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Sonntag, 09.August, 2009


Der Weg zum Strand führte am Pool vorbei, dann über eine kleine Brücke, und wenn man an den nackten Füßen den Sand spürte, sah man auch schon das karibische Meer, diesmal dunkel und verhalten, aber nicht bedrohlich. Ich ging direkt auf das Meer zu, schmeckte den salzigen Geschmack in der heißen Luft und ging einige Meter auf der Linie, wo sich das Wasser mit dem Land trifft. Es war alles ruhig, ich war scheinbar der einzige Mensch hier, - es war gut so und und es war still.

Ich setzte mich in den warmen Sand und die Wellen umspülten meine Füße. Da sah ich plötzlich, dass ich doch nicht alleine war. Ungefähr 50 Meter von mir entfernt entdeckte ich eine Person, auch sie saß in der gleichen Position wie ich und streckte dabei ihre Füße ins Wasser. Ich hatte sie vorher gar nicht bemerkt.

Hallo, rief ich auf Spanisch, schöne Nacht heute, was?
Ja, sagte die Stimme, und ich hörte, dass es ein Mann war. Ich sah noch eine Weile aufs Wasser, fand es aber dann unhöflich, so weit von dieser Person zu sitzen. Ich stand auf und ging zu diesem Mann hinüber. Er wirkte sehr alt auf mich, - komisch , dachte ich, so ein alter Mann hier in diesem Ferienhotel, was macht der bloß hier?

Ich begrüßte ihn nochmals und fragte, ob er etwas dagegen hätte, wenn ich mich neben ihn setzen würde.
Nein, sagte er. Setz dich. Ich wusste ja, dass du kommst.
Du wusstest es? Ich war sprachlos. Wieso wusstest du es?
Ich wusste es eben, sagte er mit leiser Stimme. Yo lo sabía.

Ich komme aus Deutschland, sagte ich , ich mache hier ein paar Tage Urlaub.
Ja, ich weiß, meinte er.

Ach ja, sagte ich. Irgendwie kam mir das alles ziemlich unglaubwürdig und seltsam vor.
Dann sag mir doch zum Beispiel mal, wie mein Sohn heißt.
David, meinte der Mann. Aber, das willst du ja eigentlich gar nicht wissen.

Mir stockte der Atem und ich sah mir den Typen jetzt mal genauer an. Zufall oder Blöff?
Woher sollte er das wissen? Vielleicht hatte er sich ja auch einfach unter die Feriengäste gemischt und hatte gehört, wie ich meinen Sohn angesprochen hatte. Ja, das wäre eine logische Erklärung.

Aber der Mann fuhr fort.
Dich interessiert doch mehr, wie es deinem Vater geht.
Ach ja? sagte ich argwöhnisch. Wo soll der denn sein? Im Himmel vielleicht?

Nein, sagte er, es gibt keinen Himmel. Es gibt nur andere Dimensionen.

Andere Dimensionen, so ein Quatsch – .
Doch er antwortete wieder, bevor ich meinen Gedanken ausgesprochen hatte:
Wenn du dir andere Dimensionen nicht vorstellen kannst, heißt das nicht, dass es sie nicht gibt. Deinem Vater geht es jedenfalls gut. Er lässt dich grüßen.

Warum sagt er mir das nicht selber? Wenn er schon in einer anderen Dimension ist, könnte er sich schon etwas mehr anstrengen, oder?

Er würde es gerne, aber du lässt es nicht zu. Deshalb bin ich hier.

Ich lasse es nicht zu? So ein Unsinn. Natürlich lasse ich es zu. Er kann mit mir reden, wann immer er will. Aber das hat er ja nie gewollt. Das einzige, was ihn interessiert hat, war seine Arbeit als Arzt.

Aus deiner Sicht war das so, aber Dinge sind manchmal nicht so einfach, wie sie auf den ersten Blick aussehen.
Er sagte noch, es tut ihm leid, dass ihr nie richtig zueinander gefunden habt.

Ach, vergiss es, sagte ich mehr zu mir als zu dem alten Mann. Ich kann es nicht mehr hören, dieses Gefasel. Es tut ihm leid, es tut ihm leid. Hätte es ihm mal früher leid getan. Außerdem glaube ich kein Wort von diesem Blödsinn.

Ich drehte mich jetzt von ihm weg und blickte den Strand hinunter. Eine leichte Brise wehte warme Luft in mein Gesicht. Die Wellenkämme glitzerten im Mondlicht. Eine schöne karibische Nacht, dachte ich für mich. Wie in der Werbung. Aber ich hatte Tränen in den Augen. Ich musste plötzlich an meinen Vater denken, und wie ungerecht er manchmal zu mir gewesen war. Irgendwie fand ich das alles hier auch maßlos traurig und sinnlos.

Bist du Mexikaner? Oder wo kommst du her? Vielleicht aus Guatemala oder El Salvador? Ich fragte ihn, ohne mich umzublicken. Aber ich erhielt keine Antwort. Hatte er mich nicht gehört? Ich hab dich was gefragt, wiederholte ich mit lauter Stimme.

Ich drehte mich jetzt um und sah, dass er nicht mehr da war. Meine Augen suchten den halbdunklen Strand ab. Er war weg! Wie vom Erdboden verschwunden! Na, soll er doch! Soll er doch wieder zurück in seine andere blöde Dimension! Ich glaubte sowieso nichts von diesem Quatsch.

Ich blickte noch ein paar Minuten auf das offene Meer und beschloss dann, zurück in mein Hotelzimmer zu gehen.
Dort wo der Mann gesessen hatte, spülte jetzt eine Welle den Sand wieder glatt. Als das Wasser sich zurückzog, entdeckte ich etwas Glitzerndes am Boden. Ich bückte mich, - es war etwa so groß wie eine Euro - Münze, hob es auf , strich mit den Fingern den Sand ab und hielt den Gegenstand ins helle Mondlicht. Ich konnte nicht glauben, was ich plötzlich erkennen konnte: Es war der HELP-Button!


2 Tage später landeten wir in Düsseldorf. Wieder die gleiche Maschine, aber diesmal kam mir der Flug viel kürzer vor. Ich hatte während des 10-stündigen Fluges etwas geschlafen. Als das bordeigene Kino begann, dachte ich mir: Wenn die jetzt den Beatles-Film HELP zeigen, dann, ja dann glaube ich, dass es da etwas Übernatürliches mit auf sich hat. Aber sie zeigten ihn natürlich nicht, sondern „Zurück in die Zukunft“, was ja auch irgendwie passte. Zeitreisen, dachte ich mir, ja das wäre gut. So etwas könnte doch gut helfen: Einfach mal zurückreisen in eine schwierige Zeit und dann alles besser machen, dann noch sagen: Entschuldigung, war nicht so gemeint und zack, wieder zurück in die Gegenwart.

Ich döste auf dem viel zu engen Flugzeugsitz, dachte an den Urlaub und natürlich an Amadeus und an diesen alten Mann. Den HELP- Button trug ich seitdem immer bei mir und hatte ihn mir an mein T-Shirt gesteckt. Sie mögen die Beatles? hatte mich der mexikanische Zollbeamte gefragt, als der metallene Anstecker auf seinen Zauberstab mit einem kurzen Piepton regiert hatte. Ich auch, Señor ! Ich liebe sie.

HELP! rief er mir noch nach und fuchtelte dabei mit seinem Metalldetektor in der Luft ´rum, als ich mich nach der Passkontrolle durch die getönte Scheibe noch einmal zu ihm umdrehte.
HELP ! Er lachte sich halb schlapp dabei.

Der Flug zurück nach Deutschland verlief unspektakulär. Flüge verlaufen heutzutage so problemlos, wie das Einparken eines Wagens auf einem großen Supermarkt-Parkplatz, - da braucht man ja auch nicht mehr klatschen. Und doch denke ich manchmal dabei: der Pilot ist echt gut, oder war es vielleicht alles nur die Technik und er hat nur alles überwacht? Wer weiß das heutzutage schon ganz genau? Vielleicht sitzt da vorne überhaupt kein Mensch mehr drin und wir haben es bloß noch nicht gemerkt? Aus Kostengründen nur noch computergesteuertes Fliegen. Der Pilot sitzt im Tower und steuert die Maschine am Bildschirm über einen Joy-Stick.

Ja, das würde auch diese komische Ansagetechnik erklären. Guten Tag meine Damen und Herren, hier spricht ihr 1.Kapitän… (Knacken in der Leitung, 2 Minuten Sprechpause) dann wieder die Stimme: Kai Hausner auf ihrem Flug nach (Knacken in der Leitung, 1 Minute Sprechpause), dann wieder: New York. Der Sprecher muss erst mal im Handbuch nachblättern, wie sich sein AVATAR nennt und wohin die digitale Reise überhaupt geht.

Ich erwachte aus meinem Halbschlaf und diesem diffusen Gedankenspiel und wir landeten kurze Zeit später sicher auf Landebahn F3.

Drei Stunden später waren wir zu Hause. Ich schaltete den Fernseher an, zappte kurz durch alle Kanäle, machte mir dabei gleichzeitig eine Schüssel mit Cornflakes und setzte mich dann an meinen Schreibtisch.

Sie haben Post, sagte die Stimme.
Amadeus hatte geschrieben.

Diese Reise war wichtig für dich. Denke daran: es gibt keine Zufälle. Alles was du gesehen und erlebt hast, ist wirklich passiert. Aber es ist lediglich in deinem Kopf passiert. Dein Sohn hat etwas anders erlebt.
Und so ist es auch mit deinen Erinnerungen. Was du in deiner Jugend erlebt hast ist wahr, aber es ist nicht das Gleiche, was dein Vater erlebt hat, obwohl ihr beide sicher seid, vom selben Vorgang zu sprechen.



Es beunruhigte mich etwas, was ich da las, aber im Grunde genommen, hatte ich es auch so erwartet. Irgendwie passte jetzt alles zusammen.

Ich drückte den Button „Antworten“, schrieb ein paar Zeilen, schickte die Mail ab und legte mich aufs Bett.

Als ich aufwachte, war es zwei Uhr morgens, alles war still, bis auf den Fernseher, der immer noch lief. Ich blickte in Davids Zimmer und sah, dass auch er - so wie er war- auf seinem Bett eingeschlafen war.

Mein iPhone zeigte mir, dass ich eine neue Nachricht von Amadeus erhalten hatte.
Die Fragen, die ich ihm gestern Abend geschickt hatte, lauteten:
Was wird die schwierigste Prüfung sein, die mir noch bevor steht? Und wann wird sie kommen? Wie wird es ausgehen?

Ich sah im kleinen Display des iPhones, dass die Mail sehr viel Text enthielt. Ich zögerte. Plötzlich wurde ich unsicher. Wollte ich die Antwort wirklich wissen? Was wäre, wenn er mir geschrieben hätte, dass ein großes Unglück passieren würde? Der Tod eines meiner Kinder z.B.? Wie würde ich das aufnehmen? Und wer würde mir sagen, dass das überhaupt wirklich eintreffen würde? Vielleicht würde ich mich unnötig beunruhigen und am Schluss war vielleicht alles nur Scharlatanerie?

Ich war nervös, legte mich nochmal aufs Bett, dachte an die Reise und an die vielen Erlebnisse und schlief wieder ein, bis zum nächsten Morgen.

Immer noch lag das iPhone neben mir. und zeigten durch einen roten Punkt an, dass weitere 3 E-Mails eingegangen waren. Ich blätterte sie durch, allesamt Werbe- Spam-Mails ohne Bedeutung. Jetzt war da nur noch die Mail von Amadeus. Ich nahm das iPhone in die Hand, markierte mit dem Cursor diese Nachricht und berührte danach mit dem Finger den roten Button auf dem Touchscreen.
„Ungelesen gelöscht“ erschien hinter der Mail, die sich jetzt im elektronischen Papierkorb befand.

Ich brachte meinem Sohn, der immer noch fest schlief, einen Kakao ans Bett, machte mir selber einen großen Milchkaffee, setzte mich an meinen PC und schrieb die ganze mexikanische Geschichte in einem Rutsch ins Word-Programm. Nur für das letzte Kapitel brauchte ich länger als ein Jahr. Ich konnte es immer noch nicht glauben, was in der Nacht passiert war. Ich dachte mir, bevor ich jetzt alles aufschreibe, und er sich dann meldet, muss ich alles wieder umschreiben, je nachdem wie es ausgeht. Irgendwie hatte ich die Hoffnung, aber gleichzeitig auch die große Angst, dass er sich erneut an mich wenden würde. Dann hätte ich die Mail gelesen, da bin ich mir sicher. Bis heute habe ich aber nichts mehr von ihm gehört. Natürlich weiß er, dass ich seine Nachricht nicht gelesen habe.

Etwa ein halbes Jahr später, am 12. Februar 2010 bekam ich einen Anruf von der Polizei mit einer schrecklichen Nachricht; da wusste ich, dass man seinem Schicksal nicht entrinnen kann.

Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

ENDE

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 29.12.2010

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