Ein Indianermärchen
Cornelia Jahnke
Ein kleines Indianermädchen saß spielend am Strand,
lauschte ihrem Großvater, der singend neue Märchen erfand.
Seine alte Hand ließ er sanft über die Gitarre gleiten,
seine Blicke verträumt in die Ferne schweiften.
In Gedanken entsann er sich einer vergangenen Zeit.
Es erschien ihm wie eine Ewigkeit,
als sein weißes Haar tiefschwarz und er sich sah in jungen Jahren,
wild und ungestüm über die endlose Steppe jagen.
In seinen Ohren klangen noch immer die Siegeslieder seiner roten Brüder.
Sie schlugen kraftvoll ihre Trommeln wieder und wieder.
Das kleine Mädchen setzte sich zu ihrem Großvater nieder,
nahm seine zerfurchte Hand und schloß ihre Lider.
Die kleine Blume sah ihn in seinen längst verblassten Träume,
ihn und seine vielen Brüder, gemeinsam so stark wie Bäume.
Das zierliche Mädchen liebte Großvaters spannende Abenteuer.
Wilde Geschichten und prächtige Bilder entstanden vor ihr im lodernden Feuer.
Doch als es allmählich aufhörte zu brennen und schließlich nur noch glimmt
lagen schlafend der Großvater und sein Enkelkind.
Das Meer rauschte friedlich in seinen unendlichen Weiten.
Der Mond stand silbern und spielte mit den Gezeiten.
Das Feuer erlosch, kalter Rauch stieg empor.
Da kam am Horizont golden die Sonne hervor.
Sie färbte den Himmel rot wie Blut.
Der Großvater und das Kind schliefen noch immer tief und gut.
Der helle Stern stand mittlerweile hoch und lachte
als der alte Mann schließlich erwachte.
Das kleine Mädchen träumte noch fest und tief.
Es wurde munter, hörte, daß sein Großvater nach ihm rief:
„Wach auf, kleine Blume, schnell laß uns gehen.
Wir wollen heimwärts, nach unseresgleichen sehen!“
Schnell packten sie ihre Sachen zusammen
und zogen Hand in Hand von dannen.
Über ihren Köpfen zog ein Adler riesige Kreise.
Er erspähte üppige Beute, jagte es auf seine Weise.
Aus den Lüften stieß er blitzschnell herab,
riss das Tier und frass sich satt.
Schließlich ließ er die Tierreste liegen,
stieg kraftvoll auf, um hoch am Himmel zu fliegen.
Etwas wehmütig schaute der Alte ihm hinterher.
Manchmal wünscht er sich, das er an des Vogels Stelle wär.
Weit hoch empor mit dem Wind im Haar.
Ach, fliegen wäre einfach wunderbar.
Doch dann schaut er liebevoll hin zu seinem Enkelkind.
Merkte, das sie eigentlich ganz glücklich sind.
Auf dem Weg zurück ins Dorf fingen beide an zu singe,
hielten am See, sahen zu, wie Kinder Fische fingen.
Ihre Leiber glänzten funkelnd hell im Sonnenlicht.
Sie tobten ausgelassen und bespritzen mit Wasser sich.
Als der Großvater und sein Enkelkind genug gesehen,
schickten sie sich an weiter zu gehen.
Endlich gelangten sie in ihrem Dorfe an
als die Sonne schon tief am Himmel stand.
Die Männer der Siedlung fingen an Feuer zu machen.
Die Indianerfrauen bereiteten ein Mahl, man hörte sie lachen.
Es war die Nacht der Sommersonnenwende.
Alle tanzten um die Flammen, reichten sich die Hände.
Hoch am Himmel sah Manitu, der Indianergott wohlwollend das Spiel.
Alles war friedlich, so wie es ihm gefiel.
Die Seelen längst verstorbener tapferer Krieger
schauten auf ihresgleichen nieder.
Sie hielten alles Böse von ihren Stammesbrüdern fern,
die Lebenden würdigten ihre Toten darum gern.
Doch wie es Legenden und Mythen der Indianer beschrieben,
gab es auch böse Geister, die ihr Unwesen trieben.
Der Schlimmste, der grausame Gordok war.
Er kam auf die Welt alle hundert Jahr.
Dann scharte der Dämon alle Bösen um sich zusammen.
Gemeinsam zogen sie aus dem Totenreich von dannen.
Sie suchten eine Lücke im unendlichen Firmament,
die den Eintritt in das Reich der Lebenden nicht hemmt.
Ihr Ziel war der Zusammentrieb der Menschen zu ihren Sklaven,
um sich an ihrer Lebenskraft zu laben.
Diese Kraft brauchten sie unbedingt,
damit sie Manitu nicht in das Licht hinein zwingt.
In das weiße Licht der Weisheit und die Antwort auf alle Fragen,
das konnten die Dämonen nicht ertragen.
Das mystische Licht jenseits vom Leben,
das den reinen Seelen konnte Frieden geben.
Die Seelen der Dämonen waren schwarz wie die Nacht,
zu ihren Lebzeiten nie mit viel Liebe bedacht.
Und wo immer sie auch gerade sind,
um sie herum pfiff ein eisiger Wind.
Der Gordok war zu seiner Zeit
der schlimmster Krieger weit und breit.
Er zog mit seinem Gefolge von Land zu Land,
hat die Menschen beraubt, ihre Häuser verbrannt.
Niemand erhob siegreich gegen ihn seine Hand.
So kam der Gordok auch in das Dorf der Indianer, die hilflos waren,
machtlos der Zerstörung zusahen.
Damals war der Großvater jung und verwegen,
mochte es gern, gefährlich zu leben.
Ohnmächtig und zornig und voller Wut, schürte er unter seinen Mannen die Kampfesglut.
Sie schmiedeten einen Plan, lockten Gordok in den Wald.
Dort trieben sie ihn und sein schwarzes Gefolge in einen Hinterhalt.
Doch während Gordoks Lebenssinne sich auf ins Jenseits machten,
fing er mit letzter Kraft an zu lachen:
„Wir werden uns wiedersehen und Fürchterliches wird geschehen.
Meine Seele wird nie in das weiße Licht gehen.
Ich räche mich an dir, du wirst schon sehen!“
Dann schloß der böse Krieger für immer seine Augen.
Der Großvater wollte nicht an Gordoks Fluch glauben.
Auch seine tapferen Mannen
zuckten nur die Schulter und zogen von dannen.
Gordok geriet schließlich in Vergessenheit.
Das Dorf der Indianer entstand neu mit der Zeit.
Gordoks Seele sträubte sich erfolgreich gegen das weiße Licht,
er verwandelte in einen grausamen Dämon sich.
Mit ihm kamen seine Mannen.
Aus ihnen wurden die schlimmsten Tyrannen.
So fanden sie sich auch im Jenseits, für sie war es beschlossene Sache.
Sie wollten nicht ruhen, bevor sie bekamen ihre ersehnte Rache.
Seither suchte die schwarze Macht unentwegt
für sich zu den Lebenden einen Weg.
Währenddessen neigte sich das Sommersonnenfest der Indianer dem Ende zu.
Das Feuer erlosch und man begab sich zu Ruh`.
Auch der Großvater legte sich zum Schlafen hin.
Doch düstere Gedanken kamen ihm in den Sinn.
Eine Ahnung beschlich den alten Mann.
Was das wohl bedeuten kann?
Er schlief ein, düstere Träume kündigten ihm an,
daß das Unheil nicht mehr weit sein kann.
Am Morgen stand er schweißgebadet in seinem Zelt.
Nichts war mehr in Ordnung auf dieser Welt.
Der alte Mann rief das Dorf tags darauf zu sich.
Kummerfalten zogen sich durch sein Gesicht.
„Kommt dichter zu mir, ich muß euch etwas sagen.
Ein Dämon namens Gordok wird seinen Feldzug gegen uns planen.
Seine verletzte Eitelkeit
wird uns nun zum Verhängnis in nächster Zeit.“
Und mit mit seiner Pfeife in der Hand begann er zu erzählen
die Geschichte aus Vergangenheit,
als sie sich erfolgreich gegen den Dämon wehrten.
Betroffen und ängstlich schauten die Jungen sich an.
Den Alten des Dorfes entschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht.
An Gordok den Grausamen erinnerten sie sich.
„Was sollen wir nur tun, wir sind schon zu alt!“
Der alte Mann nickte und ging allein in den Wald.
E ging und ging immer weiter, immer tiefer.
„Manitu, was sollen wir nur tun?“
Verzweifelt rief er.
Am Ende seiner Kräfte, müde und blaß
setze er sich ins trockene Gras.
Seine alten Hände zitterten und bebten
als sie Holzscheite zu einem Haufen legten.
Nur mühsam bekam er das Feuer an,
plötzlich aus den Bäumen eine Stimme erklang.
„Puste dein Feuer gründlich an,
damit ich dir in den Flammen erscheinen kann!“
Erschrocken blickte der Großvater um sich.
Ganz weiß war sein Gesicht.
Das Feuer begann auf einmal wie wild zu toben.
Riesige Funken gen Himmel stoben.
Immer heftiger und größer stiegen die Flammen empor.
Da kam inmitten der Glut eine Gestalt hervor.
Riesig und rauchig war ihre Erscheinung, suchend ging ihr Blick.
Der alte Mann sprang erschrocken zurück.
„Wer bist du, was suchst du hier?
Rede schon, sprich mit mir!“
Die Gestalt stieg aus den Flammen heraus.
Trotz ihrer Geisthaftigkeit sah sie gütig aus.
Wallend graue Haare und prächtiger Indianerschmuck zierten ihr Haupt.
„Ich bin der, an den du tief in deinen Herzen glaubst.
Drum fürchte dich nicht weiter vor mir.
Um dir zu helfen bin ich hier.“
Ungläubig schaute der Indianer drein.
Sollte das etwa der große Manitu sein?
Die Gestalt schaute fragend dem Mann ins Gesicht.
„Du glaubst mir wohl nicht?“
Der Großvater senkte demütig sein greises Haupt.
„Verzeih mir, das ich hab nicht daran geglaubt.“
Der Indianergott stieg heraus aus den Flammen,
sich riesige Nebelschwaden zu bilden begannen.
In ihnen zeigte Manitu dem Großvater die kommende Gefahr.
Der alte Indianer mochte nicht glaube, was zu sehen war.
Manitu hielt die Zeit mit Zauberkraft in seinem Bann.
Nicht einmal Vogelgesang klang an sein Ohr heran.
In der Vision begann die Erde zu zittern wie noch nie.
Der alte Mann fiel vor Schreck auf seine Knie.
Der Waldboden gab unter dem Beben nach
als daraus ein riesiges Loch entstand.
Heraus kamen der Gordok und seine schwarzen Mannen.
Endlich waren sie im Reich der Lebenden, die toten Tyrannen.
Dem alten Indianer wurde abwechselnd kalt und heiß.
Das Blut in seinen Adern gefror zu Eis.
Er schaute Manitu ins Gesicht.
„Warum bist du hier und verhinderst das nicht?“
Der Indianergott ließ seine Hand durch die Lüfte schweben.
Er ließ den Nebel sich gen Himmel erheben.
„Das steht nicht in meiner Macht, alter Mann.
Ich helfe euch nur so gut ich kann.
Gordok nur auf seine Rache sinnt.
Der Haß macht ihn taub und blind.
Er sträubt sich gegen mein weißes Licht,
will dich im Kampf besiegen, dich in seine Welt bannen.
Dabei helfen ihn seine finsteren Mannen.
Der Dämon kann nicht verwinden, das er gegen dich verlor.
Darum er sich blutige Rache schwor.
Hole deine Männer, alle die dabei gewesen, damals in der Schlacht.
Hole sie schnell, eh` einbricht eine ewige Nacht.“
Der alte Mann schüttelte den Kopf, Verzweiflung zeichnete sein Gesicht.
„Gordok ist finster und stark, wir aber nicht.
Wir sind gealtert, wir sind alle Greise.
Warum sollen wir sterben auf diese Weise?
Ich habe keine Angst vor dem Tod.
Doch wir sind machtlos, das Dorf geriete in Not.“
Der Großvater schwieg still, dachte an sein Enkelkind.
Dachte an alle, die dann verloren sind.
Ratlos stand er auf, ging den Weg nach Haus.
Manitu verschwand, das Feuer ging aus.
Und als auch der letzte Rauch gen Himmel schwebte,
sich Manitus Zauber löste, sich das Leben wieder regte.
Im Dorfe angekommen, lief der Großvater von Zelt zu Zelt.
„Steht auf, helft mir zu retten die Welt!
Nun kommt endlich, Gordok ist schon im Wald.
Wenn wir uns nicht sputen, ist er im Dorf recht bald.“
Verschlafen kamen die Indianer hervor.
„Sprich alter Mann, was hast du denn vor?“
Der Großvater berichtete, was auf der Lichtung geschah.
Das dort neben Manitu auch Gordok war.
Ungläubig schauten die alten Krieger drein.
Soll daran etwas Wahres sein?
Doch mit viel Überzeugungskraft
hatte der alte Mann seine Mannen zusammengebracht.
Die alten Krieger glorreich in der Vergangenheit,
machten sich auf ihren Weg, es war nicht mehr viel Zeit.
Unterdessen sammelte Gordok seine finsteren Gesellen, plante mit ihnen,
den Indianern eine Falle zu stellen.
Schnell hoben die Dämonen eine riesige Grube aus.
Sie legten zur Tarnung Hölzer und welkes Laub auf.
Fielen die Indianer schließlich hinein,
würde für Gordok die Schlacht siegreich sein.
Der finstere Dämon nähme des Großvaters Lebenskraft,
wäre gerüstet für die nächste Schlacht.
So würde Gordoks schwarzes Heer immer stärker werden.
Überall brächten sie Elend und Verderben.
Der Großvater setze sich mit seinem Gefolge im Kreis, gemeinsam zündeten sie ein Feuer an,
damit ihr Gott ihnen wieder erscheinen kann.
Die Flammen schlugen hoch zum Himmel empor
als Manitu stieg aus den Gluten hervor.
Ehrfürchtig fielen die Indianer auf ihre Knie.
Eine solche Erscheinung sahen sie noch nie.
Manitu schaute den altern Männern ins Gesicht:
„Habt Mut und fürchtet euch nicht!
Ihr seid die letzte Armee, die Gordok noch besiegen kann.
Schafft ihr es nicht, brechen grauenvolle Zeiten an.
Gordok setzt auf Hinterlist, stellt euch eine Falle.
Seid ihr erst in seiner Grube, vernichtet er euch alle.“
Die alten Indianer starrten ins lodernde Feuer.
Manitus Worte schienen ihnen nicht geheuer.
„Unsere Hände zittern, unsere Körper sind schwach.
Wie sollen wir siegen in dieser Schlacht?“
Manitu zündete sich wieder seine hölzerne buntfarbende Pfeife an.
„Traut mir, ihr werdet sehen, das Glaube Berge versetzen kann!“
Und inmitten seines dichten Rauches verschwand er.
Die Männer schauten ihm zweifelnd hinterher.
Schnell liefen die Krieger ins Dorf zu ihren Kindern und Frauen.
Diese saßen in ihren Hütten, wagten sich nicht hinaus.
Nur kalter einsamer Rauch stieg aus den Zelten hinauf.
Die Männer berichteten ihren Familien ganz aufgeregt,
was sie zusammen im Wald erlebt.
Sie erzählten von Gordok, dem Fiesling aus der Unterwelt.
Davon, was er vorhat, was ihm noch am Leben erhält.
Und würden die alten Männer es nicht wagen,
sich mit dem Monster um den Sieg zu schlagen,
wäre nicht nur das Schicksal der Indianer besiegelt,
die Menschheit wäre Gordoks Sklave.
Des Großvaters kleine Blume, sein Enkelkind,
wischte sich eine Träne hinfort geschwind.
Das ihr Großvater in diese Schlacht ging, zerriß ihr ihr kleines Herz.
Ihn vielleicht dort zu verlieren,
verursachte tief in ihr einen stechenden Schmerz.
Sie verlor schon einmal zwei Menschen, die sie liebte.
Den Vater, als ein mächtiges Tier bei der Jagd über ihn siegte.
Bei ihrer Geburt wendete die Mutter für immer die Augen von dieser Welt.
Seither lebte die kleinen Blume bei ihren Großvater in seinem Zelt.
Zurückgezogen hockend an der Wand,
saß die kleine Blume mit festgeballter Hand.
Der Gedanke an Gordok dem Dämon entfachte in ihr eine brennende Wut.
Die Gefahren für ihr Dorf schürte in ihr eine heiße Glut.
Aber das Mädchen war doch noch ein unschuldiges Kind.
Sich dessen bewußt, lief sie weinend in ihr Zelt geschwind.
Tränenüberströmt fiel sie in ihr Nachtlager hinein.
Irgendwann in der Dunkelheit schlief sie schließlich ein.
Die kleine Blume wälzte in ihrem Bett sich hin und her.
Träume vom bösen Dämon quälten sie sehr.
Doch inmitten floß plötzlich ein unsagbares helles Licht.
Eine zarte Hand streichelte sanft über des Mädchen glühendes Gesicht.
Und mit einer Stimme, die Feen glich, sprach sie:
„Liebes Kind ängstige dich nicht. Schlaf jetzt ruhig und schöpfe neuen Mut!
Glaub mir, es wird schon alles gut.“
Sanft deckte Manitu das fiebernde Kind zu.
Ihr kleiner Körper kam endlich zu Ruh`.
Am nächsten Morgen sprang die kleine Blume flink von ihrem Lager auf.
Lief schnell den Hügel zu Großvaters Zelt hinauf.
Sie schlug die buntfarbende Decke zurück.
Ihre Augen weiteten vor Schreck sich.
Des Großvaters Zelt, es war leer.
Auch die Anderen waren nicht mehr.
Nur ein kleiner Zettel lag auf seinem Platz, auf dem geschrieben stand,
daß das Männerheer sich zum Kampf im Wald befand.
Voll Trauer sank sie auf ihre Knie und schloß die Augen zum Gebet:
„Manitu, zeig ihnen den rechten Weg!“
Unterdessen schlichen die Indianer ausgerüstet mit besten Pfeil und Bogen
angespannt durch das Dickicht.
Manch einer entsann an vergangenen Zeiten sich.
Die Männer spürten auf einmal, wie ihre Kraft zu wachsen begann.
Gemeinsam stimmten sie ihren Kriegsgesang an.
Und je tiefer sie in den Wald eindrangen, um so stärker wurden sie, wie die unbändige See.
Inmitten vieler Bäume wurden die Indianer zu Manitus glorreichen Armee.
Wie es geschieht seit Menschengedenken, entbrannte eine Schlacht.
Gut gegen das Böse, um deren Schicksal zu lenken.
Die Sonne stieg auf, ging wieder unter, im blutrotem Licht der Himmel ertrank.
Der alte Indianer des Nachts auf einem Felsen stand.
Zum Firmament, zu den weiten Sternen griff seine Hand.
Im lauem Wind wehte sein ergrautes Haar.
Mit kräftiger Stimme fing er laut zu beten an:
„Manitu, steh uns bei mit deiner Kraft.
Lass uns siegreich heimkehren aus unserer letzten Schlacht.“
Und silbern schien der Mond im fahlen Licht.
Da erschien ihm Manitus Gesicht.
„Geh los denn Gordoks Männer haben entdeckt,
den Ort, wo ihr Kinder und Frauen versteckt.
Deine kleine Blume scheint in Gefahr, in größter Not.
Breche sogleich auf, sonst sind alle geweiht dem Tod.“
Der Großvater sah entsetzt mit weitem Blick
den Gevatter Tod, der an der Seite Gordoks ritt.
Schnell sprang er auf sein Pferd, ritt wie der Teufel hin zu dem Versteck.
Da sah er Gordoks Heer, sie hatten den Rest des Dorfes entdeckt.
Die finsteren Männer trieben Frauen und Kinder zum Felsen,stießen sie an die kalte Wand.
Ängstlich fingen die Kleinen zu weinen an.
Die Mütter versuchten ihre Kinder zu schützen.
Aber geschah kein Wunder, würde es ihnen nicht viel nützen.
Doch aus dem Gebüsch galoppierte der Großvater heran:
„Gordok, sieh her, halte dein Blutbad an!
Kämpfe mit mir wenn du es wagst.
Aber lass Frauen und Kinder gehen,
ihnen darf kein Leid geschehen!“
Gordok fuhr herum und mit eiskaltem Blick
schaute er neugierig, wer da wohl daher ritt.
„Ah, da sieh an, da kommt der weiße Stier
und will sich messen mit mir!
Endlich werde ich Genugtuung bekommen für meine Schmach.
Aber alter Mann, bist du dafür nicht zu schwach?“
Der Großvater blickte Gordok zornig ins Gesicht:
„Hab nur keine Angst, Manitu beschützt mich!“
„Ha, Manitu beschützt dich.
Greiser, mach dich nicht lächerlich!
Er kann nicht einmal dafür sorgen,
daß die Toten in seiner Welt bleiben verborgen.
Jahre lang kämpfe ich erfolgreich gegen sein helles Licht.
Er, der große Gott bemerkt es einfach nicht!“
Gordok sprang mit riesigen Schritten zurück.
Warf dem Großvater zu seinen eisigen Blick.
Da sprang inmitten der Frauen und Kinder eines hervor.
„Kleine Blume komm zurück!“ riefen die anderen im Chor.
Der Großvater wurde kreidebleich vor Schreck:
„Mein Kind lauf schnell weg!“
Aber das tapfere kleine Mädchen blieb stehen:
„Nein, Großvater, ich werde nicht so einfach gehen.
Gordok, du bist eine arme verirrte Seele,
gehst sogar Unschuldigen an die Kehle.
Du hältst dich für gerissen , schlau und hinterlistig.
Verwehrst deinen armen Gefolge den Gang ins Licht.
Das Licht spendet den Seelen Weisheit und Geborgenheit.
Es geleitet sie hinüber in einen anderen Raum, in eine andere Zeit.
Nichts auf dieser Welt wird endgültig sterben.
Das will Manitu uns lehren.
Es ist seine Gnade, gehen zu dürfen in sein allwissendes Licht.
Und wenn du nicht willst, so kümmert es ihn nicht.
Die Erde, sie wird sich weiter drehen, viele neue Dinge entstehen.
Du bist dann ein Relikt aus längst vergangenen Tagen,
wirst immer noch in dieser Welt verharren.
Mein Großvater wird längst nicht mehr sein.
Fühlst du dich dann nicht allein?
Keiner mehr da, an dem du Rache nehmen kannst und das auf
alle Ewigkeit.
Meinst du, das ist für dein Gefolge eine schöne Zeit?“
Stumm schaute Gordoks Gefolge sich an, einer von ihnen trat schließlich hervor:
„Das Mädchen hat recht, wir sind des Kampfes müde.
Dir etwas anderes zu sagen, wäre eine Lüge.“
Aus der Heerschar der Untoten trat hervor einer der Wache.
„Wir sind nicht länger Mittel für deine kleinliche Rache!
Unsere Augen haben genug Kriege gesehen,
besinne dich endlich und lass uns gehen!“
Und wie der Wachmann so sprach,
ein heller Lichtstrahl den Weg durch dunkle Wolken sich brach.
Wieder erklang die Stimme, die Feen glich:
„Tretet ins Licht ihr tapferen Mannen und fürchtet euch nicht!“
Einer nach dem anderen schwang sich zum Himmel empor,
Engelsgesang drang an ihr Ohr.
Der Krieger ihre Körper zerfielen zu Asche und Staub.
Der Wind trug sie fort wie welkes Laub.
Rasend vor Wut stand Gordok allein:
„Und trotzdem ist die Rache mein!“
Er griff nach dem Mädchen mit fester Hand:
„So alter Mann, schau sie dir noch einmal an!
Wenn euch das Sterben soviel Freude bringt,
sieh doch zu, wie deine Blume mit dem Tode ringt.“
Aus seiner Seitentasche zog Gordok ein langes Messer hervor.
Hielt es dem zitternden Mädchen an sein Ohr.
Es spürte aus kaltem Metall den scharfen Gegenstand.
Der Großvater ballte zur Faust seine knochige Hand.
„Laß sie gehen, sie hat dir kein Leid getan.
Nimm deine Axt, wir fangen zu kämpfen an!“
Die kleinen Blume schlug mit ihrem Kopf hart auf einem kalten Stein.
Die Wunde war schwer, sie fiel in tiefe Bewusstlosigkeit.
Frauen nahmen schnell das Mädchen auf, liefen und brachten sie in Großvaters Zelt.
Sie beteten, daß Manitu das Kind am Leben erhält.
Unterdessen krachten die Äxte, laut dröhnte der Kampf in den Wald.
Sie gerieten immer weiter immer tiefer in das Dickicht.
Der Abend nahte, immer mehr entschwand das Tageslicht.
Die Männer tobten weiter in den Wald hinein.
Bald mussten sie an Gordoks Falle sein.
Doch der Dämon raste und schäumte vor Wut.
Im Augenblick seiner Unbeherrschtheit war er nicht auf der Hut.
Der alte Indianer traf Gordoks linkes Bein.
Gordok strauchelte und fiel in seine eigene Falle hinein.
Zur selben Zeit betrat der alte Medizinmann das Zelt,
in dem verletzt die kleine Blume lag, fern dieser Welt.
Mit Tüchern getränkt in Kräutern verband er ihren blutenden Kopf.
Zwei Frauen saßen daneben, streichelten sanft ihren schwarzen Zopf.
Besorgt schaute der Medizinmann in des Mädchens Gesicht.
Er spürte, daß ihre Seele langsam aus dem Körper wich.
Währenddessen sank der Großvater vor der Falle in die Knie.
In ihr lag Gordok und rührte sich nicht.
Langsam legte der Indianer seine Axt aus der Hand,
aufstand und seinen Rücken zur Falle wand.
Doch plötzlich spürte er um seinen Fuß einen festen Griff.
Mit aller Kraft Gordok ihn in die Tiefe riss.
Im letzen Moment bekam der Alte seine Axt zu packen
und schlug sie dem Dämon in den Nacken.
Gordok brach nun endgültig zusammen.
Aus seinem Körper schlugen lodernde Flammen.
Mit allerletzter Kraft kletterte der alte Indianer aus Gordoks Falle,
schleppte sich auf eine der Lichtungen.
Da säuselten Winde aus allen Richtungen.
„Eile nach Hause geschwind, im Sterben liegt dein Enkelkind.“
Das Entsetzen ließ ihn seine Müdigkeit vergessen.
Ins Dorf ritt er wie besessen.
Sprang hastig von seinem Pferd hinab und lief hin zu seinem Zelt.
„Bitte Manitu, nimm mir nicht das Liebste auf der Welt!“
Weinend sank der Großvater auf das Lager seines Enkelkindes,
streichelte sanft ihr verschwitztes Gesicht.
„Wenn jemand sterben soll, dann nimm mich mit!“
Verzweifelt nahm er das Kind auf seinem Schoß:
„Manitu, so erhöre mich doch!“
Und ein weißes Licht durchflutete gleißend hell sein Zelt.
Manitu erschien, in der Hand er ein kleines Seelchen hielt.
„Die Kunde deines Mutes haben Botenengel bis zum Himmel geschickt,
als Dank bringe ich dir deine kleine Blume zurück.“
Manitu beugte sich zum sterbenden Kinde nieder.
Blies sanft ihre Seele in ihre zarten Glieder.
Das kleine Mädchen atmete tief auf, öffnete langsam ihre Augen.
Der Großvater konnte sein Glück kaum glauben.
Zart hielt er und liebkoste sein Enkelkind.
„Es ist schön, daß wir noch zusammen sind.“
Der Indianergott küßte das Mädchen sanft auf seine Wange.
„Du warst tapfer, dir war keinen Augenblick bange
als du dem Bösen gegenüberstandest und versuchtest, ihn zu belehren.
Hast mutig versucht, den Dämon eines Besseren zu bekehren
Manitu nickte wohlwollend seinen Kopf und stieg empor.
Seine Engel sangen leise im Chor.
Der Großvater und sein Enkelkind standen am Strand, ihre Augen blickten in die Ferne.
Blickten hinauf zum Himmel in unendliche Weiten, sahen die Sterne.
In ihren Haaren fing sich sanft der Sommerwind.
Und die Alten erzählen, daß ihre Seelen heute noch vereint sind.
Tag der Veröffentlichung: 19.11.2010
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