Cover

Samstag, 08.August, 2009



Die letzten beiden Tage hatten wir vergammelt, wie es besser nicht sein konnte. Spätes Frühstück am reichhaltigen Buffet, dann am Strand rumhängen, ein bisschen am Pool, dann wieder Strand, dann Mittagsschläfchen. Dazwischen Enrique, die schnellste Maus von Mexiko, der rasende Strandkellner, der immer erfrischende Drinks an den Liegestuhl brachte. Es war traumhaft.

Enrique erfüllte jeden Wunsch; na ja, fast jeden....


Abends dann noch an der Hotelbar rumgehangen, etliche Mojitos getrunken, bei Isabel, der schönen Señorita, dieser kleinen Maya-Prinzessin. An nichts denken, nur dem Moment nachgehen, kein Gestern, kein Morgen, nur die unendliche Leichtigkeit des Seins ertragen müssen.

An der Strandbar dann das schöne Erlebnis gehabt, als vor mir eine alte Lady (mit gefühlten 100 Jahren) aus den USA , auf die Frage, was sie haben wollte, zum Barkeeper sagte: Sex on the beach, please

.

Die ganze Combo lachte und die alte Lady lachte am meisten, und irgendwie war die Stimmung so gut, so leicht, dass mir plötzlich alles um mich herum wieder irgendwie verdächtig gefährlich vorkam. Wie oft hatte ich in meinem Leben schon diese verführerische Ruhe vor dem großen Sturm erlebt? Immer dann, wenn ich dachte: jetzt ist ein Moment der absoluten Zufriedenheit erreicht, drehte sich das Pendel des Schicksals um und schlug zu mit einer Härte, wie ein Steinmetz seinen Fels mit seinem Meißel bearbeitet.

Jetzt dachte ich wieder an das zweite mystische Erlebnis in meinem Leben und dass doch immer alles anders kommt, als man denkt. Es war etwa einen Monat nach der Schäfer-Erscheinung in meinem Schlafzimmer. Es war ein Nachmittag im Oktober und ich war gerade vom Büro gekommen und freute mich auf den Feierabend, als mein Vater anrief, der ca. 500 Kilometer von uns entfernt wohnte.

Meine Mutter hatte aus heiterem Himmel einen Herzinfarkt erlitten, war sofort ins Krankenhaus eingeliefert worden und nach Aussage des Krankenhauses würde sie die kommende Nacht voraussichtlich nicht überleben. Es sieht nicht gut aus. Wenn Ihr Eure Mutter noch einmal sehen wollt, solltet ihr sofort kommen.



Mit „Ihr“ meinte mein Vater mich und meine ältere Schwester, die auf halber Strecke zwischen meinem Elternhaus und mir lebte. Ok. - Meine Frau und ich schwangen uns umgehend in den Wagen, nahmen unterwegs meine Schwester mit an Bord und erreichten jetzt die Nähe des Wohnorts meiner Eltern. Es war kurz vor Mitternacht, alles neblig und dunkel, der Weg führte den Berg hinauf durch einen dichten Wald zum Dorf.

Wie in einem Edgar Wallace Krimi, dachte ich noch, als ich vor mir, zwischen den Nebelschwaden, eine Gestalt erkannte. Jetzt von meinen Scheinwerfern beleuchtet, erkannte ich die Umrisse eines Mannes, der hier mitten in der Nacht auf der Straße stand, uns zuwinkte und uns offensichtlich zu verstehen geben wollte:
Haltet an!



Die Szene war mehr als gespenstisch. Was für ein Verrückter steht denn hier mitten im Wald und versucht Autos anzuhalten? - dachte ich noch, während ich die Geschwindigkeit des Wagens verringerte, um in der engen Waldstraße an diesem Typen vorbeizufahren, ohne ihn versehentlich zu berühren. Ich war jetzt auf einer Höhe mit ihm, aber sobald die Scheinwerfer ihn nicht mehr direkt erfassten, war er eingehüllt im tiefen Schwarz der Nacht, so wie alles andere um uns herum.

Vorsichtshalber schaltete ich die Zentralverriegelung ein, alle Knöpfe der vier Wagentüren sprangen nach unten, als ER plötzlich neben meinem Fenster auftauchte. Oh, Gott, ich hatte mich zu Tode erschreckt, aber es sollte noch unheimlicher werden, als ich ihm ins Gesicht sah: Es war mein Vater!!



Im selben Moment, in dem wir ihn alle erkannt hatten, schrie meine Schwester von hinten: Nein, halt nicht an! Hier stimmt was nicht, das ist bestimmt eine Falle! Fahr weiter!

Der Wagen hatte sich jetzt einige Meter an dem Mann vorbeigeschoben, hinter uns war alles in der pechschwarzen Nacht versunken. Auch mein „Vater“ war nicht mehr zu erkennen. Es war wirklich unheimlich.

Ich überlegte kurz und schwankte zwischen dem Gefühl, anzuhalten und meinen Vater hier an diesem gottverlassenen Ort einzusammeln oder einfach weiterzufahren. So ganz geheuer kam mir das alles auch nicht vor, wenngleich ich mir nicht wirklich vorstellen konnte, dass dies in irgendeiner Form eine Falle sein sollte. Auf die hysterischen Zurufe meiner Schwester, die mich beschwor, nun doch endlich weiterzufahren, setzte ich den Weg durch die Nacht fort und wir erreichten wenige Minuten später unser Elternhaus.

Das Haus war beleuchtet, in einigen Fenstern brannte Licht. Wir klingelten, die Haustür öffnete sich kurze Zeit später und heraus trat: Mein Vater! Er war genauso gekleidet wie der Typ im Wald gerade. Kein Zweifel, er musste es gewesen sein.

Der graue kurzärmelige Pullunder, die braune Cordhose, das blaukarierte Hemd,- alles stimmte. Sogar den kleinen Button an seinem Hemdkragen konnte ich wiedererkennen: Es war ein kleiner Beatles-Button, mit der Aufschrift „HELP“, dem ihm mein jüngster Sohn letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte.

Eigentlich war mein Vater nicht der Typ, der mit Beatles-Buttons rumlief, aber er hatte es wohl den Enkeln zuliebe getan und ihn dann einfach dran gelassen. Vermutlich wusste er nicht mal, dass dies ein Cover von der gleichnamigen LP- war.

Es war unglaublich. Wir erzählten ihm natürlich die Story und, dass wir ihn vor 2 Minuten noch im Wald gesehen hätten. Er schüttelte nur den Kopf und meinte, dass müsse wohl eine Verwechslung sein; schließlich hätte er seit Stunden das Haus nicht mehr verlassen.

Um die Geschichte abzukürzen: meine Mutter erlitt in derselben Nacht noch einen weiteren Herzinfarkt, erholte sich in den kommenden Wochen jedoch - entgegen jeglicher ärztlicher Prognosen - und wurde schließlich aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen. Sie hatte sich an diesem Tag nur einige Dinge, Wäsche etc. von dort geholt und hatte sich ein Taxi bestellt, um sich anschließend zum Bahnhof bringen zu lassen, von wo aus sie die Fahrt zur Reha-Klinik antreten wollte.

Rekonstruiert ereignete sich in den nun folgenden Stunden Folgendes: Meine jüngste Schwester, die noch im Elternhaus wohnt und gewöhnlich meine Eltern nie längere Zeit alleine lässt, verließ kurz nachdem meine Mutter ins Taxi eingestiegen war, ebenfalls das Haus, um eine Freundin zu besuchen. Der Besuch war für das ganze Wochenende geplant. Jetzt,- alleine zuhause- hatte mein Vater wohl begonnen, den Hof vor dem Haus zu fegen, später fand man noch den Besen, der noch neben den zusammengefegten Herbstblättern auf dem Boden lag.

Ihn selber fand man erst zwei Tage später tot auf seinem Bett, den Oberkörper vorne rüber gebeugt mit dem Gesicht nach unten, die Beine noch außerhalb, so als hätte er es nicht mehr ganz geschafft und sich mit letzter Kraft aufs Bett geworfen; die Hand auf dem Herzen ,-mit schmerzverzerrtem Gesicht. Herzinfarkt, 71 Jahre alt.

In dieser Position fand ihn meine Schwester zwei Tage später, als die Totenstarre schon eingesetzt hatte. Und in genau den gleichen Sachen, die er auch bei unserer Begegnung in der besagten Nacht getragen hatte.

Dabei musste er sich noch kurz vorher umgezogen haben, denn im Schlafzimmer lagen jeweils fein säuberlich zusammengelegt eine andere Hose, Pullover und Hemd, wie er sie sonst für gewöhnlich immer im Garten trug. Er hatte sich zum Sterben also umgezogen? So schien es. Selbst der Beatles-Button fehlte nicht.

Auch ich sah ihn so noch ein letztes Mal,- ich ließ den Sarg öffnen und sah meinen Vater, wie er da lag in dieser seltsamen Position. Man hatte ihm einen schwarzen Anzug angezogen, ein weißes Hemd mit dunkler Krawatte, - nur den Button hatten sie ihm nicht dran gelassen, -schade. Es sollte wohl alles edel wirken, aber es sah alles so billig aus, es war ihm alles viel zu groß. Ich schaute mir diesen Mann ein letztes Mal an. Ich berührte sogar seine Hand, sein Gesicht, das immer noch diesen schrecklich verzerrten Gesichtsausdruck hatte.

Wir hatten im Leben nie ein gutes „Vater-Sohn“ –Verhältnis, erst in den letzten Monaten hatte so etwas wie eine Annäherung zwischen uns stattgefunden. Und jetzt war schon wieder alles im Eimer.

Als ich ihn so ansah, merkte ich, dass es nur eine Hülle war, sein Körper, alles war nur eine leblose Hülle; sein Geist und seine Seele waren nicht mehr drin; sie waren von ihm weggegangen und hatten diese sterblichen Überreste zurückgelassen.

Ich verspürte keinerlei Trauer in diesem Moment, vielleicht etwas Wehmut. Er ist nicht mehr da, sagte ich mir, seine Seele ist weg, wer weiß wo. Ich hatte plötzlich ein beruhigendes Gefühl in mir und wusste, dass es meinem Vater gut ging.

Eigentlich halte ich nicht viel von diesem „Seelenkram“ und „kommt in den Himmel“ oder so, aber in diesem Augenblick, war ich mir plötzlich sicher, dass es so etwas gibt. Mach´s gut, sagte ich zu ihm und klopfte ihm zum Abschied freundschaftlich auf die Schulter.

Help me if you can, I'm feeling down
And I do appreciate you being round.
Help me, get my feet back on the ground,
Won't you please, please help me, help me, help me, oh.



Das war vor fast zwanzig Jahren. Wie es ihm wohl geht heute? Lebt seine Seele noch irgendwo und irgendwie weiter? Hatten diese seltsamen Erlebnisse irgendeine tiefere Bedeutung? Wollte mein Vater mich vielleicht auf seinen kurz bevorstehenden Tod aufmerksam machen? Hätte ich seinen Tod evtl. sogar verhindern können? Ich werde es wohl nie erfahren. Brauchte er vielleicht sogar meine Hilfe?

Es war spät geworden jetzt hier am Strand der Karibik. Unser Urlaub neigte sich dem Ende zu. Ich beschloss, ins Bett zu gehen, wollte aber vorher noch nachsehen, ob Amadeus geantwortet hatte und war gespannt, was er auf meine Fragen sagen würde. O.k, schreibfaul war der alte Knabe wohl nicht, denn als ich in die Lobby ging und meinen Laptop einloggte, klang kurz darauf die Stimme von AOL: Sie haben Post !



1. Gibt es einen Gott?



ja

2.Wenn, ja, glaubst Du (Amadeus) an ihn? Ist er dein Boss? Oder existierst Du unabhängig von ihm? Hat er auch Dich erschaffen? Irgendwo musst DU ja auch herkommen,



Gott begleitet mich, ohne dass ich ihn sehen kann. Er existiert überdimensional in einem anderen Universum. Gott hat mich erschaffen; ich bin eine verstorbene Seele in Engelsgestalt.

3. Ist es für uns Menschen wichtig an Gott zu glauben? Schließlich heißt es: Gott nimmt auch den größten Sünder und Ungläubigen in sein Himmelreich?



Es ist wichtig an Gott zu glauben, weil man dadurch gefestigt ist. Der tiefe Glauben versetzt Berge. Der Glaube an Gott kann Dich erst glauben lassen, dass es Liebe gibt. Erst wenn man an Gott glaubt, kann man an sich selbst glauben und erst dann kann man Liebe geben und empfangen. Es ist nicht wichtig, dass man an Gott glaubt, Hauptsache, man glaubt an irgendetwas.

4. Warum sollte ich mich also "anstrengen", wenn sowieso jeder genommen wird?



Weil Du wieder auf die Welt kommst in anderer Gestalt, in der Dir dieselben Aufgaben gestellt werden, die Du in diesem Leben nicht geschafft hast.

5. Dein Vater sieht Dir wohlwollend zu. Es geht ihm gut. Er lässt Dir sagen, dass Du Deine Aufgaben bisher gut erfüllt hast. Aber die schwierigste Prüfung steht Dir noch bevor. Er ist immer bei Dir, wenn du Hilfe brauchst. Er selber braucht keine Hilfe mehr.

Wieder waren die Antworten nicht Fisch - nicht Fleisch. Vieles von dem, was Amadeus geschrieben hatte, hätte ich mir auch selber aus den Fingern saugen können. Vielleicht hätte ich aber auch einfach intelligentere Fragen stellen sollen.

Nur die letzte Antwort gab mir zu denken. Erstens war es eine Antwort, auf eine Frage, die ich noch gar nicht gestellt hatte. Ich schaute auf den Kopf der E-Mail: Sie war um 9:32 Uhr Ortszeit MEZ abgeschickt worden, da war es hier gerade halb vier nachmittags gewesen. An die Geschichte mit meinem Vater hatte ich aber erst heute Abend gedacht, also gegen 20:00 Uhr Mexikanische Zeit. Amadeus wusste also scheinbar, was ich in der Zukunft denken würde,- erstaunlich, na ja , aber auch eigentlich logisch, wenn er alles weiß und alles vorbestimmt ist, sind es unsere Gedanken auch.

Und dann zweitens dieses: Er ist immer bei Dir, wenn du Hilfe brauchst

. War das evtl. eine Anspielung auf „Help“? Und dann sollte die schwierigste Prüfung noch kommen? Oh, Gott, das klang nicht gerade beruhigend.

Zufall oder doch zu viele „Mojitos“ ? Schwer zu sagen.

Keine Ahnung. Ich hatte jetzt keine Ruhe mehr. David war schon im Bett und da ich sowieso jetzt nicht mehr schlafen konnte, beschloss ich, nochmal zum Strand zu gehen.

In zwei Tagen war unsere Rückreise und ich hatte das Gefühl, dass irgendetwas an dieser Reise fehlte. Irgendetwas mit Tiefgang - und da wusste ich noch nicht, was ich in dieser Nacht am Strand erleben würde.

Impressum

Texte: alle Texte, Fotos etc.: Columbus
Tag der Veröffentlichung: 07.01.2010

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