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Prolog

Autor: Hans Fehrle

 

Der Junge aus Musberg

 

Prolog:

 

Zwischen Fassdauben und Ziegenmilch

Titelte die Filder-Zeitung, meine Heimatzeitung, diese Kindheitserinnerungen und veröffentlichte diese in 27 Fortsetzungen als Serie. Darauf aufbauend habe ich meine Erinnerungen etwas Erweitert und hoffe daß solche Ihren Gefallen finden.

Freilich, ich bin kein Schriftsteller, habe nur 8 Jahre Dorf-Volksschule hinter mir, wie es damals eben üblich war, deshalb meine Bitte: Verzeihen Sie grammatikalische Fehler, auch die Tippfehler da ich ungeübt in Schreibmaschinenschrift bin.

Diese kleinen teils amüsanten, teils nachdenklichen Histörchen mögen Ihnen eigene Erinnerungen an diese schöne Zeit so kurz nach Kriegsende bescheren, den jüngeren Lesern vielleicht diese Zeit etwas nahebringen.

Die Filder-Zeitung Titelte damals:

Zwischen Faßdauben und Ziegenmilch

Eine Kindheit auf den Fildern von Hans Fehrle.

Dazu weiter:

In einer Zeit in der Themen wie die Nord-Süd-Strasse oder der Flughafenausbau (oder wie in neuer Zeit „Stuttgart 21“) die Menschen bewegen, mutet es eigentlich schon ein wenig nostalgisch an, wenn von den „guten alten Zeiten“ erzählt wird. Nicht weil damals alles schöner, ruhiger, sauberer und ehrlicher zuging. Keinesfalls. Vielmehr weil noch vor wenigen Jahren das Gesicht der heutigen Fildern andere Wesenszüge hatte als heute.

 

Einer aus unserer Mitte will uns hinüberführen in die vergangene Welt der Dorfidylle, wo Mutter noch einweckte und Vater den Most noch selbst herstellte. Wo noch mit Eisblöcken gekühlt wurde, das Halten und der Umgang mit Tieren weniger der Erheiterung galt, als vielmehr dem pragmatischen Ziel der Ernährung.

 

In eine Dorfidylle, die manchmal gar keine war, wenn es hieß: Frühaufstehen, bei Wind und Wetter in die Schule gehen, anschließend „Futter machen“ (für die Tiere) und spät abends um neun Uhr noch die Hausaufgaben erledigen.

 

In seiner Jugendzeit hatte der kleine Hansi viel Schönes, aber auch Seltsam-Merkwürdiges erlebt. Wir veröffentlichen diese Memoiren als Erinnerung an die Nachkriegsjahre. Die Redaktion hat einige Namen und persönliche Einzelheiten geändert.

 

Lassen Sie sich einfangen von der Dorfatmosphäre vor etwa 30 Jahren (heute schon 60 Jahre).

Jede Woche ein bißchen mehr. Sollten Sie selbst Parallelen zu Ihrer Jugend feststellen können, oder sollten Sie gar eine eigene Geschichte auf Lager haben, so trauen Sie sich, und schreiben Sie uns. Versprechen können wir Ihnen die Veröffentlichung nicht, doch werden wir sorgfältig Ihre Episoden prüfen.

Das war die Einleitung der Filder-Zeitung.

 

 

Schnapsbrennen – zwischen Gemütlichkeit und Illegalität.

 

Oh Musberg liebe Heimat mein, wie schön liegst du vor mir.

Und wenn ich wandle bin ich dein . . . . . wie hängt mein Herz an dir.

 

So begann das Heimatlied meines Geburtsortes: Musberg, damals eine noch selbständige Gemeinde, heute gehört es zu Leinfelden-Echterdingen. Heute werden wir von Leinfelden aus

„Regiert“, damals aber war unser Musberger Bürgermeister auch Schultes von Leinfelden. So ändern sich die Zeiten!!!

Es gab für mich wirklich kein schöneres Dorf als unser Musberg. Wenigstens bis zu meinem 10. Geburtstag herum, als sich wie wohl überall der Dorfcharakter wandelte, die Städter meist aus dem sehr nahen Stuttgart zu uns zogen – der Autoverkehr auch über uns hereinbrach und alles verbaut wurde was uns vorher als Spielplatz gedient hatte. Ein Dorf wandelte sich – nicht immer zu seinem Vorteil. Aber betrachten wir uns Musberg noch einmal mit den Augen eines sechsjährigen Jungen, ab diesem Alter rühren meine ersten – heute wehmütigen – Erinnerungen her. Das Dorf gehörte damals noch zum Kreis Böblingen (heute Esslingen) –

War aber schon immer mehr nach Stuttgart hin orientiert, auch an das Stuttgarter Telefonnetz angeschlossen. Noch früher – so wurde mir erzählt – gehörte es einmal zu Stuttgart. Von Stuttgart-Rohr, dem Stuttgarter Südwestzipfel ist es etwa 7 Kilometer entfernt, mit dem Bus also eine sehr kurze Fahrt.

Unser Dorf liegt an einem Hang, mein Elternhaus direkt im Tal durch das sich ein kleiner Bach -–der Reichenbach – schlängelt. Dieser Reichenbach trieb früher die Mühlen des Siebenmühlentales (ich weiß nicht warum es Siebenmühlental heißt, denn es sind tatsächlich mehr Mühlen!) an, die erste dieser Mühlen (Obere Mühle) liegt nur wenige Hundert Meter von meinem Elternhaus entfernt, die zweite Mühle (die Eselsmühle mit seinem weitbekannten Bäckerei – Holzbackofen – und einem beliebten Ausflugscafe) nur wenige Meter weiter.

Man muß sogar betonen daß das Siebenmühlental direkt beim Elternhaus anfängt, da direkt dort der Mühlweg beginnt. Mühlweg 1 war später die Hausnummer meines Bruders Fritz, der neben dem Elternhaus gebaut hat.

Auf der nicht zum Dorf hin gelegenen Seite erhebt sich ein Hang, wir Musberger nennen ihn den „Hau“, heute ein beliebtes Ski-Naherholungsgebiet sogar mit einer Sprungschanze und einem Skilift (wird von den Besitzern der 1. Mühle betrieben). Dieser Hang wiederum ist von 3 Seiten von Wald umgeben, die Vorläufer des Schönbuches. Also wirklich ein sehr idyllisches Dorf, umgeben von Wald, nur nach Stuttgart und Leinfelden hin offen. Und der unschätzbare Vorteil, man hatte eine absolut echte Dorfatmosphäre – aber wenn man nach Stuttgart – also in die Stadt wollte – war man mit dem Bus in einer halben Stunde dort, Also idealste Bedingungen – vor allem für uns Kinder.

Meine Familie profitierte auch von diesen vielen Vorteilen, dem Siebenmühlental, dem Skigebiet, dem Schönbuch – es kamen sehr viele Ausflügler in unsere Gaststätte. Frühling-Sommer-Herbst die Ausflügler, im Winter die Skifahrer. Und erst an den Sonn-und Feiertagen, da war unsere Gaststätte „Fässle“ gerappelt voll. Und im Winter standen die Skipaare in einer langen Phalanx vor dem Gasthaus. Und der Skihang endet direkt an unserem Grundstück, oftmals hatten wir einfach das Tor im Zaun aufgemacht, dann konnten die Skifahrer direkt zu uns hereinfahren. Wir hatten dann Verkaufstische aufgebaut und boten Vesper und Getränke an.

Meine Familie kam 1646 – also 300 Jahre vor meiner Geburt – aus der Schweiz nach Musberg (so berichten es die alten Kirchenbücher). Es würde mich interessieren weshalb, vermutlich wegen der Religionskriege. Diese Vorfahren hießen damals etwas anders, haben dann Generationen später den Namen „Schwäbisiert“. Sie waren in vielen Generationen Küfer, auch mein Vater hat diesen Beruf erlernt und erfolgreich ausgeübt, aber dieser Beruf ist mit ihm – nicht nur in meiner Familie – ausgestorben. Wer kauft heute schon noch Fässer?

Als ich klein war brauchte man noch viele Fässer, eigentlich hatte jedes Haus seinen gewölbten Keller, nicht nur die Bauern. Man hatte sich noch nicht so an Bier und Limonade gewöhnt, bei uns auf dem Lande hatte man unbedingt sein Fässle Most, also gegorenen Apfelsaft oder Birnenmost im Keller. Auch in unserer Gaststätte wurde hauptsächlich Most verlangt und Ausgeschenkt, das trinkt doch heute kaum noch einer. Das ist bei den Hessen etwas anders verlaufen – da trinkt man heute noch seinen Äppelwoi.

Und die Leute welche keinen Most im Keller hatten, vor allem die vielen Kriegsvertrieben bei uns im Dorf, damals insgeheim als „Flüchtlinge“ bekannt, kamen mit Milchkannen zu uns und kauften literweise den Most. Die „Flüchtlinge“ welche in Baracken im Dorf hausten, wurden bei uns „Einheimischen“ sehr scheel angesehen. Sie genossen denselben schlechten Ruf wie die Zigeuner welche damals regelmäßig in unserem Dorf eintrudelten. Aber die meisten dieser „Flüchtlinge“ wurden zu Unrecht verdächtigt, die meisten haben sich in unserem Dorf assimiliert und sind heute sehr angesehen. Aber damals eben nicht. Wenn etwas fehlte oder gestohlen wurde schob man es immer denen in die Schuhe. Als uns einmal Hasen gestohlen wurde meinte meine Mutter „Das waren die Flüchtlinge“. Keine Ahnung ob dies zutraf, wir durften auch nicht mit deren Kindern spielen. Als Gäste kamen diese auch nicht zu uns in die Gaststätte, sie holten immer nur die Getränke – zumeist den billigen Most – an der Theke und gingen dann sofort. Wahrscheinlich spürten sie daß sie für uns Einheimische sehr suspekt waren.

So beginnen meine frühesten Erinnerungen auch mit den sehr hohen Türmen von Fassdauben, die mehrere Meter hoch kunstvoll neben dem Haus aufgetürmt waren. An diesen Fassdaubentürmen sind wir als Kind immer hochgeklettert. Vater war damals zumeist in seiner Werkstatt und baute Fässer jeder Größe zusammen. Mal ganz kleine Zierfässchen z.B. als Geschenkartikel die man auf den Tisch stellen konnte. Daneben die Fässer für den Normalhaushalt wie solche damals in allen Kellern vorhanden waren – mit 300 – 600 Litern Fassungsvermögen. Für die Bauernfamilien und großen Gutshöfe etwas Größere mit ca. 1000 Litern. Aber auch sehr große mit mehreren Tausend Litern Fassungsvermögen – auch für seinen Eigenbedarf. Diese Fässer waren dann so groß, daß er sie in dem Keller fertigstellen mußte, in welchem sie letztendlich aufgestellt werden sollten, da sie als Endprodukt durch keine Türe gegangen wären.

Wir selbst hatten mehrere dieser Riesenfässer in unserem Keller, das kam aber auch daher, weil Vater auch eine Schnapsbrennerei betrieb. In den Fässern wurde nicht nur der Most gelagert welcher in der Gaststätte und im Strassenverkauf angeboten wurde, dort sammelte er auch das Obst für die Brennerei. Aus dem Most wurde Schnaps gemacht, der Obstler, von den Kirschen das Kirschwasser, und auch der Pflaumenschnaps war ein großer Erfolg (Zwetschgenwasser). Dieses Obst mußte längere Zeit in den Riesenfässern gären, bevor es ans Schnapsbrennen ging. Angenehme Erinnerungen an damals tauchen bei mir auf: Vater beim Schnapsbrennen, der vertraute Geruch wenn das erhitzte Obst in die Brennkammern gefüllt wurde, der längere Vorgang in der Brennkammer und dann die Erwartung wenn der Vorlauf herauströpfelte. Anhand dieses Vorlaufs konnte Papa dann schon feststellen ob der Brand erfolgreich war. Und dann der Höhepunkt, wenn das Endprodukt ganz langsam herauströpfelte. Eigentlich fast jeder Brand glückte meinem Vater und zumeist war er sehr zufrieden mit den Ergebnissen. Danach stellte er fest wieviel Öchsle der Schnaps hatte, damit er beurteilen konnte wie hoch der Prozentsatz an Alkohol später sein würde. Also unsere Schnäpse wurden sehr gerne gekauft und in der Gaststätte ausgeschenkt. Aber auch andere Gaststätten bei uns im Dorf wurden damit beliefert und in den Nachbargemeinden. Flaschenweise mit hübschen Etiketten versehen wanderten die Schnäpse über den Ladentisch. Sogar in größeren und kleineren Korbflaschen mit bis zu 50 Litern wurden seine Produkte verkauft.

Übrigens: Diese Schnäpse wurden damals auch als Arznei angewendet. Man hatte es nicht so mit den Tabletten wie heutzutage. Bei Kopfweg, Zahnschmerzen und Magenverstimmungen – eben bei allen kleinen Wehwehchen die man so bekam – wurde Schnaps angewendet. So wurden wir schon als kleinste Kinder immer mit Schnaps behandelt und er wirkte eigentlich immer. So behandle ich eine Magenverstimmung auch heute noch mit Schnaps – etwa wenn ich etwas Verdorbenes gegessen habe - und es wirkt noch immer. Na ja, schon der Willy Millowitsch sang: Schnaps das war sein letztes Wort – aber mich trugen Gottseidank keine Englein fort. Im Gegenteil, mir schenkten sie eine robuste Gesundheit.

Damals lebte man ja noch „Natürlich“. Im Garten wuchsen Kartoffeln und Bohnen, jedwedes Gemüse, Rettiche und Tomaten usw. Sogar ein größeres Erdbeerfeld war angelegt. Dazu Rhabarber, Stachelbeeren, Quitten, Zwetschgenbäume und Mirabellen, Apfel-und Birnbäume usw. Es war im Herbst eine Lust die vielen Früchte zu ernten – vom Baum gepflückt gleich in den Mund zu stecken, und das Ganze dann später auch als „Eingemachtes“ in den großen Einweckgläsern im Keller vorzufinden.

Damals kannte man auch das Wort „Allergien“ noch nicht. Kein Mensch litt bei uns an einer Allergie. Und heute: Meine Nichten und Neffen haben fast alle eine Allergie. Aber das kommt meiner Meinung nach von der Umwelt und den angebotenen Lebensmitteln. Damals starben unsere Hunde eines natürlichen Todes, und heute: Meine letzten beiden Hunde mußten alle Eingeschläfert werden wegen Krebs. Sowas kannte man damals nicht. Auch so viele Krebstote wie heute gab es einfach nicht. Da sieht man daß mit unserer Umwelt, der Luft, dem Wasser und den Lebensmitteln einiges im „Argen“ ist. Ich finde es schön, daß ich diese Zeit noch erleben durfte. Fast keine Autos, die Bauern kamen mit ihren Kuh-Ochsengespannen oder wenige mit Pferdefuhrwerken vor der Gaststätte vorgefahren, ließen ihre Gespanne dort stehen und kehrten bei uns ein. Die Straßen gehörten noch uns Kindern, wir konnten unbesorgt Fußball spielen, gerne auch Federball usw. Nur jede Stunde kam mal ein Auto – wenn überhaupt. Nun ja, auch der Fortschritt hat seine Vorteile, aber leider auch viele negative Seiten.

Damals hatte man noch Zeit für Spiele in Wald und Feld, sammelte die Waldbeeren, Kräuter und Pilze. Spielte noch mit Holzklötzchen oder Kartenspiele. Und heute: Jedes Kind will schon sein Smartphone haben, oder einen Tablet-PC – und verbringt Stunden vor dem Fernseher und Computer. Kannten wir alles nicht und haben es auch nicht vermißt. Was ist nun die schönere Zeit – damals oder das Heute. Lassen wir die Frage unbeantwortet, ich genieße es beide Seiten erfahren zu haben.

Fahren wir mit dem Schnapsbrennen fort: So ist mir auch von frühester Zeit der Finanzbeamte vertraut, der zu jeder Tages-und Nachtzeit bei uns auftauchte, um zu kontrollieren, ob die Schnapsbrennerei vielleicht illegal in Betrieb war. Denn Papa durfte nur dann Schnaps brennen wenn er dies zuvor beim Finanzamt angezeigt hatte. Dort mußte er dann ganz genau angeben wie lange er brennen wollte, welche Mengen an Obst, Zwetschgen oder Kirschen eingesetzt werden sollten, später dann auch welche Mengen an Schnaps daraus gewonnen wurden. Das wurde alles sehr streng und genau kontrolliert, da man ja jeden Liter entsprechend versteuern mußte. Aber Papa hatte nie damit Probleme – obwohl er – wie er mir mit einem verschmitzten Lächeln und Augenzwinkern erklärte, daß er die Beamten an der Nase herumgeführt hatte. Er kannte die Tricks und Kniffe diese „Schnüffler“ hereinzulegen.

So ist mir der Schnaps und das Schnapsbrennen eine liebe Erinnerung an meine Kindheit. Wenn man heute singt: Der Teufel hat den Schnaps gemacht – um uns zu Verderben, entgegne ich: Der liebe Gott hat uns den Schnaps gesandt um uns zu beglücken. Unser damaliges Schmerz-und Heilmittel Nr. 1.

Ende der 1. Episode.

 

 

Die Filder-Zeitung führte dann als Fortsetzung an:

 

Für viele gehört sie zur Erinnerung an frühere Jahre, für andere bedeutet sie eine anheimelnde Atmosphäre, die nur noch in Büchern vorkommt, und immer erscheint sie als etwas Klares, Gemütliches, als eine Sphäre ohne Streit und Hektik: Die Dorfidylle. Diese verklärte Sicht entspricht so wenig der Realität, wie es stimmt, daß die Jugendzeit früher einfacher war als heute. Sie war vielleicht naturverbundener, jedoch war jeder einzelne, egal wie alt, sehr viel stärker in den Arbeitsprozeß der Erwachsenen mit eingebunden. Kindheitserinnerungen aus der Nachkriegszeit haben wenig von dieser rosaroten Poesie der Ländlichkeit, sondern zeugen immer wieder von harter Arbeit, derben Späßen und rauher Herzlichkeit, ein Gemisch, das manchmal schon verloren scheint. . . . . . . . . .

 

 

Mehrfachbelastung durch

Schule und Hausarbeit !

 

Schnaps galt bei uns zu Hause auch immer gleichzeitig als Allheilmittel wie fast überall auf dem Lande, nicht nur bei den Bauern. Mit Schnaps gurgelte man bei Zahnschmerzen, nahm solchen auch bei Kopfschmerzen und Magenverstimmungen, als Einreibemittel bei Gelenkschmerzen und Rheuma und Verstauchungen -–sogar offene Wunden und Abschürfungen behandelte man mit Schnaps. Papa nahm – wie fast jeder Schnapsbrenner und Küfer und auch viele Bauern – jeden Morgen sogar Schnaps in den Kaffee, ohne Schnaps schmeckte ihm der nicht. Mochte auch Mama jeden Morgen von neuem schimpfen – er ließ nicht davon ab. Und es hat ihm ja auch nicht geschadet – er ist heute über 70 Jahre und trinkt immer noch Kaffee mit Schnaps. (Diese Erinnerungen wurden 1986 geschrieben – zur Information!)

Der Doktor warnte meinen Vater immer vor dem vielen Zigarettenrauchen und dem Schnaps – der Doktor ist tot, mit 55 gestorben, Vater „sündigt“ dagegen noch immer täglich und fühlt sich wohl. Papa brannte aber nicht nur seinen eigenen Schnaps, den er in Flaschen abfüllte und mit Etiketten beklebte und verkaufte, sondern auch für die Leute im Dorf und in der Umgebung. Diese brachten ebenfalls ihre Äpfel und Birnen, Zwetschgen und Kirschen und ließen daraus Schnaps machen, der dann zumeist in große Korbflaschen abgefüllt wurde.

Damals war Schnaps noch relativ billig, ein ganzer Liter Obstler kostete 6 Mark, Zwetschgenwasser 7-8 DM und das Kirschwässerchen etwa 9-10 DM. Vaters Schnäpse waren sehr beliebt und viele Leute kauften das hochprozentige Wasser. Der Schnaps enthielt seinerzeit wesentlich mehr Alkohol als heute. In der Regel mindestens 50%.

 

Vater hatte manchmal auch außer Haus zu tun, wenn er Fässer reparieren mußte, die nicht mehr ganz oder morsch geworden waren. Das machte er dann an Ort und Stelle im Keller des Kunden. Es gab nun in der näheren und weiteren Umgebung reiche Bauern oder Gutsbesitzer, die einen großen Fasskeller unterhielten, da konnte es passieren, daß er ein paar Tage dort tätig war. Er bekam auch viele Aufträge die Fässer zu reinigen und anschließend auszuschwefeln, damit evtl. vorhandene Bakterien vernichtet würden.

In die großen Fässer stieg Vater selbst hinein und reinigte sie mit einer speziellen Seifenlösung unter vielem mühseligen Schrubben und Bürsten mit langstieligen Handbürsten.

Aber bei den kleineren Fässern kam er nicht durch die kleine Faßluke auf der Vorderseite. Dann nahm er seine jüngsten Buben mit, mich oder meinen um ein Jahr jüngeren Bruder. Wir konnten bequem und problemlos in diese Fässer einsteigen und mußten diese dann bei Kerzenschein reinigen. Später gab es dann auch batteriebetriebene Handlampen oder elektrische Exemplare an langen Zuleitungen, aber Anfangs eben nur Kerzen.

Ein gruseliges Gefühl damals – besonders beim erstenmal. Nur mit Unterhose bekleidet stiegen wir durch die schmale Luke und standen nun in dem stinkenden Faß in völliger Dunkelheit. Papa reichte dann die Kerze in einem Halter und wir konnten die Umgebung betrachten. Das gewölbte dunkle Faßholz war vollkommen schleimig, verdreckt und übel stinkend. Wir mußten erst einmal den Boden des Fasses sauber machen und den Unrat mit einer großen Bürste durch die Faßluke nach draußen schrubben. Dann schüttete Papa heißes Wasser in das Faß, bis der gewölbte Faßboden bis zur Luke bedeckt war, dazu kam dann seine spezielle Neutralseife hinzu. Nun fing das mühselige Saubermachen an, jeder Zentimeter des Fassinneren mußte mit der Bürste saubergemacht werden, der ganze Schleim abgekratzt, ein mühseliges Schrubben und Bürsten begann. Lange Handstielbürsten und auch spezielle Besen an langen Stielen kamen dabei zum Einsatz. Nun wurde das völlig verschmutzte Wasser mit der Bürste nach draußen befördert. Danach kam wieder frisches heißes Wasser rein für die Nachbehandlung. Das ging so lange bis das Faß wirklich sauber war. Dann rief ich „Fertig“ nach draußen, und Papa half mir dann aus der Luke herauszuklettern. Danach leuchtete er dann das Faß innen aus um sich zu überzeugen ob auch alles sauber geworden war. Und Wehe, wenn nicht. Dann mußte man nochmals reinklettern bis alles zu seiner Zufriedenheit erledigt war. Aber wir wußten ja nach den ersten Versuchen Bescheid und reinigten zufriedenstellend. Das gereinigte Faß verschloß Vater dann wieder mit der Luke, die er auch abkittete – damit es auch wirklich dicht wurde. Dann wurde ein großes Schwefelblättchen angezündet, durch das an der Fassoberseite befindliche Spundloch mit einem Draht eingeführt, dieses Spundloch mit einem Pfropfen verschlossen. So konnte der Schwefel seine antibakterielle Wirkung voll entfalten und das Faß stand danach seinem Besitzer wieder voll zur Verfügung. Aber der eklige – übelkeitserregende Schwefelgestank verfolgte uns bis nach Hause. Aber mit der Zeit gewöhnte man sich auch daran.

Das ganze war für mich damals keine unangenehme Arbeit, mit 4-5-6 Jahren empfand man anders als zu späterer Zeit. Ich empfand es schön Vater helfen zu dürfen – mit dieser Arbeit hatte ich das Gefühl schon ein Großer zu sein und nicht der kleine Hansi. Noch heute übermannt mich die Erinnerungen nach Fässern, dem warmen Wasser und sogar dem Schwefel, und immer sind es angenehme „Träume“. Aber wie so vieles ist es doch zumeist eine verklärte Erinnerung. Damals fühlte ich mich nicht als der kleine Junge der ich war, sondern als Vaters Partner und Arbeitskollege – und das war immerhin ein schönes Gefühl. Am Schluß gab es dann ein schönes Trinkgeld vom Bauern oder Gutsbesitzer und auch Vater tat noch etwas in meine Sparbüchse. Zu Hause wartete dann schon Mutter mit dem Essen, auch wenn es spät wurde.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schwäbische Küche – mal ehrlich,

gibt`s was Besseres?

 

Meine Eltern betrieben zuerst eine kleine Weinstube, und unser Wohnzimmer war seinerzeit der Schankraum. Daran gewöhnten wir uns schnell, auch wenn nun immer Leute um einen herum waren. Aber das waren ja alles Stammkunden, zumeist Nachbarn die wir sowieso schon kannten. Es war immer eine freundliche entspannte friedliche Atmosphäre -–und oftmals sogar ein Elternersatz. Die zumeist älteren Besucher kümmerten sich auch um uns „Kleine“ und brachten uns vieles bei.

Ich hatte kein eigenes Zimmer, mein Bett stand im Zimmer meiner älteren Schwester Gretel, der jüngere Bruder mußte damals im Elternschlafzimmer schlafen. Die „Gretel“ hat uns eigentlich „Erzogen“, überwachte unsere Kleidung, das Benehmen usw. Sie brachte mich auch zu Bett usw. Dazu hatte Mutter gar keine Zeit durch Hausarbeit, Wäsche, Essenmachen, der Garten, die vielen Tiere (Schweine-Enten-Hühner usw.). Ebenso verstand sie es auch nicht sich intensiv um ihren Nachwuchs zu kümmern, uns Schwaben liegt es sowieso nicht Gefühle zu zeigen. Und so zeigte sie auch keine. Niemals brachte sie uns ins Bett oder las etwas vor – sie hatte so etwas einfach nicht gelernt und selbst erfahren. Aufgewachsen in Niebelsbach, ein kleines Dorf unweit von Pforzheim war sie nur an das damalige Landleben gewöhnt. Ihr Elternhaus war ein kleines Bauernhaus, im EG die Scheune mit den Tieren (Kühe und Pferde). Im 1. Stock ein größeres Wohnzimmer, die alte Küche mit dem offenen Herdfeuer und das Elternschlafzimmer. Damals hatte man noch viele Kinder – in der Regel 6-10 Stück. Und diese wie meine Mutter waren alle in einem schrägen Dachraum untergebracht, Da lernt man keine Herzlichkeit wie dies bei heutigen Müttern üblich ist. Deshalb habe ich dies auch nicht erlebt. Bei mir wurde dies aber kompensiert durch die vielen Onkel und Tanten, Nachbarinnen usw. die sich alle um mich kümmerten. Aber bis heute fällt es mir schwer Gefühle zu zeigen. Kommt es daher weil es „Schwäbische Eigenart“ ist, oder von der Erziehung. Wahrscheinlich beidem. Aber Mutter hat uns trotzdem geliebt, ich habe es z.B. im Krankenhaus erlebt wo sie mich jeden Tag besuchte (obwohl Besuche eigentlich im Kindertrakt damals verboten waren) und etwas mitbrachte. Trotz ihrer vielen Arbeit nahm sie sich diese Zeit. Damals habe ich gemerkt daß hinter der rauen Schale ein liebevolles mütterliches Herz schlägt.

Es gibt einen Schlager von Ulli Martin „Kleine Kinder werden groß“ wenn ich den heute anhöre kommen mir fast immer die Tränen und die Erinnerungen an Mama. Da wird besungen aus Hänschen wurde ein Hans der sich immer mehr von seiner Mutter entfernt, ihre gutgemeinten Ratschläge ignoriert – und sein eigenes Glück sucht. Dazu den Refrain: Mutter kannst du mir noch mal verzeihen. Oh ja, ich hätte vieles anders gemacht mit den Erfahrungen von heute. Auch Papa hatte diese raue Art, ein echter Schwabe aber mit einem so weichen gefühlvollen Kern, den er aber immer zu verbergen trachtete.

Also erledigte ich die Schularbeiten im Schankraum nach dem Essen, meist waren diese Hausaufgaben sehr schnell gemacht. Wir bekamen eigentlich nie viel Hausarbeit aufgebrummt damals als Schüler, auch mußte man ja nicht so viel lernen wie heutzutage. Mutter kochte nun nicht mehr nur für uns allein, sondern auch für die Gäste. Es gab keine Speisekarte im heutigen Sinne, sondern jeden Tag ein anderes Gericht. Natürlich schwäbische Küche, ich kenne auch heute noch nichts Besseres. Linsen mit schwäbischen (selbstgemachten) Spätzle und Saitenwürstchen, Flädlesuppe, Maultaschen in der Brühe oder geschmälzt mit Zwiebeln und schwäbischem Kartoffelsalat. Schweinebraten mit Spätzle, saure Kutteln, Pfannkuchen mit Apfelmus usw. An Sonntagen zumeist panierte Schnitzel mit Teigwaren – oder gemischter Braten. Mutter konnte wundervoll kochen. Es schmeckte immer hervorragend. Allerdings mußte ich mich nun daran gewöhnen, daß immer zuerst die Gäste kamen, wir waren nicht mehr die Hauptpersonen. Erst wenn alle Gäste bedient waren kam die Familie an die Reihe. Aber man nahm es dann als Selbstverständlich hin, auch daß Mutter immer mehr Arbeit hatte. Die Gäste, das Haus, Garten und Tiere, die mühseligen langen Waschtage ohne elektrische Waschmaschine – sie hatte nun von frühmorgens bis nach Mitternacht zu tun. Da hatten es die Männer damals viel leichter. Erziehen im eigentlichen Sinne konnte sie uns nicht, dafür war keine Zeit. Aber dafür sorgte sich die Dorfgemeinschaft, die damals noch sehr ausgeprägt war. Seinerzeit waren die Haustüren nicht abgeschlossen, ich konnte bei allen Nachbarn und bei vielen im Dorf einfach eintreten und war willkommen. Heutzutage doch undenkbar. Aber eigentlich war es uns Jungens damals lieber wenn sich die Eltern nicht um einen kümmerten, so konnte man tun und lassen wozu man Lust hatte. So wuchs ich irgendwie wild auf, konnte tun und lassen was ich wollte, spätabends heimkommen, es achtete niemand darauf. Man vermutete uns halt bei den Verwandten und Nachbarn. Zudem waren wir fast mit allen damaligen Dorfbewohnern mehr oder weniger verwandt. Aber irgendwie – obwohl ich fast alle Freiheiten hatte, oder vielleicht gerade deswegen – nützte ich dies nicht aus, konnte es im eigentliche Sinne auch nicht. Das Leben auf dem Dorf war damals anders, jeder kannte jeden, man war ja mit allen bekannt oder verwandt. Im Haus nebenan wohnte ein Onkel, und auch noch viele Verwandte in unserer Straße. Und damals gab es praktisch nur Mehrgenerationen-Familien. Großeltern, Eltern, Kinder und Enkel – alles unter einem Dach. Nicht so wie heute wo es 50% Single-Haushalte gibt. Damals undenkbar die Oma ins Heim zu geben wie es

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 16.04.2013
ISBN: 978-3-7309-2346-7

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
meinen verstorbenen Eltern Johanna und Eugen Fehrle sowie meine Schwester Gretel Binder.

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