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1. Kapitel - Alles auf Anfang


Eine Frau mit tiefroten Haaren, deren Ansatz jedoch schon wieder schwarz wurden, stand an dem hölzernen Pult und hielt eine Ansprache.
Die Sonne strahlte über den ganzen Platz, ließ jeden einzelnen Stein glitzern.
Die blauen Augen der Frau funkelten durch die paar Tränen die sie hervor gezwungen hatte. Vielleicht täuschten die falschen Tränen die trauernden Menschen, aber nicht die blonde junge Frau in der ersten Reihe, die als Einzigste noch stark geblieben war.
Langsam kam die Sprecherin zum Ende, tupfte sich mit einem Taschentuch das feuchte Gesicht trocken und ging die drei Stufen hinunter.
In der zweiten Reihe blieb sie stehen, und fragte ob noch jemand etwas sagen wollte. Niemand stand auf.
Wenn man die Menschen dort so ansah, hätte man vermuten können, sie würden weder Trauer noch Verlassenheit verspüren, als würde er ihnen nicht fehlen.
Plötzlich bewegte sich etwas in der ersten Reihe. Die junge Frau mit den blonden Haaren trat vor, den Kopf gesenkt und stellte sich vor das Pult.
Kalter Wind fegte über die Menschenmenge, doch sie blieb unberührt stehen.
Langsam hob sich ihr Blick und man sah in grüne Augen die in einem fahlen Gesicht verborgen waren.
Sie schluckte, es war ihr sichtlich unwohl vor so vielen Menschen zu stehen.
Sie öffnete den Mund, doch nicht ein Ton kam heraus. Ein letztes Mal schloss sie die Augen, atmete ein Mal tief durch und fing an zu sprechen.
„Wenn ich ehrlich bin, ich weiß nicht was ich noch sagen soll“, ihre melodische Stimme hallte über den hell erstrahlenden Friedhof. „Und dabei möchte ich etwas sagen. Ist es nicht meine Pflicht?! Ich sollte irgendwas erzählen, irgendwas das ihr nicht wisst. Doch er war ein offenes Buch für euch.“ Sie sah auf ihre linke Hand und spielte mit dem kleinen Diamantring.
Eine Stimme aus der letzten Reihe erklang.
„Erzähl uns eure Geschichte. Wie habt ihr euch kennen gelernt. Wie habt ihr euch in einander verliebt. Was war das Letzte das er zu dir sagte. Alles, von Anfang an.“
Ein kleines Lächeln stahl sich auf das Gesicht der Frau, als sie an früher dachte.
„Ich weiß nicht. Das interessiert doch niemanden“, sprach sie zu der alten Frau mit weißem Haar.
„Mich schon. Wen es langweilt kann ja gerne gehen, aber ich möchte es hören. Vielleicht lockert es ein wenig die Stimmung.“
„Das könnte aber ein Weilchen dauern.“
Sie sah in die Ferne und sofort sah sie die Bilder des vergangenen Jahres.




Ich war gerade 19 geworden. Und, ich will jetzt nicht eingebildet klingen, aber ich sah wirklich gut aus. Ich meine, lange blonde Haare, funkelnd smaragdgrüne Augen sind schon nicht zu verachten, doch ich hatte noch nie eine Chance gegen meinte beste Freundin Claire.
Rote Haare, eine Figur wie ein Model und beneidenswerte blaue Augen.
Ich kannte nicht einen Typ der nicht auf sie stand.
Aber ich schweife ab, wir waren in dieser Bar am Ende der Stadt.
L.A. war heute besonders belebt und ihr könnt euch sicher vorstellen, wie warm es in diesem Laden war. Überall schwitzende Menschen die sich aneinander rieben und Speichel austauschten. Einfach nur widerlich. Nicht zu vergleichen mit den alten Männern die einen ausversehen an die Titten grabschten oder komische Geräusche von sich gaben wenn ein Mädchen in kurzem Kleidchen vor ihnen tanzte.
Am schlimmsten waren aber wohl die, die total besoffen in ihrem eigenen Erbrochenem lagen und schliefen.
Trotz dieses miesen Anblicks, schien sich hier jeder zu amüsieren. Jeder, bis auf mir. Ich amüsierte mich überhaupt nicht.
Ich wollte so schnell es ging wieder verschwinden, raus in die kalte, klare Nachtluft. Einmal tief ein- und ausatmen.
Doch erstens würde es zehn Minuten dauern um durch diese Massen von Menschen zu kommen und zweitens feierten wir hier meinen Geburtstag. Ich meine natürlich wir feierten ihn nach, weil an meinem eigentlichen Geburtstag Claire zur Maniküre müsste und sie sich danach auf keinen Fall die Finger schmutzig machen wollte. Das war vor 2 Wochen.
Bisher hatte sie leider nicht die Zeit gefunden, dass nachzuholen. Erst nachdem ich sie angefleht habe, sagte sie endlich ja. Nur das wir nicht alleine hier waren, so wie es eigentlich geplant war, sondern das sie noch fünf andere mitgebracht hatte, die ich nicht mal mit Namen kenne. So falls ihr jetzt denkt, dass war schon krass kommt jetzt der Trumpf, sie hatte den anderen fünf gesagt ich würde alle Getränke heute Abend bezahlen.
Wir waren seit einer Stunde hier, bisher musste ich schon 200 Dollar hinblättern. Keine Ahnung warum ich das hier tat.
Okay, weiter im Text, irgendwann huschte mein Blick zufällig zu dem Mann auf der anderen Seite der Theke. Sein Gesicht war starr auf Claire gerichtet. Das bemerkte nicht nur ich, sondern auch sie. Ihr Tanzen verklang und sie ging zu ihm herüber.
Ich seufzte theatralisch. Der nächste Affe der in ihrem Bett landen würde, dachte ich.
Claire lächelte ihn verführerisch an, doch irgendwie schien er nicht zu reagieren.
Sie verstärkte ihren Flirtversuch. Nichts, er ließ sie abblitzen.
Ich hätte am liebsten Applaudiert. Ich meinem ganzen Leben hatte ich das noch nie erlebt.

Empört stieß die rothaarige Frau einen Schrei aus.
„Das stimmt ja wohl überhaupt nicht. Er hat mich nicht abblitzen lassen. Ich hab ihm einen Korb gegeben, weil er mir sagte, er suche eine Beziehung und keine Nutte. Ich meine, nicht das ich eine Nutte bin, aber…. Er wollte keinen One Night Stand und deshalb bin ich gegangen. Tut mir leid, dass ich nicht so eine Langweilerin bin, wie du Jane, aber wenn du die Geschichte erzählst, dann bitte richtig.“ Claire lief über das Gras und verließ die Feier.
„Er wollte nur nicht mit dir in die Kiste, weil er deinen Charakter nicht mochte. Genauso wenig wie deine falsche Art“, sagte die Blonde und fuhr ungerührt vor.

Ich hielt mich gerade noch so zurück. Claire ging auf mich zu. Ich fälschte ein Lächeln.
„Jane, komm tanz mit uns. Du sitzt hier wie ein Loser rum. Ich meine wir feiern hier wegen dir.“ Ich bin dir doch eigentlich vollkommen egal, Claire, sag es doch einfach. Du bist nur hier, weil die Drinks gratis sind.
„Nein, danke. Feiert ihr ruhig weiter. Mir geht’s super.“ Sie ging. Wisst ihr, ich dachte dass sie wenigstens noch mal fragt.
Ich beugte mich ein wenig über die Theke und winkte den Barkeeper heran.
Er schenkte mir einen etwas perversen Blick, doch als ich nur nach einem Stift fragte ließ er von mir ab und widmete sich wieder seiner Arbeit.
Ich schrieb in Schreibschrift ein Danke auf einen Bieruntersetzer und sagte dem Barmann er solle dem Fremden ein halbes Bier und den Untersetzer bringen, sollte aber nicht erwähnen dass die Sachen von mir kamen. Er tat genau das, was ich ihm sagte.
Er, dieser Fremde, mein Held, er schob das Bier beiseite und nahm gleich den Untersetzer.
Da sah ich ihn das erste Mal lächeln.
Ich senkte den Blick, damit er ja nicht bemerkte, dass er wegen mir lächelte.
Plötzlich merkte ich etwas Warmes, Nasses an meinem Hintern. Mein Kopf schnallte nach hinten.
Ein ziemlich dichter Mann ende 40 stand hinter mir und flüsterte mir ins Ohr wie geil ich doch sei. Ich schubste ihn von mir weg und stand auf. Doch seine Hand hatte sich um mein Handgelenk verkrampft und er zog mich an seinen dicken Bierbauch.
Sein graues Unterhemd war von seinem Schweiß ganz nass und er roch als hätte er sieben Monate nicht mehr geduscht.
Mit seiner freien Hand fuhr er sich durch das ölig braune Haar. Dann schob er die Hand in seine Hosentasche. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was er sich ausmalte.
Ich versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, doch er war viel stärker als ich.
Ich hörte einen kurzen Moment auf zu zappeln, holte tief Luft und klatschte ihm eine. Das Geräusch hallte durch den ganzen Raum, doch die laute Musik, die aus den sechs Lautsprechern drang, übertönte alles.
Er stand einfach unberührt da, als wäre nichts passiert.
Langsam zog er seine Hand aus der Tasche und legte sie mir auf den Arsch. Sein Gesicht kam meinem Ohr immer näher bis er: „Du machst mich echt so unglaublich geil“, flüsterte.
Ich hätte mich am liebsten sofort übergeben.
Ich überlegte mir eine neue Strategie, denn langsam ging mir dieser Sack echt auf die Nerven.
Keine Minute später bohrte sich mein 10 Zentimeter Absatz in seinen Fuß und er schrie auf, vergas für einen Moment mich festzuhalten.
Ich lief, ich lief so schnell ich in den Schuhen laufen konnte. Doch lange dauerte es nicht, bis er mich eingeholt hatte.
Wir standen jetzt in der Ecke genau neben dem Eingang. Bemerken tat uns jedoch niemand.
„Lass mich gefälligst in Ruhe“, schrie ich. Sein Blick musterte meinen Ausschnitt. Ich konnte mich einfach nicht zurück halten, ich spuckte ihm ins Gesicht.
Das Nächste das ich mitbekam, war wie seine Hand hochschnellte und ein höllischer Schmerz meine Wange durchfuhr.
Tränen traten mir in die geschlossenen Augen, als sich plötzlich der Griff um mein Handgelenk abermals lockerte und ich ein lautes Krachen hörte.
Ich öffnete schlagartig die Augen und sah den Mann, der Claire die Abfuhr erteilt hatte, wie er den perversen am Kragen gegen eine Wand drückte.
„Du lässt sie in Frieden! Verstehen wir uns?! Du wirst weder sie noch irgendeine andere wieder so behandeln ist das klar. Sehe ich dich noch einmal hier, dann wirst du mehr als ein blaues Auge davon tragen.“
Der Grabscher nickte ängstlich und rann so schnell er konnte aus der Bar, nachdem der Fremde ihn losließ.
Keine Ahnung, warum ich es tat, vielleicht weil ich unter Schock stand, oder weil ich Angst hatte er würde zurückkommen.
In schnellen Schritten ging ich zu ihm herüber, legte die Arme um seinen Hals und flüsterte: „Danke.“ Ich schätze, mehr brachte ich in diesem Moment einfach nicht raus.
Er sagte nichts, legte ganz sanft die Arme auf meinen Rücken, bis ich mich von ihm löste.
„Tschuldige. Ich… ich…“, murmelte ich, senkte den Blick und ging aus der Bar während mir die Tränen über das Gesicht liefen.
Die Kälte umhüllte mich, während ich durch die Nacht lief. Ohne Plan, ohne Weg, einfach nur weg.
Ich hatte die Arme verschränkt und merkte erst jetzt, dass ich meine Jacke im Club gelassen hatte.
Die Sterne funkelten über mir am Himmel wie tausende Diamanten.
Irgendwann kam ich an einer verwahrlosten Bank vorbei, setze mich darauf und sah zu wie mein Atem in der Kälte kondensierte.
In der Fern hörte ich leise Schritte die näher kamen. Ich bekam Panik, ließ es mir aber nicht anmerken.
„Wenn du weiter so in der Kälte rum sitzt wirst du sicher krank.“ Mein Retter tauchte hinter einem Baum hervor und trat in das Mondlicht. Erst jetzt fiel mir auf, wie gut er aussah.
Ich zuckte mit den Schultern.
Er ließ sich neben mir auf der Bank fallen und band die Schnürsenkel seiner Sneaker auf. Ich runzelte die Stirn und sah zu wie er meine hohen Schuhe gegen seine tauschte. Dann zog er seine Jacke aus und lag sich um meine Schulter und grinste.
Wärme und sein Parfüm umhüllte mich. Ich fühlte mich sicher und geborgen.
Er stand langsam auf, hielt mir die Hand hin und sagte: „Komm ich bring dich nach Hause.“ Ich vertraute ihm. In diesem Augenblick vertraute ich ihm voll und ganz.
„Aber, wirst jetzt nicht du krank?“, fragte ich und sah auf seine wackelnden Zehen.
„Ich bin hart ihm nehmen. Außerdem hab ich Urlaub. Komm jetzt bevor wir erfrieren.“ Ich zog mir die Jacke richtig an und zeigte ihm, wo lang wir gehen mussten.
Den ganzen Weg über, sagte er nichts, sah nur starr auf die Gehweg.
Ich biss mir auf die Lippe bis ich Metall schmeckte. Ich leckte das Blut weg und stieß weißen Rauch durch den Mund.
Wenn ich selbst mit einer dicken Jacke fror, wie würde es dann ihm gehen?
Irgendwann, so etwa drei Minuten vor meiner Wohnung, hielt ich es vor Neugier nicht mehr aus.
„Darf ich dich etwas fragen? Warum sagst du nichts mehr?“.
Er lächelte.
„Ich hab Angst etwas Dummes zu sagen.“ Er sah mich von der Seite an.
Ich errötete leicht.
„Wie heißt du eigentlich“, fragte ich weiter, sah ihn aber weiterhin nicht an.
„John. Und du?“. Seine Stimme klang nervös, dass überraschte mich.
„Jane.“
Wir waren da. In meiner kleinen Tasche suchte ich nach dem einzelnen kleinen Schlüssel und steckte ihn ins Schloss. Es gab ein kleines Klick-Geräusch dann sprang die Glastür auf.
Ich schlüpfte aus den Schuhen und gab ihm die Jacke zurück, er mir meine High Heels.
„Danke. Gute Nacht, John“, sagte ich und wollte schon ins Haus als er mich kurz festhielt, nicht fest sondern locker.
„Werden wir uns wieder sehen?“, fragte er. Ich strahlte ihn an.
„Morgen 12 Uhr, das Cafè an der 5.“.
„Ich freu mich“, sagte er und verschwand in die Richtung aus der wir kamen.
Mein Herz schlug zwei Takte schneller und ich lief so schnell ich konnte in mein Apartment.
Diese Nacht schlief ich besser, als alle Nächte zusammen.


Die Frau namens Jane schluckte. Nervös legte sie ihre blonden Haare auf die rechte Seite und sah auf ihr Publikum.
Sie hatte erwartet, dass sie sie alle gelangweilt anstarrten oder vielleicht sogar eingeschlafen waren, doch die meisten hatten ein kleines Lächeln aufgebracht und gestatteten sich eine einzelne Träne die dann langsam über ihre Gesichter rollerte und auf das Gras fiel.
Alle warteten sie darauf, dass Jane weiter erzählte, doch sie brauchte eine Pause.
Sie schielte auf Johns Bild, welches auf dem weißen Sarg stand, so unberührt, so einsam.
Er lächelte. So wie er es so oft getan hatte.
Seine schwarzen Haare waren glatt nach hinten gekämmt worden.
Das hatte sie gehasst. Er hatte sie immer damit geärgert, mit dieser schrecklichen Frisur.
Man konnte dann nicht mit den Händen dadurch fahren, dass hatte sie geliebt. So oft hatte sie es getan.
Wenn er sie geküsst hatte, waren ihre Hände immer dort. Einmal sogar verfang sich ihr Ring darin und sie mussten ein Stück seines Haares abschneiden.
Er hatte sie gehasst. Natürlich nicht wirklich, nur gespielt.
Tausend Küsse hatte sie ihm geben müssen, bis er sie wieder in den Arm nahm und ihr einen einzelnen Kuss auf die Stirn gab.
Er sagte, wenn ein Mann eine Frau auf die Stirn küsste, war er stolz sie zu haben. Jeden Tag hatte er das gemacht. Jeden Tag.
Sie liebte es.
Sie liebte alles an ihm.
Sie liebte ihn.
Nein, sie liebt ihn, jeden einzelnen Tag, jede Minute, jede Sekunde, für den Rest ihres Lebens.


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Tag der Veröffentlichung: 10.10.2012

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