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Der Ingeborg-Preis
Leo hat sich mehrfach an Literaturwettbewerben beteiligt, bisher ohne Erfolg. Dabei ist er eine dichterische Begabung, wovon alle seine Freunde überzeugt sind. Sein Freund Benno riet ihm: "Du solltest deine Arbeiten pfeffern, dass den Juroren die Augen tränen." Bei seiner nächsten Einreichung hielt sich Leo an Bennos Rat. Der Jury stach sein Beitrag gleich in die Nase. Der erste Preis war Leo so gut wie sicher. Und dann las kurz vor Schluss eine junge Autorin aus ihrem Manuskript vor. Von Pfeffer oder Paprika war bei ihr nichts zu merken. Dafür verbreitete sich bis in die letzten Reihen des Vortragssaals ein betäubender Duft nach Vanille. Die Autorin erhielt den ersten Preis. Leo musste sich mit dem zweiten bescheiden. "Du kannst doch mit deinem Erfolg vollauf zufrieden sein", versuchte ihn Benno zu trösten. Aber Leo ärgerte sich, dass ihm Benno zu Pfeffer riet und nicht zu Vanille.


Armer Augustin
"Sie waren doch mit dem Dichter August näher bekannt. Ich habe gehört, er soll vor kurzem verstorben sein. Hat man ihm nicht voriges Jahr drei Preise verliehen? Was waren das eigentlich für Preise?" "Er bekam sie für seinen letzten Roman. Davon konnte er immerhin drei Monate zehren. Sie wurden von Altmünchner Gaststätten gestiftet. Jede servierte ihm einen Monat lang kostenlos ein Mittagsmenü. Ich habe die Listen der Gastwirte in seinem Nachlass entdeckt. Das letzte abgehakte Datum stammt vom 30. April. Da konnte er sich noch einmal satt essen. Den Monat darauf ist er verhungert."


Literaturwettbewerb.
Leo sinniert. Sein Beitrag zum Literaturwettbewerb sollte dem Juror nicht gleich zu Anfang unterkommen, denn wenn der den Stapel abgearbeitet hat, erinnert er sich nicht mehr an die ersten Manuskripte. Andererseits ist der Juror übersättigt, wenn er sich bis zum Ende des Stapels durchgearbeitet hat. Er nimmt sich die Manuskripte nur noch kurz vor, liest ein paar Zeilen und legt sie angewidert beiseite. Hat er es mit einen umfangreichen Text zu tun, anerkennt er einerseits den Fleiß des Autors, andererseits könnte es ihn abschrecken. Gehört der Autor zum Bekanntenkreis des Jurors, ist das ein Nachteil, falls er den nicht ausstehen kann. Doch das trifft in Leos Fall nicht zu. Im Laufe von drei Monaten hat er einige Male durchs Parterrefenster des Kulturamts geschaut und sein Manuskript, einen prall gefüllten Schnellhefter, obenauf liegen sehen. Der Stapel blieb lange Zeit unberührt, obwohl der Einsendeschlusstermin längst verstrichen war. Daraufhin nahm Leo an, ja, er war sich sogar sicher, dass der Preisträger schon im vorhinein feststand. Als er den Juror daraufhin ansprach, meinte der achselzuckend: "Freundschaft hin oder her. Aber gegen die Versepen einer feministischen Handarbeitslehrerin hattest du von vornherein keine Chance".


Kampfhähne.
Den Hähnen schwellen die Kämme, sie wetzen die Sporen, krähen um die Wette, rüsten zum Kampf. Wenn ich euch so beobachte ihr Herren, dann muss ich mich schon wundern. Ihr verkürzt euer ohnehin kurzes Leben. Gerade naht sich wieder der Boss mit der großen Hand, beugt sich über den Zaun, sucht sich den Stärksten unter euch aus, packt ihn am Kragen und schon habt ihr kampflos einen Kampfgefährten verloren.


Autor und Auto
"Wir müssen anschieben, sonst springt der Motor nicht an", rät der Autor. Der Verleger sitzt am Steuer. Der Autor und der Buchhändler legen sich mit aller Kraft ins Zeug. Aber das Auto bleibt gleich wieder stehen, und bewegt sich nicht mehr von der Stelle. "Es zündet nicht", stellt der Lektor fest, der untätig dabei steht, "es springt kein Funke über." Und nun ist die gerade Strecke auch noch zu Ende, es geht bergauf. Einer muss steuern, entscheidet der Verleger, und bleibt im Auto sitzen. Das Auto hat ein Einsehen und stottert ein bisschen vor sich hin. So schaffen sie die Anhöhe. Völlig abgespannt, aber erleichtert, blickt der Autor den Abhang hinunter. Der Verleger betrachtet ängstlich die abschüssige, schmale, kurvenreiche Straße. Er wird scharf aufpassen müssen, damit der Wagen nicht ins Schleudern gerät. Er möchte sich jedoch während der Fahrt Notizen über ungewöhnliche Motorgeräusche und sonstige Auffälligkeiten machen. Es muss also einer zu ihm einsteigen. Am besten der Lektor. Im Anfahren dreht der Verleger das Seitenfenster runter und ruft dem Buchhändler zu: "Sie warten bitte, bis wir wieder zurück sind." Der Autor fühlt sich übergangen. Schließlich ist das Auto voll beladen mit seinen Werken. Er stellt sich dem Verleger in den Weg:
"Wieso bitten Sie nicht auch mich zu bleiben." Der Verleger sagt achselzuckend: "Sie laufen mir ja sowieso nicht davon, der Buchhändler aber verdient für seinen Einsatz einen Orden."


Proband
Eine Stunde war er mit ihm gewandert,
eine Stunde hatte er mit ihm gesprochen,
eine Stunde mit ihm gegessen
und eine Stunde auf ihn geschossen.
Ergebnis: Der Mann taugt nicht zum Schwiegersohn, er hat Angst!


Großtat
Er hat wieder einen Stein bei ihr im Brett. Immer wenn er was geleistet hat, ist sie stolz auf ihn; sei es, weil er ein Gedicht geschrieben oder ein Aquarell gemalt hat. Heute buk er einen Kuchen und hat ihr damit eine große Freude gemacht. Jedes Mal wenn sie ihn lobt, rennt er vor Begeisterung zur Gartentür hinaus und pisst in hohem Bogen auf die andere Straßenseite, egal ob da drüben gerade wer vorbeigeht. Und schon hat er sich ihre Bewunderung verscherzt:
Können sich Männer denn dieses Imponiergehabe nicht abgewöhnen.


Die sanften Irren
Schulze informiert seinen Zimmernachbarn: "In einer halben Stunde besuchen mich zwei wichtige Persönlichkeiten. Der eine ist der amerikanische, der andere der russische Außenminister. "
Schulze deutet damit an, Karl solle sich in sein eigenes Zimmer zurückziehen, weil er ihn nicht dabei haben wolle. Überdies hat Karl noch seinen blauen chinesischen Morgenmantel an, den er meist bis in den frühen Abend trägt.
Nachdem die Minister eingetroffen sind, und Schulze eine halbe Stunde mit ihnen konferiert hat, kann Karl seine Neugier nicht mehr bezähmen, er kommt aus seinem Zimmer hervor und setzt sich dazu. Schulze verzieht schmerzlich das Gesicht.
Schulze ist gerade dabei, den Besuchern zu erläutern, dass er dem Geschlecht der Merowinger entstamme und der letzte Anwärter auf den französischen Königsthron sei.
Karl will sein Licht nicht unter den Scheffel stellen und trumpft seinerseits damit auf, daß der Morgenmantel, den er trage, einmal einer merowingischen Königstochter gehört, und er dafür zwanzigtausend alte französische Francs auf den Tisch gelegt habe. Außerdem praktiziere er die neue Methode eines modern eingestellten Psychiaters, mit dem er befreundet sei. Damit würde man prima mit psychotischen Zuständen zurecht kommen.
Die Minister zeigen sich beeindruckt. Der erloschene Blick des Amerikaners leuchtet auf.
Wer Stimmen hört, erläutert Karl weiter, der solle sich um Himmels willen dessen nicht genieren, vielmehr sich bewusst sein, dass ihn vor den Durchschnittsmenschen eine besondere Begabung auszeichne.
Der Russe erkundigt sich nach der Adresse des Psychiaters und dann verabschieden sich beide. Der Amerikaner, klein, gelb und schmalgesichtig, wirkt eingeschüchtert. Der Russe, dick, groß und jovial, schüttelt Karl kräftig die Hand und lädt ihn zu einem Gegenbesuch in Rußland eine Etage tiefer ein.
Karl antwortet, er nähme gerne an, er käme morgen gegen Nachmittag runter und freue sich darauf.
Dann gehen die beiden in ihre Zimmer. Schulze ärgert sich und wirft Karl vor, der habe die diplomatischen Beziehungen beeinträchtigt.


Der Preisträger
Als er seine Papiere ordnet, fällt ihm ein ungeöffnetes Kuvert in die Hände. Es enthält ein Eignungs- und ein Charaktergutachten, ausgestellt vor einigen Jahren von einem Psychologen von der Berufsberatung. In dem Gutachten heißt es, er habe zwar eine Neigung für Kunst und Literatur, aber es mangle ihm an entsprechender Begabung. Als er das liest, erschrickt er. Da ihm der Berufsberater keine Stellung vermittelt hatte, schrieb er zum Zeitvertrieb seinen ersten Roman. Hätte er das Kuvert damals schon geöffnet, hätte er bestimmt keinen geschrieben. Jetzt ist es zu spät. Der Roman wurde ein Bestseller. In den letzten drei Jahren hat er weitere vier Romane verfasst und dafür sechs Preise eingeheimst. Der Vertrag für das nächste Werk ist unterschrieben. Welche Blamage, wenn herauskommt, wie unbegabt er ist.


Der Wettbewerb
Der jährliche Betriebsausflug in unserer Firma fällt heuer aus. Statt dessen ist ein Wettbewerb angesagt, womit man, wie es in dem Rundschreiben an die Mitarbeiter heißt, im Trend liege. Morgen soll die erste Missmisterwahl über die Bühne gehen, genauer gesagt, über den Laufsteg. Alle männlichen Mitarbeiter haben in Frauenkleidern im Büro zu erscheinen. Die Jury besteht aus unseren Kolleginnen. Als Prämie lockt eine Reise nach Südamerika. Die würde ich gerne gewinnen, aber Aussichten habe ich keine. Schon deswegen nicht, weil die Jury mittags um 12 Uhr zusammentritt.

Um diese Tageszeit frühstücke ich noch. Trotzdem probiere ich am Vorabend verschiedene Sachen meiner Frau an, entscheide mich am nächsten Morgen dann doch für Jacke und Hose, allerdings für eine Größe, der ich schon seit Jahren entwachsen bin, und rasiere mich ausnahmsweise sehr sorgfältig. Viel nützen wird mir das nicht. Sie werden bestimmt sagen, ich sei außer Konkurrenz. Meinem milchgesichtigen Zimmerkollegen wird das keinesfalls passieren. Er gestand mir, er brauche sich überhaupt nicht zu rasieren, und sei auch sonst mit weiblichen Attributen ausgestattet. Genaueres hierüber hat er mir allerdings nicht verraten.

Er besitzt von allen Kollegen die besten Gewinnchancen. Doch legt er darauf keinen gesteigerten Wert. Er wäre viel lieber ein ganzer Mann. Das einzige, was ihm vielleicht Minuspunkte einbringen könnte, ist seine sonore, tiefe, männliche Stimme. Natürlich habe ich mich für den Wettbewerb verspätet, kam erst gegen zwei Uhr mittags in die Firma. Der Preis war schon vergeben. Wer ihn gekriegt hat, habe ich nicht erfahren. Unser Abteilungsleiter bekam ihn jedenfalls nicht. Ich sah ihn im Treppenhaus vor seinem Büro. Es ist mir ein Rätsel, warum er sich nicht vor dem Wettbewerb gedrückt hat. Rechthaberisch, wie er ist, und peinlichst darauf bedacht, sich keine Blöße zu geben.

Sein magerer Oberkörper steckte in einer Rüschenbluse, seinem breiten Gesäß hatte er einen Schottenrock verpasst, woraus seine dünnen behaarten Beine herausstachen, verlängert durch grellfarbene Pumps. Natürlich konnte er in diesem Aufzug keinen Blumentopf gewinnen. Wer weiß, vielleicht findet er sich selber hinreißend schön.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 02.09.2008

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