Der Anfang war die WM2014. Der erste Anstoß durch einen Querschnittsgelähmten. Pablo stoß den Ball nicht nur mit seinem Exoskelett an. Er fühlte den Ball auch. Doch die Sensation blieb aus, denn Pablo sah nicht so heroisch aus wie die überstarken Cyborgs, wie man sie aus den Sci-Fi Filmen kennt. Schwach und zerbrechlich hing er in seiner Roboterrüstung und die Welt folgte nicht der Sensation, sondern dem Ball, gänzlich ohne zu verstehen was sie hier eigentlich gesehen hat. Signale, die ein Gehirn an etwas Mechanisches geschickt hat und mechanische Signale, die ein Gehirn empfangen hat. Keiner verstand die Tragweite des Anstoßes.
Das ist nun 20 Jahre her. Gehirn zu Maschine-Kommunikation ist der Standard. Das Licht im Zimmer schaltet man nicht mehr mit dem Sprachbefehl an. Man denkt sich das Licht dazu und es geht an. Ein Wecker klingelt nicht mehr. Er lässt uns fühlen, dass es Zeit ist aufzustehen. Doch das sind bereits alte Spielereien. Die Gehirn-zu-Gehirn-Kommunikation ist der neue Markt. Wollten Sie schon mal wissen, wie es ist ein Rockstar zu sein und in einem überfüllten Stadion bejubelt zu werden? Für nur 700€ können Sie sich die Sinneseindrücke von der Legende James Hetfield direkt in ihr eigenes Gehirn streamen. Sehen was er sieht. Spüren, was er spürt. Mittendrin statt nur dabei. Es ist die Zeit der Streamer. Doch glauben Sie mir, das Leben der Prominenten ist nicht unbedingt das aufregendste. Schon mal mit einem Wingsuit geflogen? Sie können den Krieg als Infanterist live und sicher von zu Hause aus erleben. Die letzten Sekunden eines Soldatenlebens, den Tod selbst. Mehr Spannung geht nicht. Aber vielleicht wollen Sie auch einfach die Perspektive des anderen Geschlechtes einnehmen? Eine Nacht als Frau, die andere als Mann? Ich urteile nicht! Heute ist das alles möglich und was möglich ist, wird gemacht.
Doch während alle sich der Unterhaltung widmen, bin ich bereits einen Schritt weiter. Wer ich bin? Jemand der die Zeichen der Zeit erkannt hat. Mein Leben ist nicht aufregend genug um mit Streaming Geld zu verdienen, doch glauben Sie mir ich habe ein anderes Talent, das mich bald sehr reich machen wird.
„90.000 €? Im Ernst? Ich bin das letzte Element, das diese Firma noch zusammenhält. Ich warte seit 2 Jahren auf eine richtige Gehaltserhöhung und werde hingehalten. Ich will 112.000 € “
„Herr Schloot, das ist ein riesiger Sprung. Ich kann Ihnen 95.000 anbieten“
„Die Firma hat wegen meiner Erfindung den größten Sprung seit Jahren gemacht. 112.000.“
„Sie stellen die Abteilung vor finanzielle Probleme Herr Schloot. 98.000 wäre noch möglich.“
„Ich allein habe die Firma vor finanziellen Problemen gerettet. 112.000“
„105.000€, Herr Schloot.“
„Ich denke Sie verstehen nicht, wer hier von wem abhängig ist. 112.000“
„107.000 Das ist mein letztes Angebot.“
„Letztes Angebot? Hier ist mein letztes Angebot. Meine Kündigung. Bereits unterschrieben.“
„Nun gut Herr Schloot. 112.000 € Packen Sie bitte die Kündigung weg.“
Unglaublich der Herr Schloot. So ein Genie und doch null Talent zum Verhandeln. Es gibt eben Dinge, die manche Menschen einfach nicht können. Hier springe ich ein. Nächste Woche habe ich bereits den zweiten Kunden. Ich werde mich von seiner Frau scheiden lassen. Ich werde einer schönen Frau sagen müssen, dass ich sie betrogen habe. Ich werde ihr die Wahrheit sagen und dennoch lügen.
Texte: Daniel Fritzler
Cover: Jeremy Beadle, Unsplash.com
Tag der Veröffentlichung: 07.08.2018
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