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Cassiopeia´s PoV - Der Tag der Ernte

Abgesehen von meinem gleichmäßigen Atem war es vollkommen ruhig. Ein aus, ein aus. Ich hatte meine Augen geöffnet und starrte an die Decke. Es war noch dunkel, doch ich wusste dass die Sonne gleich aufgehen würde. Und ich wusste auch dass es sinnlos war, wieder versuchen einzuschlafen. Auch wenn heute wohl der einzige Tag im Jahr war an dem es mir erlaubt war.

In ein paar Stunden würden meine Eltern aufwachen und meine Mutter würde wahrscheinlich wieder weinend am Esstisch sitzen während mein Vater versucht sie zu beruhigen.

Seit die Spiele ihnen ihr Kind genommen hat, haben sie furchtbare Angst auch ihr anderes zu verlieren. Auch wenn mein Name nur 4 Mal drinnen war, so war die Chance das genau einer meiner gezogen wurde, genauso hoch wie einer der anderen tausenden. Ich musste mich nie für Tesserasteine eintragen, meine Eltern hatten eine kleine Apotheke und wir mussten nur selten hungern. Doch auch Gill´s Name war nur 6 Mal im Topf und trotzdem wurde er gezogen. Trotzdem musste er sterben. Ich erinnere mich noch an jede einzelne Sekunde. Dass dein älterer Bruder bei den Spielen war, so etwas wird man nicht vergessen, dass er dabei gestorben ist, so etwas kann man nicht vergessen.

Sie nehmen dir nicht nur deinen einzigen Bruder, den einzigen Menschen dem du jemals vertraut hast, nein sie zwingen dich noch dabei zuzuschauen.

Gill war 17, stark und gutaussehend. Eigentlich hatte er gute Chancen. Auch wenn bisher nur 2 Leute jemals in Distrikt 12 gewonnen haben, so habe ich immer geglaubt dass er es schaffen könnte. Meine Hoffnung war der einzige Grund wieso ich nicht durchgedreht bin, die Leute im Kapitol zum Teufel gewünscht habe und wieso ich es ertragen habe das er dabei war. Doch auch er musste sterben, er hatte es unter die letzten 3 geschafft, aber auch er musste sterben. Es war ein Junge aus 1. Ich werde sein Gesicht niemals vergessen. Wie sehr ich ihn hasste. Oder wie sehr ich Haymitch Abernathy den Tod wünschte weil er als Mentor versagt hatte. Wäre er nicht ständig dauerbetrunken, sondern würde sich nur ein wenig darum kümmern Sponsoren zu finden, dann wäre mein Bruder vielleicht jetzt noch hier. Vielleicht würde er mich aus seinen dunkelblauen Augen anlächeln, meine Hand halten und mir sagen dass ich mir keine Sorgen machen müsste.

Damals vor 3 Jahren wäre ich vor Angst fast gestorben, die ganze Nacht hatte ich Albträume und habe schrecklich geweint.

Es waren meine ersten Hungerspiele in den ich gezogen werden konnte und mit 12 ist der Gedanke das heute dein Todesurteil gefällt werden kann ein wenig beängstigend.

Damals tapste ich leise aus meinem Zimmer und schlüpfte zu Gill ins Bett. Er hatte mir beruhigend über meine wirren blonden Locken gestreichelt und geflüstert: „Cassie keine Sorge ich beschütze dich. Wenn sie dich holen wollen, dann bringe ich jeden einzelnen von ihnen um“.

Er hatte am Ende ein wenig gelacht und auch ich entspannte mich ein wenig. Wenn Gill mich beschützt konnte ja gar nichts passieren. Doch sich selber konnte er nicht beschützen.

Später um 14 Uhr waren wir am Platz, der schönste Ort in Distrikt 12. Es wurde eine Bühne aufgebaut mit 3 Plätzen, für den Bürgermeister, den Mentor und Shinaya Neya. Auf den Dächern saßen überall Kamerateams und ich wurde ganz nervös.

Alle anderen 12-18 jährigen aus Distrikt 12 waren ebenso auf dem Platz versammelt, alle waren genauso wie ich ordentlich zu Recht gemacht. Mutter hatte mir ein schönes blaues Kleid angezogen und meine Haare kunstvoll geflochten. Als ich mich im Spiegel betrachtete fühlte ich mich schön. Doch als ich dort war und Shinaya Neya ihre Hand in die Glaskugel der Mädchen eingetaucht hatte, war alles an was ich denken konnte meine Angst. Meine Handflächen waren feucht und meine Kehle war wie zugeschnürt.

„Smilla Gardin“, flötete Shinaya Neyas Stimme in dem Kapitol Akzent.

Smilla kannte ich von der Schule. Sie hatte blasse Haut und fast weiße Haare, sie erinnerte mich ein wenig an eine Elfe. Die Kamera schwenkte zu ihrem geschockten Gesicht das noch blasser war als normalerweise.

„Na komm Liebes, nur nicht so schüchtern“, ertönte Shinlays Stimme.

Smilla waren die Tränen in die Augen getreten und sie wirkte vollkommen orientierungslos als die Friedenswächter sie auf die Bühne begleiteten.

Ich war traurig und doch unglaublich erleichtert.

Dann stolzierte Shinaya zu der Glaskugel für die Jungen. Ich schaute mich nach Gill um doch sein Blick war fest auf den Boden gerichtet.

Shinayas Hand raschelte in der Glaskugel und sie hielt ab und zu mal inne, sie wollte es extra spannend machen.

Schließlich entschied sie sich für einen Zettel und fischte ihn raus. Als sie wieder zum Mikrofon ging und den Zettel aufklappte, war die Anspannung beinahe greifbar.

„Gill Tame“.

 

In meinen Augen hatten sich Tränen angesammelt und ich zitterte am ganzen Körper. Ein aus, ein aus.

„Du wirst heute nicht gezogen“, flüsterte ich mir zu.

Die Sonne war mittlerweile aufgegangen und ich beschloss aufzustehen. Barfuß tapste ich in meinem Nachthemd ins Bad. Ich nahm das dunkelblaue, fast schwarze Kleid was Mutter gestern Abend für mich zurückgelegt hatte und legte es neben die Wanne. Danach schrubbte ich mich so gut es ging sauber bis meine Haut ganz rot war. Nachdem ich trocken war streifte ich mir das Kleid über und ging in die Küche.

Auf dem Weg hörte ich schon das leise Geflüster meiner Eltern.

„Sie wird nicht gezogen mein Schatz, keine Sorge, alles wird gut“, sagte mein Vater.

„Das kannst du nicht wissen“, schniefte meine Mutter.

Ich betrat die Küche und auch dann bemerkten meine Eltern mich. Überrascht schauten sie auf und Mutter wischte sie schnell die Tränen weg.

„Cassie schön siehst du aus“, sagte mein Vater mir.

Ich nickte nur geistesabwesend.

Auf dem Tisch befanden sich eine Kanne Tee, 3 Tassen und Plätzchen. Ich setzte mich hin und schenkte mir eine Tasse ein, doch etwas zu Essen konnte ich nicht runter bekommen.

„Darf ich dir die Haare flechten?“, fragte Mutter mich nach einer Weile und lächelte mich aus ihren oker- fast goldfarbenen Augen an.

„Natürlich“, antwortete ich ihr.

Meine Mutter flechte meine Haare hoch und steckte noch ein paar weiße Blüten rein. Danach reichte sie mir einen Spiegel und ich bewunderte ihr Meisterwerk. Meine Haare sahen wunderschön aus und Mutter war wahrscheinlich die einzige Person die meine Locken bändigen konnte.

„Danke“, sagte ich ihr worauf meine Mutter mich vorsichtig anlächelte.

 

Bevor wir uns zum Platz aufmachten legte ich mir noch meine silberne Kette um. Der Anhänger bestand aus einer schlichten kleinen silberne Murmel. Die Kette hatte einst meiner Großmutter gehört, das einzige was mir von ihr übrig geblieben war. In 12 lebten die Menschen nicht lange, man hatte schon Glück wenn man überhaupt seine Enkelkinder kennenlernte oder nicht schon als Kind verhungerte. Hunger war die häufigste Todesursache, auch wenn offiziell eine Lungenentzündung die Todesursache war, so ließ sich niemand davon täuschen. Seit es den Zaun gab, liefen wenigstens keine Pumas mehr auf den Straßen herum. Auch wenn der Zaun so gut wie nie unter Strom stand, so hielt er doch die Tiere fern. Ich war schon mehrmals außerhalb des Zaunes mit meiner Mutter um Kräuter für die Apotheke zu sammeln. Doch immer in Sichtweite der Weide, wir wollten kein unnötiges Risiko eingehen.

 

Um 14 Uhr waren wir alle auf dem Platz.

Vor dem Gerichtsgebäude war wie jedes Jahr eine große Bühne aufgebaut.

Alle 12-18 jährigen waren davor versammelt. Die Mädchen auf der einen Seite, die Jungen auf der anderen. Ich stellte mich zu den anderen Mädchen aus meiner Schule. Sie alle wirkten, genauso wie ich nervös und angespannt und vor allem hatten sie Angst. In jedem ihrer Gesichter konntest du die Angst erkennen.

Meine Freundin Laya drückte mir aufmunternd meine Hand, ich erwiderte den Druck und lächelte sie an. So gut man eben in so einer Situation lächeln konnte.

Dann wurde meine Aufmerksamkeit auf den Bürgermeister gelenkt. Wie jedes Jahr hielt er eine Rede über die Geschichte von Panem. Über die furchtbaren Naturkatastrophen und wie Panem aus den Trümmern dessen entstand was einst Nordamerika war. Dann kamen die dunklen Tage, der Aufstand der Distrikte. Die Rebellion forderte zahlreiche Opfer und Distrikt 13 wurde vollkommen zerstört. Und dann kam der hart erkämpfte Frieden. Doch als Strafe wurden die Hungerspiele eingeführt. Fortan sollte jeder Distrikt jedes Jahr eine mutige junge Frau und einen mutigen jungen Mann als Tribut darlegen. Diese sollten dann in einer Arena bis auf den Tod kämpfen. Der Sieger wird mit Reichtümern überschüttet, als Zeichen der Großzügigkeit des Kapitols.

Als nächstes hielt Shinay Neyas ihre Ansprache.

Mein Herz klopfte gegen meine Brust und ich hatte Angst es würde gleich rausspringen.

„Willkommen, Willkommen. Fröhliche Hungerspüle und möge das Glück stets mit euch sein“, flötete ihre Stimme aus dem Mikrofon.

Wäre das heute nicht der Erntetag und hätte ich nicht so furchtbare Angst, so hätte ich bestimmt gelacht aufgrund ihres lächerlichen Kapitol Akzentes.

„Heute suchen wir eine mutige junge Frau und einen mutigen jungen Mann“, kicherte sie. „Wie üblich Ladys First“.

Sie stöckelte zu der Glaskugel mit den Namen der Mädchen und sagte begeistert: „Das ist ja so aufregend!“

Ihre Hand tauchte in die Glaskugel und sie ließ ihre Hand über die Zettel gleiten.

Laya zerquetschte mir fast meine Hand und auch mein Puls beschleunigte sich.

Shinays Hand hielt inne und sie fischte einen Zettel heraus.

Ich hielt die Luft an. Mein Name war nur 4mal im Lostopf. Die Wahrscheinlichkeit ist so gering.

Langsam klappte Shinay den Zettel auf und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus als sie ihren Mund öffnete:

„Cassiopeia Tame“.

 

Nein. Nein! Das konnte nicht wahr sein!

Die Mädchen um mich herum machten Platz nur Laya hielt meine Hand noch fest umklammert.

Ich war unfähig mich zu bewegen während mein Gehirn versuchte die Information zu verarbeiteten. Ich bin der weibliche Tribut für Distrikt 12.

„Na komm Liebes“, drang Shinays Stimme aus dem Mikrofon.

Wie benommen steuerte ich auf die Bühne zu.

Ich hörte den erstickten Schrei meiner Mutter.

Ein aus, ein aus.

Als ich die letzte Treppe erreicht hatte quickte Shinaya begeistert auf.

„Irgendwelche Freiwilligen?“, erkundete sie sich.

In Distrikt 12 gab es nie Freiwillige also war ich auch nicht wirklich enttäuscht als sich niemand meldete. Doch für einen kurzen Moment war in mir so etwas wie Hoffnung aufgekeimt, auch wenn es natürlich lächerlich war.

In Distrikt 1 und 2 gab es ständig Freiwillige. Die Jugendliche trainieren ihr ganzes Leben bis sie sich mit 18 freiwillig melden, bei ihnen ist es eine Ehre die Spiele zu gewinnen.

Doch in 12, wo alle unterernährt und ängstlich waren, hatte niemand Lust den sicheren Tod zu wählen.

„Und nun zu den Herren“, verkündete Shinaya.

Als ich zu den Mädchen schaute sahen alle erleichtert aus, bis auf ein paar Schulfreundinnen von mir. Laya rann eine Träne herunter als sie mich anschaute. Ich wollte sie anlächeln um sie aufzumuntern doch meine Gesichtszüge waren wie erstarrt.

Shinaya faltete den Zettel der männlichen Tribute aus und verkündete: „Tent Mirelk“.

Tent Mirelk war ein dürrer vierzehnjähriger Junge aus dem Saum. Aus seinem Gesicht sprach das pure Entsetzten. Auch für ihn meldete sich niemand freiwillig.

Als er neben mir stand wurden wir aufgefordert uns die Hände zu schütteln. Seine Hände waren feucht und sein Händedruck schwach. Nachdem wir unsere Hände wieder von einander lösten ertönte die Hymne Panems.

Shinaya legte ihre Handfläche auf ihre Brust, da wo sich ihr Herz befand und sang leise mit.

Begeistert strahlte sie uns an.

Ich schloss kurz meine Augen und zwickte mir in den Arm, nein es war kein Albtraum. All das hier war real und passierte tatsächlich.

Als die Hymne verstummte wurden ich und Tent von Friedenswächter umringt die uns ins Gerichtsgebäude brachten. Ich stellte erstaunt fest das ich noch nie hier war und das es höchstwahrscheinlich das prächtigste Gebäude in ganz Distrikt 12 war. Die Friedenswächter brachten mich in ein Zimmer und ich setzte mich auf das Samtsofa. Jetzt hatte ich eine Stunde um mich von allen zu verabschieden. Die Tür öffnete sich und meine Mutter und mein Vater kamen herein. Sofort warf ich mich in ihre Arme und meine Mutter fing an zu weinen.

„Es tut mir so unendlich leid mein Schatz“, schluchzte sie.

Ich gab mir Mühe nicht auch noch in Tränen auszubrechen.

„Wir lieben dich Cassie, egal was passiert. Das weißt du doch oder?“, fragte mein Vater.

„Natürlich! Und ich hab euch auch lieb“, versicherte ich ihnen. Langsam lösten wir uns aus der Umarmung.

„Unser kleines Mädchen“, schluchzte Mutter und streichelte mir über die Wange.

„Ich bin nicht klein. Ich bin fünfzehn“, sagte ich ihr.

Meine Mutter lachte leise: „Aber für mich wirst du immer mein kleines Mädchen bleiben“.

„Alles wird gut“, sagte mir mein Vater.

Ich nickte.

Wir umarmten uns ein letztes Mal.

„Wir werden dich so schrecklich vermissen“.

Dann mussten sie gehen.

Als nächstes kam Laya ins Zimmer gestürmt. Als sie die Tür öffnete war ich Gesicht Tränenüberströmt.

Wir warfen uns in die Arme.

Danach schaute sie mich eindringlich an: „Cassie du schaffst das. Du kennst dich gut mir Pflanzen aus. Du kannst dich irgendwo verstecken…“.

„Laya ich schaffe das niemals. Wir sind 24. Und ich bin nicht so geübt im Umgang mit Waffen...und wie soll ich jemanden umbringen? Ich kann noch nicht einmal ein Tier töten wie soll ich dann einen Menschen umbringen?“, meine Stimme war richtig laut und panisch geworden.

Laya verstummte, dann murmelte sie: „Ich weiß nicht“.

Eine Weile sagte niemand etwas bis Laya mich anflehte: „Versprich mir wenigstens das du es versuchen wirst. Bitte Cassie, du musst es wenigstens versuchen“.

„Versprochen“, antwortete ich ihr.

Danach musste sie wieder weinen.

„Die Zeit ist gleich um“, ertönte die Stimme des Friedenswächters.

Sie nickte und wir umarmten uns wieder.

„Ich hab dich lieb“, flüsterte sie mir zu.

„Ich dich auch“.

Dann verschwand auch Laya aus dem Zimmer.

Erschöpft sank ich auf dem Sofa zusammen und grub mein Gesicht in meine Hände. Doch nach einer Minute kamen schon die Friedenswächter und brachten mich in einen Wagen mit dem wir zum Bahnhof fuhren.

Tent war ganz blass und seine Augen waren verheult. Die Fahrt zum Bahnhof dauerte nicht lange. Auf dem Bahnhof wimmelte es nur von Reportern und Kammeraleuten. Der Zug der uns ins Kapitol bringen soll war schon da und als wir einstiegen fuhr er schon los.

Der Zug fuhr mit 380 km/h, in nicht einmal einem Tag würden wir um Kapitol sein.

Mir verschlug es die Sprache, im Zug sah es mindestens genauso prächtig aus wie im Gerichtsgebäude.

„Jeder von euch hat sein eigenen Schlafwagon mit separatem Badezimmer“, flötete Shinaya. „All das ist nur für euch“.

Shinlaya schloss ihre Augen, danach strahlte sie uns an: „Na wie findet ihr es?“.

Ich öffnete meinen Mund um zu antworten, doch sie schnitt mir das Wort ab: „Ich weiß es ist einfach nur fa-bel-haft“.

Sie kicherte und fügte dann hinzu: „Vor allem nach dem was ihr aus Distrikt 12 so kennt“.

Ich tat einfach so als würde ich es überhören. Distrikt 12 ist nicht gerade ein Paradies, oder über schön, aber es war mein zu Hause.

„Hier lang ist der Speisewagen“, fuhr sie fort und deutete mit ihrer Hand nach rechts.

Speisewagen?

Bei diesem Wort schwor ich, meinen Magen knurren zu hören.

Shinlaya redete weiter und machte mit ihren Händen übertriebene Gesten, doch ich hörte ihr nicht mehr zu.

Nach dem sie ihre Rede beendet hat, durften wir hingehen wo wir wollten. Das musste sie mir nicht zweimal sagen. Sofort stürmte ich den Speisewagen an, Tent dicht hinter mir.

Als ich die Türen öffnete, glaubte ich im Himmel zu sein.

Erdbeermuffins, Schokotrüffle, exotische Früchte, Schokoladenbrunnen,…

Ich glaube ich habe angefangen zu sabbern.

Sofort schnappte ich mir einen Teller und häufte in mit allerlei Köstlichkeiten voll.

„Na da hat aber jemand Hunger“, hörte ich eine vertraute Stimme.

Haymitch Abernathy.

Er war im Speisewagen aufgetaucht und stand direkt hinter mir. Ich drehte mich um und funkelte ihn böse an. Daraufhin musste er nur lachen und schnappte sich einen Drink. Meiner Meinung nach hat er schon mehr als genug getrunken. Er stank nach Alkohol und gerade laufen konnte er auch nicht mehr.

„Na Süße, hast n´ schlechten Tag?“, hickste er.

„Nein, aber sie haben gleich ein blaues Auge wenn sie mich nicht in Ruhe lassen“, fauchte ich ihn an.

„Na also doch ein schlechter Tag“, sagte er, doch ich wendete mich schon von ihm ab und setzte mich an einen Tisch.

Tent saß schon da und stopfte sich voll. Ich machte es ihm nach und verzichtete vollkommen auf Gabel und Messer. Mutter wäre ausgerastet wenn sie mich so sehen könnte, doch Mutter war nicht da und so konnte sie auch nicht ausrasten.

Wenn ich diese Schokoladen Soufflés heiraten könnte, ich würde es machen.

Ich aß so viel, bis ich mir sicher war, das ich bei einem weiteren Bissen kotzen würde. Tent sah auch ein wenig grün im Gesicht aus. Mir tat er leid, spätestens in paar Wochen würden wir beide tot sein. Egal wie schön andere es reden mochten, wir waren so gut wie tot.

 

Später am Tag schauten wir uns alle gemeinsam die Aufzeichnungen der anderen Auslosungen an. Sogar Haymitch saß in der Ecke des Zimmers mit einer Rumflasche.

In Distrikt 1 meldeten sich beide Tribute freiwillig. Das Mädchen, ebenso wie der Junge war blond und sah arrogant aus. Und absolut tödlich.

Die Karrieretribute, die Tribute aus Distrikt 1, 2 und 4 gewannen fast jedes Jahr die Spiele.

In Distrikt 2 wurde es ein hübsches schwarzhaariges Mädchen namens Ringer. Der Junge sah unglaublich attraktiv aus, schwarze Haare und strahlende blaue Augen.

Ich hatte keine Chancen auf einen Sponsor.

Die Tribute aus 3 sahen ziemlich unscheinbar aus, doch das sank mein Unbehagen nicht. Mir viel noch ein kleines rothaariges Mädchen aus 8 auf das ängstlich in die Kamera blickte, ein großer breitschultriger Junge aus 9, ein hinkender Junge aus 10 und die beiden Tribute aus 7.

Das Mädchen hatte lange dunkle Haare mit dunkeln grünen Augen, sie sah ängstlich aber entschlossen aus.

Der Junge aus 7 war groß, und einigermaßen muskulös und natürlich sah er gut aus. Mehr als gut. Seine Augen waren schokoladen braun und er erinnerte mich an einen Welpen. Aber ich durfte mich nicht täuschen lassen. Sie alle wollten meinen Tod.

Als letztes sahen wir uns unsere Aufzeichnungen an.

Als mein Name gerufen wurde, sah ich aus, als würde ich gleich umkippen. Bei Tent war er nicht besser. Außerdem fiel mir mal wieder auf wie klein ich war, nur 1,62m.

Frustriert seufzte ich auf.

„Wie soll ich es nur gegen die aufnehmen? Die zerquetschen mich wie eine Fliege“, klagte ich.

„Sag so etwas doch nicht Liebes! Mit so einer Einstellung kommst du nicht weit“, tadelte Shinaya.

Ich sprang aus meinem Sitz auf: „Aber es stimmt doch. Die Karrieros trainieren schon ihr ganzes Leben auf die Spiele und ich hab im meinem ganzen Leben noch keine Waffe in der Hand gehabt!“

„Tja Süße dein Bruder hatte bessere Voraussetzungen als du, aber wie du sicher schon weißt haben die Karrieros, wie hast du es so schön ausgedrückt, zerquetscht“, mischte sich Haymitch ein.

Mit feuerrotem Gesicht drehte ich mich zu ihm um: „Reden sie nie wieder über meinen Bruder! Wären sie nicht so ein beschissener Mentor hätte er vielleicht eine Chance gehabt! Aber das einzige was sie können ist saufen und anderen Menschen auf den Geist gehen!“

Haymitch zuckte bei meinen Worten nicht einmal mit der Wimper: „Da hast du wohl Recht Süße, aber trotzdem habe ich gewonnen. Ich lebe und er ist tot“.

Keine Sekunde später warf ich mich schon auf ihn und brüllte ihn an wie eine Furie: „Halten sie ihr gottverdammtes Maul! Sie haben doch keine Ahnung! Sie beschissener Mistkerl haben doch keine Ahnung!“

Friedenswächter rissen mich von Haymitch los.

Shinaya war ganz blass geworden und tadelte: „Das sind ganz schlechte Manieren! Ganz schlechte Manieren!“

Ehrlich gesagt war mir ihre Meinung scheiß egal. Sie war nur eine weitere Person die mich tot sehen wollte.

Die Friedenswächter zerrten mich aus dem Speisewagen und brachten mich in mein Zimmer und stellten sich vor die Tür damit ich nicht raus kommen konnte.

Plötzlich war ich todmüde. Ich warf mich auf das große Bett und war sofort eingeschlafen.

Melanie´s PoV - Das Kapitol

 

„Herzlichen Glückwunsch ihr beiden“, verkündete unser Mentor als er in den Speisewagen kam.

Acel Omar hat die Spiele vor 7 Jahren im Alter von 18 gewonnen.

Er setzt sich direkt gegenüber von mir und ich musterte ihn argwöhnisch. Was fällt ihm ein mir zu gratulieren? Er muss doch am besten wissen wie ich mich fühle.

Carter neben mir lächelt in freundlich an. Ich verstehe echt nicht was dieser Junge hat. Er tut so als wäre das hier ein ganz nettes Abendessen, dabei werden wir in wenigen Tagen in die Arena gesteckt wo wir uns alle gegenseitig abmurksen werden. Und egal wie sehr er sich bei mir einschleimt, wenn ich die Gelegenheit dazu habe werde ich ihn töten.

„Mel iss doch bitte etwas, du musst noch ein wenig zulegen bis du in die Arena gehst“, meinte Portia Vansee.

Ich hatte mein Essen noch nicht angerührt. Es roch natürlich himmlisch, aber ich hatte einfach keinen Appetit.

„Seit wann dürfen sie mich Mel nennen? “, fauchte ich sie an.

Carter flüstert mir zu: „Mel kannst du dir deine schlechte Laune nicht für die Arena aufsparen?“.

Er tut so als wäre er ernsthaft um mich interessiert. Nur weil wir aus dem gleichen Distrikt kommen und uns aus der Schule kennen heißt es aber noch lange nicht das wir Freunde sind.

Freunde sind bei den Spielen mehr als tödlich. Denn Freunde zu haben heißt Vertrauen zu haben. Und wenn man vertraut, kann man verraten werden. Und dann bist du tot.

„Für dich gilt übrigens das gleiche“, fuhr ich ihn an.

Carter sieht leicht verletzt aus, aber in seinen Teddy Augen sehe ich nicht die geringste Spur von Wut. Am liebsten würde ich ihn wachrütteln und schreien: „Verstehst du es nicht? Verstehst du es nicht? Ich werde dich umbringen wenn ich kann! Ich werde dich umbringen!“

Irgendwie ist es schade, Carter ist ein netter Kerl und er sieht auch gar nicht mal so schlecht aus. Unter anderen Umständen könnten wir wirklich Freunde werden, vielleicht sogar mehr. Aber darüber machte ich mir nicht weitere Gedanken. In wenigen Wochen wird nur noch einer von uns leben, wenn überhaupt.

„Als euer Mentor muss ich eure Stärken kennen“, lenkte Alec das Gespräch wieder auf sich.

„Messerwurf“, sagte ich sofort.

Im Messerwurf war ich ein Ass. Ich traf jedes Mal mein Ziel.

„Und du Carter?“, fragte Alec.

„Naja, ich kann ganz passabel mit der Axt umgehen“, antwortete er ihm.

Dir reinste Untertreibung. Er spaltet seinem Gegner auch auf 10 Meter seinen Schädel auf.

„Und ich kann noch einige Fallen bauen“, fügte er hinzu.

„Damit lässt sich´s doch arbeiten“, meinte Alec.

Ich hasste ihn. Als wären wir irgendwelche dummen Maschinen die er nach Belieben programmieren konnte.

„Melanie lächle mal ein wenig. Die Leute im Kapitol werden noch denken das du sie alle umbringen möchtest“, witzelte Alec.

„Vielleicht ist es aber genauso“, antwortete ich ihm und erntete geschockte Blicke.

Es war die Wahrheit. Ich hasste das Kapitol. Ich hasste die Spiele und jeden einzelnen der sie unterstützte.

Nach ein paar Minuten des Schweigens verteidigte ich mich: „Ist doch so. Sie wollen mich umbringen. Wieso sollte ich sie anders behandeln als sie mich?“

„Ach Liebes niemand möchte dich umbringen“, meinte Portia und guckte mich besorgt an.

„Ach ja? Und was machen sie dann bitteschön?“.

Tränen waren mir in die Augen getreten und ich ballte meine Hände zu Fäusten.

„Mel beruhig dich“, redete Carter auf mich ein.

Seine Stimme war sanft und weich und sorgte tatsächlich dafür dass ich mich ein wenig entspannte.

„Okay tut mir leid. Ich glaube ich stehe gerade nur ein wenig unter Stress“, entschuldigte ich mich.

Alec nickte.

Carter hatte ja Recht. Sich hier aufzuregen hatte auch keinen Sinn. Ich sollte Alec vertrauen, er war schließlich unser Mentor und konnte mir vielleicht irgendwie in der Arena helfen.

„Also…“, setzte Alec an. „Wie ihr wisst braucht ihr Sponsoren. Und um Sponsoren zu bekommen müsst ihr etwas an euch haben was den Leuten im Gedächtnis bleibt. Am besten fangen wir mit eurem Image an“.

Mit unserem Image? Das kann ja heiter werden.

Es ist jedes Jahr dasselbe, da gibt welche die auf gefühlslose Killer, schüchternes Mädchen, Mädchenschwarm, … machen.

Alec war sich noch nicht sicher was er mit uns anstellen sollte, aber er meinte wenn er uns ein bisschen besser kennt fällt ihm schon das passende für uns ein.

Stattdessen erzählte er uns was wichtig ist um in der Arena zu überleben.

„Wasser ist euer neuer bester Freund. Also schnappt euch was im Füllhorn, Melanie du ein paar Wurfmesser und Carter eine Axt und dann nichts wie weg, sucht Süßwasser“, erklärt er uns.

Ich nicke. Wasser heißt Leben.

„Schutzlosigkeit kann so tödlich sein wie ich ein Messer…“.

So ging das den ganzen Abend weiter.

Alec meinte ich und Carter sollten und unbedingt Verbündete suchen, er ging ganz automatisch davon aus das ich und Carter uns verbünden sollten.

Aber der Gedanke an Verbündete schnürt mir die Kehle zu. Vertrauen heißt Tod.

Als ich an diesen Abend meine Augen schloss, schwor ich mir eins.

Vertraue niemandem.

 

Am nächsten Morgen stellte ich mich unter die Dusche. Im ersten Moment war ich verwirrt, in Distrikt 7 besitzt niemand eine Dusche, doch dann freundete ich mich mit dem Gerät an. Es war wie im Sommerregen zu stehen und man konnte die Dusche mithilfe der Knöpfe an seine persönlichen Wünsche anpassen.

Nachdem ich frisch geduscht war, ließ ich meine Haare an dem merkwürdigen Automaten föhnen. Er entwirrte meine langen braunen Haare, machte mir einen Scheitel und sorgte dafür dass sie mir lang und seidig auf den Rücken fielen.

In meinem Zimmer angekommen zog ich mir eine schwarze Hose und eine grüne Bluse an, die gut zu meinen Augen passte.

Als ich in den Spiegel schaute, erschrak ich über meine tiefen Augenringe. Ich hatte letzte Nacht die ganze Zeit wachgelegen und in den wenigen Stunden in den ich schlief, hatte ich Alpträume. Aber wenn interessierten schon meine Augenringe? Meine Stylisten würden schon irgendwie dafür sorgen dass ich hübsch aussehe. Das taten sie jedes Jahr.

In den Interviews haben die starkgeschminkten und in prächtigen Kleidern gezwängten Tribute wenig mit denen gemeinsam die bei der Ernte ausgelost wurden.

Noch ein wenig müde betrat ich den Speisewagen und wurde schon von den anderen erwartet.

„Melanie mein Liebes da kommst du ja“, flötete Portia Vansee. „Heute ist ein ganz, ganz großer Tag“.

„Mh, kann schon sein aber im Moment habe ich eigentlich nur Hunger“, antwortete ich ihr.

Portia lachte, sie dachte wohl ich habe einen Scherz gemacht, aber es war mein Ernst.

„Morgen“, begrüßte mich jetzt auch Carter und Alec.

„Morgen“, murmelte ich zurück.

Ich setzte mich an den freien Platz neben Carter und schaufelte meinen Teller voll, ohne genau darauf zu achten was ich genau zu mir nahm.

Während Carter, Alec und Portia sich unterhielten schweiften meine Gedanken zu Distrikt 7 ab. Was meine Eltern wohl machten?

Während wir uns im Gerichtsgebäude von Distrikt 7 verabschiedet haben wirkten sie noch ziemlich gefasst, keiner hat geweint, aber jeder der genau hingeschaut hätte, würde merken wie geschockt sie waren. Es muss furchtbar sein, sein einziges Kind so zu verlieren. Aber noch bin ich nicht tot, noch haben sie mich nicht verloren.

„Mel?“.

„Hä was?“, fragte ich verwirrt.

Portia kicherte und Carter erklärte mir: „Alec hat ein passendes Image für uns gefunden“.

„Und das wäre?“, fragte ich.

Alec öffnete den Mund und sagte: „Carter verkaufen wir als den gutaussehenden, charmanten Jungen von nebenan“.

Ja das passte, wer Carter nicht gut kennt würde ihn genauso einschätzen.

„Und du bist die sexy Kriegerin“, fuhr Alec fort.

Ich verschluckte mich an dem Baguette was ich gerade gegessen habe.

„Bitte was?“, kreischte ich entsetzt auf.

Niemals würde ich mich für diese naiven Hohlköpfe aus dem Kapitol zur sexy Kriegerin machen.

Alec erklärte: „Naja du siehst hübsch aus und als warmherzige Person habe ich dich nicht gerade kennengelernt, also dachte ich präsentieren wir dich als Kämpferin“.

Ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen, denn mir wurde wieder deutlich bewusst dass ich ihnen gehörte. Sie konnten aus mir machen was sie wollten. Aber so wollte ich mein Leben nicht enden lassen, ich wollte nicht als Figur in ihren Spielen sterben.

„Nein“, sagte ich knapp und entschlossen.

Portia musterte mich verwirrt an: „Liebes, Alec weiß schon was das Beste für dich ist“.

Bitter lachte ich auf: „Was das Beste für mich ist? Ist das ihr Ernst?“

Carter schaute mich eindringlich an: „Mel, er versucht doch nur dich zu retten“.

„Wohl eher mich zu blamieren!“, erwiderte ich.

„Ich kann schauspielern“, sagte ich nun an Alec gewandt. „Von mir aus macht mich zu Everybodys-Darling, von mir auch zur geheimnisvollen was weiß ich…“.

Meine Stimme stockte kurz.

„Na gut dann zeige mir mal deine Schauspielkünste“, forderte mich Alec auf.

„Aber liebend gerne“, flötete ich und wirkte so glücklich und ausgeglichen wie ich konnte.

Jedoch gelang mir nur eine Grimasse.

„Soll ich dir vielleicht von meinem toten Kaninchen erzählen? Oder von meiner schlimmen Kindheit die Mitleid bei den Zuschauern im Kapitol hervorruft?“, fragte ich zuckersüß. „Oder am besten fange ich gleich an zu heulen“.

„Mein Kaninchen“, fing ich an und übertrieb maßlos mit meinen theatralischen Gesten. „Ich hatte es schon 3 Jahren und es war mein bester Freund. Ich liebte es über alles…aber dann kamen die dunklen Zeiten. Schnuffi wurde krank…die Ärzte meinten sie könnten nichts mehr für ihn tun. Ich war am Boden zerstört. Und eines Morgens, an dem ich es mal wieder mit meiner Liebe überschütten wollte, fand ich es tot im Käfig wieder. Eine Welt war für mich zusammen gebrochen. Von diesem Tag an war ich nie mehr dieselbe“.

Als ich mit meinem Dialog zu Ende war, konnte sich Carter nicht mehr vor Lachen hallten und auch ich musste grinsen.

„Na wie war ich?“, fragte ich und zwinkerte Alec dabei zu.

„Das war wirklich außerordentlich verstörend meine Liebe“, antwortete Alec mir, aber er lächelte.

Plötzlich wurde der Abteil dunkel, wir waren in einen Tunnel gefahren. Die Neonlampen schalteten sich automatisch an und ich musste kurz blinzeln weil sie so grell waren.

Das Kapitol war in einem Tal gebaut, umgeben von Bergen. Das war auch einer der Gründe wieso sie den Aufstand gewonnen haben. Während die Leute aus den Distrikten den Berg hochkletterten, konnten die Soldaten aus dem Kapitol sie aus der Luft abschießen.

Nach einigen Minuten schalteten die Neolampen sich wieder aus und der Wagon wurde wieder von echtem Licht erleuchtet. Wir waren im Kapitol.

Ich und Carter hasteten beide ans Fenster und bewunderten den Ausblick den man uns bot. Man hörte zwar Geschichten, doch diese konnten es nicht wirklich beschreiben. Die Häuser waren riesig, die Straßen befahren von Autos, in den Flüssen floss klares glitzerndes Wasser, die Farben zu grell. Als wir im Bahnhof einfuhren, wurden wir von einer kreischenden Menge, lächerlich aussehender Menschen, empfangen.

Carter winkte ihnen fröhlich zu worauf sie noch mehr tobte. Klar, der nette Junge von nebenan.

Ich riss mich zusammen. Alec hat die Spiele schon einmal gewonnen, irgendeine Ahnung musste er ja haben. Oder er hatte einfach nur Glück.

Ich ignorierte meine Zweifel und setzte ein verführerisches Lächeln auf und zwinkerte niemand bestimmten in der Menge zu. Die Leute tickten aus.

Ich verstand sie nicht, sie feiern die Tribute wie Stars und nachhinein freuen sie sich wie wenn wir abgeschlachtet werden. Es war einfach nur krank.

 

Am Bahnhof wurden wir dann an unsere Stylisten übergeben die dafür sorgen sollten dass wir hübsch aussehen. Meine Körperbehaarung wurde mit komischen Klebestreifen abgerissen und ich wurde mehrmals mit Schläuchen abgewaschen.

Danach wurden meine Augenbrauen gezupft, meine Nägel gefeilt…

Am Ende fühlte ich mich wie ein ausgerupftes Hühnchen. Mein Vorbereitungsteam war natürlich hin und weg und sehr zufrieden mit ihrer Arbeit.

„Wir schicken dich jetzt mal zu Jenna“, erklärte mir einer mit orangener Haut.

Splitternackt wurde ich in ein Zimmer geführt wo ich auf Jenna waren sollte. Meine Stylistin kam auch wenig später und musterte mich erst einmal argwöhnisch.

Schließlich sagte sie eher zu sich selbst, als zu mir: „Dieses Jahr habe ich aber ein hübsches Exemplar abbekommen“.

Ich weiß nicht ob das ein Kompliment sein sollte, aber ich fühlte mich nur wie ein Spielzeug.

„Warte nur bis wir mit dir fertig sind Schätzchen, du wirst einfach nur hin-reis-send aussehen“, meinte sie und betonte dabei jedes einzelne Wort.

Ich wusste nicht was ich antworten sollte, ich hatte das Gefühl als würden diese Leute eine ganz andere Sprache sprechen als bei uns in 7.

„Die Kostüme sind immer passend zu dem Distrikt. Also bei dir Schätzchen Holz und Papierverarbeitung“, erzählte sie mir.

Ich unterdrückte das Bedürfnis dieser Frau eine zu klatschen. Als ob ich das alles noch nicht wüsste. Sie waren doch diejenigen die mich jedes Jahr dabei zuzusehen!

„Steckt ihr mich dann etwa in ein Baum Kostüm?“, fragte ich und lachte danach über meinen eigenen lahmen Witz.

Jenna spitze ihre Lippen, dann antwortete sie mir im Kapitol Akzent: „Aber nicht doch Schätzchen. Ihr sollt eher aussehen wie die Arbeiter aus Distrikt 7“.

Wusste diese Frau wie die Arbeiter in 7 aussehen? Ich hoffe nicht, denn so wollte ich bestimmt nicht auf der Eröffnungsfeier auftauchen.

Cassiopeia´s PoV - Die Eröffnungsfeier

 

„Na was sagst du?“, fragte mich mein Stylist.

Ich steckte in einem Hautengen grauen Overall der die Anzüge der Bergarbeiter darstellen sollte. Doch ich war mir ziemlich sicher dass der Fummel den ich trug, um einiges unbequemer war.

Meine Augen waren tiefschwarz geschminkt und ich trug goldenen Eyeliner der die goldenen Sprenkel in meinen Augen betonte.

Meine Lippen schimmerten zartrosa. Meine Haare fielen in leichten Wellen von meinen Schultern und meine Spitzen waren tiefschwarz gefärbt.

„Ich finde es toll“, sagte ich ihm und lächelte ihn an.

Ich habe keine Ahnung ob ich es toll fand oder nicht, ich wusste nur dass ich komplett anders aus sah als ich mich in Erinnerung hatte.

Mein Stylist strahlte mich begeistert an.

Er hieß Plutius und seine ganze Haut war blau eingefärbt. Seine Wimpern waren überdimensional lang und glitzerten wenn er mit seinen Augen klimperte. Was so gut wie immer geschah. Nach jedem Wort senkte er seine Wimpern als wollte er auch dem letzten Vollidioten zeigen, dass seine Wimpern glitzerten.

„Du klimper bist klimper ja klimper so klimper ein klimper Engel klimper“, flötete er.

Daraufhin lächelte ich ihn nur schüchtern an, da ich keine Ahnung hatte wie man mit Komplimenten umgeht oder mit blauen Glitzerwimper Menschen.

Mein Vorbereitungsteam zupfte noch ein wenig an mir herum, dann waren sie fertig.

Danach fuhren wir alle ins Erdgeschoss und im Aufzug traf ich wieder auf Tent. Er sah genauso aus wie ich, nur war ein hautenger Overall ein wenig unvorteilhaft für ihn. Dadurch sah er noch dünner aus als er eigentlich war.

Im Erdgeschoss angekommen sahen wir auch die anderen Tribute. Die meisten standen schon auf ihren Streitwägen. Manche unterhielten sich mit ihren Mittributen, andere ignorierten sich und starrten auf irgendwelche Punkte im Raum. Andere sahen so aus als würden sie gleich umkippen vor Aufregung, andere schienen ganz wild darauf zu sein sich der Menge zu präsentieren.

Das sind die Leute die ich umbringen muss.

Die Tribute aus 1 sahen umwerfend aus, Schmuck und Luxusartikel.

Der Junge aus 2 sah noch besser aus als am Erntetag, doch das Mädchen aus seinem Distrikt schien diese Tatsache nicht zu interessieren, denn sie ignorierte ihn gefliest.

Das Mädchen aus 7 sah wunderschön und vor allem gefährlich aus. Ihr Kleid sah aus wie Rinde die sich um ihren Körper räkelt und ihre dunkelgrünen Augen funkelten geheimnisvoll. Der Junge, ich glaube er hieß Carter, versprühte eine ganz andere Aura. Er wirkte freundlich und seine braunen Augen blickten einen vertrauenswürdig an. Carter war mindestens genauso attraktiv wie seine Distriktpartnerin.

Ich und Tent stiegen auf unseren Streitwagen der von schwarzen Pferden gezogen wurden.

„Viel Glück“, wünschte ich ihm, doch daraufhin sah er mich nur irritiert an.

Die Streitwagen steuerten auf ein großes Tor zu. Dann wurden die Tore aufgerissen. Die Eröffnungsmusik ertönte und füllte den Raum. Ganz benommen registrierte ich wie die Streitwägen nacheinander die Halle verließen. Distrikt 1 zuerst und wir Distrikt 12 als letztes.

Die Streitwägen fuhren auf eine Straße und die Menschenmagen jubelten einem von der Seite aus zu.

Ich glaube ich habe noch nie so viele Menschen auf einem Haufen gesehen. Das waren bestimmt mehr als in ganz 12 leben!

Sie trugen die merkwürdigsten Sachen und unterschieden sich grundlegend von den Menschen aus meiner Heimat.

Ungläubig registrierte ich wie sie meinen Namen riefen: „Cassie!“

Ganz erregt von der vielen Aufmerksamkeit winkte ich ihnen zu.

Die Streitwägen fuhren auf den Zentralen Platz und bildeten einen Halbkreis.

Dort war eine Tribüne für Präsident Snow aufgebaut.

„Willkommen, Willkommen. Tribute, wir verneigen uns von dem Opfer das ihr bringen müsst…“

Ich fröstelte. Präsident Snow war ein verachtenswerter Mensch…doch er machte mir auch Angst. Nach seiner Rede verschwanden die Streitwägen im Trainingscenter. Nachdem die Tore geschlossen wurden, wurden wir sofort von unserem Vorbereitungsteam in Empfang genommen.

„Ihr saht ent-zü-ckend aus“, lobte uns Shinaya.

Plutius stimmte ihr zu: „Vor allem du Cassie. Gold steht dir“.

Ich schaute zu Tent, doch ihn interessierte es anscheinend nicht dass unser Team mich bevorzugte.

„Ja und vor allem das Winken. Mach weiter so Süße, dann merken die Menschen gar nicht was für eine Furie in dir steckt“, meldete sich Haymitch.

Okay nicht das ganze Team.

Ich ignorierte Haymitch gekonnt während ich und Tent in unsere Appartements gebracht wurden. Ein Glasaufzug fuhr uns in den 12. Stock und ich hatte das Gefühl zu fliegen.

In unserem Appartement angekommen, ging ich sofort in mein Schlafzimmer. Es war mit der neusten Technologie ausgestattet und bei der Hälfte der Knöpfe hatte ich keine Ahnung für was sie gut waren. Ich ging ins Bad und streifte meine Kleider ab. Nachdem ich geduscht war und mich umgezogen habe, beschloss ich zum Abendessen zu gehen.

Shinaya, Haymitch und Tent waren schon da und schienen sich angeregt zu unterhalten.

Ich schenkte ihnen jedoch nicht viel Beachtung den meine ganze Aufmerksamkeit richtete ich auf Köstlichkeiten die sich mir hier anboten. Avoxe brachten einem Teller mit Speisen von denen ich bisher nur träumen konnte.

Als ich mich abends ins Bett legte, kreisten meine Gedanken um meine Eltern und um Laya. Ob sie mich wohl vermissten? Ich tat es jedenfalls. Ich tastete nach der Kette meiner Großmutter und rief mir ins Gedächtnis das ich nicht alleine war.

 

Am nächsten Morgen wurden wir ins Trainingscenter gebracht, eine Turnhalle mit Waffen und Hindernissparcouren.   Am Rand wurde eine Tribüne für die Spielemacher aufgebaut die uns die ganze Zeit beobachten. Ich machte mich auf dem Weg zum Trainingsstand für Pfeil und Bogen. Ein Trainer erklärte mir wie man die Waffe benutzt und eigentlich war es ganz einfach. Ich war kein Naturtalent, doch die meisten Pfeile trafen ihr Ziel. Ich trainierte auch mit dem Speer. Anfangs war ich skeptisch, doch mittlerweile war ich richtig gut. Mein Trainer war ganz begeistert davon wie schnell ich lernte.

Beim Mittagessen setzte ich mich zu Tent, da ich sonst niemanden kannte. Das kleine rothaarige Mädchen aus 8 fragte mich schüchtern ob sie sich zu uns setzten durfte was ich sofort bejahte.

Irgendwie löste sie in mir das Bedürfnis, sie zu beschützen, dabei konnte ich mich selbst kaum beschützen.

Ihre Augen waren sturmgrau und auf ihrem Gesicht prangten viele kleine Sommersprossen.

„Ich heiße Eme“, erzählte sie mir.

„Ich bin Cassie und das ist Tent“.

Unser restliches Gespräch während des Mittagessens war ein wenig stockend, doch sie schien ganz nett zu sein.

Ich ging zu dem Stand mit den Pflanzen und setzte meine Fähigkeiten die ich in der Apotheke gelernt hatte ein. Kein einziges Mal hatte ich mich vertan.

Also wenn ich sterbe dann nicht an einer giftigen Pflanze.

Während ich wieder mit dem Speer trainierte, bemerkte ich wie Carter, der Tribut aus 7, mich anstarrte. Peinlich berührt wendete ich mich ab. Trotzdem gingen mir seine schokobraunen Augen nicht aus dem Kopf.

 

Am dritten Trainingstag wurden wir vom Mittagtisch einzeln zu den Einzelstunden mit den Spielemachern aufgerufen. Hier sollte jeder seine Fähigkeiten unter Beweis stellen und im Nachhinein wurde jeder mit einer Punktezahl von 1-12 bewertet. Wobei 1 bedeutet das du keine Chancen hast und 12 das du ein wahrer Überlebenskünstler bist.

Haymitch hat mir heute Morgen geraten unbedingt dass Speer zu nehmen, da ich in allem anderen eine totale Niete bin und mich nur blamieren würde.

Trotz seiner beleidigenden Worte war ich überrascht dass er mir überhaupt einen Tipp gegeben hat.

Ich fasste wieder an meine Kette, ich war nicht alleine.

 

Melanie´s PoV - Das Einzeltraining

1-5 waren schon dran. Ich war froh dass die beiden aus 3 schon weg waren. Alec war der Ansicht dass wir uns unbedingt mit anderen Tributen verbünden sollten. Und ich und Carter bekamen nichts Besseres ab als die beiden aus 3 und 9. Das Mädchen aus 3, Helena, kaut die ganze Zeit an ihren Fingernägel und der Junge aus 9, Drace, sieht zwar stark aus, doch er schaut mich die ganze Zeit so merkwürdig an. Nur weil das vielleicht seine letzte Chance ist mit einem Mädchen rumzumachen, soll er sich nicht einbilden dass ich dieses Mädchen sein könnte.

Als ich Carter auf diese Tatsache ansprach meinte er aber nur ich sollte nicht so gemein sein. Schließlich wurde Carter aufgerufen. Er wirkte ein wenig nervös aber irgendwie auch aufgeregt. Wie gesagt ich werde ihn nie verstehen.

„Viel Glück“, sagte ich ihm mit gespielter Begeisterung. „Ich wette du wirst sie alle einfach nur um-hau-en!“

Als ich Portia und unsere Stylistin nachahmte lachte er kurz auf. Irgendwie habe ich Carter ins Herz geschlossen, es wird mir schwer fallen ihn zu töten.

Nach einer Ewigkeit, wie es mir vorkam wurde auch mein Name aufgerufen.

„Viel Glück Mel“, wünschte mir Drace und zwinkerte mir zu.

Er war einfach nur widerlich.

„Anders als du werde ich Glück aber nicht brauchen“, antwortete ich ihm und zwinkerte ihm zu.

Drace wirkte nicht im Geringsten beleidigt sondern geradezu euphorisch.

Es war das erste Mal das ich aus freiem Willen mit ihm sprach.

Nervös machte ich mich auf den Weg zu den Einzelstunden. Als ich den Raum, der mit allerlei Waffen ausgestattet war, betrat schlossen sich sofort die Türen.

Die Spielemacher saßen auf einer Tribüne, einige schauten zu mir runter doch die meisten widmeten sich dem Essen oder unterhielten sich angeregt.

Ich räusperte mich: „Melanie Trinner, Distrikt 7“.

Nun wendeten mir mehr Spielemacher ihre Blicke zu, doch manche schienen mich überhört zu haben. Ich wurde ein wenig wütend, doch ich beschloss meine Wut zu ignorieren und atmete tief durch.

„Du schaffst das“, rief ich mir in Gedanken zu.

Ich ging zu dem Stand mit den Messern und wiegte die Waffe in meiner Hand ab. Sie war mir fast genauso vertraut wie eine Hand von mir. Ich zielte auf eine Puppe die dafür aufgebaut wurde und warf ab. Das Messer traf direkt ins Schwarze.

Die nächsten 5 Messer die ich abwarf trafen alle ihr Ziel.

Einige Spielemacher nickten mir anerkennend zu und ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht.

Beim Abendessen redeten wir über das Einzeltraining. Carter hat ein paar Puppen mit seiner Axt geköpft und ich erzählte davon wie ich die Messer abgeworfen habe. Alec war zufrieden mit uns und meinte er glaubte wir würden eine gute Punktezahl bekommen. Portia Vansee war ganz aufgeregt und konnte es kaum erwarten die Wertungen im Fernseher zu sehen. Für sie war das ganze wie eine Castingshow, ein Gesellschaftliches Ereignis, ein Witz.

Am liebsten würde ich ihren Kopf auf die Tischplatte hauen und sie anschreien. Es ging um unser Leben!

Nach dem Abendessen verschwand ich auf dem Dach des Trainingscenters und Carter beschloss mir zu folgen.

Auf dem Dach war ein kleiner Garten mit vielen Blumen und Lichterketten und man hatte von hier oben eine fantastische Aussicht auf das Kapitol. Eigentlich war es wunderschön.

Als wir uns oben auf eine Bank gesetzt haben fragte ich ihn: „Wieso bist du eigentlich so nett zu mir?“

Carter schaute mich irritiert an: „Fändest du es etwa besser wenn ich dich hassen würde?“

Ich schloss kurz meine Augen. Der Wind umspielte meine Haare und ich genoss den kurzen Moment der Ruhe.

„Nein, aber tu nicht so als wären wir nicht hier“, antwortete ich ihm.

Carter schwieg kurz: „Ich weiß, in paar Tagen werden wir alle in die Arena gesteckt und ich weiß auch das nur einer da lebend rauskommen wird. Aber ich will nicht dass sie mich verändern, mich zu etwas machen was ich nicht bin“.

Ich verstand ihn, doch obwohl es vielleicht schön ist zu denken dass wir so nicht leben müssen, so sehr war mir bewusst dass überleben die oberste Priorität hatte.

„Carter, ich mag dich und genau weil ich dich mag werde ich dir das jetzt sagen“, fing ich an.

Und das war die Wahrheit, wenn mir Carter nichts bedeuten würde dann würde ich ihn ohne Erklärung in der Arena abschlachten. Zuerst würde ich ihm Vertrauen heucheln, doch dann würde ich sein Leben ohne mit der Wimper zu zucken beenden.

Doch ich kannte Carter schon quasi mein ganzes Leben, wir waren nie eng befreundet gewesen, doch trotzdem waren unsere beiden Leben irgendwie miteinander verbunden.

„Ich will leben und glaube nicht dass ich dich in der Arena irgendwie verschonen werde“.

Carter nickte: „Ob du´s glaubst oder nicht, mir geht es nicht anders. Aber ich hege immer noch die Hoffnung das dich jemand anderes umbringt bevor ich es tuen muss“.

Seine Worte schnürten mir die Kehle zu, denn sie zeigten mir immer wieder wie unausweichlich die Tatsache des unwiderruflich bevorstehenden Todes war.

Doch so wollte ich mein Leben nicht enden lassen. Ich war mir sicher ich könnte es schaffen. Ich war stark, mutig und schlau.

„Aber Mel, vergiss trotz allem nicht wer der wahre Feind ist“.

Carter hatte Glück das der Wind so laut war und uns niemand hören konnte. Der wahre Feind. Ich wusste was er meinte, nur konnte ich es mir nicht leisten so zu denken. Meine Familie braucht mich. Mein Vater war durch einen Arbeitsunfall arbeitsunfähig geworden und meine Mutter verdiente nicht viel in ihrer kleinen Wäscherei.

Die meiste Zeit nach der Schule verdiente ich ein wenig Geld mit allerlei Nebenjobs, doch bald werde ich erwachsen sein und könnte in den Holzfabriken arbeiten.

Bei Carter war es anders, er hatte zwar viele Geschwister, doch seine Eltern hatten genug Geld.

„Carter, Melanie?“, ertönte Alecs Stimme.

Ich und Carter sprangen auf.

„Ja?“, fragte ich.

„Die Wertungen werden in 10 Minuten ausgestrahlt“, erklärte er uns.

„Okay, wir kommen gleich“, antwortete ich ihm.

„Mel“, sprach Carter eindringlich auf mich ein. „Bitte versprich mir dass du es nicht vergessen wirst“.

Er wusste gar nicht wie gerne ich das tun würde. Doch all diese Gefühlsduselei führte doch zu rein gar nichts.

Ich schüttelte den Kopf: „Carter das kann ich nicht“.

Carter wirkte ein wenig gekränkt doch es war besser dass er es jetzt kapierte als es in der Arena auf die schmerzliche Weiße. Einen Moment stellte ich mir vor wie es wäre wenn Carter mich umbringen würde. Wie er seine Axt in meinen Schädel rammt und mich währenddessen hämisch angrinst. Verrat. Genau das würde mir durch den Kopf gehen, doch das würde nicht passieren wenn Carter nicht so nett zu mir wäre. Also war es gut dass ich ihm die Wahrheit sagte. Aber vielleicht war es auch Carters Taktik das er jetzt einen auf Friede Freude Eierkuchen macht, nur um mich in der Arena kaltblütig zu hintergehen. Wenn das wirklich seine Taktik ist, dann wäre er noch schlimmer als ich. Das redete ich mir ein während wir uns in unser Appartement begaben. Mel, du bist kein Monster, du willst nur überleben.

Wir kamen genau im richtigen Moment in unser Appartement denn die Wertungen haben gerade begonnen. Dabei wurde immer ein Bild des Tributs gezeigt und die dazugehörige Punktezahl.

Das blonde Mädchen aus 1, Summer, bekam 9 Punkte, der Junge ebenso.

Ringer, das Mädchen aus 2 mit den langen seidigen schwarzen Haaren bekam 8. Der Junge hieß Blaise und einen Moment verlor ich mich in der Tiefe seiner blauen Augen. Doch dann schüttelte ich meinen Kopf, nur ein weiterer Tribut der deinen Tod will. Er bekam 10 Punkte.

Helena und Nate, die beiden aus 3, unsere Verbündeten bekamen nur schlappe 6 Punkte. Meine Gedanken schweifen ein wenig ab, dann tauchte Carters Bild auf.

„Carter Beral, mit einer Punktzahl von 8“.

Alec und Portia tickten gerade zu aus. Genauso wie unser Vorbereitungsteam.

„Carter! Das ist ja toll“, quickten sie.

„Herzlichen Glückwunsch“, gratulierte ihm Alec.

Carter wirkte eigentlich wie immer, als wären ihm die Punkte so gut wie egal.

Dann verstummten wieder alle als mein Bild auftauchte.

„Melanie Trinner, mit einer Punktzahl von 9“.

9 Punkte? Ich habe doch nur ein paar Messer geworfen.

Alle gratulierten mir sogar Carter.

Das kleine Mädchen aus 8 namens Eme bekam 6 Punkte. Dann wurden unsere beiden Verbündeten aus 9 gezeigt. Hazel, die wahrscheinlich nach ihrer Augenfarbe benannt wurde, bekam 6 Punkte und Drace 7.

Der hinkende Junge aus 10 bekam 5. Cassiopeia Tame aus 12 bekam 6 Punkte. Ich erinnere mich an ihren Bruder, er war vor 3 Jahren bei den Spielen dabei. Wahrscheinlich hat sie das Speer genommen mit dem immer trainiert hat. Sie war gar nicht so schlecht darin, aber sie wirkte so klein und dünn da verstand ich wieso sie nur 6 Punkte bekommen hat. Vielleicht bekommt sie ein paar Sponsoren durch ihr hübsches Aussehen, doch dann erinnerte ich mich das Haymitch Abernathy ihr Mentor war also wird das mit den Sponsoren wohl nichts.

Dann kam der Junge aus 12, Tent. Er war jung und schlaksig.

„Tent Mirelk mit einer Punktzahl von 0“.

 

Casiopeia´s PoV - Die Interviews

 

„Tent Mirelk mit einer Punktzahl von 0“.

Alle schauten Tent entgeistert an. 0 Punkte? Die meisten Tribute bekommen im Durschnitt 5. Tent wirkte vielleicht nicht gerade gefährlich, aber 0 Punkte?

Heute beim Mittagessen meinte er doch das Einzeltraining wäre ganz gut verlaufen.

Niemand sagte etwas außer Haymitch hatte einen Lachkrampf: „Wie hast du denn das geschafft Junge?“

Tent wirkte ganz entspannt: „Ich habe einfach nichts gemacht“.

„Was?“, rutschte es aus mir heraus.

„Ich bin zum Einzeltraining gegangen und habe mich auf den Boden gesetzt und gewartet bis die Zeit vorbei war“, erklärte er.

Ich wusste nicht ob ich Tent bewundern, oder ihn für komplett geistesgestört halten sollte.

Shinaya wirkte entsetzt: „Tent hast du mal uns gedacht? Das wirkt ein ganz schlechtes Licht auf unser ganzes Team!“

Shinaya denkt wahrscheinlich nur darüber nach dass ihr so keine Beförderung in ein besseres Distrikt bekommt. Aber vielleicht dachte sie wirklich an uns alle.

Ich wusste nicht was Tent sich dabei gedacht hat einfach nichts zu tun, aber er hat die Spielemacher lächerlich gemacht.

Tent lachte nur bitter: „Ich werfe ein schlechtes Licht auf das Team. Wenn interessiert es? Glauben sie wirklich das es irgendjemanden juckt was ein 14 jähriger Junge aus 12 gemacht hat, der in wenigen Tagen sowieso schon tot ist?“

Tent hatte Recht, vielleicht sind die Leute jetzt ein wenig geschockt. Ich weiß nicht ob irgendjemand jemals in den Spielen 0 Punkte bekommen hat, aber bald ist er höchstwahrscheinlich tot und spätestens in paar Jahren wird seine Familie die einzigen sein die sich an ihn erinnern.

Auch wenn ich ihn nie vergessen werde, den jungen aus dem Saum der mein Distriktpartner war, so werde auch ich bald tot sein. Und wer wird sich an mich erinnern?

Ich konnte mir nicht vorstellen das Mutter und Vater mich vergessen könnten, oder Laya. Aber wenn auch sie tot sind, ist es als hätte ich nie existiert. Niemand wird sich an eine Cassiopeia Tame aus Distrikt 12 erinnern.

Jetzt stand ich vielleicht in der Öffentlichkeit, ich hatte die Chance etwas zu sein was den Leuten im Gedächtnis bleibt. Aber wie hoch stand die Chance dass ich diese Gelegenheit nutze? Wollte ich sie überhaupt nutzen? Ich wusste es nicht, ich wusste gar nichts.

Am nächsten Morgen weckte mich Shinaya: „Guten Morgen Liebes. Heute ist ein ganz, ganz großer Tag!“

Nur widerwillig stand ich auf und duschte mich erst einmal. Am Frühstückstisch erklärte Shinaya uns das wir heute 4 Stunden mit ihr und 4 Stunden mit Haymitch für das Interview trainieren mussten. Ich hatte keine Ahnung was wir in diesen 8 Stunden machen sollten, aber ich sollte es früh geug erfahren.

Zuerst sollte ich zu Shinaya. Diese steckte mich in ein langes Abendkleid und Schuhe mit mindestens 15cm Absatz. Ich verstand nicht wie Menschen mit solchen Schuhen laufen konnten. Shinaya zwang mich mit dieser Aufmachung laufen zu üben und schon nach einer halben Stunde schmerzten meine Füße und ich wäre schon 10 Mal fast hingefallen. Shinaya beschrieb meinen Laufstil als betrunkene Ente. Dann riss ich mich zusammen, wenn Shinaya den ganzen Tag mit solchen Schuhen herumlaufen kann, dann kann ich das wohl auch. Am Ende der 4 Stunden meinte sie wäre ich immer noch ein wenig wackelig aber es würde nicht groß auffallen. Danach musste ich zu Haymitch, das konnte aber heiter werden.

Haymitch ging mit mir verschiedene mögliche Fragen für das Interview durch und wir probierten ob ich am ehesten auf mysteriös, gefährlich oder liebenswürdig machen sollte. Nichts schien wirklich gut zu funktionieren aber am Ende des Tages entschieden wir uns für liebenswürdig.

An diesem Abend bekam ich fast kein Auge zu. Ich wusste der morgige Tag war wichtig.

Am nächsten Morgen wurde ich von meinem Vorbereitungsteam geweckt. Sie badeten mich in speziellen Ölen, schminkten mich, frisierten meine Haare. Mein ganzer Körper schimmerte und ich hatte Angst am Ende nicht mehr wie ein Mensch auszusehen.

Plutius hatte ein Kleid für mich entworfen und hielt es mir hin: „Na was findest du?“

Das Kleid wechselte seine Farbe von dunkelblau zu schwarz und es leuchteten goldene Punkte darauf. Es sah aus wie der Nachthimmel.

„Wow…es ist wunderschön“, sagte ich ihm. Und es war wahr, das Kleid war bezaubernd.

„Warte nur bis du es anhast…Schätzchen du wirst einfach nur un-glau-blich darin aussehen“, versicherte er mir.

Vorsichtig zogen sie mir das Kleid an und gaben mir dazu passende Schuhe. Zum Glück war der Absatz nicht annähernd so hoch wie der mit dem ich und Shinaya geprobt haben.

Einer aus meinem Vorbereitungsteam erklärte mir: „Shinaya hat uns von deinem betrunkenen Entenwalk erzählt und da dachten wir, wir designen dir Schuhe für deine Bedürfnisse“.

Plutius kicherte daraufhin doch ich konnte die Situation nicht als lustig betrachten. War es wirklich so wichtig auf hohen Schuhen laufen zu können?

In diesem Moment wünschte ich mir sehnlicher den je wieder in 12 zu sein. Dort interessierte niemanden wie du aussiehst oder ob du damenhaft laufen kannst.

„Was meinst du?“, fragte jemand Plutius.

„Ich glaube das wär´s“, antwortete er.

Mein Team begleitete mich zu einem Spiegel und ich konnte ihr Werk betrachten.

Meine Wimpern waren tiefschwarz und lang, meine Lippen waren zu einem Schmollmund geschminkt und meine Augen strahlten. Mein Kleid blinkte und strahlte wie der Nachthimmel. Beim näheren Hinsehen erkannte man dass das Sternzeichen der Cassiopeia, nach dem ich benannt wurde, heller strahlte als die anderen.

Ich war nicht hübsch. Ich war nicht schön. Ich war strahlend wie ein Stern.

„Deine Augen haben mich zu diesem Kleid inspiriert“, erklärte mir Plutius.

„Meine Augen?“, fragte ich verblüfft.

„Na klar Schätzchen? Hat dir das noch niemand gesagt. Deine Augen sehen aus wie der Sternenhimmel“, antwortet er.

Ich wurde rot, doch das sah man nicht sonderlich unter der Schicht Make-Up. Mir hatte das tatsächlich noch niemand gesagt, aber als ich so darüber nachdachte hatte er Recht. Dunkelblau mit goldenen Sprenkeln. Wie der Nachthimmel mit Sternen.

Für das Interview hatte meine eine Bühne vor dem Trainingscenter aufgebaut. Die Tribute saßen alle in einen Bogen um die Bühnenmitte. Meine Handflächen wurden ganz feucht und mir war ganz schwindelig aufgrund der Tatsache dass mir heute so viele Menschen zusehen würden. Und die Leute aus dem Kapitol die heute als Zuschauer anwesend waren, waren nicht alle. Das ganze Land würde meinen Auftritt heute sehen! Zuerst wurde das Mädchen aus 1 interviewt, Summer. Ihre blonden Haare waren hochgesteckt und sie trug ein enges Kleid das ihre Kurven betonte. Sie und Caesar Flickerman, der seine Haare und seine Lippen dieses Jahr in grün trug, redeten und lachten während des Interviews viel, doch ich war zu nervös um mehr zu registrieren.

„Du bist liebenswürdig“, redete ich mir in Gedanken ein.

Ich konzentrierte mich auf die anderen Interviews. Ceaser besaß die Fähigkeit über jeden noch so lahmen Witz zu lachen und jede noch so irrelevante Antwort zu etwas besonderem zu machen.

Das Mädchen aus 2, Ringer verkörperte das Image der eiskalten Killerin und Blaise, ihr Distriktpartner, der des gutaussehenden Bad-Boy.

Als das Mädchen aus 7, Melanie, zu Ceaser gerufen wurde, hielt die Menge kurz den Atem an und stoß Ahs und Ohs aus.

Sie sah aus wie eine griechische Göttin. Ihre Haare waren kompliziert geflochten und auf ihrem Kopf prang ein Lorbeerkranz. Ihr Kleid war im Stil der alten Griechen und bei der kleinsten Bewegung sah es so aus als würden Feuerzungen um sie kreisen. Ihre Haut schimmerte golden und ihre Augen strahlten.

Ich erinnerte mich an ein altes Buch das ich einmal zu Hause gelesen habe. Es behandelte die Mythen der alten Römer und dort habe ich gelesen dass ein Lorbeerkranz ein Zeichen des Sieges war.

Entweder es war nur Zufall, oder ihre Stylistin haben es darauf angelegt sie wie eine Siegerin aussehen zu lassen.

Melanie hatte ein verführerisches Lächeln aufgesetzt und tat auf eiserne Kriegerin. Sie hatte bestimmt gute Chancen auf Sponsoren, so wie die Menge jubelte schien sie sie zu lieben.

Als nächstes kam ihr Distriktpartner Carter, er hatte einen schlichten Anzug an, doch niemand konnte bestreiten dass er mehr als nur gut aussah. Während des Interviews tat er auf bescheiden und charmant.

Mein Mut sank mir immer mehr. Wie sollte ich nach all dem noch irgendjemanden von mir begeistern können?

Dann kam Eme, das kleine Mädchen aus 8.

Sie trug ein weißes Kleid bauschiges Kleid und ihre Haare waren zu Korkenzieherlöckchen frisiert. Eme war ein wenig schüchtern trotzdem hoffte ich dass sich ein paar Sponsoren für sie finden ließen.

Die Interviews flogen nur so dahin und ehe man sich versah war schon ich an der Reihe.

Ein wenig zittrig setzte ich mich auf den Platz gegenüber von Ceasar.

„Also Cassiopeia“, sagt er vertraulich. „Darf ich dir sagen dass du heute einfach nur atemberaubend aussiehst?“

Ich spürte wie mir das Blut in die Wangen schoss. Sei liebenswürdig.

„Oh das sollten sie nicht mir sondern meinem wunderbaren Stylistin Plutia sagen. Wäre nicht er und mein Vorbereitungsteam würde ich heute wahrscheinlich einen Kartoffelsack tragen“, sagte ich.

Ceasar lachte, obwohl meine Bemerkung mehr als lahm war.

„Meine Liebe ich wette sie würden auch in einem Kartoffelsack eine gute Figur machen“, säuselte er.

„Oh Ceasar sie machen mich noch ganz verlegen“.

Wir unterhielten uns noch eine Weile über belanglose Dinge, dann schlug er einen ernsteren Ton an: „Ich glaube jeden hier im Publikum dürfte der Nachname Tame geläufig sein“.

Ich wusste dass das kommen würde, sie würden mir Fragen über meinen Bruder stellen.

„Dein Bruder war vor 3 Jahren der männliche Tribut aus Distrikt 12 und ist uns allen sehr ans Herz gewachsen“, er setzt eine theatralische Pause ein, dann fuhr er fort: „War er den wirklich so ein charmanter Kerl wie wir in alle kennen gelernt haben?“

Die Erinnerung an ihn überkam mich wie eine Welle.

„Oh er war viel mehr als nur charmant. Gill war der beste Bruder den man sich nur wünschen konnte. Es ist mir eine Ehre mit ihm verwand zu sein“.

Ceaser nimmt meine Hand: „Der Verlust von ihm muss dich sehr getroffen haben. Was waren seine letzten Worte an dich?“.

Langsam machte Ceaser mich wütend. Musste er unbedingt eine alte Wunde aufreißen? Ich hatte das Gefühl als wäre sie nie wirklich verheilt.

Ich atmete kurz auf: „Er versprach mir alles in seiner Macht stehende zu tun um zu gewinnen, um für mich zu gewinnen“.

Aber das hat er nicht. Gill hat mich im Stich gelassen. Und hier saß ich mit den Leuten dessen Schuld es war das es überhaupt so weit kommen musste.

„Es tut mir schrecklich Leid das er es nicht geschafft hat“.

Ihr zwingt uns, uns gegenseitig umzubringen und dann tut es euch Leid wenn wir sterben? Ich verspürte eine ungeheure Wut auf diese Leute. Trotzdem wusste ich dass sich hier eine Chance für mich bot. Obwohl ich Gill und meine gemeinsame Zeit am liebsten wie einen Schatz in meinem Herzen hüten wollte, so wusste ich dass es wichtiger war Sponsoren zu finden.

Ich nickte: „Es ist nur so dass ich ihn so schrecklich vermisse“. An jedem Tag meines Lebens.

Es war alles so schrecklich unfair. Ich war noch so jung als sie ihn mir weggenommen haben. Ich war noch nicht bereit ihn so zu verlieren.

Meine Augen füllten sich mit Tränen und ich wusste dass ich sie nicht mehr lange zurückhalten konnte.

„Und du Cassiopeia, nachdem dein Bruder es leider nicht geschafft hat, glaubst du, du könntest gewinnen?“, fragte Caeser mich.

„Ja“, sagte ich bestimmt ohne eine weitere Erklärung.

„Unsere Zeit ist leider um. Doch ich wünsche dir viel Glück, Cassiopeia Tame, Tribut aus Distrikt 12“.

Danach kam Tent dran. Er wirkte total geistesabwesend. Als Ceaser ihn darauf ansprach das er nicht glauben konnte das Tent 0 Punkte bekommen hat, zuckte der nur mit den Schultern.

„Und was wird deine Taktik in der Arena sein?“, fragte ihn Ceaser.

„Wenn interessiert´s, egal wie sehr ich mich bemühe, ich habe keine Chance“, antwortete er nur.

Ich wünschte Tent wäre ein wenig optimistischer, wenigstens für seine Familie.

Auch Ceaser konnte dieses Interview nicht retten.

Als die Interviews vorbei waren gratulierten mir Shinaya und Plutius, sie beharten darauf das ich einfach fa-bel-haft war.

An diesem Abend bekam ich kein Auge zu. Die Panik schnürte mir die Kehle zu und ich hatte das Gefühl zu ersticken.

Mum hatte Tee aufgegossen und wir saßen alle gemeinsam vor dem Fernseher. Niemand sagte ein Wort.

Gill saß in einem baufälligen Gebäude mit Closa, seiner Distriktpartnerin. Die Arena war dieses Jahr eine alte Ruinenstadt.

Closa war ein Mädchen aus meiner Schule und nur einen Jahrgang über mir. Mit 13 war die Wahrscheinlichkeit dass sie die Spiele gewinnt nicht besonders hoch, trotzdem hatte Gill sich mit ihr verbündet.

„Ich habe so Hunger“, beklagte sich Closa.

„Ich weiß, ich weiß“, antwortete er ihr.

Die beiden haben schon seit 3 Tagen nichts mehr gegessen.

„Wie wäre es, du bleibst hier und ich gehe etwas zu Essen suchen?“, fragte er sie.

Als Antwort nickte das kleine Mädchen nur. Sie rollte sich zusammen und schlang ihre Arme um ihre Beine. Ich wunderte mich das ihnen niemand etwas zu essen schickte. Bei dem Anblick des kleinen hungernden Mädchens müsste doch wenigstens einer im Kapitol Mitleid bekommen!

Ich sollte Recht behalten, denn nachdem Gill einige Meter gegangen war landete ein Fallschirm vor seinen Füßen. Ohne nachzuschauen was sie bekommen hatte, drehte Gill sofort um. Plötzlich stürzte das Gebäude zusammen und begrub das Mädchen unter Schutt und Asche.

Entsetzt sprintete Gill zu den Trümmern.

„Closa!“, schrie er verzweifelt und schob Steine weg. „Closa!“

Schließlich hatte er sie gefunden. Auf ihrer Stirn prang eine tiefe Wunde und ihr Kopf lag in einer Blutlache.

 

Zitternd wachte ich auf. Es war nur ein Traum. Es war nur ein Traum. Ich hörte jemanden schreien, erst wenige Minuten später merkte ich, dass ich es war.

Eigentlich war es kein Traum, es war eine Erinnerung. Auch wenn ich nicht dabei war, so habe ich jede einzelne Sekunde im Fernseher mitverfolgt.

Ich ließ den Tränen freien Lauf. Unkontrollierte Schluchzer überkamen meinen Körper die ich wohl schon seit dem Tag der Ernte zurückgehalten habe.

Ich klammerte mich an meine Kette.

Doch trotz allem fühlte ich mich einsamer als ich mich jemals in meinem Leben gefühlt habe.

Melanie´s PoV - Die 64 Hungerspiele

 

Ich hatte meine Arme um meine Beine geschlungen und atmete tief ein und aus. Normalerweise wenn ich einen Albtraum habe, mache ich mir einen Tee, rede mir ein das alles gut ist. Doch in diesem Fall würde das nichts bringen denn der Albtraum war Realität.

Morgen würden sie uns in die Arena stecken, vielleicht ist sie eine Wüste, ein Wald, eine alte Ruinenstadt. Vielleicht ist es in ihr kochend heiß, vielleicht herrschen dort aber auch Minusgrade. Eigentlich war es egal was sie sich dieses Jahr ausgedacht haben, es läuft aufs Gleiche hinaus. 24 Jugendliche werden gezwungen sich gegenseitig umzubringen. Es war widerlich. Und nicht nur das wir gezwungen werden Unschuldige zu töten, nein die Leute im Kapitol feiern es wie ein Fest.

Es ist krank. Es ist krank. Es ist krank.

Ich wünschte nur sie wüssten wie es ist. Wie es ist ausgewählt zu werden zu sterben nur zu der Belustigung anderer Menschen. Würden sie es dann immer noch so lustig finden? Würden sie die Spiele immer noch so lieben?

Ich wünschte man würde mich mit ihnen in die Arena stecken. Sie würde ich mit Freude töten, jeden einzelnen.

Und die ganze Zeit lächle ich für sie, lasse mich hübsch machen, nur um ihnen zu gefallen. Manchmal denke ich darüber nach, jetzt schon aufzugeben. Manchmal denke ich dass ich doch sowieso sterbe. Dass ich aufhören soll mich für sie zum Deppen zu machen und ihnen zeigen soll was ich von ihnen und ihren Spielen halte.

Doch da ist etwas was mich daran hindert, etwas das schon seit Millionen von Jahren in unserer DNS ist, der Überlebensinstinkt.

Doch manchmal, manchmal denke ich Sachen die man nicht einmal denken darf. In diesen Momenten habe ich Angst vor mir selbst. Wenn mich die Wut überwältigt und ich vergesse wer ich bin.

Ich zitterte unkontrolliert und Tränen laufen mir die Wange herunter. Wer bin ich? Wer bin ich? Wer bin ich?

Ich war mir sicher dass ich Leute töten konnte. Leute die nichts dafür konnten, die das gleiche Pech wie ich hatten und ausgewählt wurden. Ich könnte sie eiskalt töten, ihnen die Kehle aufschlitzen. Doch wer war ich für ein Mensch das ich das tun könnte? Würde ich als so ein Mensch überhaupt weiterleben können?

Ich presste mir meine Hände auf meine Ohren. Ich durfte nicht so viel darüber nachdenken, nicht so viel. Einfach machen, nicht nachdenken. Denn nachdenken machte einen verrückt, es machte einen verrückt.

Könnte ich es machen? Könnte ich es machen?

Ich presste stärker, ich wollte meine eigenen Gedanken nicht mehr hören. Ich wollte dass sie endlich ruhig sind und mich schlafen lassen. Denn das wollte ich, einfach nur schlafen und nie mehr aufwachen.

Wieso musste ausgerechnet mein Name ausgelost werden? Wieso? Wieso? Es war alles so schrecklich unfair. Jetzt zwingen sie mich für sie zu töten. Sie zwingen mich für sie zu sterben! Morgen schicken sie mich in die Arena, morgen fängt alles an. Vielleicht lebe ich in 24 Stunden ja nicht mehr. Ich wusste nicht ob dieser Gedanke mich beruhigen oder ängstigen sollte.

Aber vielleicht kommt auch alles anders. Vielleicht werfe ich in 24 Stunden andere Tribute mit meinen Messern ab. Vielleicht macht es mir sogar Spaß. Vielleicht freue ich mich genauso über ihren Tod wie die Leute im Kapitol. Vielleicht bin ich kein Stück besser als sie.

Sei still! Sei still!

Ich schrie mir meine Seele aus dem Leib um die Stimmen in meinem Kopf zu verstummen. Doch sie hörten nicht auf. Sie wollten mich einfach nicht in Ruhe lassen.

Bebend lag ich in meinem Bett und schrie: „Seid still! Bitte, bitte lasst mich in Ruhe!“

Ich wünschte ich wäre nicht hier.

Ich wünschte ich müsste das nicht machen.

Ich wünschte mir ich wäre tot, wir alle.

 

Am nächsten Tag kreisten meine Gedanken um alles Mögliche. Meine Gedanken verflogen so schnell und wenn ich nach ihnen greifen wollte, verschwanden sie.

Alles wird gut. Alles wird gut.

Ich saß im Hovercraft mit der Hälfte der anderen Tribute. Carter war nicht da. Ich wünschte ich könnte noch einmal mit ihm reden bevor ich ihn umbringen muss.

Ein großer Mann mit schwarzem Haar injizierte mir mit einer Spritze einen Aufspürer. Als ob irgendjemand von uns verschwinden würde, hier waren doch überall Kameras. Und wenn sie uns finden würden, dann würden sie uns die Zunge rausschneiden und uns zwingen die Bediensteten der neuen Tribute zu spielen, wenn überhaupt. Wahrscheinlicher wäre es wenn sie uns öffentlich hinrichten würden. Der Gedanke machte mir jedoch keine Angst, sie taten gerade schließlich nichts anderes mit uns.

Das kleine Mädchen aus 8 neben mir, Eme, wurde ganz blass als sie den Mann mit der Spritze sah.

„Keine Sorge, es tut gar nicht weh“, beruhigte ich sie.

Verwirrt musterte sie mich, wahrscheinlich weil ich noch nie mit ihr gesprochen habe. Aber es tat mir leid dass sie mit 12 sowas durchmachen musste. Ich war 4 Jahre älter und hielt es kaum aus. Ehrlich gesagt taten sie mir alle leid, mich eingeschlossen.

Niemand hatte so etwas verdient.

 

Als der Hovercraft landete, brachte man uns, zu unseren Stylistin. Ich wusste, nicht mehr lange und wir wären in der Arena.

Doch ich durfte nicht so viel darüber nachdenken.

Jenna flechte mir die Haare und half mir in die Klamotten die ich in der Arena anziehen sollte. Meine Hose war khakifarben, meine Schnürstiefel passten wie angegossen, und meine dunkle Jacke war gefüttert. Jenna tippte auf ein kälteres Gebiet, 3-8°C. Als letztes legte sie mir meine Kette um, den Gegenstand den ich von zu Hause mitnehmen durfte. Die Kette zeigte einen kahlen Baum und gegenüber einen prächtigen mit vielen Früchten. Die Kette war alt und das Gold war an manchen Stellen ein wenig schmutzig, doch die Kette erinnerte mich an zu Hause. Meine Mutter sagte mir, als sie sie mir schenkte, sie sollte mich daran erinnern dass das egal wie schlecht es einem geht, wieder bessere Zeiten kommen. Und egal wie gut man es hat, man wieder alles verlieren kann. Das Leben ist vergänglich. Und sie hatte Recht. Jede Sekunde kann dein Leben ein ganz anderes sein. Jeden Moment kann es vorbei sein. Ich sah förmlich wie meine restliche Zeit an mir vorbeirauschte. Ich wollte die Momente einfangen doch sie entglitten meinen Fingern. Sie entglitten mir.

Wie viel Zeit habe ich noch?

Ich habe mal gehört, das man nie weiß wie viel Zeit man noch hat. Ob man sein Leben am besten in Jahren, Wochen, Tagen oder gar Stunden rechnen sollte?

Und ich fragte mich, wie sollte ich mein Leben am besten zählen?

Jenna betrachtete mich besorgt: „Alles in Ordnung meine Liebe?“

Sie wissen schon das ich gleich in eine Arena gesteckt werden mit 23 anderen Jugendlichen die alle versuchen werden mich abzuschlachten.

Satt ihr zu sagen was ich denke, schüttelte ich nur den Kopf: „Ich bin ein bisschen nervös“.

Jenna betrachtete mich wehleidig: „Es wird schon alles gut werden“.

„Das können sie nicht wissen“, antwortete ich wie ein kleines Baby.

Doch es war mir egal. Im Prinzip war mir alles andere egal, außer der Tatsache dass ich bald in die Arena musste.

Ich erinnerte mich noch daran wie ich mir vor paar Monaten Sorgen darum gemacht habe, ob Mutter sauer sein könnte weil ich statt zu arbeiten mich mit meinen Freundinnen getroffen habe. Und ich habe mir Sorgen darum gemacht ob ich in der nächsten Klausur gut abschneide.

Wie dumm ich war! Wenn interessiert es ob ich gut in der Schule war oder nicht? Wenn interessiert es ob Mutter sauer war oder nicht?

Panisch stellte ich fest dass mir nicht mehr viel Zeit blieb.

„Jenna, wenn ich es nicht schaffe, kannst du meinen Eltern sagen das ich sie liebe? Sag ihnen bitte dass ich sie nicht verlassen wollte. Sa ihnen das es mir so furchtbar leid tut“, bat ich Jenna und sah sie flehend an.

Ich durfte mir in der Arena keine Sorgen darum machen dass sie enttäuscht von mir sein könnten. Dazu habe ich keine Zeit.

„Aber natürlich Liebes“, antwortete Jenna mit Tränen in den Augen.

Tat ich ihr wirklich leid? Sie sah jedenfalls so aus als ob. Zum ersten Mal fragte ich mich ob die Leute im Kapitol doch zu so etwas wie Mitgefühl fähig waren.

Jenna nahm mich in den Arm: „Melanie das schaffst du. Du bist schlauer und schneller als die anderen“.

Ich nickte und fragte mich wann ich zu ihrem Favorit geworden bin oder ob Stylistin immer auf ihre Schützlinge tippten.

Das Signal ertönte. Ich musste hoch.

Jenna ließ mich los und zittrig stieg ich in den Aufzug.

Die Glastüren schlossen sich. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Langsam fuhr der Aufzug in die Höhe. Mein Herz pochte wie verrückt. Gleisendes Licht blendete mich als der Aufzug die Erdoberfläche durchbrach.

60

59

Ich blinzelte und langsam gewöhnte ich mich an das Licht.

Die 24 Podeste der Tribute waren in einem Kreis um das Füllhorn aufgebaut. Wir befanden uns auf einer großen Lichtung, umgeben von einem dichten Wald.

50

49

Ich entdeckte ein paar Messer im Füllhorn, sie wären genau auf meinem Weg. Vielleicht war es gefährlich, aber ich konnte schnell rennen.

44

43

Eine ohrenbetäubende Explosion lenkte mich ab. Im ersten Moment verstand ich gar nichts. Was war passiert? Dann, langsam registrierte mein Gehirn die Situation.

35

34

Der Platz auf dem der Tribut aus 12, Tent stand war gesprengt. Er war zu früh vom Podest runter gegangen. Aber wieso hat er das getan? Jeder wusste das man erst wenn die Minute vorbei war von den Podesten steigen durfte.

Vielleicht hat er es aber auch mit Absicht gemacht.

Während des Interviews wirkte er die ganze Zeit geistesabwesend und erschöpft. Er hatte schon längst aufgegeben. Hatte er das geplant? Vom Podest steigen?

20

19

Wieso hat er es nicht wenigstens versucht?

18

17

Das war doch nicht der Sinn der Spiele. Das die Tribute sich einfach selbst das Leben nahmen. So etwas war ja kaum unterhaltsam. Vielleicht ein Selbstmörder, das wäre ein Skandal, die Leute würden darüber reden. Aber einen Moment stellte ich mir es vor, obwohl ich wusste dass das niemals passieren würde. Ich stellte mir vor wie es wäre wenn alle Tribute von den Podesten steigen würden. Dann hätten sie weder einen Sieger noch ihre Spiele. Entweder Tent hat wirklich aufgegeben, gesehen das es keinen Sinn hatte. Oder er wollte sie lächerlich machen. Er ist nach seinen eigenen Bedingungen gestorben.

10

9

Ich werde es wenigstens versuchen.

8

Adrenalin durchströmt meine Adern.

7

Ich spannte meine Muskeln an.

6

Gleich, gleich würde der Startschuss ertönen.

5

Ein Lächeln huschte auf mein Gesicht.

4

Ich könnte es schaffen.

3

Ich werde es schaffen.

2

Ich war bereit.

1

Die 64 Hungerspiele hatten begonnen.

Cassiopeia´s PoV

 

Renn, renn, renn.

Als das Startsignal ertönte rannte ich ohne Umschweifen zum Wald. Ich wusste nicht wohin ich rannte, einfach nur rennen, einfach nur rennen.

Mein Herz pochte wie verrückt und mein Kopf schwirrte.

Wieso hat Tent das getan?

Panisch rannte ich weiter. Ich stolperte über eine Wurzel, doch ich bemerkte es kaum und rappelte mich schnell hoch.

Los, Cassie, schneller.

Ich hatte kein Ziel, ich wollte nur so viel Platz wie möglich zwischen mich und andere Tribute bringen. Plötzlich hörte ich einen Kanonenschuss. Der erste Tribut ist gestorben. Dann korrigierte ich mich, der zweite. Tent war tot. Er hat gelebt und jetzt nicht mehr.

Renn, renn, renn.

Ich stolperte wieder und rutschte einen Abhang herunter.

Die Farben um mich herum vermischten sich, waren nur noch ein Farbenspiel aus Grün und Braun.

Ich zuckte zusammen, der zweite Kanonenschuss.

Auf einem landete ich mit einem lauten Platsch in etwas Feuchtes, Nasses. Mein Kopf tauchte unter die Oberfläche und mit einem Mal konnte ich wieder klar denken. Wasser. Cassie du hast Wasser gefunden! Ich schwamm nach oben. Als ich die Wasseroberfläche durchbrach, schnappte ich keuchend nach Luft.

Ein weiter Kanonenschuss.

Mit ein paar kräftigen Schwimmzügen war ich am Ufer angelangt. Der kleine See, wenn man meine Wasserquelle überhaupt als solchen bezeichnen konnte, befand sich am Ende des Abhangs. Sollte noch jemand so ungeschickt sein wie ich, so würde er auch hier landen. Um mich herum sah ich nichts als Bäume, keine Höhle in der man sich verstecken konnte.

Wenn sich hier noch eine Höhle befinden würde, wäre das eindeutig zu viel verlangt. Ich hatte Glück gleich am ersten Tag Wasser zu finden. Ich besaß jedoch, weder eine Feldflasche noch einen Rucksack. Kurz überlegte ich ob es falsch war einfach abzuhauen ohne sich etwas aus dem Füllhorn zu nehmen, doch dann dachte ich dass es besser so war. Ich war auf Nummer sicher gegangen. Irgendwie werde ich es schaffen, ob mit oder ohne Feldflasche.

Ich formte meine Hände zur Schale und tauchte sie ins Wasser. Das meiste Wasser war schon durch die Schlitze hindurchgesickert, doch es war immer noch etwas drin als ich aus meinen Händen trank. Danach wrang ich meinen nassen Zopf aus, eine Erkältung war hier das letzte was ich brauchte. Es ertönte wieder ein Kanonenschuss. Das Füllhorn war wirklich das reinste Blutbad.

Ich wusste nicht ob ich glücklich darüber sein sollte weniger Konkurrenten zu haben oder ob mich ihr Tod traurig stimmen sollte.

Im Moment konnte ich nicht klar denken. Zu viele Emotionen stürmten auf einmal auf mich ein. Angst, Hoffnung, Trauer und Wut.

 

Ich beschloss dass es fürs erste das Beste sei, hier zu bleiben. Am liebsten würde ich schreien. Doch das ging aus vielerlei Gründen nicht. Erstens könnte ich genauso gut eine blinkende Leuchttafel in die Höhe halten mit den Worten hier bin ich, alleine verstört und unbewaffnet, kommt tötet mich. Und zweitens musste ich wenigstens versuchen stark zu sein, für Mutter, für Vater und für Laya. Ich wollte keinen von ihnen enttäuschen.

Also straffte ich meine Schultern und atmete tief aus. Der Gedanke dass mehrere Kameras gerade auf mich gerichtete waren, war mehr als beunruhigend. Auch wenn es wahrscheinlicher war, das sie gerade etwas anderes im Fernseher zeigten, da ein kleines Mädchen das alleine im Wald sitz nicht gerade spannend war, so konnten mich die Spielmacher alle sehen.

Ich beschloss auf einen Baum zu klettern, wenigstens während des Tages. Falls jemand hier vorbei kommt war die Wahrscheinlichkeit dass er mich auf dem Boden entdeckt höher, als das er mich hoch oben in den Baumkronen sieht. Anfangs war ich ein wenig zittrig, ich bin noch nie auf einen Baum geklettert, doch nach einer Weile begriff ich dass es ganz einfach war. So stieg ich immer höher und versuchte dabei nicht nach unten zu blicken. Als ich mich auf etwa 8 Meter Höhe auf einen Baumstamm niedergelassen habe, wagte ich doch einen Blick nach unten. Im ersten Moment wäre ich fast vom Baum gefallen, es war höher als ich gedacht habe, doch dann riss ich mich zusammen. Weit und breit war kein weiterer Tribut zu sehen, also wiegte ich mich erst einmal in Sicherheit. Trotzdem konnte ich nichts gegen das Zittern unternehmen das meinen Körper beherrschte. Jeden Moment, jeden Moment könnte dich jemand entdecken und töten.

Ich schloss meine Augen und hörte auf die Geräusche des Waldes. Ein paar Vögel sangen, Blatter raschelten sanft im Wind, das Wasser plätscherte.

Ich verstand gar nicht weshalb ich früher solche Angst vor dem Wald hatte. Dieser wirkte sehr beruhigend auf mich, auch wenn er alles andere als das war.

Weil sie uns das eingeschärft haben, ging es mir durch den Kopf.

Sie sperrten uns in unseren Distrikt ein und konnten so verhindern dass wir flüchteten. Eigentlich war es gar nicht so dumm. Doch das machte es nur noch schlimmer.

Nicht genug das wir wie Sklaven für sie arbeiten, dass sie hier so viel essen können bis sie kotzen und wir hungern müssen, dass sie uns zwingen jedes Jahr an diesen Spielen teilzunehmen. Wir werden nie frei sein. Auch wenn ich diese Spiele gewinne, so werde ich immer noch ihnen gehören. Ich werde Mentorin uns sehe dabei zu wie meine Schützlinge sich jedes Jahr aufs Neue gegenseitig töten. Plötzlich hörte ich ein lautes Rascheln. Panisch riss ich meine Augen auf. Mein Herz hämmerte wie verrückt gegen meine Brust und mein Mund war ganz trocken. Sollte ich jetzt um Hilfe schreien, so würde kein Wort über meine Lippen kommen. Aber sogar wenn sie mich hören würden? Wer würde mir schon helfen?

Ich schüttelte meinen Kopf, ich würde schließlich auch niemanden zu Hilfe eilen da sollte ich aufhören so zu tun als wäre ich hier das Opfer. Wir waren alle Opfer.

Als ich mich nach der Geräuschquelle umschaute, stellte ich erleichtert fest dass es nur ein Eichhörnchen war. Langsam werde ich paranoid. Aber besser Vorsicht als Nachsicht, oder?

Ich überlegte was ein schönerer Tod wäre.

Nachdem ich glücklich in der Arena umherspaziert bin, bemerkte ich gar nicht dass sich jemand an mich heran geschlichen hat. Dann sticht er mich kaltblütig mit einem Messer ab.

Oder nachdem ich paranoid vor allen Geräuschquellen weggerannt bin, wurde ich eines Tages doch im Schlaf entdeckt und ermordet.

Ich stellte fest das beide Varianten nicht besonders schön waren. In meinem ganzen Leben habe ich nie viel über den Tod nachgedacht. Warum auch? Es hatte keinen Sinn sich zu fragen wann und wo es passieren würde, denn nur weil man darüber nachdenkt ändert es nichts an der Tatsache dass du sterben wirst. Doch jetzt, wo der Tod in jeder Ecke zu lauern scheint, wo es dich jeden Moment treffen konnte, war es schwer in weiterhin zu ignorieren.

 

Melanie´s PoV

 

„Hallt deine Klappe!“, fuhr ich Helena an.

Das blonde Mädchen schien von meinen Worten tief gekränkt zu sein. Und wenn schon? Helenas Gefühle interessierten mich ehrlich gesagt herzlich wenig.

Beleidigt stapfte sie zu Carter der zu jedem nett war.

Selber Schuld wenn sie die ganze Zeit herum quengelt wie ein kleines Kind nur weil ihre Füße wehtaten!

Nachdem ich mir im Füllhorn 5 Wurfmesser und einen Rucksack geschnappt habe, rannte ich sofort in den Wald. Nach wenigen Minuten traf ich auf Hazel, Drace, Nate und Helena, die nicht einmal versucht hatten etwas zu ergattern. Ich sagte den vier dass wir noch auf Carter warten sollten. Auch wenn ich nie um ihn als Verbündeten gebeten habe, so schien mir die Aufsicht die nächsten Tage alleine mit Hazel, Drace, Nate und Helena zu verbringen wenig rosig. Wenig später entdeckte ich Carter, er hatte sich eine Axt geschnappt. Erleichtert stellte ich fest dass wir uns so wenigstens verteidigen konnten.

Seitdem laufen wir schon mindestens 4 Stunden im Wald herum auf der Suche nach einem geeigneten Platz, oder Wasser.

Meine Kehle war wie ausgetrocknet. In meinem Rucksack hatte sich zwar ein Wasserbehälter gefunden, jedoch war dieser leer.

Die Lauferei machte wenig Spaß, vor allem da Drace die ganze Zeit nicht von meiner Seite gewichen war. Egal was ich ihm sagte, er schien jede Beleidigung als Flirt aufzufassen.

Carter lief direkt hinter mir und Nate übernahm die Führung.

„Machen wir hier eine Pause, ich weiß nicht wies euch geht aber ich kann nicht mehr“, verkündete Nate schließlich.

Das wunderte mich nicht. Nate hatte sich ein ordentliches Fettpolster bis zu den Spielen angegessen. Ich habe die Ernte gesehen, der Junge aus 3 war auch zu dieser Zeit nicht der dünnste. Doch heute neben der abgemagerten Hazel sah der 13 jährige schon recht füllig aus.

„Ich bin dafür“, meldete sich jetzt auch Helena, war ja klar.

Sie streckte die Hand in die Höhe und die anderen taten es ihr nach. Hatte gar nicht gewusst dass das jetzt eine Abstimmung wird. Widerwillig hob ich auch meine Hand in die Höhe, es hatte ja keinen Sinn als einzige dagegen zustimmen. Außerdem wird es bald dunkel und wer weiß wie weit eine geeignete Stelle entfernt ist, ob es in dieser Arena überhaupt eine gibt?

Ich setzte mich hin und lehnte mich gegen einen Baumstamm.

„Ich übernehme die Wache“, teilte ich den anderen mit.

Egal wie müde ich war, ich konnte den anderen nicht trauen. Außerdem hätte sich jemand wie Helena gemeldet, wären wir so gut wie tot. Ich wette das Mädchen würde es keine 10 Minuten schaffen wach zu bleiben und sogar wenn, sie wäre bestimmt zu dumm gewesen die Gefahr zu erkennen wenn sie sich direkt vor ihrer Nase präsentierte.

„Ich auch. Es sollten 2 Leute Wache schieben, falls einer der beiden einschläft“, sagte Carter.

Wollte er damit sagen dass er mir nicht zutraute Wache zu schieben? Aber andererseits hätte ich mir auch nicht vertraut. Schließlich hatte ich überlegt meine Verbündeten gleich in der ersten Nacht zu töten und den Gedanken habe ich immer noch nicht verworfen. Aber vielleicht war es besser ein wenig zu warten. Ich wusste dass ich mich nur selber anlog, das unausweichliche weiter vor mich herschob. Doch in dieser Nacht erlaubte ich es mir.

Alle außer Carter und mir waren schon nach wenigen Minuten eingeschlafen. Ich beneidete sie. Heute Nacht, so hatte ich das Gefühl, könnte ich kein Auge zu bekommen, so angespannt war ich. Carter hatte sich zu mir an den Stamm gesellt und begrüßte mich mit einem breiten Grinsen: „Hey“.

Ich antwortete genauso dämlich zurück und musste kurz darauf lachen.

Es war verrückt. Wie konnte ich mich jetzt nett mit Carter unterhalten wo wir uns eigentlich umbringen mussten?

Plötzlich tauchten am Himmel die Bilder der gefallenen Tribute des Tages auf. Die Bilder wurden von der Hymne Panems begleitet.

Der Junge aus 5, genauso wie beide 6, das Mädchen aus 11 und der Junge aus 12 waren heute gestorben. Nur fünf und ich alle am Füllhorn, denn danach habe ich keine Kanonenschüsse mehr gehört.

„Was denkst du?“, fragte mich Carter.

„Ich glaube morgen fängt es richtig an“, erklärte ich ihm.

Heute wollten die meisten nur genügend Waffen und einen Platz zum Schlafen finden, doch morgen würden die Tribute anfangen gegenseitig Jagd aufeinander zu machen.

Carter nickte.

Trotz der Waffe in seiner Hand sah er alles andere als gefährlich aus, ich konnte mir nicht vorstellen das Carter jemanden damit umbringen konnte.

„Wieso glaubst du hat sich dieser Junge vom Podest gestürzt?“, fragt er mich nach einiger Zeit.

Ich zucke mit den Schultern und wollte nicht zugeben dass ich mir sehr wohl Gedanken darüber gemacht habe.

„Vielleicht hatte er Angst. Aus einer Panikreaktion machen Menschen oft dumme Dinge“, schlug ich vor ohne einen Moment an das zu glauben was ich gesagt habe.

Bei Tent war es etwas anderes, er war auch schon davor so merkwürdig.

Carter musterte mich abschätzend, er schien mir meine Story wohl nicht abzukaufen doch er ging trotzdem nicht näher drauf ein.

Schweigend saßen wir da und beobachten wie die Sonne unterging. Als die Nacht einbrach, war der helle Mond die einzige Lichtquelle.

 

„Mel leg dich schlafen, ich schaff das schon alleine“, meinte Carter schläfrig.

Ich weiß nicht wie viel Zeit schon vergangen war, ich wusste nur das ich todmüde war.

„Okay“, sagte ich, obwohl ich das Gefühl hatte das Carter auch nicht mehr lange wachbleiben konnte. Doch ich ließ es darauf ankommen und war sofort eingeschlafen.

 

Vertraue niemandem.

Meine einzige Regel, ich hatte nur eine Regel! Und gleich am ersten Tag brach ich sie. Denn ich habe Carter vertraut indem ich einschlief. Ich hätte wach bleiben sollen, ich hätte ihm nicht vertrauen sollen.

Ich musste sie töten. Es war zu gefährlich mich länger mit ihnen rumzuschlagen. Was ist wenn sie mir ans Herz wachen? Was ist wenn ich sie nicht mehr töten kann?

Heute, ich musste sie heute töten.

Dieser Gedanke machte mir mehr Angst als er eigentlich sollte.

Ich schaute sie an, all meine Verbündete. Nicht einmal die nervige Helena wollte ich gerne töten. Wie konnte ich es nur so weit kommen lassen?

Die Sonne war vor kurzem aufgegangen und ich war die einzige die schon wach war.

Carter, war wie nicht anders erwartet auch eingeschlafen. Er war im Sitzen eingeschlafen, sein Kopf gegen den Baumstamm gelehnt.

Ich wollte ihn gerade an stupsen um ihn aufzuwecken als ich meine Hand wieder zurückzog. Carter war mein größter Fehler, das wurde mir in diesem Moment klar. In dem ich ihm erlaubte nett zu mir zu sein hatte sich mir die Chance geboten ihn zu mögen. Und ich hatte diese dämliche Chance ergriffen! Es ließ sich nicht leugnen, ich mochte Carter. Wie ging es auch anders? Er lächelt einen stets aus seinen Teddy-Bär Augen an und war niemals gemein.

Ich zitterte.

Heute Abend, heute Abend werde ich sie töten, jeden einzelnen. Auch Carter. Sie konnten nichts dafür dass sie in die Arena mussten, aber ich genauso wenig.

Ich atmete tief durch. Mel, du bist kein Monster, du bist keins.

Statt die anderen aufzuwecken, schnappte ich mir meinen Rucksack und schaute ob noch alles da war, nur zur Sicherheit. Ich kletterte auf einen Baum und suchte die Gegend nach möglichen Feinden oder Wasserquellen ab. Nichts, keine Feinde aber auch kein Wasser.

Ich nahm meine Messer und beschloss unser Frühstück zu jagen. Tatsächlich mussten heute zwei Eichhörnchen daran glauben. Ich überlegte ob es eine gute Idee war, ein Feuer zu machen, doch auf rohes Fleisch hatte ich auch nicht besonders Lust.

Als ich gerade meine Streichhölzer aus dem Rucksack nehmen wollte, wachte Hazel auf. Einen Moment starrte mich das kleine Mädchen verschreckt an, dann entspannten sich ihre Züge:

„Oh du bist es. Im ersten Moment habe ich dich gar nicht erkannt“.

Sie kicherte leise und ich fragte mich ob sie die Situation tatsächlich lustig fand oder ob das Kichern von der Anspannung kam.

Ich antwortete ihr nicht, doch das schien sie nicht im Geringsten zu stören.

„Oh du hast Eichhörnchen gejagt! Das ist gut denn ich habe einen Bärenhunger“, plapperte sie fröhlich weiter.

„Okay“, war meine einzige Antwort.

Von unserem Geplauder wurden auch die anderen langsam wach.

Zusammen beschlossen wir ein Feuer zu machen, doch nach dem Essen schnell abzuhauen. Wenn also irgendjemand hier auftaucht weil er das Feuer gesehen hat, werden wir hoffentlich schon alle weg sein.

Helena und Nate sind vor unserem Feuer noch ein paar Beeren sammeln gegangen und Carter hat ein weiteres Eichhörnchen ermordet. Wir werden vielleicht nicht alle satt, doch es war besser als nichts.

 

Cassioepa´s PoV

 

Als ich meine Augen aufschlug, wusste ich im ersten Moment nicht wo ich war. Nach und nach dämmerte es mir dann und die Panik überkam wieder meinen Körper.

Dann langsam, erinnerte ich mich wo ich wirklich war. Auf einem Baumstamm in 8m Höhe. Ich bin gestern wohl eingenickt. Einen Moment war ich unfähig mich zu bewegen, vor Angst ich könnte runterfallen. Es war ein Glück das ich während ich geschlafen habe, nicht gestürzt bin. Vorsichtig hielt ich mich an der Rinde fest und kletterte ganz langsam nach unten.

Den letzten Meter schlitterte ich eher, doch als meine Füße den Boden berührten war ich unglaublich erleichtert.

Nun stillte ich auch meine anderen Bedürfnisse. Ich trank etwas aus dem See und sammelte ein paar essbare Pflanzen.

 

Später am Nachmittag hörte ich Stimmen. Anfangs war ich mir nicht sicher ob sie nur Hirngespinste meiner Fantasie waren, doch jetzt war ich mir ganz sicher.

Ich wusste nicht wie viele es waren, doch ich schätze 3. Ich hörte hohe und tiefe Stimmen, sie waren zu leise um mehr zu sein als 4 und doch waren sie keine 2. Im ersten Momenten wusste ich nicht was ich tun sollte. Auf einen Baum flüchten? Mich verstecken? Stehen bleiben und hoffen das sie nicht hier vorbei laufen? Wegrennen? Ich horchte genau hin um mir sicher zu sein aus welcher Richtung die Stimmen kamen. Dann rannte ich in die entgegengesetzte Richtung. Ich wusste nicht ob Flüchten die beste Lösung war, doch sollten sie mich finden, könnte ich mich nicht verteidigen und da war Flüchten nun mal die einzige Option. Während ich über Wurzeln und Äste rannte wirbelten im meinem Kopf meine Gedanken wirr umher. Renn, renn, renn. Zweige schlugen mir gegen mein Gesicht doch ich registrierte es kaum. Die Stimmen konnte ich immer noch hören, doch ich war zu aufgeregt um zu verstehen was sie sagten. Mein Herz pochte so laut das ich Angst hatte das man es auch auf 10km noch hören konnte. Renn, renn, renn. Leider gehörte Dauersprinten nicht wirklich zu meinen Stärken weshalb ich schon nach 5min keuchend stehen blieb und mich an einem Baum abstützte. Als mein Keuchen ein wenig nachließ, lauschte ich. Ich hörte keine Stimmen mehr, nur die Geräusche des Waldes. Erleichtert atmete ich aus. Doch ich kam nicht umhin, meine ausgetrocknete Lunge zu bemerken und mein einziger Vorteil den ich den anderen Tributen möglichweiße hatte, meine Wasserquelle, stand mir nun nicht mehr zu Verfügung. Sogar wenn die Tribute die ich gehört hatte, meinen Platz gar nicht gefunden hatten und immer noch weiterliefen, so hatte ich mir in der ganzen Hektik nicht meinen Weg gemerkt und könnte nicht zurück laufen. Außerdem, früher oder später müsste ich meinen Platz sowieso verlassen, es war zu gefährlich. Es gab Wasser, aber keinen Schutz. Und auch jetzt fühlte ich mich furchtbar schutzlos und schlang meine Arme um meinen Körper. Im Moment war ich bestimmt ein jämmerlicher Anblick. Kleines verstörtes Blondchen steht ängstlich im Wald. Doch dann schüttelte ich meinen Kopf. Cassie, du bist kein kleines verstörtes Blondchen. Okay, über das verstört lässt sich streiten, aber wer wäre in so einer Situation nicht verstört? Ich straffte meine Schultern. So schon viel besser. Vielleicht bin ich unbewaffnet, vielleicht bin ich ängstlich, so ängstlich das ich mich am liebsten zu einer Kugel zusammen rollen und jämmerlich schluchzen wollte, doch das musste die Leute im Kapitol ja nicht wissen. Ich wollte nicht dass sie denken, sie würden mich besitzen. Natürlich taten sie das. Sie besaßen uns alle. Aber noch haben sie nicht gewonnen, noch lebte ich noch. Noch hatte ich die Macht irgendetwas zu tun. Mein Wunsch nach Auflehnung war sinnlos. Was sollte ich den machen? Es war frustrierend, ich musste nach ihren Spielregeln spielen, ansonsten würde ich sterben. Oder noch schlimmeres. Die Tatsache das ich höchstwahrscheinlich in naher Zukunft sterben werde, damit hatte ich mich abgefunden, doch was ist wenn sie Mum, Dad oder Laya? Wenn ich irgendetwas tat was das Kapitol verärgern würde, dann würden sie womöglich die Menschen verletzten die ich liebte. Bei dem Gedanken zog sich mein Herz schmerzlich zusammen. Nein, ich würde hier einfach brav sterben und ihnen wird nichts passieren.

Den restlichen Tag irrte ich ohne Plan umher und es war beinahe entspannend. Ich schloss meine Augen und ließ die Sonne gegen mein Gesicht scheinen. Ja, es war beinahe entspannend. An diesem Abend starben vier, das Mädchen aus 5, der Junge aus 8 und die beiden aus 10. Als ich die Bilder von ihnen sah, stellte ich fest dass ich nicht einmal ihre Namen kannte. Werde ich genauso sterben? Eines Abends leuchtet mein Bild auf und das war´s. Niemand wird sich an mich erinnern. Ich werde einfach verschwinden. Plötzlich kam ich mir schrecklich unbedeutend vor und mir wurde wieder schmerzlich bewusst wie vergänglich das Leben war. Wir waren hier und dann waren wir fort. Wie ein Windhauch dessen Existenz niemand wirklich registriert hat.

Mum, Dad und Laya werden mich nicht vergessen, redete ich mir ein.

Schließlich hatte ich Gill auch nicht vergessen. Wie könnte ich auch? Wie?

Aber Gill war nicht ich. Gill war schon immer der beliebtere, der sportlichere der freundlichere von uns beiden gewesen. Okay, zugegeben ich war besser in der Schule, ich war ein verdammter Streber, so war ich was den Rest anging ziemlich langweilig. Meine Freizeit verbrachte ich in der Apotheke oder ich versteckte mich hinter einem von Mums alten Jugendromanen die ich alle schon 10mal durchgelesen hatte. Und anders als die anderen Mädchen aus meiner Stufe hatte ich auch keinerlei Erfahrungen mit Jungs. Während Naya mir ständig von ihren Liebeleien erzählte, war das einzige was ich aufweisen konnte, mein 1. Kuss mit Sirius Undernew in der 3. Klasse. Über den Kuss gab es jedoch nicht viel zu berichten, plötzlich ohne jede Vorwarnung hatte der Depp mich mitten auf dem Pausenhof mitten auf den Mund geküsst. Nachdem sich Sirius von mir gelöst hatte, hörte ich die anderen Mitschüler Ihhh rufen. Damals war ich mit hochrotem Kopf weggerannt, so peinlich war mir die Sache. Vielleicht war das einer der Gründe weshalb kein weiterer Junge danach versucht hatte mich wieder zu küssen. Ich konnte es ihnen nicht verübeln und ehrlich gesagt bedauerte ich es auch nicht wirklich. Von meinem 1. Kuss war ich mehr als enttäuscht. In Mums Romanen erleben die Romanhelden ihre Küsse mit lauter Feuerwerken und Schmetterlingen in ihren Bäuchen. Und natürlich sahen die Typen die sie küssten auch immer unverschämt gut aus und an Charakter mangelte es ihnen auch nicht.

Cassie, die ewige Jungfrau.

Ich kicherte, wenigstens werde ich nicht ungeküsst sterben. Ein Kuss von Sirius war besser als gar keiner.

Nachdem ich mich hinsetzte, im Schatten eines Busches, schlief ich sofort ein.

 

 

Melanie´s PoV

 Meine Kehle war trocken und meine Zunge fühlte sich an als wäre sie ein Stück altes Schmirgelpapier. Ich brauchte Wasser, richtiges, klares und sauberes Wasser. Den ganzen Tag lang hatten wir keine Wasserquelle gefunden und ich hatte das Gefühl das mein Körper bald kollabieren würde. Und das nach knapp 24 Stunden ohne Wasser. "Ich sterbe gleich", verkündete Nate.

"Super, ein Tribut weniger. Die Chance dass ich überlebe sind um knapp 4% gestiegen", antworte ich. Ich ernte böse Blicke von allen außer Hazel. Zu meiner Verwunderung fing diese nämlich leise an zu kichern. Ich grinste, wenigstens eine Person verstand meinen Humor.Meine Freude verklang jedoch im Laufe des Tages wieder. Nach 2 Stunden in denen wir 6 weiter ziellos herumirrten, haben wir noch immer kein Wasser gefunden.

"Ich brauche eine Pause", meinte Helena und keuchte. "Ich weiß ja nicht wie es euch geht aber ich habe keine Lust mehr".

"Und ich habe keine Lust mehr auf dich. Auf unsere beiden Probleme gibt es keine Lösung", sagte ich ihr.

Helenas helle Gesichtsfarbe nimmt einen leichten Rotton an. Wütend funkelt sie mich an, was mich jedoch nur weiter anstachelt."Obwohl wenn ich genau darüber nachdenken gibt es für mein Problem eine Lösung. Ich könnte dich einfach erdrosseln", sagte ich und versuchte so enthusiastisch wie möglich auszusehen.

"Mel lass sie doch einfach", meinte Carter der neben mir stand.

"Dann soll sie aufzuhören sich so aufzuführen wie ein kleines Kind", zischte ich."Sie ist ein kleines Kind Mel", antwortet Carter.

"Ich bin nicht klein!", erwiderte Helena aufgebracht. "Bald werde ich 13!"

"Und ich bald 17. Also bist du hier das kleine Kind", neckte ich sie weiter. Im Moment verhielt ich mich nicht sehr erwachsen, ich glaube der Wassermangel setzte mir mehr zu als gedacht, aber die Fakten stimmten für mich.

"Du bist eine gemeine Hexe!", kreischte Helena mich an. Tränen glitzerten in ihren Augen und es tat mir fast ein wenig leid was ich gesagt habe. Beleidigt stapfte Helena weg.

"Ach komm schon Helena! Melanie hat das bestimmt nicht so ernst gemeint!", rief Nate ihr nach.Doch das hat Melanie sehr wohl!

"Ist mir egal ob sie das ernst gemeint hat oder nicht! Aber ich will nicht mehr ihre Verbündete sein", kreischte Helena zurück.

"Bitte Lena!", versuchte es Nate weiter. Kosenamen bewirken anscheinend Wunder den Helena blieb stehen.

"Nur wenn sie sich entschuldigt", forderte Helena dann.Ich verdrehte die Augen.

"Es tut mir leid Helena", sagte ich dann doch, etwas widerwillig. Helena drehte sich um und ich konnte ihr rotgeflecktes Gesicht sehen. Ihre Augen waren ein wenig gerötet und dann tat es mir wirklich irgendwie leid.

"Du musst es schon ernst meinen", antworte Helena trotzig.

"Ich meine es ernst. Helena es tut mir wirklich leid", sagte ich dann und versuchte so aufrichtig wie möglich auszusehen.

"Okay aber dann machen wir auch eine Pause".

Ich widerstand dem Drang erneut mit den Augen zu rollen. Stattdessen sagte ich einfach: "Okay wir machen eine-"

Weiter kam ich nicht. Ein schlaksiger dunkelhaariger Junge stand plötzlich hinter Hazel. Mit seiner einen Hand hielt er ihren Arm fest. In seiner anderen war ein Messer dessen Klinge sich in ihren Hals bohrte. Ihre Augen waren vor Schreck geweitet und ich hörte sie leise wimmern. Aus den Bäumen trat ein weiterer Junge hervor. Er hinkte und hatte blondes strubbeliges Haar. An seinem Kinn hatte er eine kleine Narbe, die er wahrscheinlich schon vor den Spielen hatte. Dieses letzte Detail bemerkte ich noch bevor er seinen Bogen anspannte. Ohne nachzudenken warf ich mein Messer nach ihm. Doch es war zu spät, er hatte den Pfeil schon abgeschossen. Eine Sekunde später traf mein Messer sein Herz. Der Junge, der sollte ich mich recht entsinnen aus Distrikt 10 war, kippte rückwärts. Ich hörte ihn röcheln und sah entsetzt dabei zu wie Blut aus seinem Mund quoll. Seine Augen verdrehten sich merkwürdig bis nur das weiße sichtbar war. Seine langen Finger gruben sich krampfhaft in die Erde und sein Körper bäumte sich auf. Dann hörte alles auf, das Röcheln, das Zucken. Er lag einfach da als hätte er beschlossen ein Nickerchen zu machen. Ein Kanonenschuss ertönte. Ich habe einen Menschen umgebracht.

"Bitte, lass mich. Bitte, bitte", hörte ich Hazels Flehen. Aus ihren großen Augen quollen Tränen. Ich griff nach meinem Messer doch als ich es abwerfen wollte, geriet die Welt plötzlich ins Schwanken und das Messer glitt mir aus der Hand.

"Lass sie los und du kannst abhauen", hörte ich Carter sprechen. Der Junge schüttelte entschlossen den Kopf und im nächsten Moment lief etwas rotes flüssiges an Hazels Hals entlang. Im nächsten Moment schwang Carter seine Axt und spaltete den Schädel des Jungens entzwei. Ein weiterer Kanonenschuss war zu hören. Drace schrie entsetzt auf. Der Anblick des zerstückelten Schädels war surreal, es sah einfach nur falsch aus. Hazel sah aus als würde sie gleich umkippen. Ihre Hände umschlossen ihren Hals und sie keuchte schwer. Mir war schlecht. So schnell mich meine zwittrigen Beine trugen lief ich zu ihr. Hazel schien gar nicht zu registrieren wie ich sie vorsichtig hinlegte. "Sie stirbt!", schrie Drace.

"Wir müssen irgendetwas machen!"Ich sah in Draces tränenverschmiertes Gesicht und wollte irgendetwas sagen. Irgendetwas damit er sich besser fühlt, damit wir und alle besser fühlen. Doch kein Laut kam über meine Lippen. Ich versuchte den Klos, der sich in meinem Hals gebildet hatte, runter zu schlucken doch es wurde nicht besser.

"Sie stirbt!".

Wenig später waren wir alle um Hazel verteilt und hielten abwechselnd ihre Hand. Helena sang ihr vor und ich muss zugeben dass sie eigentlich ganz schön singen könnte. Ich strich mit meinen schweißnassen Händen Hazel ihr mausbraunes Haar aus dem Gesicht. Sie war so blass. Ihr Atem ging immer hektischer und sie war unfähig zu sprechen. Und dann war es vorbei, das letzte Fünkchen Leben hatte ihre Augen verlassen. Ihre Augen nach denen sie höchstwahrscheinlich benannt wurde. Hazel. Sie war so jung, erst 14. Das flaue Gefühl, welches ich schon die ganze Zeit hatte, verstärkte sich von Minute zu Minute. Alles verschwamm vor meinen Augen. Im ersten Moment dachte ich das ich sterbe. Ich weiß nicht wie ich darauf gekommen bin, aber ich dachte ich sterbe. Irgendein Virus, dessen erstes Anzeichen Seeschwächen waren. Ich geriet völlig in Panik. Dann setzte sich Carter zu mir und wischte mir über die Wange. Ich hatte nur geweint. Und all diese Dinge, die Tatsache das Hazel tot war, ich einen Menschen ermordet hatte dessen Name ich nicht einmal kannte, ich weinte und Carter mir über dir Wange strich, waren zu viel für mich. Zu viel für jeden. Mit bebenden Schultern warf ich mich Carter in die Arme. Und er hielt mich.

 

"Verschwinden wir von hier", meinte Helena nach ein paar Minuten. Sie zitterte leicht und war ganz blass geworden.

"Helena? Alles in Ordnung mit dir?", fragte Nate plötzlich mit ziemlich besorgter Stimme.

"Den Umständen entsprechend scheiße", antwortete sie dann. "Ich meine Hazel ist tot!"

Ich zuckte bei ihren Worten leicht zusammen, sie sprach nur die Wahrheit aus, aber die Wahrheit war manchmal schwer zu ertragen.

"Und Carter hat diesem Typen den Schädel aufgespalten! Und da liegt noch ein Toter in einer Blutlache! Das ist alles ziemlich scheiße", redete sie weiter.

"Nein, das mein ich gar nicht. Helena, äh, hast du...äh dein Arm. Helena da steckt ein Pfeil in deinem Arm", stellte Nate mit stockender Stimme fest.

Helena senkte ihren Kopf und betrachtete ihren linken Arm. Ich folgte ihrem Blick. Tatsächlich, in ihrem Oberarm steckte ein Pfeil. In diesem ganzen Chaos haben wir das irgendwie übersehen. Helena wurde von einem Pfeil getroffen und wir haben es einfach nicht bemerkt! Ich könnte mich selber für meine Dummheit ohrfeigen. Der Junge den ich ermordet habe, hat einen Pfeil abgeschossen. Und statt mich darum zu kümmern was er getroffen hat, gucke ich einfach dabei zu wie er stirbt. Mel du bist so dumm!

"Oh", macht Helena und ihre Stimme ist ganz ruhig. "Du hast Recht".

"Okay, alles ist gut. Das kriegen wir schon irgendwie hin. Es ist nur dein Arm. Das wird wieder", sagt Nate ihr. Sein Gesicht ist ganz blass geworden und ich habe das Gefühl als müsste man eher ihn als Helena trösten.

"Ja du hast Recht. Das wird wieder", sagt Helena. Und dann kippt sie um.

Drace kotzt neben mich auf den Boden. Ich kreische kurz auf da ich Angst habe, dass Draces Erbrochenes meine Schuhe berührt. Nate redet ununterbrochen darüber das er Sanitäter ist und Helenas Wunde versorgen kann. Carter schreit das er uns alle köpft wenn wir uns nicht beruhigen. Und wir alle sind von 3 Leichen umgeben. Und die ganze Zeit denke ich: Oh bitte kotz nicht auf meine Schuhe!

Wir waren eine Katastrophe. 

Cassie´s PoV

 

Als ich aufwachte erklärte mir meine Körper den Bürgerkrieg. Man kann also sagen das es mir richtig beschissen geht. Aus vielerlei Gründen.

1. Der Busch in dem ich eingeschlafen bin, ist entweder giftig oder ich reagiere allergisch darauf. Meine rechte Wange juckt, ebenso wie meine Hände.

2. Ich war durstig. Ich meine WIRKLICH durstig. Oh meine Wasserquelle wie ich dich vermisse.

3. Mein Magen schmerzte als wäre er ein schwarzes Loch.

4. Meine Blase musste dringend mal entleert werden. Und das war aus vielerlei Gründen unpraktisch. Überall waren Kameras. Okay niemand wird das im Fernsehen zeigen. Aber trotzdem wurde ich beobachtet. Und wie konnte man Körper Flüssigkeit wieder ausscheiden? Wusste er nicht um meine Lage? Wir hatten hier ein ernstes Wasserproblem!

5. Mein T-Shirt war vollgeschwitzt wie sonst was. Ich brauchte dringend eine Dusche und Deo. Ja Deo wäre jetzt nicht schlecht. Oder was Richtiges zu Essen, ja okay Pflanzen ihr seid auch Essen aber ich hatte im Moment richtig Lust auf ein Steak. Dabei mochte ich Steaks nicht einmal. Aber dann sah ich dieses Steak vor mir das mir sagte: Cassie du wirst mich nie wieder in deinem Leben essen können. Und dieser Gedanke machte mich traurig und wütend gleichzeitig. Und vor allem hungrig.

Als erstes hackte ich den Punkt 4 in meiner Liste ab. Und irgendwie war es richtig peinlich. Ich weiß jeder Mensch verdaut Essen und jeder Mensch scheidet dieses verdaute Essen aus. Aber es gibt einen Grund weshalb man Toiletten in separaten Räumen findet die man alle ABSCHLIEßEN kann. Danach sammelte ich ein paar Pflanzen die gleichzeitig meinen Hunger wie auch meinen Durst stillten. Den Durst minimal, den Hunger, naja wie soll man sagen, ich wollte immer noch ein Steak. Gegen meine juckenden Hautstellen konnte ich im Moment nichts tun. Meine Hände waren leicht gerötet und juckten wie die Hölle. Ich betastete meine Wange, sie war glatt aber sie fühlte sich wärmer an als normal. Auf meiner Suche nach mehr zu Essen rutschte ich im nassen Gras aus. Ein falscher Schritt und BAM liegst du da. Dein Hintern schmerzt, ebenso wie dein Kopf und du willst am liebsten schreien weil du so unfähig bist. Wie kann man im nassen Gras ausrutschen? Dann kam mir plötzlich eine Idee und ich schwor mir diese nur in die Tat umzusetzen wenn ich verzweifelt bin.

Tau=kleine Wassertröpfen

Ich fragte mich wie mir das nicht früher aufgefallen ist. Vielleicht weil ich niemals auf die Idee kommen würde pflanzen abzulecken für paar Tropfen Wasser. Also rappelte ich mich wieder hoch und stellte fest dass ich verzweifelt bin. Auf das was jetzt folgt bin ich nicht stolz. Aber da sowieso alles aufgenommen wurde kann ich es auch erzählen. Schließlich habe ich auch in der Öffentlichkeit uriniert also was scheren wir uns noch um meinen Stolz.

Man kann sich also denken was passiert ist, ich habe Blätter abgerissen und abgeleckt. Viele. Lange. Habe ich immer noch Durst? Ja. Fühle ich mich schlecht? Ehrlich gesagt nicht viel schlechter als vor meiner Tat.

Ich kämpfte mich weiter vor durchs Dickicht auf der Suche nach - nach was eigentlich? Meine Liste war so gut es ging abgearbeitet. Aber irgendwie kam es mir sinnlos vor in meinem Busch zu sitzen und zu warten bis irgendein Tribut mich findet und mein Leben beendet. Es war sinnlos, eine Verschwendung. Diese ganzen Spiele waren eine Verschwendung. Eine Verschwendung von Menschenleben, Ressourcen und Zeit. Ich ging weiter. Plötzlich hörte ich ein Rauschen. Wie das eines Wasserfalles. Mein Herz machte einen freudigen Satz. Je weiter ich ging desto lauter wurde das Rauschen. Ich unterdrückte das Bedürfnis zu rennen. Vorsichtig Cassie. Wasser bedeutet Leben. Vielleicht bist du hier nicht allein. Was wenn jemand anderes die Wasserquelle vor dir gefunden hat? Ich ging langsam weiter, schaute mich die ganze Zeit um, horchte auf weitere Geräusche. Doch da war nur das Rauschen des Wassers. Ich bannte mir also immer weiter einen Weg durch die Bäume bis sie plötzlich verschwanden. Ich versteckte mich hinter einem breiten Baum und bestaunte mit großen Augen den Anblick der sich mir bot.

 

Melanie´s PoV

 

"Okay, ich muss das jetzt rausziehen", sagte Nate vorsichtig zu seiner Distriktpartnerin.

Helena wimmerte. Nachdem wir uns alle einigermaßen beruhigt haben, sprich nachdem niemand mehr in Ohnmacht lag oder gekotzt hat, sind wir weiter gegangen. Niemand von uns wollte noch länger an diesem Ort bleiben. Nun saßen wir alle zwischen den Bäumen auf den Boden. Ich sah den Hovercrafts nach welche die Leichen mitgenommen haben. Doch dann riss ich mich von dem Anblick los. Es hatte keinen Sinn Hazel oder sonst irgendjemanden nachzutrauern. Sie waren tot. Auch alle Tränen dieser Welt können sie nicht zurückholen.

Nate hatte ein Stück seines T-Shirts abgerissen und band dieses zu einem Druckverband an Helenas linker Schulter. Nach einigen Minuten war Helenas ganzer Arm blass. Während Helena kurz davor war wieder in Ohnmacht zu fallen, riss Nate noch mehr Streifen seines T-Shirts ab. Dann holte er tief Luft und umschloss mit beiden Händen den Pfeil der in Helenas Arm steckte.

"Okay ich zieh das Ding jetzt raus", sagte er als wäre er nicht sonderlich davon überzeugt das er es wirklich tun würde. Seine dunklen Haare klebten an seiner Stirn und er wiederholte seine Worte: "Ich zieh das Ding jetzt raus".

"Okay", wimmerte Helena und schloss ihre Augen. "Sagt mir Bescheid wenn es vorbei ist".

Helena und Nate schienen kurz vor einem Nervenzusammenbruch zu sein. Ich kam mir irgendwie nutzlos vor wie ich den beiden nur dabei zusah.

"Hier du kannst meine Hand halten wenn du möchtest", schlug ich Helena vor und hielt sie ihr hin. Zu meiner Überraschung ergriff Helena sie sofort. Sie war schweißnass und meine Hand wurde fast zerquetscht von ihrem Griff.

"Okay, okay, okay", wiederholte Nate immer wieder und versuchte sich dazu zu überwinden den Pfeil aus Helenas Arm zu ziehen.

Nach weiteren Minuten in denen wir gespannt darauf warteten dass irgendetwas passierte fragte Helena hysterisch: "Ist es vorbei? Ist es vorbei?"

"Nein. Vielleicht wäre es das wenn du nicht so rumzappeln würdest und Nate hier sich endlich zusammen reisen würde", meinte Drace vorwurfsvoll.

Nate warf Drace einen wütenden Blick zu, dann zog er am Pfeil und mit einem Ruck war er draußen.

Helena riss panisch die Augen auf. Blut strömte aus der Wunde, aber es war nicht annähernd so viel als wenn Nate den Druckverband nicht angebracht hätte.

"Sterbe ich jetzt?", fragte Helena panisch und sah uns alle 4 nach einander an.

"Vielleicht", antwortete Carter.

Ich sah ihn empört an, er sollte Helena lieber aufmuntern. Dann schüttelte ich den Kopf. Seit wann scherte ich mich darum ob es irgendjemand anderem gut ging? Okay ich will damit nicht sagen dass mich andere Menschen nicht interessieren. Aber das hier war etwas anderes. Ich war in den Hungerspielen! Es war mein Ziel das es anderen schlecht ging. Und mit schlecht meine ich sehr schlecht. Und mit sehr schlecht meine ich tot.

Doch irgendetwas ist in meinem Kopf schief gegangen. Ich hielt Helenas Hand weiter als Nate ihr einen Verband aus seinen T-Shirt Fetzten anlegte. Und als Carter mich mit einem spöttischen Blick aus seinen Teddy-Augen bestrafte, sah ich ihn nur aus zusammen gekniffenen Augen an.

Sollte er denken was er wollte, mir war es egal.

Cassie´s PoV

 

Rund um die Arena war ein breiter Fluss. Dieser verlief an einem Abhang an dem das Wasser hinunter rauschte. . Es sah unglaublich aus und irgendwie schön. Und vor allem war da Wasser. Zwischen mir und dem Fluss war jedoch eine 200 Meter breite Lichtung. Wenn ich die Lichtung betreten würde, wäre ich ungeschützt und unbewaffnet. Keine Bäume um mir Deckung zu bieten. Aber ich hatte solchen Durst und das Wasser sah so schön aus. So klar und rein. Vielleicht war ich die einzige in dieser Gegend. Aber vielleicht versteckte sich auch irgendjemand im Schutz der Bäume und wartete nur darauf das jemand die Lichtung betrat den er dann kaltblütig ermorden könnte. Doch in meinen Gedanken war es schon beschlossene Sache. Ich würde so schnell ich kann zum Fluss rennen, etwas trinken und dann wieder abhauen. Mein Herz hüpfte aufgeregt in meiner Brust. Wasser. Wasser. Wasser.

Ich würde es tun und ich würde überleben. Los Cassie das schaffst du! Ich verließ mein Versteck und trat auf die Lichtung. Nichts. Ohne abzuwarten rannte ich auf den Fluss zu. Ich glaube mir sind 200 Meter noch nie so lange vorgekommen. Schneller, los Cassie, schneller. Plötzlich sauste ein Speer an mir vorbei. Vor Schreck stolperte ich und landete unsanft auf dem Boden. Ich versuchte wieder aufzustehen, doch meine Arme  knickten unter meinem Gewicht ein. Ich landete direkt auf meinem Gesicht und meine Nase fing heftig an zu pochen. Beim zweiten Versuch hatte ich es geschafft. Als ich an mir runter blickte, bemerkte ich dass ich vollkommen verdreckt war. Egal, renn weiter Cassie. Als ich weiter rannte war ich nur halb so schnell wie davor. Bei jedem Schritt schoss ein unglaublicher Schmerz in mein Bein. Ich bin wohl übler gestürzt als vermutet. Ein weiterer Speer saust an mir vorbei. Diesmal verfehlte er nur um wenige Zentimeter meinen Kopf. Panisch beschleunige ich mein Tempo und versuche den Schmerz zu ignorieren. Noch 50 Meter, los Cassie das schaffst du. Als ich am Fluss angekommen bin, tauche ich meine Hände ins Wasser und führe das Wasser an meinen Mund. Gierig schlucke ich und habe schon nach wenigen Sekunden ausgetrunken. Mehr.

Aber ich habe keine Zeit. Ich drehe mich um damit ich wieder wegzurennen konnte. Doch dann sehe ich wie das Mädchen aus 10 auf mich zugerast kam. Sie hatte 4 Speere in ihrer Hand und einer war direkt auf mich gerichtet. Sie zielte und warf ab. Ich lasse mich rückwärts fallen und lande direkt im Fluss. Meine Lunge saugt sich mit Wasser voll. Panisch reise ich meine Augen auf, doch das Wasser ist pechschwarz und ich kann nichts erkennen. Von oben sah es unglaublich klar aus und ich frage mich augenblicklich was das für ein Wasser ist. Was ich da getrunken habe. Doch ich habe nicht mehr viel Zeit um mir darüber Sorgen zu machen ob ich eventuell Giftstoffe eingenommen habe. Mit ein paar kräftigen Stoßen schwamm ich wieder an der Oberfläche. Keuchend schnappte ich nach Luft. Das Mädchen aus 10 stand am Ufer des Flusses und schenkte mir ein Grinsen: "Na wen haben wir denn da? Die arme Cassiopeia aus Distrikt 12".

Ich überlegte fieberhaft wie ich mich aus dieser Situation retten könnte. Aber vielleicht konnte ich das ja nicht. Vielleicht war das jetzt mein Ende. Der Gedanke schmerzte mehr als er eigentlich dürfte. Ich dachte ich hätte mich inzwischen damit abgefunden das mein nahestehender Tod unausweichlich war.

"Was willst du?", fragte ich das Mädchen und meine Stimme klang sicherer als ich mich fühlte. Ihr rotes Haar glänzte im Sonnenlicht und da fiel mir auch wieder ihr Name ein. Cia.

"Nach was sieht's denn aus?", fragte sie mit überlegener Stimme.

"Ich weiß es nicht, sag du es mir", forderte ich sie auf und lächelte sie an. Ich wusste dass ich nur Zeit schindete. Mir war kalt und ich schwamm die ganze Zeit gegen den Strom an. Anfangs hatte ich den Sog kaum gespürt, doch mittlerweile war er so stark dass ich drohte zum Wasserfall gezogen zu werden. Mein Herz raste vor Angst. Doch nach Außen tat ich immer noch als wäre alles in Ordnung.

"Ich habe keine Lust auf Spielchen", meinte Cia. Erneut zielte sie ihr Speer auf mich und war bereit abzuwerfen.

"Noch ein paar letzte Worte?", fragte sie und ein siegessicheres Lächeln umspielte ihre Lippen. Das war's jetzt. Cassie du bist geliefert. Ganz toll gemacht. Wieso bist du überhaupt hierher gegangen? Hat es dir etwa nicht gereicht Tau von den Blättern zu lecken? Du hättest einfach im Wald bleiben sollen.

"Leck mich".

Einen Moment wirkte sie überrascht und das war meine Chance. Ich griff mit meinen Händen nach ihren Fußgelenken und zog. Cia landete mit ihrem Oberkörper auf dem Gras, doch ihre Füße baumelten über dem Wasser. Sie umklammerte immer noch ihr Speer, doch dir anderen 3 waren 2 Meter von ihr entfernt gelandet. Ich zog weiter an Cias Füßen und mit einem lauten Platschen war sie im Wasser gelandet.

Los Cassie! Ich schwamm ans Ufer und versuchte meinen nassen Körper rüber zu hieven. Mit meinen Händen griff ich schon nach den Speeren, doch ich rutschte immer wieder ab. Die Strömung wurde immer stärker und es wurde zunehmend schwieriger dagegen anzukämpfen. Ich griff erneut ans Ufer und krallte meine Finger in das Gras. Normalerweise wäre die körperliche Anstrengung ermüdend, doch durch das Adrenalin fühlte ich mich hellwach. Ich zog meinen Oberkörper aus dem Wasser als plötzlich eine Hand meinen Unterschenkel packte. Cia zog mich wieder zurück und ich prallte gegen ihren Körper. Wir beide versuchten den jeweils anderen unter Wasser zu tunken, sodass wir beide uns wenig später unter der Wasseroberfläche befanden. Ich hatte die Augen weit aufgerissen doch um mich herum war nichts als Dunkelheit. Für einen Moment überkam mich eine lähmende Angst. Cia trat um sich und ab und zu bekam ich Stöße ab. Ich versuchte nur sie von mir wegzudrängen was mir jedoch nicht ganz gelang. Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz neben meiner Schulter. Ich schrie auf. Ein Fehler. Meine Lunge füllte sich mit Wasser. Luft. Ich brauche Luft. Wie eine Irre versuchte ich an die Oberfläche zu schwimmen, doch Cias Hände hielten mich unten. Verzweifelt schlug ich um mich, ohne genau zu wissen was ich tat. Irgendeiner meiner Schläge traf Cia, denn sie löste sich von mir. Erleichtert schwamm ich nach oben und als mein Kopf die Wasseroberfläche durchbrach, schnappte ich gierig nach Luft. Einige Meter von mir entfernt sah ich Cia an die Oberfläche schwimmen. Plötzlich riss mich die Strömung zum Abgrund. Panisch schrie ich auf. Um mich herum im Wasser sah ich Blut. Mir wurde schlecht. Meine Arme wurden müde doch ich zwang sie an das Ufer zu schwimmen. Fast war ich da, noch einige Meter. Dann hörte ich Cias Schreie.

"Hilfe! Hilfe!", kreischte sie. Ich drehte mich um und sah wie sie wie wild um sich schlug. Ihr Körper trieb immer näher an den Abgrund. Sie würde sterben. Ihre Schreie wurden von ihren Schluchzern unterbrochen. Sie griff ins Wasser auf der Suche nach Halt, doch da war nur Wasser. Ihre grasgrünen Augen sahen mich erschrocken an, dann wurde ihr Körper den Abhang hinunter gezogen. Pures Entsetzen packte mich. Doch ich musste hier weg, ich musste das hier überleben.

Also drehte ich mich wieder um und meine Hände versuchten abermals mich an Land zu ziehen. Die Strömung war inzwischen so stark dass ich Angst hatte, dass ich das gleiche Schicksal wie Cia erlitt. Ich nutze meine letzten Kraftreserven und schaffte es meinen Körper auf dir Lichtung zu hieven. Dort blieb ich liegen. Ich hatte keine Kraft mehr. Alles tat mir weh, ich zitterte und Tränen liefen mir über die Wange. Nur die Angst ein weitere Tribut, der die gleichen Absichten wie Cia hatte, könnte auftauchen, sorgten dafür das ich auf alle Viere ging. Wenn du nicht mehr laufen kannst musst du krabbeln. Ich kroch halb zu den 3 Speeren und dann auf den Wald zu. Meine Kleider waren nass und dreckig und aus meiner Wunde quoll immer noch Blut. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, doch irgendwann hatte ich es geschafft mich und meinen bemitleidenswerten Arsch wieder in den Schutz der Bäume zu bringen. Keine Minute später brach ich zusammen.

Melanie´s PoV

Es war dunkel und ich saß mit den anderen unter einem großen Baum. Wir hatten beschlossen hier die Nacht zu verbringen. Nate hielt Wache und wir anderen schliefen. In meinem Fall, versuchten zu schlafen. Ich starrte in den Nachthimmel und wartete darauf die Hymne zu hören. Doch stattdessen hörte ich nur Helenas flachen Atem, das Rauschen der Blätter im Wind und meinen eigenen Herzschlag. Bum. Bum. Bum.

Ich beruhigte mich, horchte nur auf das vertraute Schlagen meines Herzes. Dein Herzschlag ist etwas auf was man vertrauen kann, er war immer da, manchmal schneller, manchmal langsamer. Aber er war immer da, solange du lebst. Wenn du dein Herz schlagen hörst, weißt du dass du lebst. Und meins schlug. Bum. Bum. Bum.

 

Manchmal frage ich mich, ob ich nicht schon tot bin.

Ich weiß die Frage ist bescheuert. Wenn ich tot wäre, wäre ich nicht in der Lage das hier zu schreiben. Aber ich frage mich ob ich nicht schon tot bin. Mein Körper lebt, aber was ist mit dem Rest? Es ist immer das gleiche, als wäre ich eine Maschine. Jeder Tag, jeder Gedanke. Als ob mein Geist schon tot wäre und mein Körper weiterlebt. Ich weiß, bescheuert.

 

Es war komisch das ich gerade jetzt daran denke. Mein Tagebuch. An meinem 14. Geburtstag schenkte meine Mutter mir ein kleines in Leder gebundenes Notizbuch. Von da an fing ich an jeden Abend darin zu schreiben. Uns als das Buch voll war, schrieb ich in die Zwischenräume und die Ränder. Ich glaube ich bin der einzige Mensch auf Erden der überhaupt versteht was dort steht. Aber irgendwie war es auch gut so. Niemand sollte meine Gedanken kennen. Aber ich musste sie aufschreiben. Manche Gedanken waren so laut in meinem Kopf und gaben keine Ruhe ehe sie verewigt wurden. Ich glaub ich tat es weil ich Angst hatte zu sterben.

Mein Leben ist ein Schiff, den Strom hinab getrieben,

Dahinter keine Spur im Wasser ist geblieben.

(Friedrich Rückert)

Es war ein beängstigendes Gefühl zu wissen, dass sich in spätestens 100 Jahren niemand mehr an dich erinnern wird. Das es sein wird, als hätte es mich nie gegeben. Und auch jetzt, war es immer noch als würde es mich nicht geben. Ich war eine unter Tausenden. Doch ich wollte nicht so enden. Ich wollte nicht nur ein Windhauch sein. Ich wollte vom Universum gehört werden. Also schrieb ich meine Gedanken auf. Denn solange es irgendetwas von mir auf der Welt gab, solange sich irgendjemand an mich erinnert, werde ich nie wirklich tot sein.

Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser wäre, wenn ich tot wäre. Manchmal denke ich, ich bin falsch falsch falsch. Manchmal ist es ein schönes Gefühl zu wissen, dass mich niemand bemerkt. Weil das was ich bin, nicht bemerkt werden soll.

 

Vielleicht werde ich irgendwann all das hier nochmal lesen. Und ich werde denken, wie unglaublich dumm ich war. Und ich hasse mich jetzt schon dafür. Ich will weinen, denn in diesem Moment werde ich den letzten Menschen verlieren, der mich jemals verstanden hat. Mich. Ich bin alles was ich habe.

 

Ich schüttelte den Kopf, es hatte keinen Sinn darüber nachzudenken. Manche Dinge kann man nicht ändern. Menschen sterben, Menschen werden vergessen. Und spätestens wenn die Sonne unseren kleinen grünen Planeten verbrennt, wird sich niemand mehr an irgendetwas erinnern. Keiner wird mehr wissen wer Kleopatra oder Gandhi war. Geschweigenden Melanie Trinner aus Distrikt 7. Und keiner wird mehr wissen was ich getan habe. Ich habe einen Menschen umgebracht.

Plötzlich ertönte die Hymne Panems. Am Horizont erschienen die Bilder derjenigen, die diese Nacht gestorben waren. Als erstes erschien der Junge aus 8 den Carter getötet hatte. Dann sah ich Hazel. Sie lächelte leicht und ich konnte einfach nicht glauben dass sie tot war. Es fühlte sich an als wäre ein Stein in meiner Brust der langsam anschwoll. Das beklemmende Gefühl ließ nicht nach als man die anderen verstorbenen zeigte. Ein Mädchen aus 10 und danach sah ich sein Gesicht. Der Junge war aus Distrikt 10, genauso wie das Mädchen. Das Bild wie er zuckend am Boden lag erschien wieder vor meinen Augen.

Ich habe einen Menschen getötet. Ich habe einen Menschen getötet. Er hat gelebt und jetzt nicht mehr. Meine Hände zitterten und das Gefühl in meiner Brust nahm zu. Mein Herz klopfte hörbar gegen meine Brust und ich hatte das Gefühl es würde gleich zerspringen. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich versuchte mich zu beruhigen. Es war nicht deine Schuld Mel, nicht deine. Du warst zur falschen Zeit am falschen Ort. Dann verschwand sein Gesicht und das von dem Jungen aus 11 tauchte auf, aber das Zittern lies nicht nach.

Manchmal denke ich, ich bin falsch falsch falsch.

Ein leises Flüstern riss mich aus meinen Gedanken: „Melanie?“

Ich drehte mich um, Draces blaue Augen blickten direkt in meine. Wie es aussah konnte auch er nicht schlafen.

„Ja?“, fragte ich leise.

„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Drace vorsichtig.

„Klar. Warum sollte es anders sein?“

„Du siehst aus als würdest du gleich kotzen“, meinte er.

Ich schüttelte den Kopf: „Nein, alles in Ordnung. Ich glaub ich bin nur ein wenig durcheinander“.

Er runzelte die Stirn: „Das sind wir alle. Aber ich würde dir raten, falls du ein Problem hast, es einfach zu ignorieren. Manche Probleme kann man nicht lösen“.

Ich nickte, obwohl ich überhaupt nicht verstand.

Was denken meine Eltern wohl jetzt? Wie ist es eine Mörderin als Tochter zu haben? Ich wünschte ich könnte mit ihnen reden. Ich wünschte ich könnte mit den Eltern des Jungens reden den ich ermordet hatte. Ihnen sagen dass es mir Leid tut, dass ich das alles nicht wollte.

Meine Augenlieder wurden schwer und fielen langsam zu. Sofort sah ich ihn wieder vor mir, röchelnd und blutend vor mir. Träume waren keine Erlösung. Träume waren egoistisch. Sie zwingen dir Bilder auf die du nicht sehen willst. In den wachen Momenten hat man Kontrolle über seine Gedanken, man konnte versuchen sie zu ignorieren. Doch wenn wir schlafen, sind wir machtlos.

 

Sonnenstrahlen kitzelten auf meiner Wange. Jemand berührte mich am Arm und als ich die Augen öffnete sah ich Carters braune Teddy-Augen.

„Komm wir müssen weiter“, sagte er.

„Okay“, krächzte ich. Mein Hals war unglaublich trocken und ich schnappte entsetzt nach Luft.

Langsam rappelte ich mich auf und sammelte mein Zeug zusammen. Mit meinem Rucksack auf dem Rücken marschierte ich los. Die anderen folgten mir. Wir mussten Wasser finden. Mein Kopf brummte bei jedem Schritt und den anderen ging es nicht anders. Niemand sagte ein Wort außer Helena die immer mal wieder eine Pause brauchte. Ihre Wunde sah heute Morgen noch schlimmer aus als gestern. Auf ihrer Stirn glitzerten Schweißperlen und ich hatte Angst dass sie die letzten paar Tropfen Flüssigkeit die ihr Körper noch hatte, ausschwitzen würde. Ich lief ein wenig langsamer und wartete das Nate mich einholte. Als er neben mir stand fragte ich:

„Glaubst du Helenas Wunde wird sich entzünden?“

Er antwortete nicht sofort, aber an seinem besorgten Blick erkannte ich dass es nicht gut um sie stand.

„Ich glaube ihre Wunde ist nicht ihr einziges Problem“, meinte Nate dann. „Sollte sich ihre Wunde wirklich entzünden, stirbt sie sowieso früher an Wassermangel als an der Infektion. So wie wir alle. Wir müssen heute unbedingt Wasser finden, sonst beißen wir spätestens heute Abend ins Gras“.

Nate hatte Recht. Die Suche nach Wasser hatte oberste Priorität.

 

Nach einigen Stunden sahen wir es dann. Eine kleine Quelle sprudelndes sauberes Wasser. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, ich hätte nie gedacht das Wasser mich einmal so glücklich machen würde. Früher war es immer etwas selbstverständliches genug zu trinken zu haben. Aber ich glaube man merkt erst wie wichtig eine Sache ist, wenn man sie nicht mehr hat.

Nachdem ich etwas Wasser getrunken habe, fühlte ich mich gleich tausendmal besser. Ich füllte meine Wasserflasche und setzte mich danach zu den anderen die sich zufrieden um die Quelle verteilt hatten. Fröhlich lächelte ich in die Runde als wäre jetzt wo wir Wasser haben alles gut. Eine Weile war das auch so, doch irgendwann mal konnten wir Helenas gequältes Lächeln nicht mehr ignorieren. Ihr ging es noch schlechter als am Morgen. Nachdem wir sie in den Schatten gelegt hatten, legte ich ihr meine Hand auf die Stirn. Sie hatte Fieber.

„Sterbe ich jetzt?“, fragte Helena panisch.

„Nein tust du nicht“, antwortete ich ihr, eher um mich zu beruhigen als sie. Ich beträufelte ihre Stirn mit kaltem Wasser um das Fieber wenigstens für eine Weile zu senken. Während die anderen sich auf die Suche nach Wasser machten, nahm ich Helenas Verbände ab und wusch sie im sauberen Wasser. Steril waren sie immer noch nicht, aber ich hoffte ein paar Keime getötet zu haben. Nachdem ich die Stoffstreifen ausgewrungen habe, legte ich sie Helena wieder um.

Ihr Gesicht war schmerzverzehrt und sie sagte: „Ah das Wasser brennt“.

„Ich weiß“, antwortete ich, obwohl ich überhaupt nicht wusste.

„Aber es hört bald auf“, fügte ich hinzu. Woher sollte ich das wissen?

Doch Helena schien mir zu glauben.

„Singst du mir vor?“, fragte sie.

Ich schüttelte den Kopf und sagte wahrheitsgemäß: „Ich kann nicht singen“.

„Dann erzähl mir eine Geschichte“.

Wieder schüttelte ich den Kopf: „Ich kenn auch keine Geschichten“.

Helenas babyblaue Augen sahen beleidigt zu mir hoch: „Jeder kennt Geschichten“.

„Ich eben nicht“, erwiderte ich patzig.

„Okay, dann erzähl mir irgendetwas“.

Ich rollte mit den Augen, aber schließlich erzählte ich ihr doch etwas. Über mein Leben in 7, nichts persönliches natürlich. Aber ich pickte die schönsten Momente meines Lebens aus, schmückte sie ein wenig aus, lies ein paar Details weg, und schon hat man eine Geschichte.

Ich erzählte ihr von meinem Eltern. Das mein Vater immer Witze machte und meine Mutter die schönsten Holzfiguren in ganz Distrikt 7 schnitzen konnte. Ich erzählte ihr auch wie ich eine Holzfigur meiner Mutter einmal versteckt hatte. Es war eine kleine Eule und ich fand sie so schön und wollte nicht dass meine Mutter sie wie die anderen auf dem Markt verkaufte. Meine Eltern haben mich darauf angesprochen, doch ich beharrte darauf dass ich keine Ahnung hatte. Letztendlich hatten meine Eltern es doch herausgefunden, dass mein Vater mir eine Ohrfeige verpasste lies ich weg. Damals war ich 7 Jahre alt.

„Wo hast du die Holzfigur versteckt?“, fragte Helena.

„Im Garten hinterm Haus. Ich habe sie in der Erde vergraben“, gab ich zu, ich weiß ein lausiges Versteck.

„Und wie haben deine Eltern es dann herausgefunden?“, hackte sie weiter.

„Ich hab sie an meinem 7. Geburtstag ausgegraben. Weißt du, meine Familie hatte nicht immer genug Geld für ein Geburtstagsgeschenk und naja dann wollte ich mich selber beschenken. Meine Eltern haben mich aber gesehen und dann habe ich alles gestanden“, sagte ich.

Ich hoffte irgendwo passierte gerade etwas spannenderes, ich wollte nicht dass jeder im Land hören konnte was ich sagte.

„Hast du Ärger bekommen?“, fragte Helena dann mit geweiteten Augen.

„Nein“, log ich. „Nein hab ich nicht“.

Wir schwiegen. Ich hatte keine Lust mehr zu reden. Doch nach wenigen Minuten kamen Carter, Nate und Drace wieder. Carter hatte einen Hasen erledigt, doch wir machten kein Feuer da wir unsere Wasserquelle nicht verlassen wollten. Stattdessen aßen wir Nüsse und Beeren. Nach dem Essen nahm Nate meine Aufgabe ab und kümmerte sich um Helena. Ich setzte mich ein paar Meter von den anderen unter einen Baum. Eigentlich wollte ich alleine sein, deshalb hatte ich mich auf weggesetzt, mit den Rücken zu meinen Verbündeten. Carter verstand das wohl nicht, denn nach 10 Minuten setzte er sich zu mir. Ich sah ich nur kurz an, wollte aber nicht mit ihm reden. Stattdessen flechte ich meine Haare neu.

„Du musst dir keine Sorgen um Helena machen, morgen geht es ihr bestimmt wieder gut“, meinte Carter.

„Ich mache mir keine Sorgen um Helena“, antwortete ich giftiger als ich beabsichtigt hatte.

Carter zuckte mit den Schultern: „Wenn du meinst“.

Ich bedachte ihn mit einem meiner Todesblicke, doch daraufhin grinste er nur dämlich. Ich hatte das dringende Bedürfnis ihm in die Eier zu hauen.

„Ich mach mir keine Sorgen um Helena!“, sagte ich wieder, diesmal bisschen lauter. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und aus irgendeinem Grund traten mir Tränen in die Augen, die ich jedoch schnell wegblinzelte. Ich mach mir keine Sorgen um sie, ich konnte sie noch nicht einmal wirklich leiden. Es war nur so, diese Spiele haben schon genug Opfer gefordert.

 

 

Melanie

Die Sonne würde bald untergehen und die Welt war in dämmriges Licht gehüllt.

Helenas Stirn war noch heißer als am Nachmittag und egal mit wie viel kaltem Wasser wir sie überschütten würden, das Fieber würde sich nicht senken. Nate überprüfte jede 5 Minuten ihre Wunde. Inzwischen hatte diese sich entzünden und das Eiter sickerte ständig durch den Verband.

"Ich will nicht sterben", jammerte Helena.

"Du wirst nicht sterben", beteuerte ich. Was für ein Quatsch, jeder sah das sie sterben würde. Aber was bringt es einem Sterbenden zu sagen das es stirbt?

"Das kannst du nicht mit Sicherheit sagen", erwiderte Helena trotzig.

"Kannst du mit Sicherheit sagen dass ich die nächsten Tage überlebe?", fragte ich sie.

Helena zog eine Schmolllippe. Ich lächelte triumphierend. Ich werde vielleicht sterben, aber wenigstens hatte ich Recht. Das Leben ist so schön.

Drace war neben mir war halb eingeschlafen. Ich stoß ihm meinen Ellenbogen in die Rippen.

"Hey!"

"Kannst du neues Wasser holen?", fragte ich ihn und hielt im die Wasserflasche hin. Drace sah nicht wirklich glücklich aus, aber er tat um was ich gebeten hatte. Als er wieder da wa, tunkte ich T-Shirt Streifen in das kalte Wasser und legte sie Helena auf die Stirn.

"Das ist so unfair", meinte Helena. "Ich bin bin 12 und ich sterbe".

"Ich dachte du wärst bald 13", warf Carter ein.

Helena verdrehte die Augen: "Ihr versteht das Prinzip".

Wir verstanden das Prinzip, aber was brachte uns das? Hilft uns das irgendwie weiter? Nein. Helena stirbt und wir können nichts weiter tun als ihre Hand zu halten. Wir waren nutzlos. Im Kapitol gibt es bestimmt Medizin die ihr helfen könnte, doch die würden sie uns niemals geben. Sie wollten ja das wir sterben.

"Du stirbst nicht", wiederholte ich einfach.

Es war furchtbar. Es war furchtbar, grausam und pervers. Je länger wir dasaßen, desto schlechter ging es Helena.

"Wärst du ein bisschen netter, würdest du vielleicht Sponsoren haben die dir Medizin kaufen könnten", erinnerte ich sie.

"Okay, ich bin scheiße ergo ich sterbe", schlussfolgerte Helena.

"Wenn du weiter so pessimistisch bist, stirbst du wirklich!", fuhr ich sie an.

Helena antwortete nicht. Ich tauchte den "Lappen" erneut ins Wasser und legte ihn auf ihre Stirn.

Wenig später antworte sie doch: "Wieso bist du sauer auf mich? Ich kann doch überhaupt nichts dafür!"

Sie wirkte wütend und in ihren Augen glitzerten Tränen. Im ersten Moment dachte ich, sie meint das sie nichts dafür kann so pessimistisch zu sein. Doch dann verstand ich was sie wirklich meinte. Sie konnte nichts dafür dads sie von einem Pfeil getroffen wurde. Sie konnte nichts dafür, dass sie gezogen wurde. Sie konnte nichts für die Aufstände oder das unsere Regierung zu derart perversen Maßnahmen gereifte um das Ganze zu beenden.

"Ich weiß", sagte ich ihr.

Die Nacht brach herein. Drace hatte sich schon vor einer halben Stunde unter einen Baum gelehnt und war eingeschlafen. Ich konnte jedoch nicht an Schlaf denken. Wer sollte Helenas Stirn kühlen? Helena selbst war natürlich halb eingeschlafen. Sie hatte ihre Augen geschlossen doch sie antworte noch auf Fragen. Nate gesellte sich nach einer Stunde zu Drace. Nur noch ich und Carter waren da. Irgendwann hörte Helena auch auf zu antworten. Im ersten Moment dachte ich, sie wäre tot. Mein Herz hatte aufgehört zu schlagen, doch dann sah ich wie ihre Brust sich hob und senkte. Bum. Bum. Bum.

"Mel, ich muss schlafen und du auch", meinte Carter plötzlich schläfrig.

Was? Jetzt? War er von allen guten Geistern verlassen worden? Wer sollte dann Helenas Stirn kühlen?

Ich machte Carter meinen Standpunkt deutlich klar. Vielleicht war ich etwas zu laut. Vielleicht hätte ich das "du herzloser Idiot wie kannst du Helena jetzt im Stich lassen" nicht sagen sollen. Aber ansonsten hatte ich Recht. Carter sah die ganze Sache nicht ganz so wie ich, denn er ging einfach weg und schlief.

"Melanie?", hörte ich Helena plötzlich murmeln.

"Ja?", fragte ich.

"Warum weinst du?"

"Ich weine gar nicht".

"Dein Gesicht ist nass", stellte Helena fest.

"Nein, ist es nicht. Und jetzt schlaf".

Helena zuckte mit den Schultern und schlief wieder ein. Während mir weiter Tränen über die Wange liefen, kühlte ich ununterbrochen Helenas Stirn und sah nach ihrem Verband.

"Du darfst nicht sterben", flüsterte ich und betrachtete ihr Gesicht in der Dunkelheit. Sie war hübsch, nervig aber hübsch. Und irgendwann holte der Schlaf auch mich ein. Umhüllte mich sanft wie eine Wolke. Und ich erinnere mich noch wie ich murmelte: "Du darfst nicht sterben".

 

Cassie

 

Kennt ihr dieses komische Gefühl beobachtet zu werden? Und dann dreht ihr euch um und da ist niemand? Die Tatsache dass ich bei den Hungerspielen war und immer damit rechnen muss angegriffen zu werden, verstärkten dieses Gefühl nur. Ich umklammerte meine Speere so fest, das meine Knöchel schon weiß hervortraten. Da ist niemand Cassie. Ich durchstreifte weiter den Wald auf der Suche nach einem Unterschlupf. Jedoch hielt ich mich nahe des Flusses, wer wusste wann ich wieder auf Wasser treffen würde? Außerdem hatte ich keine Angst mehr davor auf andere Tribute zu treffen. Ich war bewaffnet, ich war bereit. Es war merkwürdig wie sehr mich die Tatsache, eine Waffe in der Hand zu halten, beeinflusste. Zum Teil machte sie mir Angst. Aber sie verlieh einem auch ein Gefühl der Sicherheit und der Stärke. Je länger ich lief, desto stärker wurde das Gefühl beobachtet zu werden. Ich drehte mich und hielt mein Speer wurfbereit. Nichts, nur der Wald. Meine Augen verstanden es, aber mein Herz klopfte immer noch wie wild. Ich versuchte nicht auf das Prickeln in meinem Nacken zu achten. Cassie da ist niemand. Wenn dich jemand verfolgen würde, hätte er dich längst angegriffen. Werde ich jetzt verrückt? Ist es das was Angst mit Menschen macht? Aber ich habe keine Angst! Ich habe keine und werde auch nie wieder welche haben. Nicht wegen ihnen, nicht wegen diesen Spielen. Ich schloss meine Augen. Alles ist gut. Langsam entspannte ich mich, da waren nur die Geräusche des Waldes. Plötzlich hörte ich das Knacken eines Astes. Blitzschnell drehte ich mich um, mein Speer in der Hand, bereit abzuwerfen. Doch als ich sah, wer das Geräusch verursacht hat, lies ich meine Waffe sinken.

"Eme?", fragte ich ungläubig. Das kleine Mädchen aus 8 versteckte sich hinter einem Baum, doch ihre roten Locken wurden nicht ganz vom Baumstamm verdeckt.

"Eme?", fragte ich erneut.

Sie bewegte sich nicht. Langsam lief ich auf sie zu. Ihren Rücken dicht an den Stamm gepresst, blinzelte sie mich aus großen Augen an.

"Hey", sagte ich mit sanfter Stimme. "Ich bin Cassie, erinnerst du dich?"

Sie nickte leicht, bewegte sich jedoch nicht von der Stelle.

"Ich tu dir nichts", versicherte ich ihr. Wieder nickte das Mädchen nur. Ihr Gesicht war dreckverschmiert und sie hatte bei sich nicht mehr als einen Rucksack. Trotzdem war ich überrascht, entweder hatte sie den Rucksack einem anderen Tribut abgenommen oder sie hatte das Blutbad am Füllhorn überlebt. Beides wäre keine schlechte Leistung für ein kleines Mädchen. Ich selbst bin viel älter als sie und habe es nicht einmal versucht. Könnte ich zu dem Moment zurück kehren, als wir alle noch auf den Podesten standen und auf das Startsignal warteten, würde ich es anders machen. Ich wäre auf das Füllhorn zu gerannt, hätte mir geholt was ich brauche und ich hätte überlebt.

Eme bewegte sich nicht von der Stelle und nach einer Weile gab ich es auf sie zu überreden. Doch ich würde nicht aufgeben, es wäre schön eine Verbündete zu haben. Langsam bekam ich Hunger und ich grub ein paar Wurzeln aus. Dann ging ich zu Eme und legte ihr ein paar vor die Füße. Mittlerweile hatte sie sich hingesetzt. Skeptisch betrachtete das kleine Mädchen was ich ihr gebracht hatte.

"Du kannst es essen", sagte ich ihr.

Eme starrte immer noch auf die Wurzeln ohne sie anzuführen.

Um ihr zu zeigen dass sie essbar waren nahm ich eine Wurzel und aß sie vor ihren Augen.

Sie schmeckte holzig aber ich hatte schon schlimmeres gegessen.

"Siehst du", sagte ich dann und lächelte schwach. Eme zögerte, nahm dann jedoch eine Wurzel in die Hand. Sie beäugte die Pflanze kritisch, schnupperte daran und schließlich nahm sie doch einen Bissen. Dann aß sie auch die anderen. Stumm schaute ich ihr dabei zu. Als Eme die letzte Wurzel gegessen hatte, sah sie mich an und sagte mit kratziger Stimme: "Danke". Ich strahlte. Eme machte einen kleinen Schritt auf mich zu, weg von ihrem "Versteck".

"Ich erinnere mich an dich", sagte Eme mit leiser Stimme. "Du bist das Mädchen aus 12".

Ich nickte, doch mein Lächeln fühlte sich gequälter an. Das Mädchen aus 12. Wie ein Etikett. Plötzlich fühlte ich mich schlecht, ich selbst etikettierte sie auch alle. Jedes Jahr aufs Neue. Und jedes Jahr war das Mädchen aus 12 oder 11 oder was auch immer eine andere. Austauschbar. Ich fröstelte, trotzdem zwang ich mich zu einer Antwort.

"Ja, das bin ich", sagte ich. "Und du bist Eme". Das Mädchen aus 8.

Eme zeigte mir was sie in ihrem Rucksack alles befand. Eine Feldwasserflasche, ein Seil, ein Messer und ein wenig Draht.

"Hast du Durst?", fragte ich Eme nachdem ich die Feldwasserflasche gesehen habe. Sie nickte und so machte ich mich auf um am Fluss etwas Wasser zu holen. Obwohl ich mein Speer fest umklammert hielt, hatte ich Angst. Ich rannte so schnell ich konnte hin und wieder zurück. Eme war immer noch da als ich zurückkam. Ich war überrascht, aber ich war froh. Bevor es dunkel wurde wechselte ich meinen Verband. Eme saß daneben und erzählte mit leiser Stimme was sie bisher in der Arena getan hatte. Sie war mit 2 Jungen unterwegs gewesenen. Beide nicht aus ihrem Distrikt, sie nannte mir ihre Namen doch ich vergaß sie sofort wieder. Die beiden waren einmal losgezogen um Essen zu holen. Eme sollte auf sie warten, was sie auch tat. Doch die beiden kehrten nicht zurück. Eme hörte Kanonenschüsse doch die blieb wo sie war, schließlich könnten auch 2 andere Tribute gestorben sein. Als Eme dann abends aber das Bild ihrer Verbündeten auf der Arenen sah, beschloss sie aufzubrechen. Sie nahm den Rucksack den sie sich beim Füllhorn geschnappt hatte und suchte Wasser. Und dann sah sie mich, wie ich bewusstlos zwischen den Bäumen lag. Seitdem folgte sie mir. Ich fühlte mich irgendwie verwundbar, ich hatte nicht gewusst das man mir so leicht unbemerkt folgen konnte. Doch ich war auch glücklich, ich war nicht mehr alleine. Und schon war ich eingeschlafen.

 

Melanie

 

Bum.

Ich riss meine Augen auf und versuchte die Situation zu erfassen. Es war schon hell, meine Verbündeten lagen ein wenig von mir entfernt. Sie schienen genauso wie ich von dem Knall wach geworden zu sein. Helena, die direkt neben mir lag, schien noch zu schlafen. Ein Brummen erfüllte die Luft und als ich in den Himmel schaute, entdeckte ich die Ursache. Hovercrafts. Hovercrafts. Ich spürte einen kleinen Stich direkt in meinem Herzen. Mein Herz schien die Situation schneller zu verarbeiten als mein Gehirn. Mit zitternden Händen berührte ich Helenas Stirn. Sie war noch einigermaßen warm. Dann beugte ich mich runter und lauschte ihrem Atem. Da war keiner. Da war keiner! Ich versuchte ihren Puls zu fühlen, konnte ihn aber einfach nicht finden. Ein Keuchen entfuhr meinen Lippen.

"Nein, nein, nein", murmelte ich ohne es zu registrieren. Ich legte meinen Kopf auf Helenas Brust, doch ihr Herz schlug nicht mehr.

"Helena, bitte, bitte, bitte wach auf".

Das Brummen wurde immer lauter, doch ich ignorierte es. Sie müssen sich irren, Helena lebt.

"Mel, es ist aus", hörte ich Drace leise murmeln. "Sie ist tot".

Ich drehte mich um. Er stand direkt hinter mir und sah mich mitfühlend an. Wie gerne würde ich ihm meine Faust in seine blasse Fresse schlagen. Wie konnte er soetwas sagen! Anstatt Drace eine reinzuhauen, ignorierte ich ihn einfach. Helena wird schon wieder. Ich nahm die Stoffstreifen von ihrer Stirn, tunkte sie ins Wasser und legte sie ihr erneut auf. Der Hovercraft befand sich mittlerweile direkt über mir.

"Mel sie ist tot", hörte ich irgendjemanden sagen. Durch den Lärm den der Hovercraft verursachte, konnte ich nicht genau sagen, wer gerade gesprochen hatte. Eine Hand umschloss meinen Oberarm und versuchte mich zurück zu ziehen. Ich biss hinein. Erneut legte ich meinen Kopf auf Helenas Oberkörper, direkt über ihr Herz. Nichts. Heiße Tränen liefen mir über die Wange, durtränkten ihr T-Shirt.

"Ich hab gesagt du sollst nicht sterben!", schrie ich. "Ich hab gesagt du sollst nicht sterben! Was ist daran so schwer zu kapieren?"

Heftige Schluchzer überkamen meinen Körper und ich brach direkt über Helena zusammen. Mir wurde schwindelig und meine Augen wund, doch mir war das alles relativ egal. Ich werde sowieso sterben, genau wie Helena, genau wie Hazel.

Wieder versuchte jemand mich wegzuzerren und ich wehrte mich nicht mehr. Wir waren alle tot. Ich drehte meinen Kopf, sah in das Gesicht von Carter, einem weiteren lebendigem Totem.

Dann sah ich dem Hovercraft dabei zu wie seine Greifzangen Helenas Körper umschloss und sie in die Höhe trugen. Wir schauten ihr nach und als sie nicht mehr in Sichtweite war, klappte ich zusammen. Carter hielt mich weiter fest und streichelte mir beruhigend durch das Haar. Irgendwann versiegten meine Tränen und ich war nur noch so unendlich müde.

"Carter, sie ist tot", murmelte ich.

"Ich weiß", antwortete er.

"Sie ist tot. Sie ist einfach tot"

"Ich weiß".

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.02.2015

Alle Rechte vorbehalten

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