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Arthur Conan Doyle
Sherlock Holmes
Das Diadem aus Beryll



»Holmes!«, sagte ich als ich eines Morgens vor unserem Bogenfenster stand und auf die Straße hinabblicke, »hier läuft ein Verrückter vorbei. Es erscheint mir eher traurig, dass seine Verwandten es ihm gestatten alleine nach draußen zu gehen.«
Mein Freund stand schwerfällig aus seinem Sessel auf und schaute mir, mit den Händen in den Taschen seines Morgenmantels, über die Schulter. Es war ein heller, klarer Februarmorgen und der Schnee des Vortags lag immer noch auf den Straßen, wobei er in der Wintersonne funkelte. In der Mitte der Baker Street pflügte der Verkehr durch den Schnee und machte aus ihr ein braunes, matschiges Band, aber auf beiden Seiten und auf den mit Schneehaufen übersäten Seiten der Fußwege lag er noch immer da wie frisch gefallen. Die grauen Gehwege selbst waren zwar geräumt, aber immer noch gefährlich glatt, sodass weniger Passanten entlang liefen als üblich. Tatsächlich kam aus Richtung der Metropolitan Station nur der einzelne Gentleman, dessen exzentrisches Verhalten meine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Er war ein Mann um die fünfzig, groß, korpulent und eindrucksvoll, mit einem kompakten, gezeichneten Gesicht und einer ehrgebietenden Statur. Sein Kleidungsstil war düster, aber dennoch kostspielig, ein schwarzer Frack, ein schimmernder Hut, adrette braune Gamaschen und maßgeschneiderte perlgraue Hosen. Jedoch waren seine Gebärden in komplettem Gegensatz zur Würde seiner Kleidung und seines Aussehens, denn er rannte schnell, mit gelegentlichen kleinen Sprüngen wie ein müder Mann, der es nicht gewohnt ist seine Beine derart zu belasten. Während er rannte, schüttelte er seinen Kopf, seine Arme wirbelten in alle Richtungen und er verzerrte sein Gesicht auf höchst eigenwillige Weise.
»Was um alles in der Welt ist nur mit ihm los?« fragte ich. »Er schaut sich ja die Hausnummern an.«
»Ich glaube er will zu uns,« sagte Holmes und rieb sich die Hände.
»Zu uns?«
»Ja, ich denke er braucht meinen sachkundigen Rat, das meine ich erkannt zu haben. Ha! Habe ich es Ihnen nicht gesagt?« Noch während er sprach, rannte der Mann keuchend und schnaufend auf unsere Tür zu und zog so stark an der Glocke, dass der Klang im ganzen Haus widerhallte.
Momente später war er bei uns im Zimmer, immer noch keuchend und immer noch gestikulierend, aber mit solch einem durchdringenden Blick der Trauer und Verzweiflung in den Augen, dass unser Lachen augenblicklich in Entsetzen und Mitleid umschlug. Eine Zeit lang brachte er kein Wort hervor, sondern schwankte und raufte sich die Haare wie jemand, dessen Verstand bis an die Grenze belastet war. Dann plötzlich sprang er auf die Füße und schlug seinen Kopf so heftig gegen die Wand, dass wir beide zu ihm eilten und ihn in die Mitte des Raumes führten. Sherlock Holmes ließ ihn in den Polstersessel fallen und setzte sich neben ihn. Er nahm seine Hand und redete mit ihm auf die leichte, beruhigende Art, die er so gut einzusetzen wusste.
»Sie sind hergekommen, um mir Ihre Geschichte zu erzählen, richtig?« sagte Holmes. »Sie sind erschöpft durch Ihre Eile. Bitte nehmen Sie sich Zeit zum Erholen und danach werde ich mir gerne jedes kleine Problem, das Sie mit mir teilen möchten, anhören.«
Der Mann saß einige Minuten schwer atmend da und rang um Fassung. Dann strich er sich mit seinem Taschentuch über seine Augenbraue, presste seine Lippen aufeinander und wandte sich zu uns.
»Ohne Zweifel denken Sie ich sei verrückt?« sagte er.
»Ich denke, dass Sie in einigen großen Schwierigkeiten stecken,« antwortete Holmes.
»Gott weiß, ja! Eine Sorge, so groß, dass sie über meinen Verstand geht, so plötzlich und furchtbar ist sie. Mit öffentlicher Schande könnte ich umgehen, obwohl ich ein Mann bin, dessen Ruf noch nie einen Makel hatte. Privates Elend ist ebenfalls das Los eines jeden Mannes; aber wenn beides zusammen kommt und auch noch in so erschreckender Gestalt, dann reicht das um meine Seele im Innersten zu erschüttern. Es geht im Übrigen nicht nur um mich. Die Edelsten in diesem Land könnten darunter leiden, wenn kein Weg aus dieser schrecklichen Angelegenheit gefunden wird.«
»Bitte beruhigen Sie sich, Sir,« sagte Holmes, »und geben Sie mir den Sachverhalt, wer Sie sind und welches Übel Sie befallen hat, so genau wie möglich wieder.«
»Mein Name,« antwortete unser Besucher, »ist Ihnen womöglich bekannt. Ich bin Alexander Holder von der Bank Holder & Stevenson in der Threadneedle Street.«
Dieser Name war uns in der Tat wohl bekannt, da er dem Seniorpartner der zweitgrößten Privatbank in der Stadt London gehörte. Was konnte nur passiert sein, um einen der angesehensten Bürger Londons in diese höchst Mitleid erregende Situation zu bringen? Wir warteten in aller Neugier, bis er unter großen Mühen die Fassung wiederfand und uns seine Geschichte erzählte.
»Ich fürchte Zeit ist kostbar,« sagte er; »darum eilte ich zu Ihnen als der Polizeiinspektor vorschlug, dass ich um Ihren Rat ersuchen sollte. Ich kam per Underground zur Baker Street und dann rannte ich zu Fuß weiter, denn Droschken kommen in diesem Schnee nur langsam voran. Deswegen war ich so außer Atem, denn ich treibe selten Sport. Jetzt fühle ich mich besser und werde versuchen die Fakten so kurz und dennoch so exakt als möglich wiederzugeben.
Es ist Ihnen natürlich bekannt, dass ein erfolgreiches Bankgeschäft ebenso darauf angewiesen ist lohnende Investments für unsere Fonds zu finden wie auch unsere Beziehungen und die Anzahl unserer Kontoinhaber zu steigern. Eine der lukrativsten Möglichkeiten Geld anzulegen ist in Form von Darlehen, bei denen gute Sicherheiten vorliegen. Wir haben in den letzten Jahren in dieser Richtung gut gewirtschaftet und nun sind es viele edle Familien, denen wir große Summen als Kredit geben, wobei wir als Sicherheiten Bilder, Bücher oder Tafelsilber bekommen.
Gestern Morgen saß ich in meinem Büro in der Bank als ein Angestellter mir eine Visitenkarte brachte. Ich fuhr hoch als ich den Namen las, denn es war niemand geringeres als – nun gerade Ihnen brauche ich wohl nicht mehr zu sagen, als dass dieser Name den Leuten überall auf der Welt ein Begriff ist – einer der bedeutendsten, edelsten, verehrtesten Namen in England. Ich war von dieser Ehre geradezu überwältigt und wollte ihm das auch sagen als er eintrat, aber er ging sofort zum Geschäft über, mit dem Auftreten eines Mannes, der eine unangenehme Aufgabe so schnell wie möglich hinter sich bringen möchte.
›Mr. Holder,‹ sagte er, ›mir wurde berichtet, dass Sie Kredite vergeben.‹
›Sofern die Sicherheiten gut sind,‹ antwortete ich.
›Es ist von immenser Wichtigkeit für mich,‹ sagte er, ›dass ich sofort 50 000 £ bekomme. Ich könnte mir natürlich dieses Spottgeld in zehnfacher Höhe von meinen Freunden leihen, aber ich ziehe es vor daraus eine Geschäftsangelegenheit zu machen und diese selbst auszuführen. In meiner Position, das verstehen Sie sicher leicht, ist es unklug bei Leuten Verbindlichkeiten einzugehen.‹
›Welche Dauer soll der Kredit haben, wenn ich fragen darf?‹ fragte ich.
›Nächsten Montag werde ich eine größere Summe erhalten und Ihnen mit höchster Wahrscheinlichkeit zurückzahlen, was Sie mir gegeben haben, mit welchen Zinsen Sie auch gedenken diesen Kredit zu belegen. Aber es ist unabdingbar, dass mir das Geld sofort ausgezahlt wird.‹
›Ich würde das Geld mit Freuden und ohne weitere Nachfragen aus privaten Mitteln vorstrecken,‹ sagte ich, ›jedoch wäre die Belastung größer als ich aushalten könnte. Wenn ich allerdings im Namen der Bank handelte, dann müsste ich, um meinem Partner gegenüber gerecht zu bleiben, selbst bei Ihnen darauf bestehen, dass jede geschäftliche Vorkehrung getroffen würde.‹
›Ich würde es auch gar nicht anders wollen,‹ sagte er und hob ein quadratisches, schwarzes Saffianlederkästchen hoch, das bisher neben dem Stuhl lag. ›Sie haben zweifelsohne schon vom Diadem aus Beryll gehört?‹
›Eines der wertvollsten öffentlichen Eigentümer des Empire,‹ sagte ich.
›Exakt.‹ Er öffnete das Kästchen und da, eingebettet in weichem fleischfarbenen Samt, lag das besagte, zauberhafte Juwel. ›Es sind 39 große Berylls eingearbeitet,‹ sagte er, ›und der Preis der Goldfassung ist unermesslich. Der niedrigsten Schätzung zufolge beläuft sich der Wert des Diadems auf das Doppelte der Summe, um die ich gebeten habe. Ich werde es Ihnen als Sicherheit überlassen.‹
Ich nahm das kostbare Kästchen in meine Hände und schaute in einiger Verwunderung von dem Kästchen zu meinem erlauchten Klienten.
›Sie zweifeln an seinem Wert?‹ fragte er.
›Nicht im Geringsten. Ich zweifle nur an –‹
›Der Richtigkeit, weil ich es weggebe. Seien Sie darüber beruhigt. Ich hätte das im Traum nicht getan, wenn ich nicht absolut sicher gewesen wäre, dass ich es in vier Tagen wieder zurückfordern könnte. Es ist also reine Formsache. Ist die Sicherheit ausreichend?‹
›Ausreichend.‹
›Sie verstehen Mr. Holder, dass ich Ihnen einen großen Vertrauensbeweis entgegen bringe, der darauf beruht was ich über Sie gehört habe. Ich vertraue darauf, dass Sie die Sache nicht nur diskret behandeln, sondern auch, dass Sie sich aus jeglichem Tratsch darüber heraus halten und am wichtigsten, dass Sie das Diadem mit jeder möglichen Vorsichtsmaßnahme beschützen, denn ich brauche nicht zu sagen welch ein großer öffentlicher Skandal entstünde, wenn dem Diadem etwas zustieße. Jegliche Beschädigung wäre fast so tragisch wie der komplette Verlust, da es auf der Welt keine Beryll-Kristalle gibt, die in die Fassung passen würden und es daher unmöglich ist sie zu ersetzen. Ich überlasse Ihnen das Diadem jedoch mit all meiner Zuversicht und ich werde es persönlich am Montag Morgen wieder in Empfang nehmen.‹
Ich sah, dass mein Klient gehen wollte und sagte daher nichts mehr, sondern rief meinen Kassierer und wies ihn an fünfzig 1000 £-Scheine auszubezahlen. Als ich dann wieder allein war mit dem kostbaren Kästchen, das vor mir auf dem Tisch lag, konnte ich nicht anders als mit Befürchtungen an die immense Verantwortung zu denken, die mir auferlegt wurde. Es war sonnenklar, dass ein nationales Eigentum wie jenes einen fürchterlichen Skandal auslösen würde, wenn ihm auch nur das kleinste Unglück geschähe. Ich bereute es schon zugestimmt und die Verantwortung dafür übernommen zu haben. Es war aber schon zu spät die Sache noch zu ändern und so schloss ich es in meinen Privattresor ein und begann weiter zu arbeiten.
Als der Abend hereinbrach, fühlte ich mich nicht wohl dabei ein so wertvolles Ding unvorsichtigerweise im Büro und damit hinter mir zu lassen. Banktresore wurden schon früher geknackt und warum sollte es nicht meinen treffen? Wenn doch, in welch einer Bedrängnis ich mich dann wiederfände! Ich beschloss daher, dass ich für die nächsten Tage das Kästchen immer bei mir tragen würde, sodass es immer in meiner Reichweite wäre. Mit dieser Absicht rief ich eine Droschke und fuhr mit dem Schmuckstück in der Tasche zu meinem Haus nach Streatham. Ich konnte erst wieder frei atmen, als ich das Diadem im oberen Stock in der Kommode meines Ankleidezimmers eingeschlossen hatte.
Und nun ein Wort über meinen Haushalt, Mr. Holmes, denn ich möchte, dass sie die Situation völlig verstehen. Mein Stallbursche und mein Page schlafen außerhalb des Hauses und können gänzlich außer Acht gelassen werden. Ich habe drei Dienstmädchen, die schon einige Jahre bei mir leben und deren Verlässlichkeit über jeden Zweifel erhaben ist. Eine weitere, Lucy Parr, das zweite Kammermädchen ist erst ein paar Monate bei mir angestellt. Sie legte allerdings einen hervorragenden Charakter an den Tag und war bisher immer zufrieden stellend. Sie ist ein sehr hübsches Mädchen und zieht Bewunderer an, die gelegentlich herkommen. Das ist der einzige Makel, den wir gefunden haben, aber wir glauben, dass sie in jeder Hinsicht ein gutes Mädchen ist.
So weit zu meinen Dienern. Meine Familie selbst ist so klein, dass es nicht lange braucht, um sie zu beschreiben. Ich bin ein Witwer und habe nur einen Sohn, Arthur. Er ist eine Enttäuschung für mich, Mr. Holmes – eine herbe Enttäuschung. Zweifellos bin ich selbst dafür verantwortlich. Die Leute sagen, dass ich ihn verwöhnt habe. Das habe ich bestimmt. Als meine liebe Frau starb, fühlte ich, dass er das einzige war, das ich noch lieben konnte. Ich ertrug es nicht, wenn sein Lächeln auch nur für einen Moment aus seinem Gesicht verschwand. Ich habe ihm nie einen Wunsch abgeschlagen. Wahrscheinlich wäre es für uns beide besser gewesen, wenn ich strenger gewesen wäre, aber ich wollte nur das beste.
Es war natürlich meine Absicht, dass er mir in meinem Geschäft nachfolgt, aber er war kein Geschäftemacher. Er war wild, eigensinnig und, um die Wahrheit zu sagen, ich konnte ihm den Umgang mit großen Summen nicht anvertrauen. Als er jung war wurde er Mitglied in einem aristokratischen Club und da war er wegen seinen charmanten Manieren schnell bekannt mit einer Reihe von Leuten mit leeren Brieftaschen und teuren Angewohnheiten. Er begann extensiv Karten zu spielen und sein Geld sinnlos zu verprassen, bis er immer wieder zu mir kommen musste und mich um einen Vorschuss des Taschengeldes anflehte, damit er seine Ehrenschulden begleichen konnte. Er versuchte mehr als einmal von der gefährlichen Gesellschaft loszukommen, aber der Einfluss eines Freundes, Sir George Burnswell, reichte jedes Mal um ihn wieder zurück zu ziehen.
Und tatsächlich war es kein Wunder, dass solch ein Mann wie Sir George Burnswell einen Einfluss auf ihn ausübte, denn er brachte ihn oft in mein Haus und ich fand es selbst schwierig mich der Faszination seiner Ausstrahlung zu entziehen. Er ist älter als Arthur, ein Mann, dem die Welt zu Füßen liegt, einer, der schon überall war, schon alles gesehen hat, ein brillanter Redner und ein Mensch von großer persönlicher Schönheit. Jedoch, wenn ich von der Ferne und kühlen Blutes an ihn denke, weit entfernt vom Glamour seiner Anwesenheit, dann bin ich überzeugt, dass er wegen der zynischen Redeweise und dem Blick, den ich in seinen Augen sah, einer ist, dem man niemals vertrauen sollte. Das denke ich und auch meine kleine Mary, die mit weiblicher Einsicht einen Charakter schnell erkennt.
Nun bleibt mir nur noch sie zu beschreiben. Sie ist meine Nichte, aber als mein Bruder vor fünf Jahren starb und sie sonst niemanden hatte, habe ich sie adoptiert und betrachte sie seitdem als meine Tochter. Sie ist der Sonnenschein meines Hauses – süß, liebenswert, schön, eine wunderbare Haushälterin, und dennoch so zart, ruhig und nett wie eine Frau nur sein kann. Sie ist meine rechte Hand, ich wüsste nicht was ich ohne sie täte. Nur in einer Sache hat sie sich meine Wünschen immer widersetzt. Zweimal hat mein Junge sie schon gefragt, ob sie ihn heiraten würde, denn er liebt sie hingebungsvoll, aber jedes mal hat sie abgelehnt. Ich denke wenn es jemanden gäbe, der ihn auf die richtige Bahn zurückholen könnte, dann wäre sie das und dass seine Heirat vielleicht sein ganzen Leben geändert hätte, aber nun oh weh! ist es zu spät – für immer zu spät!
Nun, Mr. Holmes, kennen sie die Leute unter meinem Dach und ich setze meine unglückliche Geschichte fort.
Als wir an diesem Abend, nach dem Abendessen, im Salon unseren Kaffe einnahmen, erzählte ich Arthur und Mary von meinem Erlebnis und von dem Schatz, den wir unter unserem Dach hätten und hielt nur den Namen meines Klienten zurück. Lucy Parr, die den Kaffee brachte, hatte sich, da war ich mir sicher, wieder entfernt, aber ich kann nicht beschwören, dass die Tür wirklich geschlossen war. Mary und Arthur waren sehr interessiert und wollten das berühmte Diadem sehen, aber ich hielt es für besser es nicht zu stören.
›Wo bewahrst du es auf?‹ fragte Arthur.
›In meiner Kommode‹
›Nun, dann hoffe ich mal, dass in das Haus heute Nacht nicht eingebrochen wird,‹ sagte er.
›Sie ist abgeschlossen,‹ antwortete ich.
›Oh, jeder alte Schlüssel passt doch in diese Kommode. Als ich jung war habe ich selbst sie mit dem Schlüssel des Schrankes im Abstellraum geöffnet.‹
Er spricht oft auf diese ungehobelte Art, so dass ich nicht ernst nahm was er sagte. Er folgte mir danach jedoch auf mein Zimmer und hatte dabei ein sehr ernstes Gesicht.
›Hör mal, Dad,‹ sagte er und schaute dabei zu Boden, ›kann ich von dir 200 £ haben?‹
›Nein, kannst du nicht!‹ antwortete ich scharf. ›Ich war bislang schon viel zu großzügig in Geldangelegenheiten.‹
›Das warst du,‹ sagte er, ›aber ich brauche das Geld, weil ich mich sonst nie wieder im Club sehen lassen kann.‹
›Und das ist auch besser so!‹ schrie ich.
›Ja, aber du würdest mich doch nicht als unehrenhaften Mann dastehen lassen,‹ sagte er. ›Ich könnte die Schmach nicht ertragen. Ich muss das Geld irgendwoher auftreiben und wenn du es mir nicht gibst, muss ich auf andere Mittel zurückgreifen.‹
Ich war sehr wütend, da er schon zum dritten Mal diesen Monat nach Geld fragte. ›Du kriegst von mir keinen Viertelpenny mehr,‹ schrie ich, woraufhin er sich knapp verbeugte und den Raum ohne ein weiteres Wort verließ.
Als er gegangen war schloss ich meine Kommode auf und versicherte mich, dass mein Schatz sicher war und verschloss es dann wieder. Dann ging ich ums Haus herum, um zu sehen, dass alles sicher war, eine Aufgabe, die normalerweise Mary erledigt, aber ich dachte in jener Nacht wäre es besser dies selbst zu tun. Als ich die Treppen herunter kam, sah ich Mary neben dem Fenster zur Halle, das sie gerade schloss und befestigte als ich mich näherte.
›Sag mir, Dad,‹ sagte sie und sah dabei, wie ich dachte, ein bisschen beunruhigt aus, ›hast du Lucy, der Dienerin, erlaubt heute Nacht auszugehen?‹
›Sicher nicht.‹
›Sie kam gerade durch die Hintertür zurück. Ich glaube, dass sie nur am Seitentor gewesen ist, um jemanden zu treffen, aber ich denke das ist wohl kaum sicher und sollte aufhören.‹
›Du musst morgen mit ihr sprechen, oder wenn dir das lieber ist, mache ich das. Bist du sicher, dass alles gesichert ist?‹
›Ziemlich sicher, Dad.‹
›Dann gute Nacht.‹ Ich küsste sie und ging wieder zurück zu meinem Schlafzimmer, wo ich dann bald einschlief.
Ich bemühe mich Ihnen alles zu erzählen, Mr. Holmes, das mit dem Fall irgendwie zu tun hat, aber ich möchte, dass Sie mich sofort unterbrechen, wenn etwas unklar ist.«
»Im Gegenteil, Ihre Aussage ist bisher außerordentlich deutlich.«
»Ich komme nun zu dem Teil meiner Geschichte, bei dem ich hoffe, dass dies besonders der Fall ist. Ich schlafe nicht sehr tief und die ständige Besorgnis an diesem Tag haben sicher dazu geführt, dass ich noch weniger tief schlief. Etwa um zwei Uhr in der Früh wurde ich dann von einem Geräusch im Haus geweckt. Es war vorbei, bevor ich richtig wach geworden bin, aber es hat bei mir den Eindruck hinterlassen, als ob ein Fenster vorsichtig geschlossen wurde. Ich lag im Bett und hörte angespannt nach jedem Geräusch. Und plötzlich war zu meinem Schrecken deutlich das Geräusch von Schritten zu hören, die in den Nebenraum schlichen. Ich stieg aus dem Bett, am ganzen Körper zitternd vor Angst und spähte um die Ecke der Tür meines Ankleidezimmers.
›Arthur!‹ schrie ich, ›du Schurke! Du Dieb! Du wagst es das Diadem zu berühren?‹
Das Gas war halb aufgedreht, wie ich es gelassen hatte, als ich ins Bett ging und mein unglücklicher Sohn stand nun neben dem Licht, nur in Hemd und Hose gekleidet mit dem Diadem in der Hand. Er schien an ihm zu zerren und es mit aller Kraft biegen zu wollen. Als ich schrie hielt er inne und wurde weiß wie der Tod. Ich schnappte es mir und untersuchte es. Eine der goldenen Ecken mit drei Beryll-Kristallen, fehlte.
›Du Lump!‹ schrie ich, außer mir vor Zorn. ›Du hast es zerstört! Du hast mich für immer entehrt! Wo sind die Juwelen, die du gestohlen hast?‹
›Gestohlen!‹ schrie er.
›Ja, du Dieb‹ brüllte ich und schüttelte ihn an den Schultern.
›Da fehlen keine, da können keine fehlen,‹ sagte er.
›Da fehlen drei, und du weißt wo sie sind. Muss ich dich einen Lügner sowie einen Dieb nennen? Habe ich dich nicht dabei erwischt, wie du noch ein Stück abreißen wolltest?‹
›Du hast mich genug beschimpft,‹ sagte er, ›ich werde das nicht länger dulden. Ich sage kein Wort mehr über diese Sache, nachdem du beschlossen hast mich persönlich zu beleidigen. Am Morgen werde ich dein Haus verlassen und meinen eigenen Weg in der Welt gehen.‹
›Du wirst deinen Weg zur Polizei gehen!‹ schrie ich halb verrückt vor Trauer und Zorn. ›Ich werde der Sache auf den Grund gehen.‹
›Von mir erfährst du nichts mehr,‹ sagte er mit einer Leidenschaftlichkeit, von der ich nicht dachte, dass sie in ihm steckte. ›Wenn du die Polizei rufen willst, lass sie herausfinden was sie kann.‹
Zu diesem Zeitpunkt war das ganze Haus auf den Beinen, denn ich bin in meiner Wut recht laut geworden. Mary war die erste, die in mein Zimmer gerannt kam und als sie das Diadem und Arthurs Gesicht sah, verstand sie die Situation gänzlich und fiel mit einem Schrei ohnmächtig zu Boden. Ich schickte das Hausmädchen die Polizei rufen und überließ der Polizei die weiteren Ermittlungen. Als ein Inspektor und ein Wachtmeister das Haus betraten, fragte mich Arthur, der bis dahin mürrisch und mir verschränkten Armen dastand, ob ich ihn wirklich des Diebstahls bezichtigen wolle. Ich antwortete ihm, dass es jetzt keine Privatsache mehr wäre, sondern eine öffentliche, da das zerstörte Diadem nationales Eigentum war. Ich war entschlossen, dass das Gesetz die Sache regeln sollte.
›Zumindest,‹ sagte er, ›solltest du mich nicht gleich festnehmen lassen. Es wäre zu unserem beiderseitigem Vorteil, wenn ich für fünf Minuten das Haus verlassen dürfte.‹
›Damit du flüchten, oder dein Diebesgut verstecken kannst,‹ sagte ich. Und dann begriff ich die grauenvolle Situation, in der ich steckte und flehte ihn an sich zu vergegenwärtigen, dass nicht nur meine Ehre, sondern auch die von jemand weit größerem in Gefahr war und er drauf und dran war einen Skandal, der die Nation erschüttern ließe, zu entfachen. Er könnte das alles verhindern, wenn er mir nur erzählte was er mit den drei fehlenden Steinen angestellt hatte.
›Du kannst genauso gut gestehen,‹ sagte ich, ›du bist in flagranti erwischt worden und kein Geständnis könnte deine Schuld noch größer machen. Wenn du die in deiner Macht stehende Wiedergutmachung leistest und uns erzählst, wo die Beryll-Kristalles sind, dann ist die Sache vergeben und vergessen.‹
›Spar dir deine Vergebung für die, die danach verlangen,‹ antwortete er und drehte sich mit einem höhnischen Grinsen von mir weg. Ich sah ein, dass er jedes weitere Einfluss nehmende Wort von mir abweisen würde. Damit gab es nur noch eine Möglichkeit. Ich rief den Inspektor und übergab meinen Sohn in Gewahrsam. Eine Suche wurde sofort eingeleitet, nicht nur eine Leibesvisitation bei meinem Sohn, sondern auch sein Zimmer und jeder Teil des Hauses, an dem der die Edelsteine versteckt haben könnte, wurden durchsucht. Aber es gab keine Spur von ihnen und der erbärmliche Junge wollte seinen Mund nicht aufmachen, trotz all unserer Überzeugungsversuche und Drohungen. Diesen Morgen wurde er in eine Zelle gebracht und ich, nachdem ich durch all die Polizeiformalitäten hinter mich gebracht hatte, bin zu Ihnen geeilt, um Sie anzuflehen Ihre Fähigkeiten zur Klärung des Falls einzusetzen. Die Polizei hat offen zugegeben, dass sie im Moment noch im Dunkeln tappen. Ich erstatte jeglichen Aufwand, den Sie für nötig halten. Ich habe schon eine Belohnung von 1000 £ angeboten. Mein Gott was soll ich tun? Ich habe in einer Nacht meine Ehre, meine Edelsteine und meinen Sohn verloren. Was soll ich nur tun?!«
Er legte seinen Kopf in die Hände und schwankte hin und her, während er zu sich selbst brummte wie ein Kind, das seine Trauer nicht in Worte fassen kann.
Sherlock Holmes saß ein paar Minuten mit gerunzelter Stirn und den Augen aufs Feuer gerichtet da.
»Empfangen Sie viel Besuch?« wollte er wissen.
»Niemanden, außer meinem Partner und seiner Familie und gelegentlich einen Freund von Arthur. Sir George Burnswell war in letzter Zeit öfters da. Sonst niemand, denke ich.«
»Gehen Sie oft aus?«
»Arthur ja. Mary und ich bleiben zu Hause. Wir haben daran kein großes Interesse.«
»Das ist ungewöhnlich für ein junges Mädchen.«
»Sie ist von ruhiger Natur. Nebenbei, sie ist nicht mehr so jung. Sie ist 24.«
»Dieser Vorfall, von dem Sie berichteten, schien für sie ebenfalls ein Schock zu sein.«
»Schlimm ja! Es traf sie sogar noch mehr als mich.«
»Und Sie beide haben keinen Zweifel an der Schuld Ihres Sohnes?«
»Wie können wir, wenn ich ihn mit eigenen Augen gesehen habe wie er das Diadem in der Hand hatte?«
»Ich betrachte das kaum als einen schlüssigen Beweis. War das, was vom Diadem übrig war, überhaupt beschädigt?«
»Ja, es war verbogen.«
»Denken Sie dann nicht, dass er vielleicht versucht hat, es wieder gerade zu biegen?«
»Gott segne Sie! Sie tun für mich und meinen Sohn was Sie können. Aber das ist eine zu schwere Aufgabe. Was hatte er überhaupt dort zu suchen? Wenn seine Ziele unschuldig waren, warum hat er dann nichts gesagt?«
»Exakt. Und wenn sie nicht unschuldig waren, warum hat er keine Lüge erfunden? Sein Schweigen erscheint bei beiden Varianten keinen Sinn zu ergeben. Es gibt einige einmalige Punkte an Ihrem Fall. Was haben die Polizisten wegen des Lärms, der Sie weckte, vermutet?«
»Sie dachten, dass es vielleicht von Arthur war als er seine Schlafzimmertür schloss.«
»Eine wahrscheinliche Geschichte! Als ob ein Mann, der gerade ein Verbrechen begangen hat die Tür zuschlüge, sodass der gesamte Haushalt aufwacht. Was haben sie denn über das Verschwinden der Steine gesagt?«
»Sie durchsuchen immer noch die Vertäfelung und die Möbel in der Hoffnung sie noch zu finden.«
»Haben sie daran gedacht außerhalb des Hauses nachzusehen?«
»Ja, sie haben eine außergewöhnliche Energie gezeigt. Der ganze Garten wurde schon genauestens untersucht.«
»Nun, mein lieber Herr,« sagte Holmes, »ist es nicht offensichtlich für Sie, dass diese Angelegenheit viel tiefer reicht als Sie oder die Polizei zuerst gedacht hatten? Es scheint Ihnen ein ziemlich klarer Fall, für mich erscheint er jedoch äußerst komplex. Bedenken Sie was alles bei Ihrer Theorie einbezogen werden muss. Sie nehmen an, dass Ihr Sohn von seinem Bett herunter kam, unter großem Risiko in Ihr Ankleidezimmer ging, die Kommode öffnete, das Diadem nahm, mit roher Gewalt ein kleines Stück abbrach, dann irgendwo anders hinging, wo er drei der 39 Edelsteine so gut versteckte, dass sie niemand finden kann und dann mit den anderen 36 Steinen in den Raum zurückkehrte, wo er sich dem größten Risiko aussetzte entdeckt zu werden. Ich frage Sie nun, ist diese Theorie haltbar?«
»Aber welche andere Erklärung gibt es?« schrie der Bankier der Verzweiflung nahe. »Wenn seine Motive unschuldig sind, warum erklärt er sich nicht?«
»Das ist unsere Aufgabe herauszufinden,« erwiderte Holmes. »Und jetzt, Mr. Holder, werden wir, wenn es Ihnen nichts ausmacht, zusammen nach Streatham aufbrechen und uns eine Stunde lang den Details dieses Falls widmen.«
Mein Freund bestand darauf, dass ich ihre Expedition begleitete, was ich sowieso vorhatte, denn meine Neugier und mein Mitleid waren durch die Geschichte, die wir gerade gehört hatten zutiefst aufgewühlt. Ich gebe zu, dass die Schuld des Bankierssohnes für mich anfangs genauso klar war wie für seinen unglücklichen Vater, aber ich hatte dennoch so viel Vertrauen in Holmes' Urteil, dass ich fühlte, dass noch nicht alle Hoffnung vergebens war, solange Holmes mit der gegebenen Erklärung unzufrieden war. Er sprach kaum ein Wort als wir zu den südlichen Vororten fuhren, sondern saß mit dem Kopf auf die Brust gesunken, den Hut über die Augen gezogen und tief in Gedanken versunken da. Unser Klient schien durch den neuen Hoffnungsschimmer, den wir ihm gaben, neuen Mut geschöpft zu haben und wir fielen sogar in ein belangloses Gespräch über seine Geschäftsangelegenheiten. Eine kurze Zugfahrt und ein noch kürzerer Spaziergang brachte uns nach Fairbank, dem bescheidenen Anwesen des großen Bankiers.
Fairbank war ein recht großes, quadratisches Haus aus weißem Stein und stand ein bisschen zurückversetzt von der Straße. Eine kleine zweispurige Wagendurchfahrt mit schneebedecktem Rasen führte zu zwei großen Eisentoren, die den Eingang versperrten. Auf der rechten Seite war ein kleines Dickicht, das zu einem engen Pfad zwischen zwei getrimmten Hecken führte, die sich von der Straße bis zur Küchentür erstreckten und den Lieferanteneingang bildeten. Auf der linken Seite verlief ein Weg, der zu den Ställen führte und war nicht Teil des Anwesens, da er ein öffentlicher, wenngleich wenig genutzter Durchgang war. Holmes ließ uns an der Tür stehen und ging langsam alleine um das Haus herum, über die Frontseite, den Lieferanteneingang hinunter und hinter dem Garten entlang zur Stallzufahrt. Er brauchte so lange, dass Mr. Holder und ich derweil in das Esszimmer gingen und am Feuer auf seine Rückkehr warteten. Wir saßen schweigsam dort, als eine junge Dame eintrat. Ihre Größe war etwas über dem Durchschnitt, sie war dünn, hatte dunkle Haare und Augen, die gegenüber der leichenhaften Blässe ihrer Haut noch dunkler erschienen. Ihre Lippen waren auch blutleer, aber ihre Augen waren voller Tränen. Als sie leise in den Raum trat, beeindruckte sie mich mit einer noch größeren Trauer als der Bankier sie heute morgen an den Tag legte und das war noch auffälliger, da sie augenscheinlich eine Frau mit starkem Charakter und großer Zurückhaltung war. Meine Anwesenheit nicht beachtend, ging sie direkt zu ihrem Onkel und strich mit ihrer Hand in reizender weiblicher Zärtlichkeit über den Kopf.
»Du hast die Anweisung gegeben, dass Arthur aus dem Gefängnis frei kommt, nicht wahr, Dad?« fragte sie.
»Nein, nein, meine Kleine, der Sache muss erst noch auf den Grund gegangen werden.«
»Aber ich bin so sicher, dass er unschuldig ist. Du kennst doch weibliche Instinkte. Ich weiß, dass er nichts unrechtes getan hat und dass es dir noch leid tun wird so unnachgiebig gehandelt zu haben.«
»Warum schweigt er dann, wenn er unschuldig ist?«
»Wer weiß? Vielleicht weil er so wütend war, dass du ihn verdächtigst.«
»Wie konnte ich anders als ihn zu verdächtigen, wenn ich ihn mit dem Diadem in der Hand gesehen habe?«
»Oh, er hat es vielleicht nur aufgehoben, um es anzuschauen. Oh, nimm, nimm mein Wort dafür, dass er unschuldig ist. Vergiss die Sache und sage nichts mehr davon. Es ist so grausam daran zu denken, dass unser lieber Arthur im Gefängnis ist.«
»Ich werde sie niemals fallen lassen, solange die Edelsteine nicht gefunden sind – nie, Mary! Deine Zuneigung gegenüber Arthur macht dich blind für die schrecklichen Folgen für mich. Um die Sache nicht unter den Teppich zu kehren, habe ich einen Gentleman aus London mitgebracht, der sich damit eingehender auseinander setzen wird.«
»Dieser Gentleman?« fragte sie und wandte sich an mich.
»Nein, sein Freund. Er wollte alleine gelassen werden. Er ist gerade auf der Stallzufahrt.«
»Der Stallzufahrt?« Sie hob ihre Augenbrauen. «Was hofft er dort zu finden? Ah! Das wird er wohl sein. Ich vertraue darauf, Sir, dass Sie Erfolg haben werden zu beweisen, was meine Gefühle mir sagen, nämlich dass mein Cousin unschuldig ist.«
»Ich bin völlig Ihrer Meinung und ich denke, dass wir es mit Ihrer Hilfe auch beweisen können,« erwiderte Holmes, ging zurück auf die Eingangsmatte und klopfte sich den Schnee von den Schuhen. »Ich glaube, dass ich die Ehre habe mit Miss Mary Holder zu sprechen. Kann ich Ihnen ein oder zwei Fragen stellen?«
»Bitte, nur zu, Sir, wenn es hilft diesen fürchterlichen Vorfall aufzuklären.«
»Sie selbst haben gestern Nacht nichts gehört?«
»Nichts, bis mein Onkel zu schreien begann. Das hörte ich und kam herunter.«
»Sie haben die Fenster und Türen die Nacht zuvor geschlossen. Haben Sie alle Fenster verschlossen?«
»Ja.«
»Waren sie heute morgen auch noch verschlossen?«
»Ja.«
»Eines Ihrer Mädchen hat einen Liebhaber? Ich denke sie haben das gestern gegenüber Ihrem Onkel erwähnt und dass sie aus war, um ihn zu sehen?«
»Ja und sie war das Mädchen, das im Salon wartete und das vielleicht gehört hat was Onkel über das Diadem gesagt hatte.«
»Ich verstehe. Sie folgern daraus, dass sie ausging, um es ihrem Liebhaber zu sagen und dass die beiden den Raub geplant haben könnten.«
»Was nützen denn diese vagen Theorien,« rief der Bankier ungeduldig, »wo ich Ihnen doch erzählt habe, dass ich Arthur mit dem Diadem in der Hand sah?«
»Warten Sie noch ein wenig, Mr. Holder, wir kommen darauf zurück. Wegen des Mädchens, Sie haben gesehen wie sie zur Küchentür zurückkam nehme ich an?«
»Ja, als ich nachschaute, ob die Tür für die Nacht geschlossen war, traf ich sie als sie hineinhuschte. Ich sah auch den Mann im Dunkeln.«
»Kennen Sie ihn?«
»Oh ja! Es ist unser Gemüsehändler. Sein Name ist Francis Prosper.«
»Er stand,« sagte Holmes, »links von der Tür – das ist weiter oben am Pfad als nötig wäre, um die Tür zu erreichen?«
»Ja, stimmt.«
»Und der Mann hat ein Holzbein?«
Etwas ähnliches wie Furcht sprang in die ausdrucksvollen schwarzen Augen der jungen Lady. »Was? Sind Sie ein Zauberer?« fragte sie. »Woher wissen Sie das?« Sie lächelte, aber Holmes lächelte nicht zurück.
»Jetzt wäre ich froh, wenn wir hoch gingen,« sagte er. »Ich werde wahrscheinlich später wieder ums Haus gehen wollen. Vielleicht sollten wir doch besser erst die unteren Fenster inspizieren, bevor wir hoch gehen.«
Er ging schnell von einem zum anderen und stoppte nur an dem großen Fenster, das von der Halle hinaus auf die Stallzufahrt zeigte. Er öffnete es und untersuchte vorsichtig das Fensterbrett mit seiner starken Lupe. »Jetzt sollten wir nach oben gehen,« sagte er schließlich.
Des Bankiers Ankleidezimmer war eine schlicht möblierte kleine Kammer mit grauem Teppich, einer großen Kommode und einem langen Spiegel. Holmes ging zuerst zu Kommode und inspizierte das Schloss.
»Welcher Schlüssel wurde genutzt, um es aufzuschließen?« fragte er.
»Der, welchen mein Sohn selbst andeutete – der unseres Abstellkammerschranks.«
»Haben Sie ihn dabei?«
»Er liegt da auf dem Ankleidetisch.«
Sherlock Holmes nahm ihn und öffnete die Kommode.
»Ein geräuschloses Schloss,« sagte er. »Es ist kein Wunder, dass sie davon nicht erwachten. Dieses Kästchen nehme ich an beinhaltet das Diadem. Wir müssen einen Blick darauf werfen.« Er öffnete das Kästchen, nahm das Diadem heraus und legte es auf den Tisch. Es war eine zauberhafte Kostprobe der Juwelierskunst und die 36 Steine waren die schönsten, die ich je gesehen habe. An einer Seite des Diadems war eine gerissene Kante, wo die drei Steine abgerissen worden waren.
»Nun Mr. Holder,« sagte Holmes, «hier ist die Ecke, die jener, die unglücklicherweise verloren ging, gegenüber liegt. Würden Sie sie bitte für mich abreißen?«
Der Bankier zuckte vor Schreck zusammen. »Ich denke nicht im Traum daran,« sagte er.
»Dann werde ich es tun.« Holmes nahm plötzlich alle Kräfte zusammen und zog daran, ohne Erfolg. »Es gibt ein bisschen nach, glaube ich,« sagte er, »aber, obwohl ich sehr stark in den Fingern bin, würde es mich einige Zeit kosten die Ecke abzureißen. Ein gewöhnlicher Mann könnte das gar nicht. Und was denken Sie würde passieren, wenn ich es schaffte, Mr. Holder? Dann gäbe es ein Geräusch wie einen Pistolenschuss. Sie wollen mir doch nicht erzählen dies alles sei nur wenige Meter von Ihrem Bett geschehen und Sie haben nichts gehört?«
»Ich weiß nicht was ich denken soll, es liegt für mich alles im Dunkeln.«
»Aber vielleicht wird es lichter, sobald wir weitergehen. Was denken sie, Miss Holder?«
»Ich gebe zu, dass ich die Verwirrung meines Onkels teile.«
»Ihr Sohn hatte weder Schuhe, noch Hausschuhe an als Sie ihn gesehen haben?«
»Er hatte nichts weiter an als ein Hemd und eine Hose.«
»Danke. Wir wurden bei dieser Untersuchung von außerordentlichem Glück begünstigt. Und es wäre einzig unsere Schuld, wenn wir den Fall nicht aufklärten. Mit Ihrer Erlaubnis, Mr. Holder, werde ich meine Ermittlung nun draußen fortsetzen.«
Er ging auf eigenen Wunsch allein, da er meinte jede unnötige Fußspur würde sein Vorhaben unnötig verkomplizieren. Eine Stunde oder länger war er an der Arbeit, bis er endlich zurück kam, seine Schuhe voller Schnee und sein Gesicht undurchschaubar wie immer.
»Ich denke ich habe nun alles gesehen, was es zu sehen gibt, Mr. Holder,« sagte er, »ich diene Ihnen am besten, wenn ich zu mir nach Hause zurückkehre.«
»Aber meine Edelsteine, Mr. Holmes. Wo sind sie?«
»Das weiß ich nicht.«
Der Bankier verdrehte die Hände. »Ich werde sie nie wieder sehen!« schrie er. »Und mein Sohn? Sie geben mir immer noch Hoffnung?«
»Meine Meinung hat sich nicht geändert.«
»Dann um Himmels Willen, was waren die dunklen Geschäfte die letzte Nacht in meinem Haus stattfanden?«
»Wenn Sie mich morgen zwischen neun und zehn Uhr in meinen Räumen in der Baker Street aufsuchen, werde ich Ihnen gerne alles erklären. Bis dahin habe ich doch einen Blankoscheck von Ihnen, dass ich in Ihrem Namen handele und dass ich Ihnen die Edelsteine wiederbeschaffe egal welche Summe das kosten wird.«
»Ich würde mein Vermögen geben, um sie wiederzubeschaffen.«
»Sehr gut, dann werde ich mich bis dahin um die Sache kümmern. Auf Wiedersehen, es kann sein, dass ich heute Abend noch einmal hier vorbeikommen werde.«
Es war leicht ersichtlich für mich, dass seine Gedanken bezüglich dieses Falls nun klar waren, obwohl ich mir seine Schlussfolgerungen nicht im mindesten vorstellen konnte. Mehrere Male während unserer Heimfahrt versuchte ich ihm etwas darüber zu entlocken, aber er schwenkte das Gespräch immer auf ein anderes Thema, bis ich schließlich verzweifelt aufgab. Es war noch nicht einmal drei Uhr am Nachmittag als wir uns in unserem Zimmer wiederfanden. Er eilte in sein Schlafzimmer und als er nach ein paar Minuten wieder heraustrat war er angezogen wie ein gewöhnlicher Gammler. Mit seinem hochgezogenen Kragen, seinem speckigen, heruntergekommenen Mantel, seinem roten Halstuch und seinen ausgetretenen Stiefeln war er von jenen Leuten nicht mehr zu unterscheiden.
»Ich denke das wird reichen,« sagte er und schaute in den Spiegel über dem Kamin. »Ich wünschte Sie könnten mitkommen, Watson, aber ich fürchte das geht nicht. Ich bin vielleicht auf einer heißen Spur in diesem Fall, aber ich könnte genauso gut ein Irrlicht jagen, ich werde jedoch bald herausfinden was es ist. Ich hoffe, dass ich in wenigen Stunden zurück bin.« Er schnitt eine Scheibe Rindfleisch vom Braten auf der Anrichte, machte daraus mit zwei Brotscheiben ein Sandwich und stopfte diese notdürftige Mahlzeit in seine Tasche, dann begann er seinen Ausflug.

Ich war gerade fertig mit Tee trinken, als er zurück kam, augenscheinlich in ausgezeichneter Stimmung und er hielt einen alten Stiefel in der Hand. Er warf ihn in eine Ecke und nahm sich eine Tasse Tee.
»Ich schaue nur mal eben rein,« sagte er. »Ich gehe gleich weiter.«
»Wohin?«
»Oh, auf die andere Seite von West End. Es könnte eine Weile dauern ehe ich wieder komme. Warten Sie nicht auf mich, sollte es spät werden.
»Wie kommen Sie voran?
»Oh, so la la. Ich kann nicht klagen. Ich war seitdem ich weg war noch einmal in Streatham, aber ich habe nicht am Haus geklingelt. Es ist ein sehr nettes kleines Problem und ich wollte es ungern missen. Nun, ich sollte hier nicht herumschwadronieren, sondern diese unwürdigen Kleider ablegen und zu meinem höchst ehrwürdigen Selbst zurückkehren.«
Ich konnte an seinem Verhalten ablesen, dass er größere Gründe für Zufriedenheit hatte als seine Worte vermuten ließen. Seine Augen funkelten und es ließ sich sogar ein Hauch Farbe auf seinen fahlen Wangen erkennen. Er ging die Treppe hoch und wenige Minuten später hörte ich die Haustür zuknallen, was mir sagte, dass er wieder einmal auf seiner kongenialen Jagd war.
Ich wartete bis Mitternacht, aber es gab kein Zeichen seiner Rückkehr, also zog ich mich in mein Zimmer zurück. Es war nicht ungewöhnlich für ihn, dass er Tage und Nächte weg blieb, wenn er einer heißen Spur folgte, sodass mich seine Verspätung nicht überraschte. Ich weiß nicht wann er dann zurück kam, aber als ich am nächsten Morgen frühstücken ging, saß er mit einer Tasse Kaffee und der Zeitung am Tisch und sah so frisch und gepflegt aus wie immer.
»Sie entschuldigen, dass ich ohne Sie angefangen habe, Watson,« sagte er, »aber Sie erinnern sich, dass unser Klient heute Morgen einen ziemlich frühen Termin hat.«
»Nun, es ist nach neun Uhr,« antwortete ich. »Es würde mich nicht wundern, wenn er das ist. Ich dachte ich hätte es läuten gehört.«
Es war in der Tat unser Freund der Bankier. Ich war schockiert über die Veränderung, die über in gekommen war, denn sein Gesicht, eigentlich eine breite, kompakte Form, war jetzt verhärmt und eingefallen, während mir seine Haare noch mindestens eine Spur weißer erschienen. Er trat mit einer Müdigkeit und Lethargie ein, die noch schmerzhafter war als das Aufbrausen vom Morgen davor und er ließ sich schwer in den Sessel fallen, den ich für ihn vorschob.
»Ich weiß nicht was ich getan habe, um so schwer geprüft zu werden,« sagte er. »Noch vor zwei Tagen war ich ein glücklicher, erfolgreicher Mann ohne Sorgen. Jetzt bin ich allein gelassen und entehrt. Ein Leid folgt dicht auf das nächste. Meine Nichte, Mary, hat mich verlassen.«
»Sie verlassen?«
»Ja, in ihrem Bett hat heute Nacht niemand geschlafen, ihr Raum war leer und eine Notiz lag für mich auf dem Tisch in der Eingangshalle. Ich hatte ihr gestern Nacht, in Kummer, nicht in Ärger erzählt, dass wenn sie meinen Jungen geheiratet hätte, alles besser gelaufen wäre. Vielleicht war das gedankenlos von mir das zu sagen. Aber darauf bezieht sie sich in dieser Notiz:
Mein liebster Onkel,
Ich fühle, dass ich dir Kummer bereitet habe und dass, wenn ich anders gehandelt hätte, dieses schreckliche Unglück vielleicht nie geschehen wäre. Ich kann mit diesem Gedanken nie wieder glücklich unter deinem Dach leben und ich fühle, dass ich dich für immer verlassen muss. Sorge dich nicht um meine Zukunft, dafür ist gesorgt und vor allem suche mich nicht, denn das wäre ein fruchtloses Unterfangen und mir gegenüber nicht gerecht. Im Leben oder Tod, ich bin immer
Deine dich liebende
Mary
Was könnte sie mit der Notiz meinen, Mr. Holmes? Glauben Sie, sie denkt an Selbstmord?«
»Nein, nein, nichts dergleichen. Es ist vielleicht die bestmögliche Lösung. Ich denke, Mr. Holder, dass Sie bald am Ende Ihrer Beschwerden angekommen sein werden.«
»Ha, das sagen Sie so! Sie haben etwas gehört, Mr. Holmes, Sie haben etwas erfahren! Wo sind die Steine?«
»Sie denken nicht, dass 1000 £ pro Stein eine zu hohe Summe wären?«
»Ich würde das zehnfache zahlen.«
»Das wird nicht nötig sein. Dreitausend würden die Sache decken. Und das ist dann sicher noch eine kleine Belohnung wert, meine ich. Haben Sie ein Scheckbuch? Hier ist ein Stift. Füllen Sie besser 4000 £ ein.«
Mit einem verwirrten Gesicht füllte der Bankier den geforderten Scheck aus. Holmes ging zu seinem Schreibtisch, nahm ein kleines dreieckiges Stück Gold mit drei Edelsteinen darauf und warf es auf den Tisch.
Mit einem Freudenschrei griff unser Klient danach.
»Sie haben es!« keuchte er. »Ich bin gerettet! Ich bin gerettet!«
Die Freude war so leidenschaftlich wie die Trauer gewesen war und er umschlang die wiedererlangten Edelsteine und drückte sie an die Brust.
»Da ist noch etwas, das Sie schuldig sind, Mr. Holder,« sagte Sherlock Holme eher streng.
»Schuldig?« Er nahm den Stift in die Hand. »Nennen Sie die Summe, ich werde es zahlen.«
»Nein, die Schuld ist nicht gegenüber mir. Sie schulden eine demütige Entschuldigung jenem noblen Burschen, Ihrem Sohn, der sich der Sache gestellt hat wie ich stolz auf meinen Sohn wäre, wenn ich je einen haben sollte.«
»Dann war es nicht Arthur, der die Steine geklaut hat?«
»Ich sagte es Ihnen schon gestern und ich wiederhole es heute, er war es nicht.«
»Sie sind sich sicher! Dann schnell zu ihm, damit er weiß, dass die Wahrheit bekannt ist.«
»Er weiß es schon. Als ich alles aufgeklärt hatte, war ich bei ihm, aber er wollte mir seine Geschichte nicht erzählen, also habe ich das übernommen, woraufhin er eingestand, dass ich richtig lag und die sehr wenigen Details, die mir noch nicht ganz klar waren, ergänzte. Die Neuigkeiten von diesem Morgen, könnten ihm die Lippen öffnen.«
»Um Himmels willen, erzählen Sie mir schon die Lösung dieses außerordentlichen Rätsels!«
»Das werde ich und ich werde Ihnen die Schritte zeigen, die ich dafür gehen musste. Aber lassen Sie mich zuerst eines sagen, was für mich schwierig und für Sie ein Schlag sein wird: es gab eine Verständigung zwischen Sir George Burnswell und Ihrer Nichte Mary. Sie sind nun gemeinsam geflohen.«
»Meine Mary? Unmöglich!«
»Es ist unglücklicherweise mehr als wahrscheinlich, es ist gewiss. Weder Sie, noch Ihr Sohn kannte den wirklichen Charakter dieses Mannes als Sie ihn in Ihren Familienkreis aufnahmen. Er ist einer der gefährlichsten Männer Englands – ein ruinierter Spieler, ein absolut verzweifelter Schurke, ein Mann ohne Herz oder Gewissen. Ihre Nichte wusste nichts über solche Menschen. Als er seine Schwüre in ihre Ohren hauchte, wie er es schon bei Hunderten vor ihr gemacht hatte, redete sie sich ein, dass nur sie sein Herz berührt hatte. Der Teufel weiß was er ihr gesagt hat, aber zumindest wurde sie sein Werkzeug und sie sahen sich beinahe jeden Abend.«
»Das kann und will ich nicht glauben!« schrie der Bankier, sein Gesicht weiß wie Asche.
»Ich erzähle Ihnen nun was sich gestern Nacht in Ihrem Haus ereignete. Als Ihre Nichte glaubte, dass Sie in Ihren Raum gegangen waren, schlich sie sich hinunter und redete mit ihrem Liebhaber durch das Fenster, das zur Stallzufahrt zeigt. Seine Fußspuren haben sich ganz durch den Schnee gedrückt, so lang stand er dort. Sie erzählte ihm von dem Diadem. Seine boshafte Lust nach Gold schürte sich bei der Neuigkeit und er machte sie gefügig. Ich zweifle nicht daran, dass sie Sie geliebt hat, aber es gibt Frauen, bei denen die Liebe zu einem Liebhaber jede andere Liebe überdeckt und ich denke das war hier der Fall. Sie hat seinen Anweisungen kaum mehr zugehört als Sie die Treppe herunter kamen, woraufhin sie das Fenster schnell schloss und Ihnen über die Eskapade Ihres Dieners mit dem holzbeinigen Liebhaber berichtete, die vollkommen wahr war.
Ihr Junge, Arthur, ging nach dem Gespräch mit Ihnen zu Bett, aber er schlief schlecht, wegen der Club-Schulden. Mitten in der Nacht hörte er weiche Schritte an seiner Zimmertür entlang schreiten, also stand er auf und als er hinaus schaute, war er überrascht wie er seine Cousine sah, die verstohlen den Flur entlangging und in Ihrem Ankleidezimmer verschwand. Gelähmt vor Erstaunen zog sich Ihr Junge etwas an und wartete im Dunkeln was aus dieser seltsamen Geschichte würde. Bald darauf erschien Ihre Nichte wieder aus dem Raum und im Licht der Flurlampe sah Ihr Sohn, dass sie das wertvolle Diadem in Händen hielt. Sie ging die Treppe hinunter und er, vor Horror erbebend, rannte hinter einen Vorhang nahe Ihres Zimmers, woher er sehen konnte, was in der Halle unter ihm geschah. Er sah sie verstohlen das Fenster öffnen und das Diadem jemandem in der Dunkelheit draußen zureichen, dann es wieder schließen und einmal mehr zurück in ihr Zimmer hasten, wobei sie ziemlich nahe an dem Vorhang, wohinter sich Ihr Sohn versteckte, vorbei kam.
So lange sie am Tatort war, konnte er nichts machen, ohne die Frau, die er liebte, bloßzustellen. Aber in dem Moment, als sie weg war, verstand er wie vernichtend das Unglück für Sie wäre und wie extrem wichtig es wäre die Sache auszuräumen.
Er rannte hinunter, so wie er war, mit bloßen Füßen und öffnete das Fenster, sprang hinaus in den Schnee und die Zufahrt hinunter, wo er eine dunkle Figur im Mondlicht erkannte. Sir George Burnswell versuchte zu entkommen, aber Arthur schnappte ihn und es kam zum Kampf, Ihr Sohn zerrte an einer Seite des Diadems und sein Gegner an der anderer. Im Handgemenge traf Ihr Sohn Sir George und schnitt ihn über dem Auge. Dann plötzlich krachte etwas und Ihr Sohn, der herausfand, dass er das Diadem in der Hand hatte, eilte zurück, schloss das Fenster und ging hoch in Ihr Zimmer, wo er herausfand, dass das Diadem im Kampf verbogen wurde. Er versuchte es wieder hinzubiegen, als Sie auf den Plan traten.«
»Ist das denn möglich?« keuchte der Bankier.
»Sie verärgerten ihn dann, indem Sie ihn beschimpften, als er eigentlich dachte Ihren wärmsten Dank verdient zu haben. Er konnte die wahre Begebenheit nicht erklären, ohne die zu betrügen, welche in seinen Gedanken eigentlich keine Beachtung verdient gehabt hätte. Er traf eine ritterliche Entscheidung und behielt ihr Geheimnis für sich.«
»Darum schrie sie so und fiel in Ohnmacht als sie das Diadem sah,« rief Mr. Holder. »Oh mein Gott, welch ein blinder Narr bin ich gewesen! Und sein Wunsch fünf Minuten nach draußen zu gehen! Der gute Junge wollte am Ort der Rauferei das fehlende Stück suchen. Welch furchtbares Unrecht habe ich ihm getan!«
»Als ich am Haus ankam,« fuhr Holmes fort, »ging ich gleich sehr vorsichtig ums Haus herum, um Spuren im Schnee zu finden, die mir möglicherweise helfen könnten. Ich wusste, dass seit dem vorigen Abend keiner mehr gefallen war und auch dass ein strenger Frost die Abdrücke erhalten hat. Ich ging den Lieferantenweg entlang, aber da war alles niedergetrampelt und nicht mehr zu unterscheiden. Aber ein Stück daneben, gegenüber der Küchentür, war eine Frau gestanden und hatte mit einem Mann geredet, dessen runde Abdrücke auf einer Seite zeigte, dass er ein Holzbein hatte. Ich konnte sogar sagen, dass die beiden gestört wurden, denn die Frau rannte schnell zurück zur Tür, wie mir von den tiefen Zeh- und den schwachen Absatz-Abdrücken gezeigt wurde. Der Mann mit dem Holzbein wartete noch eine Weile und ging dann weg. Ich dachte da bereits, dass dies das Mädchen und sein Liebhaber gewesen sein könnten, von dem Sie sprachen und die Ermittlung zeigte, dass dem wirklich so war. Ich ging im Garten umher, aber sah nicht mehr als ein paar zufällige Spuren, die ich als jene von der Polizei hinterlassene erkannte. Als ich dann auf die Stallzufahrt kam, war dort eine sehr lange und komplexe Geschichte in den Schnee vor mir geschrieben.
Es gab zwei Spuren eines stiefelbewehrten Mannes und weitere zwei Spuren, die wie ich mit Freuden sah, von einem barfüßigen Hinterlassen wurde. Ich war sofort überzeugt, anhand dessen, was Sie mir gesagt haben, dass das zweite Ihr Sohn war. Die erste Spur ging in beide Richtungen, aber die andere rannte schnell und da die Abdrücke über den ersten lagen, war es offensichtlich, dass er nach dem anderen kam. Ich folgte ihnen und fand, dass sie zum Hallenfenster führten, wo die Stiefel den ganzen Schnee durchdrückten als sie warteten.
Dann ging ich zum anderen Ende, das 100 Meter oder mehr die Straße hinunter war. Ich sah, wo sich die Stiefel umgedreht haben, wo der Schnee aufgewühlt war, als hätte ein Kampf stattgefunden und schließlich, wo ein paar Tropfen Blut hingefallen waren. Ich war also nicht verkehrt. Dann rannten die Stiefel die Straße hinunter und ein weiterer kleiner Blutspritzer zeigte mir, dass er es war, der verletzt worden war. Als ich die Heerstraße am anderen Ende erreichte, sah ich, dass der Gehweg geräumt worden war und damit war diese Spur am Ende.
Als ich das Haus betrat, untersuchte ich, wie Sie sich sicher erinnern, den Rahmen und die Fensterbank des Hallenfensters mit meiner Lupe und ich konnte sofort erkennen, dass jemand hinausgeklettert war. Ich konnte den Umriss eines Rists erkennen, wo ein nasser Fuß platziert worden war als jemand hereinkletterte. Daraufhin konnte ich mir eine erste Meinung über die Vorfälle bilden. Jemand hatte draußen vor dem Fenster gewartet, jemand hat ihm die Juwelen gebracht, die Tat wurde von Ihrem Sohn beobachtet, er hat den Dieb verfolgt, er hat mit ihm gekämpft, sie haben beide am Diadem gezerrt und ihre gemeinsame Kraft hat Schäden hinterlassen, die niemand alleine hätte verursacht haben können. Er kehrte mit dem Preis zurück, aber ein Teil blieb im Besitz des Gegners. So weit war alles klar. Die Frage war nun, wer der Mann war und wer ihm das Diadem brachte.
Es ist ein alter Grundsatz von mir, dass wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, alles was übrig bleibt, und sei es auch noch so unwahrscheinlich, die Wahrheit sein muss. Nun, ich wusste, dass es nicht Sie waren, der das Diadem hinunter gebracht hatte. Dann blieben nur noch Ihre Nichte und die Mädchen. Aber wenn es eins der Mädchen gewesen wäre, warum hätte Ihr Sohn dann die Schuld auf sich genommen? Dafür gibt es keine Erklärung. Da er jedoch seine Cousine liebte, gab es eine exzellente Erklärung warum er ihr Geheimnis bewahren wollte – umso mehr, nachdem das Geheimnis ein schändliches war. Als ich mich nun daran erinnerte, das Sie sie am Fenster gesehen hatten und dass sie beim Wiederanblick des Diadems in Ohnmacht fiel, wurden meine Schlussfolgerungen zur Gewissheit.
Und wer könnte ihr Komplize sein? Ganz offensichtlich ein Liebhaber, denn wer sonst könnte die Liebe und Dankbarkeit, die sie für Sie empfinden musste, überwiegen? Ich wusste, dass Sie selten ausgehen und dass Ihr Freundeskreis sehr klein ist. Aber unter ihnen war Sir George Burnswell. Ich hatte schon von ihm gehört, als ein Mann mit schlechtem Ruf bezüglich Frauen. Es musste er gewesen sein, er die Stiefel trug und die Edelsteine behielt. Selbst nachdem Arthur ihn entdeckt hatte, konnte er sich noch einreden, dass er sicher war, denn Ihr Bursche konnte nicht ein Wort sagen ohne seine eigene Familie zu kompromittieren.
Also, ihr eigener Menschenverstand wird ihnen sagen, was ich als nächstes tat. Ich ging als Gammler verkleidet zu Sir Georges Haus, schaffte es mit dem Hausdiener Bekanntschaft zu machen, fand heraus, dass sein Herr sich die Nacht zuvor am Kopf verletzt hatte und schließlich unter Aufwendung von sechs Schillingen, kaufte ich ein Paar seiner abgetragenen Schuhe und machte die Sache damit klar. Mit ihnen fuhr ich dann hinunter nach Streatham und entdeckte, dass sie genau in die Spuren passten.«
»Ich sah einen schlecht gekleideten Vagabunden auf der Straße, gestern Abend,« sagte Mr. Holder.
»Genau, das war ich. Ich hatte meinen Verdächtigen gefunden, also kam ich heim und wechselte meine Kleider. Nun kam der heikelste Teil, denn ich verstand, dass Bestrafung in diesem Fall vermieden werden musste, um einen Skandal zu vermeiden und ich wusste, dass ein so gerissener Schurke erkennen würde, dass unsere Hände in dieser Sache gebunden wären. Ich besuchte ihn. Natürlich hat er zuerst alles abgestritten, aber nachdem ich ihm jede Einzelheit des Vorfalls wiedergab, versuchte er mich zu überwältigen und zog ein Knüppel von der Wand. Ich ahnte, dass es darauf hinauslaufen könnte und hielt ihm eine Pistole an den Kopf bevor er zuschlagen konnte. Danach wurde er etwas vernünftiger. Ich sagte ihm, dass er für die Steine, die er hatte, bezahlt würde – 1000 £ pro Stück. Das entlockte ihm das erste Zeichen von Trauer. ›Ich hab sie schon verscherbelt,‹ sagte er, ›für 600 £ für alle drei!‹ Ich fand bald die Adresse des Käufers heraus, nachdem ich ihm versprochen hatte, dass er nicht bestraft würde. Dann ging ich zu ihm und nach zähem Feilschen bekam ich die Steine für 1000 £ das Stück. Dann sah ich nach Ihrem Sohn, sagte ihm, dass alles in Ordnung wäre und bin dann so um zwei Uhr in der Früh ins Bett, nach einem Tag wirklich schwerer Arbeit.«
»Ein Tag, der England vor einem großen Öffentlichen Skandal bewahrte,« sagte der Bankier im Aufstehen. »Sir, ich finde nicht die Worte, um Ihnen zu danken, aber ich bin Ihnen zutiefst dankbar für alles was Sie getan haben. Ihre Fähigkeiten haben in der Tat alles überstiegen, was ich bisher gehört habe. Und jetzt muss ich zu meinem lieben Sohn eilen und mich für das Unrecht, das ich ihm angetan habe, entschuldigen. Was Sie mir über meine liebe Mary erzählt haben, geht mir sehr nahe. Nicht einmal Ihre Fähigkeiten können mir sagen, wo sie im Moment ist.«
»Ich denke, dass wir sicher sagen können,« entgegnete Holmes, »dass sie dort ist, wo auch Sir George Burnswell ist. Und es ist genauso sicher, dass, was auch immer ihre Sünden sein mögen, sie eine mehr als gerechte Strafe dafür erhält.«

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Tag der Veröffentlichung: 24.06.2009

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