PROLOG
"Was zum Teufel wollen sie eigentlich von mir?" Da saß ich nun und sollte erzählen. Ja, was eigentlich? Ach ja, warum ich meine Eltern umgebracht hatte. Aber hatte ich das auch? Ja? Nein?
"Ein Geständnis, wenn es ihnen belangt, Mister Waldon."
"Nein, es belangt mir nicht", zischte ich. Ich würde hier nichts zugeben, und wenn er mich umbrachte. Die Augen meines gegenüber glänzten, aber ich blieb ruhig. Mir doch egal, was der Trottel machte.
"Was soll ich ihnen denn noch alles erzählen, damit sie mir glauben, dass ich sie nicht umgebracht habe?!"
"Man hat ihre Fingerabdrücke auf den Leichen gefunden", beharrte der Mann.
"Hmmm, ja, zufälligerweise waren das auch meine Eltern."
Ich seufzte. Also noch einmal von vorne.
"Sie schleppen mich hier her, zwingen mich etwas zu gestehen, kerkern mich für Tage ein und haben für das, was sie da machen weder eine Genehmigung noch irgendeinen Beweis für meine Schuld. Also frage ich sie zum wiederholten Mal: warum?" Wenn er jetzt wieder seine Ausflüchte suchte, würde ich unangenehm werden. Sein Glück, dass er es bleiben ließ.
"In Ordnung. Ich werde sie entlassen. Aber bei dem kleinsten Verdacht, dass..." Ich unterbrach ihn.
"Jaja, schon gut! Sie wissen ja wo ich wohne!" Mit diesen Worten stand ich auf. Sollte er doch verrecken. War mir auch egal. Er streckte mir die Hand entgegen, aber ich lief einfach an ihm vorbei direkt Richtung Ausgang des Polizeireviers. Als ich die Türe aufstieß, sah ich erst einmal nichts, da mich die Mittagssonne so blendete. Dann wurde ich von einem Mädchen, das mich gerade umarmte beinahe umgeschmissen.
"Skye... Was machst du denn...?", doch weiter kam ich nicht. Es überraschte mich nicht sonderlich sie hier zu sehen, dennoch war ich skeptisch, was sie hier machte.
"Jay! Du hast es geschafft! Du hast es wirklich geschafft!" Ich streichelte ihr über den Rücken. Gut, sie war wegen mir gekommen.
"Klar hab ich das. Ich hab es dir doch versprochen! Und es tut mir Leid, dass ich in letzter Zeit nicht halten konnte, was ich versprach!" Sie nickte an meiner Brust. Ich schloss kurz die Augen, dann merkte ich, wie sie sich von mir löste und öffnete sie wieder. Erst jetzt entdeckte ich die schwarze Rose in ihrer Hand und schauderte.
EIN NEUER ANFANG
"Mädel, tu das Ding weg!" Ich zeigte auf die Rose und zog Skye mit in eine dunkle Nebengasse.
"Au. Jay, du tust mir weh!" Ich achtete nicht auf sie. Als ich versuchte, ihr die Rose zu entreißen, schnitt ich mir den Daumen auf.
"Tu sie weg!", schrie ich sie beinahe hysterisch an. Aber sie ließ sie nicht fallen. Sie sah mir in die Augen. Große, grün-blaue, wunderschöne Hundeaugen, die meinen so sehr glichen, dass man meinen könnte, sie waren geklont.
"Warum?" Sie wirkte eingeschüchtert. Gut. Sollte sie sehen, was los war. Sie war schließlich alt genug.
"Weil die da drinnen...", ich zeigte aufs Revier "... nur darauf warten mich wieder da rein zu bringen. Und das da...", ich zeigt auf die Rose. "... ist eine ziemlich gute Gelegenheit dafür. Und das wollen wir doch beide nicht, oder?" Ich sah sie fragend an. In ihren Augen spiegelte sich meine Wut.
"Was ist passiert?" Als ich nicht antwortete, legte sie die Rose weg. Ich nickte. Dann zog ich sie weiter in die Gasse hinein. Was passiert war? Das würde sie früh genug erfahren. Erst einmal mussten wir hier weg. Und zwar schnell. Wir waren beide nicht gerade in Sicherheit, ich noch weniger als sie, wobei ich jetzt gerade um ihre Sicherheit mehr besorgt war als um meine.
"Jay, das ist eine Sackgasse!", rief sie mir zu. Als ob ich das nicht wusste. Und als ob sie nicht wusste, dass ich mich hier besser auskannte als so ziemlich jeder andere in dieser Gottverdammten Stadt. Ich hielt es nicht für nötig, ihr eine Antwort zuzuzischen, also lief ich weiter, sie noch immer hinter mir am Handgelenk her schleifend. Ich verschwand plötzlich in einem Hauseingang und zog sie zu mir. Sie stand mir gegenüber, ich hatte sie an beiden Handgelenken, so dass sie sich nur schwer von mir wegdrehen konnte. Ich funkelte sie an. Sie hatte Angst, war kurz davor zu weinen, doch ich beachtete das nicht. Wenn sie hier lebend rauskommen wollte, musste sie jetzt ein Weilchen leiden.
"Hör zu. ich weiß schon, was ich mache, danke für den Hinweis. Vertrau mir jetzt einfach, ich mach das schon. Alles andere werde ich dir erzählen wenn wir... wo anders sind." Sie nickte. Und verstand. ich sah es ganz deutlich, wie sich ihre riesigen Augen noch ein Stückchen weiteten.
"Wir werden nicht mehr nach Hause gehen, oder?" Ich seufzte. Dann nickte ich. Nein, wir
würden nicht mehr nach Hause gehen. Sie
würde nach Hause gehen, aber das auch nur für kurze Zeit. Wir konnten es uns nicht leisten hier zu bleiben. Ich trat genauso rasch wieder auf die Gasse, wie ich von ihr abgetaucht war und lief auf ein kleines Wohnhaus schräg gegenüber von hier zu. Sie hatte Mühe mit mir Schritt zu halten und stolperte mehr, als dass sie lief, dennoch schaffte sie es mich einzuholen.
"Jay, was..." Ich stapfte wütend vor mich hin. Wieso konnte sie nicht einfach still mitgehen?!
"Nachher!", zischte ich, ohne mich umzudrehen.
Ich hörte wie sie stur stehen blieb.
"Nein! Du hörst mir jetzt
zu, Jay! Du weißt nicht einmal wo wir hin sollen, rennst einfach mal los, in der Hoffnung, dass die es entweder vergessen, nicht auf dich kommen oder dich nicht finden! Das hat keinen Sinn!" Ich blieb schließlich doch stehen, schließlich konnte ich sie nicht einfach so hier versumpern lassen. Aber sie hatte nicht ganz unrecht. Ich hatte wirklich gehofft dass sie mich vergessen würden, oder aber mich nicht finden. Um nicht auf mich zu kommen, müssten sie ganz schön blöd sein, und das - das musste ich zugeben - waren sie nicht. Ich drehte mich um. Sie war stur. Genau wie ihr Vater war, dachte ich. Nur das der jetzt tot war. So wie ihre Mutter. Und den Tod der beiden schob man mir in die Schuhe. Ich sollte sie mit einem Messer erstochen haben, und danach ins Feuer des offenen Kamins geworfen haben. Mein Motiv soll Rache gewesen sein, dafür, dass sie mich nicht auf eine angesagte Party gehen lassen wollten. Dabei war das kompletter Blödsinn. Ich hatte sie mit dem Dolch meines Großvaters erstochen, schön durch die Kehle, damit sie nicht schreien konnten. Danach hatte ich sie neben dem Kamin auf zwei Stühle gesetzt. Dass aus dem Feuer ein Holzscheit rutscht, der die Stühle und somit auch unsere Eltern in Brand setzte, dafür konnte ich nichts. Und mein Motiv war nicht Rache. Okay, es war schon Rache, aber nicht wegen einer Party. Sondern weil sie Skye und mich wie den letzten Dreck behandelt haben, und das schon unser ganzes bisheriges Leben lang. Vor allem Skye musste immer wieder dran glauben. Immerhin haben sie sie schon als Nutte verkauft! Das hatte ich nicht ausgehalten. Und ich war auch nicht viel besser davon gekommen. Aber das ist jetzt eine andere Geschichte.
"Ich weiß sehr wohl, wohin wir gehen werden!", zischte ich. Naja, ungefähr wusste ich es.
"Und wohin bitteschön?" Ich sah sie an und überlegte.
"Weg." Tolle Antwort. Da ich jetzt ihr - inoffizieller - Erziehungsberechtigter war - oder wenigstens ihr Bruder - hätte ich mich eigentlich mehr darauf konzentrieren sollen, dass es ihr gut ging. Allerdings war das ziemlich kompliziert, da ich die letzten paar Tage - nicht ganz ohne Grund - im Knast verbracht hatte. Sie seufzte.
"Siehst du, Jay, deshalb
hatten wir uns darauf geeinigt, dass ICH das organisieren übernehme und DU das... den Rest." Ich nickte.
"Gut. Also wo hin?!" Nein, ich war nicht gerade freundlich zu ihr, allerdings sah ich auch nicht wirklich einen Grund dafür, also ließ ich meiner Wut freien Lauf. Aber warum war ich eigentlich wütend? Nein, diese Frage würde ich jetzt erst einmal nicht beantworten.
"In die Cavendish Road.", sagte sie triumphierend.
Ich schaute sie an. Die Cavendish Road!?
"Du weißt, dass die am anderen Ende der Stadt liegt?! Was willst du überhaupt dort?" Sie sah mich an.
"Ich weiß. Ich will dort unterkommen, bis wir etwas anderes gefunden haben. Jemand... schuldet mir noch einen Gefallen, und ich hab schon Bescheid gesagt. Und du hast doch den Führerschein." Ich seufzte. Skye konnte man in solchen Sachen wirklich nichts vormachen. Dennoch hatte sie etwas vergessen.
"Ja, ich hab´ einen Führerschein. Nur leider hab´ ich kein passendes Auto dazu." Sie sah ihn an.
"Dann klau eines!" War das wirklich seine kleine Schwester, die da so etwas vorschlug?
"Ja klar, damit sie es suchen und es dann bei deiner Freundin finden, zusammen mit uns. Ich halte das für keine gute Idee." Skye wurde rot. Was war denn jetzt los?
"Um ehrlich zu sein, Jay, es ist keine... Freundin... von mir. Es ist mein Freund." Ach so. Na von dem hatte ich auch schon eine Menge gehört. Automatisch ballte ich die Fäuste. Skye nahm sie in ihre Hände - ein ziemlich wirkungsloser Versuch, mich zu beruhigen.
"Nein, Jay. Tu ihm nichts. Ja, er ist manchmal ein Arschloch, aber... bitte. Er nimmt uns auf." Ich sah sie an. Ja, manchmal
. Ich wusste, dass Skye einen Hang zur Untertreibung hatte.
"Weiß er dass ich..." Sie schüttelte den Kopf.
"Nein. Und er weiß auch nicht, dass du mein Bruder bist. Er weiß nur, dass ich mit einem Freund ein paar Tage bei ihm bin." Na toll... Es fehlte mir gerade noch, dass Skyes Freund mich für ihre Affäre hält, mit der sie durchbrennen will, und mich bei der Polizei verpetzte. Ich nahm sie bei den Schultern, bückte mich ein wenig, so dass ich ihr in die Augen schauen konnte und durchbohrte sie.
"Du weißt, was er denken könnte?" Sie nickte.
"Du weißt, was er dann tun würde?", Sie nickte wieder.
"Und warum willst du dann hin? Wenn du mich loswerden willst, sag´s gleich, dann geh ich zurück da hinein, gestehe und werde da drinnen versumpern!" Sie zitterte, und Angst und Schuldbewusstsein kam in ihren Augen auf. Machte ich ihr wirklich Angst? Irgendwie wollte ich das nicht. Aber irgendwie auch schon.
"Nein, Jay, ich will dich nicht loswerden, und das weißt du auch, aber sag mit bitte auch nur einen verdammten anderen Platz wo wir hin sollen!" Ihre Stimme war erstaunlich fest. Ja, ich wusste einen Ort für sie. Zwar nur vorübergehend, aber trotzdem. Sie würde in Sicherheit sein. Und ich? Ich war erst sicher, wenn ich starb.
WOHIN, WENN NICHT WEITER
"Nein, Jay! Ich werde dich nicht schon wieder alleine lassen!", noch immer zeterte sie wie ein kleines Mädchen. Aber man sollte meinen, sie sei 17. Jedenfalls war sie das laut Geburtsurkunde. Ob die stimmte, war eine andere Frage.
"Jetzt sehe ich dich mehr als eine Woche nicht, weil du im Knast bist, dann hab ich dich für 3 Stunden endlich wieder und jetzt willst du, dass ich dich schon wieder gehen lasse?" Gott sei Dank hatte ich mich so unter Kontrolle, dass ich das Auto nicht in den Graben lenkte, als sie mir fast an die Gurgel sprang.
"Skye, es ist nur für kurz. Du gehst nach Hause, packst alles was du brauchst und bleibst dann dort. Oder du gehst zu deinem Freund. Soll mir auch Recht sein. Ich werde in der Zwischenzeit eine Wohnung finden. Aber nicht hier." Zum wiederholten Male musste ich es ihr nun schon erklären. Nicht, dass sie es nicht verstand. Sie wollte nur nicht, dass etwas passierte.
"Was ist, wenn du die Wohnung hast? Wie findest du mich? Du kannst schlecht einfach irgendwo hin spazieren und sagen `Hey, ich bin Jay. Ich habe meine Eltern umgebracht. Jetzt will ich mit meiner kleinen Schwester abhauen, weil mich die Bullen suchen. Habt ihr sie zufällig gesehen? Sie heißt Skye´!" Ich lachte. Ja, sie hatte einen ausgefallenen Geschmack an Humor.
"Ich werd mir ein Handy besorgen und dich anrufen. Deine Nummer merk ich mir gerade noch", grinste ich. Aber anscheinend hatte sie sich damit abgefunden, dass mein Plan doch der bessere war.
"Okay. Und was machst du mit dem Auto? Immerhin hast du es geklaut!" Ich sah sie an.
"War deine Idee. Keine Ahnung, mir wird schon irgendetwas einfallen. Und wenn nicht, schenk ich es deinem tollen Freund!" Hmmm, die Idee war gar nicht so schlecht. Martin Morgan verhaftet wegen schweren Autodiebstahles. Vielleicht auch noch Alk am Steuer, wenn ich Glück hatte und er sich gerade zugesoffen hat. Obwohl, das zu bewerkstelligen wäre auch kein so großes Problem. Ich sah zu Skye hinüber. Schmollend saß sie nach wie vor auf dem Beifahrersitz und starrte nach draußen. Draußen war ein grauer Tag dem Ende geneigt. Irgendwann verlor ich mich in der Masse aus Betonhäusern, der Straße und den hin und wieder auftauchenden Farbflecken von Autos.
"Jay, unser Haus ist links!" Ich sah auf. Verdammt, jetzt hatte ich die Einfahrt verpasst. Egal. Sollte sie halt gehen. Es waren eh nur mehr circa 5 Minuten zu Fuß.
"Ich weiß." Ich fuhr zur Seite und hielt das Auto an. Trotz dem unübersehbaren Alter des Gefährts, war es noch Straßentauglich. Jedenfalls aus meine Sicht.
"Steig aus. Hol dein Zeug und bleib da. Oder geh zu deinem Freund. Und vergiss den Dolch nicht", erinnerte ich sie. Sie sah mich verwirrt an.
"Den Dolch? Du glaubst doch nicht etwa, dass sie ihn übersehen haben!? Immerhin ist er das
Beweismittel. Der ist sicher schon längst am Revier." Ich schüttelte den Kopf.
"Nein. Er ist in der Vase neben dem Kachelofen. Wenn sie ihn hätten, wäre ich garantiert nicht mehr frei. Fingerabdrücke und so..." Wieso erklärte ich ihr das überhaupt? Sie war schließlich nicht dumm. Aber sie dachte nicht wie ein... ein... was war ich eigentlich? Ein Verbrecher? Ein Idiot? Ein Mörder? Vermutlich alles.
"Hmmm..." Sie nickte. Ich sah sie noch einmal an.
"Raus mit dir." Ich lächelte, aber sie blieb sitzen und starrte mich an. Dann warf sie sich auf mich und fing an zu weinen. Ich war zwar etwas überfordert mit der plötzlichen und unerwarteten Reaktion, nahm sie aber in den Arm und gab mein bestes, sie zu beruhigen. Schließlich machte sie die Tür auf und stieg aus.
"Bis bald, du Dummkopf. Ich hab dich lieb!" Dann schlug sie die Türe zu und lief die Straße hinunter zu unserem Haus. `Bis bald, du Dummkopf´. Das war keine Beleidigung gewesen, soviel war mir klar.
Beinahe drei Stunden später, die ich fast nur auf der Autobahn verbracht hatte - mit fünf unterschiedlichen Fahrzeugen, von denen nur zwei geklaut waren (ja, ich war - um ehrlich zu sein - ziemlich stolz darauf)- war ich endlich am Rande von Luton angekommen. Ich stieg aus dem Taxi - der Fahrer lag bewusstlos im Auto und würde sich an nichts aus der letzten Stunde erinnern, wodurch ich zum einen nicht zahlen musste und zum anderen konnte er sich nicht an mich erinnern, falls er zu den Bullen rennen würde - und ging einige Straßen zu Fuß weiter. Es war ein ziemlich heruntergekommenes Viertel - also genau das richtige für uns. Die Fassaden bröckelten, einige Gebäude waren eingestürzt, einige Wohnungen waren leer. Ich stieg über einen Trümmerhaufen in ein Wohnhaus ein und landete in einem leeren Stiegenhaus. Es war grau und düster, und die Stiege schien doch ziemlich morsch zu sein. Aber das war mir im Anblick meiner derzeitigen Situation ziemlich scheiß egal. Ich ging gemächlich hinauf, die Ohren gespitzt falls jemand da war. Im ersten Stockwerk waren drei Wohnungen. Zwei davon waren sichtlich leer, in der dritten konnte man unter der Tür licht erkennen. Ich nahm mir zuerst die anderen beiden vor, da ich nicht gleich am ersten Tag an dem ich hier war mit der Polizei zu tun haben wollte.
Ja, wir würden höchst wahrscheinlich hier einziehen. Die ersten beiden Wohnungen waren komplett eingerichtet, nicht unbedingt hässliche oder kaputte Möbel, und es war innen schön ausgemalt. Keine Risse oder Schimmel. Jetzt musste ich wieder zurück und Skye abholen. Obwohl das besser bis morgen Zeit hatte. Eigentlich war ich der Meinung gewesen, dass sie einfach zu Hause bleibt, doch das wollte sie unter keinen Umständen, worauf sie mir gedroht hatte in ein Waisenhaus zu ziehen, was ich keinesfalls wollte. Sie zwar auch nicht, machte sie mir später klar, aber um mir ihren Willen aufzuzwingen würde sie kein Mittel unversucht lassen. Jetzt hatte ich aber erst einmal anderwärtig zu tun. Der Typ, der sich für nicht einmal 10 Minuten unseren Nachbar genannt hatte, war mir zu laut geworden und mich angegangen. Nur war es sein Pech, das er vollkommen angesoffen war und nicht geradeaus gehen konnte. Ich hab ihm mit einem einzigen Schlag die Nase zertrümmert, dann war er durch das Fenster gerade in den Haufen spitzer Steine gefallen. Er hatte nicht einmal geschriene. Aber ich wollte ihn nicht da unten liegen lassen, alleine schon deshalb, dass er in den nächsten paar Tagen unheimlich zu stinken anfangen würde.
Nachdem ich das Haus ein Bisschen umgeräumt hatte, legte ich mich auf eine Matratze um ein Weilchen zu schlafen. Skye würde ich morgen nachholen. Oder übermorgen. Je länger sie zu Hause blieb, desto besser. Ich wollte nicht, dass sie hier in dieses verdreckte Gebiet kam. Es war vielleicht gut genug für mich, aber sicher nicht für sie. Und sie hatte dort ihre Freunde. Allerdings hatte sie selbst gesagt, dass sie nicht dort bleiben wollte und mir das Versprechen abgenommen, sie auch wirklich nachzuholen. Und das wollte ich auch tun. Aber zuerst musste ich mir noch ein Handy und ein Fahrzeug besorgen, dass entweder keiner vermissen würde oder aber weit genug entfernt, um unseren Unterschlupf zu verraten. Sonst würde es nicht lange dauern, und die Bullen hatten uns gefunden. Und dann konnten wir entweder schon wieder umziehen, was ich keinesfalls tun wollte, oder aber in U-Haft wandern, wobei ich mir ziemlich sicher war, dass ich dann nicht mehr so schnell herauskommen würde.
Als ich wieder erwachte, machte ich mich daran, meine nähere Umgebung zu erkunden. Beinahe direkt hinter der zerfallenen Wohnsiedlung lag ein großer Park. Da es ein schöner, lauer Sommerabend war, fasste ich den Entschluss mich dort nach einem potentiellen „Gehilfen“ umzuschauen. Ich machte es mir unter einer kleineren Baumgruppe gemütlich und beobachtete die Kinder und Erwachsenen. Viele liefen in Gruppen mit ihren Freunden herum, andere ginge mit ihrem Schatz herum und wieder andere gingen alleine umher. Einige Zeit später hatte ich mein Opfer gefunden: ein Junge, ungefähr in meinem Alter, der schon zum X-ten Mal an mit vorbeiwankte – sichtlich nicht wenig Alk im Blut – mit großen, leeren Augen und zerfetzter Jeans. Er trug einen Pulli, der ihm zu groß war und der für diese Jahreszeit eindeutig zu warm war. Seine Ärmel waren aufgekrempelt, sodass man auf einem den Anfang eines Tatoos erkennen konnte. Ich stand auf und näherte mich ihm.
WENN DER SCHEIN TRÜGT
Als ich ihn fast erreicht hatte, drehte er sich plötzlich um. Ich war überrascht, dass er so gute Reflexe hatte, nachdem sich mein Verdacht bestätigt hatte und mir eine Fahne aus Alk und Zigarettenrauch entgegenkam. Seine großen Augen wirkten blass und trüb. Er legte den Kopf schief uns sah mich an.
„Was?“, fragte er schließlich und fing an zu grinsen. Jetzt erkannte ich auch die deutlichen Anzeichen eines äußerst muskulösen Körpers unter dem Pullover. Seine Stimme klang erstaunlich fest und klar. Als ich nicht antwortete, fragte er:“Was willst du von mit?“
„Wie kommst du darauf, dass ich etwas von dir will?“ Schlechte Frage. Besoffenen sind unberechenbar, das wusste ich aus eigener Erfahrung.
„Du beobachtest mich, und jetzt läufst du mir hinterher!“ So wie er es sagte, hörte es sich an als ob ich ein kleines Kind war. Ich seufzte. Gut, er hatte mich durchschaut. Egal. Ich… .
„Ich heiße Dylan.“ Ich sah auf. Das bösartige Flackern aus seinen Augen war verschwunden und er hielt mir seine Hand hin.
„Jay“, stellte ich mich vor und reichte ihm meinerseits die Hand.
„Ich hab´ dich hier noch nie gesehen, Jay. Bist du neu hier?“ Ich nickte.
„Ja. Ja, so kann man das auch nennen.“ Er sah mich an.
„Probleme mit dem Gesetz?“ Er grinste. Aber er fragte nicht weiter nach, also ließ ich mir auch keine Antwort entlocken und hielt meinen Mund ausnahmsweise einmal. Und schließlich war keine Antwort auch eine Antwort.
„Komm…“ Er drehte sich um und ging weiter. Ich wusste nicht warum, aber ich vertraute ihm. Also beschloss ich – aus welchem Grund auch immer – ihm zu folgen. Wir gingen durch den halben Park zurück, dann ging er einen schmalen Weg Richtung Stadtrand entlang. Irgendwann setzte er sich auf einen Baumstumpf und holte zwei Flaschen Whisky aus einem Versteck hinter dem Busch heraus. Er reichte mir eine.
„Meinst du nicht, du solltest weniger trinken?“, fragte ich, während ich meine eigene Flasche öffnete. Er sah mich an. Seine Augen waren wirklich extrem trüb und eingefallen, was mit ziemlicher Sicherheit nicht an seinem Alter lag.
„Sag mir nicht, dass du es nicht tust!“, warnte er mich. Und er hatte nicht ganz unrecht. Aber es war mir egal was er tat, immerhin würde er sich morgen sowieso nicht mehr daran erinnern, mich kennengelernt zu haben.
„Ich weiß, was ich tue, Jay. Ich kenne meine Grenzen. Mein Vater hatte sie mir gezeigt, bevor er… bevor er mir seine zeigte.“ Ich nickte. Klar. Und ich trinke einmal wöchentlich Tee mit dem Teufel und Gott. Ich sah ihn an.
„Als ich heute heim kam, war er weg. Das Fenster war zerschlagen und unten, am Trümmerhaufen, war Blut. Ich glaube, die Polizei hat seine Leiche mitgenommen, jedenfalls lag sie nicht mehr dort unten.“ Hmmm, die Geschichte kam mir bekannt vor. Was ich danach tat, bereute ich auch sofort wieder.
„Das geht dann wohl auf meine Rechnung. Tut mir Leid, Dylan.“ Warum hatte ich das gesagt? Er könnte mich früher oder später umbringen. In seiner jetzigen Verfassung eher später. Oder – im Unwahrscheinliche Fall, dass er sich noch an mich erinnerte – den Bullen Bescheid geben. Doch er nickte nur.
„Hab´ ich mir schon gedacht. Du hat in der Wohnung nebenan gelegen und geschlafen. Ich wusste nicht, dass du ihn umgebracht hast, aber ich war mir auch nicht sicher, dass du es nicht warst.“ Er grinste. Ich seufzte.
„Ja, in letzter Zeit hab´ ich einiges auf dem Gewissen. Allerdings wundert es mich selbst, dass es mich in keinster Weise belastet."
Er ließ mich einige Zeit lang in meinen Erinnerungen schweifen.
„Er war ein Idiot.“ Was war los? Sprach er mit mir?
„Was?!“ Ja, ich kam mir dämlich vor, als ich diese Frage stellte.
„Mein Vater. Er war ein Idiot.“ Gut, ich hatte mich doch nicht verhört.
„Warum?“ War die Frage zu persönlich? Würde er ausrasten? Nein, er blieb ruhig, als ob er den gesamten Tag noch keinen Tropfen Alkohol ins Blut bekommen hätte.
„Lange Geschichte. Und viel zu wenig Zeit. Beziehungsweise viel zu wenig Motivation zum erzählen. Aber da wir jetzt Nachbarn sind, kann ich sie dir ein Andermal erzählen." Ich nickte. Ja, wir waren Nachbarn. So hatte ich das noch gar nicht betrachtet. Und das einzige, dass und miteinander verband war, dass ich für den Tod seines Vater verantwortlich war. Schon wieder ein Elternteil, der durch mich starb. Langsam war es aber wirklich genug. Er überließ mich wieder meinen Gedanken, und sie wanderten wie von selbst zu Skye. Wo sie jetzt wohl war. Zu Hause, oder bei Martin? Oder ganz wo anders. Vielleicht bei einer Freundin. Oder gar im Knast. Und hatte sie den Dolch mitgenommen? Ich konnte es nur hoffen. Aber würden sie dann nicht sie verdächtigen? War das nicht unheimlich riskant für sie? Aber, dass war Skye, von der ich da gerade sprach. Sie würde schon wissen, was sie tun sollte. Das wusste sie sonst auch immer. Ich versank in dem Baum, an den ich mich lehnte. Und wie würde sie hier her kommen? Sollte ich sie mit dem Taxi schicken? Nein, das war eine schlechte Idee. Oder wie würde ich überhaupt wieder zu ihr zurück kommen? Ich konnte schlecht noch ein paar Autos auf derselben Strecke klauen. Sonst würde ich wirklich noch ein paar Probleme bekommen. Wenn ich Glück hatte mit Skye, wenn ich Pech hatte mit den Bullen. Und mit was würde ich das bezahlen? Wenn och Glück hatte, mit einem blauen Auge, wenn ich Pech hatte mit meinem Leben, aber das war auch schon egal.
„Wir sollten schlafen gehen!“ Ich zuckte. Was war? Hatte er etwas gesagt? Ich drehte mich zu ihm.
„Was ist?“ Er sah mich an. Seine Augen waren noch immer trüb, dennoch waren sie freundlich.
„Es ist halb 3 in der Früh. Wir sollten schlafen gehen. Ich glaube nämlich nicht, dass du morgen nichts zu tun hast.“ Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich hatte wirklich nicht nichts zu tun. Ich musste Skye abholen. Und da sollte ich ausgeschlafen sein, wenn ich sie nicht umbringen wollte. Und das hatte ich nach all dem nicht vor.
Erst als er aufstand, erhob ich mich ebenfalls. Nicht weil ich wirklich müde war, eher aus Höflichkeit ihm gegenüber. Dann folgte ich ihm zurück durch den Park. Ich wusste nicht warum, dennoch vertraute ich ihm. Ich hatte keinen Grund dafür, aber ich tat es trotzdem. Er war zwar sturzbetrunken, aber irgendwie auch stocknüchtern, und das zugleich. Vom Verhalten her, meine ich.
Als wir bei unseren Trümmerwohnungen angekommen waren, legte ich mich sogleich hin und schlief ein. Auch wenn ich nicht wusste, warum ich müde war, da ich erst vor kurzem geschlafen hatte, sobald ich versuchte, darüber nachzudenken, war ich auch schon eingeschlafen.
Ich lief durch einen dunklen Tunnel, immer weiter und weiter. Er nahm kein Ende, doch ich wusste, dass ich unbedingt weiterlaufen musste. Wenn ich stehen bleiben würde, wäre es zu spät. Auf einmal stand ich einem funkelndem Augenpaar gegenüber…
Ich schreckte aus dem Schlaf auf. Schwer atmend stützte ich mich auf meinem Ellenbogen auf. Ich seufzte. Dann legte ich den Kopf in den Nacken und wischte mir die Haare aus der Stirn. Dann schloss ich sie Augen. Warum war ich eigentlich so aufgedreht? Ich wusste es nicht. Ich hatte keinen Grund, so hysterisch zu sein. Und normalerweise war ich kein Mensch, der etwas ohne Grund zu machen pflegt. Und trotzdem war ich es. Als ich die Augen wieder öffnete, stand Dylan grinsend in der Tür.
„Na, auch schon auf?!“ Er stellte mir ein Tablett mit Semmeln und Kaffee vor die Matratze und setzte sich auf den Boden. Ich nahm dankbar die Semmel und biss hinein. Sie schmeckte erstaunlich frisch. Dylan seufzte, dann sah er mich an.
„Weißt du, Jay, ich merke, wenn jemandem etwas auf dem Herzen liegt. Und dein Herz, da muss ein ganzer Felsbrocken oben liegen.“ Ich sah auf. Seine Augen waren weit weniger trüb als gestern, und es wunderte mich, dass er sich überhaupt noch an irgendetwas erinnern konnte, geschweige denn gestern gerade gehen konnte. Ich legte die Semmel wieder auf das Tablett und musterte ihn lange. Ich hatte meinen Entschluss gefasst, lange bevor ich überhaupt darüber nachgedacht hatte, ob ich es tun würde. Und vielleicht würde ich Dylan noch einmal brauchen. Ja, ich würde es ihm erzählen.
GESCHICHTEN DER VERGANGENHEIT
Alles hatte damit angefangen, dass ich geboren wurde. Das war zwar nicht zu vermeiden gewesen, aber immerhin haben sich seit dem die Probleme weitaus vermehrt. Als ich gerade ein Jahr alt geworden war, kam Skye auf die Welt. Mit 4 Jahren klaute ich das erste Mal einen Lolly aus einem Kleinkaufhaus, gleich um die Ecke unserer damaligen Wohnung. Als ich mit 6 in die Schule kam, fingen die Prügeleinen an, aus denen ich meistens als Sieger hervorkam. Mit 7 kam der erste Schulverweis, meine Eltern wollten mich danach in eine Besserungsanstalt abschieben, doch ich versprach braver zu sein. Lange hielt ich dieses Versprechen aber dann doch nicht, denn als ich 8 war, brachte ich das erste Mal einen Klassenkollegen ins Krankenhaus. Er hatte mir damals einen Stift weggenommen, und ich hatte schon immer die Gewohnheit gehabt, stark überzureagieren. Aber lassen wir das einmal. Als ich 9 wurde, lief ich von zu Hause weg und verbrachte die Nacht bei einem Freund, der mich in Schutz nahm. Aber irgendwie konnte Skye mich finden und brachte mich zurück. Als ich 10 wurde, wurde ich das erste Mal bei einer Prügelei schwer verletzt. Sie war eskaliert und im Endeffekt waren wir mit Messern auf uns losgegangen. Keine Ahnung, woher ich diese Ideen nahm. Mein 11., 12. und 13. Lebensjahr verliefen recht ruhig, aber vielleicht lag es auch daran, dass ich in einem Heim war und rund um die Uhr beaufsichtigt wurde. Mit 14 flog ich schließlich auch aus dem Heim raus – ich hatte mich erstaunlich lange darin gehalten – und kam wieder zurück zu meinen Eltern. Skye hatte sich sehr verändert, war in sich versunken und kam nur mehr selten aus ihrem Zimmer heraus. Als ich sie fragte, was los sei, schlug sie mich ins Gesicht. Als ich 15 war, kam Skye endlich heulend zu mir und erzählt mir, was los war. Sie war seit fast 3 Jahren als Nutte verkauft worden – von unseren eigenen Eltern. Ich überlegt nicht lange und sprach sie direkt darauf an. Sie verprügelten mich nur und steckten mich in eine Besserungsanstalt. Bis 16 schafften sie es, mich festzuhalten, dann floh ich aus dem verdreckten Haus. Ich kam zu meinen Eltern zurück und schaffte es, Skye erst einmal vorläufig aus der Scheiße zu befreien. Ich allerdings musste mich verdeckt halten, immerhin suchte mich die halber Stadt, da ich mittlerweile öfter einmal geklaut hatte, an Prügeleinen beteiligt war – mit schwerer Körperverletzung – und eben aus der Anstalt ausgebrochen war. Natürlich fanden sie mich. Da ich allerdings nicht volljährig war, konnten sie mich noch nicht hinter Gitter bringen. Meine Eltern mussten blechen. Ich machte den Führerschein und schmiedete Pläne mit Skye, was wir machen würden. Unsere Eltern waren bei uns sowas von unten durch, dass wir sie nur mehr loswerden wollten. Kurz nach meinem 18. Geburtstag schafften wir sie uns schließlich vom Hals – und ich wachte im Knast auf. Ich hatte sie mit dem Dolch erstochen und dann zum Kamin gesetzt. Sie hatten Feuer gefangen und verbrannten. Das einzige Detail, das man finden konnte, dass augenscheinlich mit dem Mord zu tun hatte, war eine schwarze Rose. Skye und ich hatten sie als letztes Symbol bei ihnen hinterlassen. Ich erzählte die ganze Geschichte – ja, eine Geschichte, nicht die Wahrheit – und irgendwann durfte ich gehen. Als Skye mich dann vom Gefängnis abholte – sie hatte eine schwarze Rose in der Hand – war ich fast kollabiert. Sie wusste doch, dass sie sich erstens von mir fernhalten sollte uns zweitens dieses… Ding… nicht herbringen durfte. Sonst saß ich schneller wieder drinnen als ich „Rose“ sagen konnte. Ich war auf der Suche nach einer Wohnung hier her gekommen, hatte eine gefunden und wollte jetzt wieder Skye abholen, die noch immer in der Gefahrenzone frei - hoffentlich frei – herumlief.
Als ich geendet hatte, sah mich Dylan von der Seite an. Dann schnaufte er.
„Hmmm, tolle Kindheit“, sagte er, und der Satz triefte vor Sarkasmus. Ich nickte.
„Ja…“ Mehr viel mir jetzt dazu auch nicht ein. Er war der Erste, dem ich das erzählte hatte, und vorerst auch einmal der letzte.
„Und du holst jetzt deine Schwester? Wie heißt sie noch gleich… Skye?“
Ich nickte. Ja, das hatte ich eigentlich vor.
„Und wie willst du das machen?“ Ich zuckte die Schultern. Ja, das hatte ich auch schon überlegt. Mein eigentliches potentielles Opfer, dem ich das Handy klauen wollte saß mir gegenüber und kümmerte sich um meine verdammten Probleme. Also konnte ich das Abhaken.
„Keine Ahnung. Erst einmal muss ich irgendwoher ein Auto und ein Handy bekommen, dann sollte ich schauen, dass mich die Bullen nicht sehen und ja, dann hol ich Skye und komme wieder her.“ Dye nickte. Dann holte er sein Handy heraus und reichte es mir. Ich sah ihn fragend an.
„Nimm. Du kommst ja wieder. Und einem guten Freund borge ich es doch gerne. Er grinste. Ja, er grinste tatsächlich. Etwas verwirrt, aber dennoch unglaublich dankbar nahm ich es an. Ja, ich hatte Recht. Ich konnte Dye wirklich noch gebrauchen.
Nach circa einer Stunde erfolgreichen Suchens saß ich jetzt in einem neuen, weiß-schwarzen Audi r8, die Musik laut aufgedreht – es hörte sich an als ob sie überall in meinem Kopf wäre- uns raste auf der Autobahn Richtung Skye und unserem Haus. Ich wusste, dass ich vor heute Abend zurück sein musste, damit niemandem der Autodiebstahl auffiel – oder aber dass ich keine Kratzer machte. Naja, egal. Der Rhythmus der Musik hämmerte in meinem Kopf und ich lies mich von ihm treiben. Ich hatte keine Lust über etwas nachzudenken. Irgendetwas störte mich daran, wenn ich stundenlang fahren musste ohne einen Gesprächspartner oder noch unfertige Pläne, über die ich mir den Kopf zerbrechen konnte. Und wenn ich einfach so nachdachte kam ich meistens auf die bescheuertsten Ideen oder aber auf Dinge, die ich mich besser nicht fragen sollte. Doch irgendwie wollte mir das heute trotz der Musik nicht ganz gelingen. Immer wieder schweiften meine Gedanken zurück zu Skye. Ich hatte sie vorhin angerufen, doch sie hatte nicht abgehoben. Ob sie bei Martin war? Oder irgendwo anders? Vielleicht in Gefahr? Ich wusste es nicht, Und genau das störte mich so sehr daran. Irgendwann lies ich es bleiben und wehrte mich nicht mehr gegen diese Gedanken. Sie schossen mir wild durch den Kopf und bereiteten mir ernsthafte Kopfschmerzen. Nach einer Weile gingen sie über zu Dye. Er hatte mir ebenfalls von seiner Vergangenheit erzählt, und de war nicht gerade rosig. Dennoch konnte ich nicht sagen, ob meine, Skyes oder seine schlimmer war. Wir waren ja alle irgendwie scheiße dran, auch wenn mich das zur Zeit nicht so sonderlich störte. Dylan war ein Einzelkind gewesen. Er war mit 5 in ein Internat gekommen, weil seine Eltern sich nicht um ihn kümmern wollten. Seine Mutter verstarb im selben Jahr. Mit 10 riss er aus und ging in das Straßenleben ein. Er fand ein paar Freunde, doch die meisten saßen jetzt hinter Gittern. Er war 19 Jahre alt. Zu seinem 18.Geburtstag kam er selbst in den Knast, ein halbes Jahr wegen leichter Körperverletzung. Als er wieder frei war, kam er hier her, mit seinem Vater, der mittlerweile ein Pflegefall geworden war. Der alte Mann war schwerer Alkoholiker gewesen, bis ich ihn umbrachte. Dye selber war das ziemlich egal, vor allem weil der Mann nur sein Stiefvater war. Seinen echten Vater kannte er nicht.
Ich kannte ihn zwar erst einen Tag, trotzdem machte sich eine gewisse Sympathie bei mir für ihn breit. Er wirkte gutmütig. Und er war sehr loyal. Mehr konnte ich noch nicht wirklich über ihn sagen, außer dass er scheinbar gerne trank. Aber egal wie viel er trank, er hatte keine Blackouts, Störungen oder Gemütsanfälle, er war immer noch ganz der alte – und im Kampf unbesiegbar. Aber das war auch nicht weiter wichtig – noch nicht.
Zwei Stunden später – ich war mittlerweile schon auf der Bundesstraße unterwegs – klingelte plötzlich das Handy. Ich fuhr rechts ran und schaute auf den Display. Sam stand da in dunkelblauer Schrift auf dem Display. Daneben prangte ein Bild einer rothaarigen, hübschen jungen Frau. Sie wirkte energisch und selbstsicher. Ich drückte sie weg. War schließlich Dye´s Handy. Was sollte ich machen, wenn eine alte Bekannte von ihm anrief? Doch gerade als ich wegfahren wollte rief sie wieder an, und als ich sie wieder wegdrückte dauerte es nicht lange, dass sie abermals anrief. Musste etwas wichtiges sein. Ich zuckte die Schultern und drückte auf ¬annehmen.
>> Ja?<< Die Frau wirkte sichtlich überrascht, als sie meine anstatt Dylans hörte.
>> Ist Dylan da?<< fragte sie. Ich schüttelte den Kopf. Erst als sie nichts antwortete bemerkte ich, dass sie mich ja nicht sehen konnte.
>>Hmmm, nein. Kann ich ihm etwas ausrichten?<< Sie ignorierte mein Frage einfach.
>> Wann kommt er wieder?<< Ich überlegte nicht lange.
>> Nicht vor heute Abend<< Ja, diese Antwort schein mir angemessen. Sie schien zu überlegen.
>> Sagen Sie ihm, er soll mich dringend zurück rufen. Es ist äußerst wichtig << Damit legte sie auf.
ZEITVERLUST
Seit einer halben Stunde war ich jetzt schon da und suchte Skye. Sie war nicht bei uns zu Hause, nicht bei Martin und das Schlimmste war, dass sie nicht einmal ans Handy ging, wenn ich sie versuchte zu erreichen. Zum wiederholten Male wählte ich ihre Nummer und drückte auf den Anrufknopf.
>>Hallo, ich bin leider nicht zu erreichen, bitte ruf mich später wieder an oder hinterlass mir eine Nachricht<< Ja, das wusste ich bereits, Dankeschön. Ich war sauer. Gott, warum konnte sie nicht einfach rangehen? Nach dem Piep Ton legte ich energisch auf. Musste ich es eben anders versuchen. Ich ließ den Audi in der Nebengasse stehen in der ich mich eben befand und ging zu Fuß Richtung Revier. Wenn sie die Bullen hatten, würde sie dort sein. Viel Zeit blieb mir nicht. Ich musste erstens das Auto zurück bringen und zweitens Dylans Handy, da diese Sam meinte, es wäre sehr wichtig gewesen. Schon bald hatte ich das Gebäude erreicht. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend lief ich hinauf. Ich stieß die Türe auf und wurde sogleich von einigen unfreundlichen Blicken begrüßt. Natürlich – die kannten mich ja alle. Der Typ, der mich noch gestern verhört und freigelassen hatte, kam auf mich zu.
„Sind sie in ihrem Fall weiter gekommen?“, fragte ich um nicht gleich aufzufallen. Der Beamte nickte. Mist. Hatten sie etwa den Dolch?! Oder die Rose?!
„Ja, das sind wir allerdings. Wir können noch nicht sagen, wer der Täter ist, aber sie sind es mit ziemlicher Sicherheit nicht.“ WAS sagte er da? Hatte ich mich verhört? Beinahe könnte ich einen Luftsprung machen. Jetzt bloß nichts anmerken lassen. Ich nickte. Was konnte ich ihm sagen, ohne dass er Verdacht schöpfte und mich wieder in die Akte aufnahm?!
„Wissen sie zufällig, wo meine Schwester ist? Sie ist sein gestern verschwunden.“ Ja, das ging. Der Beamte nickte wieder.
„Ja, sie ist gerade bei uns im Verhör. Wir haben einen Verdacht, dass sie die Finger mit im Spiel hatte.“ Ich bekam große Augen.
„Skye? Sicher nicht. Nein, das würde sie nie tun!“ Ich klang ehrlich überrascht, das zu hören. Der Beamte sah mich an. Er zog eine Augenbraue hoch und schien sichtlich zu überlegen – wenn er das denn konnte.
„Hmmm, das ist ja möglich, aber auszuschließen ist es nicht.“ Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, Skye würde so etwas nie im Leben tun darauf würde ich mein Leben verwetten. Könnte ich kurz mit ihr sprechen? Es geht um einen gemeinsamen Freund.“ Ja, lügen sind mir schon immer einfach so eingefallen, da musste ich gar nicht erst lange überlegen. Der Beamte zog seine Augenbraus noch ein Stückchen höher und musterte mich. Sollte er aufpassen, dass sie ihm nicht abfiel. Dann nickte er. Er bedeutete mir zu folgen und genau das tat ich auch. Skye saß in einem kleinen, schalldichten Raum, eine Aufnahmekasette lief vorne mit und zeichnete alles auf, was sie sagte. Der Beamte platzte einfach ohne anzuklopfen hinein. Nach kurzem hin und her kam Skye freudestrahlend heraus und warf sich mir um den Hals. Ich ging mit ihr in den Besucherraum und setzte mich hin. Gott sei Dank war er leer, sodass ich mich in Ruhe mit ihr unterhalten konnte.
„Hast du gepackt?“ Ja doofe erste Frage, aber es war wichtig. Sie nickte.
„Und der… du weißt schon…“ Wenn hier Kameras waren, wäre ich aufgeschmissen. Sie nickte wieder.
„Was hast du bis jetzt erzählt?“ Sie sah mich lange an. Dann sagte sie :
„Nichts. Ich wäre bei einem Freund gewesen. Doch das könne sie nicht überprüfen, weil er verschwunden ist und seine Eltern nicht da. Jay, die kommen mir doch drauf, dass das gelogen ist. Was soll ich nur tun?!“ Ich sah sie an. Dann fiel mir etwas ein.
„Ich habe dem Beamten vorhin erzählt, dass ich dir etwas über einen gemeinsamen Freund sagen müsste. Er… er ist gestorben. Ganz einfach. Und seine Eltern auch. Auf dem Weg… keine Ahnung… Singapur. Das Flugzeug, dass gestern Nacht abstütze, da waren doch eine Familie namens… Jackson drinnen. Das war unser Freund.“ Wow, ich musste mich selber wundern, woher ich immer diese Einfälle nahm. Sie nickte lächelnd.
„Gut. Und jetzt schau bedrückt aus und komm!“
Nicht lange danach hatte ich Skye endlich aus dem Drecksloch herausgeholt. Wir mussten uns beeilen – Zeit hatten wir schon genug verloren. Wir hatten noch Skyes Sachen geholt – Sie hatte sie versteckt, als sie bemerkt hatte, dass sie Polizei sie verfolgte. – Und waren jetzt mit unserem Audi wieder auf dem Rückweg. Es war mittlerweile 16:30, um 19:00 musste das Auto wieder an seinem Platz stehen und fahren würden wir noch circa zweieinhalb Stunden. Das konnte verdammt knapp werden. Und dann war da noch die Sache mit Sam. Welche Mutter nannte ihre Tochter Sam? Das war doch ein Männername. Außer es war eine Abkürzung. Ich sagte nichts, und Skye sah mich alle fünf Minuten an. Ich erwiderte ihre Blicke nicht. Ich wollte jetzt nicht reden. Und sonst hätte ich ihr wahrscheinlich von Dylan erzählen müssen, aber das wollte ich auch nicht. Er sollte sich selbst vorstellen.
„Jay?“ Jetzt schaute ich sie doch an.
„hm?!“ Sie sah wieder weg.
„Tut mir leid.“ Was? Was sollte ihr denn leidtun?
„Was?“, fragte ich.
„Es. Tut. Mit. Leid“, wiederholte sie.
„Jaja, das hab´ ich schon verstanden. Ich meinte, WAS tut dir Leid?“ Jetzt sah sie mich wieder an. Sie hatte Tränen in den Augen und musterte mich entschuldigend. Und dann sprudelte es nur so aus ihr heraus.
„Das du mich da raus holen hast müssen, dass du deine Freiheit für mich aufs Spiel gesetzt hatte, dass wir wegziehen müssen, dass… dass du sie… umbringen… hast müssen…“ Beim letzten Satz war sie ins schluchzen geraten und zögerte. Wahrscheinlich war es ihr unangenehm mich als Mörder zu sehen. Doch genau das war ich. Absolut nichts anderes. Und das machte mich – um ehrlich zu sein – ziemlich traurig. Ich würde nie mehr so sein, wie vorher. Und sie würde mich nie mehr so sehen wir vorher. Aber dennoch war ich ich. Noch immer. Egal was passieren würde.
Ich schüttelte den Kopf. Skye hatte mal wieder eine sentimentale Phase. Ich schluckte. Nach 17 Jahren beinahe ununterbrochenen Zusammenlebens hatte ich noch immer keine Möglichkeit gefunden, wie ich sie von diesen Phasen erlösen konnte.
„Skye, ich hab meine Freiheit nicht für dich aufs Spiel gesetzt.“ Was Besseres fiel mir jetzt nicht ein. Und außerdem hatte ich meine Freiheit sehr wohl für sie aufs Spiel gesetzt. Aber das war jetzt egal. Sie sah auf. Dann schnaufte sie. Es war ihr ganz spezielles >red-nicht-so-nen-scheiß
MENSCHENVERSTAND
Ich erwachte durch einen Schrei direkt neben mir. Als ich die Augen öffnete, sah ich, dass es Skye war. Sie starrte in die dunkle Tür. Wie spät war es eigentlich? Oke, schlechte Frage, ich sollte mich auf Skye konzentrieren. In der Tür bemerkte ich eine dunkle Silhouette, die uns offensichtlich genauso überrascht ansah wie wir sie. Ich dachte – wie immer – nicht nach und warf mich auf sie. Der Mann war extrem stark und wehrte sich gut, doch er schien mir nicht wehtun zu wollen. Ich ihm aber schon. Was tat er hier mitten in der Nacht in UNSERER Wohnung?! Ich riss an seinen Haaren und schlug ihm in die Magengrube. Er krümmte sich und schlug mir auf die Schulter. Ich hatte das Gefühl, dass sie zersprang. Jede einzelne Muskelfaser spürte ich. Er wollte etwas sagen, aber ich ließ ihn nicht so weit kommen. Ich schlug ihm auf die Nase, und spürte gerade noch das Blut, das aus ihr hervorquoll, dann wurde ich in den Schwitzkasten genommen und auf den Boden geschleudert, dass mir die Luft weg blieb.
Ich saß auf der Matratze und lachte. Noch immer. Mein gesamter Körper schmerzte zwar, aber das war mir egal. Neben mir auf der einen Seite Skye, deren Blick noch immer zwischen mir und dem Einbrecher hin und her schweifte. Und auf meiner anderen Seite saß Dylan auf dem Nachtkasten und hielt sich die blutige Nase und sah mich teils belustigt, teils sauer an. Ich konnte es ihm aber auch nicht verübeln. Immerhin war das blutige Ding in seinem Gesicht meine Schuld. Ich war ihn schließlich angefallen. Aber andererseits war es auch seine Schuld. Immerhin war er mitten in der Nacht in unserem Türstock aufgetaucht und hatte Skye damit in den Wahnsinn getrieben.
„Dylan, es tut mir leid!“, sagte ich zum Wiederholten Mal. Er nickte nur. Ja, ich hatte mich schon entschuldigt und er nahm es mir auch nicht übel. Aber in der Nacht hatte es mich wirklich gewundert, wie Dye mich so einfach umhauen konnte – so dass mir sogar die Luft weg blieb. Das hatte noch keiner vorher geschafft. Dann fiel mir – aus welchem Grund auch immer – Sam wieder ein.
„Dye, gestern hat eine gewisse Sam für dich angerufen. Sie sagte es sei dringend!“ Seine Augen weiteten sich, und ich gab ihm das Handy zurück. Ohne auf den Display zu schauen drückte er ein paar Tasten und hielt sich dann das Telefon ans Ohr. Nach ein paar Sekunden legte er zischend auf. Ich sah ihn an.
„Was ist?“ Er atmete tief aus.
„Sam ist eine… alte Bekannte von mir. Sie hat mich angerufen, damit ich ihr helfe. Sie sitzt in ganz schön tiefer Scheiße drin.“
„Und wen hast du jetzt angerufen?“
„Ich habe versucht sie zu erreichen, aber sie hebt nicht ab. Sie hebt immer ab!“ Er stand auf.
„Und was machst du jetzt?“ Er drehte sich zu mir um.
„Ich klapper alle Gebiete ab, wo sie sich befinden könnte, und schau, was ich tun kann.“ Damit war er verschwunden.
Als er wieder kam, war er blutverschmiert. Seine Nase war noch mehr zertrümmert, als ich sie schon zugerichtet hatte, und an seinem Hals war eine Schnittwunde zu erkennen. Ich hörte, wie Skye neben mir nach Luft schnappte. Stimmt ja, ich war ja nie zu Hause gewesen, wie ich so ausgesehen hatte. Er stützte ein Mädchen, das nicht weniger verletzt zu sein schien als er. Sie hatte dunkelrote, fast rotbraune Haare und war etwas kleiner als Skye. Oke, viel kleiner. Ich sprang auf und eilte zu ihm, um ihm zu helfen. Als ich ihm das Mädchen – das offensichtlich Sam war – abgenommen hatte, brach er auf der Türschwelle zusammen. Ich bugsierte sie so vorsichtig wie möglich auf das Sofa, dann kam ich ihm zu Hilfe. Ich sah, dass er blutete. Nicht nur im Gesicht, auch an den Händen und am rechten Arm, und an der Schulter schien die Quelle zu sein. Ich half ihm hoch und ging mit ihm Richtung Wohnzimmer, wo sich Skye bereits um Sam kümmerte. Ich setzte Dye in den Wohnzimmersessel und holte sogleich feuchte Handtücher, um das Blut abzuwischen. Danach suchte ich Verbandszeug und kam mit einem riesigen Koffer wieder zurück. Dylan schien so etwas häufiger zu passieren. Ich tupfte ihm vorsichtig das Gesicht ab um die Nase so gut wie möglich zu schonen und half dann Skye, die sichtlich etwas überfordert war und sich nicht ganz über den in ihr aufkommenden Ekel wehren konnte.
„Dylan, was ist passiert?!“, fragte ich ihn, als er wieder ruhiger atmete. Ich war gerade dabei Sam´s zerquetschte Hand zu versorgen. Skye war nach draußen gegangen – ich glaube, sie hatte sich übergeben.
„Wir…“, er schnaufte. SO gut, war er noch nicht drauf, dass er jetzt Geschichten erzählen konnte. Trotzdem versuchte er es.
„Sam hatte einen… Konflikt… mit einer Bande aus der Innenstadt. Sie haben sie verfolgt. Als sie es merkte, hat sie mich angerufen. Doch mein Handy hattest ja du, also konnte ich ihr nicht helfen. Sie haben sie mitgenommen und wollten sie im Fabrikgelände versauern lassen. Ich… AH!“ Er verzog das Gesicht, als ich seinen Arm auf die Seite legte. Ich lächelte ihn entschuldigend an.
„Sie haben es bemerkt, dass wir fliehen wollten. Sie haben auf uns geschossen…“ Ich sah ihn verwirrt an. Dann ging mir ein Licht auf. Das erklärte also den dunklen Fleck auf seiner Schulter. Ich riss sein T-Shirt auf und entdeckte, dass ich recht hatte. Da war eine Kugel, Gott sei Dank nicht tief ins Fleisch gebohrt. Ich sah ihn zweifelnd an. Wenn ich sie nicht herausholte, würde sich die Wunde vielleicht schließen und die Kugel wäre drinnen gefangen. Sie würde ihn mit der Zeit umbringen. Die Chance, dass die Haut nur unterhalb sich wieder bilden würde und dass man sie dann ziemlich schmerzlos herausbekam, war gering. Und wenn dürfte er sich bis dahin nicht bewegen. Wenn ich sie jetzt gleich herausholte, würde es eine ziemlich schmerzhafte Angelegenheit werden, dass war klar. Er bemerkte, dass ich zögerte und sah mich an. Dann nickte er. Gut, ich würde sie herausholen.
Ich spürte beinahe, wie er die Zähne zusammenbiss, dennoch schaffte er es, während des ganzen Prozedere kein einziges Mal auch nur laut nach Luft zu schnappen. Als ich fertig war, widmete ich mich wieder Sam, die zusammengekauert am Sofa lag.
„Du auch irgendwelche Kugeln!?“ Sie schüttelte nur den Kopf, und ich drehte mich erleichtert wieder Dylan zu. Kugeln aus irgendwelchen Körperteilen herauszuholen – egal aus welchen – war nicht gerade ein Traumjob.
Ich sah ihn an.
„Warum hast du nichts gesagt, ich wäre mitgekommen!“ warf ich ihm vor. Ja, wäre ich wirklich. Ich hatte schon öfter irgendwelche Verletzungen gehabt, das wäre nicht das Problem gewesen. Er runzelte die Stirn.
„Zum Ersten wusste ich ja nicht einmal, was überhaupt genau los war. Zum Zweiten hätten die dich genauso zugerichtet wie uns und wir hätten niemanden mehr gehabt, der uns versorgen hätte können. Und zum Dritten kann ich das nicht machen. Freunde lässt man nicht einfach so ins offene Messer laufen.“ Ich sah erst ihn an, dann Sam. Also waren sie keine Freunde?! Er erkannte scheinbar, was ich dachte.
„Ich wusste ungefähr, was mich erwarten würde. Außerdem konnte sie nichts dafür, dass ich gekommen bin. Sie hat mich angerufen, als sie noch frei war.“ Stimmt auch wieder.
„Woher wusstest du, dass ich euch versorgen würde?“ Er kannte mich erst einen Tag. Da kann man so etwas noch nicht wirklich genau sagen. Oder? Er sah mich an.
„Du kommst hier mir nichts dir nichts rein geschneit, bringst meinen Vater um – und zwar so, dass dich keiner je verdächtigen würde – erzählst mir deine… Geschichte und denkst, ich könnte mir nicht zusammenreimen, dass so etwas öfter in deinem Leben passiert?! Du bist ein ganz schön mieser Mörder…“ Ich lachte. Wenn mans genau nimmt, war ich ja auch nicht absichtlich zum Mörder geworden. Dann nickte ich.
Sam regte sich auf dem Sofa. Sie war eingeschlafen. Leise ging ich um den Tisch herum und half Dylan beim aufstehen. Doch er schüttelte mich ab und ging selber. Wir verließen das Haus und gingen nach draußen. Skye hatte sich hinter dem Haus unter einen Baum am Rande des Parks gesetzt und sah nun wenig begeistert in die Ferne. Sie war noch immer ziemlich bleich von dem Schock, den das Blut auf Dylan in ihr ausgelöst hatte. Als sie uns hörte, sah sie vorsichtig auf, um – falls Dylan noch voller Blut war – schnell wieder wegzuschaunen. Wir setzten uns zu ihr und sagten eine Zeit lang gar nichts. Die Sonne war bereits untergegangen und die ersten Sterne funkelten am Himmel. Irgendwann sind wir glaube ich eingeschlafen.
Hey, Soul Sister
Ich saß an meinem neuen Schreibtisch und sah hinaus. Draußen waren die ersten Bäume vom Park, unter einem eine Rutsche und ein Schaukelgestell. Es war einsam und verlassen, nur die Schaukeln wiegten sich im Wind. Die Äste des Baumes neigten sich gefährlich zur Seite, beinahe so, als wären sie ein Windspiel und ein Kind hätte fest darauf gepustet. Die Blätter des Baumes waren in ein wunderschönes Grün getaucht. Mein Blick verlor sich in den Weiten des Fensters. Irgendwann sah ich dann mein Spiegelbild, es war dunkel genug geworden um diese Spiegelung hervorzurufen. Meine langen, dunkelblonden Haare schmiegten sich an das ovale Gesicht, die blau-grünen Augen starrten traurig aus dunklen Höhlen. Mein schmaler Oberkörper sah teilnahmslos in dem Szenario aus, beinahe so, als ob er in diesem Moment nicht zu mir gehörte. Meine Lippen waren leicht nach unten gezogen, die Nase – wie immer – schief. Nein, MIR hatte keiner die Nase gebrochen, sie war schon seit meiner Geburt so. Ja, ich vermisste Bournemouth. Und vor allem meine beste Freundin. Sie war wie eine Seelenverwandte, wie eine ganz persönliche, geliebte Schwester. Ich hatte nicht einmal mehr die Möglichkeit gehabt, mich von ihr zu verabschieden, bis Jay mich abgeholt hatte und mich hierher nach Luton brachte. Sie war in Italien und machte eine Woche Urlaub mit ihren Eltern. Heute würde sie zurück gekommen sein. In diesem Moment läutete mein Handy. Der Klingelton war „Hey, Soul Sister“. Wie passend, dachte ich sarkastisch. Ich liebte nun einmal dieses Lied, nicht nur, weil es mich an meine ewige Beste erinnerte, aber vor allem darum. Ich wartete. Beim zweiten Refrain hob ich schließlich ab.
„Skye, wo zum Teufel bist du? Ich bin gleich nachdem ich heim gekommen bin zu dir, um dir alles zu erzählen, aber dein Haus ist leer, die Polizei hat es abgesperrt, und…“ Ich seufzte. Stimmt ja, diesen Klingelton hatte ich nur bei ihr eingespeichert. Ich unterbrach beinahe erleichtert ihren Redeschwall.
„Ja, ich hab dich auch vermisst. Mir geht´s gut, danke. Und dir?“ Sie stoppte. Dann hörte ich sie lächeln. Seit wann kann man Menschen lächeln hören? Keine Ahnung, ich tat es auf jeden Fall.
„Sorry. Mir geht´s auch gut!“ Dann schwieg sie. Sie erwartete anscheinend noch Antworten auf die vollkommen überraschenden Fragen, die sie in einem nicht unbeeindruckenden Tempo hervorgebracht hatte. Aber ich blieb still. Sie seufzte.
„Also?! Wo steckst du?“ Ich lächelte. Es tat gut ihre Stimme zu hören.
„Ich bin in Luton…“ Ich merkte, wie sie stockte.
„Luton? Was machst du denn hier?“ Ja, jetzt würde ich ihr alles lang und breit erzählen müssen.
„Wohnen.“ Ich hörte sie nach Luft schnappen.
„WAS??!“ Sie schien sichtlich ziemlich bestürzt zu sein.
„Ja. Jay und ich sind… Umgezogen. Jemand… jemand hat unsere Eltern ermordet und jetzt… müssen wir weg, weil ich sonst in ein Heim komme….“ …und Jay in den Knast, fügte ich in Gedanken dazu. Aber das konnte ich ihr nicht sagen. Genauso wenig wie ich ihr hätte sagen können, dass Jay dieser JEMAND war, der unsere Eltern umgebracht hatte. Am anderen Ende der Leitung hörte ich ihren Atmen stocken. Dann zischte sie hörbar.
„Shit…“ Ich nickte. Ja. Shit. Ich würde ihr ja gerne alles erzählen, und sie auch hier her holen, aber das ging einfach beim besten Willen nicht. Erstens würde ich sie dadurch nur in ziemlich große, unnütze Gefahr bringen und zweitens konnte ich sie nicht auch noch aus ihrem gewohnten Umfeld herausreißen, das tat man als Freund nicht.
„Aber warum… wie!!“ Es klang nicht wie eine Frage, eher wie eine fassungslose Feststellung. Aber so weit war das auch gar nicht hergeholt. Ich beschloss erst einmal diese Frage zu ignorieren. Die Zeit bringt einige Lichtblicke, da brauchte man gar nicht immer alles zu erklären.
Oder wie Jay immer sagte: Die Zeit heilt alle Wunden – ist nur die Frage, ob man das dann auch noch erlebt.
„Neni, ich muss jetzt aufhören. Sorry. Ich… Wir reden ein Andermal weiter. Lass Benni schön von mir Grüßen. Und Buster. Bitte.“ Buster war ihr Hund. Obwohl, mit der Zeit war er auch mein Hund geworden, sie meine Schwester und ihre Familie auch meine Familie. Ich hörte, wie sie ausatmete.
„Gut. Bis dann, Skye. Hab dich ganz doll lieb, vergiss das nicht. Und komm bald wieder.“ Sie weinte fast. Ich hörte es. Aber ich war auch ganz schön nahe dran, jetzt einfach loszuheulen. Es würde helfen, das wusste ich. Jedenfalls vorläufig. Ich nickte.
„Mach ich. Danke. Ich dich auch.“ Auch meine Stimme war Tränenerstickt. Dann legte ich auf. Jay hatte es da einfacher. Er hatte nie so etwas wie eine Familie in Bournemouth. Er war immer mit ein paar Kumpels umhergezogen, doch die waren entweder Tod oder ersetzbar. Dylan war einer von den Ersetzten. Er konnte sich überall einleben, kein Problem. Immerhin klaut es sich hier doch gleich wie in jeder anderen Stadt. Dann legte ich mich aufs Bett und begann zu heulen.
DYLAN
Sam. Das Mädchen, das für Unruhe sorgte. Sie lag noch immer auf dem Sofa und schlief – Seit mittlerweile beinahe 24 Stunden. Gut, man konnte es ihr nicht verübeln. Sie war entführt und eingesperrt gewesen, ohne essen, ohne trinken, ohne Nachricht an die Außenwelt. Nur der Anruf hatte sie vor dem Tod bewahrt. Und Dylan. Vor allem Dylan. Skye war in ihr Zimmer gegangen, und Dylan und ich hatten es uns im Wohnzimmer gemütlich gemacht und schauten fern.
„Wie kommt man dazu, seine Tochter Sam zu nennen?“, fragte ich in die Stille hinein. Ja, vielleicht keine gute Frage um etwas über Dylans Freundin erfuhr, aber ich wusste nicht, wie ich sonst fragen konnte. Außerdem brannte mir sie Frage schon seit ihrem Anruf auf den Lippen. Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Sie heißt Samantha. Sam ist ihr Spitzname.“ Gut, das erklärte natürlich einiges. Ja, das war jetzt peinlich. Total verrannt. Aber Dye schien es mir offensichtlich nicht übel zu nehmen, immerhin grinste er.
„Bist du mit ihr zusammen?“ Gott, was mit immer für doofe Fragen in den idiotischsten Momenten einfielen. Er schüttelte sichtlich belustigt den Kopf. Ach so, jetzt war ich also auch noch die Unterhaltung, schon klar.
„Hmmm…“ Was Besseres fiel mir im Moment einfach nicht ein. Er sah auf. Er griff mit seiner unverletzten linken Hand nach der Fernbedienung, wobei sein Ärmel ein Stück hinauf glitt. Eine… Pfote… kam zum Vorschein. Ach ja, er hatte ja ein Tattoo. Ich hatte es schon bemerkt, als ich ihn das erste Mal im Park sah. Aber irgendwie hatte ich es vergessen. Er bemerkte meinen Blick und zog rasch die Hand zurück. Ich sah ihn an. Was war denn, hätte ich das nicht sehen dürfen? Eine peinliche Stille senkte sich zwischen uns. Schließlich seufzte er und sah mich an.
„Sag es bitte keinem, oke!?“ Was? Das Tattoo? Was war daran so schlimm?
Ich nickte.
„Klar… Aber warum?“ Er seufzte und zog den Ärmel hoch. Es war mit einer Art eingravierten Stempel versehen. Dem Stempel des Ruthin Gaol, ein ehemaliges Gefängnis in Wales, das seit circa einem halben Jahrhundert geschlossen war, und erst seit ein paar Jahren wieder als Museum genutzt wird. Ich sah ihn an.
„Du hast eine Interessante Geschmackrichtung, was Souvenirs betrifft.“Ich grinste. Und was war daran jetzt so schlimm?!“ Er seufzte und zog den Ärmel noch weiter hoch. Oben prangte schon fast verblichen ein Datum: 20. 05. 1005 Ich runzelte die Stirn und sah in an.
„Was ist das?“ Ich wusste nicht woher, aber ich wusste schon vorher, was er jetzt sagen würde.
„Mein Entlassungsdatum.“ Meine Augen wurden groß.
„Jay, ich… ich bin kein Mensch.“ Ich nickte. Ja, das hatte ich mittlerweile auch mitbekommen. Aber er hatte genauso Gefühle wie ein Mensch, er sah aus wie ein Mensch, er bewegte sich wie ein Mensch und er hatte das gleiche Blut wie ein Mensch. Also was war er dann?
„Aja?!“, ich klang selbst nicht überzeugt. Wollte er mich verarschen oder was?
„Und was bist du dann?“ Er sah mich an.
„Was glaubst du denn?“ Er grinste mich breit an. Keine Spitze Zähne, also kein Vampir. Gott, ich phantasierte ja schon. So etwas wie Vampire gab es nicht. Genauso wenig wie Einhörner und den ganzen Kram. Trotzdem prüfte ich ob er zwischen den Fingern Fellbüschel hatte und ein Werwolf war und berührte ihn um zu sehen, ob er kein Geist war. Und er war auch sicher kein Gestaltenwandler oder… oder ein Zentaur oder ein… ein Alien oder irgendetwas anderes das in diese Richtung ging. Aber was blieb da noch übrig?
„Um ehrlich zu sein hab ich nicht den geringsten Schimmer“, gab ich zu. Er seufzte wieder.
Er sah mir tief in die Augen. Mir kam es vor als wollte er mich mit ihnen festhalten, und ihm schien es unheimlich gut zu gelingen.
„Für uns gibt es kein eigenes Wort. Einige nennen uns Zeitlose, aber das stimmt auch nicht. Wir sind eigentlich ganz gleich wie alle Menschen, nur mit einem kleinen nicht ganz unangenehmen Defekt. Wenn das Gen mutiert altern wir nicht mehr. Es kann jeder haben und bei jedem ist es anders, wann es mutiert. Manche bleiben für immer 5, manche 67. Wir sterben nur, wenn wir verhungern, verdursten, verbluten oder uns wer umbringt, aber nicht an Altersschwäche. Und das ist eigentlich alles, was uns von euch unterscheidet.“Ich schluckte. Gut, ich hätte um ehrlich zu sein mehr sowas erwartet wie übersinnlich Fähigkeiten oder sonst einen Hokuspokus, aber ein gutmütiger genetischer Defekt war auch in Ordnung, Nicht altern zu können war sicherlich ein Vorteil, auch wenn man trotzdem verbluten konnte wie eine erbärmliche Sau.
„Was?!“ Ich schaute auf. Oh, ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ich die ganze Zeit auf sein Tattoo gestarrt hatte. Ich schaute noch einmal auf das Datum und begann zu lachen.
„Du bist wirklich schon über 1000 Jahre alt? Das sieht man dir gar nicht an.“ Er grinste.
„Wie hast du das ausgehalten, ich mein, die Weltkriege, Nachkriegszeit, Auftragskiller,…“ Ich wurde es nicht müde Dinge aufzuzählen, woran er alles hätte sterben können, und es war wirklich eine ganz… beachtliche… Menge.
„Während den Weltkriegen war ich in den ruhigeren Ländern, und danach genauso. Ich konnte ja nicht immer an einem Fleck bleiben. Und danach, ja… Das Leben entwickelt sich weiter, Autos werden gebaut, es passieren Dinge, die eigentlich nicht passieren sollten und Menschen werden zu Affen gehalten.“ Beim letzten Aufzählungspunkt grinste er übers ganze Gesicht. Ich hatte schon immer geahnt, dass er etwas anders war, aber SO anders nun auch wieder nicht. Aber bitte.
„Ich geh wieder rauf.“ Ich sah ihn nur kurz von der Seite an und nickte nur. Grinste er etwa? Ach auch egal. Ich betrachtete ihn. War er wirklich schon SO alt? Und gab es den Defekt wirklich? Er ging wie jeder normale heruntergekommene aus dem 21.Jahrhundert und er hatte auch die Sachen an. Er sprach so und verhielt sich so. Und noch während ich darüber nachdachte, fiel mir auch schon die Lösung ein: Es war ein Souvenir. Das Datum 20.05.1005 auf seiner Hand war nicht von rechts nach links geschrieben, sondern umgekehrt. Somit war es der 20. 01. 2005, und das war noch nicht allzu lange her.
Ja, ich kam mir wie ein ausgemachter Idiot vor. Und genau das war ich wahrscheinlich jetzt gerade auch.
Als ich wieder in die Wohnung kam, war Sam bereits wach. Ihre dunklen Augen starrten mich wie scheue Rehaugen an, ihr Mund hatte sich zu einem leichten Lächeln verzogen.
„Danke“, krächzte sie. Auch wenn ihre Stimme jetzt rau und trocken war, sie war schön. Ich nickte ihr nur zu, zu etwas anderem hatte ich weder Zeit noch Lust, denn Skye kam auch schon auf mich zu und nahm mir meine Jacke ab. Ich nickte wieder und setzte mich dann neben Dylan auf die Couch. Ich sah ihn fragen an.
„Und jetzt?“
Rache
Dylans Antwort war ein Grinsen gewesen, begleitet von einem einfallreichen, nichts gutheißenem Laut den ich nur zu gut von mit selber kannte. Im Endeffekt waren ich und er in seinem Auto gelandet und düsten jetzt in die Richtung, aus der er Sam abgeholt hatte. Skye kümmerte sich so gut sie konnte um Sam. Für das dass sie so etwas noch nie gesehen hatte, nahm sie es meisterhaft gut auf.
"Und du bist sicher dass du sie jetzt... rächen musst!?" ich hörte mich ungläubig an. Natürlich. Die Antwort war auch so einfach. Ja, er musste sie rächen, weil sie sie sonst doch noch umbringen würden, und entweder er tat es bevor sie erstens wussten dass Sam MEHRERE Verbündete hat und zweitens bevor die Anderen Sam umbrachten. Ich sah gar nicht mehr zu ihm hinüber, ich wusste auch so dass er nickte.
"Unglaubliche Ironie", seufzte ich. Dylan sah mich von der Seite an.
"Was?" Ich grinste.
"Innerhalb einer woche bringe ich meine Eltern um, kann die Bullen von meiner ach-so-reinen Weste überzeugen, zieh ohne dass es jemand merkt mit meiner Schwester um, bringe einen weiteren Mann um, freunde mich mit dessen Sohn an und sitze jetzt in einem Wagen um Menschen zu töten die die freundin meines Freundes bedrohen. Klingt irgendwie ziemlich... unglaubwürdig." Dylan grinste.
"Ja, da könntest du recht haben. Erzähl das mal der Polizei, die stecken dich nur in eine Psycheatrie."
"Naja, DA wär ich mir dann nicht mehr so sicher."
"Stimmt auch wieder."
Die erstliche Fahrt verging Schweigend. Irgendwann lenkte Dylan den Wagen links an den Straßenrand. Ich stieg aus und sah mich um. Die Häuser waren groß, graue Betonblöcke die risse zeigten.Ich schnaubte. ich hatte mir die gegen um einiges verruchter vorgestellt. Das aber war nur ein etwas unbelebterer Teil der ganz normalen Großstadt.
"Komm!", meinte Dylan und lief langsam voraus. Ich folgte ihm.
"Und du bist sicher dass sie wieder herkommen!?" Die Wohnung in der Dylan gerade herumging war schon eher meiner Vorstellung eines Entführer-Verstecks. Dye nickte.
"Ja. Schau mal, da hatten sie Sam gefesselt." Er ging an die Wand zu den Leitungen und zeigte auf ein Bündel dicke Seile die noch daran hingen. Etwas weiter unten waren Handschellen angebracht und am boden lag der Rest des zerstückelten Seiles. Sie hatten wirklich nicht gewollt dass Sam abhaut.
"Wie ahst du die Handschellen aufgebracht?" Ich wusste aus eigener Erfahrung wie schwer das war - vor allem wenn man unter Zeitdruck stand. Dylan sah mir in die Augen. Ach so, dass erklärte die Verletzungen an Sams Hand. Sie waren zwar schmal, aber ohne Gewalt hätte sie die Hand nicht durchziehen können. Das hatte dann aber auch Dylan erledigt.
"Fang!", meinte Dylan wieder und ich nahm gerade noch war wie etwas großes bedrohlich aussehendes durch die Luft auf mich zuflog. Ohne groß zu überlegen fing ich es auf.
"Verdammt Dye. Wo hast du die Pistole her!" Ja, laut der Schusswunde an Dylans Schulter war es gut bewaffnet zu sein, aber gleich eine MASCHINENPISTOLE!?
Dylan grinste nur, dann nahm er seinerseits so ein Ding und richtete es auf die Türe.
"Erzähl ich dir vielleicht wenn wir hier lebend raus kommen. Ich hoffe du weißt wie man so ein Ding bedient!?" Ich seuftze. Der gute alte schwarze Humor. Tjaja...
"Ja", ich murrte schon beinahe, aber es war noch gut verständlich. Ich ging um eine Art Werkbank herum und setzte mich darunter. Wenn Dylan ihnen erst einmal einen gehörigen Schok eingeflößt hatte, würde ich von hinten dazu beisteuern dass sie in Angst starben. Sie hatten sich ihr Versteckt gut ausgesucht - extreme Schalldämpfung, sodass ein Schuss so klingen würde wie ein Hammerschlag auf einen angel, wenn man ein Bild aufhängt. Jedenfalls von draußen.
Gerade als ich etwas sagen wollte, ging die Türe auf und Stimmen drangen herein. Es war noch dunkel - Dye hatte das Licht ausgeschaltet - und ich spürte die Spannung, die wuchs als Dylan den rechten Moment ausmachte. Aber noch wollte er warten - und sie belauschen.
"Wir werden sie kriegen!", meinte einer von denen siegessicher. Ich versuchte mich auf die Schritte zu konzentrieren. Meiner Meinung nach waren es vier. Dann ging das Licht an.
Ich sah mich um. Ja, sie waren eindeutig tot. Ich sah zu Dylan, der mich triumphierend anlächelte. Dann ging ich zum Fenster. In der nächsten Woche würden sie sicher nicht gefunden werden. Und danach würde man sicher nicht auf uns kommen. Als ich das Fenster öffnen wollte stockte ich. Auf dem Fenstersims stand ein Strauß schwarzer Rosen - das Zeichen das Skye und ich hinterlassen haben, als wir unsere Eltern umbrachten. Okay, als ICH unsere Eltern umbrachte - aus versehen.
Ich nahm eine aus der Vase und drehte sie in der Hand. Dann warf ich sie auf die Leiche des offensichtlichen Anführers und ging hinter Dylan die Teppe hinauf zum Ausgang.
Back in the Past
Als wir nach Hause gekommen waren hatten wir ausgemacht nichts zu Skye zu sagen. Skye war kein Waschlappen, allerdings hörte sie es nicht gerne wenn ich jemanden tötete.
Gut, sie sah es nicht oft, allerdings sollte es auch nicht zu einer Gewohnheit beiderseits werden.
"Hey.!", meinte sie, als wir zur Tür reinkamen.
"Hey", gab Dylan zurück. Skye musterte uns von oben bis unten.
"Wo wart ihr?"
"Wir...", setze ich an, doch Dylan war schneller.
"Wir haben meine Mutter besucht. Sie hat heute Geburtstag." Meine Augen weiteten sich kurz. Wo hatte er denn die Geschichte jetzt her?
Skye runzelte die Stirn.
"SO?", fragte sie ungläubig und zeigte auf unsere verdrekten Sachen.
Doch Dylan nickte nur. "Ja. so."
Tag der Veröffentlichung: 25.04.2010
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