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Nachbarschaftshilfe

„Rrrrumms…“

 

Erschrocken fuhr Hans hoch. Fast wäre er aus dem Bett gefallen. Es hörte sich an, als würde jeden Moment die Decke einstürzen. Irgendwann war er so weit wach, dass seine Panik mehr und mehr Ärger Platz machte. Was sollte dieser Lärm? Und das an einem Samstagmorgen!

 

Am Vortag war er mit einigen Kollegen um die Häuser gezogen. Wie üblich hatten sie sich über ihren mangelnden Erfolg beim schönen Geschlecht mit Unmengen von Alkohol hinweggetröstet, was ihre Chancen nicht eben gesteigert hatte. Schließlich war er wieder völlig betrunken allein in seinem Bett gelandet.

 

Jedes neue Geräusch der Kegelbahn über ihm fuhr ihm in sein verkatertes Hirn wie glühende Nadeln. Empört schwang er sich aus seinem Bett. Er versuchte es zumindest. Ein plötzlicher Schwindel und bohrender Kopfschmerz ließen ihn stöhnend wieder zurücksinken.

 

Beim nächsten Versuch ging er es langsamer an und stand schließlich zitternd inmitten des Chaos seiner Ein-Zimmer-Wohnung. Er hatte noch weniger Augen für die himmelschreiende Unordnung als sonst und blickte sich suchend um.

 

Ohne lange zu überlegen, zog er eine schlapprige Jogginghose an, die er aus einem Berg ungewaschener Wäsche gezogen hatte und tapste vorsichtig auf die Wohnungstür zu. Mehrmals geriet er gefährlich ins Wanken, als er über Flaschen, ungewaschene Teller, oder was auch immer da so herumlag, stolperte.

 

Endlich hatte er es geschafft und trat in das Treppenhaus, das wesentlich prächtiger gestaltet war als der Rest des eher schmucklosen Altbaus, in dem er seit einem Jahr wohnte. Er hatte allerdings keine Nerven für all den Stuck. Die Putti, die ihn anlächelten, machten ihn nur noch wütender.

 

Die Quelle des Lärms war leicht auszumachen. Kaum hatte er die erste Stufe der Treppe ins obere Stockwert betreten, kam ihm ein massiver Schrank entgegengekollert. Er konnte gerade noch zur Seite springen und drückte sich zitternd an die Wand hinter ihm, als das Möbel, oder was davon übrig war, neben ihm zu liegen kam.

 

Hans betrachtete die Bescherung, bei der es sich einmal um eine wertvolle Antiquität gehandelt haben dürfte, als er eine kreischende Frauenstimme hörte. Dann polterten auch schon zwei Möbelpacker an ihm vorbei die Treppe hinunter.

 

Vorsichtig begann Hans wieder seinen Aufstieg, begleitet von den etwas leiseren aber immer noch deutlich hörbaren Flüchen der vermutlichen Besitzerin des Holzhaufens vor seiner Wohnung.

 

Als er endlich den oberen Treppenansatz erreichte, sah er zunächst nichts als Kartons und Möbel. Er bahnte sich einen Weg zur Quelle des unflätigen Monologs.

 

„Diese elenden …“

 

Als die Frau Hansens gewahr wurde verstummte die Tirade jäh. Da auch Hans, sichtlich beeindruckt von der jungen Frau, die da mit zerrauftem Haar und rotem Gesicht vor ihm stand, stumm wie der sprichwörtliche Fisch mit den Glubschaugen eines ebensolchen, verlegen von einem Fuß auf den anderen trat, begann eine unangenehme Stille über der Szene zu lasten.

 

Hans, der erst jetzt bemerkte, dass er ein Brett des zerstörten Schrankes in der Hand hielt - er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, es aufgehoben zu haben – stammelte schließlich:

 

„Ihr Schrank. Ich …“

 

Hilflos hielt er ihr das Brett entgegen.

 

„Vielen Dank! Das ist alles, was übrig ist?“

 

Ihr Lächeln brach die lastende Stille.

 

„Hätte mich beinahe erschlagen das Teil!“

 

Sie musterte ihn schelmisch mit ihren grünen Augen, die perfekt zu dem unordentlichen roten Haar passten. Man sah ihr die Erregung über die Auseinandersetzung mit den Möbelpackern noch an. Das Gesicht war errötet, ihr einfaches aber erfreulich enges T-Shirt zeigte nicht nur wohlgerundete Brüste mit deutlich sichtbaren Nippelchen, sondern auch Schweißflecken an Hals und unter den Achseln. Sie hatte offensichtlich mitangepackt.

 

„Du weißt aber schon, was man von Leuten in Jogginghosen sagt?“

 

Hans hatte nur halb hingehört, aber doch mitbekommen, dass sie ihn gerade geduzt hatte. Er hatte keine Probleme damit, da sie ungefähr so alt war wie er, um die 20 schätzungsweise. Eigentlich hatte er sich über den Lärm beschweren wollen, doch sein Ärger war wie verflogen. Es fühlte sich an, als wäre sein schwammiges Hirn leer. Ihr Bild hatte alle anderen Gedanken oder Erinnerungen weggewischt. Was hatte sie eben zu ihm gesagt? Irgendetwas mit Jogginghosen?

 

„Na, Jogginghosen! Lagerfeld???“

 

„Lager wer?“

 

Jetzt lachte sie laut auf.

 

„Mode ist nicht so deins oder? Also, ein berühmter Modeschöpfer meinte, dass Menschen, die Jogginghosen trügen, jegliche Kontrolle über ihre Existenz aufgegeben hätten. Also, wie ist das mit dir? Willst du deine Kontrolle aufgeben?“

 

Flirtete sie etwa mit ihm?

 

„Bin ja nur froh, dass du das Oberteil dieser Scheußlichkeit nicht gefunden hast.“

 

Hans wurde sich nun peinlich bewusst, dass er halbnackt vor ihr stand. Verzweifelt überlegte er sich, wie er möglichst elegant auf ihr Spiel eingehen könnte, da wurden sie von einem Nachbarn unterbrochen, der empört versuchte, sich seinen Weg durch Möbel und Kisten zu bahnen.

 

„Also wirklich! So ein Lärm! An einem Samstag! Räumen sie gefälligst ihren Mist weg! Sie blockieren den Gang! Und wieso stehen sie hier halbnackt herum, Herr Huber?“

 

Hans fasste sich als erster und versuchte sich in Ritterlichkeit:

 

„Ihnen auch einen guten Morgen Herr Mayer. Wir sind gerade dabei, alles wegzuräumen.“

 

Herr Mayer blickte misstrauisch und ging murmelnd seiner Wege.

 

Die Frau ging auf ihn zu und streckte ihm ihre Hand entgegen.

 

„Also Herr Huber, sehr erfreut, sie kennenzulernen! Mein Name ist Elisabeth Nadig. Auf gute Nachbarschaft!“

„Hi, ich bin der Hans,“ stotterte der Held dieser Geschichte.

 

„Hans, wie du siehst haben mich diese Mistkerle von der Umzugsfirma im Stich gelassen. Könntest du mir bitte helfen, dieses Zeug in meine Wohnung zu schaffen? Das wäre wirklich super. Es sei denn, du hast etwas anderes vor?“

 

Nach getaner Arbeit saßen die beiden in ihrer Wohnung auf zwei Kisten und prosteten sich mit Bierflaschen, die er aus seinem Kühlschrank geholt hatte, zu.

 

„Vielen Dank, Nachbar! Ich brauche jetzt dringend eine Dusche. Hättest du Lust, heute Abend mit mir eine Pizza zu essen? Ich fürchte, bei mir ist es bis dann noch immer nicht sehr viel gemütlicher …“

 

„Natürlich! Komm doch einfach zu mir runter, ich wohne exakt unter dir in Nummer 12,“ beantwortete Hans ihre unausgesprochene Frage.

 

„Wäre 6 Uhr OK?“

 

„Besser um 7 Uhr,“ meinte Hans, dem soeben siedend heiß bewusst wurde, wie viel er noch zu putzen hatte, bis er eine Frau in seine Männerhöhle lassen konnte.

 

Hans trocknete sich die nassen Haare und begann, eilig den Tisch zu decken. Er hatte reinigungstechnisch ganze Arbeit geleistet und erkannte seine Wohnung nicht wieder. Wenig später, um Punkt sieben Uhr klingelte es an der Tür.

 

Elisabeth hatte einen mittellangen Rock und eine Bluse an. Sie hielt zwei Pizzakartons in der einen und eine Flasche Wein in der anderen Hand. Sie blickte ihn überrascht an. Frisch geduscht und sauber, aber immer noch oben ohne und in Jogginghose. Dazu ein breites Grinsen.

 

Verschiedene Emotionen wechselten sich in ihrem Gesicht ab. Hans glaubte schon, er wäre zu weit gegangen und sie würde seinen Aufzug als Geringschätzung ihrer Person werten, doch dann hellten sich ihre Züge auf und sie sagte verschmitzt:

 

„Ah ich verstehe! Du möchtest, dass ich die Kontrolle übernehme! Willst du das wirklich?“

 

„Ja, das will ich, Elisabeth!“

 

Sie begann das Spiel zu genießen. Hatte sie eben noch darauf gewartet, von ihm zu Tisch gebeten zu werden, so drückte sie ihm nun Pizzen und Wein in die Hände und forderte ihn in harschem Ton auf, die Pizzen warm zu stellen.

 

„Wir können ja später noch essen!“

 

Als Hans aus der Küche zurückkam, saß sie auf seinem Sofa und lächelte ihn an.

 

„Komm setzt dich zu mir!“ Dabei klopfte sie auffordernd auf den Sitzpolster. Hans erschrak und hoffte, sie würde den aufwirbelnden Staub nicht sehen.

 

Hans gehorchte und ging auf sie zu. Da er unter der weiten Hose nichts trug, spannte sein erigiertes Glied bereits ein ordentliches Zelt auf.

 

Als er neben ihr saß, lehnte sie sich zurück und blickte ihm in die Augen. Er beugte sich zu ihr und näherte sich ihrem Gesicht.

 

„Was soll das werden, wenn es fertig ist? Was fällt dir ein?“

 

Erschrocken zuckte Hans zurück.

 

„Ich habe die Kontrolle! Hast du das schon wieder vergessen?“

 

„Ja, du hast die Kontrolle. Bitte entschuldige. Ich dachte …“

 

„Lass das Gewinsel und zieh diese lächerliche Hose aus!“

 

Hans stand auf und stieg schnell aus seiner Hose. Seine befreite Männlichkeit reckte sich ihr kerzengerade entgegen. Elisabeth ließ ihn endlose Sekunden ohne weiteren Kommentar stehen und musterte interessiert seinen Körper.

 

„Dreh dich für mich, zeig mir auch deinen Arsch. Beug dich nach vorne und spreiz die Backen für mich. Hast du dich auch ordentlich gereinigt du Schmutzfink?“

 

„Ja, ich habe gerade erst geduscht!“

„Na gut, dann komm näher. Ich muss mir das genauer ansehen.“

 

Er stand eine gefühlte Ewigkeit in dieser unbequemen Haltung herum. Irgendwann bekam er Krämpfe und sein bestes Stück schrumpfte von Halbmast zu Würmchen.

 

Als er auf sein verlegenes „Hrmpf?“ keinerlei Antwort erhielt, drehte er sich um.

 

Das Sofa war leer. Er war so aufgeregt und erregt gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie sie gegangen war. Nicht einmal die Tür hatte er gehört. Dieses Luder hatte ihn gerade richtig verarscht.

 

Er hatte sich eben zu seiner schlabbrigen Pizza und einem einsamen Glas Wein gesetzt, als es an der Tür klingelte.

 

Eigentlich hatte er gar keine Lust zu öffnen. Wer konnte das um diese Zeit schon sein.

 

Schließlich siegte die Neugier und er staunte nicht schlecht, als er sah, wer da auf seiner Fußmatte stand.

 

„Guten Abend Herr Huber, ich bin ihre neue Nachbarin.“

 

Elisabeths Aufzug war merkwürdig. Sie trug einen langen grauen Mantel. Hans brachte mal wieder keinen Ton über die Lippen.

 

„Es riecht ganz köstlich nach alter Pizza. Hätten sie vielleicht ein Stück für mich?“

 

Als Hans immer noch keine Anstalten machte zu reagieren, schubste sie ihn in die Wohnung, schloss die Türe hinter sich und öffnete ihren Mantel.

 

Hans konnte gerade noch einen Blick auf eine scheußlich geblümte Schlabberhose und wunderschöne bloße Brüste erhaschen, da hing sie schon an seinem Hals und gab ihm einen Kuss auf die Lippen.

 

Dann ein zärtlich gehauchtes „Ich hab’s auch nicht so mit der Kontrolle“.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 05.10.2022

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