VORWORT
Was hat uns die Filmgeschichte zu sagen? Und wie können wir filmend, schreibend, mit ihr in Dialog treten? Die Möglichkeiten, das wird in den Gesprächen mit Serge Bozon, Miguel Gomes und Pedro Costa deutlich, sind mannigfaltig. Aber bei allen Unterschieden der Ansätze: Vergessen ist keine Option, für niemanden. Ohne Vergangenheit keine Zukunft. Und auch Nostalgie ist Gift. Wir müssen, wieder und wieder, um einen lebendigen Ausdruck kämpfen.
Die Herausgeber
Marcus Seibert In Deutschland sind Filme der französischen Filmemacher der 70er-Jahrgänge kaum bekannt. So auch die von Serge Bozon. Deshalb vielleicht vorweg ein paar Informationen zur Person. Du hast nicht an der fémis Film studiert?
Serge Bozon Genau. Ich komme aus Lyon und habe keine Filmhochschule besucht. Mit 17 bin ich zum Studieren nach Paris gegangen und habe angefangen Filmkritiken zu schreiben. Ein paar Kurzfilme habe ich schon im Gymnasium gedreht. 1996 habe ich dann einen ersten langen Spielfilm komplett selbst finanziert, L’Amitié. Der kam 1998 raus, dank ACID (association du cinéma indépendant pour sa diffusion, Anm. der Red.), das ist eine Organisation, die den unabhängigen französischen Film im Vertrieb und Verleih unterstützt und auch in Cannes eine Reihe kuratiert, wo L’Amitié 1997 gelaufen ist. Das Presseecho war gut, ein Produzent wollte mich sehen. Seitdem arbeite ich mit der Firma Les films Pelléas zusammen. Mit diesen Produzenten habe ich Mods, La France und Tip Top gedreht. Daneben noch ein paar Projekte, zum Beispiel den Fernsehfilm L’Imprésario. Den größten Einfluss hat auf mich gehabt, dass ich lange Zeit Filmkritiken geschrieben habe, nicht als bezahlter Kritiker, sondern für eine Zeitschrift, die wir selbst gegründet haben, so ähnlich wie Revolver, die hieß La Lettre du cinéma. Alle, die da geschrieben haben, wollten Filme machen. Pascale Bodet, Vincent Dieutre, Axelle Ropert, Jean-Charles Fitoussi und Pierre Léon, die kennt man, glaube ich, alle nicht in Deutschland. Aber Pierre Léon hat schon in den achtziger Jahren angefangen Filme zu drehen. Von seinen zwanzig Spielfilmen sind allerdings auch in Frankreich nur vier ins Kino gekommen.
Pierre Gras Pierre Léon hat vor allem mit Jeanne Balibar gedreht. Am bekanntesten ist vielleicht L’Idiot, nach Dostojewski. Serge spielt da auch eine kleine Rolle.
Marcus Seibert Aber du hast auch früh schon und immer wieder für die Filmzeitschrift Trafic geschrieben.
Serge Bozon Ja, mein erster längerer Artikel war für Trafic, der hieß Teenage Fever. Aber es gab noch einige mehr, wie der zum Beispiel, den ihr für Revolver übersetzt habt.
Saskia Walker Worüber hast du generell in diesen Kritiken geschrieben?
Serge Bozon Ich bin stark beeinflusst vom Hollywood-Kino. John Ford, Howard Hawks, Samuel Fuller, Jacques Tourneur, Nicolas Ray, Otto Preminger. Ich finde immer noch, wenn man Filme machen will, bringt es wesentlich mehr, sich vom klassischen Hollywood-Kino inspirieren zu lassen, als vom modernen Kino. Wer sich von Godard, Duras oder Straub beeinflussen lässt, wie etwa Des Paillières in Frankreich, der hat es schwer. Wenn das Kino, von dem man ausgeht, bereits sehr radikal ist, lässt das kaum noch Spielraum für eigene Schritte in diese Richtung. Um es zuzuspitzen: Wenn man von Michael Snows La Région centrale ausgeht, wo kommt man da noch hin? Was kann man da noch weiter verdichten oder reduzieren? Es gibt da Grenzen der Reduktion. Oder man muss wieder schwarz-weiß drehen, wie João César Monteiro. Außerdem bin ich mehr für ein erzählerisches Kino. Mich zieht es weniger zum realistischen oder naturalistischen Kino. Natürlich müsste man diese Begriffe näher definieren, aber das ist ja nicht ganz einfach.
Marcus Seibert Bitte, nur zu.
Serge Bozon Also. Es gibt eine einfache Definition des naturalistischen Kinos von Paul Vecchiali: ein naturalistischer Film ist ein Film, bei dem der Filmemacher so tut, als ob die Kamera nicht existieren würde. Die Definition von Jean-Claude Biette ist aber vielleicht interessanter. Sie ist aus der in Frankreich üblichen Definition von Naturalismus abgeleitet, die auf Zola zurückgeht. Demnach ist naturalistische Kunst am Beispiel der Malerei Courbets definiert als eine, in der der ganze Mensch zum Vorschein kommt, mit den elementaren Seiten seines Lebens. Das heißt, die Kräfte, die einen Charakter bewegen, müssen so impulsiv und direkt wie möglich dargestellt werden. Das lässt dann beispielsweise keinen Platz für Exkurse und Abschweifungen im Dialog. Jeder Monolog wäre in dieser Ästhetik von vornherein verdächtig, bewusst oder unbewusst literarisch zu sein.
Als ich in den neunziger Jahren anfing Filme zu machen, war der vorherrschende Einfluss der von Maurice Pialat. Ich finde allerdings, dass das Kino von Pialat dem Naturalismus durch diese Mischung aus Exzess und eigenständiger Bildlichkeit entkommt. Der Schnitt ist sehr präzise, manchmal geradezu brutal. In den Filmen, die sich auf Pialat berufen — die meisten sind Chroniken, beispielsweise aus dem Leben eines Jugendlichen in einem Pariser Vorort, der seine ersten Liebeserfahrungen macht und tief in irgendwelchen Sozialproblemen steckt, zum Beispiel mit seinen Eltern —, da gibt es dann meist diese wütende Leidenschaft des Schnitts nicht, die der wütenden Leidenschaft des Filmemachers Pialat entspricht, eine bittere Leidenschaft, die auch seine Figuren haben. Wenn man sich beispielsweise Guy Marchand in Loulou ansieht, so findet man da eine Art Trunkenheit des Schwachseins. Beispielsweise beim Sex. Egal wer in diesen Filmen mit einer Frau schläft, wenn es ihm gelingt, eine Frau zum Orgasmus zu bringen, dann denkt die Figur: „Wie kann ich Schwächling so etwas zustande bringen? Wieso bin ich dazu in der Lage?“ Diese Trunkenheit des Gefühls der Schwäche führt dazu, dass in der Figur, wenn ihr so etwas gelingt, sofort Zweifel aufsteigen. Das klingt jetzt vielleicht kompliziert. Ich will damit nur sagen, dass Pialat keineswegs solche alltäglichen Chroniken geschrieben hat wie seine Nachfolger. Es gibt in diesem Kino eine besondere Gewalttätigkeit, die ich sehr poetisch finde.
Pierre Gras Diese Dominanz der schlechten Pialat-Kopien war übrigens sehr stark im französischen Kino der achtziger und auch noch neunziger Jahre. Außerdem gab es damals einen starken Einfluss von Bresson, einen falschen Bressonismus. Die Zeitschrift La Lettre du cinéma richtete sich seinerzeit gegen diese Tendenzen, die damals die Produktionslandschaft, insbesondere die der Debutfilme ziemlich beherrschte.
Marcus Seibert Den Artikel aus Trafic in Revolver 30 haben wir gerade wegen der für uns überraschenden Wendung gegen Bresson übernommen. Da wird ja die steile These aufgestellt, der eigentlich politische Filmemacher der achtziger Jahre sei Eric Rohmer gewesen. Das ist natürlich eine Provokation. Es geht allerdings in diesem Artikel anhand der Frage, wie man einen Film enden lassen soll, tatsächlich um die Frage, wie man politischen Film jenseits des Sozialdramas machen kann. An dieser Art politischem Kino bist du ja definitiv interessiert, wenn man sich Tip Top ansieht.
Serge Bozon Was ist der Unterschied zwischen einem sozialkritischen und einem politischen Film? In einem sozialkritischen Film geht es immer um sozial Benachteiligte. Deren Misere kann sexuell sein, aber auch Arbeitslosigkeit, Immigration gehören dazu. Ein politischer Film ist für mich etwas ganz anderes. Es geht da nicht um die Feststellung einer Schwäche oder eines beklagenswerten Mangels in einem bestimmten sozialen Milieu, sondern um das Spiel der Kräfteverhältnisse zwischen Figuren, die alle nicht zu bemitleiden sind. Wenn man sich Rohmers L’Arbre, le maire et la médiathèque (Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek) ansieht: Der Bürgermeister, gespielt von Pascal Greggory, ist ganz sicher nicht zu bemitleiden. Er ist schlicht von der Idee erfüllt, die damals die Sozialisten umtrieb, die Kultur in die Provinz zu bringen, Frankreich zu dezentralisieren. Ähnlich der Lehrer, gespielt von Fabrice Luchini. Der ist auch nicht zu bemitleiden. Er will die historische Integrität seines Dorfes verteidigen. Und aus diesem Verhältnis der beiden Figuren, die beide nicht zu bemitleiden sind, aus der Auseinandersetzung der beiden Kräfte resultieren abstraktere Fragen, wie die des Verhältnisses von Dezentralisierung der Kultur und Ökologie. Wer eine Mediathek in einem Dorf haben will, muss einen Parkplatz für die Besucher bauen. Das sorgt für weitere Umweltverschmutzung und in diesem Fall muss ein alter Baum abgeholzt werden. Daraus entwickelt sich ein sehr lustiger Konflikt ohne diese urbane Verzweiflung, die uns viele Arthouse-Filme aufdrängen, diese ultramoderne Einsamkeit des Individuums. Der Film von Rohmer schafft es, allgemeinere Fragen zu thematisieren als die schiere Anklage der Verhältnisse, wie sie aus dem sozialen Milieu der Protagonisten resultieren könnte.
Ähnliche Filme haben aber auch andere Filmemacher gedreht, zum Beispiel Marie-Claude Treilhou. Sie gehört zu den Filmemachern, die wir bei Lettre du cinéma immer ganz besonders verteidigt haben. Sie hat mit der Produktionsfirma Diagonale von Paul Vecciali zusammen gearbeitet — wie übrigens auch die Filmemacher Jean-Claude Biette, Jean-Claude Guiguet und Jacques Davila. Einer ihrer Filme heißt Un petit cas de conscience,
Saskia Walker … übersetzt etwa Ein kleiner Fall für Gewissensbisse.
Serge Bozon Der Film handelt, wie der Film Je crois von Pagnol, wo es um einen Nachbarschaftsstreit wegen eines überhängenden Baumes geht, von einer kleinen vermischten Meldung, gelangt aber zu ganz allgemeinen Fragestellungen, jenseits von Anklage oder Mitleid. Das sind gleichzeitig sehr witzige Fragen: Wie geht man als überzeugter Veteran des Klassenkampfes damit um, wenn man illegale Einwanderer beschäftigt und in der Wohnung Sachen verschwinden, weil sie offenbar geklaut werden? Kann man überhaupt als linker Ideologe illegale Einwanderer in einem solchen Fall zur Rede stellen? Das wird wie bei Rohmer als Komödie und sehr lebendig erzählt. Man kommt zu ungewöhnlichen Fragestellungen bezüglich politischen Engagements und Gewissensdingen. Es gibt dazu auch einen wunderbaren amerikanischen Film von Sidney Lumet Running on Empty (Die Flucht ins Ungewisse). Da geht es um ehemalige linke Terroristen.
Pierre Gras Sie haben einen pubertierenden Sohn, ein bisschen wie bei Petzolds Innere Sicherheit.
Serge Bozon Der Film von Lumet behandelt die Frage, was aus militanter politischer Einstellung wird, wenn man eigentlich ausgestiegen ist. Wie wirkt sich das aufs alltägliche Familienleben aus? Wie bringt man sein Kind in die Musikschule, wenn man weiß, dass die Polizei immer noch hinter einem her ist?
Marcus Seibert Bei Mods hat man schon gesehen, dass du eine bestimmte Vorstellung von Komik in deinen Filmen hast. Tip Top zeigt das noch zugespitzt. Es gibt da allerdings eine sehr familiäre Darstellung der Lebensumstände der franko-algerischen Familien. Das wirkt fast wie das eigentliche Leben, in das die Polizeiermittler und ihre Spitzel, die allesamt völlig überdreht und verrückt wirken, einbrechen und Unheil anrichten.
Serge Bozon Das stimmt. Die Idee dabei war die, dass ich keinen Film über zum Beispiel eine algerische Zeitschrift machen wollte, die zum Beispiel kein Büro in Paris angemietet bekommt, weil alle Vermieter im Grunde Rassisten sind. Ich wollte einen Film über das Verhältnis von Frankreich und Algerien machen, aber nicht pseudo-dokumentarisch. Ich wollte etwas ganz Einfaches erzählen, wie das bei komischen Filmen oft der Fall ist, die ja auf ganz einfachen Oppositionen aufbauen, wie bei Laurel und Hardy, der eine ist dick, der andere sehr dünn. In Tip Top ist das Prinzip, dass alle Franzosen mehr oder weniger besessen sind von Arabern, genauer Algeriern und umgekehrt der einflussreiche Algerier, dessen Ermordung Auslöser der Geschichte ist, ein von Frankreich, genauer von der „Grandeur“ Frankreichs Besessener war. Das rekurriert allerdings auf eine wahre Geschichte: Die Islamisten hätten 1991 fast die Macht in Algerien übernommen. Das Militär hat damals die Wahlen für ungültig erklärt. Das hat der islamistischen Gewalt enormen Vorschub geleistet und viele Repräsentanten des algerischen Staates sind danach Opfer von Attentaten geworden, insbesondere Polizisten. Es gab zahlreiche Polizisten, die deshalb nach Frankreich geflohen sind. Dort konnten sie aber nicht mehr offiziell als Polizisten arbeiten und sind vielfach Spitzel geworden. Ich fand die Idee sehr romantisch: „Was wird aus einem Polizisten, der zum Spitzel wird in einem Film ohne jeden Gangster?“ Die kriminalistische Untersuchung findet ja zwischen der „Polizei der Polizei“, die innerhalb der Polizei ermittelt und der Polizei, gegen die sie ermittelt, statt. In diesem System ist der Spitzel das Maximum an Illegalität. Gegen die üblichen französischen und deutschen Krimis, in denen man Polizisten im Kampf gegen Mafiosi zeigt, wo nicht selten diese eher trübsinnige gegenseitige Faszination dadurch erzählt wird, dass der Polizist gerne so viel Drogen oder Prostituierte hätte wie der Bandit, wollte ich einen Film machen, in dem die Frauen die Hauptrollen spielen. Im Gegensatz zu den Männern ist keine der Frauen von mafiösen Ideen fasziniert, nicht einmal von irgendeiner Form von Illegalität. Sie sind derart gegen jede Illegalität eingestellt, dass einen das fast schon wieder aggressiv macht.
Wenn ich sage, alle Franzosen sind von Arabern besessen, dann folgt das übrigens der Idee, alle Charaktere im Film als vollständig obsessiv darzustellen. Bei den Frauen ist diese Obsession vorwiegend libidinös, sexuell. Ihre Ehemänner sind Araber. Dagegen ist die Obsession von François Damiens nicht sexuell, sondern eine der Sprache und der Religion, auch wenn er beides nicht wirklich beherrscht. Bei seinem Chef geht es weder um Sexualität noch um die Sprache. Den faszinieren die realen Unruhen in Algerien. Der arabische Frühling ist ja damals in Algerien nicht zustande gekommen. Und wenn sich dieser Chef umbringt, so klingt das wie ein Echo auf die fehlgeschlagenen Unruhen.
Marcus Seibert Tip Top ist die Verfilmung eines Pulp-Krimis, in dem es allerdings überhaupt nicht um Algerien geht, was aber meiner Ansicht nach die eigentliche Substanz des Films ist. Wie ist das in der Arbeit am Stoff entstanden? Welche Rolle spielt da der Roman überhaupt noch?
Serge Bozon In der Tat: Im Roman geht es überhaupt nicht um Algerien. Der spielt in Großbritannien, eher so in einem schicken, reichen Milieu. Es gibt da aber diesen aggressiven Humor und zwei Heldinnen, ein Polizisten-Team, das auf diese einfache und komische Art verbunden ist, dass die eine die andere sein will und auch genau so aussehen will wie die andere. Sie muss erst mal ihre Frisur ändern, sich anders kleiden. Die Teamarbeit endet, wenn die mimetische Veränderung abgeschlossen ist, wenn die Figur von Sandrine Kiberlain genauso angezogen ist wie ihre Chefin, genauso spricht und genau so frisiert ist und sich genauso wie ihre Chefin nachts von ihrem Mann schlagen lässt. Das gefiel mir im Buch. Was mir gar nicht gefiel und was leider auch in der Musik oft mit diesem aggressiven Humor einhergeht, das war die zynische Seite des Romans, dieser Spaß am Massaker. Alle Leute in dem Buch sind fies und verdorben, alle Frauen betrügen zum Beispiel ihre Männer. In meinem Film ist das anders. Sie lieben ihre Ehemänner.
Für das Publikum wollte ich also diesen aggressiven Humor halten, aber diese zynische Seite eines Massaker-Spiels weglassen. Das Beunruhigende speist sich dafür aus der Beziehung zwischen Frankreich und Algerien. In den B-Movies, bei Jacques Tourneur und Ulmer zum Beispiel, ist das ähnlich. Da spürt man eine tiefgreifende Beunruhigung, die sich nicht aus der erzählten Geschichte selbst speist. Das ist eher eine fixe Idee, von der die Figuren besessen scheinen. In den B-Movies gibt es nur wenige verschiedene Dekorationen und nicht mal viel Handlung. Wenn also eine Figur in eine Dekoration zurückkehrt, so wirkt das oft wie eine unbewusste Handlung. Als ob sie zu Traumzuständen neigt. In Tourneurs Filmen denkt man oft, die Figuren seien Traumwandler, als hätten sie derart viele Nächte durchgemacht, dass sie nur noch ganz leise sprechen können und ihnen dabei die Hände zittern. Oder wie die Migränen von Dana Andrews in The Fearmakers von Tourneur. Die Beunruhigung ist also nicht nur sozial über die arabisch-französischen Verhältnisse bestimmt, sondern auch filmisch über diese Art traumwandlerischer Besessenheit der Figuren. Die Nachtszenen sind deshalb in meinem Film allesamt nicht komisch, sondern singulär und beunruhigend, wie zum Beispiel die Szene der beiden alten Polizisten, die sich am Ufer eines Sees treffen und sich die Träume erzählen, die sie nicht mehr träumen, weil sie nicht mehr schlafen können.
Marcus Seibert Das Licht ist in diesen Szenen sehr eigenwillig gesetzt. Helle Lichtflecken und scharfe Kontraste. Lichtsetzende Kamerafrau ist deine Schwester, Céline Bozon.
Serge Bozon Ja. In Tip Top ist die Beleuchtung der Nachtszenen sehr ausgefeilt. Wir haben das in der Dämmerung gedreht, in der dreiviertel Stunde, in der im Hintergrund noch genug natürliches Licht ist. Die Vordergründe sind dagegen sehr frontal ausgeleuchtet, mit Fresnel-Leuchten ohne Filter oder Folien. Diese Fresnel-Leuchten wurden in den fünfziger und sechziger Jahren viel benutzt. In der digitalen Nachbearbeitung konnten wir dank des Drehs in der Dämmerung die vorhandenen Lichtwerte im Hintergrund noch absenken, ohne dass die Kontraste verschwinden. Das wirkt dann weniger wie eine amerikanische Nacht, als wie eine Nachtszene, bei der man in weiter Entfernung Scheinwerfer für den Hintergrund aufgestellt hat, um das ein bisschen aufzuhellen. Das ist ein lustiger Effekt, ein bisschen wie die Beleuchtungssituation in Aquarien. Ich mag das.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 10.07.2017
ISBN: 978-3-7438-2208-5
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Revolver ist eine Filmzeitschrift von Filmemachern herausgegeben und erscheint halbjährlich. Der Schwerpunkt liegt auf Werkstattgesprächen „auf Augenhöhe“. Die Redaktion sind Christoph Hochhäusler, Benjamin Heisenberg, Franz Müller, Nicolas Wackerbarth, Marcus Seibert, Saskia Walker, Zsuzsanna Kiraly, Hannes Brühwiler, Istvan Gyöngyösi und Cécile Tollu-Polonowski.