Cover

Vorwort

Im Buch wird an der ein oder anderen Stelle - besonders im Zusammenhang mit „dem Bösen“ - von „Dunkelheit“, „dunklen“, „finsteren“, genauso wie „schwarz“, „schwarzen“ oder ähnlichen berichtet.

Dies bezieht sich nicht auf Rasse oder Hautfarbe und soll bitte in keinerlei rassistischen Zusammenhang gesehen werden. Ebenso bitte ich alle Geschehnisse und Aussagen im Verlaufe des Buches in keinerlei solchem Zusammenhang zu sehen.

Alle Ereignisse, Charaktere und Orte sind fiktiv.

Falls Verbindungen zu realen Personen bestehen sollten, so sind diese nicht beabsichtigt und rein zufällig.

 

TEIL 1

 

Der Knall setzt ein Zeichen,

überleben,

in drei Teilen weichen,

negative Schatten,

zu positivem Licht,

verflucht zum Leben,

im Haus im Nichts.

 

Ein zweites Zeichen,

alles bebt,

findet, vernichtet,

nichts mehr geht,

nur Monster, Geister,

in Villa des Bösen,

erst heiß und kalt,

nichts wird sich lösen.

„Der Knall“

Instabil und ungewiss,

ein leichter Schrei, ein kleiner Biss,

immer lauter, vibrierend stark,

ein großer Fall, der Natures Sarg,

ein einziger Knall, ein großer Riss,

instabil und ungewiss.

 

Es geschah auf ihrem Weg nach Hause. Alles endete und nahm gleichzeitig seinen Anfang.

Aileen begegnete keiner Menschenseele, als sie die staubige Straße entlang lief. Sie wohnten etwas außerhalb der Stadt, sodass sie noch ein gutes Stück zu gehen hatte. Es war finsterste Nacht. Die Straßenbeleuchtung flackerte nur. Es war immer noch stickig warm.

Früher hätte sie panische Angst gehabt, doch inzwischen mochte sie die Dunkelheit, sie war ihr mehr vertraut als all die schein-fröhlichen Menschen, wie ihr Vater es einer war. Sie wurde immer mehr eins mit der Dunkelheit, als sie so die Straße entlang schritt, ihr langes, schwarzes Haar verdeckte den Großteil ihres bleichen Gesichts, ihre dunkle, lange Kleidung trug ihr übriges dazu bei, möglichst nicht gesehen zu werden.

Das Klingeln ihres Handys riss die Stille der Nacht entzwei.

„Wo zu Hölle steckst du schon wieder?“, brüllte ihre Mutter, kaum dass Aileen den Anruf angenommen hatte.

„Auf dem Weg“, brummte sie nur.

Ihre Mutter schrie einfach weiter: „Wie konntest du dich nur einfach wieder mitten in der Nacht davon schleichen? Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du dich nicht mit diesen Leuten treffen sollst?“

„Das sind meine Freunde, Mutter“, murmelte sie noch, wollte gerade auflegen, da geschah es.

Was auch immer genau es war.

Erst war da dieser Knall. Ohrenbetäubend. Ihr Handy flog ihr aus der Hand, die Luft um sie herum schien zu explodieren.

Dann fegte sie irgendetwas von den Füßen. Alles um sie herum schien zu platzen, zu brechen, überall Lärm.

Die Luft vibrierte. Auch in ihr fühlte es sich an, als würde alles zerreißen. Ein unbändiger Schmerz durchzog ihren ganzen Körper, bis ihre Augen sich schlossen und da nichts mehr war.

Gar nichts.

 

„Das erste Zeichen“

Pulsierend, ein Bündel von allem,

von allem und nichts.

Zerreißend, ein Strahl dazwischen,

nicht oben, nicht unten.

Weißend, ein erstes Zeichen,

ein neues Gesicht.

 

Sie blinzelte, versuchte etwas zu erkennen, doch sah nichts. Nur Staub. Hustend, versuchte sie sich aufzurichten. Alles tat ihr weh, doch der Schmerz verging plötzlich, sodass sie es schließlich schaffte aufzustehen. Angestrengt sah sie sich um. Es war hell geworden, zu hell. Ihre Augen brannten. Erneut blinzelte sie, bis sich das Brennen etwas legte.

Wo bin ich?, fragte sie sich. Was ist passiert?

Überall waren Trümmer. Es roch seltsam. Verbrannt irgendwie.

Ist hier eine Bombe eingeschlagen?, dachte sie, während sie vorsichtig an sich hinabsah. Sie selbst schien aber wie durch ein Wunder unversehrt. Kein Kratzer zu sehen, selbst ihr langes, schwarzes Kleid schien sauber, der Staub der Umgebung perlte einfach an ihr ab.

Die aufgeheizte Luft vor ihr schlug seltsame Wellen, wippte an ihrem Körper entlang - auf und ab. Trotz der Hitze bekam sie dabei eine Gänsehaut.

Mein Handy, dachte sie, wollte Hilfe rufen. Sie tastete ihre Taschen ab. Stimmt, ich habe es fallen lassen. Sie suchte den Boden ab, doch ihr Handy war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich ist es auch zerstört worden, dachte sie, stieg über einige der Trümmer und schrie: „Hallo? Ist da irgendwer?“

Natürlich kam keine Antwort.

Langsam ging sie ein paar Schritte. Sie kämpfte sich hustend durch den Staub, immer weiter, bis da keine Trümmer mehr waren und als sie dann genauer den Boden betrachtete, war da auch keine Straße. Nur trockene, rissige Erde. Die Sonne schien gnadenlos.

Sie hatte solchen Durst, fuhr sich immer wieder über ihre trockenen Lippen. Langsam lichtete sich der Staub. Verzweifelt sah sie sich um, rief hin und wieder, doch niemand war zu sehen. Stattdessen stieß sie auf einen seltsamen Haufen aus Asche. In der Asche meinte sie einen Knochen auszumachen. Sie schrie in die Stille hinein und hastete weiter.

 

Sie wusste nicht, wie lange sie schon unterwegs war, doch jeder Schritt wurde schwerer. Seltsamerweise war es nie richtig dunkel geworden. Selbst als der Himmel dunkel wie die Nacht schien, erleuchtete der Weg vor ihr als würde sie Licht ausstrahlen. Ihr Magen rebellierte, ihre Lippen sprangen vor Trockenheit und sie keuchte nur noch. Weit würde sie nicht mehr kommen. Sie sah nur noch verdorrte, bleiche Bäume, bis sie schließlich sogar auf einen seltsam verformten, weißen Kaktus traf.

Mehr stolpernd als gehend, wollte sie sich schon niederlassen und zum Sterben hinlegen, einfach aufgeben, da stieß sie schließlich auf weitere Trümmer einer wohl ehemals kleinen Siedlung.

Vielleicht ist dort ja noch jemand. Irgendjemand. Irgendetwas, dachte sie, schleppte sich mit letzter Kraft weiter, bis sie die Trümmer erreichte und schließlich auf etwas traf, das wenigstens entfernt noch an ein Haus erinnerte.

Vorsichtig wankte sie in die Ruine, immer prüfend Richtung Wände schauend, ob sich auch ja nicht weitere Steine lösten, dann fand sie tatsächlich eine Tür.

Stöhnend griff sie nach dem hölzernen, morschen Türgriff, zog und schleppte sich hindurch.

Dann fiel sie, fiel über verformte Steine, die vermutlich einmal Treppenstufen gewesen waren.

 

Unten am kalten Boden des Raumes, spürte sie jeden einzelnen ihrer Knochen schmerzen. Sie versuchte sich irgendwie aufzurichten, irgendwie ihre Augen offen zu halten. Mit Mühe gelang es ihr.

Der Raum war nicht besonders groß, die Wände schienen sehr, sehr dick zu sein und es war angenehm kühl. Es roch allerdings etwas modrig.

Sie erkannte staubige Regale. Volle Regale. Dosen, über Dosen standen dort. An einer der Wände waren Kisten gestapelt. Volle Kisten. Wasser!, dachte sie.

So schnell sie konnte, kroch sie auf diese Kisten zu und konnte ihr Glück kaum fassen. In den Kisten waren tatsächlich volle Wasserflaschen. Gierig griff sie einer Flasche heraus und trank diese beinahe in einem Zug aus.

Dann meinte sie ein Geräusch zu hören. Bup. Bup. Sind das Schritte? Ist da jemand?

Sie sah sich um, sah niemanden, schlussfolgerte, dass es von oben kommen musste. Irgendetwas tief in ihr zog sie förmlich die Treppen hoch, all der Schmerz, alle Erschöpfung war wie vergessen. Sie ließ sich von dem seltsamen Gefühl treiben, bis nach oben, bis vor die Ruine und ja, da stand tatsächlich jemand.

Ein Mädchen oder eine junge Frau. Sie stand einfach dort, mit dem Rücken zu ihr und starrte auf irgendetwas.

„Ha … Hallo?“, stammelte Aileen. Augenblicklich drehte das Mädchen sich um. Sie war recht hübsch, braungebrannt und etwa in ihrem Alter.

„Hi. Schön endlich eine Spur Leben zu sehen. Obwohl … eigentlich siehst du mehr nach Tod aus. Wie alles hier. Vertrocknet und bleich.“

„Na herzlichen Dank auch“, murmelte Aileen und trat näher an das seltsame Mädchen heran.

„Die Vorräte hast du gefunden, nehme ich an?“

Aileen nickte. „Weißt du was passiert ist? Weißt du wo alle sind?“, fragte sie.

„Was passiert ist? Mh. Nö. Keine Ahnung. Ich weiß nicht mal, wo wir hier sind, aber so wie es hier überall aussieht, ist Asche zu Asche gekehrt. Das Leben wurde aus allem gezogen und nur der Tod ist geblieben.“

Das seltsame Mädchen deutete unweit von sich, wo urplötzlich eine schwarze, in der Luft schwebende Feder auftauchte. Wie aus dem Nichts.

„Siehst du? Das Ding verfolgt mich schon den ganzen Tag. Taucht auf und verschwindet wie es ihm beliebt. Bestimmt ein Gruß des Todes.“

Fassungslos starrte Aileen auf die hüpfende, tanzende Feder, die das seltsame Mädchen umrundete.

„Was … ist das? Was soll das alles hier? Ich verstehe gar nichts mehr.“

„Das ist wohl eine Feder. Keine Ahnung warum die so an mir hängt.“

„Mh. Das Ding gefällt mir nicht. Es fühlt sich … böse an“, sagte Aileen, näherte sich vorsichtig der Feder, die nach wie vor nicht von dem seltsamen Mädchen lassen konnte.

Aileen meinte zu hören, wie die Feder ein hohes Pfeifen von sich gab. Da war wieder diese seltsame Kraft in ihr, die sie schon im Keller gespürt hatte. Dieser seltsame Drang, der sie zog, als wäre sie eine Marionette. Es zog sie genau zu der Feder hin.

Sie spürte alles. Spürte genau den Blick des seltsamen Mädchens auf sich, spürte den Drang nach der Feder zu greifen, spürte die Luft vibrieren, immer stärker. Wie getrieben streckte sie ihren Arm aus und griff nach der Feder.

Puff.

Rauch stieg aus ihrer Hand auf. Da war keine Feder mehr. Nur eine seltsame schwarze Wolke, die eins mit der Luft wurde.

„Mh. Interessant“, wisperte das seltsame Mädchen.

Aileen starrte einige Zeit fassungslos auf ihre Hände, die merkwürdig kribbelten und sich irgendwie taub anfühlten.

„Hast du das auch gesehen? Ist das gerade wirklich geschehen?“

„So wirklich wie alles hier. Also wer weiß das schon? Ich bin übrigens Sefora.“

„Aileen.“

Sie starrten sich einige Zeit einfach nur an, dann fühlte Aileen sich plötzlich wieder schwächer. Erschöpft. Sie taumelte. Sefora griff nach ihrer Hand.

„Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen? Wie wäre es mit ein bisschen Dosenfutter aus dem Keller?“

„Mh“, murmelte Aileen.

 

Sie teilten sich gemeinsam den Inhalt einer der Dosen, die sie nur mit einiger Mühe aufbekommen hatten. Die undefinierbare Pampe daraus schmeckte sehr fade, aber füllte wenigstens etwas ihren so leeren Magen.

„Und nun? Was sollen wir nun tun? Das sind zwar jede Menge Vorräte, aber die reichen ja auch nicht für immer?“, fragte Aileen, die immer wieder ihre Hände bewegte. Zum Glück fühlten sie sich nach einer Weile wieder halbwegs normal an.

„Ich will weiterziehen. Weitersuchen. Ich mag keinen Stillstand. Wer weiß, was da draußen noch ist.“

Also verließen sie den Keller wieder, nur um erneut auf jemanden zu treffen.

„Wusste ich doch, das hier jemand ist“, empfing sie ein großer, kräftiger Mann in Polizeiuniform. „Würdet ihr bitte mit mir kommen?“

„Die Überlebenden“

Keine graden Linien, keine Tropfen Nass,

kein grünes Gedeihen, alles trüb und blass.

Keine krummen Kurven, keine Erde weich,

kein feines Gewusel, alles arm, nichts reich.

 

„Wohin denn?“, fragte Aileen, schaute dann unsicher zu Sefora hinüber, die jedoch nur mit der Schulter zuckte.

„Zu den anderen. Alle Überlebenden versammeln sich in einem Haus, das im Gegensatz zu vielen anderen hier noch steht. Dort werden sich all eure Fragen klären“, brummte der Polizist, wirkte ungeduldig.

„Den anderen?“, stieß Aileen hervor. „Das heißt es gibt noch andere außer uns drei? Wie viele denn?“

„Mh. Mit uns drei sind es glaube ich 19 Überlebende. Aber genug jetzt. Kommt endlich mit. Wir haben noch ein gutes Stück vor uns.“
„Vor uns liegt noch alles“, murmelte Sefora. Aileen schaute sie fragend an. Warum redete die immer so eigenartig?, dachte sie, wollte aber nicht weiter nachfragen. Auch der Polizist schien etwas irritiert, lächelte dennoch.

„Bist wohl ein weises, kluges Mädchen“, brummte er. „Ihr solltet noch jeder zumindest ein, zwei Flaschen Wasser aus dem Keller mitnehmen. Ja, auch ich weiß davon. Wir sehen sowieso alles“, dann deutete er in die Luft.

Aileen blickte daraufhin etwas verwirrt in die Richtung, in die der Polizist zeigte. Am strahlend-blauen Himmel näherte sich etwas. Es surrte leise. Es war eine dieser großen, Hightech-Drohnen. Vor dem Knall hatte sie diese Dinger schon öfter gesehen, doch nachdem es immer wieder Ärger mit ihnen gegeben hatte, hatte man immer mehr von ihnen wieder aus dem Verkehr genommen.

„Verstehe“, brummte sie, ging gemeinsam mit dem Polizisten und Sefora zurück in den Keller, um sich etwas Wasser zu holen und ließ sich dann von dem Polizisten führen. Wohin auch immer.

Sie hoffte einfach nur Antworten zu bekommen. Auch Sefora folgte ihr und dem Polizisten mit vorsichtigem Abstand.

 

Alles sah gleich aus auf dem Weg. Trümmer, verdorrte Bäume, trockene Erde. Doch dann änderte sich alles. Die merkwürdigen Vibrationen der Luft wurden stärker und alles roch irgendwie … frischer.

Nicht lange und sie sah warum dem so war: Wasser. Jede Menge Wasser. Das Meer, der Ozean oder was auch immer. Unendliches, tiefes, leuchtendes Blau. Fragend sah Aileen den Polizisten an.

„Wo genau sind wir eigentlich? Vor diesem … Knall war ich weit von der Küste oder auch nur einem See entfernt“.

„Die Frage wird dir schon bald jemand anderes besser beantworten können“, meinte der Polizist nur.
„Alles ändert sich, alles hat sich verändert. Die meisten Antworten, die wir suchen, kennt sowieso nur die Luft“, wisperte Sefora unweit von ihnen.

Keiner erwiderte etwas darauf, sie liefen schweigend weiter. Am Wasser entlang. Dann entfernten sie sich wieder etwas davon und sie kamen an einem kleinen, quadratischen Haus vorbei, das der Knall offenbar nicht zerstört hatte. Wie ein Fels in der Brandung stand es einsam mitten in der kargen Landschaft, auf der sonst nur hier und da ein paar Trümmer zu sehen waren.

„Ist es das?“, fragte Aileen.

„Nein. Aber von hier ist es nicht mehr weit.“
Sie gingen weiter, immer weiter. Vom Wasser war nichts mehr zu sehen. Wieder wurde alles trocken. Durstig griff Aileen nach ihrer Wasserflasche. Ihre Beine taten schon weh vom vielen Laufen, doch der Polizist trieb sie weiter, sie legten keine Pause ein. Knapp über ihnen surrte weiterhin, wie zur Überwachung, die Drohne.

Als sie scheinbar endlich angekommen waren, war es schon wieder etwas dunkler geworden, auch wenn der Weg vor ihnen auf irgendeine Weise stets erleuchtet geblieben war. Das Gebäude, das sich nun vor ihnen auftat, war riesig: massive, dicke Wände, setzten eine hohe, seltsam metallische Türe in Szene. Der Polizist führte sie genau darauf zu.

Kaum an der Türe angekommen, glitt diese geräuschlos zur Seite.

Innen wirkte alles irgendwie steril. In der großen Halle, durch die sie gingen, standen einige Tische und Computer, alle unbesetzt. Offenbar war hier einst eine Art Büro gewesen. Schweigend gingen sie einfach daran vorbei, bis der Polizist vor einer Türe stehen blieb, klopfte und diese öffnete.

 

Aileen spürte sie sofort. Blicke. So viele Blicke. In dem Raum, den sie nun betraten, stand ein großer Tisch mit einigen Stühlen, die alle besetzt waren. Am anderen Ende hing ein großer Monitor, der allerdings ausgeschaltet war. Ihre Augen flogen förmlich über die anderen, als sie sie sah.

„Großmutter!“, schrie Aileen, rannte ihr entgegen.

„Aileen! Schätzchen. Bist du das wirklich? Ich kann … es ja gar nicht glauben. Ach Gottchen, Kind!“, schluchzte ihre Großmutter und drückte sie fest. Die Blicke der anderen waren Aileen in diesem Moment vollkommen egal.

„Gut. Jetzt da alle da sind, bitte ich Sie alle mir einmal zu folgen. Ich versuche ihnen nun zu erklären, was überhaupt passiert ist“, ertönte plötzlich eine monotone, kräftige Stimme.

Aileen löste sich von ihrer Großmutter und blickte den Mann an, der offenbar das Wort ergriffen hatte. Es war ein recht kauziger Kerl. Sie schätzte ihn auf Mitte 50. Sein Hemd steckte komplett in seiner viel zu engen Hose.

„Und warum können Sie uns das nicht hier und jetzt sagen? Wo wollen sie mit uns hin?“, kam es von einem sehr zwielichtig ausschauenden Mann.

„In mein Labor. Dort habe ich bereits unmittelbar nach dem Ereignis begonnen, Daten und Bildmaterial zu sammeln. Ich bin Wissenschaftler, müssen sie wissen. Peters, mein Name.“

„Na schön Mr. Peters. Dann zeigen sie uns mal, was Sache ist“, zischte der zwielichtige Mann. Die anderen schienen, wie auch Aileen selbst, etwas überfordert von dem Ganzen.

Zögernd und murmelnd folgten daher alle brav dem kauzigen Kerl, diesem Mr. Peters.

Es ging einen schmalen Flur entlang, zu einer weiteren, metallischen Tür, wie die am Eingang. Mr. Peters öffnete diese und tönte, kaum den Raum betreten, voller Inbrunst und Stolz: „Willkommen in meinem Labor.“

Aileen erfasste schnell die gigantischen Ausmaße. Große Bildschirme zierten die eine Wand. An einer anderen standen drei dieser riesigen Drohnen. Zudem befanden sich zahlreiche Gerätschaften im Raum, die sie einerseits irgendwie an eine Arztpraxis erinnerten, anderseits auch total nach einem Labor eines verrückten Wissenschaftlers aussahen.

„Mh. Sind Sie etwa für das alles verantwortlich? Ist es das? Haben Sie irgendeinen Mist hier gebaut und … die Welt da draußen einfach zerstört?“, hörte Aileen den zwielichtigen Mann brüllen, kaum da sie sich alle im Labor befanden. Einige hockten sich dort auf etwas unbequem aussehende, etwas klapprig wirkende Stühle, andere – wie auch Aileen – bevorzugten es zu stehen.

„Ganz ruhig, Asur. Lass den Mann doch erst einmal zu Wort kommen“, murmelte eine Frau, die eine lange Kette mit Kreuz trug und neben dem zwielichtigen Mann stand.

Allgemeines Gemurmel setzte ein. Aileen hielt sich an ihre Großmutter, auch Sefora gesellte sich zu ihr.

Schon ergriff dieser Mr. Peters wieder das Wort, der auf einer Computertastatur herumdrückte.

„Ich bitte Sie Ihre volle Aufmerksamkeit nun auf die Monitore zu richten. Wären ein paar meiner Drohnen während des Knalls nicht hier im Labor gewesen, könnte ich euch gar nichts zeigen, aber so, kann ich euch nun mein gesammeltes Bildmaterial der letzten zwei Tage zeigen. Das ist die Welt, wie sie nun ist und wohl für immer sein wird.“

Er stand auf, machte eine ausschweifende Geste mit seinem Arm und hatte augenblicklich alle Aufmerksamkeit auf sich und die Monitore gezogen. Es war nun mucksmäuschenstill. Auch Aileen starrte fassungslos auf die Bilder, die dieser Wissenschaftler ihnen zeigte, lauschte dabei den Erklärungen.

„Wo einst Eis war, ist nun Wasser. Das Land ist vertrocknet oder versunken. Meine Drohnen haben eine doch recht beeindruckende Reichweite, würde ich sagen, daher gehe ich davon aus, dass das alles ist, was noch geblieben ist. Verwüstete, vertrocknete Landstriche und Wasser. Und wir alle hier in diesem Raum sind wohl die einzigen, die es geschafft haben. Alle anderen scheinen … pulverisiert worden zu sein. Einfach ausgelöscht.“

Luft wurde eingezogen. Einige begannen zu schluchzen. Auch Aileen kämpfte mit den Tränen und drückte Großmutters Hand. Wie sie die ganze Zeit befürchtet hatte, waren sie alle wohl einfach … tot. Vater, Mutter. Alle. Da waren nur noch Großmutter und sie. Naja und die anderen hier im Raum. Nicht einmal zwanzig Leute.

„Das ist jetzt nicht ihr Ernst, oder?“, kam es von irgendwo.

„Ich mache hier keine Scherze. Nicht mit so etwas.“

„Aber was ist passiert? Warum? Warum?“, kam es schluchzend von einer jungen Asiatin.

„Dazu komme ich jetzt“, fuhr Mr. Peters fort. „Wir haben vor kurzem ein neues Element entdeckt. Äußerst instabil, äußerst gefährlich. So gefährlich, dass keine Presse, keine Regierung davon erfahren hatte. Naja, der ein oder andere Geheimdienst wird wohl davon erfahren haben, aber zum Glück hielten alle dicht. Dachte ich zumindest. Im Gegensatz zu meinen Konkurrenten habe ich von Anfang an zur Vorsicht gemahnt, habe versucht, alles was dieses Element beinhaltet zu zerstören, aber meine geldgierigen Kollegen haben das große Geschäft gewittert. Und damit experimentiert. Nur so kann es zu dieser Katastrophe gekommen sein. Dieses Element sondert Strahlen aus. Es ist stark magnetisch und leitfähig. Explosiv, giftig. Es ist gefährlicher als jede biologische Waffe es wäre, gefährlicher als jede Atombombe, als alles was sie sich überhaupt vorstellen können. Es ist einfach abartig. Und nun hat es alles zerstört.“

„Und das sollen wir Ihnen glauben?“, kam es von einem recht streng wirkenden Mann.

„Das war doch das Werk des Teufels!“, stieß die Frau mit der Kreuzkette aus.

Aileen nahm die einsetzende Empörung nur am Rande wahr, blieb stumm. Sie starrte nur immer wieder fassungslos auf die Monitore und auf den kauzigen Mann, diesen Mr. Peters. Schließlich löste sie ihren Blick wieder. Sie schaute in die Menge der Überlebenden, in ihre wütenden, traurigen, entsetzten Gesichter und begriff nur langsam, was das alles bedeuten könnte.

„Aber wenn das Zeug so gefährlich ist, so giftig, warum haben wir dann überlebt?“, fragte die junge Asiatin, die sich offenbar wieder beruhigt hatte und nun irgendwie steif und kalt wie ein Roboter wirkte.

„Das gilt es herauszufinden. Ich fürchte nämlich, keiner von uns ist sicher. Allein schon diese Elektrizität, die ich in der Luft messen konnte ... Das sichert uns zwar bestimmt auf ewig die Stromversorgung, aber die Freisetzung dieses Zeugs, wie sie es nennen, könnte weitreichende Folgen für uns und unseren Organismus haben.“

„Das dachte ich mir fast. Ich würde mich bereit erklären alle zu untersuchen. Ich bin nämlich Ärztin müssen Sie wissen. Sie sind hier ja einigermaßen ausgerüstet für solch einen Fall, als hätten Sie damit gerechnet“, sagte die junge Asiatin, klang etwas vorwurfsvoll.

„Ich bin immer auf den Notfall vorbereitet gewesen, auch wenn ich hier leider nur an altes medizinisches Equipment herangekommen bin. Die wollten mir eben nicht noch mehr Gelder genehmigen, das meiste ist in meine Forschung und die Spezialgeräte geflossen. Dabei habe ich sie noch gewarnt, habe doch genau mitbekommen, was die Konkurrenz plant, aber verhindern konnte ich es auch nicht.“

„Das hätten Sie sehr wohl verhindern können. Sie hätten sich doch an die Presse wenden und denen ihre Sorgen und Bedenken schildern können“, kam es von dem zwielichtigen Mann. „Genau“, bestätigte ein anderer, älterer Mann.

„Sie hätten mich gefunden. Sie hätten mich getötet, da bin ich mir sicher. Es … ging einfach nicht. Ich bin nicht stolz darauf, aber ich … war nun mal etwas feige. Und ja, es ist wohl alles auch meine Schuld, das weiß ich, glauben Sie mir. Das werde ich mir auch niemals verzeihen. Und ich habe meinen Kollegen doch mit der Veröffentlichung gedroht, aber … nun darauf haben sie wohl letztendlich auch reagiert … Wie auch immer. Das spielt jetzt alles keine Rolle mehr. Es geht jetzt nur noch um uns. Um das hier und jetzt. Ich will verhindern, dass wir alle hier auch noch sterben. Deshalb freut es mich, dass wir offensichtlich eine Ärztin unter uns haben. All meine Gerätschaften stehen Ihnen selbstverständlich zur Verfügung. Ich helfe Ihnen natürlich so gut ich kann.“

Dieser Mr. Peters machte sich für einen Moment ganz klein, als wollte er sich verstecken, als hätte er Angst. Aileen verfolgte ihn mit ihrem Blick und beobachtete, wie er zu dem Polizisten schlich. Er flüsterte diesem was ins Ohr.

Daraufhin durchschritt der Polizist den Raum und zog zum Entsetzen aller eine Waffe.

„Was auch immer Mr. Peters oder die Ärztin für notwendig halten. Ihr unterzieht euch alle brav ihren Untersuchungen, sonst gibt es Ärger, klar?“

„Ist das euer Ernst? Ihr seid doch alle wahnsinnig!“, stieß der zwielichtige Mann aus.

Und auch Aileen starrte entgeistert auf den Polizisten und seine Waffe. Sind jetzt alle verrückt geworden?, dachte sie. Was zum Teufel ist hier nur los? Was ist nur aus dieser Welt geworden?

„Dreiteilung“

Nicht positiv, nicht negativ,

nicht neutral,

zerrissen, nicht entzweit,

dreigeteilt,

wie alles Gute, wie alles Leid,

nie mehr vereint.

 

Mr. Peters demonstrierte ihnen als erstes, was es mit den Tests, die nun auf sie alle zukommen würden, auf sich hatte. Die junge Ärztin wirkte dabei etwas überfordert, zumindest bei all dem, was über die normalen, medizinischen Untersuchungen hinauszugehen schien. Sie meinte auch entschuldigend, dass sie sich mit den teils veralteten Geräten nicht so auskenne. Einige Tests kannte Aileen dennoch von ihrem Hausarzt, doch die meisten waren ihr mehr als fremd.

Die Werte von Mr. Peters waren offensichtlich alle gut. „Scheint alles vollkommen normal zu sein“, hatte die Ärztin gesagt. Auch bei den merkwürdigen Tests schien dieser Mr. Peters unauffällig zu sein.

Hoffnung keimte in allen auf, auch weil die Ärztin danach Mr. Peters anwies, sie selbst zu untersuchen und auch bei ihr alles gut war.

„Offensichtlich haben wir Glück gehabt. Nicht nur dass wir überlebt haben, sondern dass das Ganze zumindest körperlich keine Auswirkung auf uns hatte“, sagte die Ärztin, etwas außer Atem nach ihren Tests.

„Wir sollten den Tag nicht vor den Abend loben“, meinte Mr. Peters.

„So. Der nächste bitte. Na los! Freiwillige vor!“, kam es vom Polizisten, der nun wieder mit seiner Waffe durch die Gegend fuchtelte. Es meldete sich zunächst keiner.

„So schlimm ist es nicht. Es ist nicht schmerzhaft, nur vielleicht ein bisschen anstrengend oder unangenehm“, munterte die Ärztin die erstarrte Menge auf.

„Los jetzt!“, schrie der Polizist, dann kam er genau auf Aileen zu und zog sie am Arm.

„Hey!“, rief sie, schaute hilfesuchend in die Gesichter der anderen Überlebenden, suchte nach ihrer Großmutter, die sich jedoch fast schon hinter Sefora versteckte.

Dann hielt der Polizist einfach seine Waffe an ihren Kopf. Aileen spürte genau das kalte, tödliche Metall. Sie hörte, wie Sefora entsetzt die Luft ausstieß.

„Na schön. Ich komm ja schon“, brummte Aileen und schritt auf wackligen Beinen zu der Ärztin.

„Keine Angst. Die Tests sind im Grunde gar nicht so viel anders als bei einem anderen Arzt“, sagte die Ärztin. In ihrem monotonen, ungeduldigen Ton, wirkte das auf Aileen aber kein bisschen beruhigend. „Ich bin übrigens Zan Sasaki. Freut mich dich kennenzulernen.“, versuchte sie erneut etwas Lockerheit hineinzubringen.

Aileen war das Ganze schon peinlich, wenn sie nur daran dachte, was sie so vor allen anderen Überlebenden erwartete. Sie hatte ja bei der Ärztin und Mr. Peters gesehen, was auf sie zukommen würde.

Erst notierte die Ärztin ihren Namen und fragte nach Größe und Gewicht.

Nur in Unterwäsche musste sie sich zunächst unweit einer der Maschinen auf eine eher improvisierte Liege legen. Sie war hart, kalt, metallisch und einfach unangenehm. Aileen versuchte nicht zu den anderen hinüberzusehen, starrte nur in das Gesicht der Ärztin, die sie zunächst mit einem alten Stethoskop abhörte und sie dabei immer wieder anwies, tief Luft zu holen. Sie tat dies irgendwie länger, als Aileen es von ihrem früheren Arzt normalerweise kannte, aber das machten die Ärzte in diesen Zeiten sowieso nicht mehr so oft und verließen sich lieber auf ihre modernen Gerätschaften. Vielleicht kam es ihr auch deshalb so lang vor. Doch dann sah sie genau, wie die Ärztin einen offensichtlich besorgten Blick mit Mr. Peters auszutauschen schien.

„Hast du irgendwelche Vorerkrankungen?“, fragte die Ärztin.

„Nein. Wieso? Stimmt was nicht?“
„Mh. Sind in deiner Familie irgendwelche Erkrankungen bekannt?“

„Nein. Wieso? Was ist denn los?“

„Nun. Ich will dich ja nicht beunruhigen, aber ich habe etwas Auffälliges gehört. Sowohl was dein Herz, als auch deine Lunge anbelangt. Hast du irgendwelche Beschwerden?“

„Naja... nach diesem Knall habe ich mich etwas schwach gefühlt ...“, murmelte Aileen besorgt.

Die Ärztin nickte nur und fuhr dann mit dem weiteren Prozedere fort. Jetzt kamen einige der älteren Maschinen zum Einsatz, sie wurde verkabelt, musste auf einem Laufband laufen. Auch hier schien etwas ganz und gar nicht in Ordnung zu sein. Das konnte Aileen nun selbst sehen. Ihr Puls war viel zu hoch, ebenso ihr Blutdruck, zumindest ihrem Halbwissen her nach. Die Ärztin bestätigte das aber auch. Sie keuchte, ihr war schwindelig und sie musste sich hinsetzen. Die Ärztin reichte ihr besorgt etwas zu trinken.

Abschließend kamen dann die seltsameren Tests, die nun Mr. Peters durchführte. Hierfür musste sie sich wieder auf die unbequeme Liege legen. Mr. Peters fuhr mit einem seltsamen Ding einmal über ihren kompletten Körper. Sie zitterte dabei. Alles kribbelte, als stände sie unter Spannung. Dann hielt Mr. Peters auch noch ein Kabel an ihre Hand und plötzlich funkte es. Aileen schrie auf. Auch von den anderen Überlebenden kam hier und da ein Schrei. Gemurmel setzte ein.

„Was ist nur mit dir, mein Engel?“, hörte Aileen ihre Großmutter entfernt, konzentrierte sich jedoch ganz auf die seltsamen Maschinen um sie herum. Eine der Maschinen zeigte plötzlich irgendetwas an, was Aileen nicht deuten konnte.

„Was zum Teufel ...“, stieß sie aus.

„Mh. Ungewöhnlich. Aber offensichtlich hat das freigesetzte Element auf dich Auswirkungen gehabt. Dein Körper ist, wie soll ich es ausdrücken … irgendwie geladen. Er hat ausschließlich negative Teilchen des Elements aufgenommen“, brummte Mr. Peters. „Und auch sonst scheint dein ganzer Organismus verändert“, warf die Ärztin ein. Aileen blickte zu ihr hinüber.

„Aber … wie ist das möglich? Was bedeutet das jetzt für mich?“
„Das kann ich dir auch nicht so genau sagen, dafür muss ich weitere Untersuchungen mit der anstellen. Das wird einige Zeit dauern. Auch Dr. Sasaki wird dich sicher näher im Auge behalten müssen. Aber ich möchte zunächst die übrigen Überlebenden untersuchen, bevor wir entscheiden, was getan werden kann und sollte“, antwortete Mr. Peters anstelle der Ärztin.
Aileen atmete einmal tief aus, stand auf, zog sich hastig an und ging mit gesenktem Blick durch die murmelnde Menge, steuerte dann auf ihre Großmutter zu. Diese schien den Tränen nahe zu sein.

„Es wird schon alles irgendwie gut werden“, murmelte Aileen, glaubte aber selbst nicht so recht daran.

 

Was folgte war wie ein zweiter Knall. Erneut änderte sich alles, änderte sich die ganze Welt, in der sie nun leben musste. Dafür sorgten Mr. Peters und sein Handlanger, der verrückte Polizist. Wie sich heraus stellte, waren nicht nur ihre Testergebnisse auffällig. Nach den Tests mussten sie sich in Gruppen aufstellen, immer unter den argwöhnischen Blicken dieses gestörten Polizisten - der mit seiner Waffe weiterhin dafür sorgen wollte, dass alle brav auf Mr. Peters hörten. Aileen wusste nicht, ob sie sich darüber freuen konnte oder nicht, aber ihre Großmutter und auch Sefora hatten ähnliche Testergebnisse wie sie gehabt. So blieben sie zumindest bei ihr.

Alle Überlebenden wurden letztendlich in drei Gruppen geteilt. Mr. Peters, die Ärztin, der Polizist und vier weitere bildeten die größte der drei Gruppen. „Die Neutralen“, nannte Mr. Peters sie. Ihre Testergebnisse waren allesamt ganz normal.

Die kleinste Gruppe, bestehend aus fünf der Überlebenden, auch aus der jüngsten, einem etwa neunjährigen Mädchen, das offensichtlich vollkommen unbesorgt schien, wurde „die Positiven“ getauft. In dieser

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 05.07.2019
ISBN: 978-3-7487-0924-4

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