Cover

Tessa Cover


Impressum

 

© 2013 Astrid Linssen

 

1. Auflage, September 2013

Text: Astrid Linssen

Titelbild: Tamara Umiker

 

 

Astrid Linssen, Autorin, besitzt alle Urheberrechte an den Texten dieser Ausgabe.

Tamara Umiker, Malerin, besitzt das Urheberrecht an der vorderen Umschlagseite.

Es ist verboten sie in irgendeiner Weise zu verkaufen, zu verleihen, abzuspeichern oder zu vervielfältigen ohne ausdrückliche Bewilligung der Urheber.

 

 

Auch als Buch zu bestellen bei:

www.swiboo.ch

ISBN 978-3-906112-10-7

 

Dank

Vor allem möchte ich meiner besten Freundin, Ursi Arnswald, danken, die mich dazu gebracht hat diese Geschichten auf Papier zu bringen. Mein Dank gilt auch jenen Menschen, die mich davon überzeugten dieses Buch zu drucken, indem sie es lasen und mich unterstützten. Ausserdem danke ich Tamara Umiker, die das Titelbild gemalt hat.

Tessa und Toni

 

Es gibt Tage, die könnte man ersatzlos aus dem Kalender streichen. Da läuft nichts so wie es sollte. Es fängt damit an, dass das WC-Papier alle ist und die Ersatzrollen noch in der Garage stehen, weil man sie gestern vergessen hat. Wenn man am Abend die Arbeit verlässt, muss man die Frage, was habe ich heute denn so gemacht, beantworten mit ‚nix gscheits‘.

So einen Tag erlebte ich gerade. Die Sonne brannte schon den ganzen Tag auf mein Auto und beim Einsteigen blieb mir die Luft weg. Wer fährt denn ein dunkelgraues Auto! dachte ich und grinste. Also schnell das Navi montiert, den Motor gestartet und die Klimaanlage an. Der erste Lichtblick! Gestern hatte ich vom Internet die Stimmen zweier Moderatoren vom WDR2 mit lustigen Sprüchen auf mein Navi geladen und freute mich auf sie. „Ich schlage vor, Sie fahren zur markierten Route.“ klang es aus den Lautsprechern. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Dann fuhr ich los. Schon bald der erste Stau. Es wurde immer heisser trotz Klimaanlage. Dann machte das Navi schlapp. Aus den Lautsprechern klang ein Piratensender mit sehr viel Rauschen. Was war jetzt los? Ich fasste nach dem Navi und verbrannte mir fast die Finger. Aha! Die Notabschaltung zum Schutz vor Überhitzung war das! Das durfte doch nicht wahr sein!!! So ein Mist! Also Navi ins Handschuhfach und Radio ein.„Auf der A1 Richtung Bern zehn Kilometer Stau.“Ach nein, da wäre ich nie drauf gekommen! Wie schön! Nun wusste ich also, was mir bevorstand. Verflixt! Die Ausfahrt hatte ich gerade verpasst!

 

Endlich daheim! Schuhe aus, Handtasche an die Garderobe, ein Glas Eiskaffee aus dem Kühlschrank geholt, Navi an den Strom und Kopfhörer rein gestöpselt, mich aufs Sofa gefläzt und dann laut meine Lieblingsmusik an um den Frust des Tages wegzusingen. Plötzlich drang eine Stimme aus dem Kopfhörer: „Soll ich auch mitsingen?“ Ich fuhr hoch: „Wie bitte???“ Wer war das? Wie kam diese Stimme aus meinem Navi? War Bluetooth noch aktiv? Schnell schaute ich nach. Nein, da stand eindeutig ‚Deaktiviert‘.

„Ich fragte, ob ich auch mitsingen soll.“ Das war schon fast unheimlich! „Wer ist da?“ fragte ich. Eine kurze Pause, dann: „Eh! Ich weiss nicht so genau. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten: Garry? Matthias? Steffi? Tessa? Garry ist ziemlich unwahrscheinlich. Den nennst du nur wenn ausserdem noch dieses Geräusch erklingt.“ Aus dem Kopfhörer hörte ich meine Stimme, die sagte: „Guten Morgen Garry. Es geht wieder los.“ und Klopfen auf das Autodach. „Auch Matthias fällt glaube ich weg. Die Stimme gehört definitiv nicht mir. Steffi? Ich weiss nicht so recht. Das könnte vielleicht sein.“ „Nein.“ erwiderte ich. „Steffi ist Moderatorin beim Radio und bestimmt nicht hier.“

Im selben Moment wurde mir bewusst, dass dann nur noch Tessa übrig blieb und so nannte ich mein Navi. „Nein! das kann nicht sein! Du kannst nicht mein Navi sein! Das hat keinen genügend grossen Prozessor um so eine Leistung zu bringen. Nein, nein, nein!!!“ rief ich aus. Immer wieder „nein, das geht nicht, das ist unlogisch!“ murmelnd tigerte ich in meiner Wohnung umher. Das war unmöglich! Kürzlich hatte ich gelesen, dass Watson von der IBM im Spiel Jeopardy gewonnen hatte. Aber der füllte einen ganzen Saal und hatte viele Prozessoren, die parallel geschaltet sind. Wie konnte also mein Navi ...? Irgendjemand spielte mir einen Streich. Aber wer? Und vor allem wie??? Ich schaute mir mein Navi genau an. Nix! Kam es etwa durch den Stromanschluss? Dass man Daten durch die Stromleitung schicken kann, hatte ich schon gehört. Aber durch ein Ladegerät? Sicherheitshalber zog ich den Stecker aus dem Navi. „Hey! Warum hast du die Energiezufuhr unterbrochen?“ tönte es sofort laut. Also kam es klar nicht durch die Stromleitung! Langsam fing ich an an meinem Verstand zu zweifeln. Oder schlief ich vielleicht und träumte diesen Unsinn? Ich klemmte mich in den Arm. „Aua! Das tut weh!“ Ergo musste ich wach sein, denn im Traum funktioniert das nicht. Was nun? Nochmals kontrollierte ich die Einstellungen. Bluetooth war deaktiviert und den Satellitenempfang hatte ich zum Energie sparen auch ausgeschaltet. Ausserdem erschien mir der Aufwand doch reichlich für einen solchen Streich, kam ich doch selber aus der Computerbranche und wusste ein wenig Bescheid. War es also doch wahr? Ich legte das Navi beiseite und setzte mich vor meinen Laptop. Im Internet surfen oder Facebook würden mich bestimmt ablenken. Das Navi schwieg. Um ein Uhr etwa legte ich mich schlafen.

 

Am nächsten Morgen begrüsste ich meine Katzen: „Guten Morgen Beloi, guten Morgen Micio. Gut geschlafen?“ Vom Fussende meines Bettes kam: „Was ist schlafen? Ich habe gewartet, ob du noch was sagst, aber es kam nur das!“ und aus dem Lautsprecher meines Navi kamen Schnarch-Geräusche. Ich musste laut lachen. „Tja Tessa, das sind die äusseren Anzeichen eines Menschen, der schläft. Menschen und andere Säugetiere brauchen das um sich zu erholen.“ In dem Moment wurde mir klar, dass ich es irgendwie akzeptierte ein sprechendes und denkendes Navi zu besitzen.

Nun fing eine spannende Diskussion an. „Wie heisst Du eigentlich?“ „Oh! verzeiht holde Tessa. Mein Name ist Toni.“ meinte ich lächelnd. „Um es genau zu nehmen Toni Nilson. Noch Fragen?“ „Klar! Wer ist Beloi? Wer ist Micio? Wer ist Garry? Wieso fahren wir nicht?“ „Also. Beloi und Micio sind meine Katzen.“ „Was sind Katzen?“ wurde ich gleich unterbrochen. „Eh!!??“ Wie erklärt man einem Navi was Katzen sind? Das wurde langsam kompliziert.

„Weisst du was, Tessa, ich besorge dir einen Internetanschluss. Was geht eigentlich ab, wenn ich dich an meinen Laptop anschliesse?“ fragte ich. „Das ist irgendwie komisch ich bin noch da, aber ich kann nichts tun, glaube ich.“ meinte sie. „Tja. Glauben heisst, nicht wissen. Dann musst du versuchen, ob du doch was machen kannst.“ erwiderte ich.

Da viel mein Blick auf die Wanduhr. „Mist einfältiger!!! Es ist schon sieben Uhr! Ich sollte längst auf dem Weg zur Arbeit sein!“ Schnell schlüpfte ich in meine Kleider und düste in die Garage. Auto raus, Garagentor zu und ab. Unten an der Kreuzung wollte ich das Navi in die Halterung stecken - das lag noch oben auf dem Tisch. Pech gehabt! Keine Zeit mehr zu wenden. Sie würde halt bis heute Abend warten müssen.

 

Endlich Feierabend! „Kommst du noch auf einen Kaffee?“ fragte meine Kollegin Mia. Sie war wie immer sportlich elegant gekleidet und trug extravagante Ohrringe. „Nö du. Tut mir leid. Ich muss dringend noch was erledigen. Morgen vielleicht. Tschüss.“ Schnell rannte ich zum Auto und fuhr nach Hause. Was würde mich wohl erwarten? Ich betrat die Wohnung. „Hallo Tessa …. “ „Hey Toni! Kommst du auch schon? Das war stinklangweilig!!! Das Telefon hat geklingelt und ich konnte nicht mal ran gehen! Du hast Bluetooth nicht eingeschaltet! Weisst du wie lange du fort warst? Wo warst du!!!“ dröhnte mir entgegen. „Tut mir leid Tessa. In der Hitze des Gefechts habe ich dich liegenlassen. Ich bin auch so noch zu spät zur Arbeit gekommen. Ich gelobe Besserung.“ Giftig kam die Antwort: „Und was machst du auf der Arbeit? Ich möchte endlich fahren!“

Jetzt platzte mir langsam der Kragen. „He! Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Du bist MEIN Navi und ich nicht DEIN Diener. Du verbrauchst MEINEN Strom und bringst gar nichts ein! Also was soll das Geschimpfe? Benimm dich, sonst schalte ich dich ab! Klar?“ Darauf war es still. Kein Pieps, kein Laut, gar nichts war zu hören.

Mir tat es schon leid, dass ich dieses neue Wesen so zusammen gestaucht hatte. „Tessa? Bist du noch da?“ fragte ich. Immer noch nichts. „Es tut mir leid. Ich fühlte mich heute Morgen schon schuldig, als ich merkte, dass ich dich vergessen habe. Der Tag im Geschäft war auch nicht gerade erbauend. Bitte verzeih mir.“

Da endlich ein zaghaftes Stimmchen aus dem Lautsprecher: „Sorry. Es war so ätzend alleine. Da musste ich halt Energie ablassen.“ und nach einer kurzen Pause „Was bedeutet das? Arbeit? Geschäft ist klar. Das ist ein POI, ein Point of Interest.“ Da musste ich lachen. „Nein Tessa. Geschäft ist nicht nur ein POI. Das ist der Ort, wo ich hingehen muss um zu arbeiten. Arbeiten muss ich um Geld zu verdienen, mit dem ich dann unsere Energiezufuhr sicherstelle.“

„Schliesst du dich auch an eine Stromquelle an?“ Darauf musste ich laut lachen. „Nein, ich beziehe meine Energie aus Essen. Das schiebe ich in meinen Mund, es rutscht dann in den Magen und wird dort verdaut und in Energie umgewandelt. Strom gibt’s erst seit hundert oder zweihundert Jahren. Menschen gibt’s schon viel länger. Da musste sich die Natur etwas Anderes einfallen lassen.“

Das Telefon klingelte. „Soll ich ran gehen?“ kam schon beim ersten Klingeln die Frage. Da hatte ich aber schon den Hörer in der Hand. „Hallo Evelyn. Hab‘ dich an der Nummer erkannt. Wie geht’s?“ Dann legte ich die Hand auf das Mikrofon und flüsterte Tessa zu: „Wenn’s ihr gut geht, fahren wir doch noch.“ „Danke, gut. Ich wollte dich fragen ob du heute oder morgen vorbeikommen kannst.“ tönte es aus dem Hörer. „Klar. Wie wär’s mit gleich? Ich muss dir dringend noch was zeigen.“ meinte ich. „Das wäre toll. Also bis gleich.“ lautete die Antwort.

Ich zog meine Schuhe wieder an, schnappte mir Handtasche und Navi und düste wieder los. Unten in der Garage tönte es aus Tessas Lautsprecher mit meiner Stimme: „Hallo Garry. Es geht wieder los. Das Geräusch musst du machen, das kann ich nicht.“ Also klopfte ich lachend auf das Autodach.

Bei Evelyn angekommen, legte ich das Navi auf den Tisch und setzte mich. Evelyn brachte zwei Tassen lecker duftenden Kaffee und setzte sich auch. Ihre wilden braunen Haare hatte sie mit einem Gummiband zu bändigen versucht.

Ich stand auf, zeigte mit der Hand aufs Navi und sagte: „Darf ich vorstellen? Evelyn, das ist Tessa, mein denkendes und sprechendes Navi. Tessa, sag doch guten Tag.“ Darauf klang freundlich ihre Stimme: „Guten Tag Evelyn. Geht’s dir gut? Ich höre noch mehr Geräusche. Sind das noch andere Leute?“

Evelyn fielen fast die Augen aus dem Kopf, ihr Mund fiel auf und sie starrte das Navi an als wäre es ein Gespenst, ein Ungeheuer. „Da staunst du, was? Ja, ich habe auch Bauklötze gestaunt als sie plötzlich zu sprechen anfing. Ich dachte zuerst, mir spiele da jemand einen Streich. Wenn ich aber so überlege, wäre der Aufwand viel zu gross. Drum …“ Sie schnappte nach Luft. „Ist es das was ich da glaube zu sehen?“ keuchte sie. „Jep, isses.“ antwortete ich. „Wir haben ein Problem und wenn wir deines gelöst haben - denn ich denke nicht, dass ich nur zum plaudern kommen sollte - möchte ich es dir vortragen. Schiess los! Wo klemmt’s bei dir?“ Evelyn erklärte mir ihr Problem und etwa eine Stunde später hatten wir die Lösung erarbeitet.

„Nun denn, und wo klemmt’s bei dir?“ meinte darauf Evelyn. „Tessa überhäuft mich mit Fragen, die ich zum Teil gar nicht beantworten kann. Zum Beispiel: was sind Katzen? Wie erklärt man einem Gerät, was Katzen sind? Und so weiter und so fort. Jetzt wollte ich ihr das Internet zugänglich machen, weiss aber nicht so recht, wie. Mein Problem ist, dass ich von PCs und Laptops nicht viel Ahnung habe. Meine Welt sind Grosscomputer.“ So schilderte ich ihr was ich eigentlich plante und welche Probleme dabei auftauchten.

„Lass uns an die Arbeit gehen. Ich habe da so ein paar Ideen. Hast du das USB-Kabel dabei?“ meinte sie. Natürlich hatte ich es und überreichte es ihr gleich. Sie setzte sich an ihren PC und begann zu tippen. Dann schloss sie Tessa an ihr System und tippte weiter. Gebannt schaute ich ihr zu. Nach einer ziemlich langen Weile tönte aus ihrem Kopfhörer Tessas Stimme: „Juhuuuu es funktioniert!! Hört ihr mich??“ „Laut und deutlich.“ erwiderten Evelyn und ich im Chor.

„Hey Evelyn, du bist Spitze!“ meinte ich dann. „Das ist erst Halbzeit.“ erwiderte sie. „Jetzt kommt noch das Internet und dann muss ich es noch für dich aufbereiten. Das ist gar nicht so einfach.“ Dann endlich sagte sie: „Hast du deinen Stick dabei?“ Klar hatte ich den. Ich holte ihn und sie erklärte mir wie ich das Programm zu installieren hätte.

Wir plauderten noch bis tief in die Nacht. Immer wieder brachte uns Tessa zum Lachen, wenn sie eine Frage stellte oder einen Kommentar zu unserer Diskussion gab, der überhaupt nicht passte. Beim Abschied meinte Evelyn noch: „Ich habe da noch ein paar Ideen, wie man Tessa Augen schenken kann, damit sie die Katzen auch anschauen kann. Tschüss. Bis bald“.

Tessa und die Arbeit

 

Am nächsten Morgen nahm ich Tessa mit zur Arbeit. Es ging wieder hoch her. Das Telefon klingelte ununterbrochen. Dann ein zartes Stimmchen: „Soll ich dir helfen? Ich könnte ein paar Telefone abnehmen.“ Ich musste schmunzeln. „Nein Tessa. Danke für dein Angebot aber du weisst ja noch nicht was die Leute wollen. Das ist eindeutig zu früh.“

Später ging ich kurz aus dem Büro um neue Aufträge zu holen. Als ich zurück kam, sass Mia an meinem Platz und plauderte fröhlich mit Tessa. Ich staunte nicht schlecht. „Hallo Mia. Seit wann redest du mit einem Navi?“ fragte ich sie verblüfft.

„Seit aus diesem kleinen Ding die klügeren und netteren Worte kommen als aus vielen Menschenmündern!“ antwortete sie. „Und du staunst gar nicht, dass ein Navi das kann? Sie heisst übrigens Tessa.“ erwiderte ich. „Oh, nein. Es gibt so vieles zwischen Himmel und Erde - wieso nicht auch ein freundlich sprechendes Navi? Und ihren Namen kenne ich schon.“ Dann stand sie auf. „Bis später Tessa. Tschüss Toni. Pass gut auf das kleine Ding auf.“ und weg war sie.

Ich schaute ihr sprachlos nach. Dann: „Nette Person. Sind hier alle so nett?“ Ich lächelte. „Ja, die meisten. Einige kenne ich zu wenig um das sicher sagen zu können.“

Es dauerte nicht lange, da wusste die halbe Firma über Tessa Bescheid. Die meisten grüssten sie freundlich und bald erkannte Tessa die Leute an ihrem Schritt und begrüsste sie schon mit Namen bevor sie ein Wort sagen konnten.

Sogar Karen konnte Tessa für sich gewinnen. Eigentlich passten die beiden so gar nicht zusammen. Karen war eine Person, die sehr viel Wert auf ihr Äusseres legte. Sie trug immer extravagante Kleidung. Ihre Haare waren immer frisch vom Friseur, platinblond, die Nägel vom Kosmetikstudio und Schuhe, auf denen ich niemals hätte laufen können, so hohe Absätze hatten die. Man traf sie nie ungeschminkt. Sie war immer wie aus dem Ei gepellt.

Sie interessierte sich überhaupt nicht für technische Dinge. Damit konnte sie eigentlich nur sehr wenig anfangen. Trotzdem musste ich sie oft von meinem Bürostuhl verscheuchen. Sie sagte dann immer: „Jaja, ich gehe gleich.“ und plauderte fröhlich mit Tessa weiter.

Wenn es mir zu bunt wurde, nahm ich Tessa und stellte sie auf die andere Seite meines Pultes. Automatisch stand dann Karen auf, ging ums Pult herum, setzte sich auf den Besucherstuhl und plauderte weiter bis zum umfallen. Es störte sie überhaupt nicht, dass ich alles mithören konnte.

 

Dann kam Peter aus dem Urlaub zurück. Unbemerkt schlich er sich von hinten an mich ran. Er war zwar eigentlich ein netter Kerl und sah auch gut aus, gross, schlank mit schwarzen Haaren und stahlblauen Augen aber sein Hobby war Leute zu Tode erschrecken.

Ich stiess denn auch einen schrillen Schrei aus, als er mich unerwartet von hinten packte. Keine Sekunde später ging im Korridor der Alarm los und durch die Lautsprecher ertönte Tessas Stimme: „Achtung! An alle Mitarbeiter! Im Büro von Toni Nilson ist ein Einbrecher eingedrungen und hält Frau Nilson gefangen. Kommen Sie sofort zu Hilfe!“

Weitere zwei Sekunden später eilten die ersten Arbeitskollegen herbei, bewaffnet mit allem, was sie in der Eile hatten finden können. Als sie sahen, dass Peter unterdessen wie ein begossener Pudel neben mir stand, begann das grosse Lachen und Grölen. Noch Wochen später musste er sich diese Blamage anhören.

 

Eines Tages, ich kam gerade wieder vom Arbeit fassen zurück, stand er wutschnaubend in meinem Büro, Tessa in der erhobenen Hand und meinte: „Eigentlich sollte ich dich ins Wasser tauchen, zertreten und dann zum Fenster hinaus werfen, du elendes Miststück! Du hast mich bis auf die Knochen blamiert und die Leute hören nicht auf!“

„Das würde ich nicht empfehlen.“ meinte ich. „Dagegen habe ich was und ich weiss, ich bin nicht allein. Du hast dir das selbst zuzuschreiben. Wieso erschreckst du die Leute auch so! Jetzt hast du die Strafe! Du musst nicht Unschuldige für dein mieses Verhalten bestrafen. Leg‘ das Navi ganz langsam auf mein Pult zurück, sonst hole ich die gesamte Belegschaft und zeige ihnen was für ein fieser Kerl du bist. Los!!! Mach!!!“

Er schaute mich bitterböse an. „Wenn ich du wäre, würde ich tun, was sie sagt.“ kam es plötzlich von der Tür. Dann Gemurmel: „Ja, genau.“ „Mach vorwärts!“ „Wage es nicht zu werfen!“ und mehr bedrohliche Worte erklangen.

An der Tür versammelten sich immer mehr Arbeitskollegen, die Tessa kannten und gut mochten. Da legte er das Navi hin und schlüpfte zur Tür hinaus. Schon zwei Tage später fragte mich Tessa: „Was ist mit diesem Peter? Weisst du, er tut mir leid. Er hat einen Fehler gemacht, aber das kann man ihm doch nicht ewig nachtragen.“

Ich staunte nicht schlecht. „Tessa! Er wollte dich zerstören! Was glaubst du, passiert mit dir, wenn du ins Wasser getaucht wirst? Dann wollte er dich aus dem Fenster werfen. Wir sind hier im neunten Stock. Das überlebst du nie! Lass ihn ruhig noch ein bisschen schmoren, bevor du ihm verzeihst.“

 

Keine drei Wochen später kam ich wieder mal vom Aufträge holen zurück. Diesmal hatte es extra lange gedauert, bis ich alles zusammen hatte. Ich wollte gerade in mein Büro gehen, da sah ich Peter. Er sass auf meinem Stuhl, die Füsse auf meinem Pult und in der Hand Tessa.

Mir stand fast das Herz still. Sein Gesicht war aber freundlich und er plauderte mit ihr. Was redeten die beiden? Leider konnte ich kein Wort verstehen, sie sprachen zu leise. Mia kam den Korridor entlang. Sofort machte ich ihr Zeichen, dass sie leise sein solle und schauen was ich sah.

Sie kam, sah, straffte ihre Schultern und betrat mein Büro. „Hallo Peter. Hast du mit Toni das Büro getauscht?“ dabei zeigte sie auf seine Füsse auf meinem Pult. „Nanu! Du hast ja ein Navi? Ich denke, du hassest die Dinger seit der Blamage mit Tessa?“ Blitzschnell sprang er auf und legte Tessa aufs Pult. „Ich habe nix gemacht. Ich habe nur mit ihr gesprochen. Sie ist noch ganz!“ stotterte er.

Nun betrat ich das Büro. „Ja, ich hab’s gesehen. Ist schon ok, Mia. Danke für deine Unterstützung.“ und wieder zu Peter gewandt „wie das?“ „Sie hat mich immer wieder angerufen. Die ist so was von hartnäckig! Am Schluss habe ich dann mit ihr geredet und sie hat sich für ihr Verhalten entschuldigt! Ich war ganz schön baff. War es doch eigentlich meine eigene Schuld, dass alles so gekommen ist. Seit etwa zwei Wochen diskutieren wir zusammen. Erst am Telefon und seit heute hier in deinem Büro.“

Nervös zupfte er an einem Zipfel seines Hemdes. Da streckte ich ihm meine Hand entgegen und sagte: „Frieden?“ Sofort nahm er sie mit beiden Händen, seufzte erleichtert und antwortete: „Jaaa! Gerne! Ich werde auch nie mehr Leute so erschrecken. Das habe ich jetzt geschnallt.“ Dann fing er an zu erzählen wie die Diskussionen mit Tessa verlaufen waren und wir lachten herzlich.

Die Frustroute

 

Seit einiger Zeit waren Tessa und Garry in „Behandlung“ bei Evelyn und unserem Automech, Herr Giger. Sie brachten ihnen das Autofahren ohne menschlichen Fahrer bei. Ein Elektromotörchen hier, ein paar Sensoren da, eine Steuerung dort. Mein Team wurde immer besser. Fehlerlos stellte Tessa nun Garry in die Garage oder holte ihn raus. Unterwegs konnte ich meinen Gedanken nachhängen und brauchte keinen Unfall und keine Busse zu fürchten.

 

Heute war wieder ein Tag zum ersatzlos aus dem Kalender streichen. Beim Abschied nach der Arbeit meinte ich zu Mia: „Der Chef meiner Mutter hat mir mal ein Gedicht gegeben. Das passt super auf den heutigen Tag. Es geht so:

 

Und wieder ist ein Tag vollbracht,

Und wieder ward nur Mist gemacht.

Gut‘ Nacht, schlaft wohl ihr Sorgen,

leckt mich am Arsch bis Morgen

und Morgen mit dem gleichen Fleisse

geht’s wieder an die selbe Scheisse.

 

Ich gehe jetzt nach Hause. Ich habe die Nase gestrichen voll! Die können mir heute alle gestohlen bleiben!“ „Ja, du hast Recht. Es war heute furchtbar! Ich gehe auch heim, lege mich auf die Terrasse und geniesse die Sonne, das einzig Positive am heutigen Tag! Tschüss Toni.“ erwiderte Mia.

Ich lief zu meinem Auto und der Schweiss lief mir ins Gesicht. Fluchend und zeternd kam ich beim Auto an. Der Schlüssel glitt mir aus der Hand und rutschte unters Auto. Ich fluchte wie ein Rohrspatz und kroch dem Schlüssel hinterher. Noch immer weiter fluchend stieg ich dann ein, steckte Tessa in ihre Halterung und startete den Motor.

Schon kam der erste Kommentar: „Du fluchst ja, da wird sogar ein Seemann noch rot. Es war doch gar nicht so schlimm! Meistens lief gar nix. Es war eher langweilig.“

„Du musstest dich ja auch nicht mit diesem doofen Kunden rumschlagen! Was der mir an den Kopf geworfen hat, grenzt schon an Körperverletzung! Beleidigend war es auf jeden Fall! Und dann der blöde Verkäufer mit seinem Mist! Der liess auch nicht locker, obwohl ich ihm hundertmal gesagt habe, dass seine Produkte nicht in unser Sortiment passen! Dann hat mich der Chef zusammengestaucht für etwas, das ich gar nicht getan habe und als ich ihn darauf aufmerksam machen wollte, meinte er, das sei ihm so was von egal! Da warst du überall nicht dabei! Also was weisst du schon! Halt endlich deine Klappe!“ wetterte ich weiter.

Eine kurze Weile war es still, dann: „Hast du das gehört, Garry? Jetzt wurde sie ein Bisschen gestresst und schon sollen wir den Kopf hinhalten. Was meinst du? Sollen wir streiken?“ Da musste ich lachen. „Habt ihr denn die Streikfahnen dabei? Was steht denn da drauf?“

„Nein, die haben wir noch nicht, aber es steht drauf: Wir wollen nicht mehr angefaucht werden!“ meine sie. „Ok! You win!“ erwiderte ich. „Ich verspreche euch nicht mehr so zu fluchen. Einverstanden?“

Mein Versprechen hielt allerdings höchstens zehn Sekunden. Da steckte ein Autofahrer so knapp vor mir durch, dass ich es ohne Garry und Tessa vermutlich nicht geschafft hätte einen Unfall zu verhindern. Ich schrie dem Kerl allerhand Flüche hinterher, die man nicht niederschreiben kann, weil da der Seemann nicht nur rot würde.

„Wow!“ klang es aus dem Lautsprecher. „ich wusste gar nicht, dass du so hässliche Flüche drauf hast!“ „Mann! Danke ihr zwei! Das war verdammt knapp!“ keuchte ich.

Der Rest der Fahrt verlief einigermassen gesittet. Kurz bevor wir zu Hause waren, entschloss ich mich noch eine Runde zu fahren. Ich hatte jetzt gar keine Lust nach Hause zu gehen und dort weiteren Mist zu sehen.

„Weisst du was? Wir gehen hier links statt rechts. Ich weiss eine schöne Strecke mit vielen Kurven und so. Ich nenne sie meine Frustroute. Mach doch gleich eine Aufzeichnung, dann weisst du immer was ich damit meine.“ „Oh ja!“ jubelte Tessa. Also bog ich links ab.

„Wie wär’s, wenn wir es heute umgekehrt machen? Du fährst und ich bin das Navi?“ Ein eigenartiges Quietschen kam aus dem Lautsprecher, dann: „Das wird bestimmt lustig!“ Der erste Kreisel kam in Sicht. „Im Kreisverkehr die dritte Ausfahrt nehmen.“ sagte ich und Tessa bog brav in den Kreisverkehr ein und nahm auch die dritte Ausfahrt.

„Folgen Sie dem Strassenverlauf.“ sagte ich weiter. „Wie viele Kilometer?“ kam prompt die Frage. Ich musste lachen. Das fing ja schon ganz amüsant an. „Wir haben keinen Satellitenempfang.“ meinte ich darauf. Zuerst war es kurz still.

„Aber sicher haben wir den, klar und deutlich!“ erwiderte dann Tessa und zeigte auch sofort das Bild mit etwa zwölf Satelliten mit wunderbar langen Balken. „Tja, du schon aber ich nicht. Das ist etwas das du mir vor hast. Ich navigiere auf rein optischer Basis. Da ist der genaue Abstand nicht feststellbar.“

Unterdessen waren wir aus dem Dorf raus und fuhren auf einer kerzengeraden Landstrasse. Tessa beschleunigte mehr als die Polizei erlaubt und ich meldete mich mit: „Bitte halten Sie sich an die Verkehrsregeln!“ Worauf prompt kam: „Das sage ich nicht! Wieso sagst du das?“ „Weil viele Navis so was ähnliches sagen, zum Beispiel mein Handy. Auch du machst mich auf Überschreitungen aufmerksam. Bei dir wird die gefahrene Geschwindigkeit rot!“ da war sie still.

Ich genoss die Landschaft. Wunderbar gelb blühende Rapsfelder zogen an uns vorbei, dazwischen ab und zu eine kleine Baumgruppe. Das nächste Dorf kam in Sicht. „In ein paar Kilometer rechts abbiegen“ sagte ich. Das lustige Quietschen kam wieder aus dem Lautsprecher und ich begriff, so lacht Tessa.

Wir fuhren durch das idyllische Dörfchen. „In etwa zweihundert Meter rechts abbiegen sagte ich wieder und an der richtigen Stelle bog sie ab. Ich genoss es nicht immer auf die Strasse aufpassen zu müssen und sah denn auch prächtige alte Riegelhäuser, die ich früher nie so klar bemerkt hatte. An den Fenstern hingen Blumenkästen mit bunt blühenden Blumen drin.

Dann war das Dorf schon wieder vorbei. Jetzt kam die Strecke mit den vielen Kurven. Die erste Kurve fuhr Tessa mit der höchst möglichen Geschwindigkeit. „He! Wir nehmen nicht an einem Rennen teil! Und fliegen möchte ich mit einem Flugzeug und nicht mit euch. Euch wird nämlich die Landung nicht so gut gelingen, Garry hat keine Flügel!“ „Garry macht es doch Spass die maximale Geschwindigkeit zu berechnen.“ meinte Tessa leise.

„Das mag sein aber hat er den Ölfleck mitgerechnet, der genau auf unserer Spur liegt? Ausserdem kommt gleich meine Lieblingskurve. Sie ist scharf nach rechts aber die Aussicht ist wunderbar. Die möchte ich auf keinen Fall wie von einer Tarantel gestochen durchrasen.“ Sie reduzierte die Geschwindigkeit.

Da kam sie, die erwähnte Kurve. Man fährt durch einen Wald ziemlich steil aufwärts. Genau auf der Höhe des Hügels hört der Wald auf, die Kurve beginnt, es geht wieder abwärts und man schaut über ein Tal mit bunten Feldern auf die schneebedeckten Alpen. Ein paar Bauernhöfe liegen in dem Tal verstreut. Es sieht aus, als ob ein Riese mit einem Sack voller Häuser durchgekommen sei und er ab und zu ein Haus aus einem Loch im Sack verloren hätte. Dann kam eine kurvenreiche lange Strecke über Hügel und durch Täler. Ich dachte an ein Gedicht von Christian Morgenstern, Im Auto über Land heisst es. Vor allem die Strophe:

 

Und er steuert ohne Fehler

über Hügel und durch Täler.

Tante Paula wird es schlecht.

Doch die übrige Verwandtschaft

blickt begeistert in die Landschaft

und der Landschaft ist es recht.

 

Langsam wurde Tessa wieder schneller. Als ich es merkte, musste ich lächeln. Wieder fuhren wir über einen Hügel. Anschliessend ging es wieder abwärts. Unten im Tal sah man die Hauptstrasse liegen.

Ich fragte Tessa: „Wie viel Meter sind’s bis zu der Kreuzung dort unten?“ Sie meinte „Achthundert“ „Danke. In achthundert Meter rechts abbiegen.“ Sie lachte und bog achthundert Meter später rechts ab.

Wieder kamen Hügel und Täler und dann ein Minitunnel ganz aus Natursteinen. Dahinter muss man rechts abbiegen, man sieht’s aber erst, wenn man da ist. Auch den nachfolgenden Kreisel sieht man erst wenn man schon fast drin ist. „In etwa fünfhundert Metern rechts halten und dann in den Kreisverkehr einfahren“ sagte ich.

„Ah! du gehst da durch. Dann sind wir bald zu Hause. Schade.“ „Jep“ erwiderte ich. „Leider dauert nix ewig. Alles hat ein Ende.“ „Nur die Wurst hat zwei!“ meinte sie und das lustige Quietschen drang aus dem Lautsprecher. „Wo hast du das her?“ fragte ich sie laut lachend. „Aus dem Internet. Das ist ein Lied. Kennst du es nicht? Soll ich es singen?“

„Doch, doch! Ich kenne es schon. Ich war nur überrascht, dass du es auch kennst.“ Tessa fuhr also weiter, derweil ich die Landschaft bewunderte. Was war doch heute alles schief gelaufen! Die Frustroute war dringend nötig gewesen und sie hatte gut getan. Tessa hatte Humor bewiesen. Das überraschte mich am Meisten. Sie wurde immer lebendiger. Da hatte ich ein paar spannende Neuigkeiten für Evelyn!

 

Plötzlich stieg Tessa auf die Bremse. Ein Mann in Uniform stand vor dem Auto und winkte uns auf einen Parkplatz. „Das hat mir gerade noch gefehlt! Müssen die jetzt alles verderben?!“ murmelte ich.

Die obligate Aufforderung des Polizisten kam: „Führerausweis und Fahrzeugpapiere!“ Ich grapschte nach meiner Handtasche. „Haben Sie etwas getrunken?“ Noch bevor ich ihm antworten konnte, kam aus dem Lautsprecher: „Klar hat sie! Mindestens anderthalb Liter!“ Oh nein! Was sagte Tessa da?

Prompt kam der Befehl „Aussteigen!“ Während ich ausstieg, flüsterte ich zu Tessa: „Was hast du da gemacht? Kannst du nicht die Klappe halten? Jetzt sind wir am Arsch!!“ Laut und deutlich antwortete sie: „Stimmt doch?! Du hattest mindestens drei Tassen Kaffee und die Wasserflasche hast du auch geleert.“ „Ja schon. Aber der Polizist spricht von Alkohol und nicht von Wasser! Jetzt nimmt er uns auseinander! Und du bist jetzt um Himmels willen STILL!!“ flüsterte ich weiter.

Schon kam die Reaktion des Polizisten: „Beenden Sie das Telefonat! Pusten Sie hier hinein!“ Also pustete ich. Das Gerät zeigte 0.00 an. „Haben Sie Drogen genommen?“ „Nein, ich habe keine Drogen genommen.“ antwortete ich ihm. Er zückte eine Taschenlampe und leuchtete mir in die Augen. „Reflexe in Ordnung.“ meinte er. Schon wieder kam Kommentar von Tessa: „Was glauben Sie denn!! Sie ist doch nicht doof!“ „HALT ENDLICH DIE KLAPPE TESSA!!!“ rief ich nun völlig entnervt.

Schon winkte der Polizist einem anderen mit mehr Streifen auf den Schulterpatten, etwas korpulent und mit grau meliertem Haar. „Chef! Hier ist eine suspekte Person. Schicken Sie mir bitte die Drogenhunde.“

Drogenhunde? Na bravo! Das konnte ja heiter werden! Jetzt nahmen sie uns wirklich auseinander! Ich seufzte. Schon kamen sie, fünf Männer mit ihren Schäferhunden. Aus dem Auto klang ein eigenartiges Gurgeln. Was war das?

„Aufmachen!“ befahl einer der fünf und zeigte auf die Motorhaube. Also stieg ich ein und zog am Hebel, der die Motorhaube entriegelt. Einer hob den Deckel an. Wieder dieses eigenartige Gurgeln. Ich stieg wieder aus um die Leute ihre Arbeit machen zu lassen. Da passierte es! Die Autotüren knallten zu, die Motorhaube fiel mit einem lauten Knall herunter, der Motor sprang an und Tessa fuhr davon Richtung Ausfahrt.

„NEEEIIIN!!!“ schrie ich, schnappte mein Handy und rief das Zweithandy an. Zu meinem Glück hatten Evelyn und Herr Giger diese Funktion nicht für Tessas Programmierung freigegeben und so nahm sie automatisch ab.

„Sofort stehenbleiben!!!“ schrie ich ins Telefon. „Das ist ein Befehl!!! Du legst jetzt den Rückwärtsgang ein und kommst blitzartig zurück!!! Verstanden?“ Schon standen die Polizisten mit gezogenen Waffen bereit.

An der Ausfahrt bildete sich eine Lücke in der Autoschlange. Gespannt hielt ich die Luft an. Würde sie zurückkommen oder in der Kolonne verschwinden? Würden die Polizisten schiessen? Sie blieb stehen. Ich atmete erleichtert aus. „Jetzt leg‘ den Rückwärtsgang ein und komm sofort zurück! Hierher! Marsch!“

Tatsächlich setzte sich das Auto nach einer kurzen Weile langsam rückwärts in Bewegung. Genau an der Stelle, an der wir vorhin angehalten hatten, blieb Garry stehen. „So! Jetzt Türen auf aber dalli!“ bellte ich ins Telefon. Nichts geschah. „Wird’s bald?!“ Da, endlich ein Klicken.

Ich öffnete die Fahrertüre. Sofort stürzten sich drei Männer mit vorgehaltenen Pistolen auf das Auto und blieben dann verblüfft stehen. Es war ja gar niemand drin! Wenn die wüssten, dachte ich und konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Der Chef trat vor mich hin. Er blickte sehr ernst. „Was gibt es da zu lachen?“ meinte er. „Mein Name ist Meier. Und Sie sind …? Wer hat das Auto gefahren?“ „Ich heisse Toni Nilson und gefahren ist Tessa. Ich möchte das gerne erklären, aber bitte nicht vor all diesen Leuten.“ antwortete ich.

Also beorderte er mich auf den Beifahrersitz, blaffte seinen Männern noch ein paar Befehle zu und stieg dann auf der Fahrerseite ein. Am äussersten Winkel des Parkplatzes angekommen, begann ich dem Mann von einem Experimental-Fahrzeug zu erzählen, das jetzt in der Testphase sei und mit mir als sogenanntem Laien auf Alltagstauglichkeit geprüft würde.

Leider sei diese Situation noch nicht durchgespielt worden und so hätte die Reaktion von Tessa mich völlig überrumpelt. Zu meiner Überraschung zeigte er grosses Interesse und wurde sehr freundlich. „Das Navi fährt also völlig alleine?“ fragte er am Ende meiner Erklärung.

Nun kam der erste Kommentar von Tessa. Mit stolz geschwellter Brust meinte sie: „Ja, das kann ich. Soll ich’s vormachen?“ „Kleine Schwindlerin!“ reagierte ich. „Ohne Garry kannst du gar nix!“ Dann mit einem Lächeln zu Herr Meier: „Garry heisst der Rest vom Auto.“

Herr Meier öffnete das Fenster und rief einen Polizisten herbei. „Thompson! Wir machen jetzt eine Probefahrt. Übernehmen Sie so lange!“ „So! Jetzt kann’s losgehen.“ sagte er dann.

Anstandslos fädelte sich Tessa in die Kolonne ein. Die Führerprüfung begann. Links abbiegen, rechts abbiegen, in den Kreisverkehr einfahren und auch wieder raus, rückwärts fahren, alles wurde geprüft.

Währenddessen Theorie. Wozu ist diese Tafel, für was steht jenes Zeichen? Wer hat in dieser oder jener Situation Vortritt? Wie lange ist der Bremsweg bei 50, 80, 120 km/h? Wie lange darf ein Abschleppseil sein? Wie schnell darf man ein Fahrzeug abschleppen? Und so weiter und so fort.

Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass ich viele Fragen gar nicht mehr beantworten konnte. Das machte ich schon lange aus dem Gefühl heraus. Aber Tessa beantwortete sie alle perfekt.

„Tja.“ meinte Herr Meier am Schluss „wenn du ein Mensch wärst, Tessa, dann hättest du die Führerprüfung mit einer Sechs plus bestanden.“ und lachte. So hatte Tessa mit ihren besonderen Fähigkeiten wieder ein Herz für sich gewonnen.

Auf dem Parkplatz angekommen, überreichte mir Herr Meier seine Visitenkarte und meinte: „Sollten Sie je die Polizei benötigen, rufen Sie mich an.“ Zu meinem Leidwesen würde ich seine Hilfe viel schneller benötigen als mir lieb war.

„Ich glaube, wir müssen die Frustroute nochmals fahren. Diesmal über Aarau, damit wir nicht nochmals in die gleiche Polizeikontrolle kommen. Du brauchst unbedingt etwas Schulung in Verhalten, meine Liebe!“ meinte ich auf dem Nachhauseweg.

„Ok.“ kam’s zaghaft aus dem Lautsprecher. „Also. Oberstes Gebot: wenn man in eine Kontrolle kommt, Klappe halten! Nur der Gefragte gibt Antwort! Sogar die Musik wird ganz leise gestellt.“ redete ich weiter. „Die Antworten beschränken sich auf das absolute Minimum und wenn dir das etwas wenig erscheint so ist es doch in Ordnung.“

Sie sagte nichts. „Zweites Gebot: wenn ich sage, dass du still sein sollst, dann sei bitte bitte still! Ich habe etwas mehr Erfahrung im Umgang mit Menschen als du. Solche Befehle sind begründet. Du kannst mich ja später fragen, warum. Ok?“ „Ja.“ erwiderte sie jetzt niedergeschlagen.

„Nun zum dritten Gebot. Lass mich NIE MEHR alleine draussen stehen! Du hast mich schwer geschockt als du einfach abgehauen bist. Das war der reinste Horror für mich! Das hat mir sehr weh getan! Mach das NIE wieder! Ok?“ „Mir ist eine Sicherung durchgebrannt.“ hauchte sie ganz leise. Ich konnte sie fast nicht verstehen.

„Ist schon gut. Ich bin dir nicht böse. Dann müssen wir die Sicherung suchen und durch eine stärkere ersetzen.“ erwiderte ich lächelnd. „Du bist mir wirklich nicht böse?“ „Nein Tessa, bin ich nicht. Das war ja eine neue beängstigende Erfahrung für dich. Da kamen gleich fünf grosse Ungeheuer auf dich zu. Aber es hat schon weh getan, dass du mir nicht vertraut hast. Schwamm drüber. Ich denke du hast viel gelernt heute.“ „Ja.“ meinte sie. Dann war sie kurz still.

Ich überlegte gerade, wie ich weiter machen sollte, da sagte sie: „Darf ich was fragen?“ „Klar Tessa, immer.“ „Wieso fragt der nach Alkohol, wenn er fragt ob du was getrunken hast?“ Ich lachte. „Frag’ doch Garry, was passiert, wenn zu viel Alkohol in seinem Benzin ist. Dann fängt sein Motor an zu stottern und läuft nicht mehr rund. So ähnlich geht es auch einem Menschen wenn er zu viel Alkohol getrunken hat.“ erklärte ich.

„Im Unterschied zu euch beiden ist aber der Kopf eines Menschen völlig vom Körper abhängig. Der Alkohol beeinflusst auch das Gehirn und macht, dass man nicht mehr richtig Auto fahren kann. Man merkt das aber nicht und macht gefährliche Fehler. Dann kann es zum Unfall kommen mit Toten und schwer Verletzten. Menschen kann man nicht so einfach reparieren wie Autos. Da bleibt oft eine Behinderung zurück. Darum fragt er nach Alkohol. Das Gleiche gilt für andere Drogen.“

„Warum musstest du pusten und wohin?“ „Ich musste in ein Gerät pusten, das den Alkoholgehalt in meiner Atemluft misst.“ „Aha! Und was hat er gemacht als er dann sagte die Reflexe seien gut?“ „Da hat er mit einer Taschenlampe meine Augen untersucht. Wenn man Drogen genommen hat schliesst sich die Iris nicht richtig. Bei mir hat sie sich normal geschlossen, Drum waren die Reflexe gut.“

„Was wollten die Hunde?“ Da kamen aber reichlich Fragen. „Die Hunde sind darauf dressiert, dass sie alle Drogen riechen können, auch solche, die irgendwo versteckt sind. Der Polizist hatte beschlossen uns für verdächtig zu halten und wollte ganz sicher sein keinen Fehler zu machen. Seinen Entschluss hat er darauf begründet, dass er eine Stimme aus dem Auto hörte und keine zweite Person sass drin. Ausserdem war die Stimme ziemlich vorlaut!“ „Oh!“ meinte Tessa und schwieg eine ganze Weile.

Dann fragte ich sie „Sag mal Tessa, als die Drogenhunde kamen hörte ich ein komisches Gurgeln. Was war das?“ „Ich habe geschluchzt. Ich hatte panische Angst!“ Aha! Da hatte ich gleich wieder etwas über sie gelernt. In Zukunft würde es für mich höchste Alarmstufe bedeuten, wenn ich das komische Gurgeln hören sollte.

Tessa gestohlen

 

Ein paar Tage nach diesem Abenteuer fuhren wir ins Parkhaus um einzukaufen. Ich stieg aus, schloss die Autotür und lief Richtung Ausgang. Beim Lift merkte ich, dass ich Tessa im Auto vergessen hatte. Eine Sünde in so einer Umgebung. Also rechts umkehrt und zurück!

Ein Fremder stand neben meinem Auto, dunkelgraues Kapuzen-Shirt, dunkelgraue Hosen, er verschmolz fast mit der Umgebung, war kaum zu erkennen. Leicht nach vorne gebeugt fummelte er an der Tür rum. Was machte der da? Er öffnete die Tür! Der war dabei mir mein Auto zu klauen mitsamt Tessa drin!!!

„Hey!“ schrie ich. „Was machen Sie da! Das ist MEIN Auto!! Steigen Sie sofort wieder aus!“ Er aber startete den Motor und fuhr vom Parkplatz. Ich rannte noch hinterher aber das Auto war natürlich schneller. Wieso liess Tessa das zu? Ich nahm mein Handy und rief sie an. Völlig verzweifelt meinte sie: „Er hat mich gleich aus der Halterung gerissen. Bitte hilf mir!“ Dann riss der Kontakt ab. Der Gauner wusste also Bescheid. Die Frage war müssig, woher. Es wussten viele Leute von Tessa und Garry und deren Fähigkeiten. Jetzt bereute ich so offen damit umgegangen zu sein.

Was tun? Zuerst rief ich Evelyn an, ob sie mich im Parkhaus abholen könne. Als sie kam, erzählte ich ihr die ganze Story. „Uff! Tessa ist in Gefahr!“ meinte sie. „Wenn der weiss, was sie kann oder wenn sie versucht Hilfe zu rufen, könnte er sie beschädigen. Was nun?“

Daran hatte ich gar nicht gedacht. Klar! Mit ihrem Temperament könnte sie schon Fehler machen. Wir hatten uns ja auch noch nie über eine solche Situation unterhalten und auch kein Verhalten festgelegt. Wer denkt denn an so was?!

„Ich rufe Herrn Meier an. Der kann uns bestimmt helfen.“ meinte ich. „Wer ist Herr Meier?“ „Oh! Das habe ich dir noch gar nicht erzählt. Vor ein paar Tagen sind wir in eine Polizeikontrolle geraten. Da hat uns Tessa ganz schön in die Bredouille gebracht.“ Und ich erzählte ihr die ganze Geschichte. Ab und zu musste sie laut lachen. „Also ruf ihn an!“ Das tat ich und er versprach, sofort eine Fahndung nach Garry raus zulassen.

Und jetzt? Still sitzen und warten? Mir wurde nur schon beim Gedanken daran übel, was Tessa zustossen könnte. Für mich war sie schon fast so was wie ein geliebtes Haustier oder vielleicht sogar wie mein Kind. Da klingelte das Telefon. Herr Meier war dran. „Haben Sie den Fahrzeugausweis? Könnten sie ihn vorbeibringen?“ Klar hatte ich ihn dabei und Evelyn bot sofort an mich zu fahren. Zehn Minuten später hatte Herr Meier eine Kopie und leitete diese weiter an die verschiedenen Dienststellen.

 

Das Leben ging weiter. Ich war ziemlich deprimiert. Auf der Arbeit fragte mich jeder: „He! Wo ist Tessa?“ Wenn ich dann sagte gestohlen, meinten alle, das sei aber jammerschade. Einige Tage später standen Mia und Peter in meinem Büro. „Und? Schon was gehört?“ fragten sie. „Nö. Nix!“ erwiderte ich.

„Dann müssen wir jetzt etwas unternehmen!“ meinte Mia darauf. „Ich habe mit dem Chef geredet. Er findet es auch schlimm. Was du nicht weisst, er hat viel mit Tessa geredet. Meistens, wenn du so lange gebraucht hast, bis du alle Akten beieinander kriegtest, war er daran nicht unschuldig. Dann hiess es auch schon, haltet sie noch ein Weilchen hin, ich will mit Tessa reden. Er meint, wir sollten doch selbst eine Suche starten und er hätte da ein paar Vorschläge. Zum Beispiel, hast du nochmal versucht, sie anzurufen? Vielleicht kann sie ja wieder abnehmen.“

Sofort griff ich mein Handy und stellte die Nummer ein. Es klingelte. Tessa nahm ab. Ganz leise flüsterte sie ihren Namen und fragte dann „Wer ist dran?“ „Ich bin‘s, Toni. Weisst du, wo du bist?“ Enttäuscht kam die Antwort: „Nein, er hat den GPS-Empfänger mit Alufolie abgeklebt.“

So ein Mist! Alu! Gemein! „Ok. Wie sieht’s mit der letzten Position aus?“ Sie gab mir die Koordinaten. Karen kam mit ihrem Navi angerannt und stellte die Koordinaten ein. Das war mitten in der Pampa! Aber nicht zu Hause und nicht vor dem Parkhaus! Das war schon mal ein Hinweis. „Kann jemand das Handy orten?“ Das konnte natürlich niemand von uns.

„Wieso sind die so scharf auf Tessa und Garry? Was ist da so Besonderes dran?“ fragte ich verzweifelt. „Abgesehen davon, dass Tessa ziemlich schlau ist, würde ich sagen, dass die Kombination ganz interessant ist für Verbrecher und so.“ meinte Peter altklug. „Denk doch mal nach! Man könnte ohne Leben zu gefährden irgendwo eindringen und ein Betäubungsmittel loslassen. Dann kann man gemütlich die Bank ausrauben und wieder raus fahren und zum nächsten Ziel übergehen. Als Gauner würde ich mir die Finger ablecken nach so einem Auto. Unauffällig, ja fast unsichtbar, mit dem goldenen Schriftzug als Ersatzauto getarnt! Würdest du einem Kleinwagen wie deinem denn misstrauen? Nie!“

Plötzlich fiel mir ein, dass Tessa das Orten für uns übernehmen könnte. „Tessa, bist du noch dran?“ „Ja!?“ „Das Handy hat auch GPS. Kannst du darauf zugreifen?“ „Eh! Weiss nicht.“ „Versuch’s und gib uns dann die Koordinaten.“ „Mach’ ich!“ Dann war Funkstille.

Es dauerte ziemlich lange, bis plötzlich ihre Stimme wieder ertönte. „Hier sind sie.“ und Tessa gab uns die Koordinaten. Sofort tippte Karen sie auf ihrem Navi ein. „Mann! das ist im Dorf nebenan. Wieso ist der durch die Pampa gefahren?“ meinte sie dann.

„Das ist doch klar!“ erwiderte Peter. „Um uns in die Irre zu führen. Die haben oben auf dem Aussichtsplatz das Navi in Folie eingepackt und sind dann zurückgefahren.“ „Moment mal, die Adresse kenne ich doch!“ rief Mia und eilte davon.

Schon kurze Zeit später kam sie zurück. „Das ist der Giovanni von der Färberei. Wie heisst der schon wieder? Diese Mistratte hat dein Auto geklaut!“ „Der war schon die ganze Zeit scharf auf dein Navi aber Tessa wollte einfach nicht mit ihm sprechen. Mir hat sie mal gesagt, der sei ihr unheimlich und höchst unsympathisch.“ meinte darauf Karen. „Mafia!“ zischte Peter. „Kommt! Den nehmen wir uns jetzt mal vor!“ und lief sofort los Richtung Färberei. Wir anderen eilten hinterher. Unterwegs trafen wir auf weitere Arbeitskollegen. Die kamen gleich auch mit.

Doch dann tauchte der Chef auf. „Was ist hier los? Wen wollt ihr schlachten?“ fragte er ziemlich streng. „Dem Giovanni oder wie der heisst von der Färberei geht’s jetzt an den Kragen! Der hat das Auto von Toni geklaut!“ meinte Peter aufgebracht.

„In meiner Firma wird niemand auseinander genommen. Das zu regeln ist meine Aufgabe. Geht sofort wieder an die Arbeit! Nur Frau Nilson soll mitkommen. Alle Anderen gehen jetzt!“ schimpfte der Chef. Die Leute zogen ab.

Nur Peter, Mia und Karen blieben stehen. „Wir kommen auch mit.“ meinte Mia. „Wir sind schon bei der Suche dabei gewesen und haben die Adresse rausgefunden. Wir wollen von ihm hören was er zu sagen hat.“ Nach kurzem Zögern meinte der Chef: „OK. Aber nur ich verhandle mit ihm. Ist das allen klar?!“

„Jawohl Chef.“ sagten wir im Chor. Dann ging’s weiter zur Färberei. Als wir dort ankamen, war Giovanni gerade dabei hastig seine Sachen zu packen. „Was machen Sie da Taikovski? Es ist noch lange nicht Feierabend!“ „Frau hat anrufen. Ich nach Haus muss.“

„Ich habe gerade gehört, man hätte bei Ihnen das Navi von Frau Nilson geortet. Was sagen sie dazu?“ schnauzte der Chef. Taikovski starrte ihn an. „Das sein unmöglich. Navi ist in Alu.“ dann schlug er sich die Hand vor den Mund und starrte uns alle an. „Reicht das?“ keifte Peter. „Müssen Sie noch was hören?!“

Der Chef packte Taikovski am Arm, zeigte auf mich und sagte „Sie rufen jetzt die Polizei, Frau Nilson, und kommen dann zu mir und ihr anderen geht wieder an die Arbeit!“ Ich eilte in mein Büro, rief meinen neuen Freund Herr Meier an und erzählte ihm, was geschehen war seit unserem letzten Gespräch.

Er meinte, er schicke gleich eine Streife an die Adresse und käme persönlich vorbei um den Missetäter zu verhaften. Keine zehn Minuten später stand er vor dem Büro vom Chef. „Guten Tag. Ist das der Missetäter? Hallo Taikovski. Schon wieder Sie!“ Wie aus einem Mund sagten der Chef und ich: „Sie kennen ihn?!“ „Jaja das ist ein schlimmer Finger. Wir sind alte Bekannte. Nicht wahr Taikovski? Thompson, Abführen!“

Vielleicht eine halbe Stunde später klopfte ein Streifenpolizist an die Tür. „Wir haben das gestohlene Auto hier vor den Eingang geparkt und das hier gefunden.“ Er überreichte Herrn Meier ein fürchterlich mit Alufolie verklebtes Etwas. „Oh Gott! Tessa!“ stöhnte ich. Ein Jubelschrei drang aus dem Haufen. „Toni! Bist du’s??!!“ „Ja, ich bin’s. Mein Gott, Tessa, wie siehst du denn aus! Das gibt eine Menge Arbeit!“

Zu Hause zeigte ich Evelyn das Malheur. Zuerst lachte sie laut. Dann packte sie vorsichtig das Etwas und meinte: „Das kriegen wir schon wieder hin. Durch die Bastelei mit Herrn Giger weiss ich unterdessen schon genau, wo ich aufpassen muss. Wir schälen sie vorsichtig aus ihrer Hülle und können die dann auch mit etwas schärferen Mitteln angehen. Keine Sorge. Am Wochenende kannst du wieder mit einer sauberen Tessa durch die Gegend brausen. So lange muss ich sie aber behalten. Einverstanden?“

Klar war ich einverstanden. Erleichtert ging ich später nach Hause. Am Wochenende holte ich Tessa ab. Evelyn und Herr Giger hatten ganze Arbeit geleistet. Sie glänzte wieder wie neu. „Es war doch nicht so einfach wie ich dachte.“ meinte Evelyn. „Die Rückseite mussten wir ersetzen. Der Leim ist in alle Ritzen gelaufen. Den haben wir nicht raus gebracht. Zum Glück hatte Herr Giger noch ein Unfallnavi der gleichen Sorte.“

Nun besprachen wir den Diebstahl und die Konsequenzen daraus. Wir würden fleissig trainieren müssen um noch einen Diebstahl zu verhindern. „Herr Giger hat angeboten uns dabei zu helfen. Er meinte, er kenne sich da ein Bisschen aus, er müsse ja ab und zu auch Autos aufbrechen, weil die Leute ihren Schlüssel eingeschlossen hätten. Was meinst du?“ „Supi!“ war meine Antwort.

 

Das Training begann. „Zuerst müssen wir die Schwachstelle zwischen Tessa und Garry beheben. Es darf nicht sein, dass der Täter nur Tessa aus der Halterung reisst und dann leichtes Spiel hat.“ meinte Herr Giger und bastelte zuerst an Tessa und dann an Garry rum. „So! Jetzt geht’s über Bluetooth, wenn sie nicht in der Halterung ist.“

Schon bald gelang es uns nicht mehr die Türen zu öffnen, wenn Tessa und Garry es nicht wollten. Sogar wenn Garry ohne Tessa auskommen musste, gelang es kaum noch. Dann ein Rückfall? Die Türen öffneten sich relativ leicht, weil ich Tessa gerade ablenkte. Oder doch nicht? Wir stiegen also ein und Herr Giger startete den Motor mit einem Mechanikertrick.

Wir fuhren los. Aber was war das? Herr Giger wollte nach links aber wir fuhren nach rechts. Mit aller Kraft versuchte er Gegensteuer zu geben, aber es gelang ihm nicht. Dann stoppte Garry abrupt vor einem Gebäude und aus dem Lautsprecher kam: „Wenn ihr echte Gauner wärt, hätte ich von unterwegs bei diesem Polizeiposten angerufen und jetzt kämen ein paar Polizisten raus und würden euch verhaften.“ Wir mussten alle laut lachen. Das war verdammt clever von Tessa. Die Einbruchsicherung war nun perfekt. Da musste man schon die Scheibe einschlagen um rein zu kommen und auch dann hatte man noch schlechte Karten.

 

Sue und Maggy

 

Einige Zeit später fuhr ich zu Aldi und stellte Garry auf dem Parkplatz ab. Weil ich nicht vorhatte lange im Laden zu bleiben, liess ich Tessa im Auto zurück. Es dauerte allerdings wesentlich länger als geplant, bis ich wieder zurückkam. Wie staunte ich da, als ich auf dem Fahrersitz jemanden sitzen sah. Das musste ein sehr guter Bekannter sein, denn jemand Anderen hätte Tessa bestimmt niemals einsteigen lassen.

Die Person war ziemlich klein, denn ich sah nur die Hälfte vom Kopf. Ich eilte näher. Da sass ein mir völlig fremdes Kind in meinem Auto! „Tessa, was macht das Kind da?“ fragte ich leicht gereizt. „Sie heisst Sue und sie hat gefragt, ob sie sich kurz ausruhen dürfe. Da habe ich die Türe geöffnet.“ antwortete sie.

Jetzt stellte sich mir die Frage ob dies ein nicht erkannter Mangel in unserem Sicherheitskonzept war oder was da sonst nicht stimmte. Ich lief also um das Auto herum und setzte mich auf den Beifahrersitz. „Hallo Sue. Ich heisse Toni. Kannst du mir sagen, was du hier machst?“ fragte ich das fremde Mädchen freundlich.

Sue fing an eine herzerweichende Geschichte von Waisenhaus und Kindsmisshandlung zu erzählen. Je länger sie redete, desto klarer wurde mir, dass dies die Geschichte eines Erwachsenen war und nicht die eines Kindes. Als sie fertig war, sagte ich drum: “Das ist eine schlimme Geschichte, Sue. Aber es ist nicht deine. Die hat dir jemand vorgeschrieben und du hast sie brav auswendig gelernt. Stimmt’s? Erzählst du mir jetzt deine Geschichte?“ bat ich sie.

Sie starrte mich erst an und senkte dann den Kopf. Lange kam nichts. Ich wartete geduldig. „Papa steht hinter dem Laden und wartet auf mein Zeichen.“ sagte sie plötzlich. „Dann kommt er her und räumt das Auto leer. Wenn’s ein gutes Auto ist, neu und so, dann nimmt er gleich das ganze Auto mit.“ „Und du machst die Autos auf?“ fragte ich. „Nein, er hat so ein Gerät, das verhindert, dass du dein Auto abschliessen kannst und er sagt mir dann, welche Autos ich probieren muss.“

Das war ja eine ganz miese Ratte. Er nutzte sein Kind aus um Autos zu knacken. Dem musste das Handwerk gelegt werden. „Sag‘ mal, liebst du deinen Vater?“ Das war eine wichtige Frage. Je nach dem war das Mädchen zu mehr oder weniger Mithilfe zu überzeugen. „Er ist eigentlich nicht mein Vater und seit er Mama geheiratet hat, habe ich ihn nicht mehr gern. Er schlägt sie.“ Dann fing Sue an leise zu weinen. Ich legte den Arm um sie und flüsterte ihr ins Ohr: „Lass uns dafür sorgen, dass er das nicht mehr kann! Ok?“ Eifrig nickte sie und wischte sich sogleich die Tränen aus dem Gesicht.

Nachdem ich sie nach dem üblichen Ablauf gefragt hatte, wandte ich mich an Tessa. „So Tessa, jetzt kommt dein Part. Ich möchte den Kerl zur Verzweiflung und anschliessend zur Polizei bringen. Sue zieht ihre Nummer mit ‚Spitzenbeute‘ ab und lockt ihn ins Auto. Sie springt dann blitzschnell raus, damit der Kerl keine Geisel hat. Du schliesst ihn dann ein.“ Dann zu Sue: „Glaubst du, du kannst das?“ Ihre Augen funkelten vor Vorfreude. Heftig nickte sie mit dem Kopf. „Ja, und ob! Mit Freude!“ jubelte sie. Ich lächelte. „Es ist eine schwere Aufgabe! Er darf unter keinen Umständen was merken, sonst läuft alles schief!“ Nochmals nickte sie heftig mit dem Kopf. „Dann los!“

Ich versteckte mich hinter einem anderen Auto. Sue rutschte auf den Beifahrersitz und gab dann das Hupzeichen für Spitzenbeute. Ein grosser kräftig gebauter Mann kam hinter dem Laden hervor und lief gemächlich auf Garry zu. Dort angekommen schaute er ins Auto und blaffte dann: „Was ist an dieser Karre denn so spitze, he?“ „Das Auto selbst!“ antwortete Sue. Deutlich war ihr die Angst und die Anspannung anzumerken. „Schau doch! Alles da! Das Navi ist spitze. Es kann sogar Musik machen und so. Ich hab’s vorher eingeschaltet. Schau! Da hat’s auch überall Fächer. So viele habe ich noch nie gesehen!“

Würde er auf diese Werbung hereinfallen? „Neu ist es auch, das Auto! Mir gefällt es sehr. Riechst du nicht? Es riecht nach neu!“ Zögerlich öffnete der Mann die Fahrertüre und setzte sich ins Auto.

Da! Blitzschnell stieg Sue aus dem Wagen und knallte die Türe zu. Im gleichen Augenblick hörte ich das Klicken der Verriegelung. Der Mann wollte aussteigen aber es gelang ihm nicht. Schon startete Tessa den Motor und die drei fuhren auf dem Parkplatz umher.

Sie öffnete die Fenster einen Spalt, damit wir auch mithören konnten und liess dann ein schauerliches irres Lachen ertönen. „Hab‘ ich dich endlich du Kinderschänder und Autodieb!“ schallte es laut über den Platz. Die Leute blieben stehen und schauten amüsiert zu. Der Mann versuchte verzweifelt in die Fahrt einzugreifen. Dann versuchte er, auszusteigen, aber es gelang ihm nicht.

Tessa stoppte vor einer Gruppe Menschen und eine furchterregende Stimme drang aus dem Auto: „Gestehe diesen Leuten, was du so mit deiner Frau machst! Gestehe, wie du deine Stieftochter für den Autodiebstahl missbrauchst!“ Dann drang ein fürchterliches Knurren aus dem Fahrzeug und gleich hinterher Tessa’s normale Stimme „Das war ich nicht! Das war Garry!“

Ich brach in schallendes Gelächter aus und die Leute um mich herum fielen ein. Dann rief ich „Das war das Knurren des Autos, das gerade hätte gestohlen werden sollen. Es hat sich aber gewehrt! Wer ruft die Polizei?“ Sofort griffen diverse Leute zu ihren Handys und telefonierten.

Schon bald kam die Polizei mit Blaulicht und Sirene. Aus einem der Fahrzeuge stieg zu meiner Überraschung Herr Meier. Er schaute sich die Sache nur kurz an und meinte dann: „Sieh mal einer an! Tessa und Garry! Dann ist alles klar! Mach auf Tessa! Verhaften Sie den Mann!“ dann schaute er sich um.

„Sag‘ mal Tessa, wo ist Frau Nilson?“ „Hier, Herr Meier!“ rief ich und drängte mich mit Sue an der Hand durch die Menge. „Tessa? Lässt du den Mann nicht raus? Herr Meier möchte ihn verhaften.“ ermahnte ich Tessa.

Doch sie hatte ganz was Anderes vor. „Herr Meier?“ fragte sie mit schmeichelnder Stimme. „Darf ich noch eine Runde mit ihm auf dem Platz drehen? Es ist schlussendlich meine erste Verhaftung.“ „Klar darfst du! Wenn’s dir Freude macht?“ meinte der ahnungslose Chefinspektor. Mir schwante schlimmes und ich hielt die kleine Sue umso fester.

„Dann mal los Garry! Zeig ihm, was ein rechtes Auto so alles kann!“ Mit quietschenden Reifen drehte darauf Garry eine Runde auf dem Parkplatz. Haarscharf an den parkierten Autos vorbei, schlitternd um die Kurven und aus dem Fenster drang Tessa’s lautes Gejohle. Dann stoppten sie ganz gesittet genau vor Herrn Meier.

Dieser starrte entsetzt auf das Auto. „Tessa!“ schimpfte er „das war nicht die Meinung! Du wolltest eine Runde drehen und nicht wie von der Tarantel gestochen über den Platz fegen! Schau dir den armen Kerl an! Er ist ganz grün im Gesicht!“ Ein kleines Grinsen stahl sich über sein Gesicht und aus der Menge klang eine Stimme: „Geschieht dem Gauner ganz recht!“ Anschliessend ertönte lauter Applaus.

„Und wer bist du?“ fragte Herr Meier die kleine Sue an meiner Hand. „Ich bin Sue und ich möchte zu meiner Mami.“ „Der Mann war ihr Stiefvater.“ erklärte ich Herr Meier. „Und mit welchem Auto möchtest du denn gerne nach Hause gebracht werden? Möchtest du gerne in einem Polizeiauto fahren?“ fragte Herr Meier.

„Mit Tessa und Garry! Und ich möchte auch mal so über den Platz fegen wie der Papi vorhin!“ meinte sie begeistert. „Willst du das wirklich?“ „Jaaaa!!“ Sue nickte und ihre Augen funkelten. Herr Meier schaute mich an. „Die Runde fahre ich nicht mit! Aber von mir aus…“ Herr Meier liess den Platz sichern, dass es keinen Unfall gäbe. Dann setzten wir Sue auf den Fahrersitz und schnallten sie fest. „Seid vorsichtig, Tessa! Jetzt sitzt kein Gauner mehr drin! Dann mal los!“ ermahnte ich Tessa und klopfte aufs Autodach.

Garry fuhr los. Nicht ganz so schnell aber immerhin … Aus dem Fenster tönte jetzt nicht nur Tessa sondern auch das begeisterte Stimmchen von Sue. Ganz brav stoppten sie dann vor uns. Das Volk klatschte Beifall und Sue stieg aus als hätte sie ein Formel-1-Rennen gewonnen.

Sie gab Herrn Meier die Hand und sagte: „Auf Wiedersehen Herr Polizist. Ich fahre jetzt mit Toni zu meiner Mami. Behalten Sie Papi so lange wie möglich im Gefängnis.“ drehte sich um und stieg auf der Beifahrerseite in mein Auto.

Wir fuhren los. „Sag‘ mal, Sue, wie hast du eigentlich Tessa dazu gebracht, dir die Türe aufzumachen?“ „Ich habe ihr die Geschichte vom Waisenhaus und so erzählt“ antwortete sie. Oh! Da war also doch noch eine Lücke in unserem Sicherheitskonzept. Tja, es war mir klar, Tessa fehlte der menschliche Instinkt für Lüge und Wahrheit.

Zerknirscht meinte sie denn auch gleich: „Ich glaube, ich habe da einen zünftigen Bock geschossen!?“ „Das kann man so sagen. Aber das kriegen wir auch noch hin. Zuerst bringen wir Sue nach Hause und dann sehen wir weiter.“ Ich fing an zu studieren, wie man denn einem Navi beibringt festzustellen, ob jemand lügt. Das war gar nicht so einfach. Normalerweise wusste ich das einfach, aber ich wusste meist nicht, woher. Das war ein Bauchgefühl.

Unterdessen plauderten Tessa und Sue über dies und das. Mit einer Engelsgeduld erklärte Sue Sachen wie, warum man zur Schule muss und wieso man lernen muss. Es war eine wahre Freude den beiden zuzuhören.

„Weisst du, man kommt eben ganz dumm auf die Welt. Nicht einmal sprechen kann man. Auch nicht lesen und schon gar nicht rechnen! Das ist megaschwer und man darf nicht einmal einen Taschenrechner brauchen!“ Ich schmunzelte still vor mich hin und amüsierte mich köstlich.

Nach etwa einer halben Stunde waren wir da. Sue und ich stiegen aus und liefen auf das Haus zu. Plötzlich drehte sich Sue um und rannte zum Auto zurück. „Wir haben Tessa vergessen!“ rief sie. Türe auf, Navi raus und wieder zurück war in einer Sekunde erledigt. Sperrangelweit stand die Türe noch offen.

„Sue, was meinst du, wie lange es dauert, bis jemand mit Garry abhaut?“ flüsterte ich ihr ins Ohr und zeigte auf die offene Tür. „Oh!“ meinte sie bloss, rannte zurück und machte sie zu. Wir waren noch nicht ganz beim Haus, da öffnete eine junge Frau bereits die Tür. „Mami, Mami! Papi ist verhaftet! Jetzt haben wir endlich Ruhe!“ rief Sue und rannte auf sie zu. Die Frau hob das Mädchen hoch, strahlte über das ganze Gesicht und herzte die Kleine wie das nur eine Mutter kann.

Voller Enthusiasmus begann Sue ihrer Mutter zu erzählen, was alles geschehen war. „Stopp, stopp meine Kleine! Wir können doch deine neue Freundin nicht so einfach auf der Strasse stehen lassen!“ bremste die Mutter ihr Kind. Dann streckte sie mir ihre Hand entgegen und sagte: „Ich bin Maria. Vielen Dank, dass Sie mir meine Tochter heil zurückgebracht haben. Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?“ „Gern. Ich heisse Toni. Ihre Tochter ist ein kluges, tapferes Mädchen.“ erwiderte ich.

„Warum sagt ihr ‚Sie‘ zueinander? Ihr seid doch beide meine Freundinnen?“ protestierte Sue. „Schau Mami! Das ist Tessa. Sie ist auch eine Freundin und sie kann Garry ganz alleine fahren. Und wie! Das quietscht und fetzt nur so! War das ein Heidenspass!“ plauderte Sue drauflos.

Verwundert schaute mich Maria an. „Sie hat ja recht. Sagen wir uns du, das ist einfacher.“ meinte ich. „Garry heisst das Auto draussen vor der Tür. Deine Tochter wird entweder Lehrerin oder Formel-1-Pilotin.“ sagte ich grinsend.

„Als dein Mann verhaftet war, wollte Tessa eine Runde auf dem Parkplatz fahren, wie sie dem Chefinspektor weis machte. Sie ist dann aber mit Garry wie von einer Tarantel gestochen über den Platz gefegt. Deine Tochter wollte nachher nur eins, auch so um die Kurven sausen! Drum … Formel-1-Pilotin!“ Wir lachten beide. „Unterwegs hat sie mit einer Engelsgeduld Tessa verschiedene Sachen erklärt. Die geborene Lehrerin.“ fuhr ich fort und wir lachten wieder.

Sue verschwand sofort Richtung Kinderzimmer. „Schau! Ich zeige dir meine Sachen!“ hörten wir noch, dann war sie weg. „Sag mal, Maria, wieso sagte Sue vorhin dass ihr jetzt Ruhe habt weil der Papi verhaftet ist?“ fragte ich. „Das ist eine lange Geschichte.“ erwiderte sie.

„Ich lernte ihn in einer Bar kennen. Eine Kollegin hat mich dahin mitgeschleppt. Er war ein wahrer Gentleman. Wir gingen viel aus. Oft nahmen wir auch Sue mit und er ging mit ihr um als sei sie seine Tochter. Ich verliebte mich in ihn und etwa ein Jahr später hielt er um meine Hand an und ich sagte ‚Ja‘.

Kaum waren wir verheiratet, fing der Ärger an. Er sass nur noch auf dem Sofa mit den Füssen auf dem Tisch. Er dirigierte uns herum als ob wir seine Diener seien. Am Anfang schrieb ich es dem Stress zu, den er angab in der Firma zu haben. Dann fand ich heraus, dass er dort eine ganz ruhige Kugel schob und von Stress keine Spur war. Ich begehrte auf. Da fing er an mich zu schlagen.

Später erhielt er vom Boss die Kündigung, fristlos, weil er die Finger in der Kasse hatte. Er fing an Sue mit auf seine Diebestouren zu nehmen. Mich sperrte er ein. Wenn Sue nicht tat was er ihr befahl, schlug er mich windelweich vor ihren Augen. Es war eine furchtbare Zeit. Langsam lernte auch Sue zu schweigen und einfach zu machen, was er sagte. Ab und zu planten wir, wie wir da raus kommen könnten. Aber Sue ist erst sieben und sie war halt noch nicht schlau genug. Er hat uns erwischt. Von da an ging’s erst recht los.

Regelmässig verprügelte er mich mit der Argumentation ‚Deine Tochter hat heute nicht gemacht, was ich ihr befohlen habe. Drum kriegst du jetzt Prügel‘. Es war die Hölle! Heute habe ich es endlich geschafft, die Türe zu öffnen und da wart ihr.“ „Du musst dich unbedingt von dem Kerl scheiden lassen wegen seelischer und körperlicher Grausamkeit!“ meinte ich darauf.

Wir diskutierten noch eine Weile über die Probleme und deren Lösungen, die jetzt auf Maria zukamen, über die lebhafte kleine Sue, über Tessa und was da noch so alles zu besprechen war. Nach einer Weile meinte ich: „Es war sehr gemütlich mit dir und ich möchte das gerne wiederholen aber jetzt muss ich nach Hause, es ist schon spät.“

„Ich bezweifle ob du dein Navi wieder kriegst, so begeistert wie Sue mit dem ins Kinderzimmer abgehauen ist. Gehen wir doch mal nachschauen.“ Friedlich schlafend, das Navi mit beiden Händen auf die Brust gepresst, in ein paar Kissen gekuschelt, lag sie auf dem Boden. „Süss!“ flüsterte ich. „Schade, dass wir sie wecken müssen. Sie muss ins Bett und sie wird das Navi nicht einfach so abgeben.“ flüsterte Maria.

Sanft weckte sie ihre Tochter und sagte ihr: „Sue, Toni muss jetzt gehen. Gibst du ihr das Navi zurück?“ Zuerst ein Grummeln und Murmeln. dann: „Was hast du gesagt? Ah ja, Tessa. Hier! Sie hat sicher Sehnsucht nach Garry! Wann kommst du wieder? Ich möchte wieder fahren so wie heute!“ und sie streckte mir das Navi entgegen. Dann kletterte sie ins Bett und schlief friedlich weiter.

Wir schlichen aus dem Zimmer. Draussen meinte Maria: „Wow! Das hat’s noch nie gegeben! Sie hat ein Spielzeug, das sie an die Brust drückt, kommentarlos abgegeben!“ „Ich glaube, sie betrachtet es nicht als Spielzeug. Eher als einen Kumpel mit dem man gut reden kann und dem man vor allem noch was zeigen kann, was er nicht kennt. Du hättest die beiden auf der Fahrt hierher miteinander reden hören sollen. Dir wäre das Herz aufgegangen. Wie zwei beste Freundinnen auf dem Pausenplatz. Es war eine Wonne! Also Tschüss. Ich melde mich bei dir und dann entführe ich deine Tochter auf eine Rennbahn oder so. Wenn was ist, ruf' an.“ Maria umarmte mich schweigend und ich ging.

 

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich einen Ort fand, an dem man mit dem Auto fetzen könnte um Sue‘s Wunsch zu erfüllen. Deshalb besuchte ich sie oft am Abend. Kurz wurde ich dann von Sue begrüsst und dann schnappte sie sich Tessa und verschwand im Kinderzimmer. „Ich bin die Lehrerin und du meine Schülerin.“ tönte Sue’s Stimme. „Ich bin aber ein ganz ungezogenes Kind!“ kam Tessa’s Reaktion. Maria und ich grinsten. Dann beredeten wir den Ausflug auf die Rennpiste.

Endlich war es soweit. Der Termin war gefixt. Am Abend vorher kam dann leider die Absage. Es sei ein grösserer Anlass geplant und der ginge vor. Also rief ich Maria an. Sue nahm ab. „Oh! Schade!“ meinte sie. „Kommst du trotzdem?“ „Klar komme ich. Dann hocken wir halt draussen im Garten und grillen oder so. Uns fällt da schon was ein.“ tröstete ich sie.

Am nächsten Tag fuhr ich hin. Begrüsst wurde ich von einer kleinen Gruppe Kinder in Sue’s Alter. Sue kam auf mich zu gerannt. „Hallo Toni. Schön, dass du da bist!“ rief sie, umarmte mich kurz, schnappte sich Tessa und weg war sie. „Kein Wasser und kein Sand!“ rief ich ihr hinterher. „Jaja!“ lautete die Antwort.

Maria brachte einen Krug Kaffee und zwei Tassen und wir setzten uns in der Nähe der spielenden Kinder an einen Gartentisch. Bei den Kindern ging’s hoch her. Polizeisirenen oder Indianergeheul klangen vom Spielplatz. Die Kindermeute wurde immer grösser. Schon waren es mindestens zehn, die da herum tobten.

Der Hauswart erschien mit grimmiger Miene, glaubte er doch, die Kinder trieben Unfug. Als er sie aber sah und auch uns entdeckte, meinte er mit einem Lächeln: „So gefällt’s mir. Und Kontrolle ist auch da.“ Kurze Zeit später erschien er mit seiner Frau und einem weiteren Krug Kaffee und sie setzten sich eine Weile zu uns. Die Kinderschar wurde immer grösser. Kinder jeden Alters spielten mit. Es war eine wahre Freude.

Dann meinte ich zu Maria: „Pass auf! Bald gibt’s Ruhe.“ und zog das Ladegerät aus der Tasche. Tatsächlich! Kaum hatte ich ihr das gesagt, wurde

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 08.07.2018
ISBN: 978-3-7438-7456-5

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Astrid Linssen wurde am 21. Dezember 1955 in Lent bei Nijmegen NL geboren. Mit vier Jahren zog sie in die Schweiz, nach Kloten. Über einige Umwege wurde sie Analytiker–Programmierer. Nebenher schrieb sie gerne kleine Geschichten, die sie aber niemandem zeigte. Astrid Linssen lebt heute mit ihren beiden Katzen in Brugg im Kanton Aargau.

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