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Ich bin wach.

Ich bin immer noch wach.

Und jetzt, jetzt bin ich noch genauso wach wie eben.

Ich will schlafen, meine Ruhe haben, die Gedanken in meinem Kopf zur Seite drängen. Ich will sie loswerden, zerre an meiner Bettdecke, verkrieche mich darunter, irgendwas…
Irgendetwas tun, damit sie weg gehen, diese Gedanken.
Diese bösen, hässlichen Gedanken, diese schönen, wunderbaren Erinnerungen, und diese warmen, zarten Vorstellungen von morgen. Ich will sie nicht. Nicht jetzt. Jetzt will ich einen leeren Kopf. Meinen Kopf. Und zwar für mich. Für mich alleine.
Ich will ihn nicht teilen, mit Gedanken, mit Erinnerungen, Vorstellungen und Dingen die mich belasten oder mich vor Freude in die Luft springen lassen.
Ich will schlafen.
Meine Gedanken machen mir Angst. Sie verfolgen mich. Tag für Tag. Nacht für Nacht.
Und heute Nacht ist es wieder besonders schlimm. Sie lassen mir keine Ruhe, keine Zeit zum Verschnaufen, keine Zeit um wieder zu Kräften zu kommen.
Sie wirbeln in meinem Kopf umher, machen mich unruhig, lassen meine Hände zucken.
Und ich will doch nur schlafen.

Ich bin wach.
Ich stehe auf, muss herumgehen, muss meine wirbelnden Gedanken fangen, sie festhalten und zurück hinter das Gitter sperren, in dem ich sie so lange festhalten konnte. Nicht jetzt. Morgen dürft ihr frei sein.
Aber jetzt brauch ich Ruhe. Ich brauche Schlaf.
Ich laufe in meiner Wohnung auf und ab, will schreien, etwas kaputt machen, ein Glas Wasser trinken, alles.
Alles was diese Gedanken davon abbringt mir weh zu tun. Mich fertig zu machen. Mich nicht in Ruhe schlafen zu lassen.
Ich ging in die Küche, musste etwas trinken, ein Glas Wasser, damit das die Gedanken davon schwemmt. Das Wasser war kalt, machte mich noch wacher als ich ohnehin schon war. Es lähmte die Gedanken ein Wenig, machte es leichter sie wieder einzufangen und wegzusperren. Aber sie waren immer noch da, kalt, beängstigend, erdrückend.

Ich bin wach.
Ich lege mich wieder hin, zu verzweifelt um klar zu denken, zu müde um meine Augen offen zu halten, aber schlafen. Schlafen kann ich auch nicht.
Ich drehe mich wild im Bett herum, versuche liegen zu bleiben, kann es aber nicht. Die Gedanken kreisen in meinem Kopf, und ich kreise mit ihnen.
Tausend Dinge kommen mir in den Sinn, durchschießen meinen Kopf mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit, verweilen nicht, rasen weiter, hinaus.
Hinaus aus meinem Kopf. Und kurz darauf wieder hinein.
Ich drehe mich um, versuche ich auf die Gedanken zu legen, sie zu erdrücken, zu zerpressen, zu vernichten. Aber es hilft nichts, sie suchen sich einen klitzekleinen Spalt, können wieder entwischen, laufen wieder davon, versuchen alles um nicht eingesperrt zu werden.
Und ich lasse sie gewähren.
Ich kann sie nicht aufhalten. Sie sind zu schnell, zu stark für mich. Und ich bin müde, will schlafen, will einen Moment Ruhe nur für mich. Doch die Gedanken gewähren ihn mir nicht.

Ich bin wach.
Und meine Gedanken auch.
Sie sind genauso müde wie ich, sind auch erschöpft, wollen auch schlafen.
Sie durchzucken mühselig meinen Kopf, zerbrechen an meiner Schädeldecke und klauben sich wieder zusammen. Das Tempo wird langsamer, immer träger huschen sie durch mich.
Aber für mich sind sie immer noch viel zu schnell.
Meine Gedanken wollen rasten, schweigen, sich zurückziehen.
Warum tun sie es dann nicht?
Meine Augenlider zucken erschöpft. Ich werde meine Gedanken nicht davon abhalten zu schweigen, mir endlich meinen Schlaf zu überlassen. Ich werde sie nicht daran hindern es zu unterlassen mir Kopfschmerzen zu machen, wieder und wieder, und dann von vorne.
Von vorne zu beginnen mir Sorgen zu machen, mich noch einmal alles durchdenken lassen, noch einmal keine Ahnung zu haben wo ich stehe, was ich will, wohin ich gehe.
Und was dann geschehen kann, wenn ich will, und wenn ich nicht will.
Und auf einmal sind sie still.

Ich bin wach.
Noch immer. Aber meine Gedanken, sie schlafen, ruhig irgendwo in meinem Kopf.
Ich will nachdenken, kann es aber nicht. Zu erschöpft, zu müde. Muss schlafen.
Aber ich kann nicht. Die Stille ist überwältigend, macht mir Angst, macht ich wach. Sie zerdrückt meinen Schädel von außen, als ob innen Vakuum wäre dass ihn zusammenzieht.
Mein Kopf ist leer. Ich hab ihn nur für mich. Alleine.
Aber ich will ihn nicht nur für mich. Es tut weh in meinem Kopf. Ich vermisse die Anwesenheit meiner Gedanken, meiner besten Feinde.
Ich will sie wieder haben. Jetzt. Sofort.
Sie sollen mich wach halten, mich beuteln und verzweifeln lassen, irgendetwas.
Irgendetwas machen dass diese unerträgliche Stille vergeht, dass ich nicht alleine bin.
Aber meine Gedanken schweigen.

Ich bin wach.
Nicht mehr lange, dann muss ich aufstehen, dann ist früh und ich muss zur Arbeit, muss raus aus dem Bett und weg gehen.
Aber ich bin so müde.
Schlaflos, unruhig war diese Nacht. Und ich weiß, dass sie nicht die letzte dieser Art gewesen sein wird.
Es wird noch viele Nächte geben, in denen meine Gedanken und ich einen erbitterten Kampf führen werden, in denen wir uns anschweigen werden als ob wir uns nicht kennen würden, in denen wir nicht miteinander klarkommen.
Und ich weiß, dass ich daran schuld hatte. Aber ich konnte nicht nachdenken warum das so war.

Ich bin wach.
Und es ist hell.
Mühselig rappel ich mich aus meinem Bett auf und dränge meinen Körper zur Arbeit.

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Tag der Veröffentlichung: 19.12.2010

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