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Grauen aus der Tiefe


Hier findet ihr drei kleine Texte zum vorgegebenen Thema "Grauen aus der Tiefe".

Erschwert wurde dieser Wettbewerb durch die Vorgabe, dass nichts Nasses vorkommen durfte (wobei die Diskussion darüber, was nun als "nass" oder nur als "feucht" zählt, für sich selbst genommen schon interessant war).

Davon abgesehen musste nur mindestens eine der folgenden Wahlvorgaben erfüllt werden:

1) Der Text darf kein Gedicht sein, muss jedoch mindestens 8 Zeilen Gedicht enthalten.

2) Im Text müssen die Wörter "Kaktus" und "Schneemann" und die Zahl "27" vorkommen.

3) Der Text steckt voller Klischees.

Daraus entstanden die drei Geschichten

Schneeengel

Ich hasse dich

Die Schatten

Die BUG-Autoren wünschen viel Freude beim Lesen und würden sich freuen, wenn du durch diese Vorgaben inspiriert wirst, eine eigene Geschichte zu schreiben. Gerne schauen wir sie uns an.

Mirou: Schneeengel

Ich lag da, den Blick in den Himmel gerichtet, Schneeflocken im Haar. Über mir die gespenstischen Äste eines Baumes, der seine dürren Zweige zum Mond streckte.

Atem stieg als Nebel auf und mit jedem weiteren Zug wurde meine Lunge mit der eisigen Luft gefüllt. Ich versuchte ein passendes Bild zu finden. Als erstes fielen mir die Stacheln eines Kaktusses ein, die wie feine Nadeln pieksten. Es war kein gelungener Vergleich und ich schmunzelte darüber.

Das Lächeln auf meinen Lippen gefror allmählich.

Der Schnee hatte sich meinem Körper angepasst, hatte sich an mich geschmiegt.

Mittlerweile war sogar eine dünne Decke entstanden, die mich überzog. Mein Kopf war zu schwer, als dass ich ihn hätte heben können, um die skurilen Formen der Flocken zu betrachten. Die Kristalle, jeder einzigartig und wunderschön.

Sie schmolzen nicht mehr so schnell, wenn sie auf meine, schon erkaltete, Gesichtsfläche fielen.

Ich zerstörte ihn nicht mehr. Viel eher zerstörte er mich.

Langsam war aus dem Spiel des Windes mit dem wirbelnden Weiß ein Kampf geworden. Nicht untereinander. Nein, sie hatten sich verbündet. Gegen mich.

Hatten mich gefesselt, in den Bann gezogen und mich die Zeit vergessen lassen.

Die Wärme und die Freude, die sie in meinem Herzen entfacht hatten, gaukelten mir vor, nicht zu frieren. Stattdessen schien es gemütlich. Ich wurde müde.

Die Starre überfiel mich. Das Grauen stieg aus der Tiefe auf und drückte meine Glieder in den Schnee. Und ich konnte nur noch die fallenden Flocken betrachten. Weitere 27 Exemplare zählte ich, dann wurden meine Lider schwer und fielen zu.

Nun wurden auch sie zugedeckt.

Die Zeit verstrich.

***

Das Mädchen wurde heute Morgen aufgefunden. Erfroren lag es dort, neben einem herrschaftlichen Schneemann. Ein Lächeln auf den blauen Lippen.

Die Arme und Beine von sich gestreckt.

Wunderschön und zauberhaft.

Tot und kalt.

Ein Schneeengel.

Fînjaa: Ich hasse dich

Ich hasse dich.

Ich hasse deine Art, einfach immer da zu sein. Du verschwindest nie, egal, was ich versuche. Jeden Tag laufe ich durch die Wohnung –

Ich
jage dich.
Ich fange dich.
Ich
freue mich.
Doch dich
hält man so nicht.

Denn du entwischst mir jedes Mal auf unerklärliche Weise, um dich am nächsten Tag wieder jagen zu lassen.

Am Staubwedel klebst du vorzugsweise im Duett mit Spinnenweben.

Im Staubwischlappen manifestierst du dich als dunkelgrauer, feuchter Fleck.

Den Staubsauger füllst du mit Wollmäusen.

 

Es spielt keine Rolle, wo du bist. Du störst.

Normalerweise gehöre ich nicht zu der Art Menschen, die in jedem Satz Beleidigungen verwenden. Doch bei dir muss ich einfach eine Ausnahme machen. Nicht nur, weil Ausnahmen die Regel bestätigen, sondern weil es die Wahrheit ist.

Du bist wie ein Monster. Ein graues, haftendes Monster aus den Tiefen von Teppichboden und Schubladen.

 

Du bist Staub. Und du nervst.

Sangre Myror: Die Schatten

Auf meinem Fensterbrett steht neben dem Kaktus mit den kleinen rosa Blüten eine Schneekugel, die Vater mir einst aus Schottland mitgebracht hat – vermutlich hat ihn der Geiz der Schotten angesteckt, sonst hätte er mir etwas Tolleres mitgebracht. Irgendein Kitsch eben, mit einem schottischen Schloss und einem sehr kleinen Schneemann darin, der zwar einen Zylinder, aber keine Karotte mehr hat. Wenn ich die Kugel schüttele, erhalte ich in etwa das Schneegestöber, das vor dem Fenster um diese Jahreszeit toben sollte, was allerdings nicht der Fall ist. Mein Blick fällt auf die Straße, wo eine blonde Frau einzuparken versucht und den Familienvan der Nachbarn rammt. Eine Alarmanlage heult auf, Hunde bellen, der ostdeutsche Nachbar stürmt im Unterhemd und weißen Socken in Sandalen auf die Straße und zetert wild herum. Die Blonde steigt verwirrt aus und beginnt sich mit dem Nachbarn zu streiten, während hinter ihnen ein Mann – wahrscheinlich Pole – in das Auto der Blondine steigt und losbraust. Vor der Dönerbude hält er jedoch an und schmeißt die überfüllte Handtasche aus dem Wagen. Ein Türke, der sich zuvor lauthals mit einem anderen Türken unterhalten hat, hebt sie auf und lernt den kleinen Chihuahua kennen, der in der Handtasche sitzt. Als er ihn mit in sein Geschäft nimmt, frage ich mich, ob er ihn wohl zu Dönerfleisch verarbeiten will, als mir einfällt, dass die Chinesen Hunde essen, nicht die Türken.

»Marie?«, ruft Mutter, ich verlasse meinen Posten am Fensterbrett und eile ins Wohnzimmer. Vater stellt gerade den Weihnachtsbaum in den Ständer. Es nadelt.

»Schatz, holst du bitte die Christbaumkugeln herauf?«, fragt Mutter.

Ich nicke, mache kehrt und verlasse die Wohnungstür, um die 27 Stufen in den Keller zu laufen.

Auf der untersten Stufe bleibe ich stehen und starre ins Dunkel. Die Luft des Wäschetrockners schlägt mir entgegen – ich liebe diesen Geruch. Er ist das einzig Schöne am Keller. Hier unten fürchtet sich doch jeder Mensch, oder? Oder bin ich die Einzige? - Ein kleiner Angsthase, der gerade ganz schnell nach dem Lichtschalter tastet. Das Licht der Neonröhren erglimmt Stück für Stück. Neben dem Kesselraum und der Waschküche liegen hier auch die einzelnen Kellerräume für die einzelnen Familien des Hauses. Unserer liegt ganz am Ende des Ganges. Dass meine Füße nahezu über den Boden fliegen erscheint mir lächerlich, aber mich sieht hier unten ja keiner. Zum Glück. Als ich nach der Türklinke unseres Kellerraumes greife, erlischt das Licht.

Einige Sekunden lang stehe ich in völliger Dunkelheit und bin wie gelähmt. Aus den Ecken schleichen die dunkelsten Schatten heran, nähern sich mit einem Hauch von Kälte umgeben und stellen jedes einzelne Härchen an meinem Körper auf. Doch nur wenige Meter hinter mir ist die Kellertür, durch die sanftes Licht in die Tiefe dringt – schnell hin! Und ich renne. Die kleinen Hände greifen weiterhin nach mir, versuchen mich zurückzuhalten und machen mein Herz ganz schwer. Doch als ich die Kellertür erreiche, lassen ihre Griffe nach. Ich will aufatmen und wieder nach oben in die Wohnung, als ich mich entsinne, warum ich eigentlich hier bin - die blöden Christbaumkugeln. Ich muss noch einmal zurück, verdammt.

Der Lichtschalter reagiert nicht auf meine Berührung, es bleibt dunkel. Soll ich nicht lieber umkehren? Vater das Licht reparieren lassen? - Und mich gleichzeitig von meinem großen Bruder Leon auslachen lassen? Niemals!

Entschlossen gehe ich Schritt für Schritt weiter in die Dunkelheit. Unbewusst beginne ich zu singen. »Kleine Schatten in der Nacht; was hat euch hergebracht? Angelockt von der Dunkelheit bleiben sie für lange Zeit; bis ein Opfer ihr Reich betritt und die Angst bringt mit. Und nur das Licht kann euch vertreiben - ohne sollte man euch meideeeen ~«

Der Text des Liedes passt so sehr zu meiner Situation, dass ich gar nicht bemerke, wie es meine Furcht vergrößert. Doch schließlich: Die rettende Klinke.

Zum Glück ist nicht abgeschlossen, in der Dunkelheit würde ich sicherlich eine Ewigkeit brauchen, um das Schlüsselloch zu treffen – außerdem würde ich vorher vor Angst sterben. In unserem Kellerraum funktioniert das Licht ebenfalls nicht, aber zumindest hat es ein kleines vergittertes Fenster, durch nicht nur Helligkeit sondern auch das Gezetere des Nachbarn mit der Blondine hereindringt. Die Kiste mit den rot glänzenden Christbaumkugeln steht zur Linken auf Hüfthöhe und ist Gott sei Dank nicht so schwer, dass ich den Keller nicht rennend verlassen könnte. Ich stemme die Kiste hoch, verlasse unseren Kellerraum und schließe die Tür mit dem Ellenbogen. Bevor die Schatten mich bemerken können, setze ich einen Fuß vor den anderen und beginne zu laufen, doch auf der Hälfte des Weges stellen mir die Schatten ein Bein. Noch im Flug fluche ich. Es scheppert grauenvoll und ich schmecke Blut. Einige Sekunden lang bleibe ich mit höllisch schmerzenden Armen im Kellergang liegen. Die Schatten kichern. Nach einigen Sekunden der Starre kracht über mir die Wohnungstür und Schritte kommen die 27 Stufen herunter.

»Marie?«, ruft mein Vater, ich stöhne zur Antwort. Schon ist er in der Tür und tastet nach dem Schalter.

Das Licht geht an. Natürlich, ausgerechnet jetzt muss es wieder funktionieren.

Ich hebe meinen Kopf und sehe den Karton voller Scherben vor mir. Vater beugt sich zu mir runter: »Was machst du den für Sachen!? Im Dunkeln in den Keller! Das ist doch dumm!«

Ich richte mich halbwegs auf und wische mir mit dem Blusenärmel das Blut von der Zunge, auf die ich mir während des Sturzes gebissen habe.

Ein letztes Mal höre ich das Kichern der Schatten, dann richtet Vater mich ganz auf und hilft mir dabei, die überlebenden Kugeln aus dem Karton nach oben zu bringen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 04.01.2013

Alle Rechte vorbehalten

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