Die „ER“- Teile sind zum Teil autobiographisch.
Das Meiste jedoch (unter anderem „SIE“) ist frei erfunden.
Auch alle Orte sind rein fiktiv.
Dieses Buch enthält aber viel Persönliches und viel Wahres, so denkt daran:
Die Wahrheit ist ein kleines, verstecktes Körnchen in einem Haufen Erde voller Lügen. Ist es erst einmal entdeckt, beginnt es zu gedeihen und verdrängt alles auf seinem Weg ans Licht.
ORT DES GESCHEHENS: Irgendeine Stadt in Deutschland/ Bahamas/Irgendein Keller/Irgendwo im Nirgendwo.
HAUPTPERSONEN: ER, der Junge und SIE, das Mädchen, keine Namen werden genannt!
ZEIT: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Zeit ist relativ.
WARNUNG: Dieses Buch enthält triggerndes Material.
Freue dich,
solange du dich noch freuen kannst
Sie gehen alle anders damit um, aber letztendlich bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als sich mit ihr auseinanderzusetzen. Mit der Stimme, die Sie früher oder später alle hören werden. Tief aus Ihrem Inneren kommend. Sie zweifelt an Ihnen, zeigt Ihnen, dass ihr Leben doch nicht so toll ist, wie Sie es immer gedacht haben. Die Stimme, die die unverblümte Wahrheit ausspricht und die immer an Ihnen nagt. Die Stimme der Traurigkeit, die zum ständigen Begleiter werden kann, zur Dauerträne.
Einige setzen darauf, sie zu verdrängen und nach vorne zu blicken. Wollen sie einfach ignorieren. Es muss doch irgendwie weitergehen, richtig?
Das Problem ist, es wird Ihnen nichts nützen. Sie kommt wieder, kräftiger, erschütternder, als je zuvor. Ihre Geduld ist grenzenlos, sodass sie euch auf jeden Fall wieder finden wird. Sie findet immer alle, denn sie ist Teil jedes Lebens.
Manche wird sie vollends aus der Fassung bringen, sie zerstören. Von innen. Nicht immer ist dies ein sichtbarer Prozess, was uns zum eigentlichen Kern des Ganzen führt: die unsichtbare Zerstörung. Man sieht das Lächeln, doch die Seele weint und hört nicht damit auf. In diesem Fall kann sie keiner vertreiben und wenn dann noch die eigene Kraft auch zu begrenzt ist, dann haben wir das Phänomen der Dauerträne, dann hilft nur noch eine glückliche Fügung, ein Wunder, das alles verändern wird.
Ganz verschwinden wird sie aber nie und das Schlimmste ist, sie kommt auch gerne ohne ersichtlichen Grund wieder.
Es ist in uns. Nichts und Alles.
Es heißt immer, dass du harmlos seist, keine Gefahr.
Alles Lügen.
Spürst du nicht den Samen der Bosheit in dir?
Ich weiß, dass du ein Träger bist. Jeder von uns. Wir sind die Erde des Samens.
ER
- Der Nährboden -
Sie hatten alle gesagt: „Geh doch aufs Gymnasium!“
Alle wollen nur das Beste für dich, heißt es immer.
Mein bester Freund wollte ja auch; und anlässlich der Zukunftsperspektive, die dort deutlich besser ausfallen würde, bin ich auch dort hin. Dass es mir wahrscheinlich noch weniger gefallen würde, als in der Grundschule, war mir irgendwie schon bewusst.
Aber nicht nur die neue Schule sorgte dafür, dass ich einen richtigen Hass entwickelte.
Die ersten Tage waren noch relativ harmlos. So weiß ich gar nicht mehr genau, wann die kleine Dauerträne in mir zum Leben erwachte, wann dies genau begann.
Ich schätze das Übel deutete sich an einem Montag an. Ich mochte Montage schließlich noch nie, denn das hieß eine neue Schulwoche begann. Schule, zumindest in der Zeit nach der Grundschule, bedeutete unendliche Langeweile, nutzloser Stoff und somit Platzverschwendung für das Gehirn. Egal, was soll's, hatte ich mir immer gesagt. Lernen und wiedergeben, wenn du danach gefragt wirst. Irgendwann hast du sowieso wieder alles vergessen, was aber wiederum völlig egal ist, denn das Gelernte wirst du sowieso nie wieder brauchen. Das Schulsystem hier ist eben das Allerletzte. Schon diese Einteilung nach gerade mal vier Schuljahren. Dann noch dieser ständige Konkurrenzkampf, dieser Notendruck. Wenn du keine gute Noten schreibst, schaffst du es später nie. Na toll! Was bitteschön haben meine Noten mit Intelligenz zu tun? Die setzten sich doch nur aus der persönlichen Meinung des Lehrers und auswendig gelernten Zeug zusammen.
Ich habe mir etwas ängstlich meine Klasse angesehen. Einige waren mir bekannt. So zum Beispiel ja auch mein bester Freund. Ich kämpfte mich so ungefähr ein Jahr durch. Das Übel kommt erst zum Vorschein, wenn man es kennengelernt hat. Es bestand aus zwei Jungen, die offenbar nichts als Unsinn im Kopf hatten. Natürlich hätte mich das nicht weiter gestört, nein, es wäre sogar recht unterhaltsam gewesen. Aber der Unsinn ging nach dem Unterricht weiter. Da zeigten sie ihr wahres Gesicht: sie hatten reichlich Spaß daran nicht nur die Lehrer zu ärgern, nein, jetzt war ich an der Reihe.
Ich hatte diese Mobbingopfer immer belächelt, mich gefragt, warum sie sich nicht einfach wehren, nicht einfach Hilfe holen. Heute frage ich mich, warum ich damals ebenfalls so spät reagiert habe und auch nie wirklich mit der vollen Wahrheit herausgerückt bin. Wahrscheinlich war es mir einfach zu peinlich gewesen. Schwäche zeigen ist eben peinlich.
Eigentlich stellt man sich eine typische Mobbing-Situation eher so vor:
Eine Streberin, dicke, aber schwächliche Statur und dicke Brille, bekommt gerade mal wieder eine Eins. Vor dem Klassenzimmer wartet bereits der „Mob“. Lehrkräfte oder irgendeine Unterstützung ist ganz zufälligerweise nicht in Sicht. Die Welt ist eben nicht fair.
„Na, was hat den unsere Streberin wieder? Wieder mal eine Eins, die einzige Eins?“, fragt der angst-einflößende Kerl, ein Muskelpaket.
„Na und? Neidisch?“
Das Muskelpaket lacht.
„Neidisch? Auf jemanden, der scheinbar den ganzen Tag nichts wichtigeres als Schule im Kopf hat?“
Der Mob betrachtet die Szene neugierig. Ein dummer Spruch von der Seite: „Ich wette, die geht beim Aufstehen schon gedanklich den Unterrichtstoff durch und um einzuschlafen zählt sie keine Schäfchen, sondern irgendwelche Zahlen zusammen.“
Großes Gelächter.
Das Muskelpaket packt die Streberin, schüttelt sie, bis die eben erhaltene Arbeit zu Boden fällt.
Die Streberin beginnt zu weinen.
„Ich zeig dir mal, wie wichtig mir diese Arbeit ist!“, sagt das Muskelpaket und tritt mit seinen dreckigen Schuhen auf der zur Boden gefallenen Arbeit herum.
Noch größeres Gelächter.
Der Mob löst sich auf und hinterlässt ein Häufchen Elend.
Natürlich läuft das Ganze meistens nicht genauso ab, sonst würde es viel früher auffallen.
Ich und meine Situation entsprachen nicht gerade den Klischees, ich denke aber man kann da nichts vergleichen. Mobbing ist nicht gleich Mobbing, auch wenn es immer so dargestellt wird. Da gibt es das oben beschriebene „klassische Mobbing“, das aber auch variieren kann. So kann es sowohl verbal(also durch dumme Sprüche) oder nonverbal(durch noch viel dümmere „Gewalteinwirkungen“ oder „Streiche“) stattfinden. Ein solcher Streich wäre zum Beispiel das klassische „Spuckrohr“, bei den man mit nassen Papierkügelchen beschossen wird. Eine etwas modernere Form ist Cyber-Mobbing, wo irgendwelche Leute dumme Gerüchte übers Internet verbreiten, Beleidigungen, Lügen etc., das mich zum Glück nicht betraf, oder etwa das, wie ich es nenne „stille Mobbing“, wo nichts gesagt und nichts gemacht wird, einfach nur Ausgrenzung und Ignoranz herrschen. Diese Form lernte ich dann später auch noch kennen und ich weiß nicht, ob diese mir soviel besser gefiel.
Wie man sieht, kann man einfach nicht von dem „Mobbing“ sprechen. Manches tritt in Verbindung auf, oder ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Auch ist die Anzahl der Täter und Opfer sehr variabel. Eines haben aber alle Formen des Mobbings gemeinsam. Sie verletzten. Seelisch oder/und körperlich.
Bis das bei mir mit dem „Mobben“ auffiel, hatten sie mir erst vor der Lehrerin auf einem Schulausflug mein Trinken wegnehmen und hin und her schmeißen müssen. Unternommen wurde aber noch nicht großartig was. Erst als ich mich meiner Klassenlehrerin anvertraut habe. Wenigstens habe ich es mich irgendwann getraut. Naja zumindest so halbwegs. Ich hatte nichts davon erzählt, dass sie mir zum Beispiel mal meinen Ranzen weggenommen hatten und damit herumrannten, sodass ich sie wütend verfolgt habe. Ich bin nicht ins Detail gegangen, sondern habe nur schlicht gesagt: „Der...ärgert mich immer.“(Der Name spielt keine Rolle und ist es auch nicht wert, erwähnt zu werden)
Warum sie mich nun gemobbt hatten?
Ich weiß es nicht genau. Vermutlich, weil ich mich eben immer so schnell aufregte. Etwa heulte oder um mich schlug, oder herumschrie. Es macht solchen Leuten nun einmal Spaß, jemanden zu ärgern, der sich leicht ärgern ließ.
Ich war nicht besonders dick, kein Streber, aber auch nicht dumm. Nun, ich war bekannt für den ein oder anderen Darmwind, na und?
Offenbar reichte es aber um alle irgendwann auf Abstand zu halten. Auch nahm ich es allgemein mit der Hygiene nicht so ernst. War mir einfach nicht wichtig.
Dazu kam dann noch meine eher zurückhaltende, schüchterne Art, wenn ich nicht gerade austickte.
Wenn man Gründe suchte, fand man sie schon irgendwie.
Irgendwann ging das vorbei, dachte ich damals, oder bildete ich mir zumindest ein. Vor allem, als ich mich damals der Lehrerin - nebenbei bemerkt meiner Klassenlehrerin und gleichzeitig der schlimmsten Lehrerin der Schule - anvertraut habe.
Im Laufe der Jahre distanzierte ich mich immer mehr von den anderen. Das wurde umso schlimmer, je älter wir wurden. Ich hasste nun einmal das, was man „feiern“ nennt.Ich bin nicht so wie die Anderen, die sich ach so gerne am Wochenende einen hinter die Binde kippen. Sie nehmen irgendwelche Drogen, besaufen sich, gehen in die Disko um ihre Ohren mit viel zu lautem Krach, denn Musik kann man das was da läuft ja nicht nennen, voll-zudröhnen.
Spaß nennen sie das. Denen macht das vielleicht Spaß. Mir nicht. Aber ich glaube nicht, dass es nur daran gelegen hatte.
Wahrscheinlich waren nicht nur die Interessen Schuld daran gewesen, dass ich mich so distanzierte. Sie hatten mich damals einfach...zerstört. Mein sowieso kaum vorhandenes Selbstvertrauen. Ohne dass es irgendjemand groß mitbekommen hatte, nicht einmal ich selbst.
Doch in Laufe dieser Zeit, meldete sich die Träne wieder zurück. Einsamkeit ist ein Nährboden für sie.
Sie wuchs, von mir unbemerkt, immer mehr.
Ich weiß nicht mehr, wie ich darauf gekommen bin. Auf das, was ich nun „hatte“. Vielleicht habe ich irgendwo mal davon gehört, das hatte eigentlich jeder mal. Aber irgendwann habe ich es realisiert. Ich habe Depressionen. Das glaubte ich zumindest. Ich googelte ein bisschen, machte im Internet ein paar Tests und fühlte mich in meinem Empfinden bestätigt. Der Strudel hatte mich im Griff. Ich hatte mich zurückgezogen. Und eigentlich zum ersten Mal, dachte ich wirklich über mich und mein Leben nach. Über das Leben allgemein. Was ich denn tun sollte. Mit 15 oder so hatte ich dann in meiner unleserlichen Schrift zunächst per Hand begonnen ein Buch zu schreiben. Einfach so. Das was ich zu der Zeit auch gern gelesen hatte. Irgendwann tippte ich es ab. Ich wurde älter und das Buch kam mir ein wenig kindisch vor. Also startete ich neue Versuche. Schrieb. Geschichten. Gedichte. Bücher.
Das Leben lief an mir vorbei.
Einsamkeit und Langeweile bestimmten es.
Ich hing deshalb die meiste Zeit an meinem Laptop herum.
So kam es auch öfter vor, dass ich alleine in meinem Zimmer saß - meine Familie ging mir ja sowieso nur auf den Zeiger - und aus dem Fenster starrte. Grübelnd.
Das war dann besonders ermunternd, wenn es draußen trüb war und regnete. Solche Momente kostete, die Stimme in mir, der ich nun den schönen Namen „Dauerträne“ gebe, voll aus.
Na siehst du: Du hast keine Freunde mehr. Eine Freundin hattest du noch nie. Bist unbeliebt und ungeliebt. Das kann sich ja noch ändern? Ach ja? Mit dem Selbstvertrauen, dem Auftreten? So wie du dich um dein Äußeres kümmerst, so wie du deine Umgebung in stinkende Wolken hüllst? Wie soll denn deine Zukunft aussehen? Deine Hobbys, das mittelmäßige Singen eigener Songs, das Fabrizieren mittelmäßiger Brettspiele, oder gar das Schreiben irgendwelcher relativ guten Texte, die längst nicht gut genug sind. Schreiben kann jeder. Ob die Worte Zuspruch finden, ist was anderes, aber Zuspruch nutzt auch nichts, wenn er von einem Einzigen kommt, der meint ein paar nette Worte zu schreiben. Was nützen die schönsten Worte, wenn sie so gut wie keiner wahrnimmt? Mit solchen Sachen kannst du doch nicht dein Geld verdienen! Sprich: da du sowieso nie das machen kannst und das erreichen wirst, was du dir vorstellst, warum gibst du dann nicht endlich auf? Du bist doch nur ein seelisches und körperliches Frack, auch wenn man es dir nicht ansieht. Beim Sport warst du doch immer schon der, dem als erstes die Puste ausgegangen ist.
Nur ein paar der Gedankenfetzen in jenen Tagen, die meine innere Stimme, die Dauerträne mir zuflüsterte.
Am Anfang bezog sich das noch auf mein Leben, mit dem ich schließlich in keinster Weise zufrieden sein konnte. Die positiven, gar primitiven Dinge wie: du verhungerst nicht, hast ein eigenes Zimmer und so weiter, gehen dabei natürlich vollkommen unter.
Ich habe mich daran gewöhnt. Allein zu sein. Nun, es ist etwas langweilig, aber ich komm da nicht mehr raus. Kein Ausweg. Irgendwann findet man sich damit ab.
Kommen in der Schule mal dumme Sprüche, hört man sie schon gar nicht mehr. Gar nichts hört man. Stille. Langeweile.
Die einzige Stimme ist die Dauerträne, die etwas davon faselt, wie schlecht mein Leben doch sei.
Ist doch auch kein Wunder. Ich widerspreche jeglichen Interessen, die andere in meinem Alter haben:
Weder Alkohol, Drogen oder Partys haben es mir angetan und für die Anderen gab es inzwischen nichts anderes mehr.
Ich bekam irgendwie den Führerschein, was auch nicht groß etwas geändert hatte. Ich hasse Autofahren und interessiere mich auch kein Stück dafür. Den Führerschein hatte ich rein zwecks Flexibilität gemacht. Auch dem Sport, den ich noch nie meine volle Leidenschaft gewidmet hatte, ließ ich sein. Er hatte mich auch nie sonderlich interessiert, so schaue ich auch so gut wie kein Sport im Fernsehen oder so.
Kein Sport. Hasse Alkohol. Hasse Autofahren, auch wenn ich es tue. Trotzdem bin ich ein Junge. Mit eben vollkommen anderen Interessen, als die anderen. Anders sein ist gut, aber macht einsam und jene Einsamkeit ist eben der Nährboden aller traurigen Gedanken. Einsam ist nicht nur, wer niemanden hat, einsam ist der, der sich einsam fühlt.
SIE
- Im Nebel -
„Warum wehrt sie sich nicht, sagt nichts, lässt einfach alles über sich ergehen?“, werden sie sich immer fragen.
Sie verstehen mich eben nicht. Haben mich nie verstanden.
Schließlich kannten sie meinen Vater ja nicht, oder eher meinen Erzeuger.
Seufzend stand ich auf, ging ins Bad, starrte auf den alten, antiken Spiegel. Ein Familienerbstück.
Das Spiegelbild zeigte mir wie jeden Morgen etwas, das mir immer weniger gefiel. Ein Gesicht gezeichnet von dem, nennen wir es mal, Umfeld. Auch wenn dies auf den leicht brauen Teint nicht ganz so deutlich wurde, wie es auf einem käseweißen aufgefallen wäre. Doch gerade weil ich in den Augen einiger Jungs eigentlich gut aussah, brachte mich das nur noch mehr in Verlegenheit.
Klar, ich versuchte den neugierigen Blicken und Fragen auszuweichen. Neu sein ist scheiße. Ich habe nicht hierher gewollt. Meine Eltern wollten das so.
Eltern sind oft das Grauen!
Mein Spiegelbild bestätigte dies, wenn man genau hinschaute. Es zeigte diese kleinen, blauen Flecke, Abdrücke seiner Wut.
Das alles hatte angefangen, kurz nachdem wir hier hergezogen waren, weil er seinen Job verloren hatte, weil unsere Großeltern gestorben sind. Der Beginn eines kleinen Samens in mir. Eines Samens der Trauer. Er hatte wieder Arbeit gefunden, schlechter bezahlt als üblich, aber wir kamen über die Runden.
Nur sein Boss hatte immer Spaß daran, seine Zwangslage auszukosten. Einer dieser machtgeilen Anzugträger, für die das Kapital, das einzig Wichtige auf der Welt war.
Eines Tages war er dann nach Hause gekommen, mit einer Flasche in der Hand.
Meine nach wie vor leicht pulsierende Rippe, erinnert mich ganz genau daran:
Es war ein Freitag gewesen. Ich kam von der Schule, in der es überhaupt nicht so lief, wie er sich das vorgestellt hatte. Ich musste wegen dem Umzug sowieso ein Schuljahr wiederholen, so kurz vor dem Abschluss. Den besten Zeitpunkt hatte er sich da gewählt.
Ich hatte eine Mathematikarbeit herausbekommen. Eine bestimmt gut-ankommende Fünf. Die erste Arbeit auf der neuen Schule. Mein Vater würde jedenfalls begeistert sein, wenn er davon erfährt. Ich hatte mich auf das Schlimmste gefasst gemacht. Wahrscheinlich würde er mir wieder mein sowieso schon mickriges „Taschengeld“ - oder eher Essensgeld - streichen.
Ich kann nur schief darüber lächeln, wenn ich heute daran denke, wie ich an jenem Tag erleichtert gewesen war, als er nicht nach Hause gekommen ist. Es war spät geworden. Meine Mutter machte sich schon Sorgen, wo er so lange blieb. Wenigstens ihr hatte ich meine Note schon furchtlos beichten können, auch, wenn sie natürlich ebenfalls nicht besonders begeistert gewesen war.
Irgendwann bin ich dann ins Bett gegangen, war jedoch blöd genug gewesen, meine Arbeit offen auf dem Tisch liegen zu lassen, weil meine Mutter sie noch unterschreiben musste.
Beinahe wäre ich eingeschlafen, aber die Sorge, wie er reagieren würde und wo er denn so lange blieb, hatte mich gegriffen, mich wach gehalten. Ich hatte gehört, wie geräuschvoll die Tür geöffnet wurde, hatte gehört, wie er meine Mutter anbrüllte, hatte den lallenden Unterton in seiner Stimme gehört und wusste sofort, dass er getrunken hatte, dass sein Chef ihn wieder zu stark beansprucht hatte, dass er wütend war und vor allem, dass das alles zu viel auf einmal war. Das hatte einfach nicht gut gehen können.
Sein Gebrüll war lauter geworden. Der Klang
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 28.05.2014
ISBN: 978-3-7368-1552-0
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