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Jeder von uns trägt seine Vergangenheit tagtäglich mit sich herum.
Sie klebt wie Dreck unter unseren Fingernägeln an uns und egal wie oft und gut man versucht sie zu reinigen, bleiben wir nicht lange von den Erinnerungen verschont. Manche Erinnerungen sind schön, es sind Erinnerungen aus Zeiten, in denen es uns gut ging. Andere wiederum sind schrecklich, machen uns angst oder einfach nur traurig und wir wünschen uns tag ein und tag aus nie wieder an sie denken zu müssen. Und so verschieden unsere Erinnerungen an unsere Vergangenheit auch sein können, sie haben alle etwas gemein. Sie tun weh.
Auch die, die schön sind, schließlich sind diese Zeiten vorbei und man trägt die Angst mit sich herum, dass man vielleicht nie wieder so glücklich wird wie zu diesen Zeiten. Das ist auch einer der vielen Gründe, warum so viele Angst vorm Altern haben und oft versuchen ihre Gedanken in der Gegenwart zu halten, was leider nicht immer funktioniert.
Ich werde euch nun meine Geschichte erzählen. Eine Geschichte von Narben. Und Wunden, die es mal werden wollen.

Es war Ende November, die Tage wurden kürzer und egal wann man auch aufsteht oder ins Bett ging, es ist meistens dunkel und kalt. Die ersten Weihnachtslichter wurden angebracht und die Menschen strömten in Massen in die Städte um die ersten zu sein, die Geschenke für das bevorstehende Fest zu kaufen oder einen Glühwein zu ergattern.
Es ist eine stille und nachdenkliche Jahreszeit, kein Wunder, dass man gerade jetzt von vielen melancholischen Erinnerungen heimgesucht wird. Wie die meisten war auch ich in der Stadt unterwegs, allerdings weniger um Geschenke zu kaufen oder mich zu betrinken, eher um einen klaren Kopf zu bekommen und mir über einiges Gedanken machen zu können. Der Wind pfiff durch die dunklen und fast geleerten Gassen und die meisten waren schon wieder auf den Weg nach hause. Ob sie nun von der Arbeit kamen oder einen langen Stadtbummel hinter sich hatten, eines hatten sie gemeinsam, sie sahen alle angefroren und grau aus. Das einzige was den Leuten einen leichten Farbhauch gab waren die weihnachtlichen Lichter und das Dämmern der Schaufenster. Während ich so durch die Straßen ging kam ich an vielen alt bekannten Läden vorbei und zu vielen fällt einem sogar eine Geschichte ein, die man damit verknüpfte. Ob es nun ein Café war, in dem man vor einigen Zeiten oft saß, sich einen Kaffee trank und über sein aus den Fugen geratenes Leben nachdachte. Oder eine Restaurant in dem man seinen ersten Kuss hatte und das erste Ende einer Beziehung. Geschäfte in denen man mit Freunden auf der Suche nach den besten Schnäppchen war oder ein großer Platz auf dem man in den vielen vergangenen Sommern oft saß und die Sonne genoss. Wo man auch hinblickte, die Vergangenheit heult immer wieder auf und nicht immer ist es ein schönes Gefühl an so etwas denken zu müssen. Denn in diesen Gedanken kommen vergangene Liebschaften, verlorene Freunde und zerronnene Zeit vor, was nicht immer ein Grund zum lächeln ist. Solange man sich nicht die Zeit nimmt über alles genau nachzudenken leben wir genüsslich und normal weiter, doch wenn die Gedanken an vergangene Tage erst einmal aufgekommen sind, ist es schwer sie wieder loszulassen und das Stechen in seinem Herzen zu ignorieren.
So erging es auch mir während ich durch die dunklen Gassen schlenderte. Es war ein Gefühl, als würden überall wo ich vorbeikam und etwas damit verband, Geister vergangener Zeiten herumstehen. Ich konnte jede Szene einmal mehr miterleben und spürte wie ein unbehagen in mir aufstieg. Und wie ich all da so sah kam ich nicht um hin mich zu fragen, was das Leben für einen Sinn hatte, außer das unangenehme Gefühl von Erinnerungen und die Ungewissheit in der Zukunft. War das alles was wir hatten auf unseren langen beschwerlichen Weg? Gab es denn gar keine Abenteuer und Helden? Das einzige Abenteuer, was uns allen am nächsten war, war der Tod.
Sonst war nichts absehbar und das ist wirklich ein beklemmendes Gefühl, wenn man so darüber nachdachte.

Sollte das alles sein?
Diese Frage beschäftigte mich bei meinem Weg durch die kalten Straßen. Mein Atem schwebte vor meinem Gesicht und die kälte schlich mir immer tiefer in die Knochen. Mein Blick fiel auf ein kleines Café, ich war angekommen.
Als ich durch die Tür ins warme kam, fiel all die kälte und die bösen Gedanken von mir ab. Ein leichtes Glücksgefühl machte sich breit. Ich setzte mich an einen freien Tisch nahe des Fensters und bestellte mir eine heiße Schokolade.
Wie ich so aus dem Fenster sah, dachte ich darüber nach, welche Erinnerungen mich mit diesem Café verband.
Früher saß ich oft hier um zu lesen oder etwas Zeit zu vertödeln, denn es hatte schon immer eine beruhigende und einladende Wirkung auf mich. Sobald ich herein kam lockerte sich alles in mir und ich konnte einen Moment alles vergessen, was mich wenige Sekunden zuvor noch beschäftigte.

Als meine Schokolade kam, dankte ich dem Kellner und nahm vorsichtig einen Schluck.
Entspannung. Mein Körper und meine Gedanken lockerten sich sofort. Ich stemmte meinen Kopf an meinem Arm ab und beobachtete die Leute auf der Straße. Etwas in mir fragte sich, was sie wohl in diesem Moment dachten und wie zufrieden sie mit ihren Leben waren. Ob sie wohl genau jetzt eine Erinnerung heimsuchte, so wie es bei mir war, als ich an den beleuchteten Geschäften und geschmückten Bäumen vorbeikamen? Abermals nahm ich einen Schluck und griff den Gedanken von eben auf:
‚War das wirklich alles?‘
Ob es auf diese Frage eine zufriedenstellende Antwort gab war dahin gestellt. Doch wann würde das Leben endlich anfangen, oder waren all diese Situationen, von denen ich so viele tiefgehende Erinnerungen hatte, waren diese Szenen meines Lebens schon der Höhepunkt gewesen? Sollte das der Fall gewesen sein, was hatte dann mein Leben noch für einen Sinn? Ich nippte an meinem Kakao und drehte die Tasse nachdenklich in meinen Händen. Wo waren all die Helden und Bösewichte?
Die Prinzen und Prinzessinen?
Die Magie und das Happy End?
Ich konnte es in meinem Leben nicht ausmachen. War das nur bei mir der Fall oder gab es viele solcher Leute und wenn ja, wo waren sie? Warum kannte ich sie nicht und tauschte mich täglich mit ihnen darüber aus. Es war unbefriedigend darüber nachzudenken, genauso unbefriedigend und niederschmetternt wie der Gedanke an all die verflossenen Zeiten.

Wäre mein Leben ein Film, dann wäre genau in diesem Moment ‚Stop Crying you Heart out‘ von Oasis eingespielt worden, die Kamera würde sich langsam von mir und dem Café entfernen und alles würde schwarz werden. Es wäre das Ende des Films, ein perfekter Schnitt. Allerdings wäre es ein Film ohne glimpfliches Ende, kein Happy End würde den Zuschauer bezaubern. Ganz im Gegenteil. Vielleicht würde man auch einen zweiten Teil verfilmen, sofern der erste Teil gut angekommen wäre, was ich allerdings bezweifelte, außer es gab Leute, die auf tragische Lebensgeschichten standen. Auf Filme ohne Happy End.

„Wartest du schon lange?“, fragte eine Stimme hinter mir und ich schreckte auf. Als ich sah wer es war, beruhigte sich mein Herz langsam wieder, „Nein nein…“, log ich und er gab mir einen leichten Kuss auf die Lippen. Mein Film war doch noch nicht zu Ende, es gab noch dinge in meinem Leben, für die es sich lohnte zu existieren, doch Abenteuer und großes Romanzenfeuer blieb noch aus und bei meinem Glück würde es auch niemals dazu kommen.
Denn eines war ich mir sicher, es gab zwei Sorten in jeglicher Art von Beziehung. Sei es eine freundschaftliche, eine liebes- oder eine Beziehung zu seinem eigenen Leben. Es gab die feurige Art, welche einem das Herz zum rasen brachte und jeden Tag zu einem neuen aufregenden und wunderbaren Film machten.
Doch leider waren meist diese Beziehungen nicht von langer dauer – man sagt ja auch die besten sterben jung.
Und es gab die dahinplätschernden, bodenständigen Beziehungen. Es war ein festes Standbein im Leben, doch von Feuer und Faszination konnte man da nicht sprechen. Mein Leben war eher eins von der zweiten Sorte und ich war mir nicht sicher ob ich mich mit dem zufrieden geben wollte. Und vielleicht war auch dieser Moment, wie ich dort im Café mit meinem Freund saß, in seinen Augen die Weihnachtslichter spiegeln sah und nachdenklich einen Schluck von meinem Kakao nahm, ja, vielleicht war auch dieser vergängliche Moment bald eine neue Wunde, welche vernarben würde. Denn sicher war nichts und somit schwor ich mir in diesem Moment etwas sehr wichtiges. Es wäre mein letztes und einziges Ziel, welches ich in meinem Dasein noch erreichen wollte:
Ich wollte leben.
Und ich würde mich mit nichts geringeren Zufrieden geben. Denn solange man die Hoffnung nicht aufgab und die Wunden und Narben in seiner Seele so gut es ging ausblendete und jeden Tag so lebte, als wäre es der erste und letzte, vielleicht würde dann auch irgendwann mein Abenteuer, mit meine eigenen Magie und meinem persönlichen Helden kommen.
Man darf nur die Hoffnung nicht aufgeben.

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Tag der Veröffentlichung: 23.11.2009

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