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Kapitel 1

Widerwillen schwingt in jedem Schritt mit.

Gelassen kotzt sie auf den asphaltieren Weg.

 

Es wird rot.

In Träumen überquert sie die Straße.

Autoreifen quietschen. Es riecht nach verbranntem Gummi. Gehupe. Eine alte Frau brüllt aus der Beifahrerseite durchs geöffnete Fenster etwas undefinierbares.

 

 

Und dann ist auch das wieder vorbei.

 

Im neuen Supermarkt lässt sie ein paar Flaschen Wodka mitgehen.

Nicht weil sie sie sich nicht leisten könnte, nein.

 

Die neuen Security stehen wie abgestellt am Ausgang. Alles Attrappe...

 

 

Ein Lachflash zwingt sie zu Boden.

Sie keucht.

Noch während sie sich die Tränen aus den Augen wischt spürt sie Wut aufsteigen.

 

Das ist doch ihr Freund. Er steigt zusammen mit einer jungen blonden Frau aus einem Auto aus. Arm in Arm, lachend.

 

Schon fangen ihre Gedanken an sich zu kreisen, tiefer zu bohren. Sie spürt Angst aufsteigen. Panische Angst verlassen zu werden. Betrogen zu werden. Aber die Wut überdeckt all das. Diese macht sie handlungsfähig, nimmt ihr das Gefühl von Ohnmacht. Innerhalb Sekunden tauchen Szenen ihrer Kindheit auf. Unerträgliche Szenen. Und das bedrohliche Gefühl verlassen zu werden.

 

 

Ihr Kopf schaltet sich aus. Sie spürt noch diese rasende Wut die sich ihr vollständig einzuverleiben scheint. Sie ist außer Kontrolle..

 

„diese Frau will sie töten,

diese Frau muss sie töten!“

 

Filmriss-....

 

 

Auf dem Dach eines renovierbedürftigen Hochhauses kommt sie wieder zu sich.

Sie hat sich Glasscherben in die Haut gebohrt. Wunden klaffen bis aufs Fleisch. Überall ist unglaublich viel Blut.

Schmerzen fühlt sie keine.

Nur die Menge an Blut lässt sie kurz entsetzen. "So viel Blut" flüstert sie...

 

Sie sieht sich wieder von außen. Alles erscheint so unwirklich.

 

 

Sie weint. Sie fühlt sich einsam. Es ist als würde sie von innen heraus zerrissen werden. Gleichzeitig fühlt sie ohnmächtige Leere die sie packt und die Glasscherben weiter und tiefer durch die Haut ziehen lässt.

 

Immer noch keine Schmerzen.

 

Sie schwankt an den Rand des Daches. Durch den Blutverlust geschwächt beginnt sie in sich einzusacken. Unten sieht sie Menschen die auf sie zeigen, johlen und pfeifen.

Plötzlich knickt ihr ein Bein weg, sie verliert das Gleichgewicht und stürzt kopfüber vom Hochhausdach…

 

Leben ist Licht.

Kaum war sie in der Luft traf sie die Prophezeiung als hätte jemand mit einem Vorschlaghammer auf ihren Kopf geschlagen. Sie hing in der Luft als die Zeit stillstand, Zeit und Raum Irrelevanzen in einem brennenden Feuer. Vor ihr flog etwas… ein Mensch mit Flügeln? Sie erinnerte sich an einen Namen den sie nie gehört hatte, Hanaphrael. Er hob seine rechte Hand zum Himmel und das Orange das die Welt tränkte wurde für einen Augenblick zum Weiss einer Heissglut.

Dann begann ihre Prophetie sich zu entfalten.

Sie wusste wie einem Déja-Vu wie es sich anfühlte als sie auf den Boden traf und ihr Geist sich von ihrem Körper löste. Es war noch nicht passiert, etwas lebendiges in ihr hinderte sie diese Zukunft wahr werden zu lassen.

Lerne, sagte Hanaphrael. Seine Stimme mischte sich in ihr Bewusstsein wie eine innere Stimme, neu und machtvoll. Das Paradoxon dass sie lebendig ihren Tod fühlte wurde mächtig.

Wenn sie sterben würde, wie konnte sie dann jetzt fühlen wie es sein würde? Sie würde leben nach dem Tod wenn sie jetzt als Lebewesen wusste wie es sich anfühlen würde nicht zu leben. Das Paradoxon wurde mächtiger, sie konnte den Tod nicht infiltrieren.

Also würde sie leben.

Die Wahrheit wellte sich angesichts der Unmöglichkeit, doch das Feuer war mächtiger.

 

Nun musste sie wählen - mehrere Möglichkeiten wurden ihr intuitiv gewahr des Paradoxons Herr zu werden mit ihrer neuen Macht. Sie könnte einfach unten landen mit der gleichen Geschwindigkeit mit der sie abgesprungen war, als ob im Flug keine Zeit vergangen wäre.

Sie könnte Hanaphrael fragen sie aufzufangen. Ihre Macht könnte sie auch einfach weiterleben lassen wenn sie fiel, egal wie schwer ihre Wunden sein würden, so weit wie sie in ihren zukünftigen Tod hineingelebt hatte mit ihrer Prophezeiung, so weit würde ihre Macht das Paradoxon verhindern und sie leben lassen.

Doch sie wollte weder mit Verletzungen auf den Boden treffen, noch von einem anderen Wesen aufgefangen werden. Sie wollte persönlich eine Nachricht an den Mob übermitteln.

Schadenfreudige werden nicht unbestraft bleiben. Sie lächelte gelassen und wandte sich an Hanaphrael.

Gut, sagte Hanaphrael. Siehe wie ich mich bewege.

Sein zukünftiges Ich war plötzlich am Boden, er selber flog noch in der Luft. Plötzlich begannen wie elektrische Ladungen, die sich von unten nach oben und von oben nach unten bewegen um sich in der Mitte zu treffen und den Blitz zu formen, das zukünftige Ich Hanaphraels und sein normales sich zu verbinden und er fuhr wie ein Blitz in seine zukünftige Position.

Sie hatte noch nie etwas so machtvolles gesehen.

„Mein zukünftiges Ich ist tot“, dachte sie.

Nein, antwortete Hanaphrael. Du kannst nicht sterben so weit wie du in den Tod gesehen hast.

Das Paradoxon.

Sie verwandelte sich in einen Blitz und schlug vor der johlenden Menschenmenge ein.

Das Johlen verstummte während sie sich langsam aufrichtete und ihre neue Macht fühlte.

Aufräumen, befahl Hanaphrael. Als ob ihr das jemand hätte sagen müssen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Donnerstag, 8:20 Uhr, der Wecker klingelt.

Langsam öffnet Sheila die Augen. Ihr Herz rast und der Körper zittert. Sie dreht sich zur rechten Seite und tastet nach ihrer Brille. Plötzlich spürt sie ein starkes Brennen am linken Arm. Ihr Pullover klebt an ihrer Haut. Verstört blickt sie auf. Überall getrocknetes Blut. Was ist passiert? fragt sie sich. Langsam kehrt ihr Erinnerungsvermögen zurück.

Das Telefon klingelt. Der Anrufbeantworter geht ran.

„Hallo Sheila, bitte komm morgen 10:00 Uhr zur steinernen Brücke. Ich warte dort auf dich.“

 

Unsicher steht sie auf. Es ist so viel passiert, aber sie wird immer an das Gute glauben. Die Stimme am Telefon klang so vertraut. Sollte sie dieses Treffen wirklich wahrnehmen? Warum nicht.

 

Es ist warm. Der Himmel blau und die Sonne scheint. Die Menschen auf den Straßen wirken fröhlich und ausgelassen. Sheila macht sich auf zur steinernen Brücke. Noch unsicher aber dennoch beschwingt. Warum sie so gut gelaunt ist, weiss sie nicht. Sie spürt die Spannung die in der Luft liegt.

 

„Sheila!“, ruft ihr eine Frau mittleren Alters mit grau melierten Haaren fröhlich zu. „Häh, kennen wir uns?“ „Ich bin’s, deine Mutter“, sagt sie.“Hey, wer’s glaubt“, ruft Sheila lachend, „ich habe keine Mutter“. Sie dreht sich um und will weiterlaufen als ihre Mutter sie am Oberarm festhält. „Sheila, was ist los?“, fragt ihre Mutter. Sheila lacht. „Hast du meinen Namen aus der Tagesschau?“

Ich glaube langsam werde ich verrückt. Woher haben alle meinen Namen?

 

Sie reisst sich los und läuft lachend davon.

 

Plötzlich klingelt ihr Handy. „Ja?“ „Ich bin’s Margot, deine Mutter.“ „Welche Mutter? Was ist eine Mutter?“ Irritiert legt Sheila auf. Woher haben alle meine Nummer?

 

Jetzt geht sie fliegen.

Auf dem Hochhausdach angekommen atmet sie sie die frische kühle Abendluft.

Es ist sommerlich warm und Vögel pfeifen ihr Abendlied.

Der Himmel ist in ein sanftes rosé getaucht.

 

„Juhu“, denkt sie, „ich bin ein Vogel.“

 

Du kannst nicht fliegen bis ich es dich lehre. Die Stimme klingt eindringlich.

 

Sie schwankt zurück vom Hochhausdach. Träume ich?

Orangenes Licht flutet ihre Welt. Vor ihr fliegt Hanaphrael mit Augen wie glühende Kohlen, seine Haut szintilliert wie die Rückseite einer CD. Er lächelt ihr zu. „Hey, wie geht’s? Warst du heute schon einkaufen?“, fragt er mit gewichtiger Mine. Ein Geräusch wie von einem Wasserfall begleitet das Schlagen seiner Flügel. „Ne, ich hatte leider mein Geld vergessen und musste noch einmal nach hause gehen um es zu holen“. „Cool, ich muss auch noch einkaufen gehen“, sagt Hanaphrael freudig. Zusammen ziehen sie los in die Stadt. „Also“, sagt Hanaphrael schüchtern, „ich hätte eigentlich gerne ´nen Erdbeereis“. Seine Stimme erklingt wie ein Donner in ihrem Kopf. „Leider ist es immer voll schwierig für mich Eis zu bestellen, die meisten Menschen kriegen Migräne von meiner Stimme. Und die meisten sehen mich einfach nicht“, flüstert er ganz geknickt. „Ach, du armer“, sagt Sheila, „ich kauf’s für dich“. Hanaphrael strahlt wie ein Baby und sieht voll süß aus. „Mit Sahne oder ohne Sahne?“ fragt Sheila laut als sie am Eisstand steht. „Beides“, sagt Hanaphrael. Sheila bestellt das Erdbeereis mit ohne Sahne.

Sie sitzen am Flussufer und Hanaphrael legt seinen Kopf in den Sack und lässt seine güldenen Löcklein schwingen. „Hach“, seufzt er. „Ich liebe Erdbeereis.“

 

Hanaphrael guckt glücklich.

 

 

 

 

Fortsetzung folgt!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.03.2016

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