Alle Geschehnisse sind fiktiv und beruhen nicht auf wissenschaftlicher oder logischer Basis.
Alle Personen sind frei erfunden, die Örtlichkeiten sind auf die Zukunft bezogen, sind daher in diesem Erscheinungsbild, in diesen Zuständen noch nicht vorhanden oder wurden verändert.
Der Autor.
Wer das Wetter verändert,
den verändert das Wetter.
- UDO -
Berlin, meteorologisches Institut - Dezember 2033
Den Winter habe ich schon immer gehasst, wie er mit seinen eiskalten Fingern nach der Landschaft griff, um sie in ein depressives Weiß zu tunken.
Zu kalt. Immer zu kalt. Die meisten würden mir sicherlich zustimmen.
Jedoch setzte mir der Frühling am meisten zu, wenn die Luft erbarmungslos mit ihren Pollen schmiss, meine Augen zum Tränen und meine Nase zum Niesen brachte.
Der Sommer war eigentlich immer das Schönste. Doch wenn die Hitze so erbarmungslos herunterknallte, mich am Einschlafen hinderte oder mir Kopfschmerzen bescherte, verging dieses Gefühl der Freude.
Im Herbst dann ständig dieser Regen, diese Gewitter, wenn sich die Luft entlädt. Kurzum, eigentlich gab es keine Zeit, in der ich mich richtig wohlfühlte. Hier in Deutschland zumindest.
Am besten wäre doch eine konstante Temperatur von 20 °C bei von Tag zu Tag wechselnden Verhältnissen.
Hätte ich damals geahnt, dass tatsächlich auch nur eine geringe Chance bestand, dass dies eintreffen könnte, hätte ich vielleicht noch einmal anders über diese Sache gedacht.
Nein, es ist nicht gut das Wetter zu beeinflussen, sagt man immer. Dabei wird es doch so oder so durch uns beeinflusst. Klimawandel nennen sie das. Lächerlich.
Wenn sich etwas verändert, ist dies noch lange kein Wandel.
Heute lache ich darüber, dass man damals von einem Wandel gesprochen hat, obwohl mir eigentlich nicht zum Lachen ist.
Bestimmt langweile ich euch jetzt mit diesem Thema. Das nervt euch dich schon sicherlich seit einiger Zeit, dass immer davon die Rede ist, dass es Bücher darüber gibt. Genügende.
Und doch ist immer wieder davon die Rede und ihr hört immer wieder zu, oder?
Damals am Tag Z wie Zerstörung, oder am Tag xy, wie auch immer, saß ich wie jeden Morgen vor meinem Rechner und langweilte mich mit alltäglichen Wetterbildern. Ich kann immer noch nicht glauben, wie dämlich ich war, mich von meiner Wunschvorstellung von einem niemals gefährlichen Klima habe leiten lassen und zu diesen Verrückten in seine „Hirngespinnnstkammer“ zu gehen.
Klar, ich dachte mir natürlich nichts weiter dabei. Habe mir brav seinen wahnsinnigen Plan angehört, niemals davon überzeugt, dass er es wirklich tun würde – nein tun dürfte. Vor allem war ich auch noch so dämlich, ihm dabei zu helfen. Warum er ausgerechnet mich gefragt hatte, frage ich mich immer noch. Vermutlich weil meine Tochter es auf seinen Sohn abgesehen hatte, der zum Glück nicht ganz so verrückt war wie sein Vater.
Ich musste mein Schmunzeln über seinen genialen Plan, wie der Professor es bezeichnen würde, oft verkneifen. Gut, das was er erreichen wollte, wollte ich ja schließlich auch. Dann müsste keiner mehr diesen dämlichen Job machen, den ich machen musste. Ich habe ihn nur gemacht, weil ich nichts anderes gefunden hatte.
Zusammen mit diesem Verrückten, hätte dieses aberwitzige Vorhaben auch fast funktioniert.
Er hatte doch tatsächlich einen Weg gefunden, das Klima zu verändern, endgültig.
Gut er hat es letztendlich ja verändert.
Doch so wie es sich verändert hatte, hatte es bestimmt keiner gewollt.
Man müsste nur die Toten fragen.
Als er dieses Zeug - was es ganz genau war, weiß ich immer noch nicht genau - in den Himmel schoss, keine Ahnung wie er die Erlaubnis dafür bekommen hatte, wusste ich sofort, dass meine anfänglichen Zweifel dieses Wahnsinns vollkommen gerechtfertigt waren. Ich mache mir immer noch solche Vorwürfe, doch ich hätte es wahrscheinlich auch nicht verhindert, dann hätte er eben jemand anderen gesucht, der ihn dabei half und er hätte bestimmt jemanden gefunden. Gab ja noch genug andere Meteorologen.
Schon die daraus resultierende Wolken, waren die Vorboten, die leider keiner zu deuten wusste. Sie waren auf einmal da. Die meisten dachten es wären nur die dafür notwendige Regenwolken, denn in diesen neuen, künstlichen Klima, das er erschaffen wollte, war schließlich auch Regen notwendig.
Doch es regnete nicht. Es schneite auch nicht.
Tagelang wurden die Wolken beobachtet und untersucht, doch man konnte absolut nichts herausfinden. Sie bestanden aus zahlreichen bekannten, aber auch unbekannten Substanzen und klebten bei Tag und Nacht förmlich am Himmel. Sie bewegten sich nicht, sie taten gar nichts. Die Operation dieses Verrückten ist völlig fehlgeschlagen, war ja klar. Ich ärgerte mich immer noch, dass ich da mitgemacht habe. Von meiner Tochter wurde ich jetzt auch offiziell als verrückt eingestuft. Aber in ihren Augen war ich das vermutlich schon immer.
Ich starrte wie jeden Tag gelangweilt auf den Bildschirm, als plötzlich dieser hässliche Alarmton ertönte. Kaum ist Weihnachten vorbei und dann so was! Ich befürchtete schon das Schlimmste. Ist so meine Art: immer vom Schlimmsten auszugehen. Was dann folgte, war dennoch so unvorstellbar, dass ich es vermutlich nie begreifen würde. Das einzige was ich noch wirklich sah war, wie sich auf unseren Hightech-Monitoren die Karte von selbst veränderte. Nun, an für sich erst einmal nichts Besonderes: das tat sie zum Beispiel auch, wenn sich etwa Erdrisse bildeten. Die Technik ist nun mal in den letzten Jahren immer moderner geworden, doch traurigerweise muss dieser "Beobachtungsjob", wie ich ihn nur nenne, immer noch von Menschen erledigt werden. Sie nannten es „Wetterforschung“. Aber gerade schickte uns der Wetterdienst aktuelle Bilder. Dies machte er des Öfteren und man konnte mehr von „beobachten“, als von „forschen“ sprechen. Im Prinzip machten die dort das Gleiche. Früher war das vielleicht mal anders. Alles war anders. Aber was ist schon früher?
Ich nahm also an, es gab ein Erdbeben, doch das, was ich auf den Bildschirm sah, konnte nicht sein. Ich dachte ich träume. Es war alles so unwirklich, so still. Das Stückchen Land, über dem diese Wolken waren - also dort wo dieser Wahnsinnige, sein "Experiment" durchgeführt hat - hatte sich zu einer Insel geformt. Die Deutschlandkarte, die ich noch sah, war zum größten Teil ein blaues Gebilde.
Wasser.
Ich hatte schon immer Respekt vor der blauen Masse.
Was für große Veränderungen Wasser, doch hervor rufen konnte. Ein bedrohliches Rauschen lag in der Luft.
Schreckliche Schreie drangen an mein Ohr, weinerlich, voller Verwirrung und Schmerz.
Dann wurde um mich alles dunkel.
Menschen sind doch so zerstörerisch. Über Jahre hinweg, werfen sie achtlos ihre Abfälle auf den Boden, stoßen Giftgase in die Luft und verseuchen das Wasser. Ein Wunder, das es noch Leben auf diesem Planeten gibt.
Endlich ist der Zeitpunkt gekommen. Sie haben einen weiteren großen Fehler begannen. Nun ist endlich der Zeitpunkt gekommen, an dem sie für das Leid, das sie diesem Planeten angetan haben, büßen werden. Unsre Rache wird gnadenlos sein.
In tiefen Wasser ruhend stets,
lauernd immer dar,
da sich alles stets bewegt,
wartet die Gefahr.
In tiefen Wolken wirbelnd nun,
zischend, brodelnd gar,
wird niemals stehen, niemals ruh'n,
stets wachsen, wie ein Haar.
- UDO -
Berlin - Isle of cause – 2034
Ich lag irgendwo bewegungslos. Ich spürte lediglich, dass etwas unvorstellbar schweres auf mir lag. Mein Bein pochte. Mühsam öffnete ich meine vom Schmerz verschlossenen Lieder.
Offensichtlich war das ganze Institut eingestürzt und hatte mich begraben! Große Klasse! Na dann frohe Weihnachten!
Doch da war noch irgendwas. Irgendwie schien der Boden unter mir sich zu bewegen.
Was war hier passiert? Wie war das nur möglich?
Dieses Experiment, dämmerte es mir, dieses wahnsinnige Unterfangen muss fehlgeschlagen sein. War ja zu erwarten gewesen.
Ich hatte es doch gewusst, man hätte diese Wolken nicht einfach nur beobachten sollen. Man hätte sie auf irgendeine Weise entfernen, oder wenigstens das Gebiet drum herum evakuieren sollen, oder zumindest genauer untersuchen. Wäre es doch nur so einfach gewesen.
Ich war mir jedenfalls sicher, dass allein diese Wolken Schuld an meiner jetzigen Lage waren.
Langsam drang von irgendwo eine leise Stimme an mein Ohr. „Hallo, ist da wer?“, wisperte sie leise. Ein Schauder fuhr mir über den Rücken. Ich kannte diese Stimme.
„Sina, was zum Teufel machst du hier?“
„Vater? Was ist hier los? Eigentlich wollte ich dich nur etwas fragen, aber das hat sich jetzt erledigt. Was ist hier passiert? Hat es was mit diesen wahnsinnigen Vorhaben zu tun? Natürlich hat es das und ich hab's dir noch gesagt...“
„Ja, ja... Ich weiß es war wahnsinnig, Ok? Aber im Moment gibt es glaube ich Wichtigeres. Ich bin froh, dass ich überhaupt noch lebe, das du noch lebst!“
Ich stöhnte auf. Der Schmerz brachte mich zurück zum Boden der Tatsachen. Ich hielt schmerzverzerrt mein unter einem schweren Stück eingeklemmtes, pochendes Bein. Ein Fremdkörper, der nicht mehr zu mir gehören wollte.
„Bist du allein? Geht’s dir gut?“, fragte ich keuchend.
„Ja.“
„Kannst du mir helfen? Ich stecke hier fest.“
Sie brummelte nur etwas. Wie des Öfteren.
Sagen wir es mal so: ich und meine Tochter haben nicht gerade das beste Verhältnis. Seit meine Frau uns verlassen hatte und ich mich alleine um sie kümmern musste, meinte sie, sie könnte tun und lassen was sie wollte, denn ich war sowieso die meiste Zeit auf der Arbeit und sie war alt genug - wie sie immer wieder betonte - um selber auf sich aufzupassen. Seitdem hatte ich das Gefühl, von ihr gehasst zu werden. Vermutlich gab sie mir die Schuld daran. Erst ein Jahr ist das nun her. Verachtung schoss in mir hoch. Warum hatte sie uns einfach so verlassen? Warum bestand sie darauf, dass Sina bei mir bleiben sollte, obwohl sie einen viel besseren Draht zu ihrer Mutter gehabt hatte. Sie war sowieso ein schwieriges Kind. Das spielte jetzt aber alles wahrscheinlich keine Rolle mehr.
Leichenblass mit verwirrten Blick stieg sie über die Trümmer hinweg und näherte sich. Eilig machte sie sich daran, mich aus diesem riesigen Trümmerhaufen zu befreien.
„Geht´s?“, fragte sie als sie mir stöhnend aufhalf.
„Ja, es geht schon, danke“, zischte ich schmerzerfüllt.
Verwirrt sah ich mich um. Um uns herum war nichts, oder besser gesagt ein unendliches, eiskaltes Blau, auf dem die Trümmer dahin schwammen.
„Oh mein Gott!“, brachte ich nur hervor.
„Was... ist... hier... los?“
Sie kuckte mich aus ihren großen schwarzen Augen nun eher wütend an, als wäre alles meine Schuld. Nun ich musste gestehen, ich hatte meinen Anteil daran.
„Ich weiß es nicht... Ich weiß nur noch wie der Alarm ertönte, dann verschwamm alles...“, murmelte ich verwirrt.
Rein aus Gewohnheit starrte ich zum Himmel und betrachtete die Wolken. Entsetzen stand in meinen Augen. Es waren die Wolken. Sie schienen zurück zu starren, schadenfroh und voller Abschaum. Sina bemerkte den Blick und begriff.
„Es liegt an diesen Wolken richtig? Sie haben alles zerstört, sie haben alles unter Wasser gesetzt, ganz Berlin, wer weiß, vielleicht die ganze Welt, ist doch so, oder? Und das nur weil du und Noahs Vater, dieser Wahnsinnige, ...“
Tränen standen in ihren Augen, vernichtend und hasserfüllt.
Ich starrte zu Boden.
„Wir sollten schauen, ob hier noch jemand liegt“, sagte ich nach einiger Zeit.
Sie nickte nur grimmig und stützte mich, als sie sah, dass ich kaum vorankam. Bei jeden Schritt vibrierte in meinem Bein der Schmerz der Verletzung, aber auch der Gewissheit meiner Schuld, die sich in meinem Kopf festsetzte, wie ein unbarmherziges Raubtier. Noch dazu erschwerte dieser Schmerz mir, auf den schwimmenden Trümmern das Gleichgewicht zu halten.
Die Augen immer auf den Boden gerichtet, fanden wir schließlich einige meiner Kollegen, doch zu meinem Bedauern, war es für diese längst zu spät. Wir brachen unsere Suche letztendlich mit der Erkenntnis, dass sie nur noch mehr Trauer gebracht hatte, ab. Ich starrte wieder in diese verfluchten Wolken. Was waren das nur für Ungetüme? Sie schienen mich auszulachen. Ich wand schnell den Blick ab.
„Ist das... Berlin?“, fragte Sina, die Antwort schon wissend.
Sie starrte gebannt auf das Wasser in deren Tiefe sich einzelne Gebäude abzeichneten.
Ich folgte ihren Blick voller Entsetzen. Das war doch unmöglich! Wie konnten aus diesen Wolken solche Wassermassen regnen, die einfach so mal ganz Berlin überschwemmten? Sina riss mich aus meinen Gedanken.
„Ist das...Land?“
In der Ferne sah man tatsächlich so etwas wie eine Insel. Aber Gebäude waren darauf nicht zu erkennen. Vielleicht lag das aber auch daran, dass sie noch sehr weit weg schien. Es war als hätte man einfach so aus dem nichts etwas neues Land in eine blaue Suppe gesetzt, direkt über dem versunkenen Berlin. Wasser konnte so unbarmherzig sein.
Verwundert bemerkte ich, wie Sina sich an einem großen Trümmerteil zu schaffen machte.
„Was hast du vor?“
„Ja, was wohl? Ich will da rüber, oder willst du hier ewig auf diesen Trümmerhaufen verweilen und in deinen Schuldtränen ertrinken?“
Ich zuckte nur mit den Schultern. Mir war sowieso alles egal. Alles war verloren und ich war auch noch Schuld daran. Nur meine Tochter war mir geblieben, die sich anscheinend gänzlich von ihrer Trauer gelöst hatte und Hoffnung schöpfte, dass es auf dieser Insel noch Leben gab. Also half ich ihr, das Trümmerteil von den anderen zu entfernen und auf das freie Wasser zu legen.
Wir entledigten uns unserer Schuhe und Socken, die sowieso nur vor sich hin trieften.
Sie setzte sich vorne auf das Holzteil und deutete mir an, es ihr gleichzutun. Typisch. Sie meinte mal wieder sie müsste mich wie ein Kind behandeln und nicht umgekehrt. Ich setzte mich kopfschüttelnd und nicht ganz schmerzfrei hinter sie.
Es war sicherlich ein bizarrer Anblick, als wir dem Land, auf diesen Trümmerteil entgegen paddelten. Hoffentlich gehen wir nicht in diesem Sumpf des Todes baden. Wir paddelten also so dahin, unsere Schuhe zwischen die Beine geklemmt, Vater und Tochter, über dem versunkenen Berlin, voller Tränen im Gesicht, zumindest bei mir. Sina hatte es geschafft ihre Trauer zu überwinden. Manchmal dachte ich, ich, ein vierzigjähriger Mann, war eher ein Kind, als sie mit ihren zarten 16 Jahren.
Es erschien mir wie eine Ewigkeit. Das Wasser war eiskalt und schnitt böse Grimassen, wie in einem schlechten Traum. Alles war so unwirklich, so beklemmend, nicht greifbar, ich zweifelte echt langsam daran, dass dies wirklich geschah.
Als wir endlich am "Land" ankamen, völlig entkräftet und ich voller Tränen im Gesicht, da bei der Fahrt über Berlin alle Erinnerungen hochkamen, wie wenn das Leben endete, setzten wir uns auf den staubigen Sandstrand, verwirrt über die Tatsache, dass wir dieses Land noch nie gesehen haben. Es war bestimmt kein Überbleibsel von Berlin, nein es war ein völlig neues Land, das erkannte ich sofort.
Wir beschlossen uns erst mal auszuruhen, denn es war schon dunkel geworden. Diese Wolken waren trotzdem zu sehen, sie schienen sich auszubreiten, denn über dem Land schien eine einzige Decke von ihnen zu sein. Was waren das nur für Wolken? Was war das nur für ein merkwürdiges Land, eine Insel aus dem Nichts? Was war hier nur los?
Die Erschöpfung überdeckte jede schreckliche Erkenntnis und den Schmerz, der immer noch in meinem Bein pochte und sie brachte mich schließlich auch dazu einzuschlafen.
Mit einem entsetzlich lauten „Wach auf!“ weckte mich Sina. Sie wollte auf der Stelle das Land näher erkunden.
„Kannst du doch auch allein“, murmelte ich nur.
Sie sagte nichts weiter, kuckte mich nur mit ihren großen Augen an.
„Ist ja schon gut.“
Ich stand stöhnend auf. Mein Bein schmerzte immer noch, nicht mehr so stark wie gestern, aber immer noch stark genug, dass ich humpelte.
Sie kam und stützte mich wieder.
„Weist du was? Du kannst auch gerne hier bleiben, dann komm ich schneller voran“, meinte sie nun, ich schüttelte aber den Kopf.
Wir kamen nur mühsam voran. Das Land, vielmehr die Insel, schien größer, als ich erwartet hatte. Zu sehen war aber nicht viel. Kein Gebäude, keine Menschenseele. Einsamkeit erfüllte meinen Körper und brachte mich zum Zittern. Sina wirkte äußerlich völlig ausdruckslos, wie immer. Der Untergrund dieses Landes war außergewöhnlich. Von Dürre sprießende Flächen wechselten sich mit eingeschneiten Ebenen und Weiden, die ihre Blüten freudig den boshaft grinsenden Wolken entgegenstreckten. Das Klima dieser ins Meer gepflanzter Erdfläche schien völlig unkontrolliert. Nach ewigen sinnlosen Herumvegetieren kamen wir schließlich ans andere Ende des Landes, was sich – wie schon vermutet – als Insel herausstellte. Wir mussten schon einige Stunden unterwegs sein, waren halb verhungert und verdurstet, als Sina abrupt stehen blieb.
„Hast du das gehört?“, flüsterte sie ängstlich.
Die Kühle, die sie sonst immer zeigte, war verschwunden.
„Wen haben wir den da?“, tönte von irgendwo eine Stimme. Eine altbekannte Stimme.
Sina zuckte vor Wut.
„Warum haben die überlebt, die für dies hier verantwortlich sind?“, zischte sie wütend.
„Sina, passe auf was du sagst!“, zischte ich zurück.
„Professor Wolke, von wo kommen sie auf einmal her?“
„Sehr lustig, junge Dame, auch wenn die Situation alles andere als lustig ist, immer noch zum Blödeln aufgelegt.
Nur mal so: Wir drei sind wahrscheinlich die einzigen Überlebenden des Wolken-GAUs. Und bevor ihr fragt..., genau erklären kann ich auch nicht was passiert ist. Ich weiß nur, dass aus meiner Erfindung diese völlig neuen Wolkenarten entstanden sind. Aus was sie genau bestehen versuche ich seit Tagen herauszufinden, damit ich sie wieder entfernen kann. Sie sind unberechenbar und überfluten scheinbar nicht nur Land und zerstören es, sondern erschaffen auch neues wie diese Insel. Ich nenne sie Isle of cause, weil sie der Grund dafür ist, dass ich noch lebe, weil sie die Ursache für dieses ganze Chaos hier ist. Es sind nämlich nicht nur die Wolken. Habt ihr dieses Klima bemerkt? Es wechselt völlig unkontrollierbar. Ich bin hier schon seit zwei Tagen und seit dem hat es einmal geschneit, einmal geregnet und heute war es einfach nur bewölkt. Hier in der Nähe habe ich auch Nahrung gefunden und mir eine Hütte gebaut. Ja, da staunt ihr was. Ich bin auch Survival-Experte.“
„Das einzige was sie sind ist verrückt. Aber Nahrung und Hütte hört sich nicht schlecht an. Ich würde diese „Hütte“ nur zu gerne sehen. Aber wie kommen sie überhaupt hier her?“
„Ich war nicht weit weg von hier, als es passiert ist. Das Experiment wurde nämlich unter dieser Insel durchgeführt, also in dem versunkenen Teil, über dem diese Insel nun ist. Ich war ganz in der Nähe als es passierte und das Ergebnis scheint mir nahe zu das genaue Gegenteil von dem, was ich eigentlich erreichen wollte.“
„Und was genau ist passiert?“
Sie klang genervt. Sie hasste es, wenn dieser Professor, der Vater von Noah, ihrem Freund - nein Ex-Freund, wie sie mit einer Spur Bedauern feststellte - zeigen konnte, dass er mehr weiß als sie.
„Das kann ich, wie gesagt, nicht ganz erklären. Und das, was ich erklären könnte, würdest du sowieso nicht verstehen, keiner würde das.“
„Oh ja, das glaube ich allerdings auch. Übrigens, sind sie sicher, dass außer Ihnen wirklich niemand mehr hier ist?“
„Zumindest habe ich niemand anderen gesehen, bis jetzt.“
„Übrigens, frohes neues Jahr!“ Sina grinste. Sie schien das alles für eine amüsante Wendung ihres Lebens zu halten, oder sie begriff einfach nicht, was geschehen war. Verständlich. Ich begriff es ja selbst nicht.
Ich stand nur da und lauschte dieser komischen Unterhaltung. Mit diesem verrückten Professor will ich nichts mehr zu tun haben, denn er hat mein Leben versaut und mich auch noch dazu überredet mitzumachen. Seinetwegen habe ich nun alles verloren und habe auch noch Schuld daran. Ja, frohes neues Jahr! Ich schluckte mühsam die wieder aufkommenden Tränen herunter.
Wir gingen stumm weiter, um endlich zu dieser „Hütte“ zu gelangen.
Menschen sind doch so ignorant. Meinten sie könnten einfach über den Planeten herrschen. Es ist schon ein Wunder, dass sie immer noch ihr Unwesen hier treiben. Nur durch Glück haben in den letzten Jahren zum Beispiel einige Haiarten überlebt. Viel zu spät hatten sie endlich begriffen, dass sie ohne den Hai nicht überleben konnten. Zu ihrem Glück gibt es auch Menschen, die nicht so schwer von Begriff sind, aber die kann man an einer Hand abzählen.
- EVAN -
Offenbach, deutscher Wetterdienst – 2033
Warum dieses wahnsinnige Vorhaben erlaubt wurde, habe ich nie begriffen. Als ich meine Mutter besuchte, deren Sorgenfalten schon von Weitem glänzten, starrte sie verständnislos und besorgt auf ihren Monitor. Sie erwartete gerade zu, dass sich augenblicklich Veränderungen auf der Karte einstellen würden.
„Evan, was willst du hier! Wie kommst du hier rein? Ich hab dir doch gesagt, dass du mich auf keinen Fall bei der Arbeit auch noch nerven sollst. Außerdem weißt du doch es heute später wird.“
„Ja, ja ich weiß. Aber denkst du, ich lasse mir das entgehen? Ist doch klar, dass dieses Experiment, das dieser Psycho da plant, nicht gut gehen kann. Denkst du ich wäre sonst hier?“
Als würde ich sie von der Arbeit abholen oder so. Sie tut schon so, als könnte ich keine Sekunde allein sein. Sie muss endlich mal akzeptieren, dass ich kein Kind mehr bin. Sie behandelt mich wie eine lästige Küchenschabe, die ihr das Essen wegfraß. Traurig ist so was. Ich wünschte manchmal einfach ich hätte eine andere Mutter. Außerdem was heißt hier: „auch noch nerven“? Wenn hier jemand nervt, dann ist sie das wohl!
„Ach, du hast doch keine Ahnung!“, murmelte sie.
„Ja, aber ich kann sehen, dass jeder hier so denkt.“
„Ist doch nicht meine Schuld. Wenn es nach mir ginge, würde dieses Experiment nie durchgeführt werden.“
Ich stellte mich demonstrativ neben sie und glotzte auf die Wetterkarte.
„Verstehst du überhaupt, was da abgebildet ist?“
„Ja, also ganz so dumm wie du tust, bin ich auch nicht!“
Sie schüttelte nur den Kopf. Wahrscheinlich verfluchte sie mich innerlich wieder. Sie ist einfach das Letzte. Mit was habe ich nur so eine Mutter verdient?
„Was zum Teufel...!“, stieß sie auf einmal hervor.
Auch ich erstarrte.
„Ist das irgendeine Störung, oder wieso sind da auf einmal riesige rot blinkende Wolken? Ist da ein Sturm, oder was?“
„Keine Ahnung. Ich nehme mal an, dass das Experiment durchgeführt wurde und das ist jetzt schon eine Auswirkung.“
Sie versuchte ihre aufkeimende Panik zu verbergen, aber was man nicht hörte, sah man ihr an.
Eine ihrer Kolleginnen meldete sich zu Wort. Eine etwas - wie soll ich es sagen - kräftig gebaute Frau.
„Sabine, uns erreichen grade Nachrichten aus Berlin. Anscheinend gab es einige Erdstöße und Überschwemmungen in der Gegend... Sabine?“
Meine Mutter war mal wieder sprachlos. Völlig verdattert, als würde sich der Weltuntergang auf ihrer Wetterkarte abzeichnen, starrte sie auf den Monitor. Typisch für sie. Wenn es brenzlig wird sagen, man soll die Ruhe bewahren und selbst...Der Job war noch nie was für sie. Ich habe mich schon des Öfteren gefragt, wie sie ihn bekommen hat.
Hätte ich doch damals nur geahnt, das mein ironischer Gedanke an den Weltuntergang gar nicht so verkehrt war...
Jetzt bekamen sie wieder die ganze Schuld, dass sie nicht rechtzeitig eine Warnung oder dergleichen herausgegeben haben. Aber wie hätten sie denn ahnen können, dass dieses Experiment dermaßen schief geht? Sie haben es ja nur schon alle vermutet und nichts gesagt, ja, ja...
Dann spürte ich wütendes Wasser gegen die Wände drücken, unbarmherzig und voller Kälte, sah auf den Monitor, dann in das starre, bewegungslose Gesicht meiner Mutter, dann aus dem Fenster. Ich sah, wie aus dem nichts diese komischen Wolken auftauchten: grau, boshaft, schadenfroh. Wie in ihren Blicken Rache auffunkelte, Rache für das, was die Menschheit dem Klima angetan hatte, zischte eine Stimme in mir.
Schwarz und den Tod bringend näherten sie sich. Das Wasser drückte weiter gnadenlos. Auch im Gebäude war es dunkel und nichts regte sich. Nur weinerliche Schreie ertönten aus dem Nichts. Es war wieder typisch. Man stellt sich immer auf den Ernstfall ein und wenn er dann kommt, erstarrt alles und niemand macht etwas. Dazu kam noch das Gefühl, das dieses Nichtstun nicht nur von der Angst herkam. Die grinsenden Fäden der wolkenhaften Gebilde am Himmel, die sich wie ein Teppich über die Landschaft legten und deren Farbe und Energie aussaugten, bestätigten mir diese Ahnung.
Menschen sind doch so hilflos. Es war eine wahre Freude mit anzusehen, wie sie dahinschieden, wie sie viel zu spät erkennen, dass es mit ihnen zu Ende geht, sodass sie nicht mehr tun können. Uns können sie sowieso nicht aufhalten, nur erschaffen und vermehren.
2034
- UDO -
Isle of cause
„Hält die überhaupt?“, fragte Sina beim Anblick der sehr improvisiert wirkenden Hütte.
„Klar. Außerdem kannst du froh sein, wenn du überhaupt ein Dach über dem Kopf hast.“
„Schon, aber nicht wenn dieses beim kleinsten Windstoß auf mich fällt.“
„Sina, du bist echt unmöglich! Ich verbitte mir, das du mit dem Herrn Professor so redest.“
Sie grinste mich genervt an.
„Jetzt tu nicht wieder so, als wäre ich irgendein kleines Kind und als wäre dieser Verrückte irgendetwas Besseres!“
Sie war echt unmöglich, aber ich sah ein, dass diskutieren bei ihr sowieso nichts brachte und beäugte stattdessen kritisch den Holzbau. Die „Hütte“ stellte sich als ein schlecht zusammengezimmerter Holzhaufen heraus, da hatte Sina schon Recht. Das Holz wirkte etwas morsch und alt und die Hütte nahm das unheimliche Schwarz an, das sich auf der ganzen Insel immer wieder abzeichnete. Aber besser als unter freien Himmel, oder besser, als unter diesen Wolken zu schlafen, die nur darauf warteten den entscheidenden, tödlichen Schlag auszuführen.
Sina folgte nach einigem Zögern, ließ sich in eine Ecke fallen und rollte sich zusammen, wie ein eingeschüchtertes kleines Mädchen, was aber ihrem Äußeren gar nicht entsprach.
„Bei der Einrichtung haben sie sich aber besonders Mühe gegeben, das muss ich Ihnen lassen.“ Sie schaute sich demonstrativ um, denn es gab nichts außer kahles, schwarzes Holz zu sehen. Weit oben war der Ansatz eines Fensters, der aber auch eher dazu diente Luft hereinzulassen, als zum Ausblick.
Der Professor schien die hungrigen Blicke zu sehen, oder den Hunger von uns förmlich zu spüren und deutete auf ein paar seltsame Pflanzen.
„Ihr habt doch sicher Hunger?“
„Und das sollen wir jetzt essen?“
Auch ich betrachtete misstrauisch die kürbisartigen Pflanzen. Ein giftgrüner, stacheliger Stiel mit einem rötlichen, gigantischen Fruchtkörper.
„Sie essen zuerst!“, zischte Sina
„Keine Sorge, das habe ich bereits gestern. Aber falls es dich beruhigt esse ich nochmal etwas davon.“
„Schmeckt wohl nicht besonders.“
„Du kannst froh sein, dass ich in dieser Todeslandschaft überhaupt etwas Essbares gefunden habe.“
Er machte sich grimmig an das Schälen dieses Monstrums. Es gab widerliche schmatzende Laute, als er die stachelige Schale mit einem selbst geschnitzten Messer abschabte.
Sina verzog angewidert das Gesicht. Ich zweifelte, ob sie überhaupt etwas davon runter bekommen würde. Mir ging es da ähnlich. Erst recht als der Professor ein Stück mit seinem verschmierten schwarzen Messer abschnitt und genüsslich rein biss.
„Es ist ähnlich wie eine Kokosnuss. Es gibt Fruchtfleisch und Saft. Eine ideale Frucht um hier so halbwegs durchzukommen.“
Vorsichtig biss ich von dem Stück, das er mir reichte, ab. Es schmeckte überraschend gut, leicht süßlich, wie eine Ananas.
Als Sina jedoch abbiss, verzog sie angewidert das Gesicht.
Ich wusste nicht, ob es ihr nicht schmeckte, oder ob sie einfach nur angewidert war, weil der Professor gerade mit einem scheußlichen Schlürfen den Saft, wie aus einer Schüssel trank.
Trotz des Ekels überwog - bei mir zumindest - der Durst. Nun verzog auch ich mein Gesicht. Der Saft schmeckte im Gegensatz zur Frucht etwas bitter und ich zweifelte
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 01.05.2014
ISBN: 978-3-7368-0677-1
Alle Rechte vorbehalten