Annehmlichkeiten, die sie hatten, die aber damit bezahlen werden mussten, für ihre Master zu kämpfen, waren für sie wohl doch zu gering und ihnen wurde ein Zwangsband angelegt.

Ich stand mit geschlossenen Augen an der Wand und atmete tief die Luft ein. »Das kann ja heiter werden. Nichts ist schlimmer als Disharmonie unter Kampfgefährten«, dachte ich, und als ob Gilmore meine Gedanken gelesen hatte, schüttelte er den Kopf.

Nur ein einziger Dämon stand mit ganzem Willen hinter einem Mädchen und wollte unbedingt stärker werden. Susan, die die Energie ihres Dämons spürte, errötete und stand leicht beschämt, aber auch stolz vor Gilmore. Sie wartete auf Anweisungen, wie sie ihren Dämon besser trainieren konnte, damit sie selbst stärker wurde.

Gilmore stellte Zweiergruppen auf, die ungefähr den gleichen Level aufwiesen. Diejenigen, die übrig blieben, sollten sich mit anderen abwechseln. Lee schaute Gilmore leicht fragend an und er grinste nur.

»Mit wem soll ich trainieren?«, fragte er und ich schaute hoch. Ich konnte es mir vorstellen und atmete wieder tief ein.

»Mit mir! Du und Simon spielen in einer anderen Klasse als die.« Na sagte ich doch.

»Wieso? Ich bin nicht besser als Susan oder Kiel oder Jli!«

»Stimmt, bist du nicht, aber ihr beide zusammen seid es. Was bringt es euch, wenn ihr euch mit kleinen Fischen rumschlagen müsst. Das wäre eine Beleidigung für eure Resonanz. Ihr beide habt die vollkommene Stufe erreicht und Simon kann sein komplettes Potenzial nutzen, aber auch nur so lange, bis du an deine Grenzen stößt«, sagte Gilmore und seine Zähne blitzten auf.

»Und wie soll das jetzt funktionieren? Ich meine, Sie kennen seine Fähigkeiten und andersherum ist es genauso.«

»Stimmt. Das Problem ist nur. Simon ist an dich gebunden. Mit anderen Worten, er ist so stark, wie du es bist oder es während der Resonanz zulässt. Wenn du sagst, verletze deinen Gegner nur, so wird er seine Kraft einschränken und herausfinden, wie weit er gehen kann. Wenn du aber sagst, kämpfe mit allem, was du hast und töte deinen Gegner, so wird er sich nicht zurückhalten. Aber damit sind auch seine Ressourcen schnell verbraucht, und das schlägt auf dich zurück. Und genau darin besteht jetzt das Training. Dein Dämon muss wissen, wie viel er von deiner Energie nehmen kann, bevor es für dich kritisch wird.«

»Aber das ist jetzt ein ganz anderes Training, als das was von den anderen verlangt wird.«

»Stimmt. Wir, oder eher du, hast es mit einem Gegner zu tun, der weitaus stärker und mächtiger ist als die Ghule. Mablok hat es auf Simon abgesehen … Du verstehst bestimmt, was ich meine. Er kennt seine Schwächen, seine Stärken und seine Fähigkeiten. Er kennt alles von Simon. Doch die größte Schwäche, die Simon im Moment hat, die bist du. Als sein Master musst du nicht nur dich schützen, sondern ihn auch.«

»Aber wenn ich es nicht kann?«, murmelte Lee. Ich verengte die Augen und Gilmore verdrehte seine.

»Hast du nicht selbst gesagt, dass du Simon ein guter und strenger Master sein willst?« Lee nickte und schwang seine Waffe. »Nimm mit ihm Kontakt auf!«, sagte Gilmore und zog seine Lederjacke aus.

»Wir sind in Kontakt.« Gilmore grinste und klopfte Lee auf die Schulter.

»Mich wundert, dass er sich nicht eingemischt hatte. Denn er würde nie zugeben, dass er einen Schwachpunkt hat. Schon gar nicht, wenn es um die Tatsache geht, dass es ein Mensch ist!« Kurz verzog ich die Mundwinkel und erwiderte wieder nichts darauf. Doch ich musste ihm recht geben, aber nicht wegen Lee, sondern weil er eine ziemlich große Klappe hatte.

»Simon weißt du, was er vorhat?«

»Ich kann es mir denken, aber dafür ist hier zu wenig Platz. Die Studenten müssten den Platz räumen. Es sei denn …«

»Es sei denn … was?«

»Es geht in diesem Training nicht nur um Euch und mich …!«, sprach ich in Gedanken und schaute zu den anderen, die den angetäuschten Frontalangriff mit folgender Seitenattacke trainierten, sowie die Verteidigung dazu.

»Gilmore, der Idiot. So eine riskante Trainingsmethode. Stellt Euch darauf ein das Ihr nicht nur Euch zu schützen habt, sondern die anderen auch.« Lee schaute zu seinen Freunden und wärmte sich gleichzeitig auf.

»Warum?«

»Master, Gilmores Absicht ist es, mich bis zur Erschöpfung kämpfen zu lassen, damit ich dann auf Eure Energie zurückgreifen muss, um zu sehen, wie lange Ihr es aushaltet. Ihr seid zudem noch ein Magier!«

»Mit anderen Worten, er will, dass ich als Magier und auch als Dämonenmaster kämpfe.«

»Stimmt.«

»Das habe ich noch nie getan. Ich habe es immer getrennt, damit ich mich auf die jeweilige Fähigkeit besser konzentrieren konnte.«

»Ja! Ich weiß!«

 

Nach einigen Stunden Training sank Lee auf die Knie. Seine Magie hatte er fast vollständig aufgebraucht und die anderen Studenten schauten nur noch uns zu. Keuchend stand ich vor Gilmore, der nun kaum fitter war als ich.

»Wie lange willst du das noch durchziehen?«, fragte ich meinen Bruder. »Lee kann die Schutzbarriere nicht mehr länger aufrecht halten.«

»Keine Ahnung! Aber eins steht fest, er kennt nur einen minimalen Teil deiner Fähigkeiten und das überträgt sich auf dich!«, lachte er und keuchte gleichzeitig.

»Aber genug, damit du außer Atem kommst.«

Leider wusste ich auch, dass es ihm nicht im Geringsten etwas ausmachte, wenn es sein musste, konnte er seine Kraftreserve auf viele Tage einteilen, etwas, dass ich nicht mehr konnte, denn ich war an Lee gebunden. Ich musste immer meine ganze Kraft zur Verfügung stellen, und wenn Lee keine Kraft mehr hatte, so konnte ich im Notfall nicht auf seine Reserven zurückgreifen.

»Das würde ich nicht sagen. Er konzentriert sich zu stark auf die Barriere, damit seine Freunde nicht zu schaden kommen, und du nur darauf, dass ich Lee nicht angreifen kann.« Voller Freude legte er grinsend seinen Kopf in den Nacken. Seine langen Zähne leuchteten weiß und ich wusste, dass das Training nun vorbei war. Gilmore brauchte nur einen angetäuschten Angriff auf Lee und hatte mich in seiner Gewalt.

Erst als ich vor ihm auf den Boden sank, bemerkte Lee, dass es vorbei war. Geschockt starrte er auf die zwei kleinen Wunden an meinen Hals, die in sekundenschnelle wieder verschwunden waren. Gilmore leckte sich mit der Zunge über die Lippen und verwandelte sich in seine menschliche Gestalt.

»Das Training ist vorbei.« Er verbeugte sich und die Studenten waren erleichtert und verließen schon fast fluchtartig die Halle.

»Lee! Ich möchte dich später im Büro sehen, aber zuerst kümmere dich um ihn.«

Ich schaffte es nicht mehr alleine aufzustehen, denn Gilmore hatte sehr viel von meinem Blut getrunken und ich spürte die Wärme, die von Lee ausging. Meine Gier erwachte und ich funkelte ihn mit rötlichen Augen an. Lee zuckte zusammen, als er die ungewöhnliche Anspannung in meinem Innern spürte und ihm bewusst wurde, dass ich mehr denn je, Durst auf sein Blut hatte. Keuchend ballte ich meine Hände zusammen und zwang mich in meine menschliche Gestalt zurück.

»Warum hältst du dich zurück?«, flüsterte Lee und liebkoste mich am Ohr. Sanft fuhr ich mit meinen Fingern über sein Gesicht und lächelte ihn an.

»Das fragst du noch?«

»Aber es giert dich danach, nimm es dir!«, hauchte er und ich spürte seine Zunge an meinem Hals. Langsam verfiel ich wieder seiner Berührung und meine Gier wandelte sich in körperliches Verlangen. Mit meiner letzten Kraft öffnete ich ein Portal und wir landeten in seinem Zimmer auf seinem Bett. Schwach, keuchend und stöhnend gab ich mich ihm hin.

 

Es war die Hölle, obwohl ich in meiner menschlichen Gestalt war, konnte ich mich nur quälend zurückhalten. Meine Gier wuchs bei jedem Atemzug. Ich wusste nicht, wie lange ich dem noch standhalten konnte.

Woher kam der innere Druck? Sicherlich hatte es mich schon früher nach ihm verlangt, doch seit dem Kampf pochte es unaufhaltsam und wurde immer unerträglicher.

Ich drehte mich auf die andere Seite, doch ich konnte es nicht ertragen, nicht in sein ruhiges liebliches Gesicht zu blicken und drehte mich zu ihm zurück. Sanft berührte ich seinen nackten Oberkörper und meine Finger fuhren automatisch zu seinem Hals. Es fühlte sich wunderbar an, warm, pulsierend und mein Atem wurde stockender. Ich spürte, wie meine Zähne länger wurden. Ich roch seinen Duft, der sich unaufhörlich in meinen Adern breitmachte. Meine Kehle brannte. Nur noch wenige Zentimeter waren zwischen mir und den für mich durststillenden süßlichen Geschmack. Ich spürte seinen warmen Atem. Ich hörte sein ruhiges pochendes Herz und das pulsierende Rauschen seines Blutes, vermischt mit dem herrlichen Duft seiner ihm noch anhaftenden Leidenschaft.

»Simon!«, schrie und stöhnte er. Ich zuckte heftig zurück, sodass ich fast aus dem Bett gefallen wäre. Aufrecht saß er vor mir und starrte mich mit Entsetzen an. Kräftig musste ich schlucken und fasste mir an den Mund.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich leise, was eigentlich mehr für mich galt und Lee nickte.

»Ja! Ich hatte nur einen Traum.« Nur einen Traum, aber ich ... meine Gier, sie war da, sie pochte immer noch.

»Deine Augen glühen!« Kurz hielt er inne und war im nächsten Moment erschrocken. »Kann es sein, dass wir, selbst, wenn du so bist, miteinander verbunden sind, und nicht nur, wenn du … wenn du …!«, stotterte er und ich zog die Augenbrauen zusammen. ›Resonanz‹ durchschoss es meine Gedanken und stieg aus dem Bett. ›Es ist also nicht meine Gier, sondern es ist seine Erinnerung an den Blutrausch. Er spürt immer noch die starke Befriedigung, wenn ich einen Menschen bis zum Tod aussauge‹, dachte ich.

»Es war ein Fehler! Wie Gilmore es gesagt hat!«, murmelte ich.

»Was war ein Fehler?«

»Du hättest den Blutrausch nie mitbekommen sollen.« Ich zündete mir eine Zigarette an, doch dann spürte ich seine warme Umarmung und sog scharf die Luft ein.

»Nein, es war kein Fehler. Nur so sind wie uns nähergekommen.«

»Lee!« Sofort spürte ich wieder, wie der Drang in meinem Inneren zu pochen anfing. Eine kleine ruckartige Bewegung von seiner Lunge vernahm ich und wusste, dass er kurz lachte.

»Einerseits bist du scharf auf mich und andererseits giert es dich nach meinem Blut. Kannst du dich mal entscheiden?«

Seine Hand wanderte von meiner Brust zu meinem Nabel, umkreiste ihn und weiter zwischen meine Schenkel. Kurz stöhnte ich auf.

»Jagen!«

»Jagen? Aber warst du das nicht schon vorhin?«

»Ja! Aber nicht mit dir.«

»Mit mir?«, fragte er überrascht und trat einen Schritt weiter von mir weg. Ich drehte mich zu ihm um und er musterte mich. An meiner Mitte blieb sein Blick ziemlich lange haften und er fing daraufhin zu grinsen an.

»Ich glaube, das Jagen verschieben wir.«

 

Ich schloss meine Augen und wieder war ich in der Hölle. In der Hölle, wenn es um meine Gier ging und im Himmel, wenn es um meine Leidenschaft zu Lee ging. Doch es quälte mich zu wissen, dass es seine Erinnerung an meine Gier war, die mir fast den Verstand raubte. Warum spürte ich das und warum herrschte immer noch die Resonanz? Obwohl ich mich in meiner menschlichen Gestalt befand. War es vielleicht die Tatsache, dass ich, seit ich sein Dämon wurde, immer eine Tür zu meinen Gedanken offengelassen hatte, damit er mich rufen konnte? Damit ich ihn hörte und wahrnahm. Dass ich auch, wenn ich Mensch war, immer noch etwas von seinem Geruch roch? Ihn spüren konnte? War es mein Fehler? War der Auslöser für die quälenden Gedanken der gemeinsame Blutrausch? Der ihn bis in seine Träume verfolgte und so mich erreichte.

Er war darüber belustigt, als ich sagte, dass ich mit ihm auf die Jagd gehen wollte, oder war er schockiert? Oder war er es von beiden etwas? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass sich meine Finger fest ins Bettlaken krallten und er mich heftiger nahm als sonst. Laut schrie ich mein Verlangen raus oder war es doch die brodelnde Gier?

Ausgelaugt lag ich im Bett und rang nach Atem. Seine warmen Fingerspitzen fuhren meine Wirbelsäule nach und bei jeder Erhebung der Wirbelsäule tippte er sanft drauf. Selbst diese Berührung brachte mich in den Wahnsinn und mein Körper vibrierte. Er beugte sich über mich und liebkoste die Stellen.

»Du bist so süß!«

 

Langsam stand ich auf und unsere Blicke trafen sich. Mir war bewusst, dass meine Augen immer noch rötlich leuchteten. Ich konnte es nicht mehr zurückhalten und verwandelte mich.

»Simon!«

»Verzeiht Master, aber ich muss jagen.« Bei dem Wort Jagen spürte ich wieder, wie in ihm die Erinnerung an die Resonanz hochkam. Kräftig schluckte ich und verzog automatisch meinen Mund zu einem gierigen Grinsen.

Was tat ich da nur? Zum Schutz für ihn selbst, sollte ich ihn darauf hinweisen, dass er diese Erinnerung an die Resonanz tief in sein Unterbewusstsein verdrängen sollte, nein, vergessen sollte. Doch stattdessen wies ich ihn noch darauf hin. Ich hatte ihn gebeten, mit mir zu jagen.

War es meine eigene Erinnerung, wie er mich sah? Mein erlöstes Gesicht, wenn ich die Zähne in das weiche Fleisch stieß. Die geistige, körperliche und innere Befriedigung des kurzen Blutrausches. Wollte ich das? Wollte ich, dass er mich abstoßend fand und dann wieder faszinierend. Nichts brachte mich mehr in Wallung als warmes menschliches Blut, das meine trockene brennende Kehle erlöste? Oder war es, weil er sich von mir anfassen ließ, als er gekrümmt nach Atem ringend vor mir kniete und ich ihn plötzlich in einem anderen Licht sah. Berauscht, verlangend, wie ein neugeborener Vampir der seinen ersten Blutrausch hatte. Zerbrechlich wie ein Mensch, der strampelnd zu seinem Leben zurückwollte, gierig, grinsend und im selben Moment wieder bereit sich ein neues Opfer zu schnappen - verdammt was wollte ich?

Ich wusste, was ich wollte, doch es war zu spät. Er wusste, wer ich war und es machte die Sache für mich nicht einfacher, sondern schwieriger. Mein Verhalten als Mensch ihm gegenüber hatte sich verändert. Obwohl ich dann lockerer mit ihm sprach, ihn bei seinem Namen nannte und mit ihm ins Bett ging, war ich dennoch sein Dämon.

 

Castle Moor

Fast zur gleichen Zeit, auf der anderen Seite der Erde, echauffierte sich Marion ununterbrochen über den Zustand ihres Bruders Simon. Mal schritt sie auf und ab, das nächste Mal setzte sie sich auf den Tisch und spielte mit ihrem Glas. Nur einer sah sie relativ gelassen an und hing seinen eigenen Gedanken nach.

»Wie wird Simon mit dieser Situation fertig?«, fragte sie schon das gefühlte hundertste Mal und Gilmore zuckte mit den Schultern.

»Es ist eine verzwickte Sache. Aber im Moment hat es den Anschein, das er und sein Master …!«

»Master! Pah!«, rief sie aus und schlug ihre schlanken Beine übereinander. »Ein Prinz soll der Dämon eines Menschen sein? Beschämend!«

»Marion! Es ist nun mal so und du hast nicht darüber zu urteilen«, zwang der König sie zur Ruhe, dem es doch langsam zu bunt wurde. Er kannte seine Tochter, und wenn ihr nicht Einhalt geboten wurde, konnte sie Himmel und Hölle in Bewegung setzten, und dabei noch die Welt zum Untergang führen.

»Dennoch!«

»Dennoch wirst du nichts unternehmen!«, befahl er ihr und machte eine kurze Handbewegung. Leichter Nebel stieg auf und im Innern formten sich die Körper von Simon und Lee. Innig küssten sie sich und kurz war das Gesicht von Simon schmerzverzehrt. Seine prachtvollen Zähne leuchteten, sie wollten sich in das Fleisch graben und Marion sah, wie leidenschaftlich er sich diesem Menschen hingab.

»Ich denke, das ist Grund genug, damit du dich nicht einmischt. Simon hat nach endlosen langen Jahrhunderten jemanden gefunden, dem er sein Herz schenkt.«

»Herz schenkt, dass ich nicht lache! Du siehst doch, dass es ein Befehl ist, oder warum glaubst du, lässt er sich besteigen wie ein Tier. Warum wird er immer so nachsichtig behandelt?«, murrte sie und der König funkelte sie zornig an.

»Er wird nicht anders behandelt, als du oder sonst eines von meinen Kindern.«

»Das glaubst du Vater! Er ist und bleibt dein Liebling. Ich sehe doch, wie es dich schmerzt, dass er diesem Menschen dient.«

»Dafür besteht kein Grund. Lee ist ein wunderbarer Mensch!«, mischte sich Gilmore ein und Marion verdrehte ihre Augen.

»Sag mir nicht, dass du diesen Menschen magst!« Angewidert verzog sie ihren Mund.

»Er ist ein Mensch. Aber er hat es geschafft, dass Simon wieder lebt und nicht dahinvegetiert, wie er es in den letzten Jahrzehnten getan hat.«

»Ich würde sagen, da hat Simon gelebt. Er war der fantastische Light Dark. Gefürchtet unter den Menschen, verehrt unter den Vampiren und verachtet von den Dämonen.«

»Und immer mit einem Fuß im Exil.«

»Soviel ich weiß, wurde er ins Exil geschickt! Vor über einem Jahr, als ihm gesagt wurde, Light Dark solle von der Bildfläche verschwinden, und er sich geweigert hatte. Ich denke sogar, dass du auch noch die Jägerschlampe auf ihn gehetzt hast«, sagte sie und warf ihrem Vater einen wütenden Blick zu. Der König atmete tief ein. Er konnte seine Tochter nicht verstehen, vor allem war seine Geduld nun am Ende.

»Marion, er hatte sich als Light Dark zu viele Feinde gemacht und zu viele Gesetzte übertreten. Selbst du solltest es jetzt langsam mal verstanden haben. Auch wenn du Light Dark vergöttert hast! Er ist immer noch dein Bruder, Simon Darkness. Nicht irgendein Gigolo, der jeden und alles an sich gerissen hat. Die Unterwelt der Menschen übernahm und kurz davor war, die magische Welt der Menschheit zu offenbaren.« Konnte sich der König anfänglich noch beherrschen, so wurde seine Stimme mit jedem Wort immer lauter. »Und bereite nun endlich alles für unsere Gäste vor! In wenigen Stunden werden sie eintreffen.«

 

Bruce, seine Mutter und die vollständige Truppe der Magier und Dämonenjäger liefen Gilmore, der wie schwebend durch die alten, aber dennoch modisch eingerichteten Gemäuer ging, hinterher. Dr. Vangil sowie Professor Danhouer kamen aus dem Staunen nicht mehr raus, blieben fast bei jedem Bild, das an der Wand hing, stehen und betrachteten die Kunstwerke mit offenem Mund. Wahnsinn, unmöglich oder faszinierend waren die einzigen Wörter, die über ihre Lippen kamen.

Ich lief hinter Lee her, der dem ganzen Schnickschnack genauso wenig Aufmerksamkeit entgegenbrachte wie ich. Leicht gähnte ich und verdrehte die Augen, weil Gilmore in seinem Element war. Manchmal benahm er sich wirklich wie ein kleines Kind, das seinen Eltern etwas sehr Wichtiges und Geheimnisvolles zeigen wollte. Was am Ende doch eher wieder den Zorn hervorrief.

Ich hasste diesen Ort. Zu viel Bigotterie, zu viel unrealistisches Benehmen, zu viel falsche Freundlichkeit gegenüber Fremden.

Lange, fast zwei Jahrhunderte war es her, seit ich das letzte Mal meinen Fuß in dieses Gebäude gesetzt hatte und wenn es nach mir ginge, so wünschte ich mich lieber fünfhundert Kilometer weiter weg. Am besten in eine andere Dimension.

Automatisch öffnete sich das vor uns liegende Tor und Gilmore, ganz in seinem Element, schwebte hindurch. Wieder verdrehte ich meine Augen.

»Trottel!«, murmelte ich nur und er grinste mich an. Ich grinste zurück und fragte mich, wer hier der ältere Bruder war.

Wahrscheinlich war ich der Einzige, der dies bemerkte, denn die Menschen nahmen davon keine Notiz, oder sie sagte deshalb nichts, weil sie ihn auch anders kannten.

»Castle Moor! Ein beeindruckender Ort«, murmelte Professor Danhouer und versankt wieder in der Betrachtung eines der Bilder. »Wie viele Menschen können davon berichten?«, fragte er sich weiter und ich beantwortete die Frage in Gedanken »Keiner«. Beziehungsweise keine Normalos und die anderen vermieden es, je wieder daran zu denken.

Für Menschen war dieser Ort nicht nur anziehend, er war auch sehr tödlich. Doch ich spürte, dass die eingewobene Verführung und Verwirrung aus den Mauern genommen worden war und ich atmete tief ein, weil Gilmore immer noch diese alberne Fassade aufrecht hielt. Eigentlich würde dieses schwebende Getue eher zu Marion passen. Warum kam mir gerade der Gedanken an sie? Bravo, malte man den Teufel an die Wand und schon kam er angerannt. Okay angeschwebt. Traf es wohl eher. Besser konnte es nicht kommen. Innerlich stöhnte ich auf.

»Ist mit dir alles in Ordnung?«, fragte Lee mich und ich versuchte zu lächeln. Was natürlich misslang. »Freust du dich nicht, dein Zuhause zu sehen?« Bei dem Wort Zuhause zog sich alles in mir zusammen.

»Master! Eigentlich wäre es mein Tod, hier wieder aufzutauchen.« Lee sah mich fragend an, denn er verglich ein Zuhause mit Wärme und Geborgenheit, etwas, dass man von Castle Moore nicht sagen konnte. Wieder versuchte ich zu lächeln und Lee wollte etwas erwidern, doch er kam nicht mehr dazu, weil Marion mit ihrer sanften Stimme jeden für sich einnahm. Inklusive Lee und ich funkelte sie zornig an. Sie grinste und ich sah, dass sich ihre Augen veränderten. Immerhin kam sie immer noch nicht gegen meine Macht an, obwohl sie eingeschränkt war und ich konnte nicht anders, als herablassend zu schmunzeln. »Hm! Wage es noch einmal und ich werde dich zerreißen.«

»Keine Sorge Brüderlein. Ich werde deinem Liebsten nichts tun!«, murmelte sie und nebenbei begrüßte sie die Gäste.

 

Sie hatte ihr freundlichstes Lächeln aufgesetzt und überschwemmte die Ankömmlinge regelrecht mit ihrer Begrüßungsrede. Irgendwann räusperte ich mich und alle kamen wieder in ihre Wirklichkeit zurück. Sie gluckste und führte uns in den Thronsaal.

In den letzten zweihundert Jahren hatte sich hier einiges verändert, die moderne Technik und der ganze Schnickschnack, war kaum zu übersehen. Die Steinstatuen, die sonst vor dem Thronsaal ihre männliche Pracht demonstrierten, waren durch Mosaikstatuen ausgetauscht worden. Die Fenster, die wohl aus Panzerglas bestanden, hatten zudem noch Abtöngläser, die wohl das Sonnenlicht fernhalten sollten. Das ganze zugige Gemäuer hatte einen modernen Anstrich bekommen und ich wunderte mich, denn es war beheizt. Da hatte wohl Mutter ihre Finger im Spiel gehabt. Sie war schon immer der Zeit um einiges voraus.

»Faszinierend! Eine Vampirfrau. So schön. So anmutig. So elegant!«, hauchte Professor Danhouer. Ich betete innerlich zu Gott, dass das ganze Geschmalze bald mal aufhörte, und warf meiner Schwester wieder einen vernichtenden Blick zu.

»So tödlich!«, riss ich ihn aus der Faszination, die meine Schwester ausübte. Verdattert schaute er mich an und ich betrachtete ihn durch meine langen Haare.

»Hast du etwas gesagt Dämon?« Ich ignorierte ihn.

Als wir den Thronsaal betraten, kamen die Gäste gar nicht mehr aus dem Staunen. An den beiden Seitenfenstern, die so hoch wie ein mehrstöckiges Haus waren, sah ich keine so gravierende Veränderung und ich blickte länger als gewöhnlich zum Himmel hinauf. In Vollmondnächten war das ein wunderbares Schauspiel. Irgendwie wunderte es mich nicht, dass sie das nicht verändert hatte. Meine Mutter liebte den Mond. Sie sagte immer, er habe in den drei Tagen des Vollmonds eine gewisse Anziehungskraft und wie sie mich dabei immer angelächelt hatte. Leicht verzog ich meine Mundwinkel. Diese Erinnerung war doch schmerzlicher, als ich gedacht hatte und ich wandte meinen Blick von den Fenstern ab, die nun zugezogen wurden. Obwohl es nicht nötig war, denn dicke, winterliche Wolken verdeckten die Sonne. Bei königlichen Vampiren war die Sonne eher ein Hindernis, das sie in ihre menschliche Gestalt zwang, damit sie sich in der Sonne bewegen konnten.

»Herzlich willkommen!«, riss mich eine Männerstimme, die ich nicht hören wollte, aus meinen Gedanken und Gilmore stellte sich neben diesen, für Menschenaugen sagenhaft wunderschönen Mann, der kaum älter als sein Sohn schien und doch fast die 6000 erreicht hatte. Seine Haut schimmerte leicht bläulich und harmonierte mit dem rötlichen Touch seiner Augen. Nicht einmal Gilmore, der ihm am ähnlichsten sah, kam in die Reichweite dieser makellosen Schönheit. Seine warme und sanfte Stimme, die versprach, dir alle Wünsche und Sehnsüchte zu erfüllen, schmeichelte dem menschlichen Ohr. Seine Augen, die dich freundlich anblickten, dir das Gefühl vermittelten, ihm alles erzählen zu können und sein Lächeln, das sich einladend in deine Gedanken bohrte, damit du dich ihm ohne Widerwillen hingeben würdest.

Dieses spiegelte sich in den Augen der Magier und Dämonenmaster wider und ich räusperte mich erneut. Wie schon vorhin kamen sie in die Wirklichkeit zurück und der König lächelte auf seine Art und Weise den Menschen zu.

»Ich freue mich, sie hier alle begrüßen zu dürfen«, führte er seine Begrüßung fort, als ob nichts geschehen war, und stand von seinem Thron auf.

»Was? Der steht auf? Mal ganz was Neues!«, huschte es mir durch den Kopf und Lee fing zu kichern an. Leicht zuckte ich zusammen und besann mich, dass ich in Resonanz mit Lee stand. Er konnte ohne Umschweife meine Gedanken lesen, obwohl ich mich von ihm distanziert hatte.

Der König ließ, für menschliche Verhältnisse viel zu langsam, seinen Blick durch die Runde streifen und bat uns anschließend, am großen Tisch Platz zu nehmen. Da ich ja als Dämon hier war, stellte ich mich wie die anderen hinter meinen Master.

Dienstmädchen kamen herein und brachten Unmengen an Essen. Sogar für die Dämonen stellten sie extra Köstlichkeiten, die ihnen möglicherweise zusagten, neben den jeweiligen Master hin.

Susan schaute kurz auf die Ratte im Käfig und reichte sie mitsamt Käfig ihrem Dämon. Kiel und Jli schauten sich verdattert an und Markus übergab sich fast, als er etwas transparentes Schwabbeliges vor sich stehen sah. Ungläubig drehte er sich zu seinem Dämon und seine Schwester zuckte nur mit den Schultern. In einem Zug hatte sie das Plasma runtergeschluckt und fing zu lachen an. Geister, dachte ich nur und atmete ein.

Ein Mädchen kam auf Lee zu und beugte sich zu ihm herunter.

»Mr. Young wir haben eine Auswahl an verschiedenen Blutgruppen, sowie auch Jungfrauen!«, hörte ich sie in sein Ohr flüstern und plötzlich spürte ich wieder die aufkeimende Gier.

»Danke ich brauche nichts!«, sagte ich schnell und das Mädchen zuckte zusammen. Erschrocken wich sie meinen Blick aus und machte einen kurzen Knicks.

»Verzeihung Eure Hoheit!«, stammelte sie und verschwand.

»Warum willst du nichts?«

»Tzz! Und den Studenten das gute Essen versauen. Ich bitte Euch. Schaut Euch um. Kein Vampir macht Anstalten sich zu nähren.«

»Nein! Aber dafür trinken sie. Wo ist da der Unterschied, wenn du dir einen Becher nimmst und dich ernährst.«

»Der Unterschied liegt darin, dass ich hier als gebannter Dämon gelte und auch so behandelt werde. Mit anderen Worten, meine Bedürfnisse liegen darin meine Zähne in das Fleisch zu stoßen und den Menschen bis zum Tode auszusaugen.«

»Du meinst, das …!«

»Ja genau. So etwas Zivilisiertes, wie einen Becher, würde ich in Eurem ganzen Leben nicht von einem König der Dämonen bekommen.«

»Aber ist das nicht deine Familie?«

»Master, Familie hin oder her. Solange ich Euch diene, seid Ihr meine Familie. Das ist Gesetz.«

»Schwachsinn!«

»Nein es ist kein Schwachsinn. Ich erkläre Euch etwas. Das Dienstmädchen wurde gerade in diesen Moment, in dem wir uns unterhalten, vernichtet.« Lee erschrak.

»Was?«, schrie er und ich fasste mir schwankend an den Kopf.

»Master …!«

»Warum das?«

»Sie hat sich Euch gegenüber falsch benommen.«

»Warum? Ich konnte nichts Falsches erkennen.«

»Drei Dinge. Erstens habe ich sie angesprochen, was ich nicht darf und sie hat darauf reagiert. Zweitens seid Ihr nicht dazwischen gegangen und habt mich ermahnt, drittens hat sie mich mit 'Eure Hoheit' angesprochen und sich gegenüber meinem Geburtsstand formal verhalten, was sie wiederum nicht darf, da ich Euer Dämon bin, und ich somit, solange Ihr lebt, auf dieses Geburtsrecht verzichten muss.«

»Verstehe! Die Gesetze der Bannung. Ich habe darauf nicht geachtet. Das arme Mädchen!«

»Sie war eine Untergebene. Mit den Gepflogenheiten bestens vertraut, also kein Grund, um ihr nachzutrauern.«

»Dennoch, ist das nicht zu rabiat?«

Lee war einfach zu gut für die Welt, und wenn er so könnte, wie er wollte, so würde er jeden und alles retten.

 

Nach dem Essen wurden die riesigen Fenster aufgezogen und die Strahlen, vereinzelter Sterne, die nicht von den Wolken verdeckt wurden, bahnten sich ihren Weg durch die Scheiben. Es war wirklich ein Schauspiel der Extraklasse. Die Menschen konnten ihre Augen nicht mehr abwenden. Da ich diesen Anblick nur zu gut kannte und er für mich eher uninteressant war, blickte ich zu einer Tür, die sich etwas weiter entfernt, hinter dem Thron befand. Ein Gefühl der Erwartung überfiel mich. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis sie sich öffnete und ein Wesen von unbändiger Schönheit den Saal betreten würde. Schon der Gedanke daran, ließ mich erzittern. Lee schien meine Erwartung zu spüren und drehte sich zu mir um. Aus den Augenwinkel sah er, dass alle Vampire das gleiche Verhalten aufwiesen wie ich und fragte mich: »Was ist los?«

»Master! Ihr werdet bald Zeuge von vollkommener Schönheit, unvergleichlicher Reinheit und auch des unheilvollen Leides werden. Bitte lasst mich Euch berühren, damit Ihr dieser wahrhaftigen Schönheit nicht unterliegt und gar dem Wahnsinn verfallt.«

»Was hat das zu bedeuten?«

Der König, stellte sein Glas zurück und erhob sich.

»Meine lieben Gäste. Meine Frau möchte Sie alle recht herzlich willkommen heißen. Durch diverse Umstände konnte sie uns nicht schon früher Gesellschaft leisten und bittet euch um Entschuldigung.« Kurz hielt er inne. »Ich möchte die Magier bitten, das sie sich in eine Schutzhülle begeben und die Dämonen mögen ihre Master beschützen.«

»Darf ich fragen, was es zu bedeuten hat?«, fragte Mrs. Young und ihr Falke tappte auf ihrer Schulter umher.

»Noch nie hat ein Mensch ohne Schutz den Anblick meiner Frau unbeschadet überstanden«, erklärte der König geduldig.

»Seine Frau?« Lee schaute mich an.

»Meine Mutter!« Sofort legte ich meine Hand auf seine Schulter. Marion schwang ihre Beine übereinander und Gilmore, der neben seinem Vater gesessen hatte, erhob sich um den Platz freizumachen. Mein Blick schweifte wieder zu der Tür, die sich in diesem Moment öffnete.

Ich hörte, wie jeder die Luft scharf einzog oder einfach zu atmen aufhörte. Selbst Lee schien von ihrer Schönheit gebannt zu sein, doch er schüttelte sich und legte seine Hand auf die meine. Seine Wärme, diese Berührung durchfuhr mich wie ein Schlag. Ihn auf meiner Haut zu spüren, war vollkommen. Intensiver. Heißer. Jeder Nerv zuckte unter seiner Wärme und ich musste ein Stöhnen unterdrücken. Ich liebte ihn. Egal, in welcher Gestalt ich auch war. Ich konnte mir mein Dasein ohne ihn nicht mehr vorstellen.

Langsam schritt sie neben ihren Mann und setzte sich auf den Platz, den Gilmore zuvor geräumt hatte. Wie es schon der König zuvor tat, schweifte nun ihr Blick über die Runde und sie lächelte jeden an. Etwas länger blieb ihr Blick auf mir haften, bevor sie zu Lee schaute. Ihr Lächeln wurde sanfter und sie nickte ihm zu. Lee spürte, wie meine Finger sich auf seiner Schulter verkrampften und wieder nahm er geistige Verbindung zu mir auf.

»Weiß sie es?«, fragte er mich und ich hörte sein Herz rasen.

»Was?«

»Das du, wir, ich meine du und ich.«

»Natürlich weiß sie es, wie jeder aus meiner Familie.«

»Jeder?«, schoss es von ihm in meine Gedanken und wieder schwankte ich.

»Ja! Jeder … Master beherrscht Euch, sonst kann ich die Barriere nicht aufrechterhalten«, bat ich ihn, und er beruhigte sich wieder.

 

Dieser Abend zog sich noch etwas hin und es wurde über den nächsten Angriff diskutiert. Strategien aufgestellt, und nachdem sich die Königin verabschiedet hatte, wurde sogar noch ausgiebig gefeiert. Niemand erwähnte auch nur ansatzweise die klaffende Kluft zwischen Vampiren und Menschen. Es war, als ob dieses Bündnis schon von jeher existierte.

Hin und wieder kamen die Dienstmädchen rein und füllten Knabbereien und Getränke auf. Eine, die von der Seitentür hereinkam, ging zum König, der sie dann zu Lee schickte. Ich stand etwas entfernt an der Wand gelehnt und beobachtete mit aufkeimender Langeweile die Feier.

Die war noch öder als Sommerferien.

»Mr. Young! Ihre Majestät, die Königin, möchte Sie sprechen und bitte nehmen Sie Ihren Dämon mit, sonst verfallen sie dem Wahn«, übermittelte sie die Bitte der Königin und verschwand. Marion und Gilmore, sowie der König, schauten auf. Lee suchte mich kurz und blickte mich fragend an. Ich stieß mich von der Wand ab und ging auf ihn zu. Dann hob ich meine Hand auf seine Schulter und spürte den Schmerz, wenn er mit mir gedanklich in Kontakt trat.

»Au! Mann, du kannst auch so mit mir reden!«, fluchte ich los und fasste mir an die Schläfe. Lee schaute mich verdattert an und fing zu lachen an.

»Weißt du eigentlich, wie lange ich darauf gewartet habe, dass du die Beherrschung verlierst!«, grinste er.

»Ist nicht witzig. Lieber ziehe ich den elektrischen Stuhl vor, als dein brutales Eindringen!«, zischte ich wütend und Gilmore, der rein zufällig unsere Unterhaltung mit angehört hatte, die ja nicht gerade leise war, lachte auf.

»Ich dachte, du magst es?«, stänkerte Lee weiter, ohne daran zu denken, dass Vampire ein sehr gutes Gehör hatten und ich verzog meine Lippen zu einem Grinsen, sodass meine langen Zähne zum Vorschein kamen. Dies galt meiner Schwester, die sich angewidert wegdrehte.

»Sicherlich, das steht außer Frage«, machte ich weiter und sah, wie mein Vater sich leicht beschämt an die Wange tippte und so tat, als ob er davon nichts mitbekam. Kurz räusperte ich mich.

»Master, es wäre sehr unhöflich, eine Königin so lange warten zu lassen.« Lee zog die Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf.

»Wenn das nicht wieder die Beherrschung ist. Bin ich froh, wenn wir endlich wieder alleine sind«, murmelte er und ich gab nichts darauf, obwohl ich wusste, dass es die Umstehenden gehört hatten.

 

Wir wurden durch die Tür, die sich hinter dem Thron befand, geführt und dann durch einen langen Gang. Dieser wurde mit Leuchtern erhellt, die wie Fackeln aussahen.

Auch hier sah ich, dass in meiner zweihundertjährigen Abwesenheit die Zeit nicht stillgestanden hatte und alles modernisiert wurde. Die Aufteilungen und Abzweigungen der Gänge hatten sich allerdings nicht geändert. Lee war nach kurzer Zeit sehr verwirrt und hatte die Orientierung verloren.

Mal ging es geradeaus, dann stiegen wir Treppen rauf, bogen um eine Ecke, durchliefen einige Zimmer, bis wir wieder eine Treppe hinabsteigen und wieder einfach nur geradeaus gingen.

Ich konnte seine Frage deutlich auf seiner Stirn sehen, doch ich sagte nichts. Für einen Menschen waren diese Gänge und Abzweigungen sowie die verwinkelten Treppen, sehr verwirrend. Für uns bedeutete es Sicherheit, gedacht, um Eindringlingen das Vorankommen zu erschweren. Ich kannte den Weg zu den Privatgemächern meiner Mutter besser, als den Weg zu meinem damaligen Zimmer. Naja, vielleicht etwas übertrieben, aber egal.

Irgendwann blieb der Führer, der die Geschwindigkeit an Lee angepasst hatte, stehen und klopfte kurz an die Tür. Eine melodische Stimme ertönte und der Führer verneigte sich vor Lee.

»Ihre Majestät, die Königin, empfängt Sie jetzt. Würden Sie bitte eintreten.« Er verbeugte sich vor Lee und würdigte mich mit keinem Blick. Ich schmunzelte leicht, weil es diesem Mann, der mein ganzes Dasein als Vampir begleitet hatte und der mich besser kannte, als jeder andere, bestimmt nicht leicht fiel, mich zu ignorieren.

 

Wir traten gemeinsam in die Gemächer. Meine Hand immer noch auf Lee´s Schulter und er sah sich um. Ich erkannte, dass sich hier nicht viel verändert hatte. Wahrscheinlich auch nur, weil dass das offizielle Empfangszimmer war. Hier hielt sich Mutter wohl an der Vergangenheit fest. Wobei die Wand, die früher von einem riesigen Bücherregal bedeckt war, zierte nun ein großer LCD-Fernseher. Leicht schmunzelte ich, denn die Ewigkeit konnte wirklich sehr langweilig sein. Wenn nicht irgendwo auf der Erde ein Krieg ausbrach, oder wie es schon oft prophezeit wurde, die Welt angeblich unterging, war es einfach öde.

»Seien Sie gegrüßt, Meister Young. Bitte setzten Sie sich!«, bot sie ihm einen Platz auf der riesigen bequemen Couch an. »Ihr Dämon darf sich auch setzen, wenn Sie es ihm gestatten«, sprach sie weiter mit Lee und hielt somit die Regel ein. ›Das ist jetzt wirklich nicht wahr!‹ huschte es durch Lee`s Kopf und ich konnte mir nur mit Mühe das Kichern verkneifen.

»Bitte könnten Sie das lassen? Simon ist Ihr Sohn.« Meine Mutter lächelte ihn sanft an. Doch sie blieb sich selbst treu.

»Wenn Sie es gestatten, dass ich mich mit ihrem Dämon unterhalten darf, ist das kein Problem. Sofern er mir zuhören wird.«

»Wie darf ich das wieder verstehen?«

»Sie sind sein Master! Er wird ohne Ihr Einverständnis nicht mit mir reden.«.

»Das ist zu viel!« Lee schaute mich mit funkelten Augen an.

»Ist das nicht so Simon?«, fragte sie und ich ignorierte sie.

»Mein Gott! Lass das endlich! Setz dich hin und rede mit deiner Mutter.«

»Wie ihr wünscht Master!«

»Sehen Sie!«, sagte sie bestätigend und lächelte wieder. »Ich weiß, es ist kaum zu verstehen für so einen jungen Menschen, aber seien Sie sich gewiss, dass Simon, wenn er nicht ihr Dämon wäre, mich herzlich begrüßt hätte.«

Das stimmte. Ich musste all meinen Willen aufbringen, um es nicht zu tun. Doch so atmete ich unmerklich ein. Die Regelungen für gebannte Dämonen, auch wenn sie als überflüssig angesehen wurde, hatten ihren Sinn. In der Vergangenheit hatte es sich oft gezeigt, wie schnell ein Dämon, der das Vertrauen zu seinem Master erlangt hatte, zu einer hinterlistigen Bestie wurde. Diese Gesetze und Regelungen wurden als feste Bestandteile in dem Bannspruch mit eingewoben und machten es somit unmöglich, dass sich ein Dämon, auch wenn er es wollte, unterhalten konnte.

Bei mir war es anders, ich konnte mich mit anderen unterhalten und dazu brauchte ich nicht die Erlaubnis von Lee. Ich konnte mich auch frei bewegen und meinem eigenen Willen nachgehen, es sei denn, es wurde mir ausdrücklich verboten. Wie das Jagen. Allein die Erinnerung daran, gruselte mich.

Wieder keimte in mir die Frage, was es für ein Bann war, mit dem Lee mich an sich gebunden hatte und Ciar hatte immer noch keine Antwort gefunden.

 

Exil oder Tod

»Und warum macht er es dann nicht? Sie sind seine Mutter!«, rief er nun aus.

»Weil er es nicht darf«, entgegnete ihm meine Mutter. »Aber es besteht ein Band zwischen euch. Stärker als das Band der Bannung. Ich sehe, dass dieses Band zwischen euch schon bestand, bevor Sie ihn durch das Ritual riefen. Ein Wort, das ihr Menschen manchmal einfach so sagt oder eure Gefühle damit mitteilt. Ein Wort, das mehr aussagt, mehr an Bedeutung hat, als alles auf der Welt. Liebe! Und wenn ein Vampir sich in jemanden verliebt, dann ist das für die Ewigkeit. Ich denke, nur so haben Sie es geschafft ihn an Sie zu binden.«

»Liebe?«, wiederholte er langsam und schaute mir in die rötlichen Augen. Ich spürte, wie Lee die Gedanken, die in ihm keimten, vor mir verschloss.

»Aber ich …!«

»Es ist ganz egal, junger Master Young.« Sie beugte sich vor und nahm eine Tasse, aus der dampfender Rauch aufstieg. Es konnte unmöglich Blut sein, dachte Lee, und zwang sich, seinen Blick von dem Dampf abzuwenden. »Die Welt der Dämonen ist weitaus komplexer, als ihr Menschen es euch auch nur im Geringsten vorstellen könnt.« Sie stellte ihre Tasse zurück und musterte Lee eingehender. »Ich wette sogar, dass er mit dem Gedanken spielt, Sie unsterblich zu machen«, hauchte sie und ich stieß theatralisch den Atem aus. »Nicht?«, murmelte sie, als sie mein fassungsloses Gesicht sah. »Aber es gibt auch noch eine andere Theorie, warum gerade ein Vampir freiwillig bei einem Menschen bleibt. Simon lebt zurzeit im Exil. Er dürfte heute gar nicht hier sein. Und doch ist er hier, obwohl er weiß, dass es sein Tod sein könnte!«, flötete sie und Lee verstand gar nichts mehr. »Warum ist Simon heute hier, obwohl Sie auch alleine herkommen könnten? Sie haben die Fähigkeit, sich selbst zu schützen, da Sie selbst ein Magier sind.«

»Sag endlich, was du sagen willst und verwirre Lee nicht noch mehr!«, rutschte es mir heraus und sie gluckste.

»Dich kann man immer so leicht aus der Fassung bringen.« Meine Mutter lächelte sanft und nahm wieder die Tasse. »Also gut! Tatsache ist, dass Simon ins Exil geschickt worden ist. Mit anderen Worten er muss seine Strafe ›als Mensch‹ abbüßen, da er sich in den letzten Jahrzehnten etwas hat gehen lassen und die magische Welt beinahe durch sein Fehlverhalten den Menschen offenbart wurde. Nur wenn er sich ernähren muss, darf er in seiner wahren Gestalt sein.« Sie musterte wieder Lee und stelle die Tasse zurück. Langsam machte meine Mutter mich konfus. Psychologische Kriegsführung war das, und ich atmete tief ein. »Was er anscheinend nun nicht einhält, denn er sitzt mir gegenüber, in seiner wahren Gestalt und er jagt nicht. Das sind Punkte, die zu seiner Vernichtung führen. Weshalb, und nun frage ich Sie, junger Master Young, warum geht Simon dieses Wagnis ein, und betritt, die für ihn tödliche Höhle des Löwen?«, fragte sie und Lee starrte sie ratlos an. Nach einigen Sekunden, als Lee das Gesagte halbwegs verdaut hatte, wandte er sich zu mir.

»Warum hast du nichts gesagt, wenn es für dich tödlich sein kann!«

»Ihr habt mich nicht danach gefragt.«

»Das hat damit nichts zu tun, du hättest es sagen sollen!«

»Wie Master? Ihr sagtet: mach dich fertig, wir gehen gleich. Meint Ihr, ich frage nach dem Grund, wenn Ihr es mir befehlt!« Lee schluckte.

»Ich dachte, du wüsstest Bescheid.« Sie gluckste wieder und ich musste mich zusammennehmen, damit ich das Spiel, welches sie mit Lee spielte, nicht durchkreuzte. Sie war eine liebe Mutter und für einen Vampir sehr mitfühlend. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass Vater auch nur wegen einer Bitte von ihr, gemeinsam mit den Menschen, gegen meinen »Sohn« zusammenarbeitete und kämpfte. Sie liebte Mablok genauso wie ihr eigen Fleisch und Blut, dennoch musste im Einhalt geboten werden.

»Junger Master Young, können Sie sich vorstellen, dass Simon immer Namen erwählte, die zu seiner Persönlichkeit passten. Light Dark. Light bezogen auf den Menschen in ihn und Dark auf den Vampir. Galant - elegant, seine äußere Erscheinung. Vor 400 Jahren hieß er Freedom, ist das nicht schön. Er war damals wirklich sehr friedlich, es war fast schon wieder beschämend. Oder Yuuky, das ist Japanisch und bedeutet Schnee, wie seine Haut so weiß. Ach! Wissen Sie, welchen Namen ich ihm gab, den ersten in seiner menschlichen Gestalt, da war er gerade mal so groß …!« Sie hielt ihre Hand etwas über ihre Knie. »Red Eyes. Er war so unbeherrscht und seine Iriden hatten immer dieses wunderbare rötliche Leuchten ...«, sprach sie seufzend und ich räusperte mich. Lächelnd schaute sie mich an und dann wechselte ihr Blick zu Lee. Der nun selbst als Vampir durchgehen konnte, so weiß war seine Gesichtsfarbe. »Oh! Bitte entschuldigen Sie mich, ich habe mich gehen lassen. Tatsache ist, dass Simon sich nicht an die Auflagen seiner Strafe hielt und er jetzt mit der Konsequenz rechnen muss …«

»Was? Das ist absurd!«, rief Lee und stand abrupt auf, sodass meine Hand von seiner Schulter rutschte. Sofort wankte er und der Wahnsinn loderte in seinen Augen auf.

 

Dann ging alles schnell, nur im Bruchteil einer Sekunde, hatte er selbst eine Barriere um sich errichtet. Damit verhinderte er, dass ich in seine Gedanken eindringen konnte. Der Wahnsinn ergriff sein Bewusstsein und ich spürte die keimende Drohung in seinem Innern.

Ein Schmerz durchströmte meinen Körper. Ich schwankte und verlor durch die brutale Trennung fast das Bewusstsein. Die Resonanz war unterbrochen und das stetige leichte Hämmern in meinem Kopf war vorbei. Die erwachte Gier verschwand und Lee's wundervoller Geruch löste sich im Nichts auf. Ich spürte nur noch Leere in mir und um mich. Lee war nicht mehr da.

Er stand vor mir, in seinen Augen der Wahnsinn, schwer atmend und auf meine Mutter starrend. Jeglicher Versuch, körperlichen Kontakt herzustellen, scheiterte. Die Barriere wehrte automatisch meine dämonische Aura ab.

Nach einem kurzen Augenblick fing sein Körper zu zittern an und er drehte sich zu mir um. Ein hämisches Grinsen zierte sein wunderschönes Gesicht und er schlug mir in den Magen. Ich nahm nur noch wahr, dass ich gegen eine Wand flog. Stark, zu stark für einen Menschen. Lee rief das ganze Potenzial seiner Magie hervor. Dennoch war es zu schnell! Zu schnell für einen Magier, geschweige denn für einen Menschen. Wieder krachte ich gegen die Wand, er hatte eine ganze Salve rötliche Blitze auf mich abgefeuert. Was passierte hier? Ich sah, wie meine Mutter erschrocken vor ihm zurückwich. Der Schlag war heftig und ich stützte mich benommen auf meine Hände ab.

Der Speichel floss aus seinem Mund und seine Hände waren wie zu Krallen eines Raubvogels verkrampft.

Kämpfte er etwa? Kämpfte er gegen den Wahnsinn? So etwas hatte ich noch nie erlebt. Eigentlich sollte er auf die Knie fallen und in den ersten Minuten hemmungslos wie ein Baby weinen. Oder wie ein verschmähter Liebhaber. Dann sollte ihn eine Gefühlswelle überschwemmen, von ach so Tief bis zu Himmel hoch jauchzend und als Letztes die sogenannte Depression. Die immer nur zwei Optionen bereithielt. Die Erste, er tötete sich selbst und die Zweite, er will seine angebliche Angebetete töten. Wobei das Letztere nie infrage kam, weil niemand jemals meine Mutter, während der ganzen Prozedur, zu Gesicht bekam.

Ich stand hinter ihm und sah, dass seine Beine langsam nachgaben. Seine Kraft versagte und sein Körper zuckte nur noch wenig auf. Wie konnte ich ihm helfen? Ich selbst hatte damit zu tun, dass ich mich wieder aufraffte. Der Blitzhagel war nicht ohne und ich sah immer noch Sterne.

»S… Si… mon… Hilf ... mir!«, krächzte er. »Tu ... t ... weh!« Lee kämpfte. Sein Blick war immer noch starr auf meine Mutter gerichtet, während ich mich in meine menschliche Gestalt verwandelte. So gut es ging, rappelte ich mich auf, spuckte Blut und kroch zu ihm. Vorsichtig versuchte ich, ihn zu berühren. Nur darauf bedacht, nur so viel Magie anzuwenden, dass mich seine Barriere nicht wegstieß. Kurz schloss ich meine Augen und umschlang seinen Oberkörper. Er zitterte, sein Herz raste und seine Lungen konnten die eingeatmete Luft nicht verarbeiten. Nach Luft ringend lag er da, verzweifelt drückte ich ihn an mich und liebkoste seinen Hals.

»Lee! Wach auf. Es ist alles gut. Es ist gut, du hast nur einen Albtraum«, flüsterte ich und drehte ihn zu mir um. Noch immer konnte er seinen Blick nicht von meiner Mutter wenden. Sanft umfasste ich sein Gesicht und drückte ihn an meine Brust. Stetig versuchte ich, mit ein wenig Magie in seine Gedanken zu dringen, und flüsterte ihm beruhigende Worte zu.

Wie eine Ewigkeit schienen sich die Minuten zu ziehen. Langsam beruhigte sich sein Atem und ich streichelte ihm sanft durch die Haare.

»Si... mon…«

»Ich bin hier.«

»Hi… lf… mi… r«

»Scht…«, murmelte ich. »Nicht reden. Ich bin hier Lee … Es wird alles gut. Noch immer lag er in meinen Armen und ich spürte, wie mein Hemd nass wurde.

»Lass es raus!« Lee wollte sein Gesicht heben, doch ich drückte ihn weiter auf meine Brust. »Weine ruhig, ich bin hier!«, beruhigte ich ihn weiter und hörte, wie meine Mutter einen Schritt auf uns zukam.

»Es tut mir leid!«, stammelte sie, doch ich reagierte nicht auf sie. Die Tür wurde aufgestoßen. Mein Vater und meine Geschwister kamen rein und sogen laut die Luft ein.

»Wa…!«

»Ruhig Lee … Es ist niemand da. Nur wir, du und ich.«

»Gott es tut so weh …!«

»Scht… mach dir keine Gedanken darüber. Es ist bald vorbei. Du hast es bald überstanden.«

»Was ist das für ein Gefühl? Nur Leere, Einsamkeit!«

»Das ist die Macht der Königin.« Bei diesem Wort wollte er sich von mir losreißen, doch ich drückte ihn fester an mich heran. »Lee … es ist dein Untergang, wenn du ihr noch weiter hinterher trauerst. Lass mich in deine Gedanken.« Plötzlich schaute er zu mir hoch.

»Ich habe dich betrogen! Ich habe dich mit deiner Mutter betrogen! Wie konnte ich nur? Nein! Du hast mir meine wahre Liebe vorenthalten! Du bist schuld, dass ich mit niemandem Kontakt habe. Du sperrst mich ein!« Er wurde immer lauter und versuchte sich mit Gewalt aus meiner Umarmung zu befreien.

Ich hielt ihn fest, ertrug stumm seine Beschimpfungen und Beleidigungen. Irgendwann hing er nur noch schlaff in meinen Armen und ich konnte in seine Gedanken eindringen.

»Nicht hinschauen!«, flüsterte ich in sein Ohr und gleichzeitig schickte ich ihm beruhigende Gedanken. Sanft küsste ich ihn und verwandelte mich wieder in einen Vampir. Lee blickte mir in die Augen und ich hielt ihn immer noch in meinen Armen. Langsam löste ich die Umarmung und legte meine Hand wieder auf seine Schulter. Danach verlor er das Bewusstsein, ich fing ihn auf und legte ihn auf die Couch.

Aus dem Augenwinkel sah ich meine Mutter schmunzeln und wie sie meinem Vater zunickte. Sein Gesicht entspannte sich allmählich und kam auf mich zu. Doch als er sich erinnerte, dass ich gebannt war, drehte er sich zu Gilmore, der seine Augen verdrehte.

»Ja! Was soll ich ihm ausrichten?«, fragte er genervt.

»Wenn Mr. Young wieder erwacht. Möchte ich mich über seinen Dämon unterhalten. Alleine. Ohne gedankliche Vereinigung und sehr gutem Gehör.«

»Also du hast es gehört und richte es Lee aus. Man das ist eine bescheuerte Regel.«

»Sie hat ihren Sinn und Zweck, Gilmore, wir, die Königlichsten der Dämonen haben sie mehr zu beachten, als das einfache Dämonenvolk«, antwortete ich ihm und wieder verdrehte er seine Augen.

»Ja, ja schon gut.«

»Ich werde es meinem Master ausrichten, das Weitere entscheidet mein Master.«

»Man, du redest geschwollen. Vater du hast es gehört. Bin ich jetzt nur noch der Vermittler hier? Schwachsinn! Ich habe es noch nie gesehen, dass Lee dir jemals die Erlaubnis gegeben hat, dass du dich mit anderen unterhalten darfst.« Doch diesmal gab ich nichts drauf und widmete mich Lee.

 

Lee war wieder bei vollem Bewusstsein und schüttelte im Sekundentakt immer wieder seinen Kopf. Manchmal blickte er zu mir herüber und dann schüttelte er wieder den Kopf. Inzwischen hatte er mich schon das dritte Mal gefragt, in welchen Raum wir uns befanden.

»Also, das ist dein Zimmer?«, wiederholte er und ich nickte. »Sieht wie aus dem letzten Jahrhundert aus!«

»Um genau zu sein, das Zimmer stammt aus dem 18. Jahrhundert«, antwortete ich und zündete mir eine Zigarette an.

»Ist es seitdem wieder betreten worden?«, fragte er und ich musste ein Schmunzeln unterdrücken.

»Ich denke, dass die Dienstmädchen in den letzten Tagen hier aufgeräumt haben.« Seine hüpfenden Gedanken wurden langsam nervig, aber ich übte mich in Geduld und wartete, bis sein Gehirn wieder vollständig arbeitete. Noch nie zuvor überlebte ein Mensch die Aura der Königin und ich hoffte, dass er keine bleibenden Schäden davontrug.

Nach ewigem Warten wurde die Tür geöffnet.

»Mr. Young! Wie geht es Ihnen?«, fragte der Mann, der uns vorhin zur Königin geführt hatte.

»Geht schon wieder!« Lee stand von dem antiken Bett auf und folgte dem Butler.

Wieder ging Lee durch verschieden Zimmer, verwinkelte Treppen und ewig lange Gänge, bis er vollständig seine Orientierung verloren hatte. Irgendwann blieben sie vor einer Tür stehen und der Butler klopfte an. Lee hörte die Stimme des Königs und trat ein. Er schaute sich um, doch das wunderschöne Gesicht, das er ständig vor seinem geistigen Auge sah, war nicht hier. Der Butler schloss die Tür hinter Lee und der König bot ihm einen Platz an.

»Warum darf Simon nicht mit hier sein …!«

»Darauf kommen wir gleich. Warum ich Sie hergebeten habe und warum ich möchte, dass ihr Dämon es nicht hört, sind Fragen, die sich um seine Strafe drehen. Wie soll es weitergehen?«

»Ja! Diese Frage beschäftigt mich, seit ich es gehört habe.«

»Also hat ihr Dämon nichts dazu gesagt, oder nie darüber erzählt.«

»Nein! Er spricht nie über sich, alles, was ich bis jetzt weiß, habe ich von Gilmore erfahren. Nun ja und Simon hat etwas von seinem Leben als Galant gesprochen. Mehr nicht!« Lee fing es langsam an zu nerven, dass der König von seinem Sohn als Dämon sprach.

»Verstehe! Sieht so aus, dass Simon diese zwei Tatsachen trennt.«

»Was für Tatsachen?«

»Sein Leben als Mensch und sein Leben als Vampir.« Lee hatte es irgendwie gewusst, dass diese Antwort kam, denn es fiel ihm manchmal selbst schwer zu akzeptieren, dass Simon und Galant ein und dieselbe Person war. »Wie steht es mit Ihnen?«

»Wie meinen Sie das?«

»Na ja! Es ist kein Geheimnis, das Sie mit meinem Sohn eine intime Beziehung führen!« Hier war der Schlag, der Bruch. Der König hatte nicht Dämon oder seinen Namen gesagt, sondern ›mein Sohn‹. Er trennt es nicht, warum sollte er auch. Eigentlich, wenn man die Wahrheit betrachtete, war Simon Galant und Galant war nur eine Illusion. Geschaffen, um sich unbemerkt unter die Menschen mischen zu können. Laut Gilmore können das nur die vom königlichen Blut abstammenden Vampire. Normal erschaffene Vampire oder Ghule würden keine Minute die Nähe eines Menschen aushalten, ohne sie angreifen zu wollen.

Langsam keimte in Lee die Frage, was das für eine Unterhaltung war. War es eine Unterhaltung zwischen zukünftigem ›Schwiegervater und Schwiegersohn‹ oder war es eine Unterhaltung, zwischen einem Master, der kurz davor stand, seinen Dämon zu verlieren und dem König aller Dämonen, der diese Gesetzte geschaffen hatte, damit das Gleichgewicht nicht aus den Rudern geriet. Aus welchen Gründen auch immer. Doch er wollte dies durchaus verstehen und war bereit, mehr zu erfahren. Er verstand diese Gründe nicht und ertappte sich dabei, dass er unerwarteterweise die zwei Tatsachen trennte. Galant der Mensch und Simon der Vampir.

»Kommen wir zum Nächsten!« Langsam verstand Lee nichts mehr und er fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Vielmehr erwartete er eigentlich Fragen wie, ›Liebst du ihn, kannst du dir eine Zukunft mit ihm vorstellen, welche Pläne habt ihr schon geschmiedet‹. Einfach ein Gespräch zwischen einem Vater, der das Beste für seinen Nachwuchs wollte. Doch das war nicht so. »Simon lebt seit über zweihundert Jahren im Exil und seit ungefähr einem Jahr hat er die Auflage bekommen, sein Leben als Mensch zu fristen. Dazu darf er sich nicht von Menschen ernähren. Nur wenn er auf die Jagd geht, das heißt, wenn er Tiere jagt, hat er die Erlaubnis sich in sein wahres Äußeres zu verwandeln«, wechselte plötzlich der König das Thema und Lee wurde es immer unbehaglicher. Dies war nun definitiv kein Gespräch mehr zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn. Allerdings war es das nie gewesen.

»Warum?«, fragte Lee und untermalte es mit einer leicht fragenden Kopfbewegung.

»Mr. Young! Kennen Sie Jack, the Ripper, Angelo, Light Dark, der Kannibale und noch einige andere Mörder aus den letzten zwei Jahrhunderten.« Verständnislos nickte Lee und er wünschte sich, dass diese Unterhaltung schnellstmöglich vorbei war. »Um es besser auszudrücken, in den jeweiligen Abschnitten der Ära, in denen, sagen wir die Mörder vorkamen, war die Geheimhaltung der anderen Welt gefährdet.«

»Das verstehe ich nicht ganz. Laut Geschichtsschreibung, der menschlichen sowie der magischen, war nie die Rede von etwas Übernatürlichem, geschweige denn von Vampiren.«

»Sicherlich nicht, dafür haben die Cleaner schon gesorgt.« Igitt, Cleaner sind unangenehme Zeitgenossen, die ihren eigenen Regeln folgten und alles töteten, was die Geheimhaltung der anderen Welt gefährdete. Wenn es sein musste, würden sie ihre eigenen Familien kaltblütig aus dem Weg räumen. »Tja! Und in den letzten zwanzig Jahren ist das Fass übergelaufen. Das Konsulat hatte die Jäger auf ihn angesetzt und somit wurden die Cleaner auf ihn aufmerksam. Wie schon einige Male zuvor.« Moment mal dachte Lee. Von was redete er eigentlich. Simon und ein eiskalter Killer.

»Über wen reden Sie denn?« Der König blickte Lee mit einem Blick an, den man im Normalfall Kindern entgegenbrachte, wenn sie nichts verstanden. War wohl so. Immerhin war der König über sechstausend Jahre alt und Lee 18.

»Über die wahre Natur von Simon. Eigentlich ist das alles eher irrelevant, aber dadurch, dass sich in den letzten Jahrhunderten einiges geändert hat und die Menschen den ›Glauben‹ an Vampire als Mythos abstempeln, müssen wir mehr denn je auf der Hut sein.«

›Die wahre Natur von Simon? Ich verstehe es dennoch nicht‹, fragte er sich in Gedanken.

»Sie müssen wissen, dass wir Vampire nicht umsonst als die gefährlichsten Dämonen eingestuft werden. Es liegt in unserer Natur, dass wir Jagd auf die Menschen machen.«

»Das mag schon sein und es ist in dem Sinne auch kein Geheimnis, aber es gibt weitaus mehr Dämonen, die gefährlicher als Vampire sind.«

»Das stimmt auch wieder, aber sie existieren nicht in den Gedanken, Geschichten und Mythen der Menschen wie wir. Deshalb. Nun ja, um wieder zu unserem eigentlichen Gespräch zurückzukommen. Die ganzen namhaften Verbrecher aus der Vergangenheit, das war immer Simon. Eigentlich nichts Besonderes, doch wie gesagt, die Jäger und die Cleaner waren ihm jedes Mal auf die Schliche gekommen und irgendwann war es zu viel. Deshalb wurde er ins Exil geschickt, damit er uns Vampire nicht noch mehr gefährdet, was eher sinnlos war, denn er führte sein Treiben der Schauspielerei fort. Bis zu jenem Tag, als er sich in ein Mädchen verliebt hat. Eigentlich auch nichts Neues, doch leider war dieses Mädchen eine Jägerin. So kam eins zum anderen und meine Geduld war zu Ende. Wie immer konnte er sich durch rätselhaftes Verschwinden aus der Affäre ziehen, weil Simon meistens als Ghul oder einfacher Vampir in den Reihen der Jäger galt.«

»Wie vor über einem Jahr als Light Dark als vernichtet galt und doch auch wieder nicht.«

»Sie habe es erfasst. Light Dark, Simon gab vor, vernichtet worden zu sein, doch er hatte einen kleinen Fehler begangen. Die Öffentlichkeit wurde plötzlich auf ihn aufmerksam und ich dachte mir, wenn das Exil nichts brachte, dann sollte er sich mit Menschen rumschlagen. Ich wies ihn an, als Mensch zu leben, mit allem Drum und Dran. Sollte er es dennoch nicht tun, würde ich die Cleaner auf ihn aufmerksam machen und den Rest können Sie sich denken.« Der König lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte Lee wieder, der nur noch sprachlos vor sich hinstarrte. »Mr. Young! Wir haben sieben tote Menschen, die Merkmale aufweisen von einem Vampir getötet worden zu sein. Doch leider fehlen Hinweise darauf. Es gibt keine Bisswunden oder andere äußerlichen Einwirkungen, was wieder darauf schließen lässt, dass es ein königlicher Vampir war. Die Opfer waren blutleer. Wissen Sie etwas davon?«, fragte der König und seine Tonlage war befehlend. »Sie müssen verstehen, dass wir uns von unseren gezüchteten Menschen ernähren.« Lee hatte schon lange bemerkt, das Lügen sinnlos war. Er war hinter die Fähigkeit des Königs gekommen, sein Gegenüber anhand der Körperhaltung zu lesen.

»Ja ich weiß davon und es war Simon.«

»Verstehen Sie, dass das sein Todesurteil war? Es ist ihm verboten, Menschen zu töten. Alles sprach dafür, das Simon in Ihrem Sinne gehandelt hat und jetzt das!«

»Es war mein Befehl, um ehrlich zu sein, Gilmore hat mich darauf hingewiesen. Simon ...«, sagte er und schaute dem König fest in die Augen. »Simon hatte sich geweigert.«

»Geweigert und es war IHR Befehl? Wenn das rauskommt, wenn dass das Konsulat erfährt! Wie kamen Sie dazu?«

»Er war so schwach und dann spürte ich, wie es ihm guttat und ich wollte, dass es ihm gut geht und …!«

»Haben es ihm befohlen, obwohl er nicht wollte!«

»Ich habe erfahren, wenn ein Vampir in den Genuss des Todes kommt, würde er zu seiner Stärke finden. Tiere hätten zu lange gedauert und wir standen kurz vor dem Angriff.«

»Ich verstehe!«, sagte der König und stand hinter seinem Schreibtisch auf.

»Simon gehorcht Ihnen wirklich, auch wenn es seine Vernichtung bedeutet.« Der König lief einige Male auf und ab.

»Mr. Young. Meine Entscheidung steht fest. Simon wird Ihr Dämon bleiben. Seine Strafe im Exil zu leben wird für Ihre Lebensspanne aufgehoben und doch weise ich Sie darauf hin, dass Sie ihm die Jagd auf Menschen nicht mehr erlauben dürfen. Sollte seine Gier darauf unbändig werden, möchte ich, dass Sie sich mit mir oder mit Gilmore in Verbindung setzten. Wir werden uns darum kümmern. Vor allem aber wird er, wenn Sie ihn nicht als Ihren Dämon benötigen, als Mensch an Ihrer Seite weiterleben. Denn nur so ist er vor den Cleaner in Sicherheit.« Lee, welcher den König beim hin- und herlaufen beobachtet hatte, verstand überhaupt nichts mehr. »Wissen Sie, was seinen Hals gerettet hatte?«, fragte der König unvermittelt und Lee wartete gespannt auf die Antwort. »Es ist einfach. Es ist die Tatsache, dass Sie sowie mein Sohn, seine beiden Existenzen trennen. Auf der einen Galant, der Mensch, den Sie lieben und auf der anderen, Simon, der Ihr Dämon ist, der Ihnen gehorcht und Sie beschützt, obgleich es seinen Tod bedeuten könnte. Vor allem aber ist die Liebe Ihres Dämons zu Ihnen sehr stark. Das dürfen Sie nicht vergessen. Auch wenn Sie es unbewusst trennen, sind dennoch, Simon und Galant, ein und dieselbe Person. Das wird sich niemals ändern, denken Sie daran!«

Wieder war Lee fassungslos. Er war nicht der Meinung, dass er die beiden Identitäten trennte, sondern sah Galant als Simon an und umgekehrt. Doch das behielt er für sich.

»Er würde für mich in den Tod gehen?«

»Natürlich, oder was glauben Sie, wer Sie aus dem Wahnsinn, den Letizia bei Ihnen hervorgerufen hat, rausholte. Es war nicht Simon, es war Galant, der sich in die Gefahr begeben hat und sich vor Sie gestellt hat. Obwohl Sie ihn bereits schwer verletzt hatten und ihn töten wollten. Wenn wir in der menschlichen Gestalt sind, besitzen wir nur einen kleinen Bruchteil unserer Fähigkeiten und sind fast genauso anfällig wie ein Mensch.«

Der König entließ Lee und der Butler führte ihn zurück in Simons Zimmer. Den ganzen Weg machte Lee sich Gedanken, was der König gemeint hatte, von wegen und die beiden Persönlichkeiten trennen und kam zum Schluss, dass er sich geirrt hatte. Lee konnte es nehmen, wie er wollte. Er liebte Simon über alles und es war egal, in welcher Gestalt er auftrat. Beide lösten in ihm diese wundervolle Wärme aus, die er immer dann spürte, wenn Simon/Galant in seiner Nähe war.

 

Schlafende Kinder

Es war wieder einmal typisch für meinen Vater. Hob er eines auf, kam im nächsten Moment gleich wieder ein Dämpfer. Gott, war ich überrascht, als er sagte, dass mein Exil aufgehoben war! Natürlich nur für Lee's Lebensspanne. Nicht nur das, er gab uns sogar seinen Segen. Das hieß, Galant und Lee gab er seinen Segen, und natürlich wurde mir meine eh schon so mickrige Freiheit als Vampir, noch mehr eingeschränkt.

Das Ding an meinen Hals kratzte und ich schob immer wieder gedankenverloren meine Finger zwischen das Metall und meine Haut. Ein Zwangsband musste ich mir anlegen lassen, was total sinnlos war. Nun galt ich ›offiziell‹ als Lee´s Dämon, damit auch die aristokratischen Dämonen einverstanden waren. Weil sie es nicht glauben wollten, dass ein von königlichem Blut abstammender Vampir, gebannt worden war. Schmalbrettdenkende Idioten, die nur ihren eigenen Vorteil sahen. Aber keine Sorge, jeder bekam irgendwann das, was er verdiente und ich war nicht weit weg. Herrje, was waren das für Gedanken und ich atmete tief ein. Ich war doch selbst schuld, dass ich mich seit zweitausend Jahren in dieser Lage befand und das nur, weil ich einige Menschen, ein paar Minuten vor ihre Zeit ins Totenreich führte. Aber auch nur, weil ich ihre körperquälenden Schmerzen nicht mit ansehen konnte, oder weil einige auf wundersame Weise wieder gesund wurden. Die dann leider, trotz meiner Warnung den falschen Weg einschlugen. Das hatte wiederum Ihm nicht gepasst und er hatte mich daraufhin in diesen Körper verbannt. Wenigsten hatte er erlaubt, dass ich noch halbwegs meinen Job erledigen durfte, wenn auch eingeschränkt. Wie gerne würde ich wieder mit Satan einen trinken. Der hatte immer so guten Wein. Doch leider waren mir die Tore zu ihm verschlossen. Er hatte die Auflage bewirkt, sollte ich hier auf Erden sterben, würde er meine Seele aufnehmen. Wieder kratzte ich mich und schnaubte tief ein. Wenigstens sah das Ding wie eine modische Kette aus, etwa so, wie die von den Jugendlichen, die als Punks rumrannten und nicht wie die herkömmlichen Bändigungsreifen, welche die bösartigen und gesetzeswidrigen Dämonen bekamen. Ich denke eher, dass es Mutters Idee war, denn ein paar neue Studenten wussten nicht, wer ich war und so trat Galant Laurey wieder auf die Bildfläche. Mein Vater hätte darauf nicht geachtet und mir so ein protziges Ding versetzt, an dem das Signallämpchen alle Sekunde aufleuchtete.

Ich fragte mich, seit wann der König in einer Allianz mit dem Konsulat war. Bestimmt nicht erst seit der Bedrohung von Mablok. Dafür hatte er viel zu viel Mitspracherecht.

Marion hatte mich keines Blickes gewürdigt, auch hatte sie kein einziges Wort mit Lee ausgetauscht, aber dafür umso mehr mit den anderen. Mir sollte es recht sein, denn das Wenigste, was ich gebrauchen konnte, waren ihre sinnlosen Kommentare und schnippischen Antworten. Vor allem weil ich ihr keine reinwürgen konnte, da mein Vater und die Anderen mich genau beobachteten.

 

»Guten Morgen! Ich hoffe, Sie haben Ihre Weihnachtsferien genossen. Ich tat es auf jedenfalls und habe mir die Sonne von Hawaii auf meinen Bauch scheinen lassen!«, begrüßte ich alle, als ich in mein Klassenzimmer ging und ein allgemeines Geraune ging durch die Klasse. Besser hätte ich den ersten offiziellen Unterrichtstag nicht beginnen können, denn Ferien hatten die Studenten weiß Gott nicht gehabt. Einige Studenten, die meine wahre Identität kannten, warfen mir sprachlose Blicke zu. Ich selbst blickte nur zu den Neuankömmlingen und sie verstanden.

Im Unterricht passierte nicht viel. Ich ließ die Studenten einige Geschichten über ihre Ferien erzählen und wunderte mich, wie einfallsreich sie waren. Irgendwann ertappte ich mich dabei, wie ich mir vorstellte, genau in dieser Situation zu sein, hier als Lehrer zu unterrichten, doch in meiner wahren Gestalt. Wie viele Möglichkeiten hätte ich, ihnen Techniken, Tricks und viel Wissen über die Dämonenwelt sowie Hintergründe über die Mythen der Menschen zu vermitteln. Nicht nur das, ich könnte diese Fragerei auch als eine Übung verwenden, wenn sie, was ich nicht hoffen wollte, den Feinden in die Hände fielen. Dies und vieles mehr ging mir durch den Kopf und ich spürte in meinem Inneren eine Art Wärme. Die Wärme der Zugehörigkeit. Wie lange konnte ich als Professor Galant Laurey weiterleben, der selbst in wenigen Wochen eine Aufnahmeprüfung für irgendeine Universität ablegte. Doch genau dies diente nur dem Erhalt von Galant Laurey. Wie lange konnte ich unter diesem Namen leben? Es würde auffallen, wenn das ›Wunderkind‹ nicht auf einer Universität auftauchte und doch hatte ich das Gefühl, das alles seinen Weg ging. Egal wie.

Gilmore oder wegen der Neulinge, Professor Star, kam in das Klassenzimmer gestürmt.

»Darf ich euch bitten, euch in Zweierreihen aufzustellen und an die Tür zu bequemen!«, schoss er heraus.

»Ist was passiert?«, fragte ich ihn und er blitzte mich nur an. Kurz sah ich ein rötliches Aufleuchten seiner Augen und tat so als bemerkte ich es nicht. »Verflucht!«, durchschoss es schmerzlich meine Gedanken und ich schaute kurz zu Lee. Er blickte mich entschuldigend an und ich atmete tief ein.

»Wir müssen die Schule evakuieren, laut dem Statiker, der heute das Gebäude überprüft hat, sind die Trägersäulen nicht mehr stabil.«

»Na toll, eine bessere Geschichte konnte er sich nicht einfallen lassen!«, dachte ich mir und später hörte ich genau das. Das war die offizielle Version für die ›Normalos‹, dass das Schulgebäude einsturzgefährdet war. Auf jeden Fall war das besser, als wenn sie gesagt hätten, die Pest wäre ausgebrochen und ich schmunzelte.

»Rektorin Young möchte Sie sprechen!«, sagte Gilmore zu mir und blickte dabei zu Lee.

»Verstehe!« Ich ging durch die separate Tür in mein Büro.

Es war ja alles lustig und spannend, diese Schauspielerei, doch seit Lee und die alten Studenten von meiner wahren Identität wussten, wurde es ziemlich lästig. Ich zog das Handy aus der Tasche und wählte die Nummer von Lee´s Mutter.

»Young!«, meldete sie sich und ich fragte, was passiert war. Kurz erklärte sie es mir und ich atmete tief ein.

»Prima!«, murmelte ich und legte auf.

 

Alle Studenten versammelten sich in der Aula und eine neue Studentin, sie hieß Maja, unterhielt sich mit Markus. Sie gluckste auf, während ihr Markus wohl einige Geschichten erzählte, wie er und die anderen mit mir den Unterricht verbracht hatten.

»Ich will wirklich wissen, wie es weitergehen soll. Ich meine, sie können Laurey nicht einfach entlassen, damit ein ›Normalo‹ nichts davon mitbekommt.«

»Das ist mir eigentlich egal. Aber es ist wirklich schade um ihn. Mir hat es gefallen, als ein Normalo aufzutreten. Ganz ohne Magie und Dämon. Da weiß man erst einmal, wie schwierig es die ›Normalos‹ haben. Es fängt mit dem Schuhebinden an und hört mit dem Rucksacktragen auf«, übertrieb er und doch war es für ihn wohl so. Sie durften alle in meiner Gegenwart ihre Fähigkeiten nicht nutzen und nun fing dieses Theater wieder von vorne an.

»Stimmt auch wieder. Wenn ich an den Ausflug denke. Mann, der Rucksack war vielleicht schwer und ich konnte ihn nicht in die Zwischenwelt deponieren. Dann das Laufen, ich hatte in weniger als einer Stunde fünf Blasen an den Füßen. Wenigstens konnten wir uns dann in den Zelten etwas entspannen!«, machte Susan mit.

Ich stand an der Wand unweit von Lee entfernt und hatte die Augen geschlossen. Lauschend verfolgte ich die Gespräche der Studenten. Einige unterhielten sich, als ob es das Normalste der Welt war, dass die Schule nun ein Angriffsziel war. Andere quatschten über sinnloses Zeugs. Die Mädchen über Jungs, die Jungs über irgendwelche Videogames. Doch keinen schien zu interessieren, dass die Menschheit, sie selbst mit einbezogen, vor einem Angriff der Ghule von Mablok standen. Einige waren so sehr von sich und ihren Fähigkeiten als Magier und Dämonenmaster eingenommen, dass sie die Gefahr nicht einmal richtig einschätzten, wenn sie direkt vor ihnen stand. Nur die, die die letzte Angriffswelle mitgemacht hatten, schienen an Reife gewonnen zu haben. Sie unterhielten sich zwar auch, aber sie kamen nicht so überheblich rüber. In ihnen war das Wissen, was geschehen würde und die entscheidendste Frage, ob sie den nächsten Angriff überleben würden. Denn einige Freunde, die es nicht geschafft hatten, mussten sie schon zu Grabe tragen.

»Leichtsinnig! So leichtsinnig, dass es schon wieder beschämend ist«, dachte ich über die Neuen und die, welche damals noch zu jung waren oder zu schwach.

Kurz sprach Rektorin Young zu den Studenten. Wies sie an, sofort in die Station 05 zu ziehen und dort auch in den Unterricht zu gehen.

Die Station 05 erwies sich als eine unterirdische Stadt, die erschaffen wurde, damit Menschen in Sicherheit waren. Im Falle einer Eskalation zwischen der realen und magischen Welt.

 

Die Menschen in der Station 05 starrten mich an, denn es war für sie und für ihren Verstand unmöglich zu begreifen, dass ein Vampir hier war. Allerdings, wenn die Menschen jemals einen Vampir sahen, der sprachlos war, dann gehörte es ins Guinnessbuch der Rekorde. Denn gleich zwei Vampire, davon einer in Menschengestalt, starrten durch die ausgebauten Räume und Gänge. Auf die Monitore und Lampen, in denen wahrscheinlich UV-Filter eingebaut waren. Auf die Belüftung und Stahlträger. Auf die Fahrzeuge und Helikopter. Auf eine Wand mit Waffen und Jägern, die argwöhnisch zu mir blickten.

Eine Jägerin kam auf mich zu, in ihren Augen der pure Hass. Ihr Körper glich dem eines Bodybuilders. Viele Narben und Bisswunden zierten ihre Haut. Leicht hob ich meine Augenbrauen und roch, dass die Jäger auf ihrer Seite ein Gegenmittel für das Gift von den Vampiren entwickelt hatten. Es glich dem Geruch meines Speichels, mit dem ich die Wunden wieder verschloss.

»Was sucht ein verdammter Blutsauger hier!«, zischte sie und zielte mit ihrer Waffe auf mich. Bei jedem Schritt wurde sie angespannter und ihre Hand zitterte leicht. Ein Schwall Mordlust fiel über mich her.

Durch meine Haare behielt ich sie im Blick und rührte mich nicht. Ich erkannte, durch ihre Haltung und ihr Auftreten, das sie eine sehr erfahrene Kämpferin war. Mein Instinkt erwachte durch ihre Mordlust und automatisch verzogen sich meine Mundwinkel zu einem Grinsen.

Niemand schien davon etwas mitzubekommen und erst, als sie ihre Waffe entsicherte, wurden einige Augenpaare auf diese markante Situation aufmerksam.

»Lisa!«, rief Rektorin Young. »Nimm deine Waffe runter!«

»Das werde ich nicht. Ha! Ihr Magier und Dämonenmaster erkennt nicht einmal eine Herde Vampire, wenn sie mit gefletschten Zähnen vor euch stehen.« Wieder kam sie einen Schritt näher auf mich zu und ich ging in die Angriffsstellung über. Sie roch lecker und mich gierte es, von ihrem Blut zu kosten.

»Simon!«, schrie Lee, doch ich rührte mich nicht und blieb in meiner Haltung. Immer noch schaute ich die Jägerin an. Dann spürte ich den Schmerz in meinem Kopf.

»Was soll das?«

»Ich kann nicht anders. Sie ist eine Gefahr. Ihr Körper riecht danach. Master, wenn ihr nicht Einhalt geboten wird, werde ich sie angreifen und womöglich töten müssen.« Lee erkannte das Verlangen in meiner Stimme. Menschenblut, das wäre was. Zu lange musste ich darauf verzichten und meine Mundwinkel zuckten.

»Dann verschwinde in die Zwischenwelt!« Toll! Fiel ihm nichts Besseres ein? Und wie oft sollte ich es ihm noch sagen? Langsam musste ich mir Gedanken über seine Benotung machen.

»Das geht nicht Master. Unsere Körper sind zum Teil menschlich.«

»Lisa! Komm, nimm deine Waffe runter. Er ist keine Gefahr!«, versuchte Lee´s Mutter, die Frau zu beruhigen.

»Keine Gefahr? Er ist ja nur ein Vampir. Von ihm droht keine Gefahr. Dass ich nicht lache!«, fauchte sie weiter. Gilmore, der in seiner menschlichen Gestalt war, ging langsam auf die Frau zu. Sie bemerkte ihn nicht, erst als er seine Hand auf die Waffe legte, erschrak sie.

»Miss Lisa! Sie heißen doch Lisa?«, fragte er sanft und ich sah, dass er sie für sich einnahm. Sie nickte leicht, ohne sich von seinem Blick lösen zu können.

»Sie wissen doch, dass eine Allianz zwischen dem König der Vampire und dem Konsulat besteht. Und es ist für beide Seiten unangenehm, wenn diese Situation aus den Fugen gerät. Simon vertritt mit dem General des Vampirstabs, den König und seine Untertanen, die dieses Bündnis aufrecht halten.« Zur Bestätigung nickte sie.

»Verstehen Sie es? Wenn Sie ihn jetzt angreifen, ist er gezwungen, sich zu wehren. Und ich möchte nicht wissen, wie es ausgeht. Es ist für ihn schon so schwer genug, hier mitten unter all diesen Menschen.«

Na Bravo, dachte ich mir. Wieso musste ich wieder meinen Kopf hinhalten. Er war davon genauso betroffen wie ich. Aber er wäre nicht Gilmore, wenn er nicht mit allem, was ihm zur Verfügung stand, spielte. Ich atmete etwas erleichtert ein. Ließ dennoch die Jägerin nicht aus den Augen.

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Lee langsam auf mich zukam und beruhigend die Hände vor sich hielt.

»Mach keine Dummheit. Ich habe keine Lust das Zwangsband zu aktivieren.« Doch solange diese Frau mit dieser Waffe auf mich zielte, bei der ich annahm, dass die Patronen aus puren UV-Strahlen bestanden, konnte ich mich nicht entspannen. Sollte sie auf mich schießen, blieben mir nur zwei Optionen. Erstens ich verwandelte mich in mein menschliches Äußeres, was dann meine Vernichtung bedeutete, weil ich die beiden Existenzen preisgab, oder ich wich der Patrone aus und würde dann diese Frau im Affekt angreifen. Was ebenfalls zu meiner Vernichtung führte. Shit! Ich musste unbedingt jagen und langsam fand ich es keine gute Idee mehr, mich in diesen Körper verbannen zu lassen. Doch hatte ich eine Wahl? Nein. Ich hatte zwar die Wahl, in welchem Körper ich auf der Erde leben durfte, doch mir blieben eben nur zwei Optionen. Entweder ein Mensch, der dann nach ein paar Jahrzehnten das Zeitliche segnete, was in meinem Fall bedeutete, dass ich in die Hölle kam und Satan so lange Gesellschaft leisten sollte, bis meine Strafe abgebüßt war, oder als ein magisches Wesen mit der gleichen Auflage. Doch auf längerer Sicht war die Unsterblichkeit eines Vampirs die beste Möglichkeit gewesen und damals wurde nicht nachgefragt, an was nun der Mensch gestorben war. Wenn seine Zeit da war, so hatte ich mir sein Leben genommen. Es war zwar dann nicht mehr so, dass ich ihn in die Arme genommen hatte, sondern ich hatte ihn bis zu seinem Tod ausgesaugt. Außer Babys und Kindern, mit ihnen unterhielt ich mich und führte sie sanft durch ihren Tod, bis zum Tor des ewigen Lebens. Weiter durfte ich nicht mehr gehen.

 

Die Jägerin Lisa hielt noch immer die Waffe auf mich gerichtet und langsam verlor ich meine Geduld. Die im Moment eh am seidenen Faden hing, da ich auf meinem Blutrausch durch Menschenblut verzichten musste. Also ganz egal, was ich machen würde, der Ausgang blieb der Gleiche. Natürlich gab es noch mehr Optionen, die ich mit einkalkuliert hatte. Zum einen, die Jägerin nahm ihre Waffe runter und ging friedlich zu ihren Leuten, zum anderen, Lee würde das Zwangsband aktivieren und mich so auf die Knie zwingen. Nicht nur das, sollte es eskalieren, so würde ich mich nicht mehr zurückhalten können, weil meine innere Verpflichtung zu leben, um meinen Master zu beschützen, um einiges überwog, und damit stärker war, als mein Wille, das Ganze nüchtern und mit Verstand zu betrachten.

»Sie soll endlich die Waffe runternehmen!«, zischte ich. »Master! Sagt dieser Schlampe, dass sie die Waffe runternehmen soll.« Lee wurde weiß, er spürte mein angespanntes Inneres und erkannte, was für eine Gefahr im Raum schwebte. Er spürte meinen Drang zu überleben, notfalls zu kämpfen, zu töten. Er spürte, dass es mir im Moment egal war, wenn diese Frau oder andere draufgingen. Er spürte, dass ich überleben musste, um ihn zu beschützen.

»Sie soll die Waffe runternehmen!«, sagte er leise doch keiner bewegte sich. Nicht einmal die Jägerin, die sich aus dem Zwang von Gilmore befreit hatte und mehr denn je die Absicht hatte, mich zu töten.

»Sie soll die Waffe runternehmen!«, schrie Lee. »Wenn sie nicht endlich kooperiert, werde ich sie höchstpersönlich töten. Verdammt, ich kann ihn nicht mehr länger zurückhalten!«

Die Jägerin zuckte zusammen. »Er wird von diesem Burschen zurückgehalten?«

»Nimm verdammt noch mal deine beschissene Waffe runter!«, fauchte Lee und Lisa erschrak, weil sie ein Feuer in seinen Augen sah, das sie nicht einordnen konnte. Doch wenn sie genauer nachdachte, konnte sie es schon. Sie hatte dieses Feuer schon oft bei ihren Kameraden gesehen, wenn diese mit aller Willenskraft, die sie aufbringen konnten, ihre Freunde zu beschützen versuchten und bereit waren, falls nötig, sogar in den Tod zu gehen.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte sie sich und wandte ihren Blick zu Gilmore, der sich vor ihren Augen verwandelte. Dann ging alles schnell. Sie kam nicht mehr dazu, ihren Schock, dass plötzlich zwei Vampire da waren, zu überwinden und landete entwaffnet auf dem Boden.

»Laut Regel 35a Absatz 5 der Allianz zwischen König Darkness und dem Konsulat konfisziere ich Ihre Waffe und stelle Sie für drei Tage unter Arrest! Abführen!«, befahl Gilmore leicht grinsend. Als die Gefahr vorbei war, entspannte ich mich wieder.

»Regel 35a Absatz 5? Was ist denn das für ein Schmarrn?«, fragte ich und Gilmore grinste noch breiter.

»Soeben aufgestellt, bewilligt und durchgeführt«, gluckste er augenzwinkernd. »Ich muss doch aufpassen, dass dir nichts passiert.«

»Auf mich brauchst du nicht aufpassen!«

»Weiß ich. Aber was macht dann Lee, wenn mein kleiner Bruder immer so unbeherrscht ist? Ich möchte ihn irgendwann als Schwager ansehen. Tja und dafür musst du noch weiterleben, auch wenn du inzwischen schon zu den Ältesten zählst« flüsterte er dicht bei mir stehend und seine Zähne blitzten auf.

»Ich glaube, jetzt bist du an der Reihe aufzupassen. Ihre Leute nehmen es dir irgendwie übel.« Er klopfte mir auf die Schulter und murmelte, dass ich jagen gehen sollte, denn in meinem momentanen Zustand glich ich einer Bombe. Dass er auch immer übertreiben musste.

»Eijei! Man hat auch nirgends seine Ruhe!«, nuschelte er und ich schüttelte den Kopf. Dann spürte ich eine warme Berührung auf meiner Schulter und ich blickte in Lee´s Gesicht.

»Komm. Die Zimmer wurden eingeteilt.« Langsam bekam seine Haut wieder Farbe. Diese Geste von Lee löste Empörung unter den Jägern aus und Gilmore stand als Professor Star da. Kurz drehte er sich zu den Jägern, zwinkerte ihnen zu und schritt pfeifend zu den Studenten. Die ihn irgendwie zur Kenntnis nahmen oder auch wieder nicht. In ihren Augen war er halt ihr Lehrer. Es war für sie etwas sehr Normales, dass ein Vampir sie unterrichtete.

»Mit dieser Jägergruppe werde ich wohl nicht gut Freund. Sie muss ich unbedingt im Auge behalten und vor allem, Mrs. Young kennt diese Lisa«, dachte Gilmore und verzog leicht seine Augenbrauen.

 

Die Tage vergingen, und mir wurde wieder langweilig. Lee war im Unterricht oder trainierte, und nur während seiner Freizeit, konnten wir unsere Zweisamkeit genießen.

Ich hatte Gilmore gebeten, mir ein paar Bücher zu besorgen, aber sie waren schnell durchgelesen und nun saß ich am Computer, um mir die Darstellung dieser ›Festung‹ anzuschauen. Anders konnte man die Station 05 nicht nennen.

Das Passwort war schnell gehackt und ich schaute mir den 3-D-Plan an. Die Station 05 war unterirdisch und sie verlief unter der ganzen Universitätsstadt. Einen Pfiff ließ ich los. Danach schaute ich mir das Waffenarsenal an, die Verteidigung und die Positionen der Wächter, sowie die Personen die zurzeit hier lebten. Alles war aufgelistet und ich schüttelte den Kopf. Die Station 05 war sicherer als Castle Moor. Man kommst sehr schwer rein und noch schwerer wieder raus. Ich schloss die Datei und sah, dass ein stummer Alarm ausgelöst wurde, den ich in sekundenschnelle umging. Tja, legt euch nicht mit dem besten Hacker der Welt an. Ich stöberte weiter, bis ich zu einer Datei kam, die ›schlafende Kinder‹ hieß. Diese Datei war vierfach gesichert und ich atmete tief ein. In Normalfall brauchte man zwei Leute, die das jeweilige Passwort kannten und zwei Schlüssel, um die Datei zu entsichern. Okay dachte ich, da mich die Datei doch neugierig gemacht hatte, schloss ich den Laptop und verschmolz mit den Schatten. Kurze Zeit später stand ich im Zimmer von Gilmore, der gerade aus der Dusche kam. Er schaute mich an und trocknete sich weiter ab. Mit ›ich brauch mal dein Laptop‹ war ich wieder weg. Ich hörte nur ›nimm ruhig, aber bring ihn wieder‹ und war wieder in Lee´s Zimmer.

Gilmores Laptop verband ich mit meinem und fing an, ein Programm zu schreiben. Keine Stunde später hatte ich das System über die Station 05 übernommen und mein Programm übernahm sämtliche Alarmanlagen sowie alle Passwörter und mechanischen Funktionen. Nur noch ein Klick und ich öffnete die Datei. Sie enthielt alle Namen der Studenten, die ich unterrichtete.

An erster Stelle stand Lee. Er wurde als Klasse C Kämpfer eingestuft. Magierlevel F und Dämonenmasterlevel A. Sogar meine Charaktereinschätzung war gespeichert. Vampir: Level A. Abstammung: unbekannt. Alter: geschätzt auf 300-500. Gefahr: hoch. Nahrung: Blut. Ich musste ein Grinsen unterdrücken und scrollte die Datei weiter. Markus war als Klasse A Kämpfer eingestuft, Magierlevel F und Dämonenmasterlevel B. Sein Geist galt als C. Kiel war ebenfalls als Klasse B Kämpfer eingestuft und sein Magierlevel belief sich auf B-C, Dämonenmasterlevel F. Jli war als D Kämpfer gelistet. D als Dämonenmasterlevel und ihr Dämon lag nur auf E. So schaute ich mir alle Details an, bis ich zu Susan kam. Susan hatte F im Kampf. Magie F und bei dem Level als Dämonenmaster ebenfalls F. Allerdings gab es eine Zusatznotiz zu ihrer Heilfähigkeit. Diese wurde als B gelistet. Es wunderte mich, gerade sie war eine der Besten geworden, weil sie eine harmonische und tiefe Freundschaft zu ihrem Dämon hegte. Nicht wie die anderen die ihre Dämonen zwingen mussten, damit sie gehorchten. Eine Endnotiz stand in ihrer Datei, dass sie für das Projekt SK nicht geeignet war. »Projekt?«, dachte ich und öffnete die Datei für die Jäger. Lisa Spoon. Alter 24. Anwärter zum Cleaner. Erfüllte Vorlagen: 4 von 7.

»Die legt sich ja mächtig ins Zeug!« Ich las ihre ganze Lebensgeschichte und nun verstand ich auch, warum sie so eine tierische Abneigung gegen Vampire hatte. Das alte Klischee. Vampir tötet Familie und sie war die einzige Überlebende. Aber auch bei ihr stand die Notiz: für Projekt SK nicht geeignet.

War ja alles gut und schön, doch ich fragte mich, warum diese Datei vierfach gesichert wurde. Das war mir doch etwas zu spanisch. So eine simple Auflistung von Studenten und Anwärtern auf die jeweiligen Berufsstände war doch kein Geheimnis.

Nachdem ich mir noch einige Jäger, Wächter und sogar Cleaner angesehen hatte, kam ich zu einer Datei, die angeblich für das System benötigt wurde, und öffnete sie. Schon wieder wurde nach einem Passwort gefragt und nun wurde ich komplett hellhörig. Da passte etwas nicht. Warum wurde in einer gesicherten Datei eine Datei mit einem zusätzlichen Passwort versehen, die dazu noch für das Betriebssystem benötigt wurde? Ich schmunzelte.

Tja legt euch nicht mit Light Dark an. Der Einzige, der Wahre, der beste Unterweltboss und Hacker, den es jemals auf der Erde gab. Nichts blieb vor ihm geheim. Light Dark hatte das Pentagon, das Weiße Haus und noch vieles mehr geknackt und das nicht nur einmal …«, murmelte ich.

Wieder dauerte es nur wenige Minuten und ich hatte die Datei geöffnet.

Projekt: »Schlafende Kinder«

Auswahlverfahren ..., Gen 29 aktiv ..., Gen 29 inaktiv ...

Wieder war an erster Stelle Lee gelistet und mir fiel die Kinnlatte runter, als ich las, dass es sich um ein Experiment mit Ungeborenen handelte.

 

Konfrontation

Lange lag ich auf dem Bett in dieser kleinen Kabine und starrte an die Decke. Mein Programm hatte es nicht geschafft, sämtliche Alarmanlagen lahmzulegen und die Firewall schlug an, bevor ich den Bericht zu Ende lesen konnte. Das Einzige, was mir noch in meinem Gehirn eingebrannt war, war der Name Galant Laurey, der mit einem Fragezeichen versehen war. Testergebnis: Positiv, möglich SK., weitere Tests nötig.

 

»Ich denke, es ist vorerst das Beste, wenn du dich nur in der Schlafkabine aufhältst«, hatte Lee gesagt und das war vor drei Wochen. In der Zwischenzeit hatte ich mehr erfahren, als das Konsulat wusste, und ich wusste nicht, ob ich meinen Vater, Gilmore oder Lee darin einweihen sollte. Es war eine verzwickte Situation. Besonders weil auch Lee darin verwickelt war. »Schlafende Kinder«. Wie gerne würde ich nun bei ihm sein.

 

Ich hörte Schritte, die vor der Tür hielten und ich verwandelte mich. Lee kam mit Jli, Kiel und Maja lachend in die Kabine. Kurz zog Jli scharf die Luft ein und ich verdrehte meine Augen. Wie lange würde sie noch so einen Aufstand, bezüglich Vampiren oder mir machen, obwohl sie wusste, wer ich war und ich drehte mich auf die Seite.

»Simon!«, rief Lee und warf mir eine Blutkonserve hin. Die ich, ohne mich umzudrehen, fing.

»Warum ist eigentlich dein Dämon nicht bei dir?«, fragte Maja.

»Wie meinst du das?«, fragte Lee zurück.

»Na ja …!«

»Ach so du meinst, warum er nicht in der Zwischenwelt ist?«, ging Lee ein Licht auf. »Weil er menschlichen Ursprung ist, deshalb!« Ich musste schmunzeln, weil es so nicht ganz richtig war, aber ich blieb still. Irgendwann würde ich ihm erzählen, dass ich so geboren wurde. Oder vielleicht wusste er es schon und behielt es für sich. Mir sollte es recht sein und ich trank einen Schluck erkaltetes abgestandenes Blut. Leicht angewidert verzog ich meinen Mund. Jagen. Das wäre es. Meine Gier zusammen mit Lee stillen, danach mit ihm ins Bett steigen und mich ihm voll und ganz hingeben. Automatisch kratzte ich mich wieder am Hals. Mich nervte die Kette nicht mehr und doch war es eine Angewohnheit mich immer wieder am Hals zu kratzen. Wahrscheinlich, weil Lee mich immer bemitleidend anblickte, wenn ich diese Geste machte.

»Ich frage mich, was aus Professor Laurey geworden ist?«, fragte Maja plötzlich und ich hörte, dass sich der Pulsschlag von Kiel und Jli erhöhte.

»Oh! Er wird wahrscheinlich seinen Studien nachgehen«, sagte Lee gedankenverloren und ich sog scharf die Luft ein.

»Studien? Welche Studien?«, fragte Maja und Lee wurde bewusst, dass er sich verplappert hatte.

»Ja! Er hat irgendetwas gesagt, von wegen, er würde auf Rechtswissenschaft umsteigen und ist in das Haus 358 gezogen«, log er schnell.

»Also wird er uns nicht mehr unterrichten.«

»Keine Ahnung, wahrscheinlich nicht.« Wieder sog ich die Luft scharf ein, denn es stand nicht auf meinem Plan, ständig nur als sein Dämon aufzutreten und vor allem war es uns auch verboten worden. Nur wenn es nötig war, sollte ich in meiner wahren Gestalt sein. Wieder nahm ich einen Schluck. »Widerlich«, sagte ich und warf die noch volle Konserve weg. Dann setzte ich mich auf und Jli erschrak. Leicht grinste ich, denn ich hatte nichts anderes erwartet.

»Was ist?«, fragte Lee und schaute mich an. Er sah das rötliche Blitzen durch meine Haare.

»Durst!«, meinte ich nur und Lee blickte zur Konserve, dann wieder zu mir zurück. Plötzlich spürte ich sein brutales Eindringen in meine Gedanken und die Resonanz wurde aufgebaut. Er spürte meine Gier und ich spürte, wie seine Erinnerung an unseren ersten gemeinsamen Blutrausch erwachte.

»Wie lange kannst du das noch aushalten?«

»Nicht mehr lange. Oder warum glaubt Ihr, laufe ich ständig als Mensch in diesem Zimmer rum?« Lee´s Augen leuchteten verlangend auf.

»Wahrscheinlich nicht nur, um deine Gier zu unterdrücken.« Und ich sah in seinen Gedanken eine Abfolge von Bildern auftauchen, wie ich ihn immer anblickte, wenn er nach einem langen Tag in dieses Zimmer zurückkam, wie ich mich ihm bereitwillig jedes Mal hingab. Genussvoll leckte ich mir über die Lippen.

»Wahrscheinlich!«

»Entschuldigt! Aber ich muss mich jetzt um meinen Dämon kümmern.« Jli und Kiel nickten.

»Ja! Die Dämonen, sie fordern nur«, warf Maja ein.

»Und sie geben sich mit nichts zufrieden«, nörgelte Jli und schaute zu der noch vollen Konserve, die achtlos auf dem Boden lag.

»Lee du solltest deinen Dämon besser erziehen, das würde bei mir nie infrage kommen. Es ist eine Unverschämtheit!«, setzte Maja noch eins drauf.

»Maja! Ich habe bis jetzt keinen Dämon gesehen, der sich mit dem begnügt, was er bekommt. Simon trinkt seit Wochen nur das Blut aus den Konserven, obwohl seine Bedürfnisse weitaus anspruchsvoller sind, als von einem anderen Dämon«, entgegnete Lee ihr. Sie hob ihre Hände und ging. Kiel und Jli schlossen sich ihr an.

 

»Was willst du jagen?«, fragte Lee, als wir außerhalb der Station waren.

»Was für eine beschämende Frage!«, zischte ich und Lee schaute mich verdattert an.

»Entschuldige! Ich dachte ...«, fing er an und hielt inne. Ich schaute ihn an. Meine Haare wehten im kalten Wind und er zog seine Jacke enger um sich.

»Was dachtet Ihr? Menschen sind verboten, obwohl etwas von ihrem köstlichen Blut - sie müssen ja nicht sterben. Nur, ein bisschen, um die Gier zu stillen. Allerdings bleibt der Blutrausch aus«, hauchte ich und Lee wurde von meiner Stimme betört, die für ihn plötzlich unwiderstehlich wurde. »Master! Reißt Euch zusammen!«, holte ich ihn zurück. Ich war verdattert, dass er so heftig darauf reagiert hatte. Zumal er sonst immer Herr seiner Selbst war.

»Deine Stimme! Die ist ganz anders, warum?«

»In diesem Fall wäre es besser, wenn wir uns nur gedanklich unterhalten. Sonst verfallt Ihr mir noch und ich kann Euch dann nicht mehr zurückholen.« Ich erinnerte mich daran, als ich ihn das erste Mal im Lokal sah. Dort hatte er auch für einen kurzen Moment den Anschein, dass er meiner Stimme verfallen war. Doch damals war ich in menschlicher Gestalt. Leicht schüttelte ich den Kopf, denn einige Erinnerungen lagen im Nebel, den ich noch immer nicht durchbrechen konnte.

Etwas in mir regte sich. Es war nicht meine Gier oder die Freude auf den gemeinsamen Blutrausch. Es war mein Verlangen, meine Begierde, die ich für Lee empfand und sie pochte in meiner Leistengegend. Ich verwandelte mich zurück und Lee schaute mich sprachlos an.

»Willst du nicht jagen?«

»Noch nicht!«, flüsterte ich lächelnd. »Du warst zu lange von mir getrennt.«

»Du machst mich fertig.« Als ich seine Leidenschaft roch, lachte ich auf. Wir gehörten zusammen. Mit oder ohne Resonanz. Das Schicksal hatte uns auserkoren, damit wir für immer gemeinsam durch das Leben schritten.

»Wohl eher du mich«, murmelte ich und blickte zu den Sternen. Lee trat hinter mich und legte seinen Kopf auf meine Schulter.

»Es ist ein schöner Platz! Manchmal frage ich mich, wer hier wohl wen versorgt?«, meinte er unbedacht und mir versetzte es ungewollt einen Stich in mein Herz. Ich wusste, dass er nur Galant die körperliche Nähe erlaubte, die Simon verwehrt blieb. Dennoch drängte es mich sehr, seinen warmen Körper auf meiner blassen, kalten und sensiblen Haut zu spüren. Die Intensität seiner Erektion wahrzunehmen und ihn zu schmecken. Ich drehte mich zu ihm um und suchte seine warmen Lippen. Er drückte mich weg und blickte mich sanft an.

»Ich liebe dich!«, flüsterte er, riss mir die Klamotten runter und wir versanken in unserer Leidenschaft. Nur die Sterne waren für diese Nacht unsere Zeugen.

 

»Ich verstehe dich nicht!«, sagte Lee, während wir uns anzogen.

»Wie meinst du das?«

»Na ja! Ich meine wir melden uns von der Station wegen Tierjagd ab und dann haben wir Sex. Weißt du, dass es ziemlich gefährlich für uns ist. Wenn die Wächter uns erwischen, würden sie dich, einen »Normalo« in U-Haft stecken und mich aus der Station schmeißen. Was wäre dann mit Simon?«, schmunzelte er und blickte zu den Sternen. Ich fing zu lachen an.

»Mit Simon würde nichts passiert, aber Galant würde irgendwann, nach wenigen Stunden, anfangen zu hyperventilieren. Würde dann auf der Krankenstation landen, wo sie ihm Medikamente geben würden, die er natürlich nicht nehmen würde und irgendwann, wenn die Luft rein wäre, würde er abhauen und irgendwo in einem Fluss als Leiche wieder auftauchen.« Lee sog daraufhin scharf die Luft ein. »Natürlich für die Öffentlichkeit, würde es so aussehen. Mit anderen Worten, die Wächter oder die Cleaner hätten das Problem Galant Laurey aus der Welt geschafft. - Offiziell-«, erklärte ich ironisch und untermalte es noch mit den Fingern. Lee verdrehte nur die Augen.

»Und ich würde einen trauernden Geliebten abgegeben und bei der erst besten Gelegenheit, Galant, der natürlich offiziell als Tod galt, wieder flachgelegt!«, äußerte er verdrossen, weil ihm der Gedanke dann irgendwie doch nicht gefiel.

»Oh! Du hast es verstanden?«

»Zeit zum Jagen. Ich kann deine Gier langsam nicht mehr ertragen!« Sofort stand ich als Vampir da und Lee schwankte kurz. Schüttelte sich und hatte sich bald wieder unter Kontrolle. »Mann, ich werde mich wohl nie daran gewöhnen!«, murmelte er und schaute von mir weg. In die Richtung, in der ich bereits meine Beute ausfindig gemacht hatte.

»Da kenne ich noch jemanden, der sich nicht daran gewöhnen kann.«

Bevor ich losrannte, sah ich aus dem Augenwinkel, wie Lee anfing, stockend zu atmen und in seinen Augen das feurige Lodern eines Neugeborenen aufkam. Unsere Resonanz war bis zur Grenze aufgebaut, und als das Tier in meinen Armen starb, vernahm ich Lee´s Stöhnen. Es war der Wahnsinn. Ich konnte diese Art von Verbindung nicht in Worte fassen.

Als ich meine Gier gestillt hatte, kniete ich mich neben Lee, der mit befriedigtem Blick zu den Sternen hinaufsah. Sanft strich ich ihm über sein Gesicht und nahm ihn auf meine Arme. Wie ein Baby trug ich ihn durch das Portal und legte ihn auf sein Bett. Sofort schlief er friedlich ein und ich beobachtete ihn.

Was wollte ich eigentlich noch? Sicherlich wollte ich, dass er mich auch liebte, wenn ich in meiner wahren Gestalt war, doch dies, das gemeinsame Jagen, die Resonanz, war besser, als wenn er mit mir schlief. Er erfüllte all meine Wünsche und ich war glücklich.

 

»Na Bravo!«, dachte ich, als ich Schritte hörte, die sich der Schlafkabine von Lee näherten. Die Tür ging auf und Susan war leicht angesäuert.

»Mann, der Professor ist ein alter, geiler Bock!«, fluchte sie und setzte sich mit Schwung auf das Bett und ihr Dämon legte sich vor ihre Füße.

»Du siehst das falsch!«, sagte Maja, die hinter Susan reinkam und sich an Lee gedrängt hatte.

»Nee, ich sehe nichts falsch, er ist ein alter Bock.«

»Wenigstens hat Susan jetzt »Geiler« weggelassen!«, murmelte Kiel, der mit Jli ebenfalls in die Kabine kam und genervt über Susans Ausbruch die Augen verdrehte.

»Mann! Wann werden wir wieder von Professor Laurey unterrichtet?«, rief sie verdrossen aus. Kurz blickte sie zu mir und in mir zog sich alles zusammen.

»Überhaupt nicht mehr!«, sagte Lee, der sich sein Mittagessen gönnte. Ich stand am Fenster, wie immer hatte ich die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete alle durch meine Haare.

»Warum muss so einer gerade ein »Normalo« sein. Es ist zum verrückt werden!«

»Oh! Höre ich da etwas Schwärmerei?«, stichelte Maja. »Gerade dich hat er sich gerne vorgenommen. Vielleicht ist es das? Vielleicht empfand der Professor auch etwas für dich. Immerhin war er ja jünger als wir«, stichelte Maja weiter und Susan runzelte ihre Stirn.

»Nee!«, rief sie. »Bestimmt nicht«, verteidigte sie sich schnell, als sie mich tief einatmend hörte, aber Maja ließ nicht locker.

Irgendwie hatte es sich eingebürgert, dass sich fast alle Studenten bei Lee in der Kabine versammelten, um zu lernen, ihre Aufgaben zu erfüllen, zu diskutieren, oder einfach nur um miteinander zu essen.

Dieses Zusammensein war herrlich, doch auch sehr gefährlich und oft ertappte ich die Studenten, dass sie sich fast verplapperten. Immerhin wussten die neuen Studenten immer noch nicht, wer ich war.

 

Ich hatte mir einen Tee gemacht und Lee schaute Fernsehen.

»Sag mal! Wie lange bin ich hier noch eingesperrt? Ich darf nicht unterrichten und als dein Dämon darf ich auch nicht rumlaufen. Mir fällt echt langsam die Decke auf dem Kopf!«, nörgelte ich und setzte mich auf das Bett. Kurz blickte er zu mir und zuckte mit den Schultern.

»Das weiß ich nicht. Mom hat noch kein grünes Licht gegeben.« Sanft lächelte er mich an. »Diese Lisa … sie lässt nicht mit sich reden.«

»Das ist ja super! Aber Gilmore darf rumlaufen!«

»Seit wann bist du eifersüchtig auf deinen Bruder?«

»Bin ich nicht … Es ist so … mir ist sterbenslangweilig. Und inzwischen kenne ich schon jedes Loch in der Decke und jeden Nagel in der Wand besser als meine Hosentasche!«, maulte ich weiter und Lee schmunzelte.

»Gilmore ist sozusagen als Botschafter tätig und du bist ein gebannter Dämon, der als unberechenbar angesehen wird.«

»Ja! Und Galant ist irgendwo auf Studienlehrgang! Danke echt!« Ich trank von meinem Tee, stellte die Tasse auf den Tisch und ließ mich rücklings aufs Bett fallen.

»Du bist so süß, wenn du dich aufregst.«

»Ich rege mich nicht auf, aber ich hasse es, eingesperrt zu sein.«

»Da nimm etwas Schokolade, das beruhigt die Nerven.«

»Witzig! Du kannst von Glück reden, das du mich noch nicht rollen kannst. So viel Schokolade, wie ich in letzter Zeit gegessen habe. Mann!«, nörgelte ich weiter und nahm dennoch einen Riegel.

»Simon!«

»Hm!«

»Ich …!«, fing er an und hielt inne. Kurz unterbrach ich das Lutschen der Schokolade und blickte ihn an.

»Was ist?!«

»Ach nichts … es ist nichts!«, sagte er und schaute weiter in den Fernseher.

»Deine Mutter kommt!«, nuschelte ich, während ich die Schoki von den Fingern ableckte, und mir anschließend den Rest in den Mund schob. Die Tür ging auf und sie betrat die Kabine. Wie immer hatte sie ihre Haare straff nach hinten gesteckt und wie immer sah man die Lachfältchen um ihre aufmerksamen Augen.

»Lee ich habe es endlich durchgebracht.« Lächelnd wandte sie sich mir zu. »Du darfst dich in der Station frei bewegen, allerdings meide die Abteilung C.« Ich nickte nur.

»Das wird ja langsam Zeit! Er hätte sonst noch einen Koller bekommen!«, rief Lee erleichtert aus. »Das ständige Ersuchen um Erlaubnis ...«

»Entschuldigt, dass es so lange gedauert hat, aber die Jäger haben schon Schwierigkeiten gehabt, Gilmore als ihren Vorgesetzten zu akzeptieren, obwohl sie es gewusst haben.«

Schwere Schritte hörte ich, stand vom Bett auf und verwandelte mich.

»Das hat man gerne, mir wird vorgeschrieben, wo ich mich zu bewegen habe, aber die …!« Lee und seine Mutter starrten mich kurz verdattert an, doch als die Tür aufgestoßen wurde, Lisa mit ihren Leuten einfach reinkamen und mich feindlich musterten, verspannten sie sich. Ich hingegen grinste die Neuankömmlinge an.

»Halt deinen Dämon im Zaun, sonst werde ich ihn vernichten!«, zischte Lisa los.

»Ich würde eher sagen, halt deine Waffe unter Kontrolle, sonst wird er dich vernichten!«, entgegnete Lee ihr.

»Du hast mir nichts zu sagen. Du kleiner Dämonenbeschwörer!« Sie zielte mit ihrer Waffe auf Lee. Blitzschnell hatte ich sie entwaffnet und stand zähnefletschend vor ihr. Mit ihrer eigenen Waffe zielte ich auf sie.

»Meinst du, dass es für dich spricht, wenn du vor einem Mitglied des Rates, mich oder meinen Dämon ohne Grund angreifst. Ganz besonders noch in meiner Kabine.«

»Er ist ein verdammter Blutsauger und sie alle gehören ausgerottet.«

»Das kommt aber für deine Bewertung als Anwärter zum Cleaner nicht gerade gelegen!«, flüsterte ich so, dass nur sie es hörte und sie riss ihre Augen auf. »Ein Cleaner muss unvoreingenommen sein und seine Befehle zu 100 % genau erfüllen.« Während sie in meinem Bann war, zerlegte ich ihre Waffe in Einzelteile. Langsam, damit sie auch wirklich alles registrierte, ließ ich die Teile zu Boden fallen. Ich grinste sie weiter an. Oh ja! Sie kam mir gerade recht. Eine Top-Elite-Kämpferin, die mit raus speiendem Hass in ihren Augen einen Überfall auf mich wagte.

Lee drang in meine Gedanken, doch er spürte nur Belustigung und eine Art Herausforderung. Keine drohende Gefahr wie beim letzten Mal. Ich entließ Lisa aus meinem Bann.

»Gott, dir war wirklich langweilig!«, schnaubte er und schaute zu seiner Mutter, die ängstlich zu den Jägern schaute und dann wieder zu mir.

»Also was machen wir jetzt? Das hier ist meine Kabine, sozusagen mein Reich, welches mein Dämon beschützt!«, sagte er und hielt kurz inne. »Es reicht nur ein Befehl von mir und er wird dich zerfetzen.« Langsam hob er seine Hand. »Wenn ich meine Hand sinken lasse, wird er dich angreifen.«

»Master! Das ist jetzt nicht Euer ernst?«, fragte ich in Gedanken und er schüttelte den Kopf.

»Nö! Nur etwas Spaß! Ihr etwas Angst machen.«

»Das wäre schön, aber bedenkt, sie ist eine Verbündete und kein Feind. Sie ist schon genug eingeschüchtert.«

»Ja, ja du hast recht!« Lee ließ seine Hand sinken. »Okay. Mein Dämon hat Bewegungsbedarf, aber er ist auf keinen Kampf aus. Ich würde sagen, du sammelst deine Waffe ein, nimmst deine Freunde und verlässt auf der Stelle meine Kabine. Und wage es nicht mehr, ohne Erlaubnis wieder hierher zu kommen. Das war eine kleine Warnung. Beherzigst du sie nicht, kann ich für dich und deine Freunde nichts mehr garantieren. Denn er hat einen riesigen Durst.«

»Och übertreibt nicht so!«

»Warum? Etwas Dramatik ist doch schön.«

»Tzz. Was habe ich nur für einen bösen Master! Aber ich spiele dieses Spiel mit.«

»Ach, was bist du für ein gehorsamer Dämon.«

»Das ist wohl der Schokolade zu verdanken, die mir schwer im Magen liegt«, nörgelte ich und er musste ein Grinsen unterdrücken.

»Dafür wirst du wieder belohnt werden. Mit Schoki.«

»Tzz … welch einen Scherz Ihr da sprecht!«

 

Die Jäger hatten sich verzogen und Lee´s Mutter atmete hörbar ein.

»Das hätte noch gefehlt!«, murmelte sie und schaute ihren Sohn hart an. »Das hätte ich nicht von dir erwartet, dass du solch einen Profit rausschlägst und von dir auch nicht, Simon. Was ist, wenn jetzt was passiert wäre. Es wäre ein Krieg innerhalb der Station entfacht worden. Solch eine Kinderei. Lee du bist ein Dämonenmaster und musst in jeder Situation beherrscht sein!«

»Die Jäger waren nie in Gefahr«, entgegnete ihr Lee.

»Woher willst du das wissen? Du hattest keinen einzigen Blickkontakt mit Simon. Du hast nicht das Funkeln seiner Zähne gesehen. Er wäre jeden Moment auf Lisa gesprungen.«

»Mom! Simon wäre nicht auf sie gesprungen. Heute zumindest nicht.«

»Lee, das war sehr unbedacht von dir, überhaupt so eine Drohung auszusprechen!«

»Mom! Es war niemand in Gefahr, weder die Jäger noch ich. Wir haben Witze über Schokolade gerissen. Mehr nicht.«

»Aber …!«

»Mom, das kannst du mir glauben. Genau, wie du mit deinem Falken in Verbindung stehst, genauso stehe ich mit Simon in Verbindung. Allerdings hilft mir das bei den Prüfungen nicht. Da ist er stur wie ein Ochse.«

»Stimmt. Weil ich meistens in meiner menschlichen Gestalt war, wenn er Prüfungen hatte.« Ich verwandelte mich zurück.

»Das nutzt du voll aus.«

»Nein! Du weißt gar nicht, was das für Kopfschmerzen sind, wenn du jeden meiner Gehirngänge mit deinen Gedanken durchbohrst.«

»Du, ihr meint, das war nur gespielt?«

»Mehr oder weniger, obwohl Simon diesem Weib gerne den Kopf abgerissen hätte.«

»Das ist nicht wahr. In dem Moment, wo die Waffe in Einzelteilen am Boden lag, war die Situation nicht mehr gefährlich.«

»Eigentlich, wenn man bedenkt, dass Simon ziemlich viele Entscheidungen selbst trifft, die Lee schützen, wundert es mich nicht, dass Lee schon die nächste Stufe erklommen hat. Aber ich darf nicht vergessen, dass Lee mit seinem Dämon liiert ist«, dachte sie und verabschiedete sich.

 

Ich spürte, dass Lee die Resonanz aufbaute und ich ließ ihn gewähren. Es waren diesmal höllische Schmerzen, stärker, als ich sie je empfunden hatte und ich sank auf meine Knie. Automatisch griff ich an meinen Kopf und etwas Klebriges lief aus meiner Nase.

»Simon! Ist alles in Ordnung!«, fragte Lee besorgt und ich nickte. Langsam rappelte ich mich wieder auf und wischte mir das Blut ab. Kurz schaute ich mich in der ›Arena‹ um. Alles bestand aus Hightech und dem besten Material, welches die Menschheit je erfunden hatte.

Die Studenten hatten sich schon eingefunden und waren mit Sensoren bestückt worden, genauso wie Lee. Ich spürte starke energiegeladene Schwingungen, sah, dass die Wärter eine Barriere aufbauten, und verstand. Lee unterhielt sich ausgelassen mit Kiel, dessen Aura sich um das Dreifache erhöht hatte. Selbst die Jäger, die sich eingefunden hatten, wiesen einen höheren Energielevel auf und nun wusste ich mit Sicherheit, dass die Resonanz nur so stark ausgefallen war, weil Lee an diese leitenden Sensoren angeschlossen war. Seine Fähigkeit stieg in Sekunden an.

Wie immer hielt ich gebührenden Abstand zu meinem Master und wartete mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen auf die Befehle. Ich atmete ein, irgendwie war es langweiliger, als wenn ich den ganzen Tag in der Kabine verweilen musste. Das einzig Störende an der ganzen Sache war der Schmerz, der pochend durch meinen Kopf strömte, deshalb setzte ich mich auf den Boden.

Langsam verringerte sich der Schmerz und es war wieder das gewohnte Gefühl der Resonanz, die ich mit Lee hatte. Ich spürte seine Gefühle, ich sah durch seine Augen und hörte seine Gedanken.

 

Ein Mann in einem weißen Kittel stellte sich vor die Studenten und begrüßte sie. Sofort war er mir unsympathisch. Ihn umgab eine Ausdünstung, die mir zuwider war. Würde ich ihm auf der Straße begegnen, wäre er einer der wenigen Menschen, dessen Blut ich mied. Da zog ich einen vollgedröhnten oder besoffenen Bettler vor. Anscheinend teilte Lee meine Abneigung oder war es seine Abneigung, die ich empfand?

»Ich grüße die Masterklasse des ersten und zweiten Lehrganges. Außerdem heiße ich die Jägereinheit 1358 willkommen, die gemeinsam mit dem Lehrgang des ersten Jahres trainieren und General Darkness, den Trainer der ersten Jahrgangsstufe sowie Ersatzlehrer. Dürfte ich fragen, wo ihr Klassenlehrer ist?«, fragte er und schaute in seine Unterlagen. »Klassensprecher Lee Young!«, rief er und Lee schaute zu dem Mann im weißen Kittel.

»Professor Laurey ist zurzeit unabkömmlich«, sagte er nur.

»Aber laut den Unterlagen ist er ein ›Normalo‹. Dürfte ich fragen, wie es möglich war, dass ein Normalo eine Masterklasse in einer Magierschule unterrichten beziehungsweise fördern konnte, damit sie als hervorragend gilt? Ihr Notendurchschnitt liegt weit über dem normalen Durchschnitt einer ersten Klasse.«

»Ich würde sagen, dass wir uns selbst als Normalos ausgegeben haben, und die Tests nicht magisch, sondern handschriftlich abgelegt wurden. Es zählte, was auf dem Blatt stand, nicht was man darüber dachte, so wie in den magischen Tests. Ich muss dazu sagen, dass es eine gute Möglichkeit war, kennenzulernen, wie es ist, als Normalo zu leben. Diese Lernmethode hat General Darkness beibehalten und ich finde, es fördert das allgemeine Verständnis für die ›Normalos‹

»Verstehe!« Er klappte seine Mappe zu. »Nun! Ich habe Sie heute hergebeten, damit wir Ihre Fähigkeiten testen. Deshalb wurden Sie alle mit diesen speziellen Sensoren versehen, die nicht nur Ihre eigentliche Stärke hervorheben, sondern gleichzeitig auch alles aufzeichnen. Für die Magier ist es nichts Neues, da sie mit den Sensoren schon trainiert haben, denn eigentlich wurde diese Technik für die Magier entwickelt. Sprich. Die Barriere wird länger aufrechterhalten und die jeweilige Ausführung eines Spruches wird um das Doppelte, wenn nicht um das Dreifache verstärkt. Bei den Dämonenmastern ist es heute eine Testphase. Laut Untersuchungen stehen die Dämonen mit ihren jeweiligen Mastern in Verbindung. Gedanklich oder emotional, abhängig von der Dämonenart. Wir werden heute diese Verbindung austesten und herausfinden, inwiefern der Dämon besser gehorcht oder auch nicht. Wie schnell er reagiert, nachdem er einen Befehl erhalten hat und wie schnell er einen Angriff startet oder abbricht. Bei den Jägern wurden doppelte Körperkraft und erhöhte Wahrnehmung verzeichnet, weil sie in diesem Sinne ›Normalos‹ sind, die aus reiner Zufälligkeit in diese Welt getreten sind. Natürlich gibt es nicht nur Normalos als Jäger, sondern auch Jäger mit spirituellen Kräften. Die zwar nicht ausreichend sind, um ein Magier oder Dämonenmaster zu werden. - Aber das brauche ich nicht weiter zu erörtern ...«, sagte er und legte die Mappe weg. »Ich habe den zweiten Jahrgang heute mit hierher rufen lassen, weil es sich um eine reine Magierklasse handelt. Die mit den Jägern gegen die Dämonenmaster aus dem ersten Jahrgang einen Übungskampf austragen. Die Magier aus dem ersten Jahrgang nehmen inzwischen hinter der Barriere Platz. Ich rufe den jeweiligen Dämonenmaster auf, der sich dann mit seinem Dämon in der Mitte der Arena aufstellt. - Miss. Jli Worms. Sie haben einen Löwendämon«, sagte er und nahm eine andere Akte in die Hand. »Ihr Dämon hört auf dem Namen Leon? Sehr passend, doch wie ich sehe, haben Sie seit dem Angriff leichte Probleme mit ihrem Dämon.« Jli nickte. »Aber das ist nicht weiter schlimm, denn ich denke, nach dem Training wird er Ihnen wieder aus der Hand fressen. Sie müssen verstehen, dass sich die Dämonen, während eines Kampfes, von Ihrer Energie ›ernähren‹, und wenn Sie ständig leer oder schwach sind, so wird er sich von Ihnen abwenden und Sie mit Ignoranz strafen. Da die Dämonen im eigentlichen Sinne nur auf Kraft und Stärke aus sind. Was für Sie nicht gut ist, weil Sie ständig Arger mit ihm haben und für Ihren Dämon doppelt so schlimm, da er ständig unter Zwang steht«, erklärte er und ließ sie gegen einen Magier antreten, der schon nach wenigen Sekunden die Kontrolle über den Übungskampf hatte.

Überheblich und grinsend, wie leicht er doch diese »Elite-Kämpfer«, als die meine Studenten bezeichnet wurden, besiegt hatte, ging er zurück zu seinen Freunden. Kiel kochte innerlich und verfluchte, dass er hinter dieser Barriere war.

Nach der Reihe wurden die Dämonenmaster aufgerufen und alle hatten es schwer, gegen die Magier anzukommen.

»Lee Young!« Wurde mein Master als Nächster aufgerufen und wir traten in die Mitte der Arena. Da ich etwas kleiner als Lee war, empfing mich Gelächter und ich wurde als Marbenn Dämon bezeichnet. Menschenähnliche Geschöpfe die außer dumm zu glotzen und in der Gegend rumzuhüpfen nichts konnten. Wirklich erbärmliche Kreaturen.

Das Gelächter dröhnte so durch die Arena, dass keiner der zweiten Klasse bei der Vorstellung mitbekam, dass ich ein Vampir war und ich grinste.

»Uii! Schau mal er hat seinen Dämon mit Leder bekleidet. Sieht sehr cool aus, und dieser Haarschnitt einfach über das Gesicht, damit die hässliche Visage nicht zum Vorschein kommt ...«, hörte ich und mein Grinsen wurde breiter. Lee, der diese Gesprächsfetzen in meinen Gedanken hörte, atmete tief ein.

»Master! Habe ich die Erlaubnis Euren Gegner in den Arsch zu treten, ganz nach meiner Art.« fragte ich und er sah mein Leuchten in den Augen und mein herablassendes Grinsen.

»Tja! Sie sollen dich nicht unterschätzen.«

»Das tun sie bereits und das ist ihr Fehler.«

»Also gut! Weil du fünf Wochen eingesperrt warst.« Er lächelte mich an. »Und du deine Kilos, die du durch die Schokolade zugenommen hast, abbauen musst.«

»Danke! Sehr zuvorkommend von Euch, aber geht in Sicherheit.«

»Simon!«, klang es vorwurfsvoll und ich grinste ihn an. »Es hat nicht geheißen, das ich meine magischen Fähigkeiten nicht einsetzen darf.«

Ich ging in die Mitte des Trainingsplatzes und der Mann im weißen Kittel schaute Lee hinterher, der es sich auf einer Bank bequem machte und die Arme vor seiner Brust verschränkte.

»Mr. Young! Sie sollen mit ihrem Dämon k…!«

»Oh! Ja. Mein Dämon hat seine Befehle erhalten und ich betrachte es aus sicherer Entfernung.« Der Mann machte sich eine Notiz, die nach meiner Einschätzung eher abwertend war.

Der Magier trat vor mich und ich spürte, dass er ein Elementarmagier war. Wahrscheinlich Wasser, weil sein Körper plötzlich durchsichtig wurde.

»Na du! Marbenn! Ihr Viecher habt doch vor allem Angst!«, stänkerte er herablassend und baute um sich eine Barriere auf. ›Wasser‹ ich hatte recht. »Dein Master will nicht mit dir kämpfen, das muss eine Beleidigung für dich sein. Aber wenn ich so einen schwachen Dämon hätte, würde ich mit ihm auch nicht kämpfen wollen. Besonders weil ihr Marbenn stinkt. Nein! Es ist eine Beleidigung für mich«, machte er weiter und ich beobachtete ihn nur ruhig. »Level A Magier. Wasser. Das heißt, er kann einen Hurrikan aus Wasser beschwören oder einen starken Wasserfall. Vielleicht beherrscht er schon die Beschwörung eines Tornados. Ich lass mich überraschen«, dachte ich. Kurz blickte ich zu Lee und spürte das seine Barriere stand.

»Oh! Der Arme hat Angst und schaut zu seinem Master. Tzz! Und ihr werdet als Elite-Kämpfer bezeichnet. Was für ein guter Witz.« Schnell feuerte er eine Wasserkugel auf mich und kaum sichtbar für seine Augen wich ich ihr aus. Dann stand ich seelenruhig wieder auf meinem Platz. Das Wasser explodierte und für kurze Zeit regnete es in der Arena. Der Magier war sich seines Sieges sicher, denn Marbeen waren wasserscheu. Doch ich stand immer noch da.

»Man! Spiel nicht so lange mit ihm rum!«, hörte ich Lee.

»Och bitte. Es macht gerade richtig Spaß!«, nörgelte ich. »Außerdem verdaue ich die 30 Kilo Schokolade so schneller.«

»Und wie lange willst du spielen?«

»Bis er herausgefunden hat, dass ich kein Marbeen bin.« Die Wasserattacke wiederholte er ein paar Mal und inzwischen war ich bis auf die Haut durchnässt. Der Magier wurde immer wütender und bald hatte ich ihn da, wo ich ihn haben wollte. Fluchend beschwor er seine stärkste Waffe.

»Ein Tornado! Wie reizend!«, sagte ich und er verlor fast seine Konzentration, den Marbeen konnten nicht sprechen, sondern nur schrill quieken. Langsam hob ich meinen Kopf und er sah das rötliche Leuchten sowie meine langen Zähne.

»Ein Vampir?«, schrie er auf und sofort wusste er, dass Magie mir nichts anhaben konnte.

»Das hat ja lange gedauert.« Unmittelbar änderte er seine Strategie. Er griff in die Zwischenwelt und holte ein Schwert heraus. Ich grinste breiter.

»Jetzt wird es spaßig!«, jubelte ich und der Zweitklässler sowie seine Freunde erkannten, dass ich nur mit ihm gespielt hatte. Kurz blickte er zu Lee, der ihm zuwinkte.

»Verstehe!« In seinen Augen loderte die Herausforderung auf. »Aber das bringt dir nichts, denn du bist nur ein einfacher Vampir.« Er hob zwei Finger, griff an seinem Hals und entledigte sich seines Umhangs. Ich sah den weißen Reifen um seinen Hals.

»Shit!«, durchschoss es meine Gedanken und mein Gegenüber lächelte leicht. Lee wurde aufmerksam, als er meine veränderte Stimmung spürte.

»Was ist?«

»Der Mistkerl ist ein Pfarrer!«

»Und, was hat das zu bedeuten?«

»Ach nichts weiter, er segnet nur das Wasser, das dann für mich wie Säure ist.«

»Ach so einfach, weiter nichts?«, hörte ich Lee in Gedanken und spürte eine aufkommende Wärme, die sich um mich schloss. »Das ist ja ganz leicht!«, jubelte Lee los. »Die Sensoren sind der Hammer!«

Ich bedankte mich, als die Barriere, die Lee um mich gelegt hatte, vollständig aufgebaut war. Wieder schoss mein Gegner auf mich und attackierte mich mit seinem Schwert, dem ich mit eleganten Schritten auswich. Für mich war er zu langsam und wieder explodierte das Wasser. Er starrte mich an und wartete. Es tat sich nichts und das Wasser prasselte einen Zentimeter vor mir herab.

»Verdammt, was hat das zu bedeuten?«, schrie er und schaute zu Lee, der wieder winkte.

»Simon! Komm langsam zu Schluss!«, schrie er mir zu, dass es auch jeder hörte und ich atmete verdrossen ein. Ich nickte nur kurz, holte mit meinem Fuß aus, traf mein Gegenüber in seinem Bauch und er sank gekrümmt zu Boden. Nicht einmal seine Barriere konnte die Wucht des Schlages aufhalten. Das ganze Schauspiel hatte nicht einmal fünf Minuten gedauert und ich war nicht im Geringsten ausgepowert.

»Wie langweilig, da ist eine Jagd auf Hühner noch amüsanter.«

Der Weißkittel begutachtet die Auswertung, die nur bei Lee angeschlagen hatte und nicht bei mir, wie bei den anderen Dämonen. Dann schaute er hoch.

»Mr. Young wir müssen die Trainingsübung wiederholen.«

»Ich denke, das ist sinnlos!«, ging Gilmore dazwischen, der in seiner wahren Gestalt erschienen war. Leicht tropfte es noch von der Decke und er machte eine kurze Handbewegung. In sekundenschnelle war auch der letzte Tropfen verdampft und damit hörte das lästige Jucken von dem gesegneten Wasser auf. »Simon hatte sich automatisch auf die verstärkte Form der Fähigkeit seines Masters eingestellt.«

»Wie das?«

»Er ist ein Vampir und absorbiert Magie. Nicht nur das, er kann selbst Magie anwenden, also wäre es sinnlos, ihn noch einmal kämpfen zu lassen. Die Sensoren bewirken bei ihm nichts.«

»Woher wissen Sie das, es steht nichts in den Akten.«

»Darauf kann ich Ihnen auch keine Antwort geben. Tatsache ist, dass Simon, ein sehr guter Kämpfer in den Reihen seiner Majestät war. Einer der Besten.«

»Ein Kämpfer in der königlichen Armee der Vampire?«, fragte der Mann verwirrt und Gilmore nickte. »Ist er kein Frischling?« Mein Bruder fing zu lachen an. »Simon und ein Frischling? Wenn das so wäre, könnte er sich nicht inmitten all dieser Menschen aufhalten. Sie machen Witze. Ein Frischling - Hast du das gehört?«

»So abwegig ist das gar nicht, ich wurde sogar mit einem Marbeen Dämon verwechselt ...«, murmelte ich leise und Gilmore prustete los. Er hatte es gehört.

»Das … Das ist das beste Zeitalter. Noch nie habe ich in einer Lebenspanne so viel gelacht. Marbeen! Der Witz ist gut! Du und ein Marbeen!« Er lachte weiter und sein Lachen hörte man noch, obwohl er schon aus der Arena gegangen war.

Nun begriffen es die Freunde von Lee und fingen an die Zweitklässler auszulachen.

Der Mann in dem weißen Kittel startete eine neue Trainingsübung. Diesmal nicht einzeln, sondern die gesamte Klasse.

Ich schmunzelte die ganze Zeit darüber, wie verdattert die Zweitklässler waren. Meine Klasse war zu einem hervorragenden Team zusammengewachsen. Jeder konnte seine Fähigkeiten optimal einsetzen. Selbst die Jäger hatten mit uns keinen Spaß und waren alle in der Illusion von Carol gefangen, eine der neuen Studentinnen.

»Hab sie!«, jubelte sie laut. Kurz drehte sie sich um ihre eigene Achse, zwinkerte ihren Kameraden zu und verbeugte sich vor dem Weißkittel, der nur noch sprachlos dastand.

Ich wollte nicht so wirken, aber ich war wirklich stolz auf meine Studenten. Gilmore stand im Schatten und beobachtete alles aus dem Hintergrund. Ich konnte mir vorstellen, dass er das Training wieder anziehen würde. Es wurden doch sehr viele Fehler gemacht.

 

Der Fluch des Leidens

»Galant Laurey, das Wunderkind, welches innerhalb von einem Tag seinen Professor gemacht hatte. Laut Untersuchungen hat er ein IQ von über 200.«, las der Mann im weißen Kittel aus der Akte und Dr. Vangil nickte leicht. »Wo ist er? Alle Briefe, die an ihn gerichtet waren, sind ungelesen zurückgekommen.«

»Ja, das stimmt. Er wird als Genie des Jahrhunderts bezeichnet!«, sagte Dr. Vangil, faltete seine Hände auf dem Bauch und zuckte seine Schulter. Niemand wusste, wo Galant Laurey sich aufhielt.

»Das ist das Problem, das es an die Öffentlichkeit geraten ist!«, sagte der Mann im weißen Kittel. »Das macht die Sache um einiges schwerer. Wir müssen ihn unbedingt finden.«

»Was glauben Sie wohl, warum wir ihn aufgenommen haben!«, warf ein alter Mann ein.«

»Das hat aber nichts gebracht, weil er seit Wochen nicht mehr gesehen worden ist!«, sagte der Mann im weißen Kittel und warf die Akte vor sich auf dem Tisch. »Wir müssen ihn finden. Vor allem, wie konnte uns ein Gen 29 durch die Lappen gehen. Unfassbar! Meine Herren seien Sie sich im Klaren, was passieren könnte, wenn dieses Gen zu mutieren anfängt. Ich denke, dass ich es nicht näher erläutern brauche. Wir waren selbst Zeuge, wie es ist, wenn ein ›schlafendes Kind‹ ohne Vorsichtsmaßnahmen erwacht. Dr. Vangil, Sie selbst haben die Untersuchung an ihm durchgeführt und Sie haben die Anomalie in seinen Genen entdeckt. Wie lange wird es dauern, bis es ausbricht?«, fragte der Weißkittel.

»Das kann ich Ihnen nicht sagen, seine Mutation ist im Gegensatz zu den anderen aus der ersten Masterklasse nicht weit fortgeschritten. Er befindet sich sozusagen im Anfangsstadium. Wie bei einem Neugeborenen. Bei den anderen, besonders bei den Mädchen ging es rasend schnell, nachdem ihre Periode eingesetzt hatte. Das merkt man daran, wie sie ihre Fähigkeiten nutzen und die Dämonen unter Kontrolle halten. Auch bei den Jungs sind es nur noch wenige Jahre. Ich denke, Kiel wird der Erste sein. Er ist der Älteste. Bei ihm tickt die Uhr bereits.«

»Das wissen wir! Ich rede von diesem Galant. Er ist ein ›Normalo‹. Wie wird es sich bei ihm verhalten?«

»Ich denke, dass er in gewisser Hinsicht einen Hang zu der anderen Seite hat, nur ist es ihm und seiner Umgebung nicht bewusst. Er muss auf jeden Fall schon mit der magischen Welt in Berührung gekommen sein, sonst wäre das Gen niemals in ihm erwacht. Laut Aussagen seiner ›Studenten‹ ist er ein sehr eingefleischter Realist. Vielleicht ist das der Grund, der verhindert, dass das Gen weiter mutiert!«, mutmaßte Dr. Vangil. Doch selbst daran zu glauben, was er sagte, fiel ihm genauso schwer, wie den anderen Professoren, die es gerade hörten.

»Das sind Behauptungen, die nicht erwiesen sind!«, warf der Weißkittel ein.

»Nein, das würde ich so nicht sagen!«, lächelte der alte Mann und gluckste. »Ihr mit eurer Wissenschaft, ihr seht das Offensichtliche nicht. Es ist sein Verstand, sein Gehirn. In seiner Akte steht, dass er ein fotografisches Gedächtnis hat und Informationen für 72 Stunden speichern kann. Es hat nichts mit dem IQ zu tun. Es ist seine Fähigkeit. Überdimensionale Informationen über einen gewissen Zeitraum zu speichern, bis neue Informationen die Alten löschen. Er arbeitet wie eine Festplatte auf Zeit. Oder warum konnte er die Studenten unterrichten, ohne selbst etwas davon mitzubekommen. Ich wette, wenn wir ihm jetzt einen Satz in einer alten Schrift vorlegen, wird er sie anschauen und uns einen Vogel zeigen. Diese Informationen liegen viele Wochen zurück. Es sei denn, er hält sich auf dem Laufenden. Doch dafür müsste er jeden dritten oder vierten Tag anfangen, die Bücher von vorne zu lesen. Das ist ein zweischneidiges Spiel. Er bekommt eine Information und andere werden gelöscht. So stelle ich mir das vor. Denn ich glaube nicht, dass seine Aufnahmefähigkeit ins Unendliche reicht!«, sagte der alte Mann und schaute Dr. Vangil an. »Doktor wie lange denken Sie, wird das Gen brauchen, bis es bei dem Jungen ausbricht?«

»Vier oder fünf Jahre. Schätzungsweise. Das kann ich nicht genau sagen, weil es sich bei ihm anders verhält. Seine Mutation ist wie bei einem Dreijährigen. Es kann langsam gehen oder auch schnell. Er muss so schnell wie möglich gefunden werden. Wir müssen bedenken, dass das Gen ausbricht, wenn die Wachstumsphase der Jungs abgeschlossen ist. Bei den Mädchen, wenn das Hormon für die Fortpflanzung vollständig entwickelt ist!«, sagte Dr. Vangil und der alte Mann verdrehte die Augen.

 

Lee stand am Hügel und verfolgte meine Jagd. Meine Gier hatte sich auf Lee übertragen und seine leuchtenden Augen sah ich noch viele Meter in den Wald rein.

»In letzter Zeit brauchst du viel!«, hörte ich ihn.

»Tja! Wenn ich ständig in meiner wahren Gestalt sein muss, ist das kein Wunder und das abgestandene Blut ist total widerlich.« Plötzlich hatte ich das Gefühl, das er lachte.

»Lee!«, sprach Kiel ihn an. »Ist er wieder auf Jagd?« Lee nickte.

»Das du ihn so weit gehen lässt!«, sagte er unbedacht vorwurfsvoll.

»Warum sollte ich das nicht machen?«, weiter kam er nicht, sondern keuchte kurz auf. Seine Mundwinkel zuckten, als er spürte, wie mir das warme süße Blut durch die brennende Kehle floss. Das Tier starb und Lee hielt sich an Kiels Schulter fest. Schwer atmete er und seine Beine gaben nach. Er sank auf die Knie und warf seinen Kopf nach hinten. Stöhnend und einem Orgasmus nahe, ertrug er den kurzen Moment des Blutrausches. Kiel starrte ihn fassungslos an und ich wusste, dass ich in der Nacht voll auf meine Kosten kommen würde.

»Hey! Was ist mit dir?« Er war mit seiner Frage noch nicht am Ende, da kniete ich schon neben den beiden. Noch fassungsloser sah er uns an, wie ich Lee zunickte und er mich selig anlächelte. Langsam rappelte er sich wieder hoch und sein Leuchten in den Augen erlosch. Ich verschwand aus ihrer Sicht und Kiel stützte ihn ab.

»Was war das?«

»Nichts, was dich beunruhigen sollte. Komm, gehen wir zurück.«

»Und dein Dämon?«

»Er ist in der Nähe. Wahrscheinlich wird er eher zurück sein als wir.«

»Das glaubt aber auch nur Ihr!«, hörte er mich in seinen Gedanken. »Diese Gegend stinkt.«

»Sie stinkt?«, wiederholte Lee wohl etwas zu laut und Kiel erschrak.

»Ja. Nach Ghulen, aber sie sind nicht mehr hier.« Lee schaute Kiel an.

»Wir müssen zurück, schnell!«

»Was ist denn?«

»Kiel, es waren ungebetene Gäste hier!«

»Hää!«, kam es nur aus ihm heraus und wieder erschrak er. Gilmore tauchte plötzlich vor ihnen auf.

»Jungs, die Zeit zum Spielen ist vorbei, schaut, dass ihr hier wegkommt.«

»Simon sagt, dass sie nicht mehr da sind!«

»Das kann sich schnell ändern. Er hält inzwischen Ausschau!«, sagte Gilmore und Lee schaute sich um.

»Keine Angst, er ist in der Nähe. Was sagst du? Keine zwei Stunden alt? Wie viele?«, sprach Gilmore mit normaler Stimme. »Du hast an die zehn Leichen gefunden. Es könnte aber auch nur einer sein? Siehst du irgendwo Wächter? Die sind auch tot? Das ist schlecht. Der Wievielte ist es? Der Dritte? Simon! Simon?« Plötzlich hallte ein fürchterlicher Schrei durch die Nacht. »Verwandelt, dann war deine Einschätzung richtig.« Nachdem ich den Wächter, der dabei war, sich in einen Ghul zu verwandeln, getötet hatte, öffnete ich ein Portal und stand neben Gilmore und meinem Master. Meine Klamotten waren verdreckt und blutverschmiert.

»Wo sind deine Leute? Ich habe niemanden gesehen!«

»Was glaubst du wohl, warum ich hier bin?«, zischte Gilmore mich an und ich verdrehte die Augen.

»Das ist schlecht, dann waren sie in der Überzahl.«

»Tja! Dann wird es wohl nicht mehr lange dauern. Gehen wir zurück.« Gilmore hatte das ausgesprochen, was ich gedacht hatte. Mablok hatte die Station ausfindig gemacht und ein weiterer Angriff stand uns bevor.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Kiel.

»Mablok hat die Station ausfindig gemacht!«, kam es von Lee wie aus einem Kanonenrohr und nun verdrehte Gilmore die Augen.

»Kannst du deine Gedanken wenigstens bei dieser Sache verschließen.«

»Kann ich nicht. Ich bin sein Dämon, und wenn er meine Gedanken wissen will, kann ich ihn nicht davon abhalten.« Gilmore schüttelte nur seinen Kopf.

»So sieht also ein Neugeborener aus?«, flüsterte Lee eher zu sich.

»Wohl eher ein neugeborener Ghul!«, meinte ich und verzog die Mundwinkel.

»Ich dachte, das wäre ein alter Mann und wollte dich schon zurückhalten.«

»Ein neugeborener Vampir hat ein Aussehen, das ein Außenstehender nie versteht und nie vergisst. Das war ein Mensch, der von einem Ghul gebissen wurde!«

»Alter Mann? Alter Mann ist noch schön ausgedrückt!«, warf Gilmore ein und musterte Lee eindringlich. »Du siehst, was Simon sieht?«

»Nur während der Resonanz!«

»Ach ja!« Gilmore grinste nur und schüttelte den Kopf. Kiel hingegen verfolgte das Wortgefecht und verstand nur noch teilweise, was gesprochen wurde.

»Ich habe eine Frage«, wandte sich Gilmore zu Lee. »Hätte Simon die Wächter, die sich in Ghule verwandelten, ohne dein Einverständnis vernichtet?«

»Nein! Er hätte es nicht getan.« Gilmore musterte mich.

»Verstehe!«, murmelte er. »Simon, ich erkenne dich nicht wieder. Solch eine Selbstbeherrschung, und wirklich jeden Befehl zu gehorchen. Du bist ihm mit Haut und Haaren verfallen«, dachte Gilmore und schüttelte leicht seinen Kopf. Ich selbst atmete nur ein, denn sein Kopfschütteln ging mir sichtlich auf die Nerven. Ein Penny für seine Gedanken. Obwohl, lieber doch nicht.

»Ach Lee. Weißt du zufällig, wo sich Galant Laurey zurzeit aufhält?«, fragte er und ich blieb kurz unmerklich stehen.

»Er studiert Rechtswissenschaft!«, sagte Lee schnell, weil er die kleine Andeutung bemerkt hatte und um seine Lüge weiter aufrechtzuerhalten.

»Ja. Das wurde schon überprüft, aber er ist verschwunden. Professor Danhouer teilte mit, dass er seit einigen Wochen nicht mehr zum Unterricht kommt, geschweige denn bei den Prüfungen erscheint. Es wurde eine Suche angeordnet.«

»Er ist verschwunden?«, rief Kiel, der diesmal nicht auf der Leitung stand und mit log.

»Ja! Ich dachte vielleicht, wüsstet du oder ihr etwas.« Diesmal schüttelte Lee den Kopf.

»Warum wird er denn gesucht? Vielleicht hat er einfach das Studium abgebrochen.«

»Das kann sein, aber die vom Konsulat hegen ein Interesse an ihn, weil er irgendwie, laut Untersuchung spirituelle Energien aufweist!«, sagte Gilmore weiter und begutachtete nun seine Fingernägel. Ich drehte mich um und blickte in funkelnde Augen.

»Master! Das heißt Probleme. Lasst Euch was einfallen«, nahm ich Kontakt zu Lee´s Gedanken auf.

»Welche Probleme?«

»Das erkläre ich Euch später?«

»Nun ja! Okay. Ich habe Galant Laurey einer Gedächtnislöschung unterzogen, weil er meinem Dämon begegnet ist. Er weiß nichts mehr.« Gilmore lächelte nur und Lee hätte sich beinahe auf die Zunge gebissen.

»Verstehe!«

»Sieht so aus, als ob du auf etwas gestoßen bist!«, flüsterte Gilmore mir leise zu.

»Ja! Das bin ich. Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, Galant sterben zu lassen.« Lee sog scharf die Luft ein. Er hatte meine Gedanken gelesen, bevor ich sie ausgesprochen hatte.

»Master! Sprecht es nicht aus. Allein das Wissen kann den Tod bedeuten«, hörte er mich in seine Gedanken und er schaute zu Kiel.

›Schlafende Kinder - identifiziertes Gen 29‹, durchschoss es ihn.

»Was hat das zu bedeuten?«

»Das erzähle ich Euch später!«

 

»Wurde schon herausgefunden, wer die Dateien gehackt hat?«, fragte Laura.

»Nein Ma´am. Wer auch immer es getan hat, er hat seine Spuren gründlich verwischt.«

»Das kann nicht sein! Die Dateien sind mit einer Firewall geschützt und mit einem Trojaner versehen, ohne das richtige Passwort kommt keiner in die Dateien.«

»Ma´am, immer wenn wir denken, dass wir ihn haben, springt die Spur auf einen anderen Kontinent oder eine Stadt, ein Land und dann springt es zu unserem eigenen Hauptrechner zurück. Es sieht so aus, als ob der Hacker seinerseits die Dateien geschützt hat.«

»Mist! Wenn wir ihn nicht bald zu fassen bekommen. Es ist jetzt fast einen Monat her. Zu dumm, der Einzige, den wir fragen könnten, wäre … Moment, mir war es, als ob ich ihn …!«, verstummte Laura mitten im Satz und setzte sich selbst an den Rechner, um die Videoaufzeichnungen zu durchforsten.

Ohne ein weiteres Wort stand sie auf, nahm ihren Designermantel und verließ die Kommandozentrale.

 

Obwohl der Frühling schon seine ersten Spuren zeigte, war es dennoch frisch und Lee zog seine Jacke enger um seinen Körper.

»Bist du bald fertig?« Er stöhnte auf, als er kniend den Blutrausch empfing.

»Es tut mir leid, aber ich brauche es.«

»Ich weiß, ich verlange viel von dir, dass du ständig in deiner wahren Gestalt sein musst. Aber für deine menschliche Seite ist es zu gefährlich.«

»Darüber braucht Ihr Euch keine Gedanken zu machen.«

»Nee nicht wirklich, immer wenn es am schönsten wird, springst du aus dem Bett und stehst als Vampir da!«, nörgelte Lee.

»Das ist bis jetzt zwei Mal passiert.« Schon stand ich neben ihm und half ihm auf.

»Zweimal zu viel!«, stotterte er und ich blickte in sein sanftes Gesicht. Wie gerne würde ich es in meine Hände nehmen und ihm einen leidenschaftlichen Kuss auf seine warmen Lippen geben. Doch wie Lee schon gesagt hatte, war es für Galant zu gefährlich. Auf ihn wurde ein Kopfgeld ausgesetzt und nun waren sämtliche Jäger hinter ihm her.

Als wir wieder in die Station kamen, schlug mir ein bekannter Duft entgegen, und ich zischte leise. Laut genug, dass es Lee hörte.

»Was ist los?«

»Marx!«

»Marx? Ist das jemand, den du kennst?«

»Ihr kennt sie auch. Laura Marx die bekannteste Jägerin und die skrupelloseste.«

»Die Laura Marx! Die Stellvertreterin des hohen Konzils. Die Laura Marx!«

»Euer Enthusiasmus betrübt mich. Sie war es, die Light Dark ›vernichtet‹ hat.« Ich untermalte es noch mit meinen Fingern.

Ich hörte, das Zoomen der Kamera im Eingangsbereich und trat automatisch hinter Lee.

 

»Das ist ein Vampir!«, sagte Laura, die im Konferenzraum die Monitore im Blick hielt.

»Natürlich ist das ein Vampir!«, entgegnete ihr Gilmore und handelte sich blitzende Blicke von ihr ein.

»Er ist der Dämon von Lee Young.«

»Ja er ist der Dämon von meinem Sohn!«, sagte Mrs. Young und Laura nickte.

»Ich muss mit ihm reden.«

»Mit wem? Mit Lee oder mit seinem Dämon?«

»Mit seinem Dämon.« Gilmore prustete los.

»Dafür brauchen Sie erst die Erlaubnis von Lee, sonst können Sie genauso gut mit einer Wand reden.«

»Das muss auch ohne Erlaubnis gehen, bringt ihn her!«, befahl sie den Wachen und wieder prustete Gilmore los.

»Was glauben Sie, wer er ist. Ein drittklassiger Dämon, der bei jedem Menschen den Schwanz einzieht, den er sieht?«, lachte er und sie blickte ihn zornig an.

»Ich habe es mir anders überlegt. Sie sind ein Falkon. Er wird auf Sie hören. Sie stehen über ihm!« Wieder lachte er auf.

»Das war gut! Das war wirklich gut, Miss. Nicht einmal der König selbst kann ihm etwas befehlen. Wie soll ich das denn bewerkstelligen?« Sie verzog ihre Augenbrauen. »Sie müssen schon seinen Master um Erlaubnis bitten!« Er amüsierte sich über ihre aufkeimende Wut. »Tja! So sind die Gesetze. Miss Marx und selbst eine im Ruhestand versetzte Jägerin kann daran nichts ändern«, bohrte er weiter und ihre Wut brodelte fast über.

»Schicken Sie diesen Vampir zu mir. Ich habe schon Mittel, um mit so einem fertig zu werden!«, zischte sie und er zuckte nur mit den Schultern.

»Wie Sie wollen, aber sagen Sie dann nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.«

 

Vor dem Monitor beobachtete Laura, wie ein Wächter auf uns zu kam. Lee schüttelte den Kopf.

»Diese Anfrage soll Ms. Marx mir persönlich stellen!« Wir gingen an dem Wächter vorbei.

»Mr. Young, das ist ein Befehl des Konzils.« Sie sah, wie er tief einatmete und dann doch nickte. Widerstrebend folgte ich dem Wächter, der mich in ein Büro führte. Ich achtete darauf, dass meine Haare vor dem Gesicht waren und eine Tür wurde geöffnet.

»Setz dich Dämon!«, hörte ich sie schroff sagen. Ich weigerte mich. Sie schnaufte ein. Anscheinend war sie es nicht gewohnt, dass ein Dämon ihre Befehle missachtete.

»Wie ist dein Name?« Ich gab keine Antwort. »So kommen wir nicht weiter. Wenn du nicht mitarbeitest, sehe ich mich gezwungen, dich von deinem Master zu trennen.«

»Versuchen Sie es und Sie sind die Erste, die stirbt!«, zischte ich.

»Oh! Du kannst ja doch reden. Kennst du Light Dark?«

»Wer kennt ihn nicht?«, fragte ich zurück.

»Wir haben Informationen, dass er nicht vernichtet worden ist.«

»Dazu kann ich nichts sagen!«

»Aber meine Informationen beziehen sich darauf, dass du etwas davon weißt.«

»Welche Informationen? Solche, die darauf basieren etwas von mir zu erfahren, was ich gar nicht weiß?« Sie atmete ein, und spürte, dass ihr langsam schwindlig wurde.

»Weißt du, wo ich Light Dark finden kann? Wir brauchen seine Fähigkeit.«

»Tja dann suchen Sie ihn in der Hölle, denn dort wird er sein.« Noch bevor ich den Satz zu Ende gesprochen hatte, verlor sie ihr Bewusstsein. »Gilmore.« Die Tür wurde geöffnet und mein Bruder blickte leicht belustigt zu der am Boden liegenden Frau.

»Herrje! Und das war mal eine ausgezeichnete Jägerin!«, belächelte er sie. »Ich hatte sie gewarnt, aber sie wollte nicht auf mich hören. Ach, hat Lee dir dieses Gespräch erlaubt?«

»So eine dämliche Frage kann auch nur von dir kommen!« Ich verließ das Büro und ging zu Lee. Bei ihm war seine Mutter, die nervös auf und ab schritt.

»Was wollte sie?«, fragte sie sogleich, als sie mich erblickte.

»Etwas, was Simon nie verraten würde. Sie will Light Dark, den sie selbst vernichtet hat. Aber warum fragt sie dann … kann es sein, das sie …? Hat er sie deshalb in die Bewusstlosigkeit geschickt«, überschlugen sich die Gedanken von Lee, deshalb beantwortete ich die Frage, die Mrs. Young gestellt hatte. Lee gähnte, verabschiedete sich von seiner Mutter und ich folgte ihm.

»Warum will sie wissen, wo Light Dark ist?«, fragte sie und schaute zu der Tür, durch die ich gerade gegangen war.

»Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Es ist eine Sache am Laufen, bei der sich das Konzil die Finger ganz schön schmutzig gemacht hat … Gen 29!«, dachte Gilmore. Doch er zuckte nur mit der Schulter.

 

Ich schloss die Tür hinter mir und Lee unterhielt sich mit seinen Freunden auf dem Gang. Trotz des kurzen Vorfalls schien er gelassen zu sein und ich spitzelte zu Kiel. »Seine Fähigkeiten werden auch immer besser«, dachte ich und ging in die Richtung, in der unsere Kabine lag.

»Ach! Heute will ich noch etwas lernen!«, hörte ich Lee und ließ die Tür einen Spalt offen. Ich ging zu dem in die Wand eingebauten Kleiderschrank und durchstöberte meine Freizeitklamotten. Während ich dies tat, verwandelte ich mich zum Menschen zurück. Ging dann in das Bad, legte die herausgesuchte Freizeitkleidung über den Handtuchhalter und schaltete die Dusche an. Kurz darauf vernahm ich das Einschnappen der Tür und das erleichterte Seufzen von Lee.

»Gehst du duschen?«

»Ja!«, gab ich zur Antwort, und als er meine menschliche Stimme hörte, schmunzelte er.

»Habe auch nichts anderes erwartet!«, sagte er und stand neben mir. Ich spuckte die Zahncreme aus und wischte mir den Mund ab. Er musterte mich. Danach stellte er sich hinter mich und drückte sich an mich. Sanft streichelten seine Finger über meinen nackten Oberkörper.

Seine Berührungen spürte ich am ganzen Körper und gleich drauf folgte meine Reaktion. Mein Blut kochte in den Adern und den Impuls, die Zähne in seine Haut zu stoßen, musste ich stark unterdrücken. »Wo ist die Barriere? Als Mensch dürfte es mich nicht so stark nach ihm gieren!«, dachte ich und drehte mich zu ihm um. Ich spürte seine warmen Küsse auf meinen, für einen Menschen, zu kalten Lippen. Obwohl ich gerade erst auf der Jagd war, hielt das Tierblut meinen Körper nicht lange warm und ich schmiegte mich an ihn. Er war warm, ich hörte seinen Puls, roch sein Blut und spürte seinen Herzschlag, der sich vibrierend in mir ausbreitete. Meine Leidenschaft nach ihm wurde immer unbändiger und er zog mich unter die Dusche. Positionierte mich, wie er es brauchte und ich unterdrückte nicht den Schmerz seiner Liebe, den ich empfand, als er in mich eindrang. Laut stöhnte ich meine Lust raus und umso heftiger stieß er zu. Es gefiel mir, wie er mich nahm, denn nur so konnte ich meine unstillbare Gier nach seinem Blut vergessen.

 

»Miss Marx! Miss Marx!«, hörte sie ihren Namen rufen. Doch die Stimme war zu weit entfernt, um genau zu sagen, wer sie rief.

»Miss Marx!«, wieder diese Stimme und sie hallte in diesem Nebel nach. Nebel? Wo war ich denn?

»Miss Marx? Geht es Ihnen gut?«, nahm sie nun eine weibliche Stimme deutlicher wahr und schlug langsam ihre Augen auf.

»Was ist passiert?«, murmelte sie und fasste sich an die Stirn.

»Sie sind in Ohnmacht gefallen.« Lee´s Mutter schaute sie freundlich an.

»In Ohnmacht gefallen? Wie das?« In ihrer ganzen Laufbahn war ihr so etwas Peinliches noch nie passiert. Zumindest konnte sie sich nicht an so etwas erinnern. Sie hatte einen kräftigen durchtrainierten Körper und ihre mentale Stärke war auch auf dem Höhepunkt.

»Wo ist dieser Vampir? Ich war noch nicht fertig.«

»Oh. Er ist zurück zu seinem Meister. Aber Sie müssen sich erst einmal ausruhen.« Sie reichte Laura eine Tasse mit heißem Tee. »Earl Grey, ein sehr guter Tee, bringt die müden Geister wieder zurück.«

Irgendwie dankend nahm Laura die Tasse entgegen und nippte daran. Er war wirklich sehr gut gebrüht worden, nicht einmal in einem Luxushotel war dieser Geschmack so ausgezeichnet und ihre Gedanken schweiften ab.

Wie konnte das sein, dass ein normaler Vampir meine hart trainierte Barriere durchbrechen konnte? Ist es vielleicht möglich, dass hinter dieser Fassade, doch etwas anderes steckt? General Darkness. Weiß er etwas über ihn? Das halte ich für Irrsinn. Warum sollte sich ein Prinz für einen normalen Vampir interessieren. Er kann nur ein normaler Vampir sein oder eher ein Neugeborener, denn die Älteren lassen sich nicht bannen.

»Warum wollten Sie den Vampir sprechen?«, fragte Lee´s Mutter nach einer kurzen Zeit.

»Geschäftliche Dinge!«, gab sie nur zur Antwort. »Wo finde ich Lee Young, den Master?« Laura war wieder sie selbst und stand auf. Kurz blickte sie sich um und erkannte, dass sie im Besucherzimmer vor dem Büro war. Irgendjemand musste sie hierher geschafft haben. Doch darüber machte sie sich keine Gedanken. Sie musste dringend den Vampir sprechen, der auf eine ungewöhnliche Art Light ähnelte, und noch jemandem, dem sie vor sehr langer Zeit, als sie noch ein kleines Mädchen war, begegnete. Michael hatte er sich genannt. Seine sanften und dennoch stechenden grünen Augen, mit dem leichten rötlichen Touch in der Iris und diesem wunderbaren, schulterlangen, blonden Haar. Ihm verdankte sie, dass sie damals nicht im Feuer umkam, sondern nur mit leichten Verbrennungen überlebte. Einige Tage lang wurde von dem mysteriösen Überleben berichtet. Doch sie hatte ihm versprochen, niemanden etwas darüber zu erzählen. Wäre auch unmöglich, jemanden zu erzählen, dass sie dem Tod persönlich begegnet war, der ihr aus einer Laune heraus, eine zweite Chance gab.

 

Wie schon zuvor saß Lee in diesem Büro und ich stand hinter ihm. Verdrossen atmete Lee ein und ich legte eine Hand auf seine Schulter. Durch diese unerlaubte Berührung wandte er sich zu mir um.

»Ich spüre Energiewellen«, nahm ich Kontakt zu Lee auf.

»Ist das diese Frau?«

»Jetzt sind wir wohl nicht mehr so von ihr begeistert?«, stänkerte ich und er funkelte mich an. »Entschuldigt bitte. Nein Marx hat keine besonderen Fähigkeiten. Nur die Gabe, eine sehr starke Barriere um sich zu erschaffen. Es muss einer von ihren Untergebenen sein. Ein Magier! Schätzungsweise ein Pro. Er versucht das sogenannte Band, einer von einer Beschwörung befestigten Bannung, zu brechen.«

»Wenn er ein Pro ist, dann kann er das mit Leichtigkeit.«

»Sicher kann er das und er würde es auch schaffen, wenn wir die höchste Stufe der Resonanz nicht erreicht hätten. Seine Fähigkeit ist nur auf neu Gebannte spezialisiert.«

»Neu Gebannte? Aber das bist du!«

»Schon, aber wie gesagt, wir haben die Resonanz bereits erreicht, die in der Regel erst nach vielen Jahren eintritt. Manchmal gar nicht.« Plötzlich lächelte Lee.

»Ich frage mich schon die ganze Zeit, wie wir, also die Masterklasse dastehen würden, wenn die ganze Schauspielerei gar nicht stattgefunden hätte, sondern du uns gleich als Simon unterrichtet hättest und nicht als ›Normalo‹

»Um einiges weiter und ihr würdet mich hassen.« Lee kicherte und in diesem Moment zuckte ich vor Schmerzen zusammen. Der Magier war doch stärker als vorher geahnt. Nein, ich hatte es richtig eingeschätzt, doch durch den Bann, den ich mit Lee hegte, waren meine Fähigkeiten immer noch eingeschränkt.

»Du hast Schmerzen! Der Mistkerl.«

»Ja! Macht Euch keine Gedanken darüber.« Der Angriff von dem Magier wurde immer stärker und langsam hatte ich wirkliche Schwierigkeiten es abzuwehren. Selbst Lee schien schwächer zu werden und ich verfluchte für einen kurzen Moment, sein Dämon zu sein. Meine Fähigkeiten waren nur so stark wie Lee´s. Mehr konnte ich im Moment nicht hervorbringen, ohne meinen Master dabei in Gefahr zu bringen. Er musste wirklich stärker werden, damit ich mit ihm meine Fähigkeiten teilen konnte.

Doch plötzlich ließ der Angriff nach und ich sank auf meine Knie. Keuchend stützte ich mich ab und Lee trat neben mich.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte er laut und ich nickte.

»Das war knapp!«, keuchte ich und Lee half mir hoch.

 

Laura beobachtete das Geschehen auf einem Monitor und tippte ihre Finger auf den Arm. Der Magier saß zusammengesackt auf einen Stuhl und hatte sich eine Zigarette angezündet.

»Ich dachte, der Bursche ist ein drittklassiger Magier! Er hätte es nicht einmal spüren dürfen, aber sein Dämon hat es gespürt und abgewehrt. Nicht einmal ein Dämon dürfte darauf reagieren. Im Gegenteil, wenn er es mitbekommt, dass jemand an dem geknüpften Band rüttelt, und er keine eindeutigen Befehle von seinem Master erhält, würde er einen Weg suchen, damit ich den Bann durchbrechen kann. Ich habe meine ganze Energie aufgebraucht, aber durch die Bannung bin ich nicht gekommen. Tja! Irgendwie war da kein Band. Ich habe den spirituellen Faden nicht gesehen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich meine, dass dieser Dämon nicht gebannt ist. Beziehungsweise nicht nach unserem Wissen.«

»Sie meinen er ist freiwillig der Dämon eines Menschen!« Laura starrte fassungslos auf den Monitor.

»Vielleicht. Das kann ich nicht beantworten, aber ich habe etwas anderes gespürt, bevor er mich aus dem Zirkel warf. Etwas, das weitaus fester und stärker ist, als der herkömmliche Bannspruch eines Dämonenmasters. Es hat sich angefühlt wie ein Fluch. Wie der dunkle Fluch eines Tempelmagiers.«

»Wer hat Sie aus dem Zirkel geworfen? Der Junge?«

»Nein! Es war der Dämon«, sagte der Pro Magier und machte wieder einen Zug von seiner Zigarette.

Laura lief es eiskalt den Rücken runter. »Versuchen Sie es, und Sie sind die Erste, die stirbt!«, hallte seine Stimme in ihren Gedanken wider. »Nicht einmal der König kann ihm etwas befehlen« war die sanfte und herablassende Stimme von General Darkness in ihrem Kopf und sie schüttelte die unheimlichen Geister von sich ab.

 

Laura betrat das Büro und ich spürte wieder einen Angriff.

»Master! Ein Illusionsangriff!«, zischte ich. Laura erschrak und Lee schloss kurz seine Augen.

»Ich spüre es. Ist es wieder ein Pro Magier?«, fragte er mich laut, sodass es die Frau mitbekam.

»Ja Master!« Lee öffnete seine Augen und blickte Laura direkt an.

»Ich frage mich, wie oft Sie es noch versuchen wollen. Miss Marx. Hat Ihnen mein Dämon keine Warnung zukommen lassen?«

»Verstehe! Sie kommunizieren gedanklich miteinander.«

»Natürlich tun wir das. Wenn Sie Fragen an meinen Dämon haben, so haben Sie auch Fragen an mich. Ich bestehe darauf. Und denken Sie nicht daran, irgendetwas aus dem Ärmel zu ziehen, um mich zu verunsichern, nur weil ich ein Erstklässler bin. Was natürlich Light Dark betrifft. Er ist vernichtet. Das können Sie den König und den General fragen.«

»Bursche, was erlaubst du dir? Treibe es nicht zu weit, sonst werde ich eine einstweilige Verfügung beordern, damit ich deinen Dämon ausfragen kann.«

»Ist nicht erlaubt!«

»Natürlich ist es erlaubt. Was glaubst du, wer ich bin?«

»Eine Person, die ihre Machtposition ausnutzt und dabei ist, ihre Kompetenzen und Befugnisse zu überschreiten. Oder sehe ich das falsch? Laut Regel ist es Ihnen verboten, einen Bannbruch auszuüben, geschweige denn zu befehlen. Es sei denn, eine gegebene Situation erlaubt es. Genauso wie dieser Illusionsangriff, der ist laut Regel nur in besonderen Fällen erlaubt. Die einstweilige Verfügung, die sie angesprochen haben, ist nur dann erlaubt, wenn alle Ratsmitglieder ihr Einverständnis dazu abgegeben haben. Aber wie Sie wissen, ist meine Mutter ein Ratsmitglied und ich glaube nicht, dass sie das, was sie gerade versuchen durchzubekommen, gut heißen wird. Ist das nicht so General Darkness.«

»Master! General Darkness bestätigt Eure Frage in Bezug auf Mrs. Young.«

»Vor allem da König Darkness ein Verfechter der Gesetze und Regeln bezüglich der ›anderen Welt‹ ist und General Darkness als Stellvertreter hier agiert, müssen Sie stichfeste Beweise vorzeigen können. Wenn nicht, sehe ich diese Unterhaltung als beendet.« Lee stand auf und bevor er das Büro verließ, drehte er sich zu Miss Marx um, die nur so vor Wut kochte. »Miss Marx, sollten Sie je wieder versuchen mich oder meinen Dämon mit Magie anzugreifen, werde ich von meinen Rechten als Dämonenmaster Gebrauch machen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag«, verabschiedete er sich und vor der Tür krachte ich zusammen. Es war zu viel. Erst der Angriff auf die Bindung, welche nicht vorhanden war und wobei ich fast das Bewusstsein verloren hätte, weil ich etwas sehr Dunkles spürte und Süßliches gerochen hatte. Anschließend der Illusionsangriff, den ich mit meiner restlichen Kraft aufhielt und dann noch die gedankliche Kommunikation mit Lee, damit er meine Worte genau wiedergeben konnte, während ich gleichzeitig die flüsternde Unterhaltung mit meinem Bruder führte.

 

Um mich herum war nur Nebel. Weißer Nebel und grauer Nebel. Ich stand mittendrin und nur vage erkannte ich schemenhafte Gestalten, die sich zu mir beugten, um irgendetwas zu mir sagten. Verstehen konnte ich sie nicht. Ich drehte mich um und auch hier war der Nebel. Undurchsichtig, undurchdringlich und kalt. Als ich einen Schritt ging, bemerkte ich, dass der Nebel mir folgte. Von irgendwo her hörte ich ein Kichern. Ich kannte das Kichern und doch wusste ich nicht woher. Wieder machte ich einen Schritt und der Nebel folgte mir. Egal, zu welcher Seite ich gehen wollte, überall war nur der undurchdringliche Nebel. Erdrückend kalt. Ich kannte dieses Gefühl. Jedes Mal wenn ich versuchte, mich dagegen zu wehren, war dieses Gefühl da. Doch wogegen wollte ich mich wehren? Ich wusste es nicht. Dieser Nebel hielt irgendetwas verborgen, was ich nicht sehen durfte. Aber was? Wieder diese schemenhaften Gestalten die einen Namen riefen. War das mein Name. Er war mir bekannt und doch kannte ich ihn nicht. Ich wollte aus diesem Nebel heraus, dieser Stimme entkommen. Doch zu wem gehörte diese Stimme, die mich stetig rief und mich immer wieder hier in den Nebel einsperrte? Die mir immer irgendetwas versprach. Aber was? Der Nebel wurde dicker und ich roch etwas. Etwas herrlich und sagenhaft Verführerisches. Es gierte mich danach. Aber was war es?

 

Keuchend öffnete ich die Augen und blickte mich um. Lee saß neben mir auf der Couch im Wartebereich und Gilmore grinste mich breit an.

»Na wieder unter den Lebenden?«, stänkerte er mich an und ich konnte mich nicht mehr an das erinnern, was ich während meiner Bewusstlosigkeit gesehen, gehört oder gefühlt hatte.

Die Tür ging auf und die Stellvertretende des Konsulats sowie die zwei Pro Magier betraten das Büro.

»Na Prima! Hoher Besuch!«, kicherte Gilmore und grinste die drei Herrschaften an.

»Mr. Young Sie haben einen wirklich starken Dämon. Nur frage ich mich, wie Sie ihn kontrollieren können ohne Bannspruch? Vor allem aber stellt sich mir die Frage, wie er die Angriffe abwehren konnte, da er nur ein Untergebener ist. Laut unseren Informationen, die wir seit vielen Jahrhunderten sammeln, beherrschen solche wie er, keine Magie.«

»Aber eine Aufzeichnung haben wir. Sie ist noch nicht allzu alt, nur etwas über ein Jahr. Light Dark hatte sich während seines Todes in Nebel aufgelöst und ist nicht wie angenommen zu Staub verfallen. Und er galt ebenfalls als ein Untergebener, also als normaler Vampir«, warf ein Pro Magier ein.

»Was meinen Sie mit 'normaler Vampir'. Gibt’s denn noch Unnormale?«, fragte Lee.

»Lee! Normale Vampire sind Menschen, die von Vampiren gebissen wurden und ihnen wurde das Lebenselixier der Unsterblichkeit gegeben. Sie besitzen keine magischen Fähigkeiten. Einfach nur die gewöhnlicher Vampire, von denen in der menschlichen Geschichte viel erzählt wird«, erklärte Gilmore geduldig.

»Und gibt’s sonst noch Unterschiede?«, fragte er und Gilmore belächelte diese Frage, wie ein Opa, der seinem Enkel eine spannende Geschichte das dritte Mal erzählte.

»Ja! Die gibt es. Ghule die sich durch das Gift der Wunde verwandeln. Ohne Willen und Verstand. Falkon, die Prinzen der Nacht, wurden so geboren. Lords sind Menschen, die von Falkon gebissen und verwandelt wurden. Davon gibt es im Moment nur einen, Lord Mablok und natürlich die Ersten unserer Art, der König und die Königin.«

»Ah ja. Hab ich gewusst!«, äußerte Lee und ich musste mir ein Schmunzeln unterdrücken. Es wunderte mich nicht, das Gilmore so schnell in dieses Spiel einstieg. Jemanden einen Strich durch die Rechnung machen, machte ihm am meisten Spaß, und wenn dann noch einer den Anfang machte, den er gerne hatte, wenn nicht sogar wie einen Bruder liebte, war für ihn die Sache einfach zu perfekt.

Ms. Marx kochte wieder vor Wut.

»Kennen Sie Light Dark?«, fragte nun der Pro Magier, der den Illusionszauber auf uns losgelassen hatte.

»Schon wieder die gleiche Frage. Ja! Ich kenne den Namen Light Dark. Die Person hat sich mir noch nicht persönlich vorgestellt. Es ist ja fast so, als ob Sie von mir wissen wollen, ob ich Gott kenne. Kennen Sie Gott?« Überrascht über diese Schlagfertigkeit, die Lee an den Tag legte, musste ich mir den Mund zuhalten, um nicht loszulachen. Dasselbe galt für Gilmore, er gluckste.

»Was hat Gott mit Light Dark zu tun?«

»Nichts, es war nur ein Vergleich. Kennen Sie Gott?«, fragte er wieder nur um eine Spur ernster.

»Ja! Kenn ich! Und?«

»Hat er sich bei Ihnen schon vorgestellt?«

»Was soll das?«

»Hat Gott sich bei Ihnen schon vorgestellt?«

»Nein!«

»Also, wie kommen Sie darauf, zu glauben, Gott zu kennen?«

»Was soll das?«

»Wie kommen Sie darauf, Gott zu kennen?«

»Weil jeder Gott kennt, wer kennt ihn nicht?«

»Sehen Sie? Sie sind Gott nie begegnet, behaupten aber, das Sie ihn kennen und das jeder ihn kennt. Ich persönlich habe den Namen Light Dark schon gehört und somit kenne ich diesen Namen, aber ich habe nicht behauptet, dass ich diese Person persönlich kenne. Also wer kennt den Namen Light Dark, des berüchtigten Unterweltbosses nicht? Die Schlagzeilen waren voll von ihm«, argumentierte Lee und blickte dem Magier fest in die Augen.

»Schluss jetzt mit dem Gespiele, ich habe mich mit dem Konsulat in Verbindung gesetzt«, gab Miss Marx von sich und kramte in ihrer Handtasche. Kurz darauf zog sie einen Brief heraus, den sie Lee überreichte. »Das ist eine einstweilige Verfügung.« Lee öffnete den Brief und las ihn, danach schaute er mich an. »Sehen Sie! Ich brauche nicht die Zustimmung der Ratsmitglieder. Befehlen Sie ihrem Dämon, mir zu gehorchen«, befahl sie mit herrischer Stimme und hielt kurz inne. »Oder!« Sie kam an die Couch heran. »Um ganz sicher zu sein …« Ich sah, wie ihre Hände immer näher an mein Gesicht kamen. Schnell rutschte ich von ihr weg.

»Lass sie!«, befahl Lee mir und ich konnte mich dagegen nicht wehren. Ich saß stocksteif da.

»Ah, ihr kommuniziert wieder in Gedanken.« Langsam strich sie mir die langen Haare aus dem Gesicht. »Wie schön dich wiederzusehen. Light.« Ich fletschte die Zähne. »Das habe ich mir fast gedacht. Schon damals, als ihr das Konsulat besucht habt. Sie können zu spielen aufhören. Light Dark ist ein Verbrecher und wird somit verhaftet.«

»Dann müssen Sie mich auch verhaften, denn …!«

»Sie sind nicht sein Master. Dieser Vampir oder soll ich sagen, dieser Prinz der Nacht, ist verflucht worden.«

»Verflucht? Aber …!«

»Ja. Mr. Young. Verflucht. Es ist der Fluch des Leidens. Das müsste er eigentlich wissen.«

Fragend starrte ich sie an. ›Ich bin verflucht? Aber wie?‹

»Du weißt das gar nicht?«, fragte Lee mich laut und ich schüttelte den Kopf. Selbst Lee war verwirrt und verstand gar nichts mehr.

»Das ist komisch. Ich dachte, er wüsste es, und bleibt deshalb bei Ihnen, weil Sie das besitzen, wonach es ihm in dem Moment, als der Fluch ihn traf, verlangt hat!«, sagte sie und selbst Gilmore stand verdattert da.

Ich war nur noch fassungslos und doch verstand ich nun den Zwang, ihr gehorchen zu müssen. Der Fluch des Leidens, war ein mächtiger Zauberspruch, der wegen vieler grausamen Umstände verboten wurde.

»Der Fluch des Leidens! Das ist ein grausamer Fluch. Vor einigen Jahrhunderten wurde er des Öfteren gegen ausgehungerte Vampire und Ghule ausgesprochen, damit sie sich nicht mehr von dem Blut der Menschen ernähren konnten. Jedes Mal, wenn sie zubeißen wollten, hielt der Fluch sie zurück.« Gilmore musterte abwechseln Lee und mich.

 

* Zirkel - Eine innere sowie äußere Barriere/Bindung von einem Master zu seinem Dämon, die als eine Einheit angesehen wird. Zweite Bedeutung. Teamgeist - wird auch als eine Gemeinschaft verschiedener Personen gesehen, zum Beispiel der Hexenzirkel.

 

Gebrochen

Unruhig lief Lee im Büro auf und ab und sah dabei immer wieder auf die Wanduhr. Inzwischen war ich schon über 20 Stunden im Gewahrsam von Miss. Marx und der König traf vor Kurzem auf der Station ein. Jedes Mal wenn Lee versuchte, die Resonanz aufzubauen, wurde es abgeblockt und er blieb in der Unwissenheit.

»Mach dir nicht so viele Sorgen! Simon ist sehr widerstandsfähig, was Verhörpraktiken anbelangt.«

»Vielleicht früher, aber jetzt? Seine Fähigkeiten sind von Meinen abhängig!«, fluchte Lee.

»Dann geben Sie ihn frei. Die Vermutung von Letizia hat sich bestätigt!«, sagte der König barsch.

»Aber wie? Ich bin nicht sicher, ob ich es war und Simon kann sich auch nicht mehr daran erinnern.«

»Das bewirkt alles der Fluch. Sie müssen verstehen, dass das nicht der wahre Simon ist. So hätte ich ihn gerne gehabt.«

»Wie?«

»So wie er jetzt ist, so wie er früher war, bevor er …!«, sagte Gilmore und hielt inne.

»Bevor er was?«

»Bevor Mablok ihn versklavt hatte. Deshalb wurde er ins Exil geschickt, weil seine dunkle Natur die Oberhand übernommen hatte.«

»Versklavt? Ich dachte, er hat sich von ihm abgewandt?«

»Oh nein, Lee! Simon war einer der grausamsten Vampire und jeder Versuch, ihn zu vernichten oder zu bannen, scheiterte. Mablok hatte ihn fest in der Hand. Erinnerst du dich noch an die Lichtung der Opfergabe?«, fragte Gilmore und Lee nickte.

»Ich wurde ausgesandt, um auf euch aufzupassen, denn das ist einer der Lieblingsorte von Simon. Doch als ich ihm begegnete und angreifen wollte, hatte er eine andere Aura und ich rannte an ihm vorbei. Ich war überrascht, dass er euch beschützt hat und es machte mich neugierig. Ich fragte mich, ob er es doch geschafft hatte, sich von Mablok loszureißen und bat darum, ein Auge auf ihn werfen zu dürfen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie überrascht ich war, als ich erfuhr, dass du sein Master bist. Nicht nur das, du bist auch noch sein Geliebter.«

»Als Letizia dies vermutete, habe ich beschlossen, dem keinen Einhalt zu gebieten. Er war wieder mein Sohn. Sanftmütig, liebevoll, so wie er immer war. Ich konnte wieder Hoffnung schöpfen, denn ein Master muss imstande sein, seinen Dämon vernichten zu können.« Als Lee dies hörte, musste er schlucken.

»Aber was wird dann aus ihm, wenn ich diesen Fluch von ihm nehme, den ich angeblich auf ihn losgelassen habe?«, fragte Lee.

»Das können wir dir nicht beantworten. Entweder verfällt er wieder seiner Dunkelheit, oder er erinnert sich an dich und an die Gefühle, die er für dich hegt. Wobei du dir nicht sicher sein kannst, ob er wirklich etwas für dich empfindet oder nur der Fluch es in ihm hervorgerufen hat«, äußerte Gilmore sanftmütig.

»Warum habt ihr das vor mir geheim gehalten?«, schrie Lee plötzlich los.

»Aus einem einfachen Grund. Ihr steht in Verbindung und wir wissen nicht, wie weit er schon dabei ist, sich dagegen zu wehren. Simon ist ein Meister der Magie. Ein Perfektionist und seine Fähigkeiten übersteigen bei Weitem die des Königs. Er kann auch als Einziger, was wir übrigens nicht können, in menschlicher Gestalt vor unsere Mutter treten ohne das ihre Schönheit ihm etwas anhaben kann. Er ist ein Elementarmagier und beherrscht sogar die Unterkategorien. Er selbst kann Dämonen bannen und beherrschen. Er ist ein Licht- sowie Schattenmagier und sogar ein Tempelmagier. Diese Fähigkeiten, die du im Moment von ihm kennst, decken nicht einmal 0,00001 % von dem, was er wirklich beherrscht«, fasste es Gilmore zusammen und Lee starrte ihn fassungslos an.

»Aber wie, ich meine, er war doch mal ein Mensch, der erst dann die Fähigkeiten bekam, weil er von euch verwandelt wurde …«

»Nein! Wir, die Falkons sind so geboren. Wir sind sozusagen reinrassig. Unser Vater und unsere Mutter waren die Ersten unserer Art, gezeugt von einem Vampir und ausgetragen von einer Menschenfrau. Nur wir tragen, wie unsere Eltern, die menschlichen sowie die vampirischen Gene in uns, und können sie auch weitervererben. Daher können wir auch Magie anwenden und uns in Menschen verwandeln. Es ist auch einer der Gründe warum, wir nicht gebannt werden können. Geschweige denn, gerufen werden können!«, erklärte Gilmore. Fassungslos nahm Lee jedes Wort in sich auf und seine Gedanken überschlugen sich.

»Aber warum? Warum will dann diese Marx mit Simon reden?«

»Aus dem ganz einfachen Grund, aus dem du auch auf Galant angesetzt worden bist. Light Dark galt nicht als vernichtet, sondern als verschwunden. Nur, Galant hatte einen kleinen Fehler in seiner Berechnung begangen. Er war für eine kurze Zeit in der Öffentlichkeit als das Wunderkind des Jahrhunderts gefeiert worden.«

»Ja! Es war ungefähr zeitgleich.«

»Stimmt. Und das Konsulat betrieb deswegen Nachforschungen und Untersuchungen. Irgendwie sind sie darauf gestoßen, dass Galant ›spirituelle Fähigkeiten‹ besitzt. Also in gewisser Weise ist er ein Bestandteil der ›anderen Seite‹. Die Magierschule hatte sich seiner angenommen, um ihn besser im Auge zu behalten.«

»Aha. Dass er spirituelle Fähigkeiten besitzt, ist ja bekannt!«, murrte Lee und Gilmore lächelte.

»Es war alles kein Zufall, dass er dann eure Klasse unterrichtete, denn Galant Laurey das Wunderkind wies Spuren vom Gen 29 auf und seine Fähigkeit war das fotografische Gedächtnis«, erklärte Gilmore weiter.

»Gen 29? Was ist das?«

»Gen 29 ist die streng geheime offizielle Bezeichnung für einen Mischling ...«, sagte der König. »Er hat uns diese Information vor ungefähr 4 Wochen zukommen lassen.«

»Aber was hat dann diese Marx damit zu tun?«, fragte Lee.

»Sie geht einen Umweg. Für einen kurzen Moment konnte ich ihre Gedanken lesen und sie sucht Light Dark, weil er der beste Hacker weit und breit ist. Er soll jetzt irgendwie herausfinden, wer den Computer gehackt hatte. Aber was sie nicht weiß ist, dass er es selbst war. Das wird wohl noch eine Weile dauern, bis er sie so weit hat, dass sie aufgibt!« Doch das alles interessierte Lee nicht. Er wollte nur noch Simon in seine Arme schließen. Ihn küssen, seine kühle Haut spüren und sich an seiner Leidenschaft laben. Simon, der für einen kurzen Moment des Blutrausches, die Sehnsucht nach seiner menschlichen Gestalt löschte. Simon, dessen Stimme in seinem Kopf widerhallte, die so schön, sanft, verführerisch und einladend war. Simon, dessen Gier nach seinem Blut unbändig war und es sich dennoch nicht nahm …

Lee, der sich auf die Couch gesetzt hatte, schoss hoch.

»Ich weiß es!«, rief er. »Ich weiß es!«, wiederholte er und die beiden Vampire schauten ihn an. Dann wandte Lee sich zu Gilmore. »Ich weiß, wann der Fluch ihn getroffen hat! Ich habe ihn ausgesprochen. Es war in der zweiten oder dritten Nacht, in der ich ihn beschattet habe. Er griff mich ohne Warnung an, aber er hat mich nicht gebissen. Das Einzige, was mir durch den Kopf ging, war »Nein!« und dann habe ich ihm sein Gedächtnis gelöscht. Es stimmt. Er kann sich an gar nichts erinnern. Er kann sich nicht an die Ereignisse erinnern, da ich sie gelöscht habe. An die anderen schon, die von meinem Bruder oder von Dr. Vangil gelöscht wurden.«

»Du hast nur »Nein« gedacht?«, fragte Gilmore und schaute seinen Vater an. »Das es sich dann so stark auswirkt?«

»Das ist es nicht. Simon hat unbewusst das Gen in Lee aktiviert …!«, mutmaßte der König, der mit seinen Gedankengängen schon um einiges weiter war.

»Hä!«

»Ja! Lee, du und deine Klassenkameraden seid ein geheimes Projekt. Ihr besitzt alle das Gen 29.«

»Man, klärt mich endlich auf, was ist dieses Gen 29!«

»Das ist das Gift, das Vampire ihren Opfern injizieren, damit sie sich verwandeln. Ihr besitzt es seit eurer Geburt. Es ist in euren Genen. Ihr seid geborene Reinrassige, so wie Simon, Marion und ich. Nur, das eure Eltern Menschen sind.«

»Keine Mischung aus ›Normalo‹ und einem Menschen der anderen Seite, sondern ihr seid Abkömmlinge von Magier und Magier oder von Master und Master oder von Magier und Master. Ihr könnt seit eurer Geburt diese spirituelle Energie nutzen.«

»Ja schon, und das ist auch bekannt, aber nicht erst seit zwanzig Jahren!«, meinte Lee und der König lächelte leicht.

»Dieses Gen wurde den Müttern in die Gebärmutter injiziert und während der Schwangerschaft verwandelte sich der Embryo. Viele Mütter starben bei der Geburt, weil die Säuglinge sich vom Blut der Mutter ernährten. Andere wuchsen rasend schnell und starben. Wiederum andere wuchsen ganz normal auf und mutierten erst, nachdem sie geschlechtsreif waren, zu Monstern. Die Weiblichen waren noch extremer. Als sie geschlechtsreif waren, suchten sie sich den besten Mann, hatten Geschlechtsverkehr und nach dem Akt saugten sie dem Mann das Blut aus. Wie eine Schwarze Witwe. Doch das Wesentliche, das uns beunruhigt ist, dass Galant mit auf der Liste steht, als potenzieller Wirt, weil er weder eine Mutter noch einen Vater hat und weil er ein Außenstehender ist. Die Wissenschaftler haben die Suche nach ihm verstärkt. Er ist keines ihrer Experimente und gilt außerdem als ›Normalo‹«. Nach dieser Rede hielt ihm Gilmore eine Akte hin.

»Lange wird es nicht mehr dauern und sie erfahren, dass er wirklich ein Vampir ist.« Lee blätterte die Akte durch und ihm fiel genauso die Kinnlatte runter, als er las, was darin stand.

 

Wieder durchströmte der fürchterliche Schmerz meinen Körper und ich lag gekrümmt am Boden. Wieder wurde das Bändigungsband aktiviert und wieder durchzuckten Stromschläge jeden einzelnen Nerv, sodass ich kaum noch atmen konnte. Laura stand vor dem Monitor und beobachtete alles genau. Wieder gab sie das Handzeichen und wieder schrie ich auf.

»Wie lange willst du dich noch weigern, du brauchst doch nur herausfinden, wer die geheime Datei gestohlen hat. Dafür brauchst du nicht einmal eine Stunde und dann kannst du doch wieder zu deinem Master zurück.«

»Fick dich, Schlampe!«, zischte ich und die Antwort erhielt ich gleich.

»Ma´am! Noch länger können wir ihn nicht mehr foltern. Er stirbt sonst.«

»Halten Sie den Mund! Er ist ein Prinz der Nacht. Die kleinen Stromstöße machen ihm nichts aus.«

»Aber Ma´am! Seine Funktionen sinken auf das Minimum. Außerdem kann ich die Barriere nicht mehr länger aufrecht halten.«

»Reißen Sie sich zusammen. Wenn diese Daten in falsche Hände gelangen, dann sind wir erledigt!«, fluchte sie.

»Light! Erinnerst du dich noch, als du mir einen Heiratsantrag gemacht hast. Du weißt gar nicht, wie glücklich ich in diesem Moment war, aber leider warst du ein Blutsauger.«

»Nenn mich nicht Light, du Hure. Ja ich erinnere mich und auch daran, wie sehr es dir gefallen hat, wenn ich es dir besorgt habe!«, zischte ich und sie drückte auf den Knopf, damit ich nichts mehr hören konnte.

»Sehen Sie! Solange er noch beleidigen kann, geht es ihm gut.«

»Ja! Ma´am!«, sagte der Magier noch, bevor seine Augen zufielen.

 

»Simon!«, hörte ich plötzlich die Stimme von Lee, die mich wie immer wie ein Schlag traf.

»Ja!«

»Gott sei Dank! Wie geht es dir?« Plötzlich empfing ich einige Bilder, die ich vor ihm geheim gehalten hatte.

»Oh, Ihr wisst es.«

»Ja. Aber das ist unwichtig. Was ist das für ein Schmerz?«

»Stromschläge! Baut die Resonanz nicht zu stark auf, sonst …!«, wieder durchströmte mich der Schmerz, ich schrie auf und im selben Moment krachte Lee zusammen. Ich spürte seinen Schmerz.

»Master!«

»Marx foltert ihn!«, stöhnte er und Gilmore half ihn hoch.

»Sie ist eine sehr gefährliche Jägerin gewesen. Ohne Skrupel!«, sagte Gilmore.

»Simon nimm von meiner Energie und befreie dich.«

»Wollt Ihr dafür bestraft werden, dass Ihr die Anordnung des Konsulats missachtet.«

»Wer hier wohl die Anordnung des Konsulats nicht beachtet, obwohl ich befohlen habe, dass du mit ihr zusammenarbeiten sollst.«

»Tja! Dafür habe ich ja jetzt diese Schmerzen, weil ich, trotz Eures Befehls, nicht mit ihr zusammenarbeiten kann.«

»Es sind nicht die Schmerzen der Stromschläge …!«

»Nein! Es ist …!«

»Weil du meinen Befehl missachtest!«, vervollständigte Lee den Satz.

»Simon. Der letzte Befehl ist aufgehoben.« Erleichtert spürte ich, wie der innere Druck nachließ. »Befreie dich und komm zu mir zurück.«

»Wie Ihr befehlt, Master! Nichts Lieber als das!«, sagte ich erlöst, rappelte mich auf und lächelte kurz ich in die Kamera.

»Stopp! Die Barriere … Halt die Barriere aufrecht!«, schrie Laura und ich war verschwunden. Sie drehte sich um und sah, dass der Magier bewusstlos war. »Magier! Die sind zu nichts zu gebrauchen.«

Das Portal öffnete ich neben Lee und krachte vor ihm auf den Boden. Schreiend fasste ich mir an den Hals. Laura hielt das Band aktiviert.

»Nimm das Band ab!«

 

»Simon!« Lee schaute mir tief in die Augen. »Es tut mir leid, das ich dich mit dem Fluch belegt habe, und dich damit gezwungen habe, mir zu gehorchen.«

»Es war nicht Eure Schuld.«

»Doch, du kannst dich daran nicht mehr erinnern. Ich war es.«

»Master! Ich glaube nicht …!«, weiter kam ich nicht, weil ich seine Lippen auf den meinen spürte. Ich wollte mich wehren, doch selbst da blieb mir die Kraft verwehrt. Seine Wärme überrannte mich und er drückte mich an sich heran. Ich roch sein sagenhaft leckeres Blut. Ich schmeckte es durch seine Zunge und meine Gier erwachte. Er forderte es heraus. Er forderte die Gefahr heraus, und ich versuchte ihn von mir wegzudrücken, doch er hielt mich fest. Ich spürte seine Hand, seine Berührungen, seine Zunge, seine Lippen und mein Atem ging stockender. Nach einer Ewigkeit ließ er mich los und ich wich von ihm zurück.

»Es ist mein Blut. Obwohl ich dir erlaubt habe von meinem Blut zu trinken, wenn du es brauchst, kannst du es nicht. Auch wenn es dich so sehr danach giert, dass es dich wahnsinnig macht, kannst du mich nicht beißen. Du gehorchst mir, aus welchem Grund auch immer, aber die Wahrheit ist, dass du nur einem verfallen bist. Jemanden der dich versklavt hat und den du nur vergessen hast!«, sagte Lee, und bevor ich richtig reagieren konnte, hielt er mir seinen aufgeritzten Arm an den Mund. Der Duft erschlug mich fast, der Geschmack brannte in meiner Kehle und meine Gier explodierte.

»Ich gebe dich frei!«

»Nein!«, dachte ich. Ich wollte das nicht. Ich fühlte mich wohl, ich liebte ihn und doch trank und saugte ich, unfähig mich dagegen zu wehren. Der innere Druck, der mich immer davor abgehalten hatte, verschwand. Ich spürte seine Liebe. Ich sah seine Erinnerungen und der Nebel, der in mir geherrscht hatte, fiel ab. Ich erkannte, dass es eine Flucht war. Eine Flucht vor der Demütigung, die ich vor vielen Jahren durchmachen musste, und trank weiter. Ich sah, wie oft er mit mir geschlafen hatte, was ich nicht mehr wusste. Ich sah mich, wie er mich sah. Sanft, erregend, geliebt. Er liebte mich schon, da hatte ich ihn noch nicht gekannt oder ich hatte es nicht mehr gewusst. Ich erinnerte mich wieder, dass ich ihn als Kind traf und ihm eine zweite Chance gab. An den Fluch, den ich ihm geschenkt hatte und wie er mich traf. An das Leid, wenn ich ihn am anderen Ende des Zaunes gesehen hatte. Er hatte mich geliebt, obwohl er wusste, dass ich ein Vampir bin. So sehr, dass er mir nicht mehr das Gedächtnis löschte. Meine Gier nach seinem Blut schlug in Leidenschaft um und ich bekam das Gefühl, wonach ich mich immer gesehnt hatte. Ich wollte es, er gab es mir. Der Nebel des Vergessens war vollständig verschwunden und wir waren eine vollkommene Einheit.

Ciar tauchte schmatzend vor mir auf und nuschelte etwas, das sich wie ›endlich‹ anhörte. Danach war er wieder verschwunden und mir wurde bewusst, was soeben passiert war. Ich hatte die Freiheit wieder, der Fluch nahm seine Wende und traf Lee. Seine Gedanken schwanden. Seine Erinnerungen versanken im Nebel. Alles, was Lee wusste oder sich angeeignet hatte, wurde transparent und selbst seine Liebe zu mir, erlosch.

Sofort hörte ich mit dem Saugen auf und beschwor sämtliche Formeln, die den Fluch aufhalten konnten, doch nichts geschah. Immer und immer wieder versuchte ich es. Ich rüttelte ihn und rief seinen Namen. Doch das alles brachte nichts. Das konnte nicht sein! Es war mein Geschenk. Es sollte mir doch möglich sein, ihn aufhalten zu können? Warum konnte ich ihn nicht aufhalten, zerbrechen oder gar vernichten?

Immer mehr schwanden seine Erinnerungen und seine Gefühle. Ich fühlte mich leer. Doch etwas stieg mir in die Nase. Etwas Süßliches und als Bestätigung hörte ich ihr Kichern.

 

»Uriel«

Ende?

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Ich freue mich auf euch

Liebe Grüße Malaike

Impressum

Texte: (c) 2016 Malaike Lucas
Bildmaterialien: (c) 2016 Anna Lena, E.R. Thaler
Lektorat: Großen Dank gilt Angelita Panther
Tag der Veröffentlichung: 05.08.2016

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