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Am nächsten Morgen führte der Fährmann Wanda über die fette Wiese bis an den Rand des Sumpfes:
„Wenn du unbedingt Blumen willst, kannst du hier welche finden.“
Mit unbestimmter Handbewegung deutete er auf den Sumpf. Schwarze Tümpel umgab dichtes hochgewachsenes Schilf, das es unmöglich machte, zu übersehen, wie groß und weit sich dieses Schilfgebiet ausbreitete. Die Sonne gab sich redlich Mühe, aber es war nicht warm. Bei dem Gedanken mit jedem Schritt knöcheltief in zähen morastigen Boden zu versinken - unter dem vermutlich schwarzes Wasser hervorquadderte - fröstelte es sie. Aber sie musste Blumen haben, sie brauchte sie unbedingt als Gastgeschenk für heute Abend. Und die Geschäfte waren schon zu. Sie hätte sich beeilen sollen, dann hätte sie noch welche bekommen. Und nun zieh sie sich der Schlamperei. Ärgerlich biss sie sich auf die Unterlippe und lief unentschlossen am Rand des Sumpfes hin und her.
„Willst du nun Blumen oder willst du keine?“ drängte der Mann ungeduldig. Sie wagte den ersten Schritt in den Sumpf. Dann den zweiten, den dritten und war mitten drinnen. So arg ist es doch gar nicht, fand sie nun. Wohl versinken die Füße, aber sie blieben nicht stecken, versackten nicht in zäher Klebrigkeit, wie sie befürchtet hatte.
Rechts neben dem mit schwarzem, unbewegtem Nass angefülltem Tümpel stand Schilfwald. Zaghaft und auf der Hut näherte sie sich dem Gewässer. Der Boden behielt zumindest soviel seiner Festigkeit, dass sie ziemlich mühelos weiter gehen konnte.
Jetzt galt es, sich den Weg durch das Schilfdickicht zu bahnen. Mit beiden Händen bog sie die hohen, gelben, schlanken Rohre auseinander und wagte nicht ihren Augen zu trauen: Blumen über Blumen, große rote Blüten - auf hohen grasgrünen Stielen. Schritt für Schritt kämpfte sie sich durch das Dickicht, bis sie das kleine Stückchen Wiese erreichte, auf dem die Blumen wuchsen.
Sie eilte zur ersten, um den Stiel dicht am Boden zu brechen, aber es gelang nicht. Sie bog ihn hin und her. Umsonst. Sie probierte es weiter oben. Wieder nichts. Ungeduldig glitt ihre begehrliche Hand weiter hinauf. Endlich in der Mitte gab der Stiel nach, knickte und brach. Über ihre Hand lief Saft, der klebrig wurde, als sie ihn rasch verreiben wollte. Auch die nächsten Blumen ließen sich erst in der Mitte des Stiels brechen. Schade, sie hätte sie gern langstielig gehabt. Sie war ein bisschen enttäuscht. Immerhin aber hatte sie drei prächtige tiefrote Blumen, Dahlien, mit den größten Blüten, die sie je gesehen hatte.
Schon wollte sie sich mit ihrer Beute begnügen, als ihr einfiel, dass es hinter dem angrenzenden Schilfwald auch Blumen geben müsste. Mit wenigen Schritten hatte sie die ersten Schilfrohre am Rand der Lichtung erreicht, bog sie weit auseinander. Sie war überrascht. Einige der mannshohen Rohre vor ihr trugen große Dolden. Ähnlich schweren Trauben. Erikafarben. In einer hohen Vase mussten die traumhaft aussehen. Von dieser Vorstellung entzückt bückte sie sich rasch, nahm direkt über der Wurzel einen der kräftigen Stiele fest in die Hand und prüfte, ob er sich brechen ließ. Er brach krachend, ein kleine Explosion. Ebenso mühelos ließen sich auch die anderen knicken, in ganzer Länge wie sie vor ihr standen. Für jetzt mussten ihr vier, fünf genügen. Sie waren schwer und fast so hoch wie sie selbst. Aber nachdem sie sich ein wenig ausgeruht hatte, verlangte ihr nach mehr. Wenn sie obendrein ein paar ebenso langstielige von anderer Farbe fände, dann wäre der Strauß komplett.
Ihr wurde warm, als sie sich weiter durch den Rohrwald arbeitete. Spitziges Schilf kratzte ihre nackten Arme und zurückschnellende Dolden schlugen ihr ins Gesicht. Aber nicht sehr grob, eher sanft. Und wirklich, sie hatte sich nicht getäuscht. Zwischen den Rohren leuchteten Blumen hindurch. Gelbe, wie Osterglocken und weiße, Lilien vielleicht. Sie hatte es geschafft. Vor ihr breitete sich eine Wiese aus. Malerisch und nicht zu dicht verteilten sich darauf die hochgewachsenen Blumen, jede für sich in den blauen Himmel ragend, fast einsam. Es gelang ihr nur mühsam die widerspenstigen Stängel in der Mitte zu brechen. Sie trotzten ihr. Die Finger klebten von herunter rinnendem Saft. Drei gelbe, zwei weiße schaffte sie. Dann gab sie auf.
Unzufrieden mit sich machte sie sich daran, ihren Strauß zu ordnen. Rote, gelbe, weiße Blüten lehnte sie an die hohen gelben Stiele, deren traubenartige, erikafarbenen Dolden sich inzwischen leicht geneigt hatten. Sie nahm den Strauß in die Hand, hielt ihn weit von sich und betrachtete ihn prüfend. Sah der nicht aus, als sei er eines Begräbnisses würdig. Für eine Vase war der viel zu üppig.

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Texte: Umschlagaquarell Katja
Tag der Veröffentlichung: 09.12.2008

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