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Vorwort des Autors:

Im Buch wird an der ein oder anderen Stelle von „Farbmenschen“, „Farbigen“; genauso wie „Farblosen“ oder ähnlichen berichtet.

Dies bezieht sich nicht auf Rasse oder Hautfarbe und soll bitte in keinerlei rassistischen Zusammenhang gesetzt werden. Dies gilt insbesondere, wenn vom „schwarzen Mann“ vom „Schwarzen“ oder „schwarzen Farbmenschen“ die Rede ist. Ebenso bitte ich alle Geschehnisse und Aussagen im Verlaufe des Buches in keinerlei solchem Zusammenhang zu sehen.

 

Alle Orte, Personen und Ereignisse sind rein fiktiv.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog - Ausreißen

Es begann mit einer einfachen naiven Idee, die vermutlich jedem schon einmal in den Sinn gekommen ist. Einfach abhauen von zu Hause. Weg von den nervtötenden Eltern, von den Streitereien, von all dem Stress. Dass dies auf Dauer keine Lösung ist, wird meistens jedem dann irgendwann klar. Für manche ist dies jedoch der einzige Ausweg in dieser Zeit, zumindest der einzige, der einem in den Sinn kommt. Wenn es zu Hause eben um mehr geht, als nur um Streit und nervige Eltern. Gewalt oder ähnliches zum Beispiel. Weglaufen, sich stellen oder gar dem endgültigen Ausweg entgegen gehen, dem Tod - eine Option erscheint schlechter als die andere.

Ich wusste es damals nicht, aber als ich im Teenageralter schließlich mein sprichwörtliches Köfferchen packte, sollte sich mir etwas offenbaren, von dessen Existenz ich nichts gewusst, höchstens geahnt hatte. Andere Menschen, so voller Farbe nicht etwa schwarz und weiß wie die Welt - so langweilig und öde, so alltäglich. Nein, so intensiv, so spannend und einzigartig, wenn man sich auf sie einließ, auf diese „bunte Menschen“, diese „Farbmenschen“. So anders, wie ich mich auch immer gefühlt hatte, auch wenn ich zunächst trotzdem kein wirklicher von Ihnen zu sein schien. Alles schien wie vorherbestimmt. Wir sind doch alle nur des Schicksals Spielfiguren. Daher kam mir alles vor wie im Märchen. Nur endet da immer alles gut. Das Gefühl hatte ich nie so wirklich.

 

So begab es sich also zu der Zeit, als ich noch ein Teenager war. Die Schule war ätzend, meine Klasse ebenso. Keiner der irgendwie mit mir harmonierte, mich verstand, mit mir wirklich redete und nicht nur so tat, als würde es ihn interessieren, was ich zu sagen hatte. Zu Hause war es nicht besser. Ständig stritt ich mich. Etwa mit meinen Eltern. Um Bagatellen. Meine Noten zum Beispiel waren zu schlecht, angeblich. Wieso? Ausreichend, reicht doch aus und befriedigend, ist doch befriedigend, oder?

Aber eben nicht gut oder sehr gut und das haben sie zu sein, laut meinen Eltern.

Oder etwa meine tollen Geschwister, mit denen man sich als Kind um Spielzeug gestritten hatte, dann sich einfach so gegenseitig ärgerte, beleidigte, miteinander kämpfte und später dann gab es Streitpunkte wie Fernseher, Computer - das Übliche eben. Normal für eine Familie, heißt es.

Nun, aber daher kann es eben auch vorkommen, dass man eines Tages so beleidigt, so genervt ist, dass man nur noch weg will. Mir hatten sie es nicht zugetraut. Meine Geschwister sind das ein oder andere Mal schon abgehauen, spätestens nach einer Stunde kamen sie wieder angekrochen. Trotz gepacktem Koffer. Naja, nur packte ich mir meinen Koffer, oder eher einen großen Rucksack, weil das eben praktischer war, als ich schon 17 war, erneut. Dieses Mal hatte ich es ernst gemeint. Zu weit waren sie gegangen. Hatten mit irgendwem über meine privaten Probleme geplaudert. Hinter meinem Rücken. Ein Vertrauensbruch, der mir durchaus schon von ihnen bekannt gewesen war, doch dieses Mal war es ein Mal zu viel gewesen.

Ich sagte ihnen ich hätte morgen später Schule. Alle waren schon aus dem Haus, als ich aufstand. Es war einfach gewesen. Einfacher, als ich gedacht hatte.

So begann also meine Reise.

Reise reiß aus. Einen wirklichen Plan hatte ich nicht. Meine Geldkarte des Giro-Kontos hatte ich dabei, ebenso das gesparte Geld, was noch in meinem Geldbeutel verweilte. Ein paar wenige Klamotten, etwas zu Essen und Trinken. Das war's. Klar würde das nicht lange genügen, aber ich machte mir in dem Moment keine Gedanken darüber. Mir war einfach alles egal.

Mein Vater sollte sich die Sorgen weg-trinken, meine Mutter weg-heulen und der ganzen Nachbarschaft ihr Leid bekunden. Egal. Nur weg.

 

 

 

 

Teil 1

Farbe“

      Bringe mir Farbe,

Farbe ins Spiel,

schwarz und weiß,

bringt nicht viel.

 

     Bringe mir Farbe,

Farbe ins Leben,

schwarz und weiß

kann nicht viel geben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1 „Grün“

Mich zog es zunächst in den nahegelegenen Stadt-Wald. So konnte ich so tun, als wäre ich ein Wanderer, ein ungewöhnlich junger vielleicht, aber was soll's. Unser Ort war zwar nicht groß, aber groß genug, dass es auch einige merkwürdigere Gestalten gab. Wie dieses Mädchen, von dem mir meine Eltern mal erzählt hatten. Es ging lieber in eben jenen Wald oder den Park, als shoppen oder ähnliches. Vor allem zog es sich immer zu grün an. Ja, richtig: grün! Grüne Hose, grünes Shirt, grüne Jacke. Im Park oder Wald, war sie so schon kaum zu sehen, vielleicht beabsichtigte sie genau das: nicht gesehen zu werden. Das sollte ich jetzt besser auch versuchen, sonst falle ich noch auf.

 

Sie sah ihn schon, als er auch nur in die Nähe ihres schönen Waldes kam. Ja, ihr Wald. Das sollte er zumindest sein. Die anderen wissen ihn nie zu schätzen. Dieser Junge da war aber irgendwie anders. Auch wenn er sich optisch kein bisschen von den Anderen, den Farblosen unterschied. Sah doch alles gleich aus. Die Anderen haben das Grün noch nie zu schätzen gewusst, selten erhaschte sie mal den ein oder anderen grünen Klecks im leuchtenden Frühlingskleid. Ignoranten, allesamt.

Ihr Wald war so anders. Es gab doch nichts Schöneres, als den Duft nach blühenden Blumen, nach wachsenden Gras und gedeihenden Bäumen, die ihre Wipfel im seichten Wind hin und her wiegten.

Ebenso schön war ihr Park, den sie schon auf hundert Meter roch. Das Stück halbwegs unberührte Natur, noch nicht verletzt vom Schmutz des Asphalts.

Sie fiel auf und genau das machte einsam. Auffallen. Nicht in die Masse passen. Aber das war ihr egal. Sie brauchte keine Freunde, sie hatte ja die Natur. Das Grün gab ihr all die Energie, die im trostlosen Alltag dieser farblosen Welt fehlte. Freudig reckte sie die Arme in die Luft, hüpfte umher, die Blicke ignorierend. Auch wenn sie sie genau spürte. So spürte sie eben auch diesen Jungen. Sie hatte ihn noch nie in ihrem Wald oder Park gesehen. Eigentlich typisch für diese Stadtmenschen, aber irgendwie fühlte er sich anders an. Seine Blicke waren ängstlich und unentschlossen. Morgens war in ihrem Wald normalerweise nicht viel los. Vor allem jüngere Leute sah man selten. Sollten doch in die Schule. Er bestimmt auch. Sie war auf eine Walddorfschule gegangen und dann der Schulpflicht entflohen. Ihre Eltern waren bei einem Unfall ums Leben gekommen und ihre Pflegefamilie konnte sie nicht kontrollieren, so sehr sie es auch versuchten. Niemand konnte sie aufhalten. Genau diesen Blick hatte der Junge auch. Den Blick der Flucht, den nicht aufzuhaltenden Blick. Sie wusste es einfach schon, als sie ihn sah: er war ausgerissen, abgehauen oder schwänzte zumindest die Schule. Jedenfalls wusste bestimmt niemand sonst, das er sich hier aufhielt, es sei denn man begegnete ihm hier. Hoffnung für die Hoffnungslosen, dachte sie sich und hüpfte ihm entgegen.

 

Mann, hatte sie mir vielleicht einen Schrecken eingejagt! Wie erstarrt war ich, als sie auf einmal aus dem Dickicht hervorsprang und mich angrinste. Sie ahnte bestimmt etwas, da war ich mir sicher. Aber sie lächelte nur, begrüßte mich und bat mich ihr doch zu folgen. Ich ließ mich darauf ein. Irgendwas an ihr schien mich anzuziehen und warum sollte ich eigentlich auch nicht ihr folgen? War doch egal. Noch war es morgens, noch würde mich keiner vermissen, außer vielleicht die Schule. Egal.

Das grüne Mädchen führte mich durchs dichteste Geäst. Kein Weg in Sicht. Eine gefühlte Ewigkeit zog sie mich schon hinter sich her. Äste zerkratzten meine Kleidung, hohe Brenneseln streiften meine Arme. Alles juckte und brannte. Was tat ich da eigentlich? Die war doch verrückt! Weiß der Geier, wo die mich noch hinbrachte.

Egal.

Hirn ausstellen.

Ich musste ihr einfach folgen.

Sie war so mitreißend, so anziehend und so anders sie auch war, war sie doch auch sehr hübsch. Also warum zum Teufel nicht?

 

Er vertraute ihr. Konnte seinen Blick nicht abwenden. Das konnten sie nie, sie fiel eben aus dem Raster und alles was aus dem Raster fiel, zog die Farblosen, wie sie alle anderen nannte, an.

Stolz wollte sie ihm ihre Hütte zeigen. Ihr neues Zuhause, das sie sich in stundenlanger, mühseliger Arbeit hier errichtet hatte. Was heißt aber schon neues Zuhause? Hier war ihre Heimat, hier war der Ort, an den sie hingehörte. Nicht diese dämliche Behausung ihrer Pflegefamilie mitten in dieser „Kleinstadt“. Von wegen klein. Wenn es nach ihr ging, bereits viel zu groß.

Schon als Kind hatte sie sich sehr für Pflanzen, für die Natur interessiert. Schon als Kind war sie so, wie sie nun einmal war. Jahrelang hatte sie sich fest vorgenommen, hier zu leben, abseits aller Zivilisation.

Sie sah seinen überraschten Blick, seine offenen Augen, die ihre Hütte angafften, als stände dort ein Ufo und musste lachen.

„Hast du mir wohl nicht zugetraut, oder?“

„Soll das heißen, du hast das alles gebaut? Ganz alleine?“

„Was denkst du denn? Dass ein Jäger hier eine Hütte mit zwei Stockwerken benötigt?“

 

Ich traute meinen Augen nicht. Es war sowohl gigantisch, als auch bizarr, was dort für ein Gebilde mitten im Wald stand. Zweige und Äste verdeckten die Sicht, auf eine riesige Holzhütte. Eine Hütte, auf der noch eine weitere zu stehen schien. Marke Eigenbau, das sah man, dennoch war ich schwer beeindruckt. Die Konstruktion schien solide und natürlich waren die holzigen Wände in einem Grün-Ton gestrichen.

„Wie hast du das hinbekommen und vor allem, wie kann es sein, dass das noch niemandem aufgefallen ist?“

Sie lachte erneut. Immerzu lachen und lächeln. Gab es jemanden der noch fröhlicher war? Woher nahm sie nur diese Freude?

„Die Natur gab mir die Kraft dazu und natürlich hat die Hütte noch niemand entdeckt. Wir sind hier mitten im Wald und zwar wirklich in der Mitte. Weit ab von allen Wegen. Denkst du ich führe dich umsonst fast eine halbe Stunde durch dieses Geäst? Denkst du jemand anderes hat sonst Lust diesen Weg zu gehen? Was mich zu der Frage bringt, warum bist du eigentlich hier? Warum bist du mitgekommen?“

Eine gute Frage. Ich bevorzugte zu schweigen.

 

Sie wusste die Antwort natürlich. Sein Schweigen kümmerte sie nicht, er würde schon noch damit herausrücken. Ganz einfach, weil sie es wollte. Sie bekam immer was sie wollte, denn sie wollte nur eins: die Natur und die Kraft der Natur in sich spüren. Noch einmal zog sie den Duft ein. Dann öffnete sie die Türe ihrer Behausung.

„Willkommen in meinem Zuhause, Farbloser.“

 

Von innen war das ganze noch beeindruckender. Das Mädchen schien wirklich von einer anderen Welt zu kommen. Mit ihrer zierlichen Figur und ihren langen, schwarzen Haaren, aus denen grüne Strähnen hervorblitzten – noch dazu immer so fröhlich herum hüpfend – wirkte sie wie eine Art Waldelfe oder Ähnliches. „Farbloser“ hatte sie ihn genannt. Was sollte das? Vor allem: dieses ganze Haus - das alles war doch nicht normal! Sah man mal von den holzigen Wänden ab, aus denen einzelne Äste und Zweige hervorlugten und dem Geruch sah es auf den ersten Blick aus, wie ein gewöhnliches Wohnzimmer, was ihn nach Öffnen der Holztüre erwartet hatte. Eine alte, ausgemusterte Couch, ein Holztisch, ein paar dazu passende Stühle und ein paar Holzregale und Schränke. Zum Teil waren diese prall gefüllt. Auf dem Tisch stand eine große Schale mit Früchten: wilde Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren und was der Wald sonst noch so hergab.

Meinen schweren Rucksack stellte ich in eine Ecke, fast nicht schnell genug, denn erneut griff sie nach meiner Hand, zog mich eine doch sehr improvisierte Holzleiter hinauf.

In der Hütte über der Hütte stand lediglich ein Bett, wobei auch diese Tatsache schon als beachtlich gelten könnte, zumal das Bett wirklich riesig war.

„Wo hast du die ganzen Möbel her? Und wie hast du die hierher bekommen?“

„Das weiß nur Mutter Natur“, sagte sie und kicherte.

 

Seine Fragen waren das einzige, was er zu sagen hatte. Die ließ sie unbeantwortet. Ihr Geheimnis, ihre Macht, behielt sie für sich. Behielt für sich, wie sie es geschafft hatte, dass der Förster ihr keinen Ärger machte, oder gar ihr Zuhause zerstörte, oder wie sie dafür gesorgt hatte, dass niemand nach ihr suchte, auch wenn sie alle sahen. Er würde ihr sowieso nicht glauben, hielt sie doch sowieso schon für verrückt. Sie würde seine Welt schon noch endgültig auf den Kopf stellen, irgendwann, aber zunächst war es Zeit, dass sie die Initiative ergriff, dass sie das Fragen übernahm.

 

 

 

 

Kapitel 2: „Verstecken“

Wir hatten uns an den Tisch in der „unteren“ Hütte gesetzt. Die Stühle wirkten recht stabil, doch so ganz traute ich ihnen nicht. Es war Zeit für eine Aussprache, meinte sie kichernd. Als gäbe es zwischen uns schon irgendetwas zu klären. Ich hatte sie doch gerade erst kennengelernt. Wusste nichts über sie, nicht mal ihren Namen nur, dass mir das Kichern jetzt schon ziemlich auf die Nerven ging.

„Also noch einmal: was führte dich zu dieser Tageszeit in meinen Wald?“, begann sie. Jetzt lächelte sie nicht mehr. Ihre grell-grünen Augen blitzten mich an, neugierig, bedrohlich, schwer zu deuten. Ich wusste nicht, ob mir das kichernde, unruhige Mädchen nicht doch besser gefiel.

„Du bist ja ziemlich direkt.“

„Das fällt dir erst jetzt auf?“ Wieder dieses Kichern. „Du weichst aus. Komm schon, ich verrat's auch niemandem.“

Ich musste schmunzeln. Das glaubte ich ihr sogar.

Ich stoß einen tiefen Seufzer aus und sagte schließlich:

„Ich bin abgehauen, Ok? Ich halt's daheim nicht mehr aus.“

Sie nickte, kein bisschen überrascht.

„Und was hast du jetzt vor?“

Die Frage stellte ich mir selbst schon die ganze Zeit. „Nichts“, war meine Antwort.

Sie lachte nur. Schwieg eine Weile. Schien irgendetwas zu überlegen.

„Bleib doch erst einmal bei mir, bis du weiter weist; oder gar wieder zurück willst.“

Das Angebot war einigermaßen verlockend, zugegeben, aber auch keine dauerhafte Lösung, nur, gab es die überhaupt?

 

Sie hatte zunächst ein gutes Gefühl bei dem Jungen. Es war Zeit für wenigstens einen nächsten, kleinen Schritt. Weiter würde sie vorerst auch nicht gehen, beschloss sie.

„Übrigens, ich heiße Malakita, aber nenn mich doch Mala“

„Ungewöhnlicher Name. Woher kommt der?“

Wieder diese Neugierde... das nervte sie jetzt schon.

„Ist griechisch und bedeutet unter anderem grün. Ein Malachit ist ein grüner Edelstein“, erklärte sie voller Stolz.

Er musste lachen.

„Was auch sonst. Ich heiße übrigens Tim.“

Sie kicherte. „Langweilig. Passt gar nicht zu dir.“

„Sag ich auch immer.“

 

Für eine kurze Zeit wäre Malas Hütte bestimmt ein gutes Versteck. Auch Essen hatte sie gelagert, viel dubiose Dinge in Einmachgläsern, die sie mir stolz präsentierte. Ich glaube, da würde ich vorerst mein eigenes mitgebrachtes Essen bevorzugen.

Mala versteckte sich schon lange hier und hatte in Gegensatz zu mir das alles besser durchdacht, war meinen fragenden Blicken spöttisch zuvor gekommen. Eines der Gläser hatte sie geöffnet, wollte mir beweisen, dass man dies alles essen konnte. Alles Pflanzen, hatte sie gesagt. Das meiste war pulverförmig. Es gab aber auch Gläser mit Blüten und Blättern. Gänseblümchen und Löwenzahn erkannte ich noch, beim Rest gab ich auf. Mala kicherte natürlich wieder nur. Nur nicht, als ich sie fragte, ob eine ihrer Pflanzen sie immer so fröhlich machte. Da hätte sie zwar auch was für, aber sie konnte auch so glücklich sein, meinte sie.

Gegen Mittag jedoch bekam ich das beklemmende Gefühl, als würden sich meine Eltern schon langsam beginnen sich Sorgen zu machen. Die Zeit war vergangen wie im Fluge.

„Ich glaube, ich muss weiter. Hier suchen sie doch bestimmt zuerst.“

„Bis jemand nach dir sucht, wird es schon noch eine Weile dauern, glaub mir. Aber du hast Recht, ich will auch nicht, dass nachher noch meine Hütte entdeckt wird. Morgen sehen wir weiter.“

„Morgen? Und was machen wir bis dahin?“

Sie kicherte erneut.

„Abwarten und Tee trinken.“

Natürlich hatte sie in der Nähe der Hütte auch eine Kochstelle. Einen alten Kessel, sowie zahlreiche weitere Kochutensilien, außerdem lagen dort ein paar Zweige, Blätter, Holzscheite. Eine eigene kleine Grillstelle. Sie kochte Tee. Mit irgendeinen ihrer Pülverchen. Stumm sah ich ihr zu, immer wieder verblüfft, was sie alles hier tat. Gerade mal 16 war Mala, hatte sie mir zumindest erzählt. Sich einfach für ein Leben in der Wildnis entschieden. Ohne dass irgendjemand sie suchte, dass sich jemand darum kümmerte. Sehr merkwürdig. Dass so etwas überhaupt noch möglich war, ohne völlig abzumagern, naja viel auf der Hüfte hatte sie wirklich nicht... Als der Tee fertig war, gingen wir wieder in die Hütte, sie goss ein, in zwei alte Tassen. Wahrscheinlich auf irgendeinem Flohmarkt gekauft.

Vorsichtig trank ich auch ein paar Schlücke von ihrem Gebräu. Es schmeckte tatsächlich nicht mal so übel. Nur im leichten süßlichen, schmeckte ich etwas merkwürdig Bitteres.

„Wie kommt es eigentlich, dass dich scheinbar alle in Ruhe lassen? Ich meine: meine Eltern haben dich auch schon gesehen, du fällst doch auf, bist gerade mal 16, also wie kommt es, dass man dich einfach so alleine lässt?“, fragte ich schließlich. Alles ergab so gar keinen Sinn für mich. Naja, das Leben ergibt anscheinend oft keinen Sinn und die Welt ist verrückter, als man glaubt. Wer weiß, was sonst noch zwischen Himmel und Erde existiert. Daher stellte ich ihr diese Fragen, denn irgendetwas sagte mir, sie hätte vielleicht Antworten. Sie wollte nicht damit rausrücken.

„Das weiß nur Mutter Natur“, murmelte sie wieder nur. Das alles blieb also für mich ein einziges Rätsel und so langsam überlegte ich mir doch, ob es wirklich so eine gute Idee war, ihr zu folgen; nein, ob diese ganze Flucht überhaupt sinnvoll gewesen war und ob es nicht besser wäre, doch wieder umzukehren.

 

Er stellte schon wieder diese Fragen. Gute Fragen. Doch für eine Antwort war es noch zu früh. Es war ihr Geheimnis und das sollte es vorerst auch bleiben, fand sie.

Als er den Tee getrunken hatte, schaute sie ihn an. Merkte er schon etwas? Sie brauchte Zeit, musste überlegen, was sie nun mit ihm machte, jetzt da er wusste, wo sie lebte. Er durfte es niemanden erzählen und auch niemanden hier herführen. Sonst müsste sie sich etwas Neues suchen. Sollte sie sich etwas Neues suchen?

„Ich glaube, ich sollte doch wieder zurück“, sagte er plötzlich, was sie sichtlich beunruhigte.

„Wie, du willst doch wieder zurück? Hat ja doch nicht lange gehalten, dein Plan, deine tolle Idee, das habe ich mir doch fast gedacht. Irgendwann kommen sie alle zur Besinnung.“ Sie atmete tief durch, um ihre Wut zu verdrängen und gerade als er etwas erwidern wollte fuhr sie in sanfterer, piepsiger Stimme fort:

„Aber nein, nicht heute. Es reicht morgen. Jetzt solltest du lieber ein bisschen schlafen.“

„Schlafen? Aber es ist doch noch heller Tag!“, nuschelte er hervor. Merkte wahrscheinlich gerade, wie er langsam etwas schlapper wurde, träger. Keine Sorge, morgen geht es dir so gut, wie nie zuvor, dachte sie.

Sein Blick wurde schläfriger. Sie sah es, spürte es. Ihr hingegen ging es so gut wie eh und je. Teil ihres Geheimnisses.

„Bist du noch nicht müde?“, fragte sie und kicherte.

Doch war er. Sie sah wie ganz langsam seine Augen zufielen. Der Tee wirkte also. Verstecken war alles, an was er gedacht hatte, hatte sich bestimmt keine Gedanken um alles weitere gemacht. Sie inspizierte prüfend seinen Rucksack. Seinen Geldbeutel. Immerhin, etwas Essen, ein paar Kleider und fürs Erste genug Geld hatte er dabei, aber weit würde er damit nie kommen. Doch ganz gedankenlos war er anscheinend auch nicht. Meinte es wohl doch ernster. Aber sie konnte im Gegensatz zu ihm auch ohne viel Geld auskommen. Ihren Kleiderschrank hatte sie sowieso auch in die Hütte verfrachtet. Hier war alles was sie brauchte. Jede Menge Kraft hatte es gekostet, ihre Fähigkeiten zu nutzen, um diese Hütte, dieses Leben aufzubauen. Sehr früh hatte sie diese Kräfte schon entdeckt, perfektioniert, nur für dieses Leben, ihr kleines Geheimnis. Lange Zeit hatte sie sich nun schon hier versteckt, nur um hier und da den ein oder anderen ins Auge zu springen. Doch es kostete Kraft, dafür zu sorgen, dass die Leute sie nicht suchten, dass es ihnen egal war. Jetzt war es Zeit für einen neuen Plan. Für ein neues Leben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 3 „Blau“

Als ich erwachte, war es mitten in der Nacht. Dennoch fühlte ich mich seltsam munter, irgendwie zu wach für ein Erwachen.

Neben mir tauchte ein Gesicht auf. Grüne Augen blitzten mich im Dunkeln an. Ein zartes Lächeln meine ich erkannt zu haben.

„Na, gut geschlafen?“

Verwirrt schaute ich sie an. Es war dieses grüne Mädchen. Mala oder so ähnlich, hieß sie, glaube ich. Namen konnte ich mir immer so schlecht merken.

„Was ist passiert? Wo bin ich?“

Sie kicherte. „Das weißt du doch.“

Ich blinzelte ein paar mal. Blickte mich um. Wo war ich? Ich lag irgendwo mitten im Wald. Nur Bäume und Blätter. Mehr konnte ich nicht erkennen.

Vorsichtig stand ich auf. Klopfte mir die Blätter von meinen Beinen. Mir tat alles weh. Wenigstens mein Rucksack stand neben mir, an den konnte ich mich noch genau erinnern.

Den Kopf haltend, der mir auf einmal seltsam schwer vorkam, versuchte ich mich an mehr zu erinnern. Ich war von zu Hause abgehauen. Dieses Mädchen hatte mich aufgegabelt, mir ihr Zuhause gezeigt, gezeigt, wie sie lebte. Mir fiel nun alles wieder ein. Wir hatten Tee getrunken und dann...

Der Tee!

„Was war in dem Tee?“

„Sehr gut, du erinnerst dich“, sagte sie zuerst, hielt kurz inne seufzte, um mir dann doch Auskunft zu geben. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, als wäre es das Normalste der Welt, erklärte sie mir:

„Im Tee war was zum Schlafen. Ich hab doch gesagt, du sollst schlafen und dass wir morgen weitersehen werden. Jetzt ist es Morgen, 1 Uhr morgens um genau zu sein. Wir werden nun sehen, wie es weitergeht.“

Und als ich sie voller Entsetzen anstarrte, kicherte sie wieder nur.

Sie war wirklich irre!

 

Genaustens hatte sie es sich überlegt. Es war Zeit für etwas Neues. Es würde sie Kraft kosten, viel Kraft. Die Kraft der Mutter Natur, aber dadurch würde sie sich nicht die Stimmung verderben lassen. Nein, sie freute sich sogar darauf. Endlich mal umziehen.

Während er schlief, hatte sie alles vorbereitet. Die Gedanken waren ihre Kraft. Mit ihnen konnte sie nahezu alles anstellen. Dennoch benutzte sie sie nur, wenn es absolut notwendig war.

Sie erinnerte sich noch, als wäre es gestern, dabei war es mindesten 10 Jahre her, als sie Mutter Natur zum Ersten Mal entdeckte, wirklich sah.

Der Himmel war wolkenverhangen gewesen. Sie hatte die Wolken angestarrt. Hatte beobachtet, wie sie sich bewegten. Langsam weiterzogen. Ja, gewünscht hatte sie sich, sie könnte sich mit solcher Leichtigkeit bewegen. So schwebend. Dann spürte sie, wie ihre Füße den Boden verließen. Ja, sie schwebte wirklich. Und naiv wie sie damals war, hatte es ihr sogar Spaß gemacht, wollte unbedingt, dass es alle sahen. Aber genau das galt es zu verhindern, hatte sie erfahren müssen. Entgeistert hatten sie ihre Eltern angestarrt, als sie so vorbeischwebte. Fragend. Verwirrt. Ihren Augen nicht trauend. Doch dann fiel sie. Völlig erschöpft. Blieb liegen und fühlte sich so schwach, zu schwach. Ins Krankenhaus hatte man sie gebracht. Untersucht. Den Schilderungen ihrer Eltern nicht geglaubt. Für verrückt hatte man sie alle erklärt. Zahlreiche Untersuchungen hatte sie ertragen müssen. Weitere Fragen. Ein paar Tage ging das und dann waren auch noch ihre Eltern bei einem Unfall gestorben. Sie wusste bis heute nicht, ob es etwas mit der Nutzung ihrer Kräfte zu tun hatte, aber sie schwor sich nur noch im Notfall über sie zu verfügen und nur dann, wenn sie sie unter Kontrolle gebracht hätte.

Die Tränen, die ihr bei der Erinnerung an ihre fürsorglichen, netten Eltern kamen, lächelte sie weg. Zum Glück gab ihr das Grün die Freude zurück und auch die Hoffnung. Hoffnung für die Hoffnungslosen. Ihr Lebensmotto seit jenem Ereignis.

Während Tim schlief hatte sie sich gewünscht, ihre Hütte würde den Platz wechseln. Dort stehen, wo sie vorhatte hinzuziehen. Aber ihr Haus musste so den Platz wechseln, dass es niemand sehen würde.

Jeden Tag dankte sie Mutter Natur für die Kräfte, die sie ihr verliehen hatte. Sie konnte sich und andere Dinge schweben lassen und in einem sehr begrenzten Rahmen auch andere mit ihren Gedanken kontrollieren. So hatte sie es auch geschafft ganz alleine diese Hütte zu errichten, diese Möbel hier herzubringen. Das war ihr Geheimnis. Niemand sollte je davon erfahren. Niemandem konnte sie trauen. Denn auch ihre Kräfte hatten Grenzen. Nachdem sie ihre Hütte an einen anderen Platz hatte schweben lassen, war sie in sich zusammengesunken. Sofort eingeschlafen. Erst nach Stunden wieder aufgewacht. Zum Glück kannte sie sich mit den hiesigen Pflanzen aus, wusste, was ihr Kraft geben würde und zum Glück schlief der Junge auch noch.

Wer von ihren Kräften erfuhr, war in Gefahr, davon war sie überzeugt. Ihre Eltern waren ihretwegen gestorben. Das konnte doch damals kein Zufall gewesen sein. Deswegen musste sie vorsichtig sein. Das mit ihrer Hütte war riskant genug gewesen. Sie hoffte, dass nicht allzu viele um 1 Uhr Nachts in den Himmel gestarrt hatten. Sie hatte

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 25.02.2015
ISBN: 978-3-7368-8073-3

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