Den Text habe ich vor langer Zeit verfasst und nun abgeschrieben von vergilbtem Papier. Mag sein, dass er teilweise veraltet ist.
Der Glaube an die Ratio oder an das Irrationale, je nach dem ideologischen Standort, erweist sich bei den Künsten in der Erklärung immer wieder anderer Manifeste. Da gibt es zum Beispiel die Definition des Schönen als „Einheit in der Mannigfaltigkeit“. Dieser – was das Kunstwerk betrifft – falsche Ansatz wird seit Beginn des 19. Jahrhunderts bis in unsere Gegenwart in unterschiedlichen Zusammenhängen verfolgt. Er erlaubt nämlich eine Mathematisierung, durch die man auch dem Kunstgeschwätz Herr zu werden gedenkt. In eben dieser Richtung liegen all die Bemühungen der Informationsästhetik, der generativen Ästhetik, des Konstruktivismus, der konkreten Poesie, der Op Art usw. Zu diesem Zweck werden hernangezogen Kybernetik, Zeichentheorie, Linguistik, Statistik, Systemtheorie, Spieltheorie, Wahrscheinlichkeitslehre, Mengenlehre usw.
Durch diese Methode werden zum Beispiel Schrittmacherreize festgelegt, die Wohlgefälligkeit eines Gegenstandes beurteilt, der Informationsgehalt eines Kunstwerkes bestimmt, der auf ein Kunstwerk zutreffende Quotient zwischen seinen Symmetrieeigenschaften und seiner Komplexität berechnet.
Zur Erzeugung von Innovationen werden Zufallsgeneratoren eingesetzt, Monotonie und Chaos und damit die Angemessenheit des Gegenstandes an die Bedingungen menschlichen Auffassung mit einbezogen. Aus all diesen Berechnungen wird wiederum die Unlust-Lust-Erregungskurve abgeleitet, Kunsterleben und -machen als von Zwecken entlastetes Denken bzw. Tun verstanden, statt es einzubinden in die eigene Existenz. Diese Methoden haben sich zwar alle als fruchtbar erwiesen, auf mannigfaltigen Gebieten, von der Nachrichtentechnik über die Psychologie bis in die Nähe von Kunst. Aber sie haben den Blick getrübt dafür, dass sie mit dem Wesen der Kunst nichts zu tun haben, dass sie ihr mit dem gleichen Unverständnis gegenüber steht wie eine Psychologie, die nicht zu unterscheiden weiß zwischen Niedergeschlagenheit und tiefer Melancholie. Es wird eben das Erlebnis ausgeklammert. Ihm lässt sich nämlich nicht beikommen mit Kategorien, Typologien, auch nicht mit Molekularbiologie oder leninist- marxistischer Abbildtheorie. Was zum Beispiel unter monochrome Malerei oder von manchen Produkten der konkreten Poesie angeboten wird, ist vergleichsweise kein Apfel, sondern eine Tablette mit Apfelgeschmack. Künstler, die Wissenschaftler imitieren, werden zu Ideologen, denn sie suchen die Idee hinter den Dingen. Jedoch, mit den Worten Goethes: „Das Phänomen selber ist der Sinn“.
Die Formulierungen, die Methaphern der Dichter haben nichts zu tun mit begrifflichen Abstraktionen. Sie sind keine Begriffe wie sie in der Wissenschaft verwendet werden. Der Künstler begreift nicht, sondern er ist ergriffen. Seine Begriffe haben Hilfsfunktion. Sie sollen hinweisen auf das Phänomen und nicht es begrifflich erfassen. Sie dienen nicht der Wahrheisfindung. Sie werden nicht verwendet im Zusammenhang logischer Schlussfolgerungen. Sie werden nicht gebraucht im Rahmen von Hypothesen wie bei der Wissenschaft. Sie unterliegen nicht der Gefahr auf spekulative Abwege zu geraten. „Fiktionales“ Denkens ist Sache des Wissenschaftlers und nicht des Künstlers. Das Kunstwerk ist Ausdrucksergebnis des Erlebens des Künstlers. Sein künstlerischer Wert entzieht sich pragmatischen, ethischen und ästhetischen Beschreibweisen. Es zählt nicht, ob bei dem Künstler eine Neurose oder gar eine Psychose vorliegt. Sondern es gilt einzig die im Kunstwerk zum Ausdruck kommende Erlebnisfülle. Die jeweilige Begabung sagt darüber aus, ob und auf welchem Gebiet jemdand Erleben bevorzugt ausdrückt. Das heißt welches Ausducksmittel im besonders liegt (etwa Musik, Dichtung, Malerei). Der Stil eines Kunstwerks steht im Zusammdenhang mit der spezifischen Art des Künstlers zu erleben. Hat der Künstler seinen spezifischen Stil gefunden, ist sein Schaffen von dem nur ihm eigenen Rhythmus geprägt. Was kann der Wissenschaftler vom Künstler lernen. Dass es sich immer wieder am Phänomen orientiert, dass sein Forschen dem Anspruch des Lebens gerecht zu werden hat, und dass am Ende nicht durch seine Technik diesem vollends der Garaus gemacht wird.
Tag der Veröffentlichung: 24.04.2011
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