In diesem Buch finden sich keine kompletten Geschichten, sondern einzelne Szenen. Diese wurden von mehreren Autoren geschrieben - unter dem Motto "Wasser aus einem Glas".
Im Buch enthalten sind Texte von:
1.) Cassio Delmorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2.) Panda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
3.) Mirou . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
4.) Sangre Myror . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
In den Hallen der Krantenburg
Autor: Cassio Delmorte
Akt II, Szene 2
Im Laboratorium.
Olf, der Akademicus.
Finn, sein Gehilfe.
Finn
Es tagt schon bald!
Olf
Mitnichten!
Es ist der Nachtkauz und nicht der Morgenpfeifer,
der mich zu dieser Stund' begleitet
auf meinen Ab- und and'ren Wegen.
Finn
Welch' Wege mögen dies wohl sein?
Olf
(seufzend)
Ach! Ich und meine Großspurigkeit...
Finn
(für sich)
Wohlfeil: ich und der Esel...
Olf
Ich habe Deinen Einwurf wohl vernommen, Finn!
Und wer hier der Esel ist, bedarf ja keiner Diskussion.
(Beide starren sich für einige Augenblicke unnachgiebig an.)
Finn
(trocken)
In der Tat. Das wissen wir beide.
Olf
(unbeirrt)
Dann ist es ja gut. Wo war ich?
Ach ja. Um Deine Unbedarftheit in der Sache
zu beleuchten, will ich Dir sagen,
was sich vor kurzem zugetragen hat.
Es war am gest'rigen Tage noch,
obwohl der Abend mit Meilenschritten dräute,
und von den Bergen her ganz sachte
das Land mit schierer Dunkelheit bezog.
Finn
(gelangweilt)
Es dämmerte also, als...?
Olf
Du wieder! Mit Deiner so gehetzten Art!
Drängelst und unterbrichst Du mich weiter,
vermag ich wohl nie fertig zu werden.
Finn
(für sich)
Das befürchte ich auch schon.
Olf
(ärgerlich)
Wie dem auch sei, es war im Thronsaal.
Der König war schon zu Bett,
er wollte noch was lesen, wie er sagte.
Finn
Ja. Der Mätresse. Die Leviten.
Olf
Hoftratsch interessiert mich nicht.
Doch Du bist immer bestens informiert.
Geb' ich Dir wohl zu wenig Arbeit?
Finn
Daran liegt's nicht, seid nur beruhigt.
Ich schnappte es nur im Vorübergehen auf.
Olf
Dann schnapp nicht über, sondern höre.
Ein Gespräch entspann sich zwischen mir
und der Königin höchstselbst,
fast ganz vertraulich.
Finn
Nur mit den acht Zofen und den zwölf Gardisten,
dem Narr, dem Mundschenk und Ihrer Majestät?
Olf
(herablassend)
Das sagte ich doch schon, und mir kam's fast vor,
als seiest Du der Narr gewesen.
Finn
(listig)
Das kann nicht sein. Auch wer der Narr ist, ist bekannt.
Olf
(selbstgefällig)
Nun, das will ich meinen. Und wie es oft so ist,
kam eins zum and'ren, und schon waren wir in der schönsten
Disputiererei über die Philosophie, die Welt...
Finn
(ironisch)
Der Narr und Ihr?
Olf
(aufbrausend)
Die Königin und ich, Du Narr!
Wieso ich Dich je zu meinem Gehilfen ernannte,
ist unverständlich mir geworden.
Finn
Eure genauen Worte waren...
Olf
Haltet sie mir nicht vor
gleich einem verzerrten Spiegel,
aus dem ein verfloß'nes Antlitz schaut!
Finn
Nebst allem anderen spracht Ihr von Lohn...
Olf
Auch das noch! Willst Dich wohl erfrechen,
für Deine Unverschämtheiten,
die Du tagtäglich anstellst,
auch noch bare Münze zu erwarten?
Teilzuhaben am Lichte des Erfindergeists,
der sich hier in Scheffeln stapelt,
sei Dir Lohn, Lob und Dank genug,
unverdientermaßen obendrein.
Genug davon! Du lenkst nur ab.
Die Königin, und unterbrich mich diesmal nicht,
kam schließlich auf die Wissenschaft,
was ich mit einem Vortrag ehrte.
So tat ich Wort um Wort, erwähnte nebenbei
auch manche Großtat und Erfindung,
die ich getan und noch geplant
und die im Schranke noch der Vollendung harrt.
Da ward vom Narr ich angestarrt
und auch wegen Angeberei ermahnt,
worauf mir Schreckliches schon schwant.
Finn
(für sich)
Und mir nicht minder...
Olf
(zögernd)
Doch nun - in meinem kühnen Schwunge...
Finn
Ihr wolltet bei der Kön'gin Eindruck schinden!
Wieso hütet Ihr nicht Eure Zunge?
Olf
Die Rede konnt' kein Ende finden,
und ich war völlig unbeschwert.
Doch schließlich habe ich erklärt,
ich könnt' Erfindungen aus allem machen.
Aus allen - selbst banalen - Sachen.
Die Königin, herausgefordert,
hat daraufhin geordert, daß ich's beweise.
Und so befahl sie, süß und leise,
mit einem Wink zum Schreiber,
damit es nur ja keiner vergaß:
eine Erfindung aus Wasser... aus einem Glas.
Finn
(entsetzt)
Meister, ich sage es vor allen Ohren:
wir sind am Ende. Aus, verloren!
Akt II, Szene 3
Im Schlafgemach des Königs.
Arno, der König.
Criya, die Königin.
Beide im Nachtgewand mit Überwurf. Der König sitzt aufrecht im Bett.
Die Königin sitzt auf einem Stuhl an der Frisierkommode.
Criya
(sich kämmend)
Nun, mein Gemahl, wie war die Lesestunde?
Arno
(lehnt sich zurück)
Nur halb so lehrreich wie erhofft.
Diese dicken Schmöker sind nichts für meine Gesundheit,
ich werde wohl auf schmalere Bände umsatteln.
Criya
(spitz)
Es kommt wohl ganz darauf an, wer im Sattel sitzt.
Arno
Meine Liebe, solch' Eifersucht ziert Dich nicht.
Komm lieber herüber zu mir,
auf daß ich die Sorgen des Tages vergesse.
Criya
(legt den Kamm weg)
Die Sorgen, mein König,
verschwinden nicht durch mein Tun zur Nacht,
sondern durch meine Maßnahmen bei Tage.
Arno
Wie soll ich das versteh'n?
Criya
Du kennst den Akademicus...
Arno
Hab' selbst ihn eingestellt.
Criya
Und doch hat er noch nichts geleistet,
seit er vor Jahr und Tag ins Amte kam.
Verschwendung hat er sich erdreistet;
von uns'rem Gold, das ist infam!
Arno
Schrieb er nicht doch ein Traktat?
Und mischte ein Alchemikum?
Criya
Ein völlig nutzloses Substrat
mit Namen "Halbmondfluidum"!
Der Text war öde, ohne Sinn.
Sowas bekommt der Narr auch hin!
Und erst recht die and'ren Werke...
Arno
Gute Frau, nun, ich bemerke
eine leichte Aversion
in Deinem sonst so süßen Ton.
Criya
(steht auf)
Der Mann ist ein Stümper,
und er kommt uns zu teuer.
Ich sage es Dir unumwunden:
schon in wenigen Stunden
ist er fort aus dem Gemäuer.
Arno
Deine Planung ist fatal.
Du reduzierst mein Personal!
Criya
...doch nur, um Summen zu ersparen,
die er in den nächsten Jahren
aus dem Fenster werfen würde.
Wissenschaft ist eine Bürde
für den Thron und auch das Volk.
Arno
Entschuldige, daß ich bei "Volk"
die Form nun wieder fallen lasse
und nur mit Prosa weiterprasse.
Das Volk sollte nie am Ende steh'n.
Criya
Doch in einer Monarchie
steht es auch nie am Anfang,
das weißt Du wohl, mein König.
Arno
Zurück zu Deinen intriganten Plänen.
Welch' Grund werfen wir ihm vor, zu geh'n?
Criya
(nähert sich dem Bett)
Es ist schon alles eingefädelt.
Er prahlte mit seinem Einfallsreichtum so,
daß ihm das Lob schon aus den Ohren stieg,
das eig'ne, wohlgemerkt.
Da hab' ich ihn beim Wort genommen
und rasch vereinbart, er solle uns erfreu'n
mit einer neuen Sache, erfunden nur
mit Wasser aus einem Glase.
Arno
Sonst sind Deine Schlichen raffinierter.
Vielleicht stopft er eine Frucht hinein,
vergärt's - und nennt es Apfelmost?
Criya
Wart's ab! Ein Haken sitzt noch obenauf:
das Wasser darf nicht eingeschenket werden.
Arno
Was?! Kein Mundschenk?
Willst Du auch den mir streitig machen?
Obwohl, wer trinkt schon Wasser? Nur das Vieh.
Und auch sonst ist's ungesund.
Zum Feuerlöschen taugt es g'rad,
doch reicht ein Glas dafür nicht aus.
Gemahlin, ich geb' Dir hierbei recht:
daraus läßt sich nichts Gescheites machen.
Criya
Wie schön, daß wir uns wieder einig sind.
Schon morgen soll er seine Künste zeigen.
Und tut er dann den Offenbarungseid,
sind seine Tage hier gezählt.
Arno
So sei es! Doch ich gebe zu, Madame,
nicht immer freut mich Euer Sparprogramm.
Criya
(steigt zu ihm ins Bett)
Aber Majestät! In dieser Nacht
mögt Ihr bei der Lektüre aus dem Vollen schöpfen!
Akt II, Szene 4
Im Laboratorium.
Olf, der Akademicus.
Finn, sein Gehilfe.
Finn
Der Tag ist lang schon angebrochen.
Olf
Dummkopf, das seh' ich selber.
Hurtig, rasch und spute Dich!
Nur eine Stund' noch, bis die Königin
ihr Ultimatum fordern wird.
Finn
Doch wegen meines Einfalls ist sie gelöst,
die unmögliche Aufgabe: Glas und Wasser,
uneingeschenkt, zu etwas uneingeschränkt
Neuem zu verbinden.
Olf
(säuerlich)
Streng genommen war die Idee von mir.
Finn
"Wasch ab, Finn" ist keine Idee, fürwahr.
Olf
Deinen geringen Anteil will ich Dir lassen,
sonst klagst Du bis zum Nimmerleinstag.
So bring' den Tisch herein!
(Finn holt vom Balkon einen Servierwagen, auf dem einige Gläser stehen.)
Olf
So! Was sagt uns die Wissenschaft dazu?
Ein Dutzend Gläser, mit Wasser teils gefüllt.
Geselle, reiche Er mir den Löffel!
Finn
(gibt ihm übertrieben einen Holzlöffel)
Hier, Herr Dirigent, der Stab!
Olf
(fuchelt damit herum)
Nehmen wir also Stab A und eine Wassersäule B,
die sich in einem Behälter C befindet...
vermittels der Wucht des Aufschlags breiten sich
oszillomotische Wellen aus, welche hernach
die Luft so stimulieren, daß ein Klang hervorbricht,
einer Glocke glücklich gleich.
Finn
Ihr meint: schlägt man mit einem harten Gegenstande
gegen ein Weinglas, wird dieses in Schwingungen versetzt?
Olf
Wie niedrig und profan Du immer schwätzt!
Ich rede von der Juxtaposition zweier Kadenzen,
die sich im Hüllmantel einer stehenden Welle finden.
Und dort die vibrane Variabilität bestimmen.
Finn
Aha! Die Tonhöhe läßt sich somit auch verändern,
indem wir Wasser in das Glas geben.
Und je mehr Wasser, desto größer die Masse
und desto geringer die Eigenfrequenz.
Olf
(mißmutig)
So wie Du es in dürren Worten darstellst,
könnt' es ja jeder Bauer versteh'n!
Ahnst Du nicht - vor der Königin muß es besteh'n!
Da hilft nur Fach- und Komplexiererei.
Denn nur, was schwierig und neuartig ist,
vermag im hohen Adel Anklang zu finden.
Finn
Na gut. Und wenn man die Gläser richtig füllt,
kann man sogar die Oktave ganz abbilden.
Olf
Recht so! Bald lernst Du es noch!
Los, kippen wir das Wasser im rechten Maße aus,
auf daß von Glas zum Glase der Pegel stetig steigt!
(Sie probieren Füllstände und Töne aus.)
Olf
Das klingt schon ansatzweise heiter.
Doch eines noch bewegt mich sehr:
wie stimmen wir die Glastonleiter?
Chromatisch oder diatonisch?
Finn
Die Halbtonsprünge sind plausibel,
doch die Oktave ist mit zwölf Halben
ganz sicher niemals zu erreichen.
Olf
(tadelnd)
Daß Du immer nur ans Saufen denken mußt!
Finn
Ich meint' die halben Noten, Meister!
Olf
Bei mir gibt es keine halben Sachen.
Die Stimmgabel heraus!
Jetzt zählt wohl nur noch der gute Ton
der feinen Stimmung, Glas um Glas.
(Finn zieht eine Stimmgabel hervor und schlägt sie an.)
Olf
Do Re Mi...
Finn
Fa So La...
Olf
Hör auf zu Faseln und stimm' weiter!
Bis(s) zum Eichstrich!
(Finn vergleicht das Referenzglas mit der Stimmgabel.)
Finn
Jetzt paßt alles, würd' ich vermelden.
Olf
Dann brechen wir auf zur Präsentation
von Wasser und Glas und klingendem Ton!
Akt II, Szene 5
Im Thronsaal
Arno, der König.
Criya, die Königin.
Olf, der Akademicus.
Finn, sein Gehilfe.
(Das Königspaar sitzt auf zwei Thronen. Olf und Finn stehen mit dem glasbeladenen Servierwagen davor. Im Hintergrund einige gelangweilte Wachen.)
Arno
(leutselig)
So, wollt ihr zwei vor der Vorführung
noch ein paar Getränke servieren?
Weißwein, wie ich vermute?
Olf
(hastig)
Keineswegs, Euer Majestät.
In Wirklichkeit trägt dieser Tisch
ein unerhörtes Experimentum,
welches ich in fernen Landen
unter einer hypoxicalischen Sonne
erstmals erprobte, doch erst jetzt
gelang seine Fertigstellung.
Nur dank Eurer Majestäten Gnade
gelang's, daß mich die Inspirationen
so überkamen wie ein lauer Wind.
Criya
(kühl)
Ich hoffe wohl, Eure Vorführung
ist nicht genauso lau
wie Eure Ankündigung derselben.
Olf
Mitnichten, Frau Regentin.
Aus der vorgegeb'nen Form
entstand ein Instrument
von schöner Schlichtheit.
Spiel auf, Gehilfe!
(Finn spielt mit dem Löffel auf den Gläsern die Nationalhymne.)
Arno
Wohlan! Das läßt sich hören!
Er scheint die Aufgabe gemeistert...
Criya
(unterbricht)
Glas und Wasser, ja. Doch sagt mir:
wer hat es eingeschenkt?
Olf
(triumphierend)
Niemand. Und keiner.
Finn
Es hat zur Nacht geregnet,
sie standen so auf dem Balkon.
Und ausgiessen durften wir's.
Criya
(resignierend)
Euer Kunststück ist gelungen.
Arno
Jaja, und jetzt hinfort, ihr beiden.
Staatsgeschäfte harren meiner.
(Olf und Finn verbeugen sich und ziehen mit dem Servierwagen ab.)
Criya
(kichert)
Staatsgeschäfte nennst Du's jetzt?
Arno
Glaubst Du, es zieht mich wieder
in die verruchte Bibliothek?
Heute wird es ein Verwaltungsakt:
ich werde die Nationalhymne ändern.
Sie klang mir doch zu monoton.
Beitrag 2
Autor: Panda
Das Quaquarien-Theater war noch nie gut besucht gewesen. Gerade wurde "Aloberan, Latella und bläulich pulsierende Göttlichkeit" aufgeführt und die jungen Darsteller strauchelten und hüpften voller Elan über die Bühne, als hätten sie eine besonders gemeine Art von Krämpfen.
„Oh, Aloberan, warum nur hocket ihr in trostlosester, schwarzer Dunkelheit?“, rief „Latella“ weinerlich und legte etwas zu schwungvoll eine Hand auf „Aloberans“ Kopf. Wenn man ganz genau hinhörte, konnte man sein leises „Au“ vernehmen.
Wie konnte das nur passieren?
Professor Dr. Dr. Dr. Dr. Quaste litt stumm vor sich hin und ertrug. Sowohl die Vorstellung als auch seine derzeitige Situation.
„Fortuna brachte mir geruchsintensiv eiternde Wunden bei, welche nicht zu heilen vermögen, Latella. Die Götter des blauen Chamäleons haben sich von mir abgewandt“, erwiderte „Aloberan“, der eigentlich Toutou hieß und erhob sich von dem Schemel, auf dem er in pathetischer Pose gekauert hatte.
Nochmal: wie? Quaste war Wissenschaftler durch und durch und seine Experimente misslangen niemals. Niemals!
Eigentlich hatte er auch nichts falsch gemacht. Er hatte die Pluffteilchen-Ströme richtig berechnet, die bärtikalen Klomofühle vermessen, die semi-temporale Flappigkeit berücksichtigt und sogar die Gefühle und Emotionen baarbrückenduckender Waaterlie-Atome einkalkuliert. Das Einzige, was er nicht bedacht hatte, war die Dummheit eines gewissen inkompetenten Schauspielers, der zugleich Quastes Mitbewohner war.
„Alles wird sich zum Gutesten... äh Guten wenden, da bin ich mir sicher, Herr!“ Latella ließ sich aus irgendeinem sicher künstlerisch bedeutsamen Grund auf den Boden plumpsen.
Quaste dachte bitter, dass sich, sollte er Toutou in die Finger kriegen, sicher nicht alles zum Guten wenden würde. Bei den Preglorgardolen seiner Väter!
„Ach, Latella, ich wünschte, ihr sprächet die Wahrheit... Doch mein Leben ist verwirkt.“ Aloberan schritt auf ein antik-aussehendes Tischchen zu, auf dem ein volles Glas Wasser stand. Wasser? Nicht ganz.
Professor Dr. Dr. Dr. Dr. Quaste sah die Welt um ihn herum als gigantisches, leicht verschwommenes Etwas. Er konnte gerade so die wenigen Zuschauer erkennen, das zu Wünschen übrig lassende Bühnenbild und auch Toutou in seiner pinken Strumpfhose, die angeblich zum Kostüm gehörte. Diese neue Perspektive hätte eine interessante Erfahrung sein können. Hätte.
Quaste sah den riesenhaften „Aloberan“ auf sich zu kommen und wurde zusehends nervöser. Und wütender.
Dieser knarrrümpfige Krokalus! Dieser eseleske Krarkrartölpel! Dieser pornalle Klops! Dieser Stümper von einem Schauspieler! Er, Professor Dr. Dr. Dr. Dr. Quaste, hatte sicherlich schon so einigem Übel ins Auge blicken müssen, aber dies brachte die Petrischale zum Überquellen! Wie konnte man ein Theater überhaupt mit solch ekelerregendem Machwerk entweihen? Und diese Namen! „Latella“ und „Aloberan“... Widerwärtig! Wäre er Autor dieses Stückes, hätte er den Protagonisten Namen wie „Parabola“, „Fusel“, „Mono“ oder „Boom!“ gegeben.
„Aloberan, so sprecht doch endlich mit mir!“, quiekte Latella verzweifelt und ungehindert der Tatsache, dass „Aloberan“ schon seit Beginn der Szene mit ihr sprach. Eigentlich taten die Beiden nichts anderes.
Quaste grübelte über der ihm vollkommen unverständlichen Dummheit Toutous.
Er hatte ihm doch alles erklärt! Außerdem war ja wohl vollkommen verständlich, dass die Dampfonoiden des Waaters sich mit der Poiloos des humanen Körpers verwölluzierten! Unweigerliches Fazit aus dieser Tatsache: Quaste trappierte glebbend und vernoglimpfte bei seinem Experiment im Waater und war dabei so groß wie zwei Marmo-Drattel einer Gnarga-Zecke.
Verständlicher und ohne wissenschaftliches Kauderwelsch (oder auch „so, wie man es Toutou leider nicht erklärte“): Quaste änderte seinen Aggregat-Zustand von fest in „blubbbar“ (was natürlich nicht dasselbe wie „flüssig“ ist), verkleinerte sich selbst auf die ungefähre Größe eines Maikäfers und befand sich nun im Wasser. Er wurde sozusagen ein Teil davon. Ein Teil durchsichtige, menschliche Flüssigkeit in einem Glas.
In dem Glas, das auf dem Tischchen im Quaquarien-Theater stand. Und warum stand es dort? Genau, weil Toutou Quastes Anweisungen und Erklärungen missachtet und es auf der hektischen Suche nach Requisiten dort platziert hatte.
Dabei war die Verblubbbarung eines Menschen zugleich Triumph sowie unschätzbar wertvolle Neuentdeckung für die Forschung! All die Möglichkeiten, die sich damit offenbarten!
Leider war die Verblubbbarung auch mit Risiken verbunden. Deshalb auch der vermeintlich sichere Test im Glas.
Würde – laut Quastes These - der menschliche Organismus in verblubbtem Zustand auf anderes, festes, menschliches Gewebe treffen, so wäre eine ansonsten nach einem bestimmten Zeitraum automatisch einsetzende Rückbildung unmöglich und der verblubbte Mensch wurde Wasser.
Und so war Professor Dr. Dr. Dr. Dr. Quastes Ende nahe. Genau genommen trippelte es mit in Seidenstrumpfhosen gequetschten Beinen auf ihn zu.
„Latella, so kapieret doch! Mein Innerstes war einst wie dieses Glas... Voller erquickendem Inhalt. Doch dann“, er machte eine unglaublich dramatische Pause und setzte das Glas an die Lippen, „leerte man es mit wenigen Zügen.“
Toutou trank.
Und Quaste endete. Als Wasser aus einem Glas.
Beitrag 3
Autor: Mirou
Die Polster waren verstaubt und abgesessen. Das ehemals so prunkvolle, dunkle Rot war zu einem verwaschenen Hellrot ausgebleicht. Staub wirbelte in der Luft umher, die Sonnenstrahlen, die vereinzelnd durch die Löcher im Dach fielen, ließen das Schauspiel sichtbar werden, wie ein Spot strahlten sie die tanzenden Körnchen an.
Dieser Tanz war seit langem das Einzige, was hätte auf Programm stehen können, doch dieses war vor einer halben Ewigkeit eingestellt worden.
Die fleckigen Holzbretter knarrten und ächzten, und an einigen Stellen waren sie schon so morsch, dass sie bei jeder kleinen Belastung nachgegeben hätten.
Der goldene, schwere Vorhang ließ sich nicht mehr ganz bis zur Seite ziehen, da die Kurbel vernachlässigt und somit gerostet war.
Unheimliche Stille hüllte den Raum ein, den einst viele schaulustige Leute gefüllt hatten, die Augen auf die höhergelegene Bühne gerichtet, gespannt wartend, was für eine Handlung sie diesmal erwartete. Nach einem unterhaltsamen Abend waren sie in Scharen ins Foyer geströmt, hatten Sekt und Gebäck genossen, und hatten später, leicht angetrunken, den Weg durch die Nacht gesucht.
Diese Zeiten waren vorbei.
Das einzige was von ihnen übrig geblieben war, war dieser heruntergekommene Raum, die vielen, zerschlissenen Kostüme im Fundus und die vom Sonnenlicht ausgeblichenen Plakate der letzten geplanten Vorstellung.
"Wasser aus einem Glas" liesen die Lettern verlauten. Und wer nicht nur flüchtig hinsah, sondern seine Augen anstrengte, konnte auch noch erfassen, von was dieses Stück gehandelt hatte.
"Der Wasservorrat der Erde neigt sich dem Ende zu. Wissenschaftlern gelingt es nach harter Forschung, einen Ersatztrank künstlich herzustellen: Júrpvokahrium. Doch um für genügend Vorrat zu sorgen, brauchen sie reines, unverschmutzes Wasser aus einem Glas. Erst, wenn sie diese bestimmte Menge des kostbaren Guts haben, könnte es ihnen gelingen, die Zukunft des Menschen zu sichern. Doch die Menschheit ist misstrauisch, niemand will das wertvolle Nass teilen und ein Risiko eingehen. Es kommt zu Aufständen, Verrat und Mord."
Ein ganzer Stapel solcher Blätter liegt noch im Tátron, vergessen und von der Zeit verunstaltet.
Morgen würden sie den Flammen als Nahrung dienen. In warmen Tönen würden die heißen Zungen am Papier lecken und nur noch feine Asche übrig lassen. Asche, die vom Winde verweht würde. Und auf die klaffende Wunde würde ein Einkauszentrum gebaut werden. Arvekuýt - ein Zentrum für Kunst und Kultur.
Beitrag 4
Autor: Sangre Myror
„Meine Damen und Herren, liebe Kinder“, beginnt Robert und vollführt einen großen Halbkreis. Seine Schritte sind gewählt und äußerst elegant.
„Willkommen in meiner heutigen Vorstellung! Dieser Abend wird für sie gewiss“ - der schwarze Frack hebt sich leicht, wabernder Nebel färbt die Szenerie gräulich. Robert nimmt seinen Zylinder ab - „unvergesslich sein!“
Er hat lange mit dem Gedanken gespielt, an dieser Stelle eine weiße Taube oder einen Strauß Blumen aus dem Zylinder zu ziehen, doch das erscheint ihm zu altmodisch. Nicht mehr originell. Stattdessen setzt er den Zylinder wieder auf, fest in dem Glauben, dass sich allerhand Zuschauer sich nun auf ihn konzentrieren würden. Der perfekte Moment, um eine Taube aus seinem rechten Frackärmel davonfliegen zu lassen. Der Vogel verschwindet im Nebel, war nur für wenige Augenblicke sichtbar.
„Für mein erstes Kunststück benötige ich einen Freiwilligen“, fährt Robert mit erhobener Stimme fort. „Wie wäre es … mit Ihnen?“
Seine weiß behandschuhte Hand deutet wahllos ins Dunkel, wo Robert das Publikum vermutet. Jemand betritt mit lautem Schuhwerk die Bühne. „Ah, wunderbar, Darf ich Sie nach Ihrem Namen fragen?“
Der Freiwillige stellt sich als John vor.
„Großartig, John. Dürfte ich Sie nun bitten, dieses Glas mit Tafelwasser“ - Robert tritt zu einem schmalen Tisch, auf dem besagtes Glas steht - „mit einer Hand hochzuheben, sodass jedermann es in Augenschein nehmen kann?“
John befolgt Roberts Anweisungen wortlos. Der Magier bedankt sich und bittet ihn nun, das Glas umzudrehen – selbstverständlich wechselt das Wasser seinen Platz und bildet eine kleine Pfütze auf dem Parkett.
„Na hoppla“, bemerkt Robert in gespielter Überraschung. „Denken Sie, dass ich, der große Magier Robert Devon, jene Lache zurück in das Glas befördern kann – natürlich ohne jegliche Hilfsmittel?“
„Ehrlich gesagt glaube ich das nicht, Mr. Devon.“
„Was ... was fällt Ihnen ein?“ Wahre Entrüstung zeigt sich auf dem Gesicht des Magiers.
„Mr. Devon, Sie haben mich engagiert, um Ihre ... sagen wir, „Arbeitsfähigkeit“ einzuschätzen. Als erfahrener Forscher und Arzt muss ich Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Demenzerscheinungen ein weiteres Auftreten auf der Bühne unmöglich machen. Zudem ist eine weitere Leugnung Ihres grauen Stars zwecklos, Sie haben nicht einmal bemerkt, dass ich das Glas nicht umgedreht habe und das Wasser immer noch darin ist.“
John gibt das volle Wasserglas mit schwerer Miene an Robert zurück. „Und mit siebzig Jahren sollten Sie das Bühnenzaubern aufgeben, Mr. Devon. Ihrer Gesundheit zuliebe.“
„Aber...“, murmelt der Magier mit der Stimme eines überzeugten Mannes, „das Wasser ist nun wieder im Glas, ich war das. Das ist der Trick!“
Sein Gegenüber seufzt leise und fühlt Mitleid für den alten Magier in sich aufkeimen. „Mr. Devon. Es ist kein Trick, sich einzubilden, jemand würde ein Glas umdrehen und Sie würden das Wasser jedes Mal zurückbefördern – wobei Sie sich leider nicht mehr erinnern können, wie Sie das geschafft haben. Und wenn Sie ehrlich sind, wissen Sie mittlerweile auch nicht mehr, wie ich heiße. Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, dass Sie nicht mehr im Vollbesitz Ihrer Kräfte sind. Bitte, tun Sie sich selbst den Gefallen und … vergessen Ihr Vorhaben, jemals wieder auf eine Bühne zurückzukehren.“
Mit diesen Worten verlässt der Wissenschaftler das Wohnzimmer des Robert Devon, dem größten Magier aller Zeiten.
Tag der Veröffentlichung: 24.02.2013
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