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Leseprobe

Weil ihr Sohn auf der kubanischen Plantage ______ entbehren muss, erklärt ihm Zarah Leander das Wetterphänomen als „Engelstränen“, in La Habanera (1937). Als das neue Automobil im ______ stecken bleibt, gibt es eine schöne Gelegenheit zu singen in The Magnificent ­Ambersons (1942). Um den Kriegswinter 1807 im Kriegssommer 1944 drehen zu können, fuhr man 100 Eisenbahnwagons Salz nach Pommern, als ______ersatz in Kolberg (1945). Bei den Dreharbeiten zu Queen of Spades (1949) kamen als ______flocken Plexiglas-Splitter zum Einsatz, gewonnen aus abgeschossenen deutschen Flugzeugen. In Ophüls Madame de (1953) verwandelt sich ein zerrissener Liebesbrief in ______treiben. In Day Of The Outlaw (1959) ist ______ das Mittel der Wahl, die Gangster ins Verderben zu führen. Ein Gutteil des „______sturms“ in McCabe and Miss Miller (1971) geht auf einen Kopierwerkseffekt zurück, dessen regelmässige Drehung Schwindel erregt. In Fargo (1996) verschmutzt der ______ durch die Zweckentfremdung einer Häckselmaschine.

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Ich kam spät. Als letztes Kind in eine unübersichtliche Familie. Das Land war schon im Abstieg, als ich die Schule verließ. Sehr spät begann ich Filme zu machen.

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Erwachsen wurde ich in einer Niedergangsepoche. Die ökonomischen Probleme der DDR in den 80er Jahren waren enorm, die bürokratischen Hemmnisse spürbar und das Mitläufertum, das sich der Staat herangezogen hatte, mehr als eine Plage (was für Zeiten, als das Mitlaufen als verachtenswert galt!). Aber all das war es nicht. Auf eine unmerkliche Weise schien dem Land die Zukunft abhandengekommen zu sein. Wann und wie das geschehen war, blieb mir damals undeutlich. Der Verlust der Zukunft verwandelte die Gegenwart zu einer Steppe, aus der kein Weg führt. Wir verloren die Orientierung. Wir blickten zurück, um zu verstehen, wie es gekommen war. Die Ansprüche und Hoffnungen der Vorangegangenen schienen lebendiger als unsere eigene Gegenwart. Das war meine erste Erfahrung.

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Die Zukunft aber war das Fundament des Landes. Seine Existenzgrundlage war eine politische, keine nationale (das war sein Vorzug). Ohne die politische Voraussetzung würde das Land aufhören zu existieren. Als die Leute 1990 Helmut Kohl wählten, verstand ich, dass sie nicht wählten, was sie sich wünschten oder wollten, sondern das, was sie für das Kommende und Unabwendbare hielten. Das Land wurde zum Beitrittsgebiet.

Die Einschusslöcher an den Hausfassaden wurden gefüllt, die Straßen umbenannt. Das Mahnmal in meiner Nähe, dass an die „Opfer des Faschismus“ erinnerte, wurde den „den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“ gewidmet. Das schloss die Täter mit ein. Meine Eltern waren Antifaschisten gewesen. Nun waren sie ununterscheidbar von den Nazis. Es schien, als hätten wir auch unsere Vergangenheit verloren. Das war meine zweite Erfahrung. Ich fiel in einen Dämmerzustand.

Viel später, bei der Arbeit am Vaterfilm (Der ­Funktionär) habe ich mich gefragt, ob mein Vater, Jahrgang 1912, jemals in der DDR, in der er über die Hälfte seines Lebens verbracht hat, angekommen ist. Er war siebenunddreißig bei Staatsgründung. Und ich frage mich, ob ich die DDR jemals verlassen habe, weil auch ich in den Horizont des eigenen Heranwachsens gebannt bleibe.

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Stundenweise erwachte ich, wenn ich die Filme Jean-Marie Straubs und Danièle Huillets schaute. Es waren Filme, in denen ich sah, was ich nie erlebt hatte: Bewegung. Die Widersprüche lagen blank und die Filme selbst hielten sie offen. Sie rissen mich aus einem uneigentlichen Zustand in die Wirklichkeit zurück. Auch konnte ich in den Filmen die Stimmen jener Toten hören, deren Ansprüche lebendiger als meine eigene Gegenwart waren. Nur die Anhänger Straubs verstörten mich. Sie verwechselten die Filme mit deren Gegenteil, einem Formalismus, den sie für eine radikale Sache hielten. Ich stellte mich nicht dazu. Und doch kopierte ich in meinem Gesellenstück die Form. Kopieren ist eine Schule und ich brauchte Jahre, um mich zu lösen.

In der Filmschule feierte man in den 90er-Jahren den Neorealismus und strebte nach dem Authentischen. Authentizität vermittelt ein Gefühl des Wirklichen. Die Wirklichkeit aber war nicht authentisch. Sie ist konstruiert und zerklüftet und voller Gegensätze. Im Authentischen aber wurden die Widersprüche aufgehoben oder ertränkt in einer Soße der Gefühligkeit. Authentizität ist ein Ritual, indem eine antagonistische Wirklichkeit verdeckt und zugleich affirmiert wird. So schafften sich die authentischen Filme die Wirklichkeit vom Hals.

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Mein Land, das Beitrittsgebiet, wurde in den 90er-Jahren zum Spekulationsobjekt. Für Käufer von Grund und Boden und für Regisseure zwischen Hamburg und München, die nun Filme über Alkoholiker in Halle-Neustadt drehten. Die lokale Zuordnung verdeckt mehr als sie beschreibt. Es war vor allem der Blick von Bürgerskindern auf die Desavouierten. Mitleid ist die Kehrseite der Verachtung. Aber sie sind auf dieselbe Münze gestanzt.

Später kamen die historischen Filme über

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Satz: GeneralPublic
Tag der Veröffentlichung: 19.12.2023
ISBN: 978-3-7554-6424-2

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Vorwort Gespräch: Junger Schweizer Film Andreas Goldstein: Rohes Denken – Eine Selbstauskunft Raschit Safiullin: Das Szenenbild von Stalker Portrait: Petrolio SMS von Lemke Johanna Schorn: Die Zeit ist ein Gespenst Freancesco Sossai: Unmögliche Flucht Interview: Kleber Mendonça Filho Sebastian Ladwig: … / – – / Command-D Glossar Veröffentlicht am 12. Mai 2021

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