Cover

Was bleibt

Ich bin nur mehr mein
Letzter Hand revidierter
Gedichtband,
gestand mir C.F. Meyer
im Traum letzte Nacht
und verschwand


Rätsel

Kennst du den Zufluss des Rheins
bei Bingen
Nach einigem Überlegen fällt er dir ein
doch hinter den Rätseln der Kreuzworträtsel
liegen noch andere Rätsel
die auf dich selber gemünzt sind

sie leuchten auf und verglühen
sinken zurück ins Dunkel
hinter den Kreuzworträtseln


Schamane

Euer Schamane hat euch verlassen,
aber sein Schamanenwissen
hat er euch nicht hinterlassen.
Ohne Schamanen aber seid ihr verloren.
Krankheiten werden euch bedrängen
und es wird niemanden geben,
der mit eueren Ahnen
über heilende Kräuter spricht.
Solltet ihr von mir verlangen:
"Sei du unser Schamane."
Dann würde ich euch versprechen:
"Ich kann euer Schamane sein.
Doch ihr müsst euch gedulden.
Wenn ich diesen Frühling
und den Sommer über auf Stelzen
durch die Felder geh,
dann schmeck ich da oben den Wind,
als wohnten wir dicht an der See
und ich höre seltsame Namen.
Und erst wenn ich die versteh,
dann bin ich euer Schamane."


Kosmonaut

In seinem Schubkasten sieht es nicht gerade aufge-räumt aus. Er schmeißt schnell noch ein paar leere Büchsen und stumpfe Rasierklingen ins Weltall hin-aus. Als die Sachbearbeiterin von der Abteilung Sternklasse Vier näher driftet, macht er den Schubkasten weit auf und sagt zu ihr: "Kommen Sie doch rüber zu mir. In meinem Schubkasten ist für uns beide Platz. Richten wir ihn zusammen ein, zu zweit findet man sich leichter zurecht als allein."


Spiritus sanctus

Man riecht ihn, man sieht ihn,
er zieht in Schwaden durch die Straßen.
Die spirituistischen Zirkel tagen.
Er quillt aus den Ritzen der Türen
hinter denen die Jünger in spiritus sanctus baden.
Auf Friedhöfe kann man sich nicht mehr wagen.
Urnen explodieren, in frischen Gräbern wabern
tagelang die Flammen.


Bote

Wenn im Traum dein Bote
mir die Nachricht bringt,
dass du auf mich wartest,
such ich dich in den Hotels der Stadt,
suche oft dich lange und vergeblich,
manchmal erhaschte ich einen Duft von dir
und das Echo deiner Worte,
wieder einmal hattest du die Geduld verloren
und warst abgereist
mit Koffern und Zofe.
Immerzu verfehl ich dich,
hoffe immerzu auf deinen Boten.


Mohn

Ich schaute oft und bang,
so wie mein Vater schon,
das Bild dort an der Wand
mit Klatschmohn in der Vase an,
bis ich den Sinn verstand,
warum, was sonst so schnell verweht,
noch immer in der Vase steht:
kurz ist der Lebensweg,
die Kunst währt lang.


Die Zaddikim

in alle Welt verjagt,
sitzen am Abend stets um denselben Tisch.
Wie machen sie das?
Ich habe mich nicht an den freien Platz gewagt,
mich hätte ein Abgrund verschlungen.
Sie teilen das Brot aus
und reichen sich Salz,
vis-à-vis über den Heiligen Tisch
von New York nach Paris.


Die Falle

Zier dich nicht länger,
blick durch die Tür.
Dann liegt vor dir die Zimmerflucht,
fast birst der Tisch vor Leckereien,
in vollen Krügen schimmert Wein,
sieh dort das Bett, es lädt dich ein.
Tritt ruhig ein,
der Weg hinein ist doch nicht schwer.
Aber hinaus findest du ihn nimmermehr.


Das Werk
Er ist es selbst,
Apoll.
In Schaffenslaune übervoll
schuf er den Stein,
schuf sich als nackten schönen Mann.
Jetzt steht er da,
schämt sich vor den Hyperboräern,
die ihn begaffen –
Zoll für Zoll.


Apokalypse

Immer öfter kreuzen meine Wege,
die ich einsam gehe, finstere Gestalten,
die ich für Boten düsterer Zeiten halte.
Auch wenn ich meine Freunde
noch nicht überzeugte,
bald wird es keiner mehr bestreiten,
wenn Todesengel durch die Städte schreiten.


Philosoph

Wenn ich eine Frage
und als Antwort
nur einen blassen Schimmer habe
bildet sich hautnah
aus diesem Schimmer
der Philosoph K
der schon vor acht Jahren
gestorben war
er versprach
er hülfe mir immer
solange er seine Kompassnadel
nicht zurückgegeben habe.


Blaue Blume

Es ächzt und klagt der dürre Ast am Baum:
Ich bin der Zauberer, ich bin Merlin.
Entfloh den Höhlen und dem Streit,
verirrte mich im Baumgezweig,
verberge mich im Grün.
Von Rittern träume ich und von Helden,
ich träume von bunten Märchenwelten,
die ich verlor.
Wie duftete einst der Himmel süß
und lockte mich zu sich empor.
Er ist verblüht,
er hängt herab
so tief und matt
wie welkes Blatt.


Meditation

in der Ecke
direkt neben dem Klavier
ich wage es kaum zu sagen
zeigt sich mir
wenn ich dort
unbeweglich eine Stunde
warte
manches Mal der Unsichtbare
und er wohnt hier
sagt er
schon seit Jahren


Existenzverlust

Karlchens Vater hatte seine Existenz aufgegeben
und das Weite gesucht
hin und wieder
wurde er im Umkreis einer Meile gesehen
aber nicht von Karlchen und Karlchens Mutter
er trug ein weites Gewand
in dem zwei Ratten hausten
die eine auf der linken Seite
die andere auf der rechten
die beiden Ratten mochten sich nicht
trotzdem gab es keinen Streit
weil Karlchens Vater dazwischen stand
seit dem letzten Vollmond
wurde der Vater von niemand mehr gesehen
er hatte den Bannkreis überschritten
die Mutter bangte um sein belagertes Herz
und schickte Karlchen aus
mit Pfeil und Bogen
nun sind beide weg


Operation im Jenseits

fortgegangen ist der Vater in eine Welt
in die wir ihm nicht folgen können
nur die Vögel fliegen zu ihm hinüber
sie fliegen landauf
sie fliegen landab
und sie rufen: wo bist du
im Frühling kehren sie zurück
und richten uns aus
was der Vater aufgetragen hat:
er liegt seit August im Krankenhaus
tagaus tagein liest er Illustrierte
und wartet auf seine Wiedergeburt
siebenmal haben die Ärzte ihn operiert
er starb ihnen siebenmal
unter den Messern


TM

Kam an in Düsseldorf,
total erledigt, todmüde.
Arme taten mir weh vom Fliegen.
Mein Freund von den Transmeditalen,
soeben Gouverneur geworden
im Reich ruhevollen Bewusstseins,
raubte mir die Ruhe mit seiner Ruhe.
Am nächsten Tag in aller Herrgottsfrühe
hinbestellt vom Tower zum Flugplatz.
Himmelblaulackierte Flugzeuge standen
in Halb-Acht-Stellung für das Schaufliegen.
Die Propeller zeigten sieben Uhr morgens.
Kann darüber nur mitleidig lächeln:
Mit solchen Chronometern stürzen sie
spätestens vorgestern ab
trotz des Sekundenzeigers.
Schaulustige lauerten mir auf,
hätten mich gern als seltenen Vogel erlebt,
fühlte mich an dem Tag erdenschwer,
lasse mich nicht einfach hochscheuchen,
sollen froh sein, wenn ich heute auf einen Baum klettere.
Belehrte sie von oben herab:
Solche Dinge zwischen Himmel und Erde
sind zu hoch für die Wissenschaft.
Mein transmeditaler Freund
warf sich stolz in die Brust,
hielt eine lange Rede
über die transzendentale Flugmeditation.


Im Labor

als ich zuletzt mit den Breitschädeln
zusammentreffe
werde ich wie hoher Besuch behandelt
ich traue ihnen nicht
sie schauen nicht wie Märchenfiguren aus
das steinerne Herz schlägt nicht mehr
hoffentlich behalten sie mich nicht hier
in Reagenzgläsern stecken menschliche Mobiles
es sind Kybernetiker
heißt es
das Leben spielt noch einmal
seine Pantomime mit ihnen durch
ohne ihr Zutun
ohne Einspruch
schon sind sie lemurisch
schon embryonal
Homunculi
auf der Rückkehr zu den Müttern
Schleimtröpfchen die verdunsten
ihr Schädel hat sich zugespitzt
sie leiden an Gehirnschwund
heißt es


Mobbing

Er war der Beste von uns allen,
obwohl er in der hintersten Reihe stand.
Er murmelte Formeln wie Gebete,
von denen die Firma lebte,
und die nur er und der Computer verstand.
Wenn wir versagten,
nahm er die Schuld auf sich,
vielleicht weil er Schuldheiß hieß.
Sein Verstand war ein Riese,
wir sahen davon nur die Füße.
Aber wir küssten sie nie,
sondern stellten ihm Fallen
und zwangen ihn so in die Knie.
Doch über das Bein, das wir im stellten,
sind wir am Ende selber gefallen;
denn nun programmiert er nie wieder.


Hexenküche

in unsere Küche fiel Teufelsspuk ein
mit Gewürm im Gefolge
und ließ meine Frau nicht mehr rein
hinterm Berg wohnt eine Hexe
die half uns aus unserer Not
sie traf mit dem Taxi aus Feuerland ein
und fuhr per Lift zu uns hinauf
in den fünfzehnten Stock
sie studierte die Zinken an der Küchentür
mit Lupe und Zirkel
und murmelte ein Dutzend Teufelsnamen
Baphometh und Ashteroth
die Tür sprang auf
Gewürm entwich
die Hexe blieb


Geschoren

Vor einem Vierteljahr schor Karls Frau
ihrem Mann eine Glatze.
Seither trägt er eine blonde
mittelgescheitelte Perücke.
Ohne diese wagt er sich nicht
auf die Straße.
Karl fürchtet sich davor,
unter die Perücke zu blicken.
Vielleicht ist da noch immer
die Glatze.


Ausstand

Dieses Glas erhebe ich
auf euer Wohl
dann muss ich gehen
meine Frau hält Ausschau nach mir
ich kann sie sehen
meine Frau, die Fee
in unserem Haus am See
das liegt hundert Kilometer von hier
sie steht am Fenster
und ruft nach mir
„Liebling, Liebling“
hört ihr sie auch


Kampfhähne

Den Hähnen schwellen die Kämme,
sie wetzen die Sporen,
krähen um die Wette,
rüsten zum Kampf.
Wenn ich euch so beobachte ihr Herren,
dann muss ich mich wundern.
Ihr verkürzt euer ohnehin kurzes Leben.
Gerade naht sich wieder der Boss
mit der großen Hand,
beugt sich über den Zaun
sucht sich den stärksten unter euch aus,
packt ihn am Kragen
und schon habt ihr kampflos
einen Kampfgefährten verloren.


Ehrengast

seht nur
Otto kommt
der Globetrotter
geschmückt mit Orden
und mit rosa Schleife
all die flügellahmen
Intelligänse
machen einen freudevollen
Hopser
doch auch heuer
landet er wieder nicht
Otto
der große Gänserich


Delphin

Ach wie schön ist es mit dir,
wenn ich dein Gefährte bin
von vier bis sieben,
wenn du neben mir durch die Großstadt
gleitest im grauschimmernden Glamourkostüm
elegant wie ein Delphin.
Wir ziehen an Schaufenstern vorbei
wie an Korallenriffen.
Und ich ahne,
du hast nicht mich,
sondern bloß die Auslagen im Sinn.


Foto

Wenn ich dieses Foto
aus längst vergangenen Tagen betrachte
- ganz oben hängt es über all den andern -,
wenn ich mich in dieses Gesicht vertiefe,
das aussieht wie aus einer Ikone,
dann ist mir so, als stiegest du
aus der Fotografie zu mir herab
und du stündest neben mir
und ich würde dich fragen:
"Bleibst du für immer?"
und du würdest sagen:
"Ja, ich bleibe!"


Der Makel

Seine Liebste war die Freundin
eines russischen Dichters
drei Jahre in denen er litt
dann kehrte sie zu ihm zurück
und gestand
es könnte sein
sie gehe als Geliebte des Dichters
in die russische Literaturgeschichte ein.


Foyer

Viel Nächte saß im Hotelfoyer
auf einer Lederbank ein junger Mann,
der Ausschau hielt nach einer Frau,
nach einer Fee.
Er hielt sich wach mit Tabak und Kaffee.
Erst weit nach Mitternacht
schwenkte auf die Flügeltür.
Erhobenen Hauptes schwebte
die Fee an ihm vorbei.
Sie war ihm fast zum Greifen nah.
Erst als sie dann entschwunden war,
sprang er auf, lief ihr nach
und irrte jede Nacht bis früh um acht
von Zimmerflucht zu Zimmerflucht,
riss Türen auf, erschreckte ungewollt
so manches Liebespaar.
Ein halbes Jahr ging so dahin.
Endlich hat er unverhofft morgens um Vier
die richtige Tür aufgemacht.
Seither liegt er des Nachts bequem
im Bett der Fee.


Anprobe

Ich tausche dann und wann
den Körper meiner Frau
mit meinem aus.
Sie sieht sich dann
wie ich sie seh
von allen Seiten an,
zieht mir was an
und zupft daran
solang herum
bis mir und ihr
der Fummel steht.
Sehr ungern nur
verwandle ich mich dann
zurück in den Mann.


Das Söhnchen

ich treffe mich oft und oft
abends mit dir
und wir gehen aus
du möchtest so gern
ich bliebe nachts bei dir
der Abschied fällt mir schwer
aber ich muss zu meiner Mutter
nach Haus
sie weiß nichts von dir


Gäas Sohn

Er war nie ein richtiger Mann.
Von Kindesbeinen an
verbarg ihn seine Mutter
im Hinterzimmer ihrer Mütterlichkeit.
Als er zu denken begann,
nahm sie ihm die Schlüssel weg
und versperrte die Tür zur Bibliothek.
Irgendwann aber meldete eine andere Weiblichkeit
ihre Ansprüche an
und er wurde weitergereicht
an die größere Mutter.


Versetzt

ich trag in mir
ein Bild von dir und dir
und träum seit Jahr und Tag
einmal von dir
und mal von dir
und telefonier
mit dir und dir
und recherchier
und schlage vor
treffen wir uns
im Café am Siegestor
am Mittwoch mit dir
am Donnerstag mit dir
am Samstag fällt mir
siedendheiß ein
ich hab den Mittwoch
und den Donnerstag
verschwitzt
und dich und dich versetzt
so leb ich weiterhin
monogam dahin
mit IHR
und träume mal
von dir
und mal von dir


Orakel

wir wohnen im 37. Stock
unser Sohn brachte von unten
eine Botschaft mit
die Wahrsagerin sagt
bei uns bräche Feuer aus
wir ziehen alle Stecker raus
aus unserer vielen Elektrizität
die Wahrsagerin sagt
das würde nichts nützen
es sei zu spät


Späte Heimkehr

ihr grünen Begegnenden
ich bin nicht mehr gut
nehmt mich in eure braunen Arme
ihr großen Träumer
von Blatt- und Wurzelweisheit


Der Preis

Ich studier seit Jahr und Tag
Philosophie
und denk
du bist dicht hinter mir
am Ziel angelangt
blick ich zurück
die Straße ist leer


Der Gelehrte

in dem stillen grünen Zimmer seiner Gedanken
hört er die Klagen
sieht den Schatten seiner Gattin
hinter dickem grünen Glas
manchmal verstummt das ferne Rauschen
ihrer Klagen
dann sucht sie vergeblich seine Hände
tastet flehend ab die gläsernen Wände -
und fängt wieder an
zu klagen klagen klagen


Personenperson

Wo ich auch bin
umschlingen mich zwei Frauen.
Wir sind zu dritt und fühlen uns eins,
obwohl ich beide lange nicht sah.
Die linke wohnt in Berlin,
von der anderen weiß ich nicht
wohin sie zog mit ihrem Mann.
Er trennt sich manchmal
von ihrem Leib im Rüschenkleid
und schaut mich fragend an:
Wer ist hier Mann,
wer ist hier Weib?

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.07.2008

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