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Prolog - Bote des Unheils

Alles begann mit einem trockenen, heißen Sommer und endete mit einem stürmischen, eisigen Winter.

Ein halbes Jahr – sechs Monate – die nichts als Unheil bringen würden.

Sie sehen alle die Zeichen nicht, selbst wenn man sie mit dem Gesicht darauf stoßen lässt. Blind sehen ihre Augen nur das, was sie sehen wollen: Farben.

Sie spüren nur das, was sie wahrhaben wollen, was für sie als Realität zuzuordnen ist.

Für sie sind das Zufälle, Unfälle.

Nichts anderes, was dahinter steckt.

Nein, ich bin nicht etwa der Tod, befolge keine Ordnung oder dergleichen.

Ich bin einer von Ihnen. Das ist es ja.

Nur ist die Natur auf meiner Seite und nicht auf Ihrer.

Gut, manchmal helfe ich noch ein bisschen nach, wenn meine Kraft nicht reicht.

Meist muss ich auch gar nichts tun. Es gibt schließlich noch mehr Menschen, die ihr als „böse“, „krank“, oder „verrückt“ bezeichnen würdet.

Vielleicht suchen sie irgendwann Erklärungen, warum ich das tue, was ich tue. Wenn sie wirklich jemals herausfinden sollten, dass ich hinter diesem und jenem Unglück stecke. Aber wie sollten sie das überhaupt herausfinden? Sie würden sich dann fragen, wie ich diese „Unfälle“ inszenieren kann. Wie ich es schaffe scheinbar Gegenstände zu bewegen oder die Natur zu beeinflussen.

Sie würden keine Antwort darauf finden, denn ich weiß selbst keine.

Ich tue es einfach. Ohne Grund. So scheint es immer.

Stifte Verwirrung.

Stifte Unruhe.

Bringe Unheil.

Sie sehen immer nur einen scheinbar gewöhnlichen Mann. Ein Durchschnitts-Typ, der in jeder Masse untergehen würde. Genau das nutze ich aus.

Ich habe einen Plan, den ich umsetzen werde. Nichts wird so sein, wie es scheint.

 

Auch ihr werdet nach Motiven fragen, wenn ihr das lest. Nein, meine Kindheit war nicht gestört, zumindest nicht mehr, als die der anderen. Meine Eltern waren nett, hatten Geld. Mein Bruder war etwas schwierig, zugegeben, aber ich stritt mich eigentlich so gut wie nie mit ihm, jedenfalls nicht mehr als es unter Brüdern üblich zu sein scheint. Ich hatte durchschnittliche Noten, aber für das Abi hatte es gereicht. Auch war ich nicht sozial benachteiligt. Ich hatte einst viele Freunde. Schließlich hatte ich auch einen Job gefunden, irgendeinen Bürojob, gut bezahlt, nicht die schlechteste Arbeit. Aber irgendwann kam jener Tag. Als mir der Alltag schlicht zu langweilig wurde. Ich einfach so reiß aus nahm. Meine Sachen packte. Verschwand. Untertauchte. Es scheint, ohne wirklichen Grund. Nur, da ist Irgendetwas. Irgendetwas wie ein Gefühl, als sei es das richtige. Es veränderte sich etwas in mir. Genau jetzt hatte es sein müssen, das hatte ich damals gespürt. Mit Recht, wie sich herausstellen sollte.

Es war der 21. Juni gewesen. Sommeranfang. Und es dauerte nicht lang, nur bis zum Abend jenen Tages.Da hatte ich es entdeckt.

Glaubt ihr an Übernatürliches?

Glaubt ihr an Gott?

Gar, dass ich in seinem Auftrag handele?

Glaubt doch was ihr wollt, tut ihr doch immer.

Ich glaube nur an mich und daran, dass das meine Bestimmung ist. Meine Aufgabe hier auf Erden. Mein Job. Und er macht mir Spaß, wahnsinnig viel Spaß.

TEIL 1: „IRGENDETWAS"

Sommer

 

  Wasser fließt im Fluss,

zum See, zum Meer,

nicht blau,

kein Himmel.

Ein trübes Bad,

ohne Wiederkehr,

so grau,

viel Schimmel.

Sonne scheint am Strand,

lang so lang,

nur Hitze,

Reim macht Urlaub.

 

 

 

 

Urlaub

Urlaub.

Erholung,

entspannen,

loslassen.

Streiten,

hetzen,

hassen.

 

 

 

Sie sind so naiv und denken im Urlaub könnten sie sich entspannen. Erholen. Abschalten vom Alltag.

Doch der Mensch ist kein friedliches Wesen. Verbringt man also einen Urlaub mit jemanden, ganz allein, ohne Ablenkung, lernt man ihn vielleicht besser kennen, als man es jemals wollte.

Sie sind alle dann am anfälligsten.

Als ich untertauchte, an jenem 21. Juni, war dies mein Urlaub. Von all dem hier. Von der Welt.

Auch ich lernte mich besser kennen. Viel besser. Aber mir gefiel, was ich entdeckte.

Dann kamen jene Schul-Sommerferien.

Ich beobachtete sie. Eine vierköpfige Familie: Teenager-Sohn, gutherzige, sorgenvolle Mutter, gelangweilter Business-Vater, siebenjährige, hyperaktive Tochter.

Ein explosiver Mix könnte das werden. Perfekt für meinen Plan.

Unfälle passieren dann schnell...

 

Tom hatte sich anfangs gefreut. Für einen winzigen Augenblick zumindest. Sie wollten ans Meer fahren. Leider aber nicht in ein schönes Hotel, sondern Zelten auf irgendeinem blöden Campingplatz. Spätestens im Auto ging es schon los.

„Tom? Hast du auch deine Zahnbürste eingepackt. Tom? Hast du genug warme Kleidung?“

„ES“ was seine Mutter. Sie konnte dies einfach nicht abstellen. Meinte es nur „gut“, wie sie immer wieder betonte. Zu gut. Sie war eine der Sorte, die man alle fünf Minuten über seinen Aufenthaltsort informieren musste.

„Mum! Es ist Sommer. Wir fahren ans Meer. Da braucht man keine Winterjacke!“

„Du weißt nicht, wie kalt es nachts im Zelt sein kann, Tom.“

Pia, seine kleine Schwester, kicherte.

„Mama! Ich will los! Fahren wir jetzt los, ja?“, kreischte sie und sprang von einen Fuß auf den anderen, als müsste sie gleich aufs Klo. Für sie war entspannen anscheinend ein Fremdwort. Ganz die Mutter, dachte Tom.

„Wir fahren ja gleich“, brummte Toms Vater, der immer noch auf seinem Smartphone herumtippte und wie immer nur an die Arbeit dachte, das wichtigste in seinem Leben.

Tom stieg genervt ins Auto. Immer das gleiche.

Als sie nach einer noch viel nervigeren Fahrt mit mehreren Pausen angelangt waren, hüpfte Pia sofort aus dem Auto.

„Wo ist das Meer? Wo ist das Meer?“, schrie sie.

„Später, liebes. Jetzt müssen wir erst mal unser Zelt aufbauen.“

Tom ließ es sie aufbauen und sah sich schon mal um. Den Protest - das „Tom? Wo willst du hin?“, seiner Mutter, sowie das „Hilf gefälligst!“ seines Vaters – ignorierend.

Der Campingplatz war klein, bot nicht viel. Einen winzigen Pool, den man sowieso nicht benötigen würde, da das Meer ein paar hundert Meter entfernt lag, eine kleine sanitäre Anlage, ein noch viel kleineres Restaurant, samt Lebensmittelladen.

Und natürlich der Fluss.

Er floss genau an den Stellplätzen vorbei und mündete vermutlich im Meer. Rauschend. Jetzt schon viel zu laut. Wetten, dass man hier nachts kein Auge zu tat?

 

Als Tom wieder beim bereits fertig aufgebauten Zelt ankam, ging es schon wieder los. Pia beschwerte sich: „Warum durfte er sich umschauen und ich nicht?“

„Durfte er nicht!“

So nahm es seinen Anfang. Was auch immer „es“ war. Auf einmal baute sich eine Spannung auf, die sich nur schwer beschreiben lies. Irgendetwas war da. Die Luft knisterte merkwürdig. Wut staute sich auf. Es war, als blies sie eine kühle Brise hinüber. Bis es zur Explosion kam. Wegen etwas völlig Belanglosem. So schlimm, wie lange nicht mehr. Er hasste den Urlaub schon jetzt. Alles, was sich zu Hause längst angebahnt hatte, was immer verdrängt wurde, all die Dinge, über die sie längst hätten streiten können, kochten auf einmal hoch. Sein Vater brüllte laut. Seine Mutter nörgelte und Pia weinte. Er schrie ebenfalls und im Laufe des Streits sagten sie dann etwas, das er Ihnen nie verzeihen würde.

„Du bist für nichts zu gebrauchen Tom. Ein einziger Nichtsnutz!“, kam von seinem Vater.

„Da gibt man sich solche Mühe und was ist der Dank dafür?“, schluchzte seine Mutter.

Zur Pia schimpfte sein Vater: „Kannst du nicht einmal Ruhe geben, du raubst uns den letzten Nerv.“

Worauf seine Mutter gleich erwiderte: „Was kann sie denn dafür, du bist ja nie da, kannst dich ja nie um sie kümmern. Ich muss sie ganz alleine aushalten. Tom ebenso. Du entziehst dich dem Ganzen ja nur allzu gerne.“

So ging es hin und her.

 

Nichts war einfacher gewesen, als die angespannte Stimmung zwischen der Familie etwas aufzuheizen. Ich wusste nicht genau, wie ich diese Dinge anstellen konnte. Ich konnte es einfach. Allein dadurch, dass ich daran dachte. Mich darauf fokussierte. Meine ganzen Gedanken auf das richtete, was ich tun wollte. Dieser Zusammenhalt, der in Familien trotz der Konflikte herrschte, störte mich eben und ich dachte für einen kurzen Augenblick daran, wie es wäre, wenn sie ihre verdrängten, versteckten Emotionen freien Lauf lassen würden. Sie taten es. Nein, es war nicht allein meine Schuld, oder eher mein Verdienst. Sie wollten das, was sie sagten, loswerden, nur hatten sie sich zuvor eben nie getraut. Ich hatte nur der Wahrheit auf die Sprünge geholfen. Nachdenklich betrachtete ich sie noch eine Weile, dann starrte ich in den Himmel, der am heutigen Tag eher dunkle Wolken gezeigt hatte. Aber dunkle Wolken gab es bei dieser Familie schon genug. Ich wollte etwas die Sonne genießen. Meine Gabe kostete mich damals noch besonders viel Kraft, da braucht man etwas Ruhe. Es war damals noch so neu und toll: Ich dachte einfach nur daran, wie es wäre wenn die Wolken sich lösten. Schon ließ ich die Sonne scheinen. Erbarmungslos.

 

 

 

 

 

Die Sonne

 

Gelb, gülden, verdeckt,

durch schwarzen Dunst verdreckt,

das wärmste aller Lichter.

Heiß, rot, versteckt,

mit aller Kraft verdeckt,

wird sie bald zum Richter.

 

 

 

Als die Sonne am Himmel auftauchte, verdampfte die Wut. Sie saßen schweigend auf den Camping-Stühlen, die sie mitgebracht hatten. Pia schluchzte immer noch leise und wurde von ihrer Mutter in den Arm genommen.

Tom hatte es nicht mehr ausgehalten, dort nur zu sitzen. Er hatte sich ein Buch geschnappt, sein Handtuch auf die Wiese gelegt, sein T-Shirt ausgezogen und ließ die Sonne auf seinen viel zu weißen Rücken scheinen.

Zu spät merkte er, dass es brannte.

Immer mehr. Er zog sein T-Shirt wieder an, lief zurück zum Zelt und hoffte, dass sich die Gemüter nicht wieder aufheizen würden.

Dann begann es zu jucken. Ein unerträgliches Brennen. Schon kratzte er sich, wusste Bescheid. Seine Haut perlte sich ab.

Seine Eltern sahen es sofort. Natürlich. Immer bemerken sie alles. Immer schauen sie nach ihm. Pia machte nie Fehler und wenn, war es nicht ihre Schuld, sondern die der ADHS.

„Das kommt davon, wenn man sich nicht eincremt“, brummte sein Vater.

Seine Mutter hatte natürlich vorsorglich eine kühlende Creme eingepackt. „Mensch Tom, was tust du denn? Da kannst du Hautkrebs von kriegen!“

Typisch!

Pia hatte inzwischen aufgehört zu weinen. Beim Anblick von Toms Rücken war sie wieder ganz die Alte und brüllte lachend:„So rot! Wie eine Tomate.“

Tom warf ihr einen wütenden Blick zu.

 

Mich sahen sie nicht. Wie ich sie von weitem beobachtete.

Hielten mich für einen weiteren Camper. Ich studierte sie ganz genau. Noch sollten sie mich auch noch nicht sehen, es war noch zu früh. Die Sonne brachte mich zum Strahlen. So schön warm. Hatte die Haut des Jungen verbrannt. Selbst Schuld.

Ich sah, wie sie aufbrachen. Der erste Ausflug stand also an.

Die Gegend erkunden.

Ja sie gingen Richtung Stadt... So unbekümmert. Die Sorgen außer Acht. Die ADHS-Tochter, der Teenager-Sohn mit dem Sonnenbrand und den Streit einfach vergessen. Es machte mich wütend, denn sie hätten lieber baden gehen sollen. Ich hatte anderes für sie geplant. Doch dazu ist es anscheinend noch nicht heiß genug. Es muss noch heißer werden. Ein Sonnenbrand reichte anscheinend nicht.

 

 

Hitze

Eisig, kalt, mild, warm, heiß

Eis.

Schnee.

Ade.

Wasser.

Sonne.

Wärme.

Oje.

Brand.

Feuer.

Zu heiß.

Hitze.

 

 

 

 Es wurde immer heißer.

„Mama, ich will ein Eis!“, schrie Pia bestimmt zum zehnten Mal.

Irgendwann gab sie nach. Das war so üblich. Pia bekam immer alles, was sie wollte und er, Tom, hatte meist das Nachsehen.

An der Eisdiele hatte Tom keine Lust mit anzustehen. Er bestellte bei seiner Mutter eine Kugel Zitroneneis und beobachtete die Menschen auf der Straße, um sich von der gnadenlosen Hitze abzulenken, die nun immer unerträglicher wurde. Schweiß rann ihm die Stirn hinab. Wo blieb das Eis? Diese „Stadt“, die Menschen hauptsächlich Touristen, alles so langweilig hier, dachte er. Dinge sind interessanter als Menschen. Wie die Bierflasche in der Hand eines turbulenten, Mitte-dreißiger, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Hatte wohl zu viel gesoffen. Tom starrte auf die Beine, die sich schwankend hin und her bewegten, in Kreisbewegungen. Darauf wartend, dass er fallen würde.

Auch einige vorbei-hastende Menschen starrten den Trinker an. Dann fiel er schließlich. Tom lachte. Offenbar war es doch nicht ganz so langweilig hier; zumindest wenn man sich die Gegend schön soff.

 

Sie schließen immer auf das Falsche. Wollen nur sehen, was sie sehen wollen. Das Offensichtliche eben. Dabei hatte das wandelnde Fass eines Kerls gerade einmal ein paar Schlücke genommen. Ich hatte ihn genau beobachtet. Wenn man es genau nimmt, eigentlich schon mein ganzes Leben lang. Ein ideales Veranschaulichungs-Material. Lange war er heute schon in der Sonne gestanden. Sehr lange. Mal auf einer Bank mitten in der Sonne gehockt. Geraucht. Sich ein Bier geholt. Irgendwann wäre er sowieso dort gelandet, wo er gleich landen würde. Auf dem Boden.

Ich hatte mir einfach nur vorstellen müssen,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 30.10.2014
ISBN: 978-3-7368-5187-0

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