Cover

Prolog

Er sieht sie. Er weiß sie ist etwas Besonderes. Auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubt, sich das einzugestehen. Schließlich ist sie ein ganz normaler Mensch. Einer, der seiner nicht würdig ist. Und doch ist er fasziniert. Und das macht ihn noch wütender als alles andere. Hat er nicht schon genug mitgemacht? Aber ehe er sich versieht, hat er bereits Gefühle entwickelt, die er nie wieder zulassen wollte. Und auch sie hat sich geschworen nie wieder so dumm und naiv zu sein, sich auf jemanden einzulassen. Nach einem Vorfall beginnt sie ihn zu hassen. Er ist so kühl und egoistisch wie er ist. Aber warum ist er nur so geworden? Justins geheimnisvolle Aura beginnt sie zu faszinieren. Aufgrund ihrer Neugierde begibt sie sich in ein mehr als gefährliches Abenteuer.

Der Anfang

 

 


Ich ging die Straße entlang. Die Straße, die ich ab nun immer und immer wieder gehen würde, um in die Stadt, in die Schule, einfach überallhin zu gelangen. Ich wusste nicht, ob ich mich schnell an die neue Stadt gewöhnen würde. Sie war nicht sehr groß, dafür aber sehr idyllisch. Der kleine Stadtteil den ich ab nun mein zu Hause nennen musste, bestand größten Teils aus Reihenhäusern, die fast alle gleich aussahen. Weiß gestrichen, rostfarbene oder braune Dächer und kleine Vorgärten. Sie sahen wirklich einladend aus. Allerdings war es mir schon fast zu idyllisch. Mom und Dad hatten mich hergebracht. Sie hatten das Haus, welches zu neun weiteren Häusern, die extra für Schüler der Midway Highschool angeboten wurden gefunden und bestimmt, dass ich ab nun mit zwei weiteren Schülerinnen dort wohnen würde. Sie konnten es gar nicht erwarten, mich aus dem Kreis meiner Freunde raus zu zerren und in eine andere Stadt zu schicken. Nicht mal das letzte Jahr auf meiner alten Highschool, nachdem ich so wie so auf ein College gewechselt hätte, hatten sie mir gegönnt. Bereits seit ein paar Jahren, als meine Teenagerzeit begann, bekam ich immer wieder den Satz zu hören, meine Freunde seien nicht der richtige Umgang für mich, sie würden mich mitziehen. Dabei gab es nichts wirklich Verwerfliches, was wir getan hatten. Ab und an wurde mal zu spät nach Hause gekommen oder zu laut Musik gehört. Das Schlimmste, was man uns vorwerfen konnte, war unsere Neugier auf Zigaretten, die wir mit 15 Jahren hatten. Wir trafen uns an einer Bushaltestelle in der Stadt. Ein Freund brachte eine Schachtel Zigaretten mit, die er von seinem Onkel geklaut hatte. Jeder von uns steckte sich eine an. Genau in diesem Moment kam Mom mit dem Auto vorbei und machte ein riesiges Theater. Nachdem der besagte Freund als Dieb und kriminell bezeichnet worden war, wurde ich ins Auto gezerrt und bekam zu Hause erneut eine Standpauke. Und das war der Punkt, an dem meine Eltern sich nur noch mehr bestärkt darin fühlten, mich von meinen Freunden zu trennen. Zwei Jahre später sollte es so weit sein. Als sie im letzten Jahr eine Fernsehreportage über die renommierte Midway Highschool gesehen hatten, packten sie die Gelegenheit beim Schopfe und meldeten mich an genau dieser an. Und nun war ich hier und würde in einem Haus mit zwei fremden Mädchen aus ebenfalls „gutem“ Hause wohnen.  

Die Haustür öffnete sich und ein schlankes, großes Mädchen mit schulterlangen, blonden Haaren trat heraus. Sie hatte ein geblümtes Sommerkleid an und ihre Armreife glitzerten in der Sonne.

„Guten Tag, bist Du Claire?“ sie blieb auf der Veranda stehen.

„Hi. Ja, das bin ich.“

„Klasse, ich bin Ashley!“ wir reichten uns die Hände. Sie sah aus wie das Musterbeispiel einer reichen Tochter. „Winster ist auch bereits hier. Sie packt gerade aus. Ich habe auch schon einen Strauß Blumen auf den Küchentisch gestellt und im Flur ein paar Bilder aufgehängt, so fühlt man sich direkt heimischer, findest Du nicht?“

Als Antwort bekam Ashley nur ein zaghaftes Nicken. Ich wusste ja nicht, dass ich in einer Folge „Schöner Wohnen“ gelandet war. Doch als ich in den Flur kam, wurden meine Befürchtungen wahr. Es waren nicht neutrale, dekorative Bilder, die die Wand schmückten, es waren Bilder und Auszeichnungen von Ashley. Nummer eins bei einem Reitturnier, daneben ein Bild von ihr auf einem Pferd, Auszeichnung als Jahrgangsbeste auf ihrer Schule…

„Hi, ich bin Winster!“ eine laute Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich drehte mich um und vor mir stand irgendwie etwas, was ich nicht erwartet hätte…

„Ashley und ich kennen uns bereits seit zehn Jahren, es sind doch zehn Jahre oder?“ Ashley nickte. „Niemand hätte gedacht, dass wir jemals Freundinnen werden könnten, ich meine sieh uns doch mal an, sie ist das typische Girlie, naja und ich… Am Anfang konnte ich sie auch nicht ausstehen, aber irgendwann bemerkten wir, dass wir uns doch irgendwie mögen.“

Wir saßen im Wohnzimmer. Im voll dekorierten, mit Bildern behangenen und Kissen vollgestopftem Wohnzimmer… Und ich konnte meinen Blick von Winster nicht abwenden. Sie war ein hübsches Mädchen, dennoch passte sie so überhaupt nicht in die Kulisse. Sie hatte schulterlange, braune Haare, mit pinken Strähnchen, braune Augen, umrahmt von viel zu blauem Lidschatten und einen Nasenring. Sie trug schwarze Netzstrumpfhosen, einen pink karierten Rock und ein schwarzes T- Shirt.

„Winster, nun lass Claire doch auch mal was sagen.“ Sagte Ashley.

„Ach, ich hab nicht viel zu sagen.“ Mir fiel gerade wirklich nichts ein. Viel zu stark war der Kontrast dieser beiden Mädchen. Und Winster in dieser von Ashley mädchenhaften durchdekorierten Umgebung zu sehen, wirkte fast skurril.

„Warum bist Du hier? Du hättest doch auch nur noch ein Jahr auf deiner alten Highschool gehabt, oder nicht? Ich meine, Ashley und ich sind hier, weil es schon immer unser Traum war auf diese Elite- Highschool zu gehen. Und nun hat es endlich geklappt. Das macht einen mega Eindruck, wenn Du in die Bewerbungen für die Colleges schreiben kannst, dass Du auf der Midway warst.“

„Ja, genau deswegen bin ich hier. Meine Eltern waren der gleichen Meinung. Ich wollte nicht hierher.“

„Wie bitte? Aber nun bist Du doch froh?“ Winster schaute mich fragend an.

 


Alles in allem waren die beiden wirklich nette Mädchen. Doch es fiel mir schwer sich mit ihnen über belanglose Dinge zu unterhalten. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich momentan einsam und sehr verwundbar. Als ich am Abend auf meinem Bett lag und ein bisschen in meinem neuen Buch las, klopfte Ashley an meine Tür.

„Wir wollten mal schauen, was es in der Stadt so gibt. Möchtest Du mitkommen?“ Eigentlich hatte ich keine Lust mir die Stadt anzusehen, aber ich wollte mich nicht von Anfang an zu sehr abkapseln.
„Okay, ich style mich nur noch ein bisschen auf.“ Sagte ich mit einem kleinen Lächeln, was mir wahrscheinlich nicht ganz gelungen war.

Ich kämmte mir schnell durch die Haare und zog mir eine Jeans und ein blauen Pullover an. Mein Spiegel zeigte mir ein Mädchen mit mittelblonden, langen Haaren, grünen Augen und Lippen die versuchten ein Lächeln zu formen, was immer noch nicht gelang. Ich atmete tief durch.   


Etwas später saßen wir in einem Nachtcafe mitten in der Stadt, indem es vor Teenagern nur so wimmelte. Ashley, Winster und ich bestellten uns drei Erdbeershakes und setzten uns an einen der wenigen freien Tische am Fenster. „Na super. Man merkt, dass diese Stadt nur einen Club hat.“ bemerkte Winster genervt. „Wieso?“ fragte ich.
„Na siehst Du das denn nicht? Hier befinden sich scheinbar alle Jugendlichen unter 16, die nicht in den Club reinkommen.“
„Aber man darf Clubs doch so wie so erst ab 18 betreten!“ meinte Ashley.
„Mit 16 darfst Du in die Clubs rein, allerdings nur bis zehn Uhr, dann müssen alle Minderjährigen wieder raus. Außer natürlich Du hast einen gefälschten Ausweis.“ Winster grinste verschwörerisch.
„Du hast einen gefälschten Ausweis?“ fragte Ashley ungläubig.
Ein paar der Teenies schauten uns an.
„Nein, natürlich nicht. Und selbst wenn, dann würde ich den hier so wie so nicht mehr gebrauchen können, da dank dir ganz Nevidia Bescheid wissen würde.“

 
„Leute, ich bin doch ganz schön müde. Würdet ihr sauer sein, wenn ich schon vorgehe?“
„Ganz alleine?“ Winsters braune Augen sahen mich fest an.
„Ja, ist doch kein Problem. So weit ist es ja nicht.“ Bevor noch irgendjemand von den beiden auch nur auf die Idee kam zu protestieren schmiss, ich drei Dollar auf den Tisch und ging hinaus.
  Die Luft war sehr kühl, obwohl es Sommer war. Der Himmel war klar. Ich atmete tief durch, bevor ich mich auf den meiner Meinung nach richtigen Weg machte. Es kam eine Kreuzung, wo es rechts, links und geradeaus ging. Ich wusste, dass ich am Nachmittag einmal den Weg geradeaus gewählt hatte. Also wählte ich ihn auch diesmal. Doch nach ein paar Minuten, wurde mir bewusst, dass ich mich verlaufen hatte. Die Abstände von der einen zu der anderen Straßenlaterne wurden immer größer und die Dunkelheit ebenfalls. Die Straßen waren leer. Aus der Ferne bellte ein Hund. Ich wollte umdrehen, als ich plötzlich ein Geräusch neben mir wahrnahm. Es war zu dunkel um etwas zu erkennen. Verdammt, warum hatte die Stadt hier so an Laternen gespart? Ich horchte. Stille. Dennoch überkam mich das dringende Gefühl zu fliehen. Ich drehte aprupt um und ging schnellen Schrittes in die andere Richtung. Nur der Mond spendete Licht. Plötzlich waren Schritte hinter mir. Sie wurden immer schneller und kamen immer näher. Ich drehte mich um und sah nur ein paar Meter weiter eine große, dunkle Gestalt. Sie bewegte sich direkt auf mich zu. Meine Gedanken schrien mich an, dass ich rennen soll. Doch stattdessen blieb ich einfach stehen. Als die Gestalt näher kam, sah ich das Grinsen in seinem Gesicht. Es war ein junger Mann. Seine Haut war blass. Er musste Kontaktlinsen tragen, denn selbst in der Dunkelheit leuchteten seine Augen eisblau. Endlich schien mein Körper mir zu gehorchen. Ich drehte mich um und lief so schnell wie ich konnte. Ich war schon immer eine schnelle Läuferin gewesen, doch der Kerl hatte mich verdammt schnell eingeholt und hielt mich an meinen Armen fest.
„Hey Süße, wo willst du denn hin?“ Er drehte mich zu sich, sodass ich ihn ansehen musste.
„Ich habe dich noch nie hier gesehen. Dein Duft ist betörend und dein Adrenalin… ich kann es bis hierher riechen.“ Mit der einen Hand hielt er nun meine beiden Arme hinter meinem Rücken und mit der anderen Hand fasste er in meine Haare.
„Was willst Du? Lass mich los du Irrer!“ rief ich.
„Mutig sind wir auch noch… hmm...“ Er holte tief Luft.
Mein Gott, was war der Kerl stark! Ich konnte meine Arme zwar nicht bewegen, dafür aber meine Beine. Und so holte ich aus und trat ihn mit voller Wucht zwischen seine Beine. Er schrie auf und ließ mich los. Unsanft landete ich auf dem Boden. Mein Taschenmesser! Verdammt, ich hatte doch immer mein Taschenmesser in der Tasche. Der Angreifer hatte sich schnell erholt und beugte sich über mich. Ich holte mit dem Messer aus. Es traf ihn direkt in die Schulter. Erneut schrie er auf. Ich sprang auf und lief. Der Verfolger war direkt hinter mir. Wie konnte er sich so schnell erholen? Er umpackte meine Hüfte und hob mich hoch.
Sein T- Shirt war an der Stelle, an dem ich ihn getroffen hatte zerrissen und mit einem Blutfleck bedeckt. Jedoch schien der Typ nicht sonderliche Schmerzen zu haben. Er grinste mich an.
„Langsam reicht es mir mit dir. Das wirst du bereuen! Niemand greift mich an und kommt ungeschoren davon!“ Das Grinsen passte nicht zu seiner bösen, dunklen Stimme. Ich versuchte mich erneut zu wehren. Er schleuderte mich mit voller Wucht gegen eine Mauer. Es wurde dunkel.

 

 


Da wollte ich nur einen abendlichen Spaziergang machen und dann das! Ich hatte den Kampf zwischen dem Mädchen und dem Abtrünnigen beobachtet. Auch wenn ich es mir geschworen hatte, niemals einem Menschen in auch nur irgendeiner Art und Weise jemals wieder zu helfen, so hatte ich mich gerade doch anders entschieden. Schließlich hatte sich dieses blonde Ding sehr gut geschlagen. Ja, sie hatte mich mit ihrem Mut geradezu überrascht. Der Abtrünnige hatte sich einfach dumm verhalten. Er hatte es aufgrund seines Blutdurstes riskiert entdeckt zu werden. Auch wenn das ein eher weniger bewohnter Stadtteil von Nevidia war, hätten Menschen ihn jederzeit entdecken können. Dabei war es das Ziel der Abtrünnigen nicht entdeckt zu werden und trotzdem auf Beutefang gehen zu können. Blödes Dreckspack! Sie brachten auch uns mit ihrer Blutgier in Gefahr. Er ging gerade in die Richtung des Mädchens, welches bewusstlos auf dem Boden lag, als ich aus dem Gebüsch heraussprang und mich zwischen ihn und das Mädchen stellte. „Idiot! Was wurde Euch gesagt, wenn es um das Jagen in der Stadt geht?“

„Was geht Dich das an? Halt Dich da raus und hau ab!“ Wie konnte er es wagen so mit mir zu sprechen?

Blitzschnell rannte ich auf ihn zu und verpasste ihm einen Kinnhaken. Er versuchte mich mit seinen Fäusten zu treffen, doch ich konnte seinen Schlägen ausweichen. Er hatte zu sehr Durst und war inzwischen geschwächt. Er musste schon länger nichts mehr getrunken haben. Er merkte, dass er keine Chance hatte. Ich packte ihn am Kragen.

„Wenn Du Dich noch einmal hier blicken lässt, dann bin ich nicht mehr so gnädig. Verpiss Dich in Euer Revier!“ Er nickte und ich ließ ihn ziehen.

Mein Job hier war getan. Nun, ab nach Hause. Ich war gerade ein paar Schritte gegangen, als mir der betörende Duft des Mädchens in die Nase stieg. Ich drehte mich um. Es war immer noch ohnmächtig und ihr leiser Atem ging regelmäßig. Scheiße, ich konnte sie doch nicht hier liegen lassen! Ich schnaubte verächtlich. Was ging mich dieses Ding an? Ein paar Minuten  später trug ich sie auf meiner Schulter Richtung Stadt. Wo sollte ich nun mit ihr hin? Sie im Krankenhaus abliefern? Dann hätte ich mich nervigen Fragen stellen müssen. Allerdings musste ich mir auch schnell etwas einfallen lassen. Von weitem hörte ich Stimmen und die Abstände der Straßenlaternen wurden immer geringer, sodass die Straßen wieder gut beleuchtet waren. Von weitem sah ich eine Gruppe Jugendlicher auf mich zukommen. Ich versteckte mich mit ihr hinter einer Garage. „Bitte geht schnell weiter, ich möchte euch nicht weh tun!“ sagte ich leise. Zum Glück taten sie das, was ich von ihnen erwartet hatte. Als die Luft rein war rannte ich mit dem Mädchen, welches immer noch bewusstlos über meiner Schulter lag, so schnell wie es ging zu mir nach Hause. Eine sehr blöde Option, dessen war ich mir bewusst.

 


Ich öffnete die Augen. Wo war ich? Es war fast zu dunkel um etwas erkennen zu können. Nur eine kleine Nachttischlampe spendete Licht. Ich lag in einem Bett. Aber es war nicht mein Bett. Langsam setzte ich mich auf. Mein Kopf und mein Rücken schmerzten und auch mein Handgelenk pochte. Verdammt, wo war ich?

„Na sieh mal einer an.“ Eine Stimme von der anderen Seite des Zimmers. Ich zuckte zusammen. Diese Kopfschmerzen… Ich versuchte etwas in der Dunkelheit zu erkennen. Dort saß ein Junge in einem Sessel und schaute mich an. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht sehen, nur seine stechenden Augen, die mich musterten. Hatte er mich etwa die ganze Zeit beobachtet? War es etwa dieser Irre? Ich begann mich umzusehen, nach irgendetwas, was ich ihm entgegenwerfen könnte, falls er mich angreifen sollte. Doch leider konnte ich keinen klaren Gedanken fassen.
„Keine Angst. Ich hab dich gerettet. Du bist hier in Sicherheit.“ Der Typ stand langsam auf und kam auf mich zu.
Seine bernsteinfarbenen Augen leuchteten im Dunkeln und verfolgten mich bei jeder Bewegung die ich machte. „Hau ab, bleib da stehen!“ schrie ich.
„Was denn, abhauen oder stehen bleiben?“ purer Hohn in seiner Stimme.
„Warum bin ich hier? Was wollt ihr von mir?“ ich fühlte mich unglaublich schwach.    „Kannst Du Dich noch daran erinnern, was eben passiert ist?“ fragte der Kerl mit den unglaublichen Augen mich. Er stand jetzt so nah vor mir, dass ich schon wieder verzweifelt auf der Suche war nach etwas zu tasten, was ich ihm entgegen werfen könnte. Aber da war nichts.

"Warum denn so misstraurisch, Du undankbares Ding?" seine Stimme klang kalt.
„Ich kann mich dran erinnern, dass Dein Kumpel mich angegriffen hat. Und daran, dass man solche Typen wie Euch für immer einbuchten sollte.“ erwiderte ich.
„Mein Kumpel?“ verwundert sah er mich an.
„Ja, Dein Kumpel. Wo ist er überhaupt? Schiebst Du jetzt hier Wache, damit ich nicht abhaue? Was habt ihr vor?“ Der Typ begann zu grinsen, dann brach er in schallendes Gelächter aus.
Ich begann zu zittern. Ich hatte es mit einem Verrückten zu tun. Er fand das ganze nur lustig. Ich musste so schnell wie möglich weg von hier.
„Mein Kumpel, ich, ein Entführer! Als würdest Du mich interessieren.“ er lachte erneut. Dann beruhigte er sich von jetzt auf gleich und schaute mich ernst an.
„Also das war nicht mein Kumpel. Ich habe ihn lediglich K.O. geschlagen, nachdem Du Deine Lara Croft Nummer abgezogen hattest und bewusstlos auf dem Boden lagst. Du kannst gehen wenn du willst. Ich bitte Dich sogar darum, endlich zu gehen, ich habe mich lange genug um Dich gekümmert.“

Das würde ich mir nicht zwei Mal sagen lassen. Ruckartig stand ich auf. Blöde Entscheidung. Es fühlte sich an, als würden kleine Nadeln in meinen Nacken, meinen Rücken und meinen Kopf einstechen. Und zwar an allen Stellen gleichzeitig. Verdammt. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Der Typ hatte sich an die Wand auf der anderen Seite des Raumes gelehnt und beobachtete mich. Ich schlüpfte in meine Schuhe, die ordentlich vor dem Bett standen und ging mit langsamen Schritten Richtung Tür. Dann wurde mir wieder schwindelig.

 
Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Fast wäre ich sie los gewesen. Hatte ich es doch gewusst, dass Menschen schwach waren. Ich hatte es immer wieder erlebt. Nun hatte ich sie wieder hier in meinem Bett liegen. Am besten wäre es, wenn ich ihre Erinnerung löschen und sie dann am nächsten Morgen irgendwo aussetzen würde. Aber dafür war ich nicht ausgebildet. Aber ich kannte jemanden, der mir helfen konnte.
Ich machte mich sofort auf den Weg, zur Villa am Stadtrand.

Ich stand vor der hohen Tür und klingelte. Kurz darauf ertönte eine Stimme aus der Sprechanlage.
"Guten Morgen, Ihr Name bitte?" Es war Mr. Goldwin, der Hausangestellte.
"Hier ist Justin."
Der Summer ertönte und die Tür ging auf.
"Guten Morgen Justin, schön Sie zu sehen. Ich frage mich, was im Moment los ist. Sie sind nicht der einzige Gast zu so einer ungewöhnlichen Stunde!"
"Das will ich hoffen. Ist Charlene da?"
"Ja, sie ist bereits seit gestern da. Und..."
"Danke, Mr. Goldwin!" Ich rauschte an dem älteren Herrn vorbei und begab mich in den großen Wohnraum.
Dort saß Charlene am Schreibtisch, vor ihr ein Haufen Dokumente. Zu allem Übel war sie nicht alleine. Neben ihr stand Kal. Ein überheblicher Kerl, der mich allein mit seiner Anwesenheit agressiv machte.
"Justin. Welch eine Überraschung. Du auch mal wieder hier?" die Überheblichkeit in seiner Stimme machte mich rasend.
"Spar es Dir, Kal. Ich will nicht zu Dir!"
Charlene, die bisher ganz in ihre Arbeit vertieft war, stand auf und begrüßte mich. Dabei schwang sie ihre goldbraunen, hüftlangen Locken.
"Hi, Justin. Alles in Ordnung? Wieso kommst Du so spät hierher? Wolltest Du Dir heute nicht mal frei nehmen?" Ihre rehbraunen, treuen Augen sahen mich fragend an.
Ja, ich hatte mir einen freien Abend machen wollen. Und dann bin ich auf die scheiß Idee gekommen spazieren zu gehen und mal wieder den Retter in der Not zu spielen. Und nun hatte ich ein menschliches Mädchen bei mir im Bett liegen.
 "Du kannst noch Erinnerungen löschen?"

"Scheiße, Justin, was hast Du jetzt schon wieder angestellt?" fragte Kal mit ernstem Ton. Sein Grinsen verriet allerdings, dass er sich freute, dass ich anscheinend dringend Hilfe brauchte.

"Was ist denn los?" in Charlenes Augen spiegelte sich Sorge.

Es war fast Morgen, als Kal, ich und Charlene mein Haus erreichten. Wir gingen die Treppen hoch in mein Schlafzimmer. Dort lag das Mädchen, immer noch schlafend. Charlene beugte sich zu ihr. "Dir ist bewusst, dass ich es nicht gerade angemessen finde, ihr Gedächtnis zu löschen?"

"Ja, es ist mir bewusst, aber trotzdem würdest Du mir einen Gefallen tun. Ich habe sie gerettet, will aber nichts mehr mit Menschen zu tun haben, dass weißt Du."

"Aber wir leben mit den Menschen zusammen!" Charlenes braune Augen funkelten.

"Deswegen muss sie nicht wissen, dass ich sie gerettet habe! Was ist wenn sie mir irgendwann mal auf der Straße begegnet? Wenn sie sich erinnert? Charlene tu mir den Gefallen." Ich berührte Charlene an der Schulter und  wusste, dass ich immer noch Wirkung auf sie hatte, versuchte für gewöhnlich allerdings nicht, diese auszuspielen. Doch diesmal war es was anderes.

Charlene schloss die Augen. "Ok, gut. Dann verschwindet hier."

Ein paar Minuten später trat sie zu Kal und mir hinaus. "Es ist geschehen und nun sieh zu, dass Du sie nach Hause bringst!"

"Ich weiß nicht mal wo sie wohnt."

"Dann sieh zu, dass Du sie schnell loswirst, bald geht die Sonne auf und wenn sie aufwacht, waren Charlenes Mühen ganz umsonst." Kal schaute mich missbilligend an, nahm Charlene beim Arm und die beiden fuhren in Kals Sportwagen davon.

 

Erneute Begnung

Ich öffnete die Augen und wusste im ersten Moment nicht wo ich war. Es drehte sich alles und mein Kopf schmerzte. Aber das war doch nicht mein Zimmer! Wo war ich? Ruckartig und panisch setzte ich mich auf. Weiße Wände ohne Poster, Kartons, die überall herumstanden und mein Kopf, der unglaublich wehtat. Ganz ruhig! Ich konzentrierte mich und versuchte mich zu erinnern. Ich war nun in Nevidia! Aber warum lag ich mit meinen Klamotten, die ich am Vortag getragen hatte im Bett? Warum konnte ich mich nur noch daran erinnern, dass ich das Cafe verlassen hatte, hatte aber keine Ahnung wie ich nach Hause gekommen war? Und woher kamen diese Kopfschmerzen? Ich schaute mich nochmal um. Im Zimmer war es unglaublich kalt. Die Ursache war nun klar. Mein Fenster stand offen. Ich versuchte aufzustehen. Meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding. Ich schloss das Fenster und suchte in dem Karton mit der Aufschrift "Handtücher" ein kleines Handtuch und ein Badetuch heraus. Nach einer Dusche würde es mir bestimmt besser gehen. Zwanzig Minuten später saß ich frisch gewaschen mit nassen Haaren, einem alten T-Shirt und einer Jogginghose am von Winster und Ashleys noch gedecktem Tisch. Auch wenn ich immernoch Kopfschmerzen hatte, begann ich einen Kaffee zu trinken.

"Hey, da ist ja der Langschläfer!" Ashleys laute Stimme ließ mich erschrecken.

"Langschläfer?" fragte ich, nachdem der Schreck nachgelassen hatte.

"Schau mal auf die Uhr. Es ist elf. Du siehst aber gar nicht gut aus, was ist los?"

"Nichts weiter. Kopfschmerzen. Ashley... wie bin ich nach Hause gekommen?"

Ashley schaute mich fragend an. Dann wurde ihr Blick finster.

"Nimmst Du Drogen? Ich meine, Du wolltest auf einmal ganz schnell nach Hause, siehst heute übermüdet aus, klagst über Kopfschmerzen und  fragst mich dann, wie Du nach Hause gekommen bist. Mit so was will ich nichts zu tun haben! Oder warst Du etwa noch woanders? Vielleicht bei einem gut aussehendem Jungen?" plötzlich lag wieder ein Lächeln auf ihrem Gesicht.

"Ashley, ich nehme keine Drogen und ich war auch bei Niemandem! Vielleicht ist das alles nur die Aufregung der letzten Tage und die Übermüdung!"

Meine Gedanken überschlugen sich. Ashley und Winster war nichts Ungewöhnliches aufgefallen? Ich habe im Bett gelegen, als sie nach Hause kamen? Aber... Ich schloss die Augen und legte den Kopf zurück. Ich hatte das Cafe verlassen. Ich wusste nicht genau, welche Straße ich nehmen sollte. Dann entschied ich mich für die, die geradeaus ging. Dann war ich orientierungslos mit Kopfschmerzen in meinem Bett aufgewacht.

"Claire, alles ok?" Ashley schaute mich fragend an.

"Ja!" sagte ich schroff, stand auf, pfefferte meine Kaffeetasse in die Spüle und ging hinauf auf mein Zimmer.

Den ganzen Tag verbrachte ich damit, die restlichen Kartons auszuräumen. Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich es möglichst versuchte Winster und Ashley aus dem Weg zu gehen.

Gegen Abend klopfte es an meiner Zimmertür. "Bitte?" sagte ich kälter als gewollt. Ashley trat herein. Sie mal ungeschminkt zu sehen, war eine echte Überraschung. Erst jetzt bemerkte ich ihre Grübchen.

"Claire, ich wollte nur sagen... Ich wollte mich entschuldigen, tut mir leid. Aber Du hast so fertig ausgesehen und dann noch diese Fragen. Ich wusste nicht, dass Du nervlich so angespannt bist!" Ihr Blick war schuldbewusst.

"Schon gut, ich wollte Dich auch nicht so anschreien."

"Alles wieder gut?" Ashley grinste verlegen.

"Ja, alles wieder gut!" Ich erwiderte ihr Grinsen, drehte mich jedoch Richtung Schrank und tat so, als würde ich meine Sachen neu ordnen.

 

 

Da es noch zwei Wochen dauerte, bis unser Studium anfing, beschlossen Ashley, Winster und ich das Beste daraus zu machen. So verbrachten wir den nächsten Tag mit shoppen und den darauffolgendenen Tag mit Beachvolleyball am Strand. Da wir den ganzen Tag gespielt hatten, lagen wir am Abend bereits alle um halb zehn in unseren Zimmern. So wohl hatte ich mich lange nicht mehr gefühlt. Und vor allem hatte ich noch nie so schnell Freundschaften geschlossen. Glücklich über diese Erkenntnis schlief ich bereits um kurz vor zehn ein.

Grüne Augen, diese grünen Augen, das dunkelbraune Haar und diese selbstsichere ein wenig abwertende, jedoch wohlige Stimme...

Irgendetwas kitzelte meine Nase. Nur mühsam öffnete ich die Augen. War das ein Traum? Ja, es musste so gewesen sein. Die Sonnenstrahlen kitzelten inzwischen mein ganzes Gesicht und mit einem Ruck drehte ich mich auf die andere Seite. Zu spät. Ich war bereits wach. Ich drehte mich wieder Richtung Fenster und nahm den Wecker in die Hand. Viertel vor sieben. Wütend stellte ich den Wecker zurück und stand auf. Nach einer kleinen Wäsche ging ich in die Küche um den Frühstückstisch zu decken. Shit, wir hatten weder Toast, noch Brot im Haus. Viertel nach sieben. Vor viertel vor acht würde noch nicht mal Winster aufstehen. Also beschloss ich mich zum Becker in die Stadt zu joggen und zog mir meine schwarze Jogginghose und mein blaues Top an. Nachdem ich beim Bäcker war joggte ich mit den  Brötchen in der Hand am Strand vorbei. Es war herrlich die gerade erst voll aufgegangene Sonne über dem Meer zu sehen, deren Strahlen sich auf der Oberfläche spiegelten. Langsam erweckte die Stadt zum Leben, denn sogar der Strandweg wurde nun von den ersten Spaziergängern betreten. Wieder in der Stadt angekommen, sah man die Leute, die zur Arbeit mussten hektisch umherlaufen. Ein Mann mit Aktenkoffer lief hinter einem Bus her. Dann passierte es... Ein Junge kam mir entgegen. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet und seine Hände hatte er in seinen Hosentaschen vergraben. Jedoch kam er mir so unendlich bekannt vor. Erst im letzten Moment, als ich fast an ihm vorbei war, trafen sich unsere Blicke "Justin!" hauchte ich. Blitzschnell blieb der Junge stehen. Und auch ich konnte nicht mehr weiterlaufen. Grüne Augen, starrer Blick, herablassende Stimme, mein Traum... "Wie bitte, was hast Du gerade gesagt?" die kalte Stimme des Jungens ließ mich zusammenzucken. "Ich weiß es nicht..." Und ich wusste es wirklich nicht. Die Gedanken in meinem Kopf kreisten hin und her und ich wusste nicht, wie ich auf diesen Namen kam, aber es schien mir so, als hätte ich diesen Jungen schonmal gesehen und als sei er der Typ aus meinem Traum. Langsam drehte ich mich um. Mein Herz pochte und mein Puls raste. Wurde ich langsam völlig verrückt? Er kam auf mich zu. "Woher kennst Du meinen Namen?" seine Stimme hörte sich nicht mehr selbstbewusst und kalt sondern eher unsicher an. "Ich weiß es nicht!" Es war eine ehrliche Antwort. Er musterte mich mit seinen Augen und kam noch ein Stück näher. Ich spürte seinen Atem an meinem Gesicht. "Ich mag es nicht, wenn man mich beim Namen nennt, obwohl man mich nicht kennt!" seine Stimme hatte ihren abschätzigen Ton zurück. "Entschuldige!" sagte ich, noch immer verwirrt von der ganzen Situation. "Das wird nicht wieder vorkommen... So einen arroganten Jungen wie Dich will ich so wie so nicht kennen!" stammelte ich, drehte mich um und lief weiter, als sei nichts gewesen.

 

 

Mit so einer Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Shit, was hatte Charlene dort für eine hervorragende Arbeit geleistet? Das Mädchen erinnerte sich an mich! Mich hatte es auch fast wie ein Schlag getroffen, als ich sie wieder gesehen hatte. Das Mädchen, weswegen ich mich mal wieder wie ein Idiot benommen hatte. Das Mädchen, welches ich gerettet hatte. Scheiß Menschen. Wieso hatte sie mich wiedererkannt? Und wie konnte sie es sich wagen, so mit mir zu reden?  Doch ihr dezenter Geruch nach Parfüm, gemixt mit ihren Schweißperlen auf der Stirn, hatten schon etwas Angenehmes. So etwas hatte ich lange nicht mehr gefühlt. Ich schloss die Augen. Es war gerade mal ein paar Tage her, als ich ihr wie ein moralloser Grapscher in ihren Hosentaschen rumgewühlt hatte, während sie schlief. Aber genau da fand ich einen Schlüssel mit einem kleinen Anhänger auf dem ihre Adresse stand. Und so konnte ich sie nach Hause bringen. Shit, ihr Geruch! Er lag mir immernoch in der Nase. Dieser wunderbare Geruch...

 

 

Zu Hause angekommen saß Winster bereits am Frühstückstisch. "Ich habe Brötchen mitgebracht!" rief ich. "Super, Ashley kommt auch jetzt, danke, dass Du den Tisch gedeckt hast! Setz Dich." Ihre Haare hatte sie mal wieder zu diesem spießigen Pferdeschwanz zusammen geknotet. "Nein, danke, nach dem Joggen habe ich nie Hunger. Ich werde nun oben duschen gehen!" gab ich zurück und schmiss die Brötchen auf den Küchentisch. Erst kalt, dann lauwarm ließ ich das Wasser über meinen Körper fließen. Dieser Kerl hatte mich vollkommen aus der Fassung gebracht. Wer war er? Was bildete er sich ein so mit mir reden zu können? Aber vor allem: Woher kannte ich seinen Namen? Und mein Traum... ich schüttelte den Kopf und hämmerte ein paar Mal gegen die Duschwand.

Es klopfte an der Tür. "Claire, alles in Ordnung?"

"Ja, Ashley. Ich habe mich nur gestoßen. Blöde Duschwand!" rief ich zurück.

Am nächsten Tag entschied Ashley unseren Garten halbwegs auf Vordermann zu bringen. Ich mähte den Rasen, Winster säuberte die Gartenmöbel und Ashley dirigierte...

Abends saßen Winster und ich völlig fertig in unseren neu gesäuberten Gartenmöbeln. Ashley hatten wir schon lange nicht mehr gesehen. "Was hat sie vor?" fragte ich. "Sie ist doch nun noch nicht müde."

Winster zuckte mit den Schultern. "Niemand weiß, was sie vorhat."

Ein paar Minuten später stand Ashley topgestylt neben uns. "So Mädels, wir haben heute so viel gearbeitet, da haben wir uns einen entspannten Abend im Club vedient."

"Wir haben viel gearbeitet?" fragte ich und schaute sie an.

"Okay, ihr habt das Meiste getan, aber trotzdem. Was ist nun?"

Winster und ich guckten uns an. "Na gut!" war unsere einstimmige Antwort.

 

Der Club war genau wie jeder andere. Am Eingang standen zwei Securitiymänner, die die Ausweise kontrollierten und sich super wichtig fanden, am Eingang saßen zwei Studenten die einem einen Stempel auf die Hand drückten und an der Gaderobe stand eine übergestylte Frau, die den Gästen die Jacken abnahm. Der Club selber war relativ groß. Die Tanzfläche war noch größer als die ohnehin schon riesige Bar und an der Seite standen ein paar Tische mit Stühlen. "Was wollt ihr trinken?" fragte Ashley vergnügt. "Cola!" antwortete ich. "Ihr habt heute so viel gearbeitet. Ich bin 18 und hol die Getränke. Ihr könnt euch auch was anderes aussuchen!" Ich hatte erst einmal Alkohol getrunken, dafür direkt drei Bier und die waren mir nicht so gut bekommen. Ich schüttelte den Kopf. Ashley verschwand mit einem Grinsen und kam zurück mit drei Cocktails.

"Also nach der Arbeit heute hat sich jeder einen Caipirinha verdient. Prost Mädels!"

Erst schmeckte es bitter, doch danach war das Getränk ja doch ziemlich lecker. Nachdem wir den ersten Drink hinter uns hatten, gingen wir tanzen. Es wurde gerade ein guter Song gespielt und ehe ich mich versah, war ich wieder zurück bei meiner Crew. Ich dachte an den Spaß, den wir gehabt hatten und tanzte die Moves, die wir im Hip- Hop- Kurs gelernt hatten. Als das Lied zu Ende war, bemerkte ich, dass sich um mich ein Kreis gebildet hatte und die Leute applaudierten. Das war mir so unangenehm, dass ich völlig beschämt wieder den Weg Richtung Tisch anvisierte. Ich setzte mich hin und bemerkte wie ich glühte. "Du hast nie gesagt, dass Du so was kannst. Das war wunderbar!" bemerkte Ashley.

 

 

Ich ging durch die Straßen. Musste mich ablenken. Was hatte Charlene da nur für einen Mist gebaut? War sie mal wieder nicht bei der Sache gewesen? Das nur, weil es um mich ging? Hatte ich wirklich noch so eine Kraft auf sie? Das wollte ich doch gar nicht. Ich musste auf andere Gedanken kommen. Und was war lustiger als in den Club zu gehen, um sich die Unwissenden anzuschauen, die zwanghaft versuchten mit komischen Tanzrythmen cool zu wirken? Alleine der Gedanke an die Machoposer und die naiven Mädels jagte mir ein Grinsen aufs Gesicht. Außerdem verspürte ich das Verlangen nach einem Scotch. Also machte ich mich auf den Weg zum Club. Dort angekommen, war es mal wieder unübersichtlich voll. Ein paar Mädchen grinsten mich an. Ablenkung... ich grinste zurück. Doch alleine der Gedanke an körperliche Nähe machte mich aggressiv. Ich bestellte mir meinen Scotch und stellte mich aufs Podest. Prahler, Poser, nuttenhafte Mädchen, die leicht zu haben waren. Ich schüttelte mit dem Kopf. Und so was durfte im Vordergrund leben, wo wir jedoch im Verborgenen leben mussten. Doch plötzlich lenkte ein Mädchen meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein großer Kreis hatte sich um sie gebildet. Sie kam mir bekannt vor. Die Menschenmenge, die um sie herumstand, jubelte ihr zu. Und ihre Schritte zur Musik waren... gut. Sehr gut. Ihr Körper war atemberaubend. Die Musik endete und das Mädchen schaute sich um. Sie hatte wahrscheinlich gar nicht gemerkt, dass sie so im Mittelpunkt stand. Erst nun erkannte ich sie. Das Mädchen habe ich gerettet! Mit zwei weiteren Mädchen saß sie an einem Tisch. Die drei unterhielten sich angeregt. Dabei nippten sie immer wieder an ihren Drinks. Der Duft des Mädchens stieg mir in die Nase. Heute morgen roch sie nach Parfüm und nach süßlichem Schweiß, der ihr durch das Joggen über die Stirn rann. Nun vernahm ich ihren wahren Geruch, den Geruch, der jeden Menschen einzigartig macht. Ihrer war süß, jedoch nicht zu süß, eher frisch. Ich war ein Idiot. Was wollte ich von ihr? Sollte sie einer meiner Bettgeschichten werden? Ich würde sie mit meinem Charme rumkriegen, dass wusste ich. Danach würde ich sie mit nach Hause nehmen, meinen Spaß mit ihr haben und sie am nächsten morgen auf die Straße setzen, mit der Begründung, dass ich momentan nur One- Night- Stands zulassen würde. Schon oft hatte ich Mädchen so verletzt. Suchte ich nach irgendwas, was ich bei keinem Mädchen bis jetzt finden konnte? Ich schüttelte den Kopf und trank den letzten Schluck Scotch aus meinem Glas. Die Wahrheit konnte hart sein. Noch einmal schaute ich zu dem Tisch, an dem das Mädchen saß. Wütend schmiss ich mein Glas gegen die Wand. Es zerspang in tausend Scherben. Ein paar Leute schauten mich erschrocken an. Doch bevor der Securitymann mir eine Szene machen konnte, bahnte ich mir den Weg nach draußen. Dort ließ ich mich nieder und beobachtete die Nacht, die mir bald vertrauter war, als alles andere.

 

 

 

"Leute, ich geh nach Hause. Ich kann nicht mehr. Die Drinks zeigen ihre Wirkung!" ich stand auf und bemerkte, dass meine Beine aus Wackelpudding bestanden.

"Nein, Claire! Du gehst nicht alleine nach Hause." Winster schüttelte mit dem Kopf.

Mist, wie kam ich aus der Nummer nun raus ohne den anderen beiden den Abend zu verderben? Wer hätte auch gedacht, dass die brave Winster so viel mehr vertragen würde, als ich?

"Ich bestell mir ein Taxi!" sagte ich.

"Wirklich?" Ashley musterte mich.

Ich nickte und ging erhobenen Hauptes davon. Nicht gestolpert, nicht hingefallen, gut gemacht, Claire!

Doch als ich den warmen Club verließ und die kalte Nachtluft mir entgegenströmte, verdoppelte sich die Wirkung des Alkohols. Ein paar Meter weiter vom Eingang entfernt versuchte ich die Nummer des Taxiunternehmens zu wählen. Jedoch sah ich alles doppelt und es war gar nicht einfach in so einer Situation mit einem Touchscreen umzugehen. Außerdem wurde meine Beine immer weicher. Ich wollte noch ein paar Schritte gehen, um einen klaren Kopf zu bekommen, als meine Beine vollends nachließen und ich beinahe hingefallen wäre. In der letzten Sekunde wurde ich von zwei starken Armen aufgefangen. Als ich nach einer sehr kurzen Zeit des Dilliriums wieder zu mir kam, schaute ich in zwei unwahrscheinlich strahlende Augen. Solche Augen...

"He, alles klar bei Dir?"

"Äh... ja, ich. Taxi!" brachte ich nur hervor.

Der Junge versuchte mir auf die Beine zu helfen, die gaben allerdings schon wieder nach. Also setzte er mich ca. 100 Meter vom Club entfernt auf einer Bank ab.
 Dann musterte er mich mit verächtlichem Blick. "Bitte nicht so viel Information! Taxi, was?" fragte er und schüttelte den Kopf. "Hat man Euch nicht beigebracht, dass man nicht so viel trinken sollte?"

"Und hat man Dir nich beigebracht, dass man nicht einfach fremde Mädels anfassen sollte?" fragte ich, über mich selbst erstaunt, dass ich noch einen Satz geradeaus bringen konnte.

Die Miene des Jungen verfinsterte sich. Meine Augen fielen immer wieder von selber zu und so schlief ich auf der Bank fast ein. Mir war es sogar egal, dass ein fremder Junge neben mir saß. Eine äußerst gefährliche Situation.

Er musterte mich immernoch. Seine Augen leuchteten, sein Blick verriet zuerst Mitleid, dann änderten sich seine Gesichtszüge und er wirkte fast sauer.

"Sei froh, dass ich Dich gefunden habe, bei dem Gesindel, welches hierrumläuft. Wie kann man so leichtsinnig sein?" Seine Stimme klang kalt. Mein Unterbewusstsein schrie: "Er hat Recht Du dumme Kuh!" aber ich war viel zu müde um... ich schlief ein.

 

So ein Scheiß, nun brachte ich dieses Mädchen bereits das zweite mal nach Hause. Nachdem ich sie in das Taxi verfrachtet hatte, war sie auch schon eingeschlafen. Zum Glück konnte ich mich noch an ihre Adresse erinnern. So schnell würde ich sie auch nicht vergessen. Der Taxifahrer fuhr sehr langsam durch die Straßen und ich bereute es schon nicht einfach Mr. Goldwin angerufen zu haben. "Geht das auch was schneller?" fragte ich. Doch der Fahrer schüttelte nur mit dem Kopf. Das Mädchen hatte ihren Kopf gegen meine Schulter gelehnt. Und wie sollte ich sie in das Haus bekommen? Sie hatte garantiert nicht schon wieder das Fenster offen gelassen. Langsam beugte ich mich über sie, immer darauf bedacht, dass ihr Kopf ruhig auf meiner Schulter liegen blieb. Ich erreichte ihre Tasche, wühlte darin rum und fand schließlich ihren Schlüssel. Als wir vor dem Haus in dem sie wohnte angehalten hatten, gab ich dem Fahrer das Geld, nahm das Mädchen auf den Arm und trug es die Veranda hinauf. "Passen Sie das nächste mal auf, dass Ihre Freundin nicht so viel trinkt!" rief der Fahrer mir noch hinterher. Idiot! Hätte ich sie nicht auf dem Arm gehabt, hätte ich ihm noch eine reingehauen. Durch die letzte Begegnung wusste ich noch, welches Zimmer ihr gehörte. Ich legte sie aufs Bett und wollte gerade wieder gehen, als mir ein paar Fotos an der Wand ins Auge fielen. Fotos auf denen sie mit einigen Mädchen und Jungs zusammenstand. Alle hatten die gleichen Klamotten an und... sie lächelte. Sie hatte ein schönes Lächeln. Auf einem Foto war sie mit einem Jungen zu sehen und beide sahen sehr glücklich aus. Zu Hause angekommen sprang ich unter die Dusche, schlüpfte in meine Jogginghose und machte es mir auf der Couch gemütlich.

Verwirrung

Erst gegen Mittag wachte ich auf. Mein Kopf schmerzte und mir war schwindelig. Mit langsamen Schritten bewegte ich mich vorwärts. Ich wusste weder, wie viele Cocktails mir Ashley untergejubelt hatte, noch wie ich nach Hause gekommen war. Ich nahm eine lauwarme Dusche, föhnte mir die Haare, zog mich an und begab mich zu Ashley, die im Wohnzimmer vor dem TV saß. Ich stellte mich ans Fenster und schaute hinaus.
"Claire, wir gehen heute Shoppen!"

"Was?" fragte ich erschrocken.

"Wir gehen heute in die Stadt. Mir ist langweilig! Und Winster hat gesagt, sie lernt heute."

"Wofür?" fragte ich.

"Wer weiß das schon? Sie lernt immer, wenn ich sie nicht wieder mit einer spaßigen Idee davon abbringe. Aber ich glaube heute würde ich damit kein Glück haben. Sie will sich auf die Schule vorbereiten. Also wir machen uns nun fertig und gehen in die Stadt!"

Eine Stunde später stand ich mit Ashley vor dem größten Kaufhaus der Stadt, leider war es auch das Einzigste. Ich hatte nicht so viel Geld wie sie, also beschloss ich mich dazu, mich zurückzuhalten. Lediglich ein schwarzes Oberteil mit halblangen Armen, die aus einer Art Netz bestanden und eine enge, blaue Jeans lagen in meinem Einkaufskorb. Aber Ashley hatte nach gefühlten hundert Klamottenanproben, immer noch nicht genug, war vollkommen aufgeregt und rannte durch jeden Gang. Sogar in der Männerabteilung fand sie ein "supercooles" Shirt, ehe ich ihr klarmachte, dass es für Männer war. "Ups!" war ihr Kommentar und sie ging lachend weiter. Lächelnd schüttelte ich den Kopf. Doch dann sah ich ihn... Grüne Augen durchbohrten mich. Wanderten über mein Gesicht.  Es war der Junge vom Strand. Justin. Er stand dort bei den Anzügen und schaute mich finster an. Die Kälte konnte man förmlich ergreifen. Ich fühlte mich so unwohl, dass ich schnell den Blick von ihm abwendete. Ich wollte mir über ihn keine Gedanken machen, genauso wenig wollte ich wissen, woher ich seinen Namen kannte. Wahrscheinlich war es eh nur Zufall gewesen. Genug Leute hießen so wie er. Ich rannte Ashley hinterher, die nach eineinhalb Stunden endlich den Weg zur Kasse gefunden hatte.

 

 

Nachdenklich saß ich auf Terrasse. Woher kannte ich seinen Namen? Warum schaute er mich so seltsam an? Und vor allem warum hatte ich Angst vor ihm, doch gleichzeitig faszinierte er mich? Würde er das nicht tun, würde ich mir nicht so viel Gedanken machen.  Mir wurde schwindelig, da ich auf all das keine Antworten hatte.

"Fertig, wir können los!" Ashley riss mich aus meinen Gedanken.

"Ashley, was denn nun schon wieder? Ich habe einen Shoppingmarathon mit Dir hinter mir." jammerte ich.

"Na deswegen wollte ich Dich auch auf ein Eis einladen." sie wirkte immernoch völlig aufgeweckt, obwohl wir knapp drei Stunden bei Hochsommertemperaturen in der Stadt unterwegs gewesen waren.

"Eis?" fragte ich. "Was ist mit Winster?"

Ashley schüttelte mit dem Kopf und zeigte auf mich. Winster hatte wahrscheinlich keine Lust. Mühsam raffte ich mich auf, ging Richtung Badezimmer und wusch mir erstmal durchs Gesicht. Meine Augen strahlten, obwohl ich unendlich müde war. Wie konnte Ashley nur so viel Energie aufbringen? Langsam tuschte ich mir die Wimpern und konnte mir ein Gähnen nicht verkneifen.

Ein paar Minuten später waren wir auf dem Weg in die Stadt.

Bereits bevor wir uns an unseren Tisch gesetzt hatten, fingen meine Augen seinen Blick ein. Er saß alleine in der hintersten Ecke. Seine Augen zuerst auf die Speisekarte gerichtet, verfolgten mich, seit ich das Eiskaffe betreten hatte, vom Eingang bis zu unserem Tisch. Erst als ich mich mit Ashley hingesetzt hatte, wandte er seinen Blick ab. Die Bedienung, die gewiss Jahre älter war als ich, mit schwarzen, langen Haaren, die ihr fast bis zu den Hüften reichten, schlawenzelte immer um ihn rum, nur um die Antwort zu erhalten, dass er immernoch nicht genau wisse, was er bestellen sollte. Er hatte also mit seinem Auftreten eine gewisse Anziehung auf diverse Alterskategorien der Frauen. Er musste mich verfolgen. Er war ein Stalker oder sonst was!  Immer diese Blicke. Mistkerl! Ich schaute ihn finster an, in der Hoffnung er würde wegschauen, jedoch hielt er meinem Blick stand. Und mal wieder hatte ich das Gefühl, als würde es eisigkalt im Raum werden.

"Claire? Hörst Du mir überhaupt zu?" Erschrocken riss ich mich aus meinen Gedanken.

"Äh, ja. Was hast Du nochmal gesagt? Es ist so laut hier!" erwiderte ich Ashley.

"Ach hör doch auf, Du hast den super Typen hinter mir angestarrt!" sie grinste.

Wow, ihr schien auch wirklich nichts zu entgehen, obwohl er ein paar Tische weiter weg hinter ihrem Rücken saß.

Ich zuckte mit den Schultern, tat gleichgültig und sah es nicht ein ihr meine Vermutung zu erzählen. Vielleicht war ich ja auch nur Paranoid! Er wohnte schließlich in der Stadt. Jedoch fragte ich mich immer und immer wieder, warum er mich die ganze Zeit beobachtete. Bilder vom Club, Bilder von ihm, Bilder, wie er mich die Veranda hinauftrug. Er hatte mich nach Hause gebracht! Ashley quatschte munter weiter und ich hörte ihr wieder nicht zu.

"Ashley, bestell mir bitte einen Shake, Amarena, wenn es geht, ich muss da was klären!"

Verwundert schaute sie mich an, als ich aufstand und mit hoch erhobenem Hauptes auf seinen Tisch zuging. "Woher weißt Du wo ich wohne und warum bist Du hier?" fauchte ich ihn an.

 

 

 

Ich hatte sie bereits lange beobachtet. Lange hatte sie meinem Blick standgehalten. So lange hatte es noch keine geschafft. Scheiße, warum musste sie mir auch gerade heute so oft begegnen? Ihre wütenden, grünen Augen funkelten mich an.

"Antworte mir!" sagte sie laut, woraufhin ein paar Leute uns anstarrten.

Langsam erhob ich mich, packte sie sachte am Arm und führte sie hinaus, hinter das Gebäude. Erst als uns wirklich niemand mehr sehen konnte ließ ich sie los. "Was willst Du?" fragte ich.

"Du bist ein Stalker! Du bist mir beim Joggen begegnet, dann heute morgen, ich habe Dich im Kaufhaus gesehen, nun bist Du hier und vor allem weißt Du wo ich wohne!" sie tippte mir gegen die Brust. Meine Muskeln verspannten sich augenblicklich. Halt Deine Wut zurück, sagte ich mir. Du willst Niemandem wehtun.

"Woher weißt Du wo ich wohne? Du hast mich nach Hause gebracht, als ich vor dem Club eingeschlafen bin!" Ihre mittelblonden langen Haare schimmerten im Mondlicht und ihre Augen folgten mir, egal welche Bewegung ich machte.

"Bild Dir nicht zu viel ein. So schön bist Du nicht! Hat das kleine, dumme Blondchen mal daran gedacht, dass es einen Schlüssel mit seiner Adresse in der Tasche hat? Hat es mal daran gedacht, dass es hier nur ein Kaufhaus gibt und sich da die halbe Stadt begegnet? Und vor allem, hat es mal daran gedacht, dass es mir danken sollte, dass ich sie in so einer Situation nach Hause gebracht habe? Was bildest Du Dir ein?" fragte ich sie.

Sie blieb augenblicklich still. Ich vernahm ihren Geruch und spürte ihre Angst. Sie wusste wahrscheinlich selber nicht, was sie da tat.

"Woher kenne ich Deinen Namen und warum reagierst Du so darauf? Hat Dir Niemand beigebracht, wie man mit Frauen umgeht?" fragte sie laut und kam näher. Ich wurde von ihr schon quasi gegen die Wand gedrückt. Ihr Temperament schien momentan nicht zu halten zu sein. Das Mädchen brachte mich vollkommen aus der Fassung und es machte mich wütend zugleich. Ich packte sie an den Handgelenken und drückte sie gegen die Wand. "Ich hatte einen schlechten Tag. Kein Grund dir auf irgendwas etwas einzubilden! Eigentlich dürftest Du merken, dass man so mit mir nicht redet!" ich kam ihr noch näher, näher als ich eigentlich wollte. Ich spürte ihren nervösen Atem. Ich hörte ihren Herzschlag und ich roch ihr Parfüm. Sie versuchte sich zu befreien. Ich lockerte meinen Griff und ließ sie los. Ihre Lippen und ihre Augen. Sie hatte schon in meinem Bett gelegen. Shit, hatte ich in der letzten Zeit nicht genug Vergnügen mit dummen Dingern gehabt? Warum fiel es mir so schwer sie nun einfach gehen zu lassen? Sie war anders, sie war clever. Alleine ihr Vokabular unterschied sich von den anderen nuttenartigen, kichernden Mädchen. Und das faszinierte mich so an ihr.

 

 

"Möchtest Du gehen?" flüsterte er. Ja! Geh. Fall nicht schon wieder auf so einen Typen rein. Vor allem kennst Du ihn nicht! schrie meine Vernunft. Ich nickte.

Die nächsten paar Tage vergingen wie im Flug. Ich versuchte mich abzulenken. Jeden Tag räumte ich mein Zimmer auf, machte Frühstück und spülte das Geschirr. Als ich an einem Abend auf der Couch lag und die Wand anstarrte kamen mir jedoch wieder die Erinnerungen hoch. Das schien die Übermüdung zu sein. Die letzten Nächte hatte ich höchstens 4 Stunden geschlafen. Die Alpträume waren wiedergekehrt. Und diese verstörenden Begegnungen mit diesem Typ hatten mir den Rest gegeben. Meine Augenringe konnte ich langsam aber sicher auch nicht mehr verbergen. Plötzlich gab es für mich nur wieder einen Namen: Justin! Ich war naiv und dumm. Punkt. Daran gab es nichts zu rütteln. Und unvernünftig war ich ebenfalls.

"Claire, mach Dich fertig, die Kirmes hat schon vor einer Stunde begonnen!" rief Ashley.

 

 

 

Es war eine knappe Woche her, als das Mädchen mich dazu gebracht hatte meine Selbstbeherrschung zu verlieren. So etwas war mir lange nicht mehr passiert. Ich schlug gegen die Wand. Und ich verspürte Hass. Ob es gegen das Mädchen oder gegen mich selbst war, konnte ich nicht genau deuten. Ich musste mich ablenken. Nach einem kurzen, telefonischen Gespräch mit Mr. Goldwin, dem Hausangestellten meines Onkels und meiner Tante, ging ich ins Badezimmer und wusch mir nochmal übers Gesicht. Danach kämmte ich mir durch meine lockigen Haare. Blöde Idee! Was sollte ich bei Onkel Drew und Tante Violet? Sie würden in einem Kilometer Entfernung meine Unsicherheit und meinen Frust riechen. Doch die Limousine stand bereits vor meiner Wohnung und hupte.

Tante Violet stand im Salon. Als sie mich sah, kam sie auf mich zu und begrüßte mich wie immer mit einer Umarmung. Ihre langen braunen Locken glänzten im Licht des Kronleuchters. Ihre braunen Augen schauten mich fragend an. "Alles gut?"

"Ja, Tante Violet, alles gut." antwortete ich schon fast genervt. "Wo ist Onkel Drew und wo ist Andrew?"

"Onkel Drew ist noch bei einer Versammlung. Ein Abtrünniger hat ein Mädchen angegriffen. Er hat damit riskiert, dass wir alle auffliegen. Überleg Dir das mal!"

"Aha." gab ich monoton zurück. Es musste die Rede von dem Mädchen sein, welches ich gerettet hatte. Scheiße, Kalvin, kannst Du nicht einmal die Klappe halten? Woher sollte Onkel Drew sonst davon wissen?

"Justin, alles klar?" Tante Violets Augen musterten mich.

"Ja. Wo sind Andrew und dieser.. Kalvin?"

"Sie sind ausgegangen!"

Tante Violet wusste, dass ich mich mit Kalvin nicht sonderlich gut verstand, ignorierte es aber immer wieder.

Sie holte gerade eine Vase für die Rosen heraus, als ich mich in den ersten Stock zu Charlene begab.

Ich wartete ohne zu Klopfen vor ihrer Türe. Scheiße, was wollte ich überhaupt bei ihr? Gerade, als ich mich umdrehte um zu gehen rief sie: "Justin? Komm rein! Ich habe Dich gleich an Deinen Schritten erkannt!"

Eher widerwillig öffnete ich die Türe und trat herein.

Sie saß an ihrem Schreibtisch und machte Hausaufgaben. Mit ihren langen braunen Locken und ihren rehbraunen, treuen Augen hätte man fast meinen können, sie sei das leibliche Kind von Tante Violet und Onkel Drew. Doch sie war es nicht. Sie wurde irgendwo verwahlost gefunden, in ein Heim gebracht und von zwei Pflegefamilien wieder weggeschickt, da sie nicht mit ihrem Temperament klarkamen. Natürlich nicht! Sie war genauso gut wie ich, nicht wie alle anderen! Onkel Drew und Tante Violet hatten sich früh dazu entschieden, keine eigenen Kinder bekommen zu wollen und somit sind sie in ein Heim gegangen und wollten eins adoptieren. Charlene war es, die sie ausgewählt hatten. Sie wussten direkt, was sie war. Am Anfang hatte Charlene ihnen nur Probleme bereitet, erst nach und nach wurde sie das ruhige, vernünftige Mädchen, welches ich heute kannte.

"Was ist los, Justin?" fragte sie mich. Ich ging zu ihr an den Schreibtisch und berührte sie an der Schulter. Einen kleinen Moment zögerte sie, dann stand sie auf und stellte sich ganz nah vor mich. "Kann ich Dir helfen?" Wer sollte mir schon helfen können? Ein nichtssagendes Mädchen ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ihre Hände berührten meinen Rücken, ihre treuen Augen funkelten und meine Hände vergruben sich in ihren Haaren. Ich brauchte Nähe, ich spürte es. Und ich fühlte mich schwach. Charlene hatte schon genug mit mir mitgemacht. Immer wieder bekam sie einen Korb. Doch sie hatte sich in mich verliebt und so war ich immer wieder derjenige, der ihr zu viel Hoffnung gab. Ihr Atem ging leise, jedoch stoßweise. Meine Lippen strichen über ihre Wangen. Meine Hände umfassten ihre schmalen Hüften.  Ich war kurz davor sie zu küssen, bevor ich Inne hielt. "Was ist los?" in ihren Augen spiegelte sich Traurigkeit. "Charlene, es.. ich kann das nicht. Ich wollte herkommen, um mich abzulenken. Aber würde ich das tun, würde ich Dir wieder Hoffnungen machen und Dir wehtun. Das will ich nicht. Ich bin einfach verwirrt und...  Ich muss gehen! Vergiss mich. Das geht nicht!" auf dem Absatz kehrte ich um, verließ das Zimmer, rannte an Tante Violets fragendem Blick vorbei und rettete mich in die kühle Nacht.

 

 

"Du hast gewonnen!" schrie Ashley freudig. Der junge Mann am Dartstand gab mir mit seinem vermutlich süßestem Lächeln einen Teddybär. "Danke!" sagte ich. "Kein Ding. So einem schönem Mädchen wie Dir, sollte man viel mehr schenken!" seine stahlgrauen Augen beobachteten meine Reaktion. Wahrscheinlich würde er so was jedem einiger Maßen hübschen Mädchen sagen. Ich schüttelte verlegen mit dem Kopf und ging mit Ashley davon. Wir trafen Winster bei einem riesigen Plakat. Aufgeführt waren alle Details der Stadt von ihrer Gründung 1902 an. "Wir sind hier um Spaß zu haben!" schrie Ashley Winster in die Ohren. Diese erschrak augenblicklich und zuckte zusammen. "Ashley! Spinnst Du?" schrie sie zurück, bevor sie uns eine Zusammenfassung des Aufgeschriebenen was sie gerade gelesen hatte präsentierte. Ein junger Mann mit braunem lockigem Haar, geschnitten zu einer gepflegten Frisur und grünen Augen stand in einer dunklen Ecke und starrte mich an. Justin. Als ich ihn so da sah, begann mein Herz einen Salto zu springen und sämtliche Nervenenden zu vibrieren. Ich schaute schnell weg. Doch seine Anziehungskraft war enorm. Ich spürte immernoch seinen Blick auf mir. "Claire, bist Du da?" Ashley nahm meine Hand. "Ja.. ja klar!" gab ich euphorisch zurück. Zu euphorisch. "Claire, alles gut?" Ashley musterte mich mit einem fragendem Blick. Was sollte ich ihr sagen? Weder im Eiscafe, noch an den Tagen danach, zu Hause, hatte ich jemals ein Wort über diese komischen Begegnungen mit Justin verloren. "Sicher?" Ashleys Blick folgte meinem. Scheiße! Warum musste ich in diesem Moment auch wieder zu Justin starren?

"Aha! Er ist wieder da! Claire, ich weiß ja nicht, was los ist, aber geh doch einfach mal zu ihm hin!" Ashleys süffisanter Blick machte mich wütend. Auf einmal kam er auf mich zu. "Nabend Mädels!" sagte er zu Ashley und Winster, bevor er mich ein Stück wegzog. "Bild Dir ja nicht wieder ein, ich würde Dich verfolgen. Ich möchte hier Spaß haben genau so wie Du. Und ich habe keine Lust mehr, dass Du mich siehst, als sei ich ein bekloppter Stalker! So etwas habe ich nicht nötig." mit diesen Worten ging er aus der Richtung, aus der er gekommen war.

 

 Ich war selber Schuld, ich war ja derjenige gewesen, der seinen Blick immer und immer wieder auf sie gehaftet hatte. Bis es ihr aufgefallen war. Ich hörte Schritte hinter mir und drehte mich blitzschnell um. Dort stand das Mädchen. Gefühlte Minuten starrten wir uns an, bevor sie auf mich zukam. "Sorry, ich wollte Dich nicht so blöd anmachen. Die Begegnung am Strand hatte mich nur so misstrauisch gemacht. Ich glaube auch nicht, dass Du ein Stalker bist. Ich bin einfach durch frühere Erfahrungen sehr ängstlich geworden!" Da war er wieder, ihr Blick. Natürlich hatte sie die Situation am Strand verwirrt. Wen hätte das nicht verwirrt? Frühere Erfahrungen, was kümmerte mich das?  Sie musterte mich. Ihre naiven Freundinnen beobachteten das Schauspiel. Am liebsten hätte ich in dem Moment die ganze Kirmes auseinander genommen. Jeder der mich kannte, wusste, dass ich dazu in der Lage war. Aber das Mädchen wusste es nicht. Und vielleicht war das ja auch gut so. "Was willst Du?" fragte ich schroff. Sie kam ein bisschen näher. Direkt stieg mir wieder ihr Geruch in die Nase. "Ich weiß nicht." sagte sie. "Vielleicht wollte ich mir einfach selber was beweisen..." sie stotterte und sie fror. Ihre Gänsehaut konnte ich quasi spüren. "Wenn Du mit mir weiter reden willst, dann nicht hier!" sagte ich, aggressiver als es mein Plan war. Doch sie reagierte nicht auf den Ton in meiner Stimme. Sie schien verwirrt. Ich ging auf sie zu, packte sie am Arm und wollte sie gerade in eine dunkle Ecke ziehen, als die Blonde rief: "Claire, alles gut?". Das Mädchen nickte mit dem Kopf und rief zurück: "Alles gut.". Claire war also ihr Name. Als wir hinter den Buden verschwunden waren, schaute sie mich fragend an. "Was?" fragte ich.

"Du hast mich nach Hause gebracht. An dem Abend, an dem Ashley die ganzen Cocktails ausgegeben hat. Du hast das Taxi bestellt."

"Ich weiß ja nicht, ob Du wieder gesoffen hast, aber ich weiß nicht wovon Du redest!"

 "Nein, ich bin klarer als je zuvor. Ich habe Dich gesehen. Du hast mir geholfen." ihre Augen musterten jeden meiner Schritte.

"Tja, so bin ich!" gab ich schroff zurück, die Wut eher auf mich, als auf sie gerichtet.

"Warum hilfst Du mir und gibst Dich nicht zu erkennen?"

"Ob ich ein Mädchen mehr oder weniger nach Hause gebracht habe, macht mir so wie so nichts aus!"

"Ich bin nicht irgendein Mädchen. Aber wenn Du so denkst, dann auf Wiedersehen!" Ihr Ausdruck war kalt und ihre Worte klar. Sie war im Begriff zu gehen.

"Bleib!" sagte ich kalt. "Geh nicht!" Und ich wusste nicht, warum diese Worte meinen Mund verließen. Sie machte mich verrückt. Ihr Duft, ihre Art, ich fühlte mich so zu ihr hingezogen, dass ich mich benahm wie ein Idiot. Dennoch reagierte Claire nicht. Sie drehte sich um und ging.

 

 

 

Verletzt

Wütend blickte er mich an. Seine Augen waren kalt, so kalt und undurchdringlich. Von jetzt auf gleich schien sich seine Stimmung verändert zu haben.

"Niemand spielt mit mir!" Ruckartig warf er mich über seine Schulter. Er packte mich nur mit einem Arm fest, es schien ihm allerdings nicht das Geringste auszumachen. Mit ihm spielen?

"Justin, was soll das? Lass mich runter! Ich will zu Ashley und Winster!" schrie ich und trommelte auf seinen Rücken.

"Nein, das willst Du nicht!" sagte er ruhig, fast gefährlich. Das hilflose Trommeln meinerseits auf seinen Rücken ignorierte er. Justin ging mit mir an den vereinsamten Außenseiten der Zeltreihen vorbei, an dem uns auch wirklich Niemand entgegen kam. Scheiße!

"Wenn Dich einer sieht. Das ist Entführung." schrie ich.

Ich hörte ein leises Lachen. Sein leises Lachen. Es klang amüsiert und beinahe hochnäsig. Ich hatte ihn noch nie lachen gehört. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Sofort schrie meine Vernunft: Du blöde Kuh, schrei! Doch vergebens. Meine Lippen brachten kein Wort mehr hinaus. Ich war erschöpft, erschöpft von den letzten Tagen, erschöpft von meinen Gefühlen und erschöpft durch das Einschlagen auf seinen Rücken. Mutlos gab ich auf. Justin rannte mit mir durch die dunklen Gassen Nevedias. Ich wusste nicht, wie lange wir unterwegs waren. Müde versuchte ich mir den Weg einzuprägen, um wieder zurück zu finden, sollte sich irgendeine Möglichkeit zur Flucht erkennbar zeigen. Jedoch war ich so müde und befürchtete mir nicht mal die Hälfte eingeprägt zu haben, als Justin vor einem kleinem Haus stoppte. Er ließ mich los, sodass ich fast hingefallen wäre, wenn er mich nicht in letzter Sekunde festgehalten hätte. Sachte stellte er mich auf meine Füße. Jedoch stand er nur wenige Zentimeter von mir entfernt. Er hatte mich den ganzen Weg getragen und schien nicht mal außer Atem zu sein. Der kalte Ausdruck in seinen Augen war weg.

"Also, was willst Du? Du bist müde. Entweder Du bleibst hier oder Du gehst nun nach Hause!"

Ich trat einen Schritt zurück.

"Wie bitte?" rief ich fassungslos und schüttelte mit dem Kopf. "Bist Du völlig verrückt geworden? Ich habe Dir gesagt ich möchte zu meinen Freundinnen, Du bringst mich trotzdem hierher und nun soll ich alleine nach Hause gehen?"

Seine Mundwinkel umspielte ein kaum bemerkbares Lächeln.

"Das ist die Strafe." antwortete er monoton.

"Die Strafe? Wofür?" mit weit geöffneten Augen schaute ich ihn an.

"Das Du mich provoziert hast."

"Das nennst Du provoziert? Du bist ja völlig kaputt." schrie ich wütend, beinahe verzweifelt.

Schlagartig verfinsterte sich seine Miene, er drehte sich um und ging Richtung Türe.

"Überleg es Dir, bleib hier oder geh nach Hause!" seine Stimme war kalt.

Dein Handy, bestell Dir ein Taxi! Meine Vernunft meldete sich mal wieder.

Scheiße, mein Akku war leer! Das durfte doch nicht wahr sein! Wütend schmiss ich das Handy zurück in meine Jackentasche. In dem Moment hörte ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Er war wirklich gegangen!

Ich spürte wie meine Beine nachgaben. Ich war übermüdet und konnte nicht mehr klar denken. Egal wie sehr ich auch versuchte mich an den Weg zu erinnern, den er mit mir gegangen war, immer fehlte ein Stück. Er hatte einen ganz anderen Weg benutzt, als Winster, Ashley und ich auf dem Hinweg. Erschöpft ließ ich mich auf die Stufe der Veranda nieder und lehnte meinen Kopf gegen das kleine Treppengeländer. Es war kalt.

 

 

Was war los? Nun war ich froh gewesen sie los zu sein und dann nahm ich sie wieder mit? Sie saß auf der Veranda und war eingeschlafen. Ich hatte sie beobachtet. Ihre Müdigkeit bis zu mir gespürt. Sie war den ganzen Weg erschöpft gewesen. Das würde ihr eine Lehre sein. Wütend zog ich mein Hemd aus und schleuderte es in die Ecke. Charlene hatte es umsonst gemacht. Umsonst ihre Gedanken gelöscht. Ich nahm dieses blöde Ding ja so wie so wieder mit nach Hause. Scheiße, sie zitterte. Frustriert ging ich im Wohnzimmer auf und ab. Ich musste sie reinholen! Ich schlug gegen die Wand. Warum? Warum sollte ich? Doch ehe ich mich mit meinen eigenen Fragen weiter wütend machen konnte, ging ich auf die Veranda, hob sie vorsichtig hoch und brachte sie hinein. Im Flur wachte Claire auf. Sie schaute mir genau in die Augen. "Geh weg, lass mich runter!" schrie sie auf und verpasste mir eine Ohrfeige, die ich nicht abwehren konnte, da ich sie immernoch auf beiden Armen trug. Miststück! Am liebsten hätte ich sie gegen die Wand geschleudert. Wütend trug ich sie ins Wohnzimmer und warf sie auf die Couch. Mit großen Augen schaute sie mich an. "Wolltest Du etwa draußen übernachten?" fragte ich sie verächtllich.

Das Mädchen zitterte vor Kälte. Ich ging ins Schlafzimmer und kam mit einer Decke zurück. Ich schmiss sie ihr hin und drehte mich um. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie meinen nackten Oberkörper oder eher gesagt meinen Rücken fragend betrachtete. "Ja, richtig, dass sind blaue Flecken. Du hast ganz schön viel Kraft." Ich drehte mich wieder zu ihr.

Es war ja nicht das erste Mal, dass ich mitbekommen hatte, was für eine Kraft sie hatte.

"Aber keine Sorge. In ein paar Stunden wirst Du von den blauen Flecken nichts mehr sehen!" ich grinste.

Sie schüttelte mit dem Kopf. "Was willst Du, Justin? Warum lässt Du mich nicht einfach in Ruhe?"

Diese Frage gab mir einen Stich. Es war die Frage, die ich mir selber stellte, seit ich sie getroffen hatte. Claire stand auf und kam auf mich zu. So nah, dass ich ihren warmen Atem spüren konnte. Meine Gedanken fuhren Achterbahn. Was bildete sie sich ein, mir so nah kommen zu können? Die Bilder meiner letzten Begegnung stiegen mir in den Kopf. Ein blondes, langhaariges Mädchen, mit falschen Wimpern, welches sich im Club mit ihrem Minirock an mich gepresst hatte. Sie hatte es darauf angelegt und ich hatte sie mit nach Hause genommen, mit in mein Bett genommen. Sie war die Ablenkung die ich damals gebraucht hatte und es hatte Spaß gemacht. Am nächsten Morgen hatte ich sie gebten zu gehen und sich nicht mehr zu melden. Süffisant grinste sie mich an und verließ meine Wohnung. Aber Claire hatte ich unter ganz anderen Bedinungen kennen gelernt! Ihre grünen Augen leuchteten, ihr Geruch stieg in meine Nase. "Du machst mir Angst!" wisperte sie. Das sollte ich auch! Genau so war es vorgesehen! Ihre Augen hielten die ganze Zeit meinem Blick stand. Sie war in diesem Augenblick so.. verletzlich.

"Dann bist Du klug!" sagte ich, nahm sie jedoch in den Arm. Meine eine Hand vergrub sich in ihren langen Haaren, meine andere strich ihr über den Rücken. Ihre Wärme, ihr Geruch...

Ich bemerkte ihre Unschlüssigkeit und wapnete mich gegen eine erneute Attacke ihrerseits. Ich konnte ihre Stimmung nicht richtig einordnen. Das war mir noch nie passiert! Warum war es bei ihr so schwer?  Ich atmete ihren bittersüßen Duft ein und hörte ihren Atem. "Könntest Du mich nicht doch nach Hause bringen?" fragte sie leise und strich mit ihren Händen an meinem Rücken entlang. Und dann spürte ich... Rache! Sie wollte mich verarschen! Sie spielte mit mir! Klar, ich sollte sie nach Hause bringen.

Ruckartig löste ich sie von mir. "Geh auf die Couch und nimm Dir die Decke, Dir ist kalt!" mein Ton war rau. Sie schaute mich nur fragend und unverständlich an. Dann legte sie sich hin. Claire drehte sich um und begann zu schlafen. Ein paar Minuten lief ich noch wie ein blöder Idiot leise auf und ab. Dieses Miststück wollte mich ablenken. Wollte sich bei mir einschleimen. Nachdenklich begab ich mich in meinen Sessel. Die Erinnerungen an den ersten Abend kamen hoch. In diesem Sessel war Claire damals eingeschlafen, bevor sie mich mit letzter Kraft und ihren strahlend grünen Augen gemustert hatte. Nein! Ich sprang auf und schlug gegen die Wand. Meine Hand begann zu bluten und die Wand wies eine Delle auf. "Du weißt manchmal nicht wohin mit Deiner Kraft, Justin! Du musst Dich kontrollieren!" ich sah Tante Violets ernstes Gesicht vor mir. Wohin mit meiner Kraft, Kontrolle? Sie hatte leicht reden, um Himmels Willen. Doch genau das hatte sie noch vor ein paar Wochen zu mir gesagt. Ich hatte meine Wohnungsschlüssel verloren, kam aus der Disco und hatte eine Blondine im Schlepptau. Spät nachts klingelte ich an der Villa und Mr. Goldwin öffnete uns. "Die Herrschaften schlafen bereits!". Und auch er schien unendlich müde. "Danke Goldwin, aber ich brauche die Herrschaften nicht, ich übernachte heute in meinem alten Zimmer!" erwiderte ich locker. Das Mädchen, dessen Namen ich schon wieder vergessen hatte, kicherte und folgte mir. Ich warf sie aufs Bett und begann sie sanft zu streicheln. Ihre Augen strahlten mich an. Viel wusste ich von dem Abend nicht mehr, außer das ich meinen Spaß hatte und ich sie am nächsten Morgen wegschickte. Am Frühstückstisch fragte Tante Violet mich, wer das hübsche Mädchen gewesen sei. Als ich ihr keine Antwort gab, harkte sie nach. Wütend schlug ich mit meiner Hand auf den Tisch. "Wen interessierts?" schrie ich. "Du weißt manchmal nicht wohin mit Deiner Kraft, Justin! Du musst Dich kontrollieren!" Tante Violet... wenn alles so einfach wäre.

"Nein, bitte, tu es nicht!" die Stimme des Mädchens weckte mich aus meinem Traum. Scheiße, was war los?

Schnell sprang ich auf und lief Richtung Wohnzimmer. Claire drehte sich hin und her. "Fass mich nicht an!" schrie sie. "Wir waren so glücklich!" Tränen liefen über ihr Gesicht. Schweißperlen liefen ihr die Stirn hinunter. "Pack mich nicht an!" ihre Stimme klang erschöpft. Ich ging langsam zu ihr und verspürte plötzlich das Bedürfnis ihr über die Wangen zu streicheln und sie in den Arm zu nehmen.

 

 

Schon wieder dieser Alptraum! Jemand berührte mich, streichelte über meine Arme und wanderte hoch zu meinem Gesicht. Ich öffnete die Augen. Justin! Er war über mich gebeugt. Seine grünen Augen waren selbst in der Dunkelheit gut zu erkennen. Sein Blick war undurchdringlich wie immer, doch seine Berührungen waren anders. "Justin, bitte, hör auf!" sagte ich und setzte mich hin. Berührungen konnte ich im Moment einfach nicht vertragen. Erschrocken sah er mich an, folgte jedoch meinem Befehl und stellte sich auf. "Kann ich Dir helfen?" fragte er kühl. "Nein, es ist.. alles in Ordnung." stotterte ich. Fragend schaute er zu mir. Sein nackter Oberkörper... Erst jetzt schaute ich ihn mir genauer an. Breite Schultern, definierter Bauch. Er schien zu trainieren. Ich hielt meinen Kopf, zu viele Gefühle. Justins Augen schienen mich zu durchbohren. Er räusperte sich. "Ich hol  Dir ein Glas Wasser!" sagte er, begab sich Richtung Küche und kam eine Minute später wieder. Nachdem ich einen großen Schluck getrunken hatte, setzte er sich neben mich. Ich hatte mich einiger Maßen erholt und dachte in seiner Gegenwart schon gar nicht mehr an meinen Traum. "Was ist los?" Seine Worte drangen zwar zu mir durch, aber ich war zu verwirrt um auf seine Frage zu antworten. Vielleicht wollte ich es auch einfach nicht. Statdessen beugte ich mich vor und kam ihm immer näher. Vielleicht war es nur die Müdigkeit, seine wunderschönen Augen die mich anschauten oder auch seine besorgte Art, die mich weich werden ließ. Als sich unsere Nasenspitzen berübhrten hielt ich inne. Ich spürte seinen warmen Atem an meinen Lippen. Doch dann kam meine Vernunft zurück. Schnell rückte ich auf die andere Seite der Couch. Fast erschrocken blickte er mich an. "Claire, Niemand weist mich einfach ab. Du hast es getan. Es war ein Versuch, aber Du bist es nicht wert. Es scheint Du weißt mich nicht zu schätzen. Ich werde Dich morgen früh nach Hause bringen!" ruckartig stand er auf und ging fort. Was hatte er da gesagt? Ich war es nicht wert? Also nicht wert... Nur weil ich sein Spiel nicht mehr mitspielen wollte? Hatte er eben eine andere Seite von sich gezeigt, so war er blitzartig wieder zu dem arroganten, unnahbaren Typen geworden, den ich kennen gelernt hatte. Als ich am nächsten Morgen aufwachte bemerkte ich, dass Justin neben mir lag. Sein ruhiger Atem ging gleichmäßig. Aber er hatte sich auf der großen Schlafcouch soweit abgewandt, dass er mich nicht berührte. Seine Muskeln waren angespannt und seine Augenlider flatterten hin und her. Insgesamt schien Justin unruhig. Er lag zu mir gerichtet, sodass ich sein wundervolles Gesicht betrachten konnte. Anders konnte man es nicht nennen. Seine langen Wimpern, seine vollen Lippen, seine hohen Wangen... Am liebsten hätte ich ihn berührt. Dann kam mir seine Kälte wieder in den Sinn. "Hör auf mich zu beobachten, dass kann ich nicht leiden!" seine kühle Stimme erfüllte den Raum und augenblicklich schrak ich auf. Seine Augen öffneten sich langsam und er schaute mich direkt an. "Was gibts? Du musst doch noch vollkommen müde sein!". Geschmeidig, wie ein Leopard, richtete er sich auf und stand plötzlich vor mir. Genervt schaute ich auf die Funkuhr, die auf dem kleinen, dennoch sehr modernem Wohnzimmertisch stand. Viertelnach sieben. Ob Ashley und Winster sich Sorgen machten? Die beiden hätten eine bessere Mitbewohnerin verdient, so viel stand fest.

Justins Jeans saßen bei Weitem nicht mehr so gut wie am Anfang des abends und sie gaben den Blick auf seine Boxershorts frei.

Ich stand auf, nahm meine Tasche und Schuhe und ging Richtung Haustür. Justin stand nur da und ein Lächeln umspielte seine Lippen. "Sprich mich nie wieder an, halt Dich fern von mir und such dir irgendein naives Ding, welches es wert ist Deine Nähe genießen zu können!" sagte ich und verließ seine Wohnung. Weg hier, weg hier! Ich ging die Veranda hinab und lief über die Straße in irgendeine Richtung. Sämtliche Gedanken gingen mir durch den Kopf und Bilder der Einnerungen verfolgten mich. Matthew, mein erster Freund. Mittelblonde, immer gestylte Haare, strahlend blaue Augen, treues Lächeln. Geh weg! Ich schüttelte mit dem Kopf und ging immer weiter die Straße entlang. Nun stell Dich nicht so an! Sein triumphierendes Lachen. Hör auf! Ich lehnte mich tränenüberströmt gegen einen Laternenpfahl. Schläge, blaue Flecken... "Kann ich Dir helfen?" Ich hatte nicht bemerkt, dass ein Auto neben mir gehalten hatte. Eine junge, hübsche Frau schaute mich mitfühlend an. "Ja.. ich... Könnten Sie mich einfach nur nach Hause bringen?" "Natürlich!"  Ich saß still in ihrem Auto. Bestimmt ein paar Minuten, ehe sie es sich wagte mich anzusprechen. "Wo musst Du denn hin?" Anstatt ihr eine Antwort zu geben, reichte ich ihr meinen Schlüssel, an dessen Anhänger unsere Adresse stand. Sie nickte kurz und fuhr los. "Wenn Dir Jemand etwas angetan hat, fahre ich Dich auch gerne zur Polizei." Ich schüttelte energisch mit dem Kopf. "Glaub mir, die Polizei kann gegen gefühlslose Idioten, die sich einfach nur über Dich lustig machen auch nichts ausrichten. Gerade wenn Du in der Vergangenheit genug mit gemacht hast."

Sie begann zu grinsen. Ein paar Minuten später hielt die Frau vor unserem Gebäude. "Es geht weiter. Glaub es mir. Irgendwann wirst Du den Richtigen finden und Dich in den Arsch treten, dass Du irgendwann mal irgendeinem Idioten nachgelaufen bist. Ich spreche aus Erfahrung!" demonstrativ hielt sie mir ihren Ehering entgegen. "Danke!" sagte ich und lächelte, ehe ich mich ins Haus begab. "Claire, wir müssen reden!" ruckartig drehte ich mich um und sah ins Ashleys verägertes Gesicht. Auf der einen Seite hatte ich in dem Moment Angst vor ihr, vor ihrer Reaktion. Auf der anderen Seite hatte ich das Bedürfnis getröstet zu werden. "Ashley!" rief ich und warf mich ihr in die Arme, bevor ich wie ein Häufchen Elend mit ihr zu Boden ging. Erschrocken schaute sie mich an und hielt mich in ihren Armen. "Claire!" sagte sie erstaunt, "Was ist denn los? Wir bringen Dich erstmal auf die Couch."

Winster kam sofort angelaufen und schaute Ashley verwirrt an. Jede nahm einen Arm und zusammen stützten sie mich, bis ich die Couch erreicht hatte. Ashley legte ihre Hand auf meine Schulter. "Was ist los? Hat er dir was angetan?"

Ich schüttelte mit dem Kopf, "Nein... also ja! Es ist momentan alles zu viel." Wieder begann ich zu weinen und haute mit voller Wucht auf den Wohnzimmertisch, worauf mich Ashley und Winster fragend anblickten. "Ich bin so dumm. Ich hätte mehr für ihn fühlen können. Aber er ist nur ein selbstverliebter, egoistischer, emotionsloser Idiot!" schrie ich.

"Claire, beruhige Dich. Winster macht Dir erstmal einen Kaffee, dann sehen wir weiter!" Immernoch hielt Ashley mich fest in ihren Armen. Ich setzte mich auf.

"Daran, dass ich so scheiße dumm bin, kann auch ein Kaffee nichts ändern. Er hat mich behandelt wie Dreck. Genau wie es schon so viele gemacht haben." Ich wusste, ich weinte nicht wegen Justin, den Typen kannte ich ja nicht mal richtig. Aber die Erinnerungen an damalige Ereignisse gaben ihren Rest dazu. Und trotzdem ließ mich Justins Art nicht los. 

Alltag

"Dreck!" schrie ich und schlug gegen die Wand. Wenn das so weiter gehen würde, müsste ich sie noch abreißen lassen. Die Knöchel pocherten und liefen blau an. Es schmerzte. Aber der Schmerz würde schnell vergehen. Ich wollte ihr wehtun ich wollte es! Sie hatte zu wissen, dass man mich nicht abweist. Und dennoch hatte meine Reaktion mir leid getan. Was war nur los? Dieses Mädchen schaffte es innerhalb von ein paar Wochen mich aus der Bahn zu werfen. Nun brauchte ich wirklich Ablenkung! Doch wo sollte ich hin? Zu Tante Violet? Mir Standpauken aufgrund meines Verhaltens und meiner blau angeschwollenen Knöchel anhören? Zu Charlene, die ich mehr als einmal verletzt hatte? Oder zu Onkel Drew, der mir so wie so wieder Vorwürfe über meinen Lebensstil halten würde? Ich musste Frust abbauen! Und das konnte ich am besten im Fitnesscenter!

Eine halbe Stunde später stand ich vor den großen Spiegeln und den vielen Geräten. Kichernde Mädels, die nur im Center waren um ihre schönen Körper zu zeigen, sowie auch einige Jungs auf Anabolika waren mit trainieren beschäftigt. Idioten, spürten sie nicht wie der Scheiß sie ruinieren würde? Lachend schüttelte ich mit dem Kopf und begab mich an die Hantelbank. Mein Körper war angespannt, jedoch nicht nur vom Trainieren sondern auch von all dem anderen Frust der letzten Tage. Die Musik die lief, war auch schonmal besser gewesen. "Hi J!" ertönte plötzlich eine rauchige Stimme. J... Ich hatte den paar Mädels mit denen ich was gehabt hatte nur den ersten Buchstaben meines Vornamens verraten. Also musste es eine von ihnen sein. Langsam ließ ich die Hanteln fallen und setzte mich auf. Ein Mädchen mit langen, braunen Haaren starrte mich an. "Chamila!" sagte ich grinsend. "Alles gut?" Ihre stahblauen Augen musterten mich. Ihr Blick wanderte über meinen nackten Oberkörper und er verriet, dass ich ihr immernoch mehr als gefiel.

"Nun wo ich Dich sehe, geht es mir gut!" raunte sie.

Etwas später schubste ich sie zu ihrer Eingangstür hinein. Sie küsste mich mit gierigen Lippen. Ihre Hände, die schon seit geraumer Zeit unter meinem Hemd waren, gleiteten über meinen Oberkörper und ihre künstlichen Nägel hinterließen kleine Striemen. Ich drückte sie gegen die Wand und fuhr mit meinen Händen unter ihr T-Shirt, berührte ihre Brüste. Hätte sie wirklich trainieren wollen, hätte sie sich sicher einen BH angezogen. Ein Keuchen ihrerseits durchbrach die Stille. Meine Lust wurde immer größer. Ihre Hände krallten sich in meinen Rücken. War Chamila, die flüchtige Bekanntschaft es wert, mit mir zusammen zu sein? Scheiße, keine Gedanken mehr an so was! Ich befreite mich aus Chamilas Griff und ging mit ihr Richtung Schlafzimmer. Dort warf ich sie aufs Bett und legte mich auf sie. Sie begann meinen Rücken zu streicheln und ich umfasste ihre Oberschenkel. Ich wollte mich mit meinen Händen gerade zu ihrem Slip vorarbeiten.

"J... wie heißt du?" die Stimme Chamilas durchbrach meine aufgekommene Leidenschaft.

"Das geht Dich nichts an!" sagte ich schroff, ohne die Hände von ihr zu lassen.

"Aber es gibt doch sicher Mädchen die Deinen Namen kennen. Ich meine, außerhalb Deiner Familie!"  Ich stoppte. Herausfordernd schaute sie mich mit ihren naiven blauen Augen an und strich mir übers Gesicht.

"Wenn Du genau es wissen willst, gibt es zwei und an beide will ich nicht denken!" ich ließ von ihr ab und setzte mich auf. "Das musst Du auch nicht, ich bin ja da." sagte sie und knabberte an meinem Ohr.

Dann begann sie mich zu küssen, ich war kurz davor es zu erwidern, bevor ich aufstand. "Ich kann das nicht." sagte ich und sammelte mein Hemd auf. "Was soll das, Du warst doch das letzte Mal nicht so." fast bettelnd lag sie auf dem Bett.

Nichtssagend verließ ich ihre Wohnung und ging durch die inzwischen dunkel gewordenen Straßen Nivedias. Die Ruhe in der Stadt konnte so schön sein. Und auch die Ruhe in meiner Wohnung erschien mir wie ein Geschenk!

Ich ließ mich auf die Couch fallen und schaltete durch die Kanäle.  Auch wenn wir nicht viel Schlaf brauchten, fühlte ich mich dennoch unendlich müde. Es beunruhigte mich fast. Doch bevor ich mir weiter Gedanken machen konnte, war ich eingeschlafen.

Das Geräusch von Wassertropfen ließ mich wachwerden. Ich riss die Augen auf und stand blitzschnell vor meinem Sofa. Scheiße, was war das? Das Geräusch kam von der Küche. Ehe ich es realisieren konnte, stand ich im Flur in einer riesen Pfütze voll Wasser. Die Geschirrspülmaschine! Ich rannte in die Küche und sah bereits, dass diese völlig unter Wasser stand. Das Rohr musste geplatzt sein.

"Natürlich nehmen wir Dich so lange auf, bis Deine Wohnung wieder in Ordnung ist und was das Geld angeht, brauchst Du Dir auch keine Sorgen zu machen!" Tante Violet strich mit ihrer Hand über meinen Rücken. Als alle anderen weg waren kam Charlene auf mich zu.

"Justin, was ist los?" ihre braunen Augen musterten mich.

"Ich habe einen Wasserschaden in der Wohnung, was soll los sein?"

Energisch schüttelte sie mit dem Kopf.

"Nein, dass ist es nicht!"

Scheiße, genau deswegen wollte ich nicht hierher, genau deswegen war ich kurz davor mir irgendein Hotel zu suchen. Jeder hier, bemerkte meine Gefühle. Ich wollte Freiheit! Die bekam ich, als ich beschloss, eine Woche lang weg zu fahren. "Aber Du kannst doch nicht einfach so abhauen!" sagte Tante Violet. Wir standen in der großen Auffahrt.

"Ich hau nicht ab, ich will einfach mal eine Woche lang meine Ruhe haben!" gab ich sauer zurück und schmiss den Koffer in den BMW von Onkel Drew.

"Und Du bist Dir sicher, dass Drew erlaubt hat, dass Du eine Woche seinen Wagen entführst?"

"Klar!"

"Justin, ich fühle es. Du lügst. Warum tust Du das?"

"Weil ihr es nicht anders wollt. Ihr redet immer von Vertrauen! Scheiße! Kal, den wir praktisch von der Straße geholt haben, zieht mich auf, beleidigt mich, in unserem Anwesen! Ihr seht alles mit an. Dann gehe ich einmal auf ihn los und werde von Euch verbannt, in ein kleines Stadthaus?" Wütend schlug ich mit der Faust aufs Autodach.

"Justin, bitte! Wenn Andrew nicht da gewesen wäre..."

"Was dann? Denkst Du ich hätte immer weiter auf diesen Mistkerl eingeprügelt? Ich wollte ihm nur eine Lektion erteilen. Und trotzdem hat sich sein Verhalten mir gegenüber nicht geändert. Aber den Störenfried Justin, den kann man ja hinauswerfen und sich selbst überlassen."

"Justin, hör auf!" schrie Tante Violet. Ihre sonst so treuen Augen schienen unsagbar wütend. "Wir wissen genau, was Dir widerfahren ist. Aber wir haben dich lange genug wie ein rohes Ei behandelt. Es war nicht nur die Sache mit Kal. Du musst einfach mal Verantwortung für Dein Handeln übernehmen!" ihre Stimme bebte.

Erschrocken schaute ich sie an, schüttelte mit dem Kopf und stieg in den Wagen.

"Justin!"

Ich wollte meinen Namen nicht mehr hören, ich wollte niemanden aus dieser scheiß Stadt mehr hören. Ich wollte einfach nur mal wieder frei sein. Mit quietschenden Reifen fuhr ich davon.

Ein paar Tage hielt ich mich an der oberen Küste auf. Tagsüber ging ich an den Strand, in Cafes, beobachtete die Menschen. Und spät am Abend ging ich in den Whirlpool des Hotels. In der Nacht saß ich oft auf dem Balkon, der mir einen Blick über die ganze Stadt schenkte. Doch Claire konnte ich nicht vergessen. Das erste Mal seit mir die Sache widerfahren war, begann ich wieder etwas zu fühlen, außer Wut und dem Instinkt dem Männer meistens nachgehen. Sie hatte mich aus irgendeinem Grund in der kurzen Zeit verändert. Doch es ging nicht. Ich wollte meine Freiheit nicht aufgeben, wie ich es damals getan hatte. Ich musste mich von ihr fernhalten und sie in Ruhe lassen. Das wäre auch fairer für sie.

 

Der erste Schultag war langweilig. Die Leher stellten sich vor und uns wurde ein großer Vortrag über unsere zukünftigen Berufschancen gehalten. Außerdem wurde uns für jedes Fach der dafür vorgesehene Raum gezeigt. Zum Glück war ich bis auf ein paar Kurse mit Ashley und Winster zusammen. Wenigstens konnte ich in der ersten Schulwoche die seltsamen Geschehnisse mit Justin vergessen. Ich kam nachmittags von der Schule und hing mich direkt in meine Hausaufgaben, sodass ich am Ende der Woche bereits mein erstes Lob von unserem symphatischen, jungen Lehrer Mr. Goldwin bekam. Gut gelaunt, schlenderte ich von der Schule nach Hause. Anstatt den direkten Weg zu nehmen ging ich jedoch durch die Stadt.

"Hey Claire!" eine Männerstimme rief nach mir, als ich mir im Schaufenster gerade die neu gelieferten Schuhe betrachtete.

"Mr. Goldwin, was machen Sie denn hier? Sollten Sie nicht das freiwillige Sportprojekt leiten?"

"Doch, doch. Aber anstatt freitags findet es nun mittwochs statt. Und Sie? Sollten Sie nicht lieber lernen oder Hausaufgaben oder Ähnliches machen?" er hatte ein richtig tolles Lächeln. Direkt am ersten Tag war klar, warum Mr. Goldwins Fächer und auch freiwillige Projekte sehr gut besucht waren. Mit seinen schwarzen Locken und seiner großen, sportlichen Gestalt war er der Mädchenschwarm. So lange man ihn nicht reizte war er wirklich locker und eine Art Kumpeltyp, weswegen auch die Jungs ihn mochten.

"Nun ja, auch Schüler haben mal Wochenende." sagte ich und er lachte. Schöne blaue Augen hatte er auch noch. Und plötzlich musste ich an Justins bernsteinfarbene, strahlende Augen denken. Wie sie mich immer gemustert hatten. Keinen Gedanken mehr an ihn! Ich schüttelte mit dem Kopf.

"Alles okay bei Ihnen, Claire?"

"Äh, ja. Ich... hatte mir nur überlegt, ob ich mir diese Schuhe dort kaufen soll. Aber mir ist eingefallen, dass ich für diesen Monat leider nicht mehr genug Geld habe." gut gelogen, Madame.

"Ja, ja, die Studienzeit. Morgens Schule, mittags Hausaufgaben und Klausurvorbereitungen und abends Eis verkaufen."

"Eis verkaufen?"

"Jap, ich habe mir in einem Eiscafe etwas dazu verdient. Schließlich mussten die Partys ja auch noch finanziert werden!" Mr. Goldwin zwinkerte mich an und ich begann zu lachen.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 12.12.2010

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