Schneeflocken.
Sie fielen leicht und ohne klang auf mich herab.
Es war ein ruhiges und anmutiges Gefühl auf der Haut.
Ein Moment der Stille und Gleichgültigkeit umgab mich.
Ich dachte darüber nach wie mein Leben verlaufen war und wieder einmal musste ich eingestehen, dass ich nicht viel erreicht hatte in all den Jahren.
Dabei hatte ich mir immer geschworen, wenn ich bis 30 nicht alles auf die Reihe bekommen hatte, dann würde ich mein Leben beenden.
Ein endgültiges und vor allem sehr waghalsiges Versprechen, doch es war notwendig um den notwendigen Antrieb zu bekommen.
Das Problem an dem Ganzen war allerdings, mittlerweilen war ich schon Mitte 30 und wirklich was geschafft im Leben hatte ich nicht.
Ich musste ehrlich zu mir selbst sein, ich hatte alles in den Sand gesetzt.
Okay, ich hatte einen gutbezahlten Job, konnte monatlich meine Miete bezahlen und auch so ging es mir finanziell nicht gerade schlecht, was gut war, doch, wenn ich ganz ehrlich zu mir war hatte ich nichts anderes im Leben worauf ich stolz sein konnte.
Meine Freunde, alle Menschen mit denen ich so gern Zeit verbrachte, all diese waren nicht mehr all gegenwärtig.
Die meisten hatten ihr eigenes durchstrukturiertes Leben mit Familie, Ehegatte und Haus, ähnlich wie bei mir, wenn man den Ehegatten und die Familie mehr oder minder wegließ.
Man sah sich von Zeit zu Zeit, anders als in lang vergangenen Zeiten, in denen Freunde das wichtigste waren und man gemeinsam durch dick und dünn ging.
Und ich musste mir eingestehen, genauso wie ich die Luft zum atmen brauchte, brauchte ich auch meine Freunde, doch dies war nicht mehr so möglich wie in Teenagezeiten.
Und die Liebe meines Lebens?
Humbug.
Auch das hatte ich nicht und um ehrlich zu sein hatte ich den Glauben daran auch verloren, zu viele Enttäuschungen und Niederlagen durchzogen mein Leben.
Auch das Thema Familie war ein leidiges Thema und nicht vorteilhaft um meinen Lebenslauf auszuschmücken.
Es gab absolut nichts auf das ich stolz sein konnte.
Gar nichts.
Und während ich so über diese Fakten nachdachte und meine Gedanken sich immer wieder und weiter unaufhörlich darum kreisten wurde mir immer klarer wie sehr ich doch meine Ziele aus den Augen verloren hatte.
Ich hatte nichts.
Ich war das was ich niemals sein wollte und hatte nichts was ich mir erwünscht hatte in jungen Lebensjahren.
Ich verlor immer mehr mich und meine Ziele aus den Augen und bekam keinen Anschluss mehr an mein Leben.
Und umso unaufhörlicher und drängender wurde der Wunsch nach Resignation.
Komplette Selbstaufgabe.
Ich sah kein Licht mehr am Ende des Tunnels und all die Versprechen der anderen, ob nun Familie oder Freunde, in denen sie sagten ‚Es kann nur besser werden.‘ und ‚Kopf hoch, ab jetzt geht es Berg auf.‘
All diese Worte waren nichts mehr Wert, denn sie logen mir Dinge vor, die niemals geschehen würden.
Denn es wurde nichts besser, nichts heller oder angenehmer werden.
Der Weg wurde von Tag zu Tag anstrengender und immer weniger hatte ich die Kraft wieder aufzustehen, denn Einsamkeit und Ziellosigkeit zwingen selbst die Stärksten in die Knie.
Und während ich so da stand, weit über den Dächern der Stadt und der Schnee fiel vor mir herab in die Tiefe, wurde mir immer bewusster wie Aussichtslos meine Lage mittlerweilen geworden war und das es keinen Weg mehr zurück gab.
Da waren nur noch ich, der Schnee und die scheinbar unendliche Tiefe vor mir.
Ich spürte wie mein Herz in meiner Brust raste.
Adrenalin in meinen Adern.
Mein Herz pumpte kräftig und aufgeregt, schlug immer heftiger in meinem Brustkorb, fast so als wollte es ein letztes Mal dem leben frohlocken.
Einen Moment zögerte ich noch, beobachtete die Menschen und Autos unter mir, die Häuser und einen Moment den Schnee, wie er vor meinen Augen herunterfiel,.
Doch dann fiel all der Zweifel und die Angst von mir ab und ich spürte wie meine Füße den Kontakt mit dem Boden verloren.
Es war ein kurzer und stiller Moment der Freiheit.
Während ich fiel und alles an mir vorbeirasen sah, fiel mir auf, dass ich mir diesen Moment etwas anders vorgestellt hatte.
Ich hatte immer gedacht, kurz bevor man starb würde man sein Leben in Sekunden schnelle an sich vorbeirasen sehen, doch dem war nicht so.
Mir fielen kurze Momentschnipsel meines Lebens ein, wohl teilweise mit unter die schönsten.
Ich dachte an meine Familie und an meine Freunde, Menschen, die ich nie wieder sehen würde, doch von meinem ganzen Leben im Sekundentakt merkte ich nichts.
Ich spürte den Wind wie er hart und kalt gegen meinen Körper presste während ich mit hoher Geschwindigkeit dem Boden immer näher kam.
Mein Herz pochte immer heftiger und das Blut schoss raketenartig durch meinen Körper.
Noch bevor ich auf den Boden traf wurde es auf einmal dunkel um mich herum.
Stille.
Mein Bewusstsein hatte sich einfach ausgestellt.
Ich hatte schon viel über solche Reaktionen auf Extremsituationen gelesen, doch hätte nie gedacht, dass es wirklich funktionierte.
Das letzte was ich spürte war ein dumpfes Gefühl und einen leichten Druck auf meinen Körper.
Es tat nicht weh, nein, ganz im Gegenteil, es war eher ein Gefühl der Freiheit.
Friedlich und leicht fühlte ich mich.
Stille.
Für immer.
Tag der Veröffentlichung: 16.08.2010
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