Diskussionsergebnis
Wir halten uns für eine friedliche Familie; obwohl es auch den gegenteiligen Eindruck machen könnte. Aber wir streiten nicht miteinander, wir diskutieren bloß gern und leidenschaftlich bis tief in die Nacht hinein. Wir mögen uns und manche lieben sich sogar. Trotzdem stirbt gelegentlich einer von uns an Gift.
Erst gestern Abend spürte mein Vetter einen eigenartigen Geschmack auf der Zunge, als er den Tee trank, den ihm eine entfernte Kusine reichte. Sie hatte unbemerkt Rattengift in die Tasse getan. Und dies nicht aus Hass, im Gegenteil, die beiden waren ein Paar. Aber ihr waren keine besseren Argumente eingefallen und sie wollte unbedingt recht behalten. Der Vetter rutschte vom Stuhl. Ich schlug ihm ins Gesicht und rüttelte ihn. Tatsächlich kam er kurz zu sich und knurrte die Kusine an, dass er eher sterben wolle, als nachzugeben.
Heute Morgen begreift die Kusine sich selber nicht, sie erinnert sich nicht einmal mehr daran, um was es gegangen war, sie weiß lediglich, dass dieses Gift schnell wirkt.
Zahnarzt
Sie kommt gerade vom Zahnarzt, hat sich die obere Zahnreihe überkronen lassen. Aber warum lindgrün. Ihre Zähne glänzen, schimmern und blitzen im Licht wie Edelsteine. Sicherlich ein sündteures Material. Vielleicht wirklich Saphire oder Ähnliches. Mir wäre es lieber, sie würde nicht lachen. Aber wie sie daran hindern, wenn sie sich so sehr über ihre neuen Zähne freut.
Goldschnitt
Ich bin ein Vergolder. Ich vergolde alles, was sich vergol-den läßt, egal ob es das wert ist. Denn mein Beruf ist meine Passion. Meine Kollegin Ka hat manches von dem wieder abgekratzt, was ich vergoldet habe.
Ihre Devise lautet: Man sollte am besten nur Klassiker vergolden. Wenn die nicht ganz sauber waren, so ist das längst verjährt. Für die Jüngeren aber gibt es keine bes-sere Empfehlung als strahlendes Weiß.
Vielleicht hat meine Kollegin damit nicht ganz unrecht. Aber ich liebe nun einmal den Glanz des Goldes. Es sieht gar prächtig aus, vor allem wenn jemand ein stattliches Werk aufzuweisen hat.
Für uns als Vergolder wäre es ein leichtes, uns selber zu vergolden. Aber es ist nicht erlaubt. Manche Vergolder tun es trotzdem. Wer mit so viel Prunk umgeht, kommt sich selber leicht schäbig vor. Meine Kollegin Ka und ich haben davon die Finger gelassen.
Wenn ein anderer mich allerdings vergolden würde, hätte ich nichts dagegen. Bloß tut es keiner. Meine Kollegin Ka dagegen wollte man schon öfter mal vergolden, aber sie hat sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt: "Wenn ihr mich nicht so nehmt, wie ich bin, könnt ihr mir gestoh-len bleiben." Und mich verspottet sie: "Vielleicht mußt du erst abkratzen, bevor man dich vergoldet."
Die Farben des Lebens
Mein Leben verlief bis jetzt recht farbig, da ich mich in allen Gesellschaftsschichten bewegt habe. Als ich noch unschuldig und unerfahren war, nahm ich an, ich gehöre zur obersten, der weißen Gesellschaftsschicht. Die Weißen haben mich jedoch scheel angesehen, behandelten mich wie einen Fremdkörper und verstießen mich nach ein paar Wochen. Dabei war ich doch ein unbeschriebenes Blatt und konnte mit jeder weißen Weste konkurrieren. Unter der weißen liegt die blaue Schicht. Ich wollte mir auf keinen Fall wieder eine Abfuhr einhandeln und trat in ihre Religionsgemeinschaft ein. Vermutlich misslang mir aber meine fromme Miene. Sie nannten mich einen Freigeist und bezichtigten mich der Ketzerei, worauf ich in die gelbe Schicht überwechselte. Dort fand ich eine Gesellschaft von Müßiggängern vor, die mich leider nicht zu ihren Festen einluden. Sie versperrten vor mir ihre Türen und ließen mich draußen stehen, weshalb ich bei den Roten mein Glück versuchte. Ich wurde diesmal mit offenen Armen aufgenommen, sozusagen vereinnahmt. Sie wollten mich umfärben. Bevor mir dies widerfuhr, begegnete ich einem Leidensgenossen, dem es ähnlich wie mir ergangen war und der mich in die Farbenlehre einführte. Von ihm erfuhr ich, dass ich ein Grüner bin. Überdies bin ich kein Grüner von der üblichen Sorte, den die Gelben oder Weißen als Kontrast tolerieren und manchmal absichtlich einsetzen. Mein Grün ist das von Eicheln, ein beständiges, zähes, wetterfestes Grün, ich schmecke eichelgallebitter.
Deichbruch
Unsere Wohnung steht 2,50 Meter unter Wasser. Die Lebensmittel sind verdorben und morgen kriegen wir Gäste. Ich kann über meine Frau nur staunen. Sie regt sich nicht auf, hat sich sofort evolutionär der Situation angepasst, schwimmt munter, nackt und gewandt wie ein Biber von Zimmer zu Küche und von Küche zu Zimmer, zwischen den Zähnen ein Messer. Ich sitze auf dem Schrank mit nassen Kleidern, und komm nicht einmal an meine Zigaretten ran.
Überfordert
Ich bin in der Firma der Chef. Wenn einer meiner Mitarbeiter die Beine auf den Tisch legt oder sonst wie undiszipliniert wirkt, nahe ich mit meiner Kamera. Und sofort nimmt er für das Foto Haltung an. Für den Rest des Tages reißt er sich dann zusammen. Sollte er dennoch wieder anfangen zu dösen, nehme ich ihn erneut ins Visier.
Aber auch Angebereien kann ich nicht leiden. Wenn einer sein eigen Loblied singt, sage ich ihm ins Gesicht, er habe eine schiefe Nase oder krumme Beine oder Ohren wie ein Hase. Ich schöpfe dabei aus dem Fundus meiner eigenen Schwächen, und so fällt mir immer was Passendes ein.
Wenn die Termine drängen, hocken sie sich zusammen und geraten sich in die Haare. Für diesen Fall alarmiere ich meine fünf Freunde. Die lassen alle Telefone im Großraumbüro läuten und lachen höhnisch in die Muscheln und hauchen was hinein, das keiner versteht, und kringeln sich dabei vor Vergnügen. Den Kollegen aber macht es Angst und sie fühlen sich bedroht. Das schweißt sie wieder zusammen.
Ich selber bin leider in meiner Firma nicht beliebt, und meinen Humor versteht keiner. Wenn meine Leute feiern, dann laden sie mich nicht ein, und ich sitze allein in meinem Büro. Ich komme mir dann unbedeutend vor. Jeder von denen ist eine Kapazität. Der eine Professor, der andere ein Doktor und ich bin nichts von all dem, nur der Chef.
Pensionäre
Die Firma observiert das Privatleben ihrer Pensionäre mit dem Fernglas durch die Panoramascheibe aus der Führungsetage. Wer sich dadurch gestört fühlt, sollte zumindest sein Schlafzimmer nach hinten verlegen. Auch ich bin seit ein paar Wochen Privatier. Hin und wieder lasse ich mich noch in der Firma blicken. Manch einer meiner früheren Kollegen will sich bei der Geschäftsleitung beliebt machen und tut so als kenne er mich nicht. Die Geschäftsleitung ist froh, mich los zu sein. Ihnen ist bekannt, dass ich ein Spötter bin, und sie verstehen keinen Spaß, schon gar nicht meinen. Bevor ich bei meinen Besuchen in der Firma den Mund aufmache, suche ich die Büroräume nach versteckten Wanzen ab. Bis jetzt habe ich jedes Mal welche gefunden.
Gänge
Immer dann, wenn ich meine ehemaligen Kollegen in der Firma besuchen will, ist die Abteilung umgezogen. In diesem braun angestrichenen Gebäudekomplex bin ich vorher noch nie gewesen. Im Untergeschoss sollen die Konferenzsäle liegen, wo sich die Kollegen den Nachmittag über aufhalten. Ich mache mich auf den Weg durch graue unterirdische Gänge. So stelle ich mir die Katakomben vor, in denen ein Unkundiger für immer verloren gehen kann. Endlose Strecken, wie ich sie lange nicht mehr zurückgelegt habe. Ich komme in Schwung, laufe sozusagen zur Bestform auf. Endlich finde ich den Konferenzsaal und lasse den Abteilungsleiter herausbitten. Ich möchte ihm die Hand schütteln, aber er verweigert sie mir und weicht zwei Schritte zurück. Sie sind ja gar nicht aktiv, stellt er fest, sie sind bloß hektisch und das schwächt das Immunsystem. Da will ich Ihnen lieber nicht die Hand geben.
Die Strafe
In Ihrem Fall ist es mit einer Abmahnung nicht getan, mit fünf Monaten Arrest in der Firma müssen sie rechnen. Einerseits kann ich Sie ja begreifen. Ich war auch oft wütend auf Fräulein Hacker. Man konnte ihr auf dem Firmengelände schlechterdings nicht ausweichen; kaum bekam sie einen zu Gesicht, schon hing sie einem am Hals. Auch ich hatte Schwierigkeiten, sie mir vom Leib zu halten. Vielleicht spürte sie unsere Abwehr und war gerade darum hinter uns her. Aber sie deswegen gleich erwürgen...
Der Manager
Er kennt sich in der Welt schon lange nicht mehr aus. Bevor er gegen Nachmittag in seinem Büro eintrifft, irrt er fünf Stunden durch die Straßen, klettert über Feuerleitern auf Dächer und kriecht durch Dachluken, hastet über endlose Gänge, gelangt ins Nervenzentrum seines Konzerns zu den empfindlichen Computern, wo Zutritt für Unbefugte verboten ist und besonders für jemand, dem der Angstschweiß auf der Stirn steht.
Privileg
Zwischen den Abteilungen unserer Firma herrscht Krieg. Die Kollegen schlagen sich in den Gängen. Ich habe Max zum Gefangenen gemacht und ihn mit nach Hause genommen. Dort wird er von meiner Frau bewacht, während ich in der Firma die Stellung halte. Wie es sich bei einem gefangenen Direktor gehört, hat meine Frau ihn mit Küsschen auf Wange empfangen und ihn mit den feinsten Bissen bewirtet. Denn Max ist ein Schlemmer. Ich hätte nichts dagegen, würde Max entfliehen. Aber er versprach, er wolle bei uns bei Tische bleiben - bis nach dem Krieg um halb sieben.
Berufsleben
Durch mein anstrengendes zeitraubendes Berufsleben erlebe ich meine Frau fast nur wenn sie schläft. Ich liege wach neben ihr und habe mir angewöhnt in ihre Träume hineinzuhorchen und ich höre genau was sie sagt und auch was ich dann zu ihr sage. Aber leider kann ich, was ich sage, nur mit anhören und es nicht selber sagen.
Schulterreiter
Wir tragen die Oberen auf unseren Schultern. Unser Direktor hat sich so sehr an diese Bequemlichkeit gewöhnt, dass er selbst in der Mittagspause nicht runter will. Da der Teller dadurch für ihn zu weit weg steht, muss man ihn auch füttern.
Die Hauptrolle
Unser Geburtstagskind Max ist Wissenschaftler, Techniker, Dichter. Wahrlich ein Multitalent. Und nun wird ihm ein Kindheitswunsch erfüllt. Er hat die Hauptrolle in einem Märchenfilm übernommen: das Schneewittchen. Schon als Kind hatte Max sich gewünscht: Einmal Schneewittchen sein! Erste Aufnahmen hat er schon hinter sich. Die Rolle ist ihm auf den Leib geschrieben. Er braucht nur sich selbst zu spielen.
Unangemeldet
Er ist einfach da, unangemeldet, im Räuberzivil, wirft sich aufs Sofa, räkelt sich neben der Dame im Abendkleid. „Was haben die bloß für Freunde“, müssen unsere Gäste denken. Wenigstens umziehen hätte er sich vorher sollen. Weiß Gott in welcher Spelunke er sich betrunken hat. Der verschafft sich überall Zutritt. Selbst in einer so feinen Gesellschaft wie der unseren. Was hat der bloß bei uns zu suchen. Recherchieren nennt er das, und, Journalisten, sagt er, sind wichtig für die Menschheit.
Waldviertel
Mein Bruder hat vor Tagen in der Zeitung gelesen: Im Waldviertel lauern Werwölfe den Wanderern auf. Seit-her schlägt mein Bruder um das Waldviertel einen großen Bogen. Ich lasse mich von solchen Geschichten nicht ein-schüchtern, bin eigens durchs Waldviertel gegangen, ha-be vorsichtshalber ein Dutzend Würste mitgenommen.
Mein lieber Bruder, die Werwölfe sind brave und freund-liche Wesen, sie tun einem kein Leids. Ich sah sie im Wolfslicht huschen, da lockte ich sie mit den Würsten, bis sie mir um die Beine strichen, und sich das rauhe Fell kraulen ließen. So bin ich aus dem Waldviertel wieder heil hinaus gekommen.
Transit
Vorsicht Weltende
ab hier beginnt Donars Reich
nur in dringenden Fällen
gestattet er Transitverkehr
gehen Sie bitte
links drüben beim Schloss
die kleine Brücke
über den Teich
von da an kontrolliert er
alle hundert Zeiten
sein Reich
nur wer gleich nach der Brücke
rückwärts geht
und die Schuhe vorher
verkehrt herum anzieht
der kann verhindern
dass er ihm den Kopf verdreht
Texte: einige Texte aus "Impressionen aus der Innenwelt" Turmschreiber Verlag
Tag der Veröffentlichung: 18.09.2008
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
gewidmet dem Kariologiker