Cover

Die Kollegin

sie heißt Rosemarie
rotblondes Haar
reicht ihr bis zum Knie
sie wird ferngesteuert
durch Transistoren
hinter den Ohren
seit heute früh

vielleicht hatte Rosemarie
für ihren Job
zu viel Phantasie
denn sie gehört
wie wir alle
zur Computerperipherie





Ekkehard

sie hatte sich daran gewöhnt
dass sie stets seine Nähe spürte
wie einen Hauch
obwohl sie sich genierte
weil er ihrem Freund
über die Schulter blickte
wenn dieser sie küsste
aber dass er ihr
aus der vierten Dimension
ins Lenkrad fasste
verdross sie





Sachbearbeiter

Nach der Umstellung der Büroorganisation wurden - wie von der Unternehmensberatung vorgeschlagen - die Sachbearbeiter durchrationalisiert. Zuerst versah man ihre Schädel mit Scharnieren. Die Hirnschale lässt sich nun durch einen Ruck am Schopf öffnen wie eine Kaffeekanne. Der Inhalt, also die Gehirne selbst, wurden optimiert, umprogrammiert, überflüssige Assoziationen eliminiert, der Zeitkreis ausgewechselt gegen eine Achse, die Richtschnur angezurrt. Es glitzern die Chips. Im Hintergrund dösen stumm ein paar überflüssige Ganglien herum.





Organisator

Der Organisator, ein fixer junger Mann mit blaugefärbtem spärlichen Haar, ärgert sich über den Computer und der Computer ärgert sich über den Organisator.
"Die Programme sind noch nicht ausgetestet", hatte der Programmierer gewarnt. Aber keiner scherte sich darum.
Einige Zeit laufen die Programme so einigermaßen, wenn auch nur mit Holpern und Stolpern. Dann verfangen sie sich in einer Endlosschleife, diese vergrößert sich ständig, reißt andere Programmteile mit, erfasst schließlich den Organisator auf seinem Stuhl vor dem Computer und schleudert ihn in den Cyberspace.
Dort erwartet ihn bereits ein Schlägertrupp aus einem Computerspiel und schlägt ihn krankenhausreif. Bevor er die Besinnung verliert, entkommt er zum Glück durch eine virtuelle Schleuse. Er zieht schleunigst das Kabel aus der Steckdose und flieht aus dem Computerraum. Mit erlöschender Stimme ruft der Computer ihm nach:
"Komme du mir nur noch einmal unter meine Lämpchen!"


Zahnarzt

Sie kommt gerade vom Zahnarzt, hat sich die obere Zahnreihe überkronen lassen. Aber warum lindgrün. Ihre Zähne glänzen, schimmern und blitzen im Licht wie Edelsteine. Sicherlich ein sündteures Material. Vielleicht wirklich Saphire oder Ähnliches. Mir wäre es lieber, sie würde nicht lachen. Aber wie sie daran hindern, wenn sie sich so sehr über ihre neuen Zähne freut.


Diskussionsergebnis

Wir halten uns für eine friedliche Familie; obwohl es auch den gegenteiligen Eindruck machen könnte. Aber wir streiten nicht miteinander, wir diskutieren bloß gern und leidenschaftlich bis tief in die Nacht hinein. Wir mögen uns und manche lieben sich sogar. Trotzdem stirbt gelegentlich einer von uns an Gift.
Erst gestern Abend spürte mein Vetter einen eigenartigen Geschmack auf der Zunge, als er den Tee trank, den ihm eine entfernte Kusine reichte. Sie hatte unbemerkt Rattengift in die Tasse getan. Und dies nicht aus Hass, im Gegenteil, die beiden waren ein Paar. Aber ihr waren keine besseren Argumente eingefallen und sie wollte unbedingt recht behalten. Der Vetter rutschte vom Stuhl. Ich schlug ihm ins Gesicht und rüttelte ihn. Tatsächlich kam er kurz zu sich und knurrte die Kusine an, dass er eher sterben wolle, als nachzugeben.
Heute Morgen begreift die Kusine sich selber nicht, sie erinnert sich nicht einmal mehr daran, um was es gegangen war, sie weiß lediglich, dass dieses Gift schnell wirkt.





Die großen Persönlichkeiten

Ich bewundere sie ja und gratuliere ihnen zu ihren runden Geburts- und Todestagen. Erst vorgestern habe ich einem von ihnen zum 400. Geburtstag die Hand geschüttelt und meinen Spruch aufgesagt. Er beugte sich freundlich zu mir herab und sagte etwas Bedeutendes, das ich leider nicht verstehen konnte. Aber seine sonore Stimme brachte mich innerlich zum Vibrieren, ich fühlte mich gekrault wie eine Katze.
Nur eines stört mich an den großen Persönlichkeiten: dieses Aufschauenmüssen.





Protektion
Ich gehöre nicht zur Oberschicht, sondern zu der anonymen Mehrheit, die keinen Anspruch auf Karten für den Opern- und den Presseball hat. Trotzdem werde ich eingeladen, wenn die Prominenz feiert. Ich habe mich oft gefragt, wie ich wohl in die Kartei geraten bin. Eine Garderobenfrau hat es mir schließlich verraten: Seit Tante Annemarie nicht mehr lebt, kriege ich die Karten. Ich stehe oft an ihrem Grab und dank ihr. Sie trank stets zu viel und stank gegen den Wind nach Bier und Schnaps. Sie rutschte mehr und mehr hinab in die Unterschicht und starb viel zu früh an Alkoholvergiftung. Ich habe nie geahnt, dass sie - obwohl ganz unten - bei der Oberschicht aus und ein ging.





Proband
Eine Stunde war er mit ihm gewandert,
eine Stunde hatte er mit ihm gesprochen,
eine Stunde mit ihm gegessen
und eine Stunde auf ihn geschossen.
Ergebnis: Der Mann taugt nicht zum Schwiegersohn, er hat Angst!





Gene

Er ist in unserem Viertel
der Sieger
in der Gunst der Maiden
und gibt in diesem Frühjahr
wieder seine Gene weiter
an die nächste Generation:

blonder Schopf
blaue Augen
Säufernase


der Lehrling

galt bei den Kollegen so wenig
dass er eines Tages Luft für sie war
und keiner ihn sah
von da an stand er allen im Weg
und sie stolperten
über dieses unsichtbare Hindernis
da sperrten sie die Türen zu
und machten Jagd auf ihn
durchs Großraumbüro
aber der Lehrling spielte mit ihnen
Blinde Kuh
der dicke Direktor mit der Zigarre
der kannte einen Trick
er setzte sein bestes Lächeln auf
und streckte die Hand hin ins Leere
der Lehrling nahm den Köder an
und wurde zum Schrecken der Belegschaft
wieder sichtbar


Ruhestand
"Ich kann Sie nicht in den Ruhestand schicken", sagt der Chef, "Sie würden sich doch nur gehen lassen. Regelmäßiger Lebenswandel und leichte körperliche Betätigung im Büro ist gut für Ihre Gesundheit." Endlich begreift Jochen, warum er nach acht Stunden Arbeit am Bildschirm noch die Büroräume schrubben muss. Wenn er abends, den Schrubber geschultert, mit der Straßenbahn nach Hause fährt, geniert er sich vor den Fahrgästen. Jochen nimmt sich vor: Nächstes Jahr lässt er sich nicht mehr überreden, dann wird er 85 und will endlich ausschlafen.

Impressum

Texte: mit einigen Aquarellen von Britta Ahrens
Tag der Veröffentlichung: 20.05.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Allen die dabei und die nicht dabei waren.

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