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Kapitel I

„Der Klang der Stimme verrät den Zustand der Seele.“ – Helmul Glaßl

Kapitel I (März 2016)

 

Mein Wecker klingelte und vertrieb meinen schönsten Traum. Eben noch lag ich in den Armen meines Schwarms, nun im Bett. Mein Herz pochte spürbar in der Brust und das rhythmische bubupp bubupp ließ mich noch einmal in Gedanken zu meinem Schwarm zurückkehren. Ich umfasste mich, als könnte ich seine Umarmung spüren.

     Vor meiner Tür näherten sich Schritte. Ich verdrehte die Augen. „Alva“, tönte die Stimme meiner Mutter. „Aufstehen!“ Ich zog mir die Bettdecke über den Kopf, denn obwohl es heute der letzte Schultag war, wollte ich nicht aufstehen. „Nur noch fünf Minuten“, rief ich ihr entgegen. Ich schloss die Augen und träumte mich ein letztes Mal zurück zu der Umarmung, aus der ich nicht aufwachen wollte. Die Tür wurde aufgerissen. „Alva, so langsam verliere ich die Geduld“ Meine Mutter schnaubte hörbar. Sie griff die Bettdecke und zog so fest daran wie sie konnte. Mein Ziehen bildete dazu den Gegenpol. „Es ist der letzte Schultag, Schatz. Morgen kannst du ausschlafen“, säuselte ihre Stimme viel zu nah an meinem Ohre. Demonstrativ drehte ich mich auf die andere Seite.

„Ist Connor denn schon wach?“

„Wach und angezogen“, polterte es aus Richtung Türrahmen. „Komm, lass uns frühstücken, Mum hat uns unsere Lieblingspfannkuchen gemacht“

„Mit Blaubeeren und Sirup?“, murmelte ich.

„Ja, so wie ihr beide sie am liebsten mögt“, antwortete meine Mutter.

Ich streckte meine Glieder aus und hörte es knacken.

„Sei bitte in fünf Minuten unten, Alva“, bat sie mich und ging aus dem Zimmer. Ich blinzelte, um meine Augen an den hellen Lichtstrahl, der vom Flur her in mein Zimmer und genau auf mein Bett fiel, zu gewöhnen. Ich streckte mich ein weiteres Mal und nun spürte ich, wie mich mein Innerstes dazu überredete, diesen Tag anzutreten und ihn zu begrüßen. Mum schaffte es immer wieder, mich mit ihren kleinen Tricks herumzukriegen und ich fiel immer wieder auf sie herein, egal wie oft sie sie anwandte.

       Ich setze erst das linke Bein, dann das rechte auf den Flokatiteppich. Meine Zehen berührten seine weichen Fasern und ich kam nicht umhin, mir einzugestehen, dass ich dieses Gefühl liebte und es allein es wert war, aus den Federn zu kommen.

     „Alva!“, rief mein Bruder von unten. „Wir kommen noch zu spät!“ Ich schnappte mir meine Jeans, entschied mich für das oberste T-Shirt auf dem Stapel in meinem Kleiderschrank, zog es mir über den Kopf und flitzte ins Bad. Eine Katzenwäsche muss für heute genügen, entschied ich, putzte mir die Zähne während ich mein Haar kämmte.

     „Alva“, rief Connor erneut. Ich stürmte die Tür herunter und blickte in ein Gesicht, das meines bis auf winzige Veränderungen glich, doch diese konnte nur unsere Mutter erkennen.

     „Da, dein Frühstück“, knurrte Connor und reichte mir die Plastiktüte, welche angenehm nach Sirup und Blaubeerpfannkuchen duftete. „Danke, Mum“, rief ich. Sofort stand sie neben uns. Sie trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. „Ich hab’ euch lieb, ihr zwei“, sagte sie und gab jedem von uns einen Kuss auf die Stirn. „Bis nachher, ich bereite schon einmal alles vor“

 

Filme im Unterricht zu gucken ist nicht das Gleiche wie wenn man mit seinen Freunden ins Kino fährt, um sich den neuen Streifen mit Zac Efron oder Keira Knightley anzuschauen.

„Today, we will watch a movie“, verkündete unser Englischlehrer betont fröhlich, als ich gerade die Tür zum Klassenzimmer öffnete und hereinschleichen wollte. „Ah, Ms. Voicer, thanks for honouring us with your presence“

Seine Tonlage konnte den Spott nicht verbergen. Ich mahnte mich zur Ruhe, nur noch 80 Minuten durchhalten und dann musste ich Mr. Birchmeier für sechs Wochen nicht mehr sehen. Im Film hatte Katniss Everdeen sich gerade freiwillig als Tribut gemeldet. Ich ließ mich auf den Platz neben meiner Freundin Lisa fallen. „Hi“, flüsterte ich. „Kommst du auch mal?“, fragte sie mit ihrer Oberlehrer-Stimme. Wir kicherten. „Ms. Voicer, Ms. Marcher, may I ask for your attention, please“

„Yes, Mr. Birchmeier”, echoten Lisa und ich, doch das Grinsen konnten wir uns nicht verkneifen. Wir verbrachten die nächsten 80 Minuten damit, Katniss Everdeen und Peeta Mellark beim Anfang ihres Untergangs zuzusehen. Kathrin flüsterte jeden Satz mit. „Es ist mein Lieblingsfilm“, ließ sie uns wissen. Nicht, dass diese Information neu für Lisa und mich gewesen wäre, doch wir nickten nur und kicherten erneut. Eine herzzerreißende Szene folgte auf die andere und Lisa äffte dann und wann Kathrin nach. Diese schien an den Lippen der Schauspieler zu hängen und konnte sogar den Text der Nebenfiguren mitsprechen.

     Lisa schob mir einen Zettel zu. „Was machst du in den Ferien?“, stand dort in Großbuchstaben geschrieben. Ich verzog das Gesicht und dachte an Mum, wie glücklich sie heute Morgen gewirkt hatte, wie voller Aufregung.

     „Ich fahre mit Connor und Mum an die Ostsee“, schrieb ich unter die Frage und schob ihn Lisa hin. Während sie die Antwort las, beobachtete ich sie. Als sie mir einen Blick zuwarf, verzog ich das Gesicht noch einmal zu einer Grimasse.

     „Ich werde dich vermissen, aber wir haben ja What’s App“, stand in ihrer Schrift darunter mit einem Smiley, der mir zuzwinkerte.

 

     Es läutete und Kathrin hatte Tränen in den Augen.

„I wish you all a nice holiday“, tönte Mr. Birchmeier und grinste dabei wie ein Wahnsinniger. Nur noch eine Stunde und ich muss sechs Wochen lang keinerlei Hausaufgaben erledigen, keine Vokabeln auswendig lernen oder im Unterricht mitarbeiten, damit ich am Ende des Halbjahres noch eine gute Zeugnisnote bekomme.

     „Also an die Ostsee?“, fragte mich Lisa.

„Wie jedes Jahr“ Ich nickte und verzog den Mund zu einem kurzen Lächeln.

„Ich beneide dich. Wenigstens musst du nicht stundenlang durch die Gegend fliegen, nur um deinen Eltern dann beim Streiten zuzuhören und später dann die merkwürdige Stille im Hotelzimmer ertragen“, konterte Lisa.

Ich packte sie bei den Schultern. „Wenn du mich brauchst, ich bin nur eine What’s App-Nachricht von dir entfernt. Schreib mir einfach, oder ruf mich an“ Ich lächelte sie aufmunternd an, doch Lisas Gesichtszüge bewegten sich keinen Millimeter. Sie zuckte mit den Schultern und löste sich aus meiner Berührung.

„Werdet ihr wieder zum Wohnwagen eurer Familie fahren?“, fragte sie.

Ich nickte. „Du weißt doch, wie sehr meine Mutter auf Traditionen steht, aber wenigstens lässt sie uns an manchen Tagen ausschlafen“

„Klingt, als würdest du dich ein bisschen freuen“

Lisa hatte Recht. Ich freute mich auf die Ostsee, auf die salzige Luft und darauf, im Meer zu schwimmen.

„Ich hätte aber auch nichts gegen eine Ortsveränderung. Ich würde auch gerne mal nach Chicago fliegen oder nach San Francisco oder reiten in Texas, so wie du“

Lisa lächelte und ich verbuchte das als einen Erfolg.

„Texas ist schon cool. Du glaubst gar nicht, wie freundlich Texaner sein können. Es hat schon Vorteile, einen GI als Vater zu haben“

     Die Klingel mahnte uns. Wir rannten über den Flur, vorbei an Mr. Birchmeier. „Ladies, no running, please!“, rief er uns vergebens hinterher.

     Lisa und ich erreichten gleichzeitig den Klassenraum und Frau Freitag sortierte gerade Zeugnisse, Urkunden und andere Mitteilungen auf ihrem Pult. Lisa und ich schlichen zu unseren Plätzen.

     „Guten Morgen, Klasse 9a“, begrüßte sie uns.

„Guten Morgen, Frau Freitag“, echoten Lisa, meine Klassenkameraden und ich zurück.

„Setzt euch bitte. Hinter euch steht unser Frühstücksbuffet, bedient euch bitte, ich hoffe, ihr habt an Teller und Tassen gedacht“

     Meine Klassenkameraden und ich drehten uns um. Sie hatte wirklich an alles gedacht. Der ganze Tisch schien einem Bild von dem perfekten Frühstück zu gleichen, welches man nur in der Werbung präsentiert bekommt.

     Lisa stand auf und holte uns zwei Tassen Kakao. Ich tat es ihr gleich und brachte geschmierte Brötchen mit, Schinken für mich und Käse für Lisa, sie hasste Fleisch und weigerte sich strikt, es zu essen.

     „Wetten, dass die Mädchen der 9b nachher neidisch sind, Alva?“, fragte sie mich und ich bemerkte den fröhlichen Unterton in ihrer Stimme.

     „Sei nicht so gehässig“, sagte ich und verzog das Gesicht zu einem Lächeln. Sie biss geräuschvoll in ihr Käsebrötchen, sodass sich Katrin zu uns umdrehte.

     „Das“, sagte sie abfällig und zeigte auf Lisas Käsebrötchen, „ist sicherlich Formkäse.“

     Lisa verdrehte die Augen. „Mir doch egal!“, sie zuckte mit den Schultern, „Mir schmeckt er.“ Als ob sie das Gesagte bestätigen wollte, biss sie noch einmal hinein.

     „Na dir schmeckt es aber“, hörten wir drei Frau Freitag sagen. Sie nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu uns, ihre manikürten Finger um die Kaffeetasse geschlungen.

     „Habt ihr etwas Schönes für die Ferien geplant?“, fragte sie uns im Plauderton.

     „Wir fahren erst nach Rostock und von dort mit der Fähre weiter nach Schweden“, gab Katrin an. Typisch. Ihre Familie fuhr nach Rostock, um dann weiter zu fahren. Ich spürte, wie Neid in mir aufstieg. Frau Freitag lächelte.

„Das stelle ich mir sehr entspannend vor“, sagte sie und trank einen Schluck aus ihrem Kaffee.

„Ist es auch“, bestätigte Katrin, „Man möchte meinen, dass fliegen leichter wäre, doch mein Vater will, dass wir dieses Jahr mal etwas anderes ausprobieren.“ Frau Freitag nickte langsam, doch in ihrem Blick konnte ich sehen, dass sie von Katrins überheblicher Art mindestens genauso genervt war wie ich.

„Und ihr? Was habt ihr beiden in den Ferien vor?“, fragte sie an Lisa und mich gewandt.

„Wir fliegen nach Newport Beach“, flötete meine beste Freundin. Ich wünschte mir, dass der Boden sich unter meinen Füßen auftut und mich verschlingt, doch ich wartete ab, bis Katrin oder Frau Freitag auf die Schlagwörter Newport Beach reagierten. Mich zumindest tragen sie mitten ins Gesicht.

„Ah, du fliegst zu deinen Verwandten in die USA?“, erlöste mich Frau Freitag und innerlich dankte ich ihr auf Knien dafür.

Lisa nickte stolz. „Mein Vater kommt bald von seinem Einsatz zurück und trifft uns dort.“ Frau Freitag nickte und ich konnte den Respekt in ihrem Gesicht lesen.

„Dein Vater dient seinem Land ganz fabelhaft.“ Das letzte Wort unterstrich Katrin mit erhobener rechter Hand. Sie strich sich damit eine Haarsträhne hinters Ohr. Innerlich rollte ich mit den Augen und war noch genervter als vorher von ihr.

„Mich zieht es dieses Jahr in die Berge. Ich möchte ein bisschen wandern und Ski fahren.“, ließ uns Frau Freitag wissen. „Was ist mir dir, Alva?“

„Ach“, ich winkte ab, „wir fahren an die Ostsee und campen.“

„Dort ist es sicherlich auch schön“, versuchte Frau Freitag mich aufzumuntern. Aber ich würde die Berge vermissen“, sie zwinkerte mir zu. Ich verstand ihren Witz und lachte. „Von hier kann man sie bei gutem Wetter sehen.“ Meine Klassenlehrerin hatte das Glück in einer Wohnung zu leben, von welcher aus man tatsächlich die Alpen sehen konnte.

„Ich könnte nicht so lange am Meer sein“, provozierte mich Katrin. Gerade als ich etwas darauf antworten wollte, klingelte es. Frau Freitag sprang auf, stürmte zu ihrem Pult und legte uns die Zeugnisse auf den Tisch während wir zusammenpackten.

„Räumt ihr bitte noch auf?“, fragte sie uns. Martin nickte eifrig.

„Ich mach das schon“, sagte er und begann Teller, Tassen und Besteck zusammen zu räumen.

„Lasst uns ihm helfen“, schlug Katrin vor und eine blonde Strähne fiel ihr ins Gesicht.

Ich nahm ihren Vorschlag nur allzu gerne an, wusste aber, dass ich dem Unvermeidlichen nicht ausweichen konnte.

„Ihr müsst mir nicht helfen“, sagte Martin und winkte ab, „Ich mach das schon.“

„Okay“, erwiderte Lisa, „dann lassen wir die Turteltauben allein.“ Sie hakte sich bei mir unter, drückte mir meine Tasche vor den Brustkorb und zog mich aus dem Klassenraum.

„Schöne Ferien“, rief Frau Freitag uns hinterher.

 

Auf dem Flur herrschte reges Treiben. Überall entstand ein buntes Gewirr aus Schülern. Die jüngeren rannten den Gang hinunter, in der Hoffnung einen Sitzplatz im Bus zu ergattern.

Lisa stieg mich in die Seite. „Wenn die wüssten“, sie zeigte auf eine Gruppe Fünftklässler, welche an uns vorüber stürmten. Ich schulterte meine Tasche.

„Jeder muss diese Lektion lernen.“, sagte ich und wackelte mit dem Kopf arrogant und wissend von links nach rechts, meine Augen zur Decke gewandt, mein Mund offen. Ich bildete mir ein, wie Katrin auszusehen. Wir kicherten und gingen zum Hintereingang raus.

„Ich werde dich vermissen“, sagte ich und sah Lisa an, dass sie die Sehnsucht in meiner Stimme spürte.

„Ach, Alvs“, versuchte sie mich zu beruhigen und umarmte mich, „bei meinen Verwandten habe ich doch WLAN und kann dir immer per What’s App schreiben.“ Sie legte beide Hände auf meine Arme und strich an ihnen hoch und runter. „Es sind doch nur sechs Wochen. Wir sehen uns doch bald wieder.“ 

Ein schwarzer Dodge mit lauter Musik fuhr vor. Wir hörten das Jaulen der Gitarren und wie der Schlagzeuger auf die Becken eindrosch.

„Slayer“, sagte Lisa und winkte ab, „meine Mum hört diese Band immer, wenn Dad im Auslandseinsatz ist.“

„Dann hört sie sicherlich schon bald Liebeslieder“, frotzelte ich.

„Erst wenn er bei ihr ist“, ließ mich Lisa wissen. Sie strich eine Haarsträhne hinter ihr rechtes Ohr und umarmte mich ein weiteres Mal. „Ich werde dich aber auch vermisse, Alvs.“ Wir küssten uns auf die Wangen.

„Ihr seid doch keine Franzosen“, hörten wir Connor sagen.

„Also dann, mach’s gut, Schatz.“ Lisa betonte das letzte Wort mit besonderer Deutlichkeit. Mein Bruder verdrehte die Augen.

„Hau rein, Lisa!“, rief er ihr hinterher.

„Tausend Jahre sind’s bis dahin.“, imitierte ich unsere Version von Shakespeare. Ich winkte mit beiden Armen in der Luft und sah, wie der schwarze Dodge meine beste Freundin von mir entfernte.

„Och, Schwesterchen, siehst sie doch bald wieder“, sagte Connor und legte einen Arm um mich.

„Hast Du Mum schon gesehen?“ Er nahm den Arm von meiner Schulter, steckte seine Hand in die Hosentasche und stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser Ausschau halten zu können. Ich schüttelte mit dem Kopf, tat es ihm gleich und hoffte, einen roten Open Kombi vor meinem Zwillingsbruder zu erspähen.

„Na, wartet ihr auf eure Mum?“, tönte eine Stimme von hinten. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich eine Gestalt auf meinen Bruder stützte.

Er drehte sich um. „Felix!“, rief er, „Lass den Quatsch.“ Connor schüttelte seinen Freund ab.

„Ich wünsch dir viel Spaß an der Küste“, rief er, zwinkerte mir zu, winkte und hastete zu einem blauen Audi.

„Dieser Typ geht mir ganz schön auf die Nerven“, sagte ich in der Hoffnung Zustimmung von meinem Bruder zu bekommen, doch er zuckte gleichgültig mit den Achseln.

Ich sah ihn an, doch sein Blick war starr auf die Lawine an Autos, die nur langsam vorwärtskamen, und Kinder, die zu ihnen hasteten, gerichtet.

„Da hinten kommt Mum“, rief er und zeigte auf den roten Opel Kombi, der sich gemächlich an Bäumen und Kindern vorbeischob. Mum blinkte und bog in eine freie Parklücke ein. Connor hastete los, raste die Treppe herunter, zwei Stufen auf einmal nehmend. Ich trottete langsam hinterher. Ich sah, wie Connor seinen Rucksack auf den Rücksitz pfefferte und sich auf dem Beifahrersitz sinken ließ. Typisch. Ich verdrehte die Augen und ging die letzten drei Treppenstufen einzeln hinunter. Mum hatte den Motor laufen lassen. Als ich die Tür öffnete, hörte ich einen dieser Amy Winehouse-Songs, die Mum immer bei Liebeskummer hörte.

„Hallo, Schatz“, begrüßte sie mich fröhlich. Ich erwiderte den Gruß und kramte in meiner Schultasche nach meinem iPod und den Kopfhörern. Meine Mutter setzen den Blinker und fädelte sich in die Schlange ein. Im Rückspiegel trag ihr Blick meinen. Sie lächelte mir zu und ich ihr.

„Ich habe es eben schon einmal zu Connor gesagt“, begann sie. Wir kamen nur stockend voran und die Ampel, die gerade auf rot sprang, war wenig hilfreich. „Eure Sachen sind schon im Kofferraum, wir fahren sofort los.“

„Aber Mum!“, protestierten Conner und ich gleichzeitig, „das ist unfair!“

„Hey, ihr zwei!“, rief sie uns entgegen, deutlich genervt, „Es ist okay! Ich habe an alles gedacht!“

„Sicher nicht“, sagten Connor und ich wie aus einem Mund und verschränkten gleichzeitig die Arme vor der Brust. Unsere Mutter verdrehte die Augen und ich bereute sofort, dass wir sie provoziert hatten.

„Okay, ich habe sämtliche Ladegeräte für eure Smartphones und sonstigen Geräte.“ Sie zählte die Gegenstände an ihren Fingern auf. „Alva, für dich habe ich den Tolino eingepackt“, sagte sie an mich gewandt. Ihre grünen Augen funkelten dabei wie Smaragde im Sonnenlicht. Ich nickte ihr dankbar zu und schenkte ihr ein Lächeln.

„Connor“, sie neigte den Kopf zu meinem Zwillingsbruder, „Für dich habe ich dein Ding eingepackt.“

„Meine PSP?“, fragte Connor überrascht.

„Ja, genau, das Ding.“ Er ließ sich zurück in den Sitz fallen, sodass dieser bedrohlich knackte und vibrierte.

„Und? Wo ist sie? Kann ich sie haben?“ Connor streckte seine linke Hand aus. Die Ampel sprang auf grün. Meine Mum schüttelte den Kopf.

„Die ist hinten im Kofferraum“ Ich konnte den Zorn fast greifen, der in Connor aufstieg.

„Na ganz toll“, sagte er.

„Tja“, sagte meine Mum triumphierend, „Du sitzt neben mir. Du spielst heute Tom Tom.“ Das Lächeln entblößte ihre perfekten weißen Zähne. Im Spiegelbild zeigte sich jedoch ein Lippenstiftabdruck.

„Wenn ich Navi spielen muss, darf sie aber nicht iPod hören“ Das Lied im Radio wechselte auf Katie Melua und Mum auf die Spur, die zur Autobahn führte.

Mum zwinkerte mir zu, was ich zum Anlass nahm, iPod zu hören, wenn ich wollte.

„Also, mein Navi, wie geht’s weiter?“, fragte sie spitzfindig.

„Du fährst jetzt hier auf die A9“, Connor drehte sich um, „Die machen dir Platz.“, sagte er.

Mum setzte den Blinker links und bog auf die A9. „Falls du nicht mehr weiterweißt, in der Tür liegt der Routenplan.“, instruierte sie Connor. Ich hatte Mühe mir das Lachen zu verkneifen. Katie Melua sang jetzt von Fahrrädern in Peking und ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn diese neben uns auf der A9 fahren würden. Meine Augen wurden schwer bei diesem Gedanken und ich schlief ein.

 

Kapitel II

 

Kapitel II

 

„Was soll ich denn da?“, hörte ich Connor sagen. Ich öffnete die Augen und fühlte mich noch schwer vom Schlaf.

„Da gehen doch nur welche hin, die zu viel Langeweile haben.“

„Aber du magst doch Filme. Zu Hause siehst du sie doch gerne an.“

Connor seufzte. „Aber zu Hause haben wir den perfekten Sound, Mum. Der fehlt mir dort im Kino.“

„Was will man auch von Blechdächern erwarten?“, mischte ich mich ein und zuckte mit den Achseln.

„Na, auch wach?“, frotzelte Connor.

„Klar, es kann ja nicht jeder so gut Navi spielen wie du“, erwiderte ich.

„Wir fahren gleich auf den Parkplatz, dann wechseln wir.“ Mum nahm die Spannung aus unserem Streit und im Stillen bewunderte ich sie dafür. Sie setzte den Blinker. LKWs mit der Aufschrift Edeka rauschten an uns vorüber und während ich ihnen nachsah, spürte ich, wie mein Magen knurrte. Ich hätte mehr Brötchen in der dritten Stunde bei Frau Freitag essen sollen, doch Katrins kritische Blicke hielten mich davon ab und auf einen Vortrag über gesunde Ernährung konnte ich gut verzichten. Dann lieber Magenknurren.

„Habt ihr Hunger?“, fragte unsere Mum, als könnte sie meine Gedanken lesen. Connor und ich nickten.

„Auf meine Instinkte ist Verlass." Sie lächelte. Mum bog in eine Parklücke ein und die zwei goldenen Bögen des Restaurants lachten Connor und mich an. Mum folgte unserem Blick. „Kommt gar nicht in Frage.“, sagte sie streng und zerstörte damit jegliche Hoffnung auf einen Burger, Pommes und Cola. „Ich habe heute Morgen extra Brote geschmiert, Eier und Kaffee gekocht.“

Connor schnalzte mit der Zunge und schnallte sich ab. „Die Wurst mit den Pilzen gehört mir!“, rief er, öffnete die Tür und war verschwunden.

„Keine Sorge, Alva“, beruhigte mich Mum, „Für dich habe ich auch Brote gemacht.“

Ich zuckte die Achseln. „Ich mach mir nicht viel aus Pilzen“

„Ich weiß“, lenkte meine Mutter ein, „deswegen habe ich für dich Brote mit Salami, Käse und Gurken geschmiert.“ Mein Gesicht erhellte sich, denn meine Mum hatte die drei Zauberworte gesagt, die mich von 180 auf 0 bringen.

„Und natürlich habe ich Putensalami und fettarmen Käse genommen.“ Meine Mutter lächelte mir zu und ich breit zurück.

„Danke, Mum.“

Connor kam, den Mund vollgestopft, ein Brot in der einen und ein Ei in der anderen Hand. „Möschtet ihr auch?“, fragte er uns und Brotkrümel fielen zu Boden.

„Lass uns erst einmal aussteigen“, bat meine Mutter. Wir schnallten uns ab und stiegen aus dem Auto. Ich nahm mir ein Salami-Gurke-Käsebrot aus der Dose und biss genüsslich hinein. Sobald die Gurken meine Zunge berührten und sich mit dem Salami-Käse-Geschmack vermischte, hörte mein Magen auf zu knurren. Meine Mutter kam zum Kofferraum.

„Na, Liebes?“, fragte sie und nahm sich ein Brot aus der anderen Dose. „Hast du etwas Leckeres gefunden?“ Ich reagierte mit einem Nicken. Sie biss in ihr Bort.

„Ist noch ein Ei da?“, fragte Connor.

„Zu viele Eier sind ungesund“, neckte ich ihn.

„Meckern auch“ Er streckte mir seine rote Zunge entgegen, welche mit halb-zerkautem Brot garniert war. Ich tat es ihm gleich.

„Lasst das, ihr zwei“, mischte sich unsere Mutter ein. „Wie soll sich denn die ganze Welt vertragen, wenn nicht einmal Bruder und Schwester miteinander auskommen?“ Mutters Frage verfehlte ihr Ziel bei Connor und mir nicht.

Tut mir leid, formte er mit seinen Lippen. Mir auch, formte ich. Betreten starrten wir beide zu Boden. Connor kickte einen Stein auf die Wiese neben unserem Parkplatz. Im Sonnenlicht glitzerten seine schwarzen und weißen Punkte.

Mum nahm ein Ei aus der Packung und reichte es Connor. „Da, für dich, damit du groß und stark wirst“ Connor nahm und schälte es. Wir tauschten einen Blick und zwinkerten uns zu.

„Magst du die Hälfte haben, Alva?“ Ich nickte.

„Aber nur ...“

„... nur die weiße Seite des Eis“, sagten Connor und ich gemeinsam.

„Schon als Kind mochtest du immer lieber das Eiweiß und das Gelbe musste immer Papa essen“ Als sie von unserem sprach, konnte ich die Sehnsucht spüren, die sie nach ihm im Herzen trug.

„Sehen wir ihn eigentlich, wenn wir oben sind?“, fragte Connor und vor meinem geistigen Auge stieg ein dicker Elefant im Porzellanladen empor. Mein linker Ellbogen traf ihn in die Seite.

„Autsch“, rief er, „Ich denke schon, dass er euch besuchen kommt“, unsere Mutter schluckte. „Zumindest hat er das gesagt.“ Sie knüllte die Serviette zusammen und gekonnt warf sie diese in den Mülleimer, der drei Meter von uns entfernt stand.

„Ich werde mir ein paar Minuten die Beine vertreten“, informierte Mum uns, „bleibt ihr so lange am Auto stehen oder wollt ihr mit?“ Connor und ich schüttelten die Köpfe.

„Dann passt gut auf, dass euch niemand wegfängt“, sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen.

„Wer die wegfängt“, Connor zeigte mit dem Daumen auf mich, „muss eine Belohnung bekommen oder er bringt sie nach einer Stunde wieder zurück und verlangt eine.“

„Du bist doof!“, rief ich und streckte ihm meine Zunge entgegen. Unsere Mutter atmete schwer ein, verzog das Gesicht und ging. Wir blickten ihr einige Meter hinterher.

„Glaubst du, er liebt sie noch?“, fragte Connor nach einer Weile.

„Ist schwer zu sagen. Letztes Jahr hatte er doch Jeanette kennengelernt. Meinst du, er ist mit ihr noch zusammen?“ Mein Bruder streckte sich und warf mir einen abschätzigen Blick zu.

„Na hoffentlich nicht“ Er schüttelte sich. „Allein ihr Name bereitet mir schon Gänsehaut.“

„Wieso? Jeanette ist ein ganz normaler Name“

„Für einen Schimpansen vielleicht.“

„Ach, du übertreibst“ Ich winkte ab. „Bestimmt ist sie ganz nett“

Ganz nett?“, äffte mich Connor nach. „Ich glaube du spinnst. Sie hat mir zu Weihnachten einen Transformer geschenkt

Kapitel III

 

Kapitel III

Das gleichmäßige Prasseln von Regen aufs Wohnwagendach weckte mich. Ich richtete mich in der Schlafkabine auf. Die Nacht war dunkel. Ein Blick nach draußen bereitete mir Gewissheit. Es musste nach zwei Uhr sein, denn die Straßenlaternen waren bereits ausgegangen. Von fern hörte ich wie Welle um Welle an den Strand rauschte. Ich bildete mir ein weiße Schaumkronen durch die Bäume zu sehen. Im Wohnmobil unter uns brannte Licht. Schemenhaft konnte ich die Gestalten erkennen, die in es krabbelten. Ihre Bewegungen sahen unbeholfen aus. So bewegten sich auch meine Eltern, wenn sie zu tief ins Glas geschaut hatten. Ich lächelte. Weiter unten am Strand entdeckte ich ein flackerndes warmes Licht. Lagerfeuer am Strand. Viel Spaß konnte das beim Regen nicht machen, hörte ich meine innere Stimme kritisch sagen.

     Das Licht des Leuchtturms einer Insel etwa 80 Kilometer entfernt von mir schien zwischen den Kiefern hindurch. Ich legte mich wieder hin und schloss die Augen. Vor ihnen tanzte nun ein blaues Licht auf und ab. Ich öffnete sie wieder und sah, dass das Licht des Leuchtturms blau war. Ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, entriss mich der Schlaf in sein Reich.

     Langsam kam der nächste Morgen. Ich stand auf und guckte nach vorne. Mum war schon aufgebrochen, ihr Bett war bereits in den Klappluken verstaut und auf dem Tisch stand eine gelbe Kunstrose in der Vase, die schon unzählige Male heruntergefallen und wieder geklebt worden war. Connor schlief noch. Gleichmäßig hob und senkte sich seine Brust. Ich entschied mich, joggen zu gehen.

     Auf dem Pflaster vor dem Vorzelt lag Sand zerstreut. Nachher werde ich einen Besen nehmen und ihn wegfegen, nahm ich mir fest vor. Ich finf runter zur Strandstraße. Wenige Meter trennten mich vom Wohnwagen. Schnellen Schrittes lief ich zum Strandaufgang und runter zum Wasser. Rechts von mir lag die Feuerstelle von gestern Nacht, Flaschen im Kreis darum. Ich joggte los. Die kühle Seeluft spielte mit meinen Haaren, wirbelte sie herum als seien es seit langem die einzigen Spielgefährten, als sehnte sie sich schon lange nach ihrer Gesellschaft. Schritt um Schritt kam ich meinem Ziel näher. Ich konnte schon das weiße Gestell des Rettungsturmes am Horizont erkennen. Links von mir rauschte das Meer. Die Sonne war erst vor wenigen Stunden aufgegangen. Nur die blass-orangen Wolken kündeten davon. Geschickt wich ich Welle um Welle aus und genoss das Gefühl frischer Seeluft auf meiner Haut. Das hätte ich gestern noch hinzufügen sollten, als Mum mich nach Dingen, auf die ich mich freute, gefragt hatte. Weiße Wolken zogen am Himmel auf, vermischten sich mit den orangenen. Wo mehrere von ihnen aufeinandertrafen, vereinten sie sich zu einer stahlgrauen Masse. Ich sandte Stoßgebete gen Himmel.

„Na, auch schon wach?“, hörte ich eine Stimme sagen. Mum rauschte an mir vorbei. Mir stockte der Atem so sehr hatte sie mich erschreckt.

„Hey, bin nur ich“ Sie joggte auf der Stelle und machte ein paar Jumping Jacks.

„Ja“, keuchte ich, „ich konnte nicht mehr schlafen.“

Mum lächelte mich herausfordernd an. „Wettrennen bis zum Turm?“ Ich nickte und rannte los. Ich schob jegliche Gedanken beiseite, konzentrierte mich voll auf meine Atmung. Mum zischte an mir vorüber. Ich beschleunigte meine Schritte. Überholte sie. Nur wenige Sekunden des Sieges waren mir vergönnt. Weniger Meter vorm Rettungsturm überholt sie mich ein letztes Mal.

„Erste!“, rief sie und streckte beide Arme in die Luft. Sie berührte den weiß bemalten Stahl.

Ich lächelte gequält. „Das ist unfair!“ Ich stoppte. „Ich war nicht darauf vorbereitet.“

Mum legte den Kopf schief und sah mich an. „Och, komm schon, gönn mir doch meinen Erfolg“

„Du bist die Beste“, flötete ich, das Seitenstechen ignorierend.

 

„Ich will eine Revanche“, motzte ich gespielt, als wir zurück im Vorzelt waren.

Sie lächelte stolz. „Morgen Früh, gleiche Zeit?“

Ich nickte begeistert. „Da mache ich Sie fertig, Voicer“, versuchte ich Mums Chef zu imitieren.

„Wir werden sehen“, sagte Mum und zwinkerte mir lächelnd zu als wollte sie sagen, dass sie es kaum erwarten könne.

„Guten Morgen, Ladies“, begrüßte uns Connor, indem er die Wohnwagentür öffnete. Er hatte den Tisch gedeckt und der Duft nach frisch überbrühtem Kaffee erfüllte das Vorzelt.

„Es ist alles soweit fertig.“ Connors Stimme konnte seinen Stolz kaum verbergen. „Es fehlt nur noch eine Sache.“ Er streckte Mum die linke Handfläche entgegen. „Gibst du mir Geld, damit ich uns Brötchen holen kann?“

„Nimm mein Portemonnaie mit, es ist in der Tasche im Kleiderschrank“ Connor nahm es und verließ den Wohnwagen.

„Bis gleich, Ladies“, verabschiedete er sich und ging beschwingten Schrittes davon.

„Lass uns erst einmal frisch machen“, schlug Mum vor. „Aber ich lasse dir den Vortritt“

Ich ging in die Waschkabine und wusch mich. Ich ließ das kühle Wasser über mein Gesicht rinnen und erst als ich einen Blick in den Spiegel warf, bemerkte ich meine rotglühenden Wangen. Ein Zeichen, dass ich alles richtig gemacht hatte beim Joggen. Zufrieden setzte ich mich an den Tisch und goss Kaffee in die drei Tassen. Mum saß bereits dort und schaute träumend aufs Meer hinaus als könnte sie dort ein weiteres Mal die Insel zerbrechen sehen oder das Ende ihrer Sehnsucht.

„Siehst du die merkwürdige Farbe, die es heute Morgen hat?“, sagte sie ohne mich anzusehen. Ich betrachtete es.

„Irgendwie sieht es ganz beige aus, findest du nicht?“, fragte ich.

„Stell bitte das Radio an. Mal hören, was sie im Wetterbericht sagen.“ Ich stand auf und schaltete das Radio an. „Heute viele graue Wolken, dazu ab und zu ein paar Schauern.  Hin und wieder lässt sich auch die Sonne blicken.“,  tönte der  moderator. „ Temperaturen heute bei 19-20° aus“, fügte er hinzu.

Mum und ich tauschten einen Blick. Wir lasen die Enttäuschung beim beim jeweils anderen.

Connor Kam mit frischen Brötchen in den Wohnwagen. „Was machen wir heute?“, fragte er als jeder die erste Hälfte gegessen hatte.

„Worauf hatte denn Lust?“, fragte uns Mum zurück.

 Ich könnte mich. „Ich glaube, ich gehe heute runter an den Strand“

„Bei dem Wetter?“ Connor zog einer Augenbraue hoch und zeigte nach draußen.

 Ich schielte an Mum vorbei und betrachtete das Meer genauer. Es war stahlgrau.  Ich beugte mich über den Tisch, Um den Himmel sehen zu können. Ebenfalls stahlgrau. Enttäuscht setzte ich mich zurück. Connor schob sich die zweite Hälfte seines Brötchen in den Mund.

„Hascht du nischt Luscht mit mir Tischtennisch zu spielen?“, fragte er mich während er kaute.

„Connor, man sricht nicht mit vollem Mund“, ermahnte ihn Mum und bedachte ihn mit einem strafenden Blick. Er schluckte hörbar.

„Sorry“, entschuldigte er sich. „Haben wir noch Tischtennisschläger hier?“

„Die müssten in der Klappe sein“ Mum deutete auf die Bank, auf der ich saß. Unter mir, Connor und Mum befanden sich Stauräume mit allerlei nützlichen Gerätschaften darin. Früher hatten sie uns als Spielzeug gedient und die Klappen als magische Stauräume in den Geschichten unserer Kindheit.

„Also. Gehst du mit Tischtennis spielen oder nicht?“, fragte Connor fröhlich.

„Ich weiß genau, was du im Schilde führst, Connor“, nickte ich wissend und schaute ihn mit einem Blick an, von dem ich überzeugt war, dass er den Menschen, die er traf, bis auf die Haut ging.

„Was denn?“, fragte mein Bruder gespielt unwissend, „darf man nicht mehr Tischtennis mit seiner Schwester spielen?“

„Ich komme mit, aber nur unter der Bedingung, dass du mich dann nicht für dieses Mädchen sitzen lässt“ Ich kannte meinen Bruder gut, zu gut.

Er nickte.

„Bevor ihr aber losgeht, waschen wir vorne noch ab.“, unterbrach Mum unser Vorhaben, so schnell wie möglich den Wohnwagen zu verlassen.

Connor und ich ließen den Kopf hängen. „Nagut“, sprachen wir wie aus einem Mund.

„Wenn wir dann fertig sind, könnt ihr die Schläger suchen“, schlug Mum vor.

Nur wenige Minuten von unserem Wohnwagen entfernt, hatte der Besitzer des Campingplatzes Wasch- und Duschräume erichtet. Dort befanden sich Waschbekcen, um Geschirr oder sonstiges abzuwaschen. Mum kippte den letzten Schluck ihres Kaffees hinunter und stand auf. Connor und ich halfen ihr den Tisch abzuräumen, darauf bedacht, dass es möglichst schnell ging.

„Was machst du heute?“, fragte ich und legte die Teller in eine blaue Schüssel.

„Mal sehen“, antwortete Mum, „ich gehe erst einmal duschen und werde dann etwas lesen“ Sie nahm den vollen Kaffeefilter aus der Kaffeemaschine und legte ihn in den Müll.

„Connor, bringst du bitte den Müll weg?“ Sie hielt ihm den vollen Beutel entgegen.

„Klar“, er schnappte sich den Beutel, „dann bis gleich.“

Bevor Mum es mir sagen konnte, wischte ich den Tisch ab. Sie quittierte meine Handlung mit einem wohlwollenden Lächeln. Auf der Strandstraße unter uns fuhren Autos vorbei, Fußgänger machten ihnen nur unwillig Platz.

„Welcher Idiot hat sich denn hierhin gestellt?“, brüllte ein Mann, kramte in seiner Tasche und zog sein Handy hervor. „Das darf doch nicht wahr sein!“, schimpfte er.

Mum ging hinaus. Wenige Sekunden später stand sie auf der Strandstraße. „Tut mir leid“, rief sie dem Mann entschuldigend entgegen.

„Ja, es hat sich erledigt!“, schnauzte er ins Telefon.

„Ich fahre mein Auto sofort weg“ Mum stieg ins Auto und fuhr davon.

„Wird auch langsam Zeit, was? Andere haben ihren Urlaub schließlich auch nicht im Lotto gewonnen“ Seine Worte machten mich wütend, so sehr, dass ich froh war, nicht unten am Auto bei ihnen zu stehen.

„Sieh zu, dass du fortkommst“, rief er Mum wütend hinterher, seine Arme kampfbereit in die Luft gestreckt und die Hände zu Fäusten geballt.

„Elena, raus mit dir!“ Eine kleine Gestalt mit grauen Haaren stieg aus dem Wohnmobil.

„Steh da nicht so blöd rum“, blaffte er seine Frau an, stieg hinein und knallte geräuschvoll die Fahrertür zu.

Ich beobachtete die Szene aus sicherer Distanz. Seine Begleiterin wies ihn ein, sodass sich das Wohnmobil nahtlos in die Reihe aus Zelten und anderen Wohnmobilen einfügte. Mit einem Ruck war die Fahrertür auf und wenig später mit einem lauten Knall ins Schloss gefallen.

„ELENA!“, schrie er wie aus Leibeskräften während die Passanten das Geschehen argwöhnisch betrachteten. Die Frau mit den grauen Haaren kam langsam auf ihn zu.

„Hilf mir aufbauen, du blöde Kuh!“ Kopfschüttelnd gingen Spaziergänger vorüber.

„So redet man aber nicht mit seiner Frau“, mischte sich eine Frau mit Hund ermahnend in das Geschehen ein. Sie sprach meine Gedanken aus. Er sollte nie wieder so mit seiner Frau reden können, dachte ich stumm.

„Stell das dahin“, formten seine Lippen. Ohne zu zögern, gehorchte seine Frau.

     In einem Baum nah am Wohnwagen rief eine Holztaube.

„Wo ist denn Mum hin?“, mischte sich Connor in ihr Lied. „Sie bringt das Auto weg, weil der da“, ich zeigte auf den Mann unter uns, der gerade eine Sitzgarnitur neben das Wohnmobil stellte, „sich beschwert hat“ Seine Lippen formten weitere Flüche.

Connor verdrehte genervt die Augen. „So Menschen sind echt furchtbar. Als hätten sie kein eigenes Leben“ Er winkte ab. Kaum hatte er

 

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Tag der Veröffentlichung: 26.04.2018

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