Cover

Der Himmel soll warten

 

“I may never ever find an answer,
I may never ever find a cure
I may never risk another love
Oh believe me
I may never ever walk on water
I may never ever walk away
I may never get the chance to tell you
But oh believe me
Oh my heart I want you to be strong
I need you to be all I believe in”


Amadou & Mariam & The Magic Numbers - All I Believe In.mp3



Es war die schrecklichste Nachricht meines Lebens.
Auf einmal verschwand all der Glanz und all das Licht aus meinem Leben und ich hatte das Gefühl in eine bodenlose Tiefe zu fallen. Mein Leben wurde zu einer dunklen sternlosen Nacht. Geblendet von der Finsternis wusste ich nicht mehr wohin. Die Liebe meines Lebens war tot, er war nicht mehr da, existierte einfach nicht mehr und es fiel mit wirklich schwer das Ganze zu realisieren und vor allem zu akzeptieren. Meine ganze Existenz verlor mit einem einzigen Satz seine Bedeutung und den Sinn. Und genau in dem Moment, als mich die furchtbare Nachricht ereilte beschloss ich etwas. Etwas was nur mich anging und von dem man mich auch nicht mehr abbringen konnte: ich würde mich umbringen. Denn genau zu diesem Zeitpunkt als mein Herz brach und die Finsternis sich über mein Leben legte, genau in diesem Moment wurde mir klar, dass ich alleine nicht weitermachen konnte. Ich war beschädigte Ware, irreperabel zerstört und würde nie wieder funktionieren, wie ich es vorher tat.

Die nachfolgenden Wochen überlegte ich wie ich ES am besten tun würde, wie ich mein Leben am besten beenden könne, doch ich kam noch zu keinem gutem Schluss, der mich zufrieden stellte. Die Monate verstrichen und aus einem heißen Sommer, in dem ich nur fror , wurde Winter, in dem sich mein Zustand nicht änderte.
Von Leben keine Spur, ich exsistierte nur noch. Ich funktionierte sporadisch und tat das, was ich tun musste.
Ich ging gewissenhaft zur Arbeit, zur Uni, kochte für mich und meinen Vater und brachte sogar gute Noten nach hause. Doch das war auch alles.

„Isi, das geht so nicht weiter, es reicht!“, Jessica riss die Vorhänge meines Zimmers auf, „Du kannst nicht bis zum Ende aller Tage hier in deinem Zimmer sitzen und vor dich hin vegetieren! Sieh raus, die Sonne scheint, es ist wunderbar da draußen.“, ich sah auf und strich meine Haare hinters Ohr.  Wenn sie wüsste was in mir vorging, würde sie verstehen, dass ich doch bis ans Ende meiner Tage hier sitzen konnte, schließlich würde es nicht mehr all zu lange sein, ich war mir nur noch nicht sicher wie und wo. „Wir gehen raus, komm.. ein bisschen spazieren, das bringt dich auf andere Gedanken“, murren würde nichts bringen, dem war ich mir bewusst, also stand ich schnaubend auf und zog mir eine Jacke über. Und sie hatte wirklich recht, es war schön draußen. Schritt für Schritt folgte ich ihr und überließ Jessica die meiste Zeit das Reden. Dabei war ich allerdings kleinlichst darauf bedacht, die Gespräche bei lockeren unverbindlichen Themen zu halten. Wir gingen immer tiefer in die Wälder und ich musste mir sogar eingestehen, das es wirklich schön hier war. Ich lebte schon lange hier, doch spazieren war ich nie gewesen.
Während die Zeit verstrich und Jessica von den belanglosesten Dingen der Welt erzählte hatte ich nur Augen für den Wald, die Sonnenstrahlen zwischen dem Geäst und dem Meer weit hinten an den Klippen.


Einen kurzen Moment fühlte ich mich fast wieder lebendig in dieser bezaubernden Welt, doch auf einmal stand Jessica auf und lächelte mich an: „Wollen wir?“, fragte sie.


Sie wollte gehen?


Jetzt?


Ich wusste nicht wieviel Zeit vergangen war, aber ich fühlte mich wirklich wohl hier, es kam gar nicht in Frage jetzt schon zu gehen. „Ähm… geh du ruhig... ich denke ich werde noch etwas hier bleiben, aber ich danke dir für den schönen Nachmittag“, ich versuchte zu lächeln.
Jessica lächelte triumphierend, als hätte sie es geschafft mich aus meinen dunklen Zimmer zu holen und das Leben wieder schmackhaft zu machen, „Gut… dann sehen wir uns morgen? Ich komme vorbei!“, und schon war sei auf dem Weg zurück. Und das einzige was zurück blieb war ich und das wunderbare Gefühl hier zu sein.

Kapitel 2

Der Wind umspielte mein Gesicht und fuhr schroff durch mein Haar.
Ich schloss die Augen und nahm einen großen Atemzug, es fühlte sich warm an, auch wenn die Temperaturen wahrscheinlich gar nicht mal so warm waren, doch das erste mal seit vielen Monaten fror ich nicht.
Meine Augen folgten den herumgewirbelten Blättern und den Zweigen, welche sich im Wind bogen. Ein Moment voller Geborgenheit und Entspannung. „Du lächelst!“, ich schreckte auf. Mein Blick suchte den Wald ab, doch es war niemand zu sehen. Nervosität machte sich breit und brachten meine Beine dazu aufzuspringen, „Wer ist da?“, ich suchte die Gegend ab und als ich mich umdrehte sah ich IHN.


Das musste ein Scherz sein, eine Halluzination durch die Sonne oder meinen kranken verwirrten Geist, ich war mir nicht ganz sicher, doch das konnte auf jeden Fall nicht die Realität sein. Sicherlich war ich eingeschlafen wie ich so auf der Bank in der Sonne saß, ich träumte, ja so musste es sein. Es war Joe, die Person, die ich am meisten auf dieser Welt geliebt hatte und genau die Person, die vor einigen Monaten gestorben war. Ich hatte ihn so bedingungslos geliebt, dass ich mit mir am hadern war, wie ich mich am besten umbringen konnte um nicht mehr so leiden zu müssen und genau dieser Junge stand nun vor mir.
Es konnte nur ein Traum sein, vielleicht wünschte sich mein Unterbewusstsein so sehr, dass er noch lebte, dass ich nun Tagträume hatte oder Phantasierte, ich war mir nicht sicher, aber wirklich kam mir diese Situation nicht vor.
„Isi… hab keine Angst…“, er kam einen Schritt auf mich zu und mein Herz raste vor Aufregung.
„Du… du bist nicht wirklich… ich träume.. natürlich träume ich… so etwas gibt es einfach nicht…“, ein Kloß bildete sich in meinem Hals, an dem ich zu ersticken drohte. Joe kam einen weiteren Schritt auf mich zu, bis er genau vor mir stand. Auf einmal viel mir selbst das Atmen schwer, er sah einfach zu real aus, so echt, ich sah ihn, hörte ihn, spürte seine Wärme, er war so Detailgetreu. Ich war überrascht wie gut ich ihn doch in Erinnerung hatte.
„Isi…“, er hob seine rechte Hand und legte sie mir vorsichtig auf die Wange und ich spürte wie eine heiße Träne mein Gesicht herunter lief, „… bitte nicht weinen… bitte.“, flehend sah er mich an und strich mit dem Handrücken der anderen Hand über meine Wange bis hinuter zu meiner hängenden Schulter. „Oh ja... danke liebes Gedächtnis… warum tust du mir das an? Danke Gott und allen anderen…“, Bitterkeit schwang mit meiner Stimme mit, ich wollte so gerne glauben, dass er wirklich hier war, doch es konnte einfach nicht sein, schließlich war ich auf seiner Beerdigung gewesen. Ich hatte seinen Leichnam gesehen und ihn ein letztes mal über sein kaltes Gesicht gestrichen, diese Situation hier war nicht echt.
„Warum tu ich was? Isi, ich bin es.. ich bin hier bei dir… wirklich.“
„Aber du bist tot!“, erwiderte ich hysterisch.
„Ja… das …“, ich merkte wie er sich nicht erklären konnte.
Er oder besser es oder was auch immer da vor mir stand, „Isi… es tut mir leid… aber bitte weine nicht…“, auf einmal schloss er seine warmen Arme um mich und plötzlich fiel alles verkrampfte von mir ab. So irreal das alles auch war, es fühlte sich zu gut an um Falsch zu sein. Egal ob mein Kopf mir einen Streich spielte oder ich schlief, es fühlte sich richtig an. „Oh Joe.. wieso hast du mir das angetan?“, die Tränen schossen nur so aus mir heraus.
„Es tut mir wirklich leid Isi, ich schwör es dir, ich wollte nicht, dass du so endest… ich habe gesehen wie du dich gequält hast und ich weiß auch genau was du vorhast… bitte… versprich mir, dass du den Unsinn lässt.“
Den Unsinn lassen? Was erwartete er da von mir? „Nein das geht nicht.. ich kann... ich kann so nicht leben, ich habs versucht... es geht nicht…“, Joe schob mich leicht von sich weg um mir in die Augen sehen zu können.
Ich sah wie erschrocken er über meine Worte war und sein Mund war eine harte, kalte Linie, „Nein Isi, verspich mir du lässt es… ich will das nicht. Ich hab es nicht einmal für mich gewollt. Wenn deine Zeit kommt, dann kommt sie, aber tu nichts dummes.“ Lange Zeit sah ich ihn nur regungslos an, ich war mir nicht sicher ob ich ihm sowas versprechen konnte , geschweige denn wollte. Dennoch nickte ich sacht, schließlich war er nur eine Projektion meines kranken Geistes. Doch wenn ich so etwas hatte, warum sollte ich es nicht ausnutzen.
Wir unterhielten uns lange Zeit im schein der Sonne, genaugenommen unterhielt ich mich mit mir selbst, da war ich mir sicher, schließlich war ich fest davon überzeugt, dass ich mir alles nur eingebildet hatte. Doch es tat gut mit ihm zu sprechen. Es sollten mich ruhig alle für verrückt halten, doch für mich war es gut und das war die Hauptsache.

Eine Zeit später schreckte ich auf, ich schien eingeschlafen zu sein, es war dunkler und kälter geworden. Hatte ich also doch alles nur geträumt? Er war nicht mehr da, wo ich ihn zuletzt gesehen hatte. „Hey!“, rief eine mir unbekannte Stimme aus der Entfernung. Ich presste meine Lider zusammen um etwas erkennen zu können, denn es dämmerte schon sehr. „Hey! Hast du dich verlaufen?“, fragte ein großer dunkelhaariger Junge.
Er war um einiges größer als ich, hatte dunkle rostbraune Haut, schwarzes kurzes Haar und ein markantes aber irgendwie schönes Gesicht. „Ich.. ähm.. nein.. ich bin wohl eingeschlafen… ich wohne nicht weit von hier… .“
„Aber aus dem Reservat bist du nicht.. ich würde dich kennen… ich bin übrigens Jared aber meine Freunde nennen mich Jay.“, er lächelte mich mit seinen strahlend weißen Zähnen an und hielt mir seine Hand hin.
Kurz zögerte ich, doch dann nahm ich sie, „Ich bin Isi… Also Isabell aber eigentlich nur Isi… du wohnst im Indianer Reservat?“, ich wusste bis zu diesem Moment nicht einmal das hier irgendwo eines war. „Ja genau, nicht weit von hier im Allegany-Reservat… der Wald grenzt bei uns an“, er setzte sich neben mich auf die Bank.
„Ist dir nicht kalt?“, fragte ich ihn als ich seine nackten Arme unter der dünnen Jacke aufblitzen sah. „Nein nein… ich bin heißblütig musst du wissen.“, er grinste und sah hinaus aufs Meer. „Dir etwa?“, fragte er und sah mich dann neckend an. Ich schüttelte den Kopf und schlang meine Arme etwas enger um meine Brust. „Nun… Isabell, eigentlich Isi von hier ganz um die Ecke… was treibt dich hier her? Es ist doch eine recht verlassene Gegend.“, er sah mir mit einen Grinsen auf den Lippen ins Gesicht und kratze sich am Nacken. Ich fragte mich wie alt er wohl war, er hatte noch so junge Züge an sich obwohl man von seinem Aussehen aus nicht schließen würde, dass er unter 25 war.
„Ich war mit einer Freundin spazieren.“
„So so… hm“, er runzelte die Stirn und sah in den Himmel, „Schien ja ein langer Spaziergang gewesen zu sein, wenn du irgendwann in der Sonne eingeschlafen warst... denn die ist schon seit einigen Stunden nicht mehr wirklich zu sehen…“, ich schreckte auf, seit einigen Stunden? Wie lange saß ich hier? „Ich sollte wohl besser gehen…“, ich sah auf die Uhr und schürzte die Lippen. Jay sah mich grinsend an, „Klar... aber nur unter der Bedingung, dass du mich mal besuchen kommst liebe Isi.“, er zog die Beine an seinen Körper und sah mich durchdringend an. Ich nickte, warum auch nicht? Es wäre sicherlich eine gelungene Abwechslung, „Klar.. vielleicht morgen? Wir können uns hier treffen…“, er sah selbstzufrieden aus und nickte, „Okay... so um Vier ja?“, während er das sagte sprang er auf und sah mich einen Moment lang an, „Also gut. Bis morgen Isi. Um Vier.“, und schon rannte er los ins Dickicht. Ich drehte mich um und sah ihm nach.Eine Zeit saß ich noch so da, doch dann fröstelte es mich wirklich und ich stand auf um meinen Rückweg anzutreten. Ich würde wiederkommen, dem war ich mir sicher.

Auf dem Weg durch die Dunkelheit dachte ich über den Nachmittag nach, über das was passiert war, was ich gesehen hatte, selbst über meine Geisteskrankheit, die ich befürchtete zu haben. Ich dachte sogar darüber nach ob es vielleicht sinnvoll sei eine Therapie zu beginnen, aber ob es sich lohnen würde, da ich mein Leben all zu bald beenden wollte, da war ich mir nicht ganz eins. „Ich bin wieder da Dad.“, mit einer gleitenden Bewegung striff ich meine Stiefel ab und hing meine Jacke auf. Mein Vater kam aus dem Wohnzimmer und sah mich verduzt an. „Was ist los?“, ich war mir nicht sicher was ich angestellt hatte. Einen Moment sah er mich nur ruhig und nachdenklich an, zog die Brauen hoch und musterte mich. „Nichts nichts…“, er zuckte die Achseln.
Es schien ihn zu freuen, dass ich mal einen Nachmittag weg war, aus meinen alten Trott ausgebrochen war, was wiederum mich glücklich machte, wenn es ihm gut ging. Nachdem ich noch einen Happen gegessen hatte verschwand ich auch in mein Zimmer, wo ich auch kurze Zeit später tief und fest einschlief, mit einer unerklärlichen Vorfreude auf den nächsten Tag.

Kapitel 3

Direkt nach der Schule zog ich mich etwas dicker an, packte ein paar Brote ein und verschwand in den Wald.
Es war erst kurz nach drei und ich hatte noch etwas Zeit bis Jay auftauchen würde, also konnte ich entspannt die Stelle vom Vortag suchen und direkt noch einmal ausprobieren, ob ich wirklich Halluzinationen hatte. Nach kurzer Zeit fand ich die Lichtung. Ich konnte genau wie gestern die Sonne durch die Äste sehen, das Meer rauschte in weiter ferne und auch der Wind, mein treuer Begleiter, durchwirbelte mein Haar. Ich setzte mich auf die Bank und wartete einen Moment was geschah, doch das Ergebnis war ernüchternt, es geschah nichts.
Ich wollte schon die Mundwinkel hängen lassen als auf einmal eine Stimme neben mir auftauchte, „Isi“, Joe lächelte mich breit an. Dieses mal erschrack ich nicht und versuchte es nicht zu hinterfragen. Da ich sowieso geisteskrank war, warum sollte ich mich nicht damit abfinden und es einfach genießen? Also antwortete ich, „Hey… es ist wieder ein bezauberndes Wetter heute, oder?“
„Wohl wahr“, er grinste mich mit seinem umwerfenden Gesicht an. Mein Herz überschlug sich förmlich, es fühlte sich so an als wäre er wirklich da. Eine Zeit lang unterhielten wir uns über dies und das bis Jay dann im Geäst auftauchte, da verschwand Joe auf einmal, doch diesmal verabschiedete er sich sogar und versprach wieder zu kommen.
„Hey!“, strahlte er und setzte sich neben mich auf die Bank, „Mit wem hast du gesprochen?“ Er hatte also gehört wie ich mit mir selbst geredet hatte, schlimm genug. Nach einer Antwort suchend biss ich mir gedankenverloren auf die Unterlippe. „Mit mir selbst… das mach ich hin und wieder… Ich weiß, du musst mich jetzt für seltsam halten. Nicht schlimm. Du wärst nicht der Erste.“, es war wohl das Beste die Wahrheit zu sagen.
Er lachte, „Achso. Ja, das kenn ich.“, er sah mich mit seinen vor lachen verzogenen Augen an und zog die Beine hoch auf die Bank um sich in einen Schneidersitz niederzulassen. „Wie geht es dir heute liebe Isi?“, fragte er grinsend und seine perlweissen Zähne blitzten auf. „So wie jeden Tag.“, sagte ich, was die Wahrheit war, doch Jay konnte sich schlecht ein Bild davon machen, wie es mir jeden Tag ging, schließlich kannte er mich erst seit gestern.
„So so.“, grübelte er vor sich hin, „Wollen wir etwas unternehmen oder willst du nur hier sitzen?“, fragte er und legte die Arme hinter seinen Kopf. Er schien ein wirklich entspannter und lustiger Geselle zu sein, das genau Gegenteil meiner Wenigkeit. „Nun…mir ist es gleich… was schlägst du vor?“ Gedankenverloren sah ich in die Ferne. Das Meer glitzerte zwischen den Ästen.
„Ich könnte dir den Strand zeigen, wenn du magst.“
Ich überlegte einen Moment doch nickte dann zustimmend, „Gern.“, schließlich würde ich morgen wieder herkommen um Joe zu sehen, da würden ein paar Stunden am Meer ein angenehmer Ausgleich sein. Jay sprang auf und hielt mir seine Hand hin, ich betrachtete sie und nahm sie dankend an. Mit einem Ruck zog er mich hoch und ich stand promt fest und sicher auf meinen Beinen. Langsam und gleichmäßig ging ich neben Jay her und sah auf den Boden, der vor mir lag, während Jay fröhlich und pfeiffend immer wieder zu mir sah.
Ich wusste genau, dass ich bestimmt nicht der lustigste Zeitgenosse war und das tat mir auch Leid, aber so eine Frohnatur wie Jay war ich schon lange nicht mehr. Es war wirklich eine wundervolle Gegend und es ärgerte mich immer mehr, dass ich vorher nie gewusst hatte wie schön es hier eigentlich war. Die Bäume rauschten mild und es klang so als würde der Wind mit dem Rauschen des Meeres ein Duett singen. „Gefällt es dir hier?“, fragte Jay fröhlich während er mein Gesicht musterte. Er riss mich aus meinem Trance-ähnlichen Zustand und ich sah zu ihm auf.
„Natürlich… es ist wunderbar!“, erwiderte ich promt und beobachtete sein erheitertes Gesicht.
Ich hatte das Gefühl, dass egal was war, man ihm seine gute Laune nicht nehmen konnte und noch faszinierender als sein Hochmut war, dass er mich nicht bedrängen zu wollen schien. Er fragte nicht nach wieso ich war wie ich war.
Weshalb ich immer alleine in den Wäldern saß und vor mich hinstarrte oder weshalb ich meist ziemlich unglücklich aussah. Es war ihm egal, er nahm mich wie ich war.

Am Abend verabschiedete ich mich von ihm an der Grenze zur Stadt, „Danke für den schönen Nachmittag.“, lächelte ich leicht. Ein warmes Gefühl durchströmte meinen Körper und ich musste erst einen Moment nachdenken, was das für ein Gefühl war.
Freude.
So nannte man es wahrscheinlich und nach all der Zeit des trauerns hatte ich beinahe vergessen, wie es sich anfühlte glücklich zu sein. „Ich hab zu danken liebe Isi.“, grinste er mit seinen makellos weißen Zähnen, „Ich hoffe du kommst mich bald wieder besuchen.“ Ein letztes Mal lächelte er mich an und lief dann wieder zurück ins Dickicht.

Einige Wochen vergingen, in denen ich immer wenn ich konnte zu meiner Bank ging, dort wo ich bei Joe sein konnte.
Kurz darauf kam meist Jay vorbei, mit dem ich dann den Rest meines Nachmittags verbrachte. Wir gingen spazieren, saßen gemeinsam mit seinen Freunden am Lagerfeuer oder gingen schwimmen. Es tat unglaublich gut die Zeit mit ihm zusammen zu sein, vor allem machte die Zeit mit ihm es immer erträglicher, sofern ich eben in seiner Nähe war.
Sobald ich wieder Zuhause und alleine war, kam mir mein Leben meist wieder leer und einsam vor und die altbekannte Kälte durchfuhr wiedereinmal meinen Körper. Umso mehr freute ich mich immer auf die Nachmittage mit Joe und meinem neuen besten Freund Jay. Er war mir nach und nach immer wichtiger geworden, auch wenn ich das erst nicht wirklich realisiert hatte, doch desto mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde es, ich war verliebt in Jay.
Auf irgendeine verquere Art und Weise liebte ich ihn. Lange nicht so sehr wie Joe, denn dies würde sich auch niemals ändern, doch Jay war mein bester Freund und wenn ich bei ihm war, ging es mir gut.
Wie auch diesen Nachmittag.

Wie fast jeden Tag verließ ich nach dem Mittagessen das Haus.
Ich hatte wie meistens meine Uniaufgaben erledigt und meinem Vater etwas im Haushalt geholfen. Sobald es die Zeit also gestattete, war ich im Wald. Es war mittlerweile immer kühler geworden und die Sonne schien seltener, doch es störte mich nicht, ich würde auch weiter zum Reservat gehen. Wie also die meisten Nachmittage im Wald, setzte ich mich als erstes auf meine Bank, bei der ich darauf wartete, das Joe zu mir kam. Es war beinahe beängstigend und irgendwie verquer wie ich doch jeden Tag auf eine nicht reale Person wartete. Jedem den ich davon erzählen würde, würde mich wahrscheinlich in die Psychatrie einweisen lassen, um so wichtiger war es, dass ich es als mein kleines Geheimnis für mich behielt. „Du verbringst viel Zeit im Reservat.“, hörte ich die zauberhafte Stimme sagen.
„Wohl wahr… Jay ist so etwas wie mein bester Freund. Er tut mir gut und wenn ich bei ihm bin, fühle ich mich nicht mehr einsam.“, ein lächeln machte sich breit während ich von ihm erzählte. „Ich weiß, deshalb denke ich wird es auch Zeit, dass du mich gehen lässt.“ Ich sah zu ihm auf, als er die Worte sprach.
Was meinte er damit? Würde er mich wieder alleine lassen? „Nein! Du darfst nicht gehen… ich kann nicht ohne dich Leben.“, ich spürte wie der altbekannte Kloß in meiner Kehle rumorte. „Das tust du doch schon.“, flüsterte Joe sanft und wie er das so sagte, sah ich der Wahrheit ins Auge und bemerkte, er hatte recht. Aber wollte ich das?
„Du lebst und das ist das Wichtigste. Du lachst und bist glücklich mit Jay. Dein Leben geht weiter Isi und ich, ich bin nicht real, nicht wirklich.“ Es war die traurige Wahrheit, er war nicht real, er lebte nicht mehr und mir hätte von Anfang an klar sein müssen, dass die Zeit nicht stehen blieb. Tränen brannten in meinen Augen und meine Kehle schnürte sich enger zusammen, desto mehr ich darüber nachdachte, dass Joe bald nicht mehr bei mir war.
Gar nicht mehr. Nie wieder. „Aber ich weiß nicht ob ich ganz ohne dich sein kann… ich bin nicht so stark.“, die Worte kamen immer brüchiger aus mir heraus. „Aber ich bin doch immer bei dir, egal was ist, ich war und werde es immer sein. Genau hier drinnen.“, er legte mir seine Hand auf die Brust und für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl seine Hand war real, ich konnte sie spüren, den Druck, die Wärme.
Meine Tränen hielten inne und ich schloss meine Augen. „Ich liebe dich…“, flüsterte er, „Und ich werde für immer bei dir sein, du musst nur daran glauben.“ Der Wind nahm stetig zu, doch ich fror nicht. Nicht mehr.
Als ich meine Augen öffnete war er verschwunden. Erschrocken darüber, dass er wirklich weg war, stand ich auf und lief ein paar Schritte, doch so sehr ich mich auch anstrengte und so laut ich auch rief, er war nicht mehr da.
Er hatte mich verlassen. Oder hatte doch ich ihn verlassen? Es machte keinen Unterschied.
„Isi!“, rief eine Stimme hinter mir. Als ich mich voller Hoffnung herumfuhr, stellte sich lediglich heraus, es war Jay.
„Isi! Komm mit, wir wollen runter zum Strand surfen!“, rief er mir entgegen.
Als ich ihn so in der Ferne betrachtete wurde mir eines klar, ich war nicht allein und mein Leben würde weitergehen. Das Leben war zu schade um es einfach aufzugeben.

Ich atmete tief ein als der Wind mir störrisch durchs Haar bließ.
„Klar, ich komme mit!“, rief ich Jay entgegen und lief los. Der Wind wehte mir gegen den Rücken, als wollte er mich zu Jay tragen und in diesem Moment konnte ich es endlich sehen, Joe war bei mir und er würde es immer sein.

Ende.


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Tag der Veröffentlichung: 13.05.2010

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