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Bye, bye Marissa Flaire & Willkommen Rissa Hallingway...

Langsam zog ich meine Hand wieder zurück und wühlte mit der linken nach einer Taschentuchpackung, welche sich in meiner Handtasche befinden sollte. Als etwas raschelte, zog ich sie heraus, öffnete den kleinen Klebeverschluss und zog eines der übrigen fünf Tücher hervor.
„Die Firma dankt.“ Witzelte mein Chef, während er seine Hose wieder zuknöpfte. Schmunzelnd wischte ich seinen weisen Saft von meinen Fingern. Zwischendurch warf ich einen Blick auf die Uhr an meinem linken Handgelenk. „Zählt das, als Überstunde?“
Er warf mir durch seine dunkelbraunen Augen einen amüsierten Blick zu. „Nur, wenn es eine Stunde gewesen wäre.“ Zehn Minuten... Naja, knapp dran.
„Und wenn ich alle zehn Minuten der letzten Monate zusammenzähle?“ Stichelte ich weiter und machte mich daran mein Hemd zuzuknöpfen und meine Brüste wieder in die richtige Position zu bringen, sodass sie betont wurden, doch nicht vollständig heraus ploppten. Nicht, dass mir noch eine von ihnen aus Versehen in die Suppe eines Gastes fiel, wie meiner nuttigen Kollegin. Ich bin bloß bitchig, aber sicher niemals nuttig!
„Naja... Vielleicht ein einmaliger Bonus im Frühling dann.“ Grinste mein Chef und rieb sich nachdenklich sein kurzes Bärtchen.
„Ja, klar.“ Warte... wo ist mein Höschen? Ah! Da auf der Lampe. „He! Die holst du mir aber wieder runter.“
„Wie du mir, so ich dir.“ Mit diesen Worten erfüllte er mir meinen Wunsch und hielt es mir frech grinsend hin.
„Ha, ha. Sehr witzig.“ Blockte ich ab und überprüfte mein Aussehen im Spiegel. Ich sah aus, wie immer. Fast schwarze große Augen, hellblonde Haare mir einem leichten Rosastich und einigen lockeren Wellen, welche sich zur Mitte meiner Taille wickelten. Dazu trug ich mein Kellneroutfit. Nicht dass ich die Beste oder Fleißigste war. Das einzige was mich hier noch hielt, war mein Chef, weil ich ihm regelmäßig, wenn seine derzeit schwangere Frau gerade nicht wollte, einen blies. Win, win, sagt man da, nicht wahr? Ich verlor nicht meinen Job, er hatte auch etwas davon. Wenn man einmal von den vielen Beschwerden absah. Aber he! Wenn mir einer von diesen besoffenen Säcken an den Arsch fasst, sollte er auch damit rechnen können, dass sein Gesicht schonmal auf einer stabilen Holzfläche aufgeschlagen wurde.
„Bis morgen, Marissa. Und sei mal pünktlich!“
„Ja, ja.“ Keifte ich und wackelte mit schwingenden Hüften aus dem Büro hinaus. Wissend blickte mich meine rothaarige Arbeitskollegin an und hob angeekelt das Kinn, als ich an ihr vorbei stöckelte. Als ich vorbei war, hustete sie gekünstelt. „Schlampe.“
Elegant machte ich, mich am Absatz drehend, kehrt und funkelte sie herausfordernd an, während ich meine rechte Hand in die Hüfte stemmte. „Hast du dich verschluckt, Froschpirinzessin.“ Jap, ich hatte sie gegoogelt! Blutrot lief die blöde Schlange an.
„Woher weißt du das?“ Jetzt passte wenigstens ihr künstliches Gesicht zu ihren gefakten Haaren. „Deine Mami hat es auf Facebook gepostet.“ Nun war ich es, welche triumphierend das Kinn hob und auffordernd mit einer Augenbraue wackelte.
„Mädels!“ Warnte unser Chef uns streng und warf die Bürotüre hinter sich zu.
„Die Schlampe stalkt mich Chef!“
„Geh nach Hause Rissa.“
„Klar, Chefchen!“ Willigte ich glücklich ein, da dieses Mal nicht ich die Standpauke bekam. Gemütlich stöckelte ich weiter und drehte dabei meinen Zuckerarsch mehr, als nötig. Dadurch konnte ich noch einige Sätze von der blöden Zicke aufschnappen, wie sie mich niedermachte. Aber ehrlich? Wen interessierte es schon, was sie dachte? Oh Gott! Sollte ich sie vielleicht warnen, dass ihr Gehirn von zu viel Überlastung kaputt gehen könnte? Ne, heute mal lieber nicht. Den spare ich mir für nächstes Mal.
An meinem Spind in der Umkleide zog ich mich aus, noch während ich meinen Code eintippte und hörte, dabei, wie ungeduldig mein Handy vibrierte. „Och...“ Stöhnte ich genervt. Meine Mutter! Sie wollte dieses Wochenende, also übermorgen herkommen, um sich mit mir zu versöhnen, oder irgend so einen Scheiß abziehen halt. Dabei dachte sie an ein Mutter-Tochter-Wochenende! Ja, klar! Welche Siebzehnjährige, mit einem gefälschten Ausweis, welcher bewies, dass sie neunzehn sei, will schon so etwas?
„Hi, Mum.“ Flötete ich lieblich ins Telefon, während ich das Gesicht genervt verzog. „Was gibts?“
„Miss Marissa Flare?“ Kam es von der anderen Leitung.
Sofort regte sich eine ganz klar gewohnte Sorge. Da kam es! Ein Schicksalsschlag, ich fühlte es so, wie ich es bereits mein ganzes Leben lang gefühlt habe. Jeden Tod, jede Veränderung, jeden Umzug, jedes gebrochene Herz. Immer wenn sich etwas dramatisch änderte... war ich die Erste, welche dies fühlte „Was ist meiner Mutter passiert?“
Zehn Minuten später kam ein, nach Rauch stinkender und fürchterlich zorniger Rotschopf in die Umkleide. Als sie mich jedoch am Boden hockend, halb ausgezogen und triefendnass entdeckte, hockte sie sich besorgt neben mich auf den Boden. „He, Süße! Was hast du denn? Was ist passiert?“

 

- - - - -

 

So kam es, dass ich >ihn< kennenlernte. Er war groß, das stimmte. Er besaß zudem so schwarze Augen, welche meinem eins zu eins glichen, dass mir ein kalter Schauder über den Rücken lief. Sein Kiefer war gezwungen aufeinandergepresst und seine Haltung sprach definitiv von starker Ungeduldigkeit.
Scheiße... „Hi.“ Begrüßte ich ihn, ließ meine Koffer auf den Boden fallen und starrte den Typ vor mir einen langen Moment lang an, während er mich von oben bis unten musterte.
Ja, der rosa Cowboyhut war übertrieben zu meiner schwarzen Metalaufmachung, doch ich hatte für ihn keinen Platz mehr in meinen Koffern gefunden und einen vierten wollte ich mir auf keinen Fall anfangen. Das wäre für diese Reise einfach zu viel gewesen.
Drei verdammte Staaten! Drei Staaten hatten uns mein ganzes Leben lang getrennt und nun starrte er mich an, als wäre er mächtig angepisst, alleine wegen meiner Anwesenheit.
Groß, wie ein Bär, baute er sich vor und ich zog hastig den Hut von meinem Kopf, da ich mir langsam lächerlich vorkam.
„Ein ganzes Jahr?“ Fragte der Bär von Kerl plötzlich. Ein dunkles Tattoo zog sich über seinen Hals hinab und verschwand in dem V-Ausschnitt des Shirts, welches er trug.
„Eineinhalb eigentlich.“ Korrigierte ich ihn. Nicht weil ich stolz auf die letzten achtzehn Monate meines Lebens gewesen wäre, aber ich war stolz darauf, mich die letzten achtzehn Monate bereits ganz alleine durchgeschlagen zu haben.
Er schnaufte abweisend. „Ich nehme die beiden großen.“ Plötzlich wirkte es, als würde der mächtige Baumstamm, welcher die halbe Bushaltestelle einnahm, einfach umfallen, doch stattdessen ergriff er bloß die schmalen Griffe meiner Koffer und hob sie hoch, als wögen sie überhaupt nichts.
Ich griff nach meiner Fan-Handtasche, so wie meinem mittleren Koffer und folgte ihm zum Parkplatz. Die ganze Zeit über, ging ich in seinem Windschatten, da sich die Menge an Passanten auf der Straße für ihn bereitwillig trennte.
An einem schnittigen BMW blieben wir stehen. Dort lud er den mittleren Koffer in den kleinen Kofferraum und meine beiden großen hievte er einfach auf die Rückbank. „Darf ich fahren?“ Fragte ich strahlend, doch kannte die Antwort bereits.
„Du hast glück, dass du überhaupt Platz in meinem Baby nehmen darfst!“ Keifte er und schubste mich in Richtung der Beifahrerseite.
Die Augen genervt verdrehend deutete ich eine Verbeugung an und zog meinen rosa Hut, mehr zum Spott als Respekt. „Wie gütig, Eure Hoheit.“
Um seine schmalen Lippen erschien so etwas, wie ein Schmunzeln, bevor er auch schon mit seinem breiten Kopf in dem, für meinen Geschmack, zu ihm unpassenden Wagen verschwand.
„Sieh es als einen... Familienvorteil an, bis du deinen eigenen Führerschein hast.“
„Ich habe einen!“ Beklagte ich mich und kramte in meiner Handtasche danach.
„Einen richtigen!“ Motzte der Bär neben mir.
„Oh!“ Ich nickte verstehend. „>Sie< wollte nicht, dass ich ihn mache, bevor ich achtzehn bin.“
„Verstehe ich... Außerdem her mit diesem Scheiß!“ Kurzerhand entwandt mir der Scheißkerl einfach meine Tasche und kramte geübt nach meiner Geldbörse.
„Du Wichser! Gib sie wieder her!“
„Wie nennst du mich?“ Knurrte er plötzlich und funkelte mich wütend an.
„Einen thestosteron gesteuerten Irren, wenn du dich besser fühlst!“ Gab ich gekonnt zickig zurück.
Zufrieden nickte er. „Damit kann ich leben.“
Stöhnend warf ich mich im Sitz zurück und verschränkte beleidigt meine Arme vor dem Oberkörper. „Super! Von Mama-Peinlich direkt in die Arme von Papa-Bär!“ Noch ätzender ging es doch wirklich nicht.
„Hey! Ich wusste bis vor drei Wochen noch nicht einmal irgendetwas von dir! Schon gar nicht, dass du exakt so bist, wie unser Vater und das ist wirklich krank, wenn du es genau wissen willst.“
Wieder hellhörig geworden, blickte ich unsicher zu ihm. „Ich bin, wie er?“
„So leid es mir tut, aber ja, ganz offensichtlich sogar. Ihr habt dieselben Gesichtsproportionen und offenbar auch ein ähnliches Mundwerk.“
Seltsamerweise musste ich ein wenig stolz lächeln. Bis vor drei Wochen hatte ich, ebenfalls, nichts von meinem Vater gewusst. Mama sagte, es sei bloß irgend ein Typ aus irgendeiner besoffenen Nacht gewesen. Erst nach ihrem Tod vor fast drei Wochen, als meine richtige Geburtsurkunde, aufgetaucht war, erfuhr ich den Namen von ihm, die Polizei machte ihn ausfindig und kurzerhand war die Sache für das Amt geregelt. Er hatte offiziell unterschrieben. Jetzt sollte er seine, noch minderjährige und offenbar jüngste, so wie einzige, Tochter auch ausbaden.
„Das war kein Kompliment!“ Mahnte mein Bruder mich.
Grinsend nahm ich meine Tasche wieder entgegen und blickte ein wenig wehmütig meinen falschen Ausweisen hinterher, die er aus dem halb geöffneten Fenster fallen ließ. „Wenigstens weiß ich, dass zumindest einer in meiner Familie mich versteht und mögen wird.“ Die Worte kamen schroff aus meinem ungeschliffenen Mundwerk. Murrend wandte sich mein Bruder ab und startete den Wagen. Das Pedal durchgedrückt, schlitterten wir vom Parkplatz und fuhren nach einiger Zeit auf eine Autobahn auf.
Nach fünfzehn Minuten eisernen Schweigens ploppte mit einem Mal mein linker Ohrstöpsel heraus. „Alter!“ Keifte ich zornig. Ich hasste es, wenn das jemand machte.
„Wir sind gleich da, zieh deine Stiefel wieder an.“
„Das wäre auch freundlicher gegangen.“ Meckerte ich weiter. Ich wusste einfach nie, wann es genug war. Eine der Eigenschaften, die meine Mum fast täglich auf die Palme und mich, als Problemkind, zum Direktor gebracht hatte.
„Wir hätten auch bei der Fahrt miteinander reden können, anstatt das du mich einfach ausblendest.“
Was soll denn diese Anspielung? „Du hast doch mich ignoriert!“
„Ich habe mich auf den Verkehr konzentriert, aber reden hätten wir trotzdem gekonnt.“
„Schenks dir.“ Schnaufte ich und hatte damit das letzte Wort.
Bis wir ein langes, mit einem Eisenzaun umfasstes Grundstück mit viel zu vielen Bäumen darin hochfuhren, war mir dann doch wieder nach Reden zumute. „Fuck, lebe ich jetzt im Wald?“
„Pass auf dein Mundwerk bitte auf, wenn wir zuhause sind. Vanja hasst es, wenn man vor unserem Sohn flucht.“
„Ich bin Tante?“
Mein Bruder schien dies eben erst aufzugehen. „Offensichtlich.“
„Oh, Shit und ich habe nichts, als Geschenk mitgebracht.“ Wenn es eines gab, mit dem ich klarkam, dann waren dies kleine Kinder. Männer vergraule ich rasch und mit Frauen kam ich oft in einen Bitchfight. Aber Kinder gingen. Kinder mochten mich und ich sie. Da war ich immer so etwas, wie die coole Tante Rissa. Mu ha ha!
„Mir hast du auch keines mitgebracht.“
„Als hätte ich daran bloß einen Gedanken verschwendet!“ Okay, das war wohl etwas zu ehrlich, denn er konzentrierte sich erneut auf die Straße und presste seine Lippen fest aufeinander. „Nicht, weil ich nicht gewollt hätte. Es war nur... Ich hatte nicht wirklich den Kopf dafür und plötzlich musste ich schon mit den Zügen und dem Bus hierher...“
„Versteh schon.“ Würgte er meine mangelnde Entschuldigung ab und wirkte gleich nicht mehr ganz so angespannt.
„Wie lange lebst du schon auf diesem riesigen Grundstück?“ Man fuhr fast fünf Minuten mit dem Auto den Kieselweg hinauf, mehrere Kurven nehmend durch den Wald, bis man endlich etwas hellgrüne Fläche ausmachte.
„Mein ganzes Leben. Ich wurde hier in einem der Zimmer geboren.“
„Zuhause?“ Stieß ich angeekelt hervor.
„E-Eine Familientradition.“
Erschrocken musterte ich das Profil meines Bruders. „Nicht dein Ernst! Deine Frau hat ihr Kind auch hier bekommen?“
Er zuckte mit den Schultern. „Klar, wieso auch nicht.“
„Das ist aber gefährlich, oder? Wenn irgendwelche Komplikationen eintreten...“
„Marissa, wir haben in der Familie einige fähige Ärzte, keine Sorge.“ Versicherte er mir.
„Okay, wenn du das sagst. Aber nenn mich bitte lieber Rissa. Ich hasse diesen fürchterlichen Namen!“
Mein Bruder grinste plötzlich gefährlich breit.
„Was?“
„Unser Vater hat ihn dir gegeben, wusstest du das?“
„So ein fieses Arschloch!“ Bemerkte ich ebenfalls so breit grinsend, wie er.
Für einen Moment zuckte sein Blick zu mir und ich erkannte, abgesehen von unseren wenigen äußeren Ähnlichkeiten auch etwas anderes.
Logan ist gegen unser beider Willen mein Bruder. Ob ich es glauben mochte oder nicht, aber ich bin nicht bloß eine Marissa Flaire. Nein, ich bin auch eine Rissa Hallingway. Wie viel mehr ich eine Hallingway war, würde mir erst in den nächsten Monaten und Jahren bewusst werden...

 

- - - - -

 

Kaum hatte der schwarze BMW vor einer übergroßen, steinernen Villa geparkt, öffnete ich die Wagentüre und sprang regelrecht hinaus. Der Anblick war der Wahnsinn! Überall um mich herum war pure Natur. Nichts, außer der großzügig gehaltene Rasen, um die alte Villa herum, wurde gemäht. Dahinter in den Wäldern fand man bloß üppiges Gestrüpp und tief hängende Äste. Was darin verschwand, fand man so leicht nicht wieder.
„Wenn du dich mal verlaufen solltest, such einfach den Eisenzaun. Wenn du ihm folgst, kommst du irgendwann einmal vorne am Tor heraus. Dort kannst du entweder an der Gegensprechanlage vorne im Haus anrufen, oder selbstständig zurückgehen.“
„Klar, Chief.“ Ich beachtete meinen Bruder nicht einmal, so gefesselt war ich von den dicken Gewitterwolken, tieffliegenden Vögeln, den Geräuschen der Grillen und dem herrlichen Duft, welcher um meine Nase wehte. Tief atmete ich ein und nahm jedes Detail ganz genau auf. Wer wusste schon, wann sie die Nase voll hatten und mich hinaus warfen?
„Chief?“ Kicherte eine brünette, umwerfend und aristokratisch schöne Frau. Mit einem, in einem Anzug gekleideten Jungen Mann im Arm, kam sie die Treppe herab. „Hallo, Marissa.“ Begrüßte sie mich und nahm mich kurzerhand einfach in den Arm, wobei sie darauf achtete, dass mir ihr Sohn nicht direkt den Hut vom Kopf stahl.
„Rissa reicht. Und du bist dann Vanja, Logans Frau?“ Sie nickte bestätigend. „Und du kleiner Mann?“ Fragte ich den süßesten Anzugträger aller Zeiten. Er hatte genauso dunkle Augen, wie sein Vater und ich. Man erkannte also die Verwandtschaft auf Anhieb.
„Das ist Adam, er ist etwas schüchtern, wenn es um noch Fremde geht.“
„Tja, dann werden wir das bald ändern müssen.“ Grinste ich den Kleinen an, auf dessen Wangen sich verräterische kleine Grübchen bildeten, bevor er verlegen sein Gesicht in den kurz gehaltenen Haaren seiner Mutter versteckte.
„Magst du Kinder?“
„Mögen?“ Ich verzog das Gesicht, was sie sichtlich für einen Moment ein wenig verunsicherte. „Soll das ein Witz sein, ich liebe Kinder.“ Erleichtert begann Vanja zu lachen.
„Na wenn das so ist, weiß ich schon, wer am Wochenende mal Babysitten darf, damit der Gnädige keine Ausrede mehr hat, weshalb wir nicht einmal schön ausgehen können.“
Beleidigt schlug mein Bruder die Kofferraumtüre zu. „Nicht einmal meine eigene Schwester würde ich alleine mit Adam lassen!“ Knurrte er, packte meine Koffer und trug sie hinein.
„Oh! Wie er versucht höfflich zu sein und das >besonders nicht< verschluckt. Ich bin ja schon beinahe gerührt.“ Spottete ich, schnappte meine Handtasche und hing sie über meine Schulter.
Vanja lachte heiter, was mich darauf schließen ließ, dass sie eine viel zu nette Person war. Gott, die Arme würde ich bald dermaßen vor den Kopf stoßen, dass sie tagelang weinend in ihrem Bett verbringen wird.
Gemeinsam folgten wir Logan hinein durch die breite, verglaste Doppeltüre. Vanja entließ ihren Sohn aus ihrer mütterlichen Fürsorge, woraufhin er davon tappte, Gott weiß wohin, während ich erneut staunend meinen Mund vergaß zu schließen. „Wurde die Hälfte meiner Familie etwa aus dem Arsch eines Goldesels gequetscht?“
„Marissa!“ Schimpfte Vanja.
„Rissa!“ Mahnte mein Bruder gleichzeitig mit seiner Frau, bevor er mir deutete, ihm ein Stockwerk höher zu folgen. Auch wenn von draußen das Gebäude altmodisch wirkte, so war es drinnen hightechmäßig moderner als das Weiße Haus. In einer halb geöffneten Türe konnte ich sogar mehrere, offensichtlich miteinander verbundene Computer erkennen. „Kommst du jetzt? Du hast später noch genug Zeit zu schnüffeln.“
„Ja, ja.“ Ich hüpfte die Treppe, zwei Stufen auf einmal nehmend, genauso wie mein Bruder, hinauf, während von unten erneut Vanjas Stimme erklang.
„Logan, Schatz! Sei nett, ja!“
Von oben antwortete ihr Gegenstück. „Ich bin >immer< nett! Die anderen merkens nur nie.“
Ich lachte begeistert. „Cool, wir haben ja doch etwas gemeinsam.“ Stichelte ich und öffnete für ihn die Türe, vor welcher er nun stand. Sie besaß einen Türknauf und war von innen abschließbar, wie mir gleich darauf auffiel. „Yes.“ Zischte ich leise.
„Was?“ Fragte mein Bruder und warf die Koffer einfach auf das Kingsizebett. „Ist das mein Bett?“
Logan nickte und warf sich einige, ins Gesicht gefallene Haare zurück. Er trug sie halblang nach hinten gekämmt, so ähnlich wie eine Mähne und war im Gegensatz zu meinem, haselnussbraun mit einem Hauch von Rot, welches kaum auffiel. „Zu klein?“
„Bist du wahnsinnig? Ich werde elf Zwölftel davon nicht einmal brauchen, so groß ist es.“
„Willst du ein anderes? Ich kann heute noch eines kaufen fahren.“
Entgeistert starrte ich ihn an. „Wie reich seid ihr denn bitte?“
„Reich genug, um selbst einen goldenen Esel zu besitzen und nicht aus seinem Arsch gefallen zu sein.“
Ich zuckte bloß, mich nicht dafür entschuldigend, mit den Schultern und machte mich daran meine plötzlich so klein und alt wirkenden Koffer auszupacken. „Links hier ist dein Badezimmer. Wenn du Vanja und mich suchst, wir sind am Ende des Ganges, und links von uns ist Adams Zimmer. Wenn dir deine Zehen also etwas Wert sind, dann trägst du dort drinnen bloß Hausschuhe.“
Ich grinste in mich hinein und konnte mir das Legosteinschlachtfeld bereits zu gut vorstellen. „Noch irgendetwas?“ Fragte ich, als Logan unschlüssig zwischen der Türe und mir hin und hersah.
„Nein. Ja. Ich weiß es nicht so genau. Hast du irgendwelche Vorlieben?“
Mit hochgezogenen Augenbrauen starrte ich meinen Bruder an. „Was?“
„Ich koche eigentlich fast immer, außer wenn ich auf Reisen bin. Und da es dein erster Tag ist, dachte ich, ich koche dein Lieblingsessen.“
„Pizza.“ Antwortete ich fast schon abweisend und widmete mich wieder meinen vielen Kleidungsstücken, so wie meiner Tasche voller Schmuck und anderem Kleinkram.
„Ähm. Ich dachte eher an etwas Ausgiebigeres. Du kannst dir wünschen, was du willst.“
Nachdenklich spitzte ich die Lippen und tippte mir ans Kinn. „Na wenn es mehr sein kann, dann nehme ich statt der Hawaii eben eine Provenziale.“
Ich hörte Logan seufzen, doch schenkte ihm keinen Blick mehr. „Stört es dich, wenn ich nicht bestelle, sonder sie selbst backe?“
„Mir egal, solange der Belag stimmt und es viel davon gibt.“
Plötzlich kehrte eine seltsame Ruhe ein, was mich etwas unbehaglich fühlen ließ. Neugierig drehte ich mich zu Logan um, welcher breit grinste. „Du bist definitiv eine Hallingway.“
Ich fühlte, wie ich etwas rot wurde, während mein Bruder einfach durch die Türe verschwand, ohne sich jedoch die Mühe zu machen, sie auch zu schließen. Seufzend ließ ich mich auf das Bett fallen, als seine Stimme doch noch erklang.
„Ach, ja. Raste dich gut aus, gegen sieben kommen die ersten Besucher.“
Schockiert hob ich meinen Kopf wieder. „Was?“ Besucher? Jemand wollte mich sehen? Aber... Aber warum? Das hier ist mein erster Tag, weshalb sollte man mich gleich überfallen wollen? Ich sollte mich doch erst einmal an meinen eigenen Bruder und meinen Vater gewöhnen, bevor die anderen Familienmitglieder mich ausschlossen.
Obwohl, auf meinen Vater konnte ich noch einige Monate warten, der hatte... irgendetwas in irgendeinem Dschungel zu tun. Keine Ahnung, ich hatte es genauso wenig, wie der Polizist verstanden, welcher es mir ausgerichtet hatte. Vielleicht würde Logan später meine Fragen beantworten können. Bis dahin entschied ich, dass es nach dreißig Stunden Fahrt- und Wartezeit endlich Zeit war, dass ich unter die Dusche kam.
Kurz erfüllte ich das nötigste, dann warf ich mich feucht und nackt wie Gott mich schuf ins Bett. Natürlich schloss ich die Türe vorher ab. Ich brauchte nicht, dass irgendjemand heimlich hier herumschnüffelte, während ich tief schlief und bloß von Schwärze träumte.

Marissa´s neue, schrecklich, große Familie...

Penetrantes, festes Klopfen ließ mich schlussendlich aus meinem erholsamen Schlaf fahren. „Verpiss dich!“ Maulte ich und warf den Polster über meinen Kopf.
„Die ersten Besucher sind bereits hier, schläfst du noch?“
„Ich war dreißig Stunden lang, wegen der beschissenen öffentlichen Verbindung hierher unterwegs! Klar schlafe ich noch!“ Oder hatte es vielmehr bis gerade eben noch getan. Jetzt jedoch, da ich wach war, knurrte mein Magen wie eine tollwütige Bestie und verlangte ebenfalls beachtet zu werden.
„Hast du da drinnen einen Hund?“ Hörte ich da etwas Belustigung, aus der Stimme meines älteren Bruders?
„Klappe! Gib mir fünfzehn Minuten.“
„Fünf!“ Kam es streng zurück, dann folgte das Entfernen seiner stampfenden Schritte. Kopfschüttelnd drehte ich mich herum, wobei mein Fuß in einem der halb geleerten Koffer verschwand. Ha... Stimmt, wegräumen musste ich ja auch noch!
Ne, für was denn? So lange würde ich ja ohnehin nicht bleiben. Mom hatte es auch keine vierzehn Jahre mit mir ausgehalten, bis sie mich das Erste und Letzte Mal hinausgeworfen hat. Zwar rief sie mich noch am selben Tag panisch an, dass ich heimkommen solle und wir schon alles regeln würden, doch blieb ich noch drei weitere Tage weg, einfach bloß, um sie zu bestrafen.
Ein seltsam gequältes Gefühl kam in mir hoch und legte sich auf meinen Brustkorb. Meine Mom war immer so überfürsorglich gewesen. Ständig musste sie mich bemuttern, meine Kämpfe austragen oder mir meine Kleidung kaufen, was schlussendlich immer scheußlich ausgesehen hatte. Ja, wir hatten definitiv nicht denselben Kleidungsstil besessen.
Während sie eine perfekt manikürte und pflichtbewusste Büroassistentin gewesen war, fühlte ich mich immer dazu verpflichtet meine Grenzen auszutesten. Ich darf bloß bis zehn fort? Ich kam gegen drei Uhr morgens heim. Ich darf mich nicht mit einem bestimmten Typ Mann treffen? Ich ließ mich von ihnen entjungfern. Keine schwarze Kleidung, ich stahl ihr Geld. Nicht laut Musik hören, ich weckte die Nachbarn gegen ein Uhr morgens lautstark mit Flogging Molly.
Keine Ahnung, weshalb ich so war. Mum hat sich immer gut um mich gekümmert, mich nie geschlagen, auch wenn ich selbst fand, es verdient zu haben. Sie war auch immer auf der Stelle da, wenn es mir einmal schlecht ging. Gegen jede Logik hatte sie mich geliebt, doch ich hatte diesen... Freiheitsdrang gehabt. Ich wollte mich beweisen, alles um mich herum wegbeißen und bloß dieses Gefühl der Freiheit genießen.
Nein, Mama hatte niemals eine Chance gegen mein Hallingway Erbgut gehabt. Genauso wenig würde es mein Bruder haben, oder seine Frau. Ich wusste, ich würde einmal mehr beweisen, was für ein egoistisches, schwarzes Schaf ich doch in Wahrheit war.
Fünfzehn Minuten später erklang einmal mehr die liebliche Stimme meines Bruders. „Rissa! Wenn du bei drei nicht heraußen bist, entferne ich das Türschloss, das schwöre ich dir!“ Zornig polterte Logan´s Stimme durch den oberen Bereich des Haues.
„Ja, ja. Ich mus mich nur noch frisieren.“ Log ich und schälte mich endlich einmal aus dem Bett. Langsam trottete ich ins Badezimmer, um auf die Toilette zu gehen und einen Schluck aus dem Wasserhahn zu nehmen. Dann stand ich ratlos vor dem Haufen Kleidung. Naja, mit Schwarz konnte ich kaum etwas falsch machen. Gehüllt in einen dunklen Mini, so wie ein Top, welches hübsch eng anlag und eine meiner Lieblingsband zeigte, schlüpfte ich in die Ballerina.
Kaum war die Türe aufgeschlossen, stieg mir bereits ein lieblicher Duft in die Nase... Seufzend atmete ich ihn tief ein. „Lecker, Pizza!“ Fröhlich und einigermaßen wieder wach, sprang ich begeistert die Treppe hinab und landete mitten in einer Ansammlung von Menschen.
Oh Fuck! Wie viele Verwandte habe ich denn?
Manche waren so groß, wie Logan, doch nicht ganz so bärig und stämmig, wie er. Sie waren teils auch gemischtrassig. Trotzdem war der Großteil männlicher Natur und jeder warf mir einen, mehr oder weniger, neugierigen Blick zu.
Plötzlich fühlte ich so etwas, wie ein Dröhnen aus dem Boden kommen und blickte verwirrt hinab. Hatte irgendjemand den Bass zu heftig eingestellt? Oder war das gar ein Erdbeben? Als mein Blick suchend nach einem Verstärker durch die Menge glitt, blieben meine Augen in einem tiefen Schwarz hängen. Oh, oh! War mein erster Gedanke.
Keine zwei Sekunden später, stand mein Bruder direkt vor mir und blockierte meine Sicht auf die anderen. Oder, was ihm offensichtlich wichtiger war, den Blick auf mich. „So lässt du dich sicher nicht blicken!“ Knurrte er.
Ich tat natürlich, wie immer, vollkommen scheinheilig. „Liegt es an meinen Haaren? Ich weiß, sie sind noch nicht ganz trocken...“
„Rauf! Auf der Stelle!“ Seine Stimme polterte durch das gesamte Erdgeschoss. Himmel, woher hatte mein Bruder bloß diese Stimmlage? Im Stimmbruch musste er ja ordentlich zugelangt haben, um so einen bassbetont zu ergattern.
Stöhnend und mich darüber beklagend, wie ätzend ich ihn fand, ließ ich mich von ihm die Treppe Hochschleifen. Dabei fiel mir auf, dass er sich ständig neu positionierte, um mich vor neugierigen Blicken abzuschirmen.
In meinem Zimmer stolperte ich glatt gegen mein Bett. „Wehe du kommst noch einmal in dieser Aufmachung heraus!“ Drohte er und durchwühlte meinen Koffer nach etwas, seiner Meinung nach >ordentlichem<. „Bring deine Sachen bitte spätestens morgen in den Kästen unter! Und jetzt zieh etwas langes an, oder...“ Angestrengt dachte er darüber nach, mit was er mir drohen konnte. „... sonst bekommst du nichts von den Pizzen, die ich gemacht habe!“
Unbeeindruckt zuckte ich mit den Schultern. Ich hatte es schon einmal vier Tage ohne Essen ausgehalten. Kaugummi kauen und sehr viel trinken war der Trick dabei gewesen. „Egal, dann kann ich wenigstens weiterschlafen.“
„Rissa!“ Knurrte er erneut.
„Was denn, Logan?“ Ich betonte seinen Namen genauso strafend, wie er den meinen.
Stöhnend rieb er sich das Nasenbein, bevor er mich ernst anblickte. „Ich weiß nicht, wie deine Mutter dich die letzten Jahre behandelt hat, oder du die achtzehn Monate in Freiheit überleben konntest. Jetzt aber, wird sich das auf der Stelle ändern! Ich habe eine sensible Frau, ein kleines Kind und jede Menge Geschäfte, um die ich mich kümmern muss...“
Lieber Gott, wie ich diese dummen Sprüche hasse. >Ich bin ja so arm, ich habe eine perfekte Familie. Mein Beruf nimmt mich so ein und ich muss mich gegen meinen Willen, um eine kleine, freche Göre kümmern.<
Völlig unvorbereitet, landete Logans Handfläche an meinem Nacken und er drückte für einen langen Moment zu, es war das Gefühl, mich mit einem Mal ganz klein und unsicher zu fühlen, was in mir hochkam. Kälte ließ mich erschaudern, während ich Logans sichtlich dominanten Blick offenbar unterlegen war, doch ihm so lange, wie ich konnte, eisern standhielt.
Nach dreißig Sekunden, in denen wir beide herausfordernd die Luft anhielten, knickte ich buchstäblich ein. „Ja, ja. Ich mach ja schon!“
Zufrieden ließ er meinen Nacken sofort wieder los, welchen ich mir schmerzhaft rieb. Himmel, wo hatte er denn diesen Scheiß gelernt? War er einmal bei der Armee oder so gewesen? Jedenfalls musste ich mir diesen Trick ganz dringend merken. Vielleicht funktionierte er ja auch bei ihm so gut, auch wenn mir dafür vielleicht einige Zentimeter und jede Menge Anabolika fehlten.
Dieses Mal war ich schneller und gekleidet in meiner heftig zerrissenen, schwarzen, engen Hose und einem gemütlichen Tanktop. Immer noch wirkte Logan sehr unzufrieden. „Deine...“ Er räusperte sich und deutete mit einer Hand auf meinen Brustbereich, ohne dieser offenbar >gefährlichen< Zone zu nahe zu kommen. „...Dinger hüpfen ja fast raus.“
Stolz präsentierte ich sie ihm, natürlich enthüllte ich dabei nichts, sondern umfasste sie lediglich mit meinen Händen und wackelte ein wenig damit. „Klasse nicht? Das machen die Push-ups. Damit wirken sie, um eine Größe größer und werden perfekt präsentiert.“
Logan hielt sich abschirmend eine Hand vor die Augen. „Ja... Das geht überhaupt nicht!“ Meinte er streng. Mein lieber Bruder machte jedoch den Fehler seinen Blick abzuwenden, daher schlüpfte ich lautlos einfach an ihm vorbei. Erst an der Treppe machte ich auf mich aufmerksam. „Kommst du, oder bleibst du dort stehen?“
Verwirrt suchte er mich und wurde wieder wütend. „So gehst du bestimmt nicht...“ Zu spät, ich tänzelte bereits fröhlich hinunter und rief höflich eine Begrüßung in die Menschenmenge hinein, welche sichtlich belustigt wirkte.
„Hallo Leute!“ Ich schenkte ihnen allen mein breitestes und falscheste Lächeln. „Ich bin Rissa, Logans neue, alte, kleine Halbschwester.“ Mit einer kleinen Verbeugung machte ich meine Vorstellung komplett, während mein Bruder sich verärgert neben mir positionierte.
„Okay, das reicht. Hört auf, meine Schwester anzuglotzen, oder ich ziehe euch jetzt gleich allen das Fell über die Ohren!“ Einstimmig begann wieder das Murmeln und Lachen einer heiteren Gesellschaft.
„Sind wir mit denen allen verwandt?“ Flüsterte ich leise in Logans Richtung.
„Zum Großteil, irgendwie.“ Was war das denn für eine Antwort? „Viele sind enge Freunde der Familie und deren Angehörigen.“
„Und weshalb sind >die alle< hier?“ Freunde der Familie gut und schön, doch sollte ich nicht zuerst >meine< engere Familie kennenlernen, bevor ich überfallen werde?
„Um dich kennenzulernen. Du bist meine Schwester und jeder ist neugierig auf dich.“
„Wissen sie denn von meinem... letzten Jahr?“
Ich sah Logan bloß noch verbissen nicken, als bereits ein Junge vor mir stand, welcher mir seine Hand reichte. „Hi, ich bin dein Cousin Sam.“
Lachend reichte ich ihm meine Hand und ließ sie ihn schütteln. „Wie nett. Ich bin Marissa, aber hasse den Namen, daher nennen mich alle einfachkeitshalber Rissa.“
Verlegen lachte mein Cousin. „Oh, ich finde, dass Marissa ein genauso schöner Name ist.“
Mein Bruder schnaufte. „Keine Sorge, du wirst dich daran gewöhnen, Kleiner. Ich werde ihn vermutlich noch so oft in einem mahnenden Tonfall herumbrüllen müssen, dass du ihn schon sehr bald genauso >blöd< finden wirst, wie Rissa.“
Zur Strafe für den blöden Kommentar, obwohl er ja eigentlich recht hatte, boxte ich ihn in die Seite, woraufhin er schmerzhaft grunzte, doch keine Miene verzog. Ja, ja. Spiel nur den starken Mann. „Ich bin mir sicher, meine >Verwandten< werden es verkraften.“
Sam, mein dunkelhaariger Cousin nickte zustimmend. „Das ist wahr. Ach, ja. Wir werden in dieselbe Schule gehen, also wenn du Lust hast, kann ich dich morgens aufgabeln?“
„Schule?“ Ächzte ich angeekelt. Ich bin fast achtzehn, ich muss nicht mehr zur Schule.
„Das wollte ich ihr eigentlich erst später erzählen.“ Murrte Logan Sam an, welcher leicht blass wurde, sich entschuldigte und rasch die Biege machte. „Ich konnte dich für das letzte Semester anmelden, damit du deinen Abschluss nachholen kannst.“
Nun verzog ich das Gesicht. „Ich bin achtzehn, ich gehe bestimmt nicht mehr mit den ganzen fünfzehnjährigen in eine >Klasse<.“
Mein Bruder zuckte bloß mit den Schultern. „Tja, das hättest du dir vor dem Schwänzen überlegen sollen. Außerdem >wirst< du erst achtzehn.“
Empört forderte ich ihn zu einem Starrkampf auf, da die meisten meinem dunklen Blick rasch unterlagen, doch erinnerte mich dann sofort an das seltsame Gefühl, als Logan meinen Nacken gepackt hatte. Nein, das brauchte ich ernsthaft nicht schon wieder. Zudem kam bereits der nächste Gast und lenkte unsere Aufmerksamkeit ab. „Nick, das ist Rissa, meine kleine Halbschwester.“ Stellte Logan mich dem großgewachsenen, fast grauhaarigen Mann vor.
Er streckte mir die Hand hin. „Schön dich kennenlernen zu dürfen.“
„Danke, und ich mich auf meine Pizza. Ich bin am Verhungern.“ Ich ließ die beiden Männer einfach stehen, obwohl es so schien, als wollten sie mir noch irgendetwas sagen, doch mein Hunger war einfach größer. Ich brauchte Nahrung! Sofort!
Ich fand die Küche ziemlich leicht, da ich bloß dem Gegröle folgen musste. Darin standen drei junge Männer, alle in nichts weiter, als knielangen Hosen gekleidet und aßen, um die Wette Pizzastücke. Die Säfte liefen dabei bloß so vor sich hin und ekelige Fingertapser wurden überall hinterlassen.
„Los! Los! Los!“ Jubelten fünf umstehende. Alles Männer, bis auf eine Frau, welche ihre Geldscheine genüsslich zählte. He! Weshalb durfte sie im Mini herumlaufen und ich nicht? Blöder Logan!
„Hi.“ Grüßte ich höflichkeitshalber und schlich zu einem Pizzastück, welches ganz weit weg von diesen Ekelpaketen war.
„Uh! Bist du etwa Rissa?“ Es war die Frau, welche begeistert aufsprang. „Du siehst ja tatsächlich so aus, wie Mal.“
„Mal?“ Fragte ich verwirrt, bevor ich herzhaft von einem großen Stück abbiss...
„Deinem Vater.“ Kurzerhand verschluckte ich mich und die Frau klopfte mir hilfsbereit auf den Rücken.
„Ich weiß nicht, ob das ein Kompliment ist, wenn ich aussehe, wie ein alter Mann.“
Lachend zog sie mich in eine Umarmung. „Oh, wie niedlich du bist. Ich bin mir sicher, du wirst mit Logan perfekt auskommen. Du musst wissen, er ist so etwas wie das Oberhaupt unserer Familien, seit euer Vater auf Reise ist.“
Ein Oberhaupt, was? Das erklärte sein strenges Verhalten. „Wie lange ist >Mal< schon auf Reisen?“
Sie zuckte mit ihren schmalen, nackten Schultern. „Zirka fünf Jahre, oder so.“
Das bedeutete dann also, dass er seinen Enkel und mich, seine Tochter das erste Mal gemeinsam kennenlernen würde? Gut, dann lag wenigstens die Aufmerksamkeit nicht sonderlich auf mir. „Und seitdem ist Logan...“
„Das Oberhaupt, jap.“
„Von was denn überhaupt?“ Entenhausen, ist er etwa Dagobert oder so etwas? Reich genug wäre er ja dazu, bloß offensichtlich nicht allzu geizig.
„Hier in unserer Kleinstadt gibt es fünf Familien. Hat er dir denn noch gar nichts erzählt?“
Ich schüttelte den Kopf und schluckte das nächste Stück Pizza hinab, bevor ich sprach. „Ich bin erst seit fünf Stunden da und habe seitdem geschlafen.“ Und gestritten ein wenig. Aber das war erst der Anfang und zählte nicht wirklich.
„Was? Wieso denn das? Ich dachte, du wärst bereits seit gestern hier?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich war wegen der beschissenen Verbindung in dieses Kaff gut dreißig Stunden unterwegs. Die meiste Zeit davon habe ich mit Warten verbracht. Logan hat mich aber vom letzten Bus abgeholt, sonst hätte ich, um hierher zu kommen, noch einmal umsteigen müssen.“
Die Frau lachte und spielte nachdenklich mit ihrem Zopf. „Und wie findest du ihn bisher?“
„Logan?“ Sie nickte. „Er ist... herrisch, nervtötend, ein Besserwisser und spielt sich, als mein Beschützer und Vater auf. Also ja, ich denke wir kommen zurecht.“
Alle innerhalb der Küche begannen lautstark zu lachen, was mich seltsam erheiterte. Das Wettessen war für diesen Moment völlig in Vergessenheit geraten und einer dieser Jungs begann zu erzählen, dass ich vorhin mit einem Mini runter gekommen sei und Logan mich hinauf geschickt hatte, damit ich mich umziehe.
Ja, danke. Dies versuchte ich bis eben noch zu vergessen.
„Hach, mach dir nichts daraus. Mit Logan kommen eigentlich alle aus. Er ist bloß... ein wenig überführsorglich, wenn es um seine Familie geht.“
„Wie toll.“ Murmelte ich mit vollem Mund und griff nach dem dritten Stück. Aber kochen kann er wenigstens, das musste ich ihm eingestehen.
„Oh, Rissa! Hier bist du.“ Logan hielt sich am Türstock an, da er beinahe vorbeigelaufen wäre und blickte sich einmal in der Runde um. „War ja klar, dass du dir die Schwachköpfe unserer Familie heraussuchst.“
Einstimmig wurde er breit und stolz angegrinst.
„He, sie erzählen mir wenigstens etwas. Bei dir höre ich bloß irgendwelche dummen Vorträge.“ Motzte ich, mit dem vierten Stück in der Hand. Himmel, war ich heute wieder gefräßig.
„Einer muss es ja tun. Dein Wievieltes ist das denn überhaupt?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, mit dem einen habe ich eine ganze Pizza gefuttert. Gibts hier auch irgendwo eine Coke?“
Jemand öffnete den Kühlschrank und warf mir eine rote Dose zu. Ich fing sie geschickt ab. „Danke dir!“
„Gern.“ Kam es zurück und weitere Dosen, jedoch grüne mit Bier darin, folgten in hohen Bögen, ungefragt zu den anderen hier anwesenden. Selbst zu Logan, welcher sich damit umdrehte und ging.
„Sei nett zu ihnen.“ Mahnte er noch, bevor er die Dose ansetzte.
„Wie sind wir eigentlich verwandt?“ Fragte ich dann in den Raum hinein, immerhin kannte ich von ihnen keinen einzigen Namen.
Kurzerhand bekam ich die großmütterliche Seite der Familie vorgestellt und meine Cousine zweiten Grades. „Wow, unsere Familie wirft ja, wie Karnickel.“ Scherzte ich, als ich beim achten Stück angekommen war. Nun saß ich bereits am Esstisch und sah ihnen beim Wettessen zu. Irgendwie waren sie sogar witzig und von meiner groben Art kein bisschen abgeneigt.
Seltsam... Obwohl ich oftmals mit vollem Mund sprach, neben ihnen auf einem Hocker lümmelte, immer wieder fluchte und mich über diesen Teil der Familie einige Male lustig machte, lachten sie trotzdem mit mir und behandelte mich, als wäre ich schon länger, als nur fünf Stunden hier.
Gegen acht Uhr machte ich mich davon, da Vanja mich offensichtlich ein wenig herumführen wollte. Als wären wir bereits Freundinnen, hakte sie sich bei meinem Arm ein und grüßte verschiedene Leute. Immer wieder gab sie Erklärungen über irgendwelche Cousins, Tanten, Onkeln, oder irgendwelchen Groß-irgendetwas. Den Großteil merkte ich mir nicht einmal, was ich ihr auch aufrichtig gestand, doch sie lachte bloß.
„Das wird schon, meine Süße.“ Igitt, ich hasste es, wenn mich jemand so nannte. „Ich habe auch viele Familientreffen gebraucht, um alle zumindest mit Gesicht und Namen verbinden zu können.“
Oh, dann musste sie schon sehr lange mit Logan zusammen sein, oder? „Wie lange seit du und Logan bereits zusammen?“
„Sieben Jahre.“ Gestand sie kichernd.
Mir klappte der Mund auf. „Gott, ich halte es kaum länger, als eine Nacht mit einem Typen aus.“
Sie grinste breit. „Also bist du eine einsame Wölfin.“ Ich nickte, da der Begriff gut auf mich zutraf. Bissig, Einzelgänger und immer unterwegs. „Dann bist du genauso wie Logan.“
Ich verzog das Gesicht. „Logan und mich trennen ganz offensichtlich Welten.“
Liebevoll bedachte sie mich mit einem Blick, der mir sagte, sie wusste es besser, auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte. „Irgendwann wirst du auch den einen finden, bei dem es >Klick< macht und dann ist alles anders.“
Angeekelt verzog ich das Gesicht. „Klar, mein Ritter in der silbernen Rüstung.“ Ich verdrehte die Augen. „Bevor ich mich jemals binde, lasse ich mir beide Hände abhaken.“
„Das sagte Logan auch. Er war eher der Typ Mann, der Frauen auf dem Laufband hatte. Ein Blick auf mich und es war für ihn alles anders.“
Ja klar, wers glaubt. „Sicher, dass er dich nicht einfach hinterrücks bescheißt?“ Nicht dass ich ihm etwas unterstellen wollte, aber niemand ändert sich für irgendeinen daher gelaufenen Menschen von heute auf morgen!
„Ach, das könnte er nicht einmal, selbst wenn er daran einen Gedanken verschwenden wollte.“
„Wieso nicht?“ Betrügen war heutzutage gar nicht so schwer. Besonders nicht in Städten, wo man einfach untertauchen konnte.
„Logan und ich sind füreinander bestimmt. So einfach ist das.“ Sie klang dabei so verliebt, als hätte sie ihn eben erst kennengelernt.
Kotz! Ich hasste diesen kitschigen Scheiß. „Gratuliere. Du bist eine unverbesserliche Romantikerin, die immer noch ihre rosarote Brille trägt. Ich hoffe, du fällst bald auf die Nase.“
Vanja wirkte ein wenig gekränkt, doch wurde zu meiner Überraschung nicht sauer. „Du bist jetzt beinahe achtzehn, oder?“
Ich nickte.
„Dann wirst du es auch bald verstehen. Irgendwann geht die Pubertät vorbei und du wirst die Welt ein bisschen anders sehen.“
Pubertät? Für´n Arsch, das war nichts weiter, als eine billige Ausrede, weshalb man sich dämlich stellen durfte.
„Ach, ja. Ich weiß, es steht mir nicht zu, dies anzumerken, aber da gibt es ein paar in der Familie, von denen du dich eventuell so gut es geht, fernhalten solltest.“
Neugierig wanderte mein Blick durch das überfüllte Wohnzimmer. Ich konnte einige Gruppierungen ausmachen, auch darunter eine, welche sich in eine Sitzecke zurückgezogen hatte und nun angeregt miteinander stritten. Ja stritten, denn diese zwei Männer und fünf Frauen waren alles andere, als begeistert hier zu sein, amüsiert oder gar ausgelassen. Sie starrten sich wütend gegenseitig an und tuschelten aufgebracht. Nicht unbedingt die großen Partymacher.
„Die dort hinten?“ Riet ich.
„Ja, genau. Ich weiß, so etwas sagt man nicht unbedingt, doch sie sind ein wenig... psychopathisch veranlagt.“ Auf meinen fragenden Blick hin, erklärte sie weiter. „Du weist schon. Spielen mit Waffen im Wald herum, schießen Vögel mit Softguns runter und solchen Quatsch. Manchmal klauen sie auch oder sperren jemanden irgendwo ein.“
„Also eher die Randgruppe, die ich um meines Körpers Willen hin, meiden sollte.“
Vanja nickte zustimmend. „Ganz genau.“
„Sind sie auch mit mir verwandt?“
Meine Schwägerin schnaubte abwertend. „Na zum Glück nicht. Wir haben sie lediglich aus Höflichkeit eingeladen, da sie normalerweise eh nie aufkreuzen. Bestimmt haben die wieder irgendetwas vor, um Logans Ruf schlechtzumachen.“
So wie Vanja klang, schien dies regelmäßig vorzukommen.
„Soll ich sie fragen gehen?“ Ich wollte schon losgehen, um mich ihnen vorzustellen, doch Vanja fing mich mit einem überraschend festen Griff ab.
„Bloß nicht! Für die bist du Logans offene Wunde in welcher sie herumstichen können.“
Ich blieb stehen und gab ein überraschtes >Oh< von mir. „Aber weshalb mögen sie ihn nicht?“
Vanja zuckte mit den Schultern. „Angeblich gibt es dafür dutzende Gründe. Aber nicht unbedingt jede Familie ist uns Hallingway gut gestimmt. Das solltest du, wie ich finde, gleich wissen.“
„Also unsere Hater, oh ich liebe es, Hater fertig zu machen!“ Jubelte ich selig.
„Lass das besser. Wenn man sich irgendwo einmischt, wo man sich nicht auskennt, macht man es oft bloß noch Schlimmer.“
Oh Mann, schon wieder so eine Belehrung. Ich verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und verdrehte die Augen. „Ja, Mutti. Schon kapiert. >Die da< böse. Schlechter Einfluss und Blah, Blah, Blah.“
„Rissa...“ Begann Vanja, bestimmt um sich zu erklären, doch da fiel mir auf, dass die kleine Randgruppe uns bemerkt hatte.
„Vanja Hallingway! Willst du uns nicht deine neue Schwägerin vorstellen?“
Vanja verschränkte abweisend ihre Arme vor dem Brustkorb und musterte die Sieben, welche nun auf uns zukamen, skeptisch. „Rissa, das sind die...“
„Nightengale. Interessant dich kennenzulernen.“ Es war der ältere Mann in der Gruppe, welcher seine Familie vorstellte. „Das hier sind meine Töchter.“ Er deutete auf die fünf Frauen. „Und bedauerlicherweise, mein einziger Sohn.“ Stolz legte der Mann seine Hand auf die Schulter seines Sohnes. Bei jedem erkannte man eine gewisse Ähnlichkeit, vor allem, da sie alle miteinander tiefschwarzes Haar trugen. Ihre Augenfarben, so wie der Kleidungsstil glich ebenfalls einander. So trug der Sohn genauso einen dunklen Anzug, wie sein Vater, während die Mädels alle in kurzen dunklen Kleider gehüllt waren, die mehr betonten, als verbargen.
Sofort war ich wieder neidisch. Blöder Logan. Ließ mich nichts tragen, um dazuzugehören. „Ich hörte, dass Ihre Familie einige Differenzen mit meinem Bruder hätte? Darf ich die schmutzigen Details hören? „
Der Vater der sechs lachte begeistert. „Gleich auf den Punkt, was?“
Ich zuckte unschuldig mit den Schultern. „Hach, ich kann auch nichts für meinen zweiten Vornamen: Neugierde.“
Neben ihm grunzte sein Sohn amüsiert und schien sich über mich zu amüsieren. Leider nicht im guten Sinne. „Marissa Neugierde Hallingway. Ein interessanter Name.“ Zog er mich auf.
„Eigentlich ja Rissa >Neugierde< Flaire, wenn ich bitten darf.“ Korrigierte ich ihn spöttisch.
„Das macht es nicht gerade besser. Vater, können wir jetzt endlich gehen. Wir haben den neuen Quälgeist gesehen, das muss dir doch reichen.“
„Jared!“ Beklagte sich die Größte der Schwestern.
Sein Vater überging ihn einfach. „Deine Mutter hieß also Flaire?“
Ich nickte. „Ja, offenbar war mein Samenspender bloß eine einzige Nacht Wert, doch willig genug, um die Geburtsurkunde zu unterschreiben.“
„Klingt ausgesprochen nach deinem Vater. Nichts für ungut.“
Ich winkte ab. „Logan hat mir bereits bestätigt, dass ich meinem Vater ähneln soll. Also kann er bloß ein Arschloch gewesen sein, umsonst hat ihn mir meine Mutter bestimmt nicht vorenthalten.“
„Rissa!“ Protestierte Vanja neben mir und die Nightengale schmunzelten einstimmig, abgesehen von Jared, welcher so wirkte, als hätte er noch etwas Dringendes zu erledigen.
„Was denn? Wenn du vorhast mir eine predigt zu halten, dass er bestimmt seine Gründe gehabt hat, nur zu. Tob dich aus und rechtfertige jeden Schritt meiner nutzlosen Eltern. Mir wird es völlig gleichgültig den Buckel hinunterrutschen. Aber gegen einige pikante Details hätte ich bestimmt nichts einzuwenden.“
„Marissa Flaire?“ Ich blickte von Vanja, welche mir offensichtlich gerade tatsächlich eine Predigt halten mochte, auf zu dem alten Nightengale. „Es würde mich sehr freuen, dich bei einer Tasse Tee, ein wenig besser kennenlernen zu dürfen.“ Er hielt mir so etwas, wie eine Visitenkarte hin.
„Kaffee wäre mir zwar lieber, aber danke. Ich komme zu gerne auf das Angebot zurück.“
Der Vater der sechs wandte sich ab und die Mädchen folgten ihm, auf den Schritt. Keiner schien sich ihnen in den Weg stellen zu wollen und alle waren einstimmig erleichtert, als die Familie Nightengale durch die Türe verschwinden wollten.
Bloß Jared blieb länger, als nötig stehen und funkelte mich, auf eine Weise zornig an, welche mich ein wenig einschüchterte. Ich erwiderte seinen Blick stur. Ich bin keines dieser Mädchen, die sich leicht einschüchtern ließen. „Gibt es noch etwas, dass Sie gerne erfahren würden, Mister Nightengale?“
Keine Ahnung, weshalb ich ihn so förmlich ansprach, aber er gehörte definitiv zu den Typen, die ich nicht von der Bettkante schubsen würde. Außer er wurde zu anhänglich, dann würde ich ihn sogar aus dem Fenster treten.
Jared atmete tief ein und für einen Moment schien sich der Raum völlig aufzulösen. Ich verschwand für den Hauch eines Moments vollkommen in seinen blauen Augen, welche unnatürlich hell hervorstachen. Sein Teint war sonnengebräunt, die Haare schwarz und sein Kleidungsstil dunkel. Die hellen Iriden wirkten dabei fehl am Platz. „Denk ja nicht, dass du von allen Familien mit offenen Armen aufgenommen wirst.“
Schmunzelnd überwand ich die zwei Meter, welche uns trennten und tippte ihm mit meinem Zeigefinger gegen das Brustbein. „Keine Sorge. Ich bin keine Frau, die auf Kuscheln steht. Da bin ich eher... unverfänglich.“ Versicherte ich ihm mit schnurrender Stimme und ging so dicht an ihm vorbei, dass meine Brüste seinen Oberarm streiften.
Ich spürte seinen Blick noch einen Augenblick auf mir, dann hörte ich ihn auch schon davon stampfen.
Ich schnappte mir völlig unschuldig einige Chips aus einem der Naschschüsseln, welche schon fast leergefuttert waren, obwohl Eindutzend davon auf einem Tisch geschlichtet waren, und biss herzhaft hinein. Als würde ich bloß zufällig in die Menge sehen, glotzte ich dem heißen Jared dämlich hinterher, doch sah bloß noch seine Schulter aus der Türe verschwinden. Na gut. Seinen Arsch checkte ich dabei natürlich auch ab. Leider war die Hose ihm ein wenig zu groß und man sah nicht wirklich dessen Konturen.
„Rissa!“ Donnerte es plötzlich hinter mir und ließ mich erstarren.
„Hi, Bruderherz.“ Flötete ich mit meiner typischen, gespielten Unschuld. „Willst du auch Chips?“
„Hat dir Vanja nicht erklärt, wer die Nightengale sind?“
„Eine nette Familie.“ Spottete ich und konnte schwören, jemanden ein Lachen abwürgen zu hören. Logan blickte sich für einen Moment nach dem Schuldigen um, doch sein Hauptaugenmerk lag bedauerlicherweise immer noch auf mir.
„Nein, die sind kein bisschen nett! Sie sind verschwenderisch, egoistisch, überempfindlich...“
„Wie süß, klingt fast so, als wären sie du.“ Stellte ich gespielt nachdenklich fest.
Das reichte. Dies war offensichtlich zu viel für meinen großen Bruder, denn es begann eine ekelhafte Ader an seiner Stirn zu pulsieren.
„Sch-Schatz!“ Sang Vanja plötzlich und zog das Gesicht ihres Mannes zu sich herab. „Schatz, sieh mich an. Könntest du mir einen Gefallen tun und nach Adam sehen? Ich mache mir Sorgen, dass ihn der Lärm wecken könnte.“
„Wenn Adam schläft, dann weckt ihn nicht einmal...“
„Liebling!“ Unterbrach sie ihren Mann mit einem bittersüßen Unterton. „Bitte tu mir den Gefallen!“ Bat sie nachdrücklicher.
Frustriert stieß er die Luft aus, dann beugte er sich herab und stahl sich einen langen, innigen Kuss von seiner Frau, welche sofort Wachs in seinen Armen wurde. Angeekelt wandte ich mich ab und suchte meinen Rückweg zurück ins Zimmer. Wie widerlich, dass die beiden unbedingt vor mir dermaßen herumknutschen müssen! Konnten sie sich nicht einfach ein Zimmer nehmen, wie jedes andere ekelhafte Paar auch?
Einige der Besucher sahen mich die Treppe hinauflaufen, also musste ich mich zumindest nicht abmelden, gegessen hatte ich und getrunken auch. Zudem ein wenig geflirtet, auch wenn es dem Nightengale-Spross kein bisschen gepasst zu haben schien. Wie alt er wohl sein mochte? Dreiundzwanzig? Fünfundzwanzig? War eigentlich auch ganz egal, solange er die Fünfzigermarke nicht überschritten hatte. Und ja, selbst ich besaß so etwas, wie eine Grenze.
Auch seine Schwestern schienen in diesem Alter zu sein. Die Größte unter ihnen vielleicht sogar die Älteste, doch alle anderen, waren definitiv jünger, als er. Die eine mit den teuren kniehohen Stiefel könnte sogar ein wenig jünger, als ich sein. Also noch ein fleißiges altes Kerlchen, der Herr Vater.
Kopfschüttelnd schloss ich die Türe hinter mir und schloss sie, wie bereits davor ab. Da mir die Unordnung langsam auf den Geist ging, obwohl es eher daran lag, dass ich mich im Moment nicht müde fühlte, sondern aufgekratzt und nervös, sammelte ich meine verstreuten Klamotten zusammen und ordnete sie im weißen, handgeschnitzten Kleiderkasten ein. Erst irgendwann gegen zwölf fiel ich vollkommen erschöpft ins Bett.

Logan´s kleine Sorge...

Stöhnend ließ ich mich ins Bett fallen und lauschte den fast lautlosen Schritten meiner Frau. Als sie von Adams Zimmer, zurück in unseres tapste, schaltete sie das Licht zwar aus, doch trotzdem sah ich sie, dank meiner perfekten Nachtsicht noch immer. Langsam, denn sie konnte in der Dunkelheit nicht so gut sehen, kam sie zielstrebig zum Bett und blieb genau einen Schritt vor dem Fußende stehen. Fasziniert beobachtete ich, wie sie ihren seidenen Morgenmantel abstreifte, die Klammer aus ihrem Haar nahm und alles säuberlich auf die Kommode vor dem Bett legte. Dann ging sie links herum, der Kommode mit den Fingerspitzend folgend, auf meine Seite des Bettes und kletterte geschickt hoch, bis sie ausgestreckt auf meiner Brust lag.

„Du bist heute wieder soweit.“ Stellte ich fest, als ich meine Nase in ihrem Haar versenkte.
„Tatsächlich?“ Fragte sie überrascht und hob den Kopf, um mein Kinn zu küssen. „Die Teststreifen zeigen aber, dass ich noch ein paar Tage Zeit habe.“
Ich knurrte und schob sie höher, um sie fester in meine Arme schließen zu können. Kichernd rutschte sie herab und schmiegte sich an meinen Körper. Perfekt passte sie sich an meinen an und seufzte genüsslich.
„Glaubst du irgendwelchen dummen Teststreifen etwa mehr, als meiner Nase?“
Zärtlich streichelte sie meinen Brustkorb. Das liebte ich besonders. „Vielleicht ist es diesen Monat keine gute Idee, Logan. Immerhin ist Marissa gerade erst hier angekommen.“
Knurrend teilte ich ihr meinen Unmut über meine nervige, kleine Schwester mit. „Sie ist so... wie Vater. Einfach unverbesserlich!“
Sanft hauchte Vanja mir einen Kuss auf die Wange. „Sie ist ein Kind, Schatz. Sie muss nicht so werden, wie dein Vater, sie ist ja noch nicht einmal so aufgewachsen, wie du. Marissa ist... genügsam, verfressen und frech. Aber deshalb ist sie noch lange nicht, wie dein Vater. Euer.“ Besserte sie sich verlegen aus.
„Trotzdem. Sie ist nicht bei ihm aufgewachsen, doch hat diesen sturen Charakter vor ihm. Habe ich dir überhaupt schon erzählt, dass ich sie heute gemaßregelt habe?“
Verwirrt hob sie ihre fein geschwungenen Augenbrauen. „Wie bitte? Du meinst, so wie die anderen aus deinem Rudel?“
Ich nickte. „Sie hat mir ganze sechsunddreißig Sekunden standgehalten, Vanja! Sechsunddreißig!“ Wiederholte ich nachdrücklich.
„Aber... ich dachte, sie sei nicht, wie deine Familie.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Vater muss sich getäuscht haben. Auch, wenn sie bei ihrer Geburt nicht die Augen ihrer Familie hatte, so ist sie dennoch ganz offensichtlich ein Teil von uns. Oder wird es zumindest bald sein, wenn sie länger hierbleibt.“
„Ist sie nicht.... schon zu alt? Ich dachte, die ersten Lebensjahre bestimmen, was ihr seid.“
Kopfschüttelnd sank ich zurück auf den Kopfpolster. „Ich habe ja selbst keine Antworten darauf, Liebling. Normalerweise leben wir bei unseresgleichen und lernen von ihnen. Aber... Marissa hatte das alles nicht. Sie weiß nicht, wer sie ist, jetzt mehr denn je.“
„Vielleicht war genau das der Fehler. Mal hätte aufrichtig sein sollen. Er hätte zumindest dich einweihen müssen, damit du ein Auge auf sie wirfst.“
Ich knurrte wütend, als ich mich an meinen Vater und seine vielen >es ist gut, so wie es ist,< Geheimnisse erinnerte. „Mal hätte ganz viel, sehr viel früher tun sollen.“
Seufzend bettete Vanja ihre Wange auf meiner Schulter und schloss die Augen. „Marissa ist aber nicht euer Vater und auch du bist nicht, wie er. Schenk ihr einen Vertrauensvorschuss. Du weißt, sie ist dir bereits jetzt wichtig.“
Als eingeschworener Familienmensch liebte ich Marissa jetzt schon und wollte nichts, außer dass sie wieder glücklich sein kann. An unserer Seite. Aber als Alpha, einer sehr, sehr großen Familie, musste ich auch an diejenigen denken, welche sie ganz klar vor den Kopf stoßen würden. Angefangen bei den Nightengale.
„Ich werde sie von dieser Familie und den Problemen so lange, wie irgendwie möglich fernhalten!“ Schwor ich meiner bereits fast eingeschlafenen Frau.
Sie nickte halb im Schlaf und lächelte stolz. „Ich weiß, mein Schatz.“ Liebevoll gab ich ihr einen Gutenachtkuss auf die Stirn, während ich mich auf die Seite drehte und mich von ihren ruhigen Atemzügen ebenfalls in den Tiefschlaf ziehen ließ.

Zweisamkeit der, sich fremden Geschwister...

Am nächste Morgen war ich bereits lange vor Logan und Vanja wach. Adam kam ebenfalls verschlafen die Treppe herab und bat mich ihm eine Tasse Kakao zu machen. Natürlich erledigte ich dies zu gerne für ihn, denn ich wusste, die Party war noch bis weit nach ein Uhr morgens gegangen. Die beiden Elternteile konnten eine Pause ganz bestimmt gut brauchen.
Als es jedoch Mittag wurde, begann ich zu zweifeln, was ich tun sollte. Die ganze Zeit über, hatte ich mich mit Adam beschäftigt, ihm vorgelesen, mit ihm ein Zelt aus Polstern und Decken im Wohnzimmer gebaut und im Garten hatten wir Fangen gespielt. Jetzt war er hungrig und quengelte natürlich.
Nur was durfte ich Adam geben? Ist er vielleicht auf irgendetwas allergisch? Von was bekam er Bauchschmerzen und was war tödlich für ihn? Manche Kinder reagierten ja recht ungut auf bestimmte Dinge. Zumindest war dies in meiner alten Wohngegend so gewesen. Daher beschloss ich einfach, meinen Neffen zu fragen, was ihm seine Eltern immer zu Mittag kochten. Ich erhielt die Antwort >Suppe<.
Stöhnend nahm ich den kleinen Fratz mit in die Küche und setzte meinen >Chefkoch< gegenüber vom Herd auf die Arbeitsfläche, welche ich nicht benutzen würde. Nicht dass er sich noch verbrannte! Darunter stellte ich einen Sessel, an welchem er hinunter klettern konnte, wenn er wollte.
„Okay, was brauchen wir als erstes, zum Kochen?“ Adam dachte angestrengt nach. „Suppe!“ Kam ihm dann in den Sinn.
Lachend stimmte ich ihm zu. „Gut mitgedacht, Meisterchef. Wir brauchen einen Topf und Wasser. Wo sind denn die Töpfe.“
Adam dirigierte mich zielsicher zu den Töpfen. Dort entnahm ich einen Mittelgroßen und setzte Wasser auf. Währenddessen bereitete ich noch eine Schüssel vor, ein Brett und suchte mir ein Messer. Alles weiter durfte der kleine Chefkoch mir reichen. Karotten kamen hinein, frische Erbsen aus dem Garten, wie er mir verriet, eine Zwiebel musste ich sogar dazu schneiden, währenddessen er mich immer wieder liebevoll tröstete und ich so tat, als wäre ich so traurig das arme Gemüse in den heißen Kochtopf werfen zu müssen.
Alles in allem hatten wir recht bald eine etwas salzige Suppe zusammen. Ich ließ noch frische Brötchen aufbacken, dann setzten wir uns an den Tresen und speisten genüsslich. Gerade, als ich dabei war den Abwasch zu machen, da Adam vom vielen Spielen auf dem Sofa einschlief und keine Betreuung mehr benötigte, stand plötzlich Logan in der Küche und starrte mich ungläubig an.
„Wie sieht du denn aus?“
Ich rieb meinen Schaumbart. „Ich bin Hilfskapitän Rissa. Wenn Sie Chefkapitän Adam suchen, der gönnt sich ein Mittagspäuschen auf dem Sofa.“ Verwirrt drehte sich Logan um und ging zu Adam, welcher tief und fest schlief. Seinen Schaum hatte ich ihm natürlich sofort wieder abgewischt, sobald sein Kopf das Sofa berührt hatte.
„Es ist ein Uhr!“ Beklagte sich Logan, während seine Frau ausgeschlafen und in einen seidenen Morgenmantel gehüllt die Treppe herabstolzierte.
„Was? Schon?“ Vanja wirkte mindestens genauso schockiert, wie ihr Mann.
„Ihr habt das Beste ja verpasst. Er weiß schon fast, wie man eine Suppe kocht.“
Geschockt warf mir Logan einen Blick zu, der mir deutlich machte, dass er unnötigerweise angst um seinen Sohn hatte. Verständlich wenn ich mich so undeutlich ausdrückte. „Sieh mich nicht so an, er hat mir bloß angeschafft, was ich hineinwerfen soll.“ Beruhigte ich ihn und ging zurück in die Küche um, den Rest zu erledigen.
„Rissa?“ Logan stand wenig später am Eingang der Türe zur Küche und hielt Wanderschuhe in seiner Hand. „Hast du lust ein wenig den Wald zu erkunden?“
Hektisch nickte ich. „Total! Ich wollte später dann, ein wenig draußen herumlaufen, aber so geht es auch.“ Dankbar nahm ich die Schuhe entgegen. „Ich ziehe mich bloß um.“ Bestimmt waren sie von Vanja geliehen, doch schien diese nirgendwo auffindbar zu sein, damit ich mich dafür bedanken konnte.
Umgezogen kam ich zurück ins Erdgeschoss, wo Logan bereits bei der Hintertüre im Wohnzimmer auf mich wartete. „Diese Hose ist viel zu kurz!“ Beklagte sich mein Bruder gleich als Erstes.
„Hey! Ich trage Kniestrümpfe und eine Strickweste. Mehr kannst du wirklich nicht verlangen!“
Für einen Moment schien er weiter protestieren zu wollen, doch schnaubte dann abweisend. „Selbst schuld.“ Murrte er noch, bevor er die Türe aufriss und hinaus stampfte. Auf seinem Rücken entdeckte ich nun einen Rucksack und folgte ihm hastig.
„Soll ich absperren?“
„Nein.“ Bekam ich bloß als Antwort. Schulterzuckend schloss ich die Türe und hastete meinem Bruder hinterher.
„Wie lange bleiben wir denn weg?“
„Solange, wie du lust hast. Ich dachte mir, wir machen uns einen netten Nachmittag... nur wir halt.“
Verlegen wich er meinem Blick aus, als ich ihn versuchte aufzufangen. Wie meinte er das. Als Familie? „Sollte dann Vanja nicht auch mitkommen?“
„Adam... das wäre noch nichts für ihn. Vielleicht in zwei Jahren dann.“
„Ihr habt einen fleißigen kleinen Jungen.“ Lobte ich den süßen Fratz. Also wollte Logan seinen Sohn tatsächlich nicht bei irgendeinem Fremden lassen. Irgendwie süß. Aber mein Bruder schien prinzipiell ein recht herrischer Mensch zu sein.
„Ja, mit Adam wird es selten langweilig... Außerdem... danke noch einmal... für heute Morgen.“
Mann fiel ihm dieses Danke schwer. „Sehr und immer wieder gerne. Ich hatte noch nie einen Neffen. Ode prinzipiell irgendein Kind in meiner Nähe. Die meisten Eltern vermeiden es, mir ihre Kinder anzuvertrauen, weil sie mich für unzuverlässig halten.“
Logan warf mir einen vieldeutenden Blick zu.
„Ja, ich weiß! Ich bin nicht gerade der pflichtbewussteste Mensch, aber Kinder sind... einfach etwas anderes. Sie sind die Einzigen, die mich mögen und ich mag sie.“
Wir brachen durch das Unterholz und standen mit einem Mal mitten im Wald. Wüsste ich nicht, wo sich die Lichtung und das Haus befanden, oder dass ich bis eben noch darauf zu gegangen war, so hätte ich es nicht einmal in hundert Jahren wiedergefunden.
„Deine Mutter hat dich aber geliebt.“ Bemerkte Logan völlig sachlich.
Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern und stieg über einen herabgefallenen Ast hinweg, welcher ein wenig an meinen Waden kratzte. „Kann sein. Sie >musste< es ja auch. Aber mit allen anderen, gerate ich immer aneinander. Mit Frauen, weil sie mich anzicken und mit Kerlen, da ich sie nach einer Nacht hinaus werfe und am nächsten Tag bei jemandem anderen bin.“
Logan versteifte sich. „Bitte... lassen wir dieses Thema.“
Grinsend betrachtete ich sein Profil, das angeekelt wirkte. „Ach komm schon, du bist siebenundzwanzig und hattest auch schon genügend Sex, mit verschiedenen Frauen. Tu nicht so unschuldig!“
„Vanja...“ Murrte Logan frustriert. „Ja, gut. Es mag sein, dass ich mich vor Vanja ausgetobt habe, aber >du< bist meine kleine Schwester. Für mich hast du kein Sexleben, da du noch viel zu klein bist.“
Da ich ihm nicht ganz bis zur Schulter reichte, konnte ich >klein< wortwörtlich verstehen.
„He! Ich bin siebzehn, fast achtzehn! Ich tobe mich bereits seit vier Jahren genüsslich aus und...“
„Stopp! Lass es einfach!“ Mein Lachen steckte ihn nun ebenfalls an, da er wusste, ich zog ihn bloß auf. „Okay, anderes Thema. Willst du vielleicht irgendetwas über unsere Familie wissen?“
Ach daher wehte also der Wind. Logan wollte mich tatsächlich einfach besser kennenlernen. Dagegen hatte ich im Grunde ja überhaupt nichts einzuwenden. Aber ich wollte auch nicht, dass er zu nett zu mir war. Ich wollte mich nicht willkommen und angenommen fühlen, wenn ich ja doch schon bald wieder gehen würde. Logan hat die Pflicht mich für die nächsten fünf Monate noch zu betreuen, dann war ich alt genug, um hinausgeworfen zu werden.
Ich stieß mir gerade zum dritten Mal den Kopf, an einem tief hängen Ast und stöhnte genervt. „Ja, eigentlich bloß eine. Wie groß ist dieser verdammte Wald eigentlich und weshalb hat er keine Gehwege?“
Schmunzelnd hielt mein Bruder mir einige Äste aus dem Weg, damit ich mich nicht mehr so leicht stoßen konnte. Ich bin eben ein Stadtmensch, auch wenn ich die Wälder gerne ansah oder ihre Natürlichkeit genoss, so musste ich nicht unbedingt in einem Leben. „Unser Grundstück misst einige Hektar. Größtenteils verwenden wir es, für Festlichkeiten und die Wälder sind im Grunde tabu für die Leute aus der Stadt, da es ein Naturschutzgebiet ist.“
„Tatsächlich? Lebt hier eine bedrohte Tierart, oder so?“
Logan hob stolz seinen Kopf und grinste mich breit an. „Einige Wölfe haben sich hier angesiedelt.“
Eine Gänsehaut glitt über meinen Körper und ich erstarrte. „Sa-Sagtest du eben, dass in diesem Wald, durch den wir gerade gehen, sich Wölfe herumtreiben? So richtig wilde Wölfe?“
Mein Bruder nickte, als wäre es selbstverständlich. „Auch wenn sie Raubtiere sind, kommen sie den Menschen nicht zu nahe, solange sie es nicht müssen. Daher gibt es einige Futterstellen für Rehe und Eichhörnchen auf der anderen Seite des Waldes, damit die Waldtiere sich nicht aus Versehen auf unseren Grund verirren.“
Ich gab einen verstehenden Laut von mir. „Ah! Und wenn die Futtertiere auf der anderen Seite sind, haben die Wölfe auch keinen Grund über die Grenze zu gehen!“ Stellte ich fest.
„Ganz genau.“ Stimmte Logan zu. „Ich lebe ja bereits seit meiner Geburt hier, doch einen Wolf habe ich in unseren Wäldern, oder gar auf der Wiese bei unserem Haus noch kein einziges Mal gesehen. Noch nicht einmal Wolfsspuren gibt es hier irgendwo.“
Beruhigt atmete ich durch. Also doch kein wildlife Abenteuer mit meinem verrückten und lebensmüden Bruder. Was für ein Glückspilz ich doch bin. „Darf ich dich fragen, wie Vanja und du euch kennen gelernt habt? Und lass keine pikanten Details aus.“ Mahnte ich, als Logan genervt seufzte.
„Bist du dir sicher, dass du diese langweilige Geschichte hören willst?“
Ich nickte entschieden. „Fast so gerne, wie ich mehr über meinen Vater erfahren würde.“
„Na gut. Also, Vanja und ich...“ Lenkte er vom anderen Thema ab, was mich leicht schmunzeln ließ. Logan musste unseren Vater wirklich zutiefst hassen, wenn er sich schon bereit erklärte mir lieber von seinem Liebesabenteuer mit Vanja zu erzählen. „...lernten uns vor sieben Jahren kennen. Sie lebte bereits ein Jahr lang in der Stadt, doch getroffen hatten wir uns noch nicht. Erst, als mein Vater mir die ersten Verantwortungen übertrug, da das gesamte Erbe nach seinem Tod an mich gehen solle...“
„Moment, von welchem Erbe reden wir denn hier?“ Ich wusste ja, dass die Hallingway´s reich wirken, doch >wie< reich, war mir bisher nicht klar geworden gewesen.
„Ein paar Millionen auf dem Familienkonto, um die dreißig Grundstücke hier in der Stadt und Umgebung, manche von ihnen bebaut, diese Wälder gehören dazu, das Haus, was an sich bereits ein Vermögen Wert ist, dann noch etliche Wertpapiere und natürlich die Güter der fünf Familien.“
Pah! Und ich wollte mir kein kleineres Bett kaufen lassen! „Oh mein Gott! Du bist ja total das gestopfte Kind.“ Laut lachte mein Bruder los und schreckte dabei einige Vögel in den Baumkronen auf. Mich erschreckte er auch ein wenig damit, doch ich wollte nichts sagen.
„Das würde ich mit deinen Augen vermutlich genauso sehen, doch wie ein verwöhntes Kind habe ich mich ehrlich gesagt, nie gefühlt.“
Ich begann an meinen Fingern abzuzählen. „Du hast dir die Hausaufgaben von den Nerds schreiben lassen, warst auf dem besten Weg ein Profisportler zu werden, warst mit der Schultussenkönigin ewig zusammen, hattest immer tausend Freunde um dich herum, zu Weihnachten und zu deinem Geburtstag gab es an die hundert teure Geschenke. Dein erster Wagen war mindestens ein teurer Mercedes...“
„Stopp, stopp!“ Hielt Logan mich lachend auf und legte einen Arm um mich. „Jetzt übertreibst du aber, Rissa. Auf die Schultussenkönigin hätte ich mich niemals eingelassen... zumindest nicht mehr, als damit angeben zu können. Wir waren aber nie zusammen.“
Selbst nun lachend, boxte ich ihn in die Seite. „Blöder Angeber.“ Eigentlich kam mir Logan fast überhaupt nicht, wie ein Snob vor. Seine Freunde machten schweinische Wettessen in seiner Küche und er beklagt sich nicht, er kocht für seine Familie, spielt am Boden mit seinem Sohn, hat keine Hausfrau oder ein Kindermädchen, er ging hier sogar mit mir durch den Wald, anstatt dass wir in die Stadt shoppen gehen, oder eine Runde mit seinem protzigen BMW fahren. Ein Angeber, vielleicht, aber ein richtiger Snob war Logan offiziell nun nicht mehr in meinen Augen.
„Ich nehme an, deine Mutter und du wart bescheidener?“
Nickend stimmte ich ihm zu. „Jap. Wir kamen gerade so über die Runden, aber wir mussten nie hungern. Zu Geburtstagen oder Weihnachten gab es... eben bloß dezente Sachen, praktisches. Mum wollte auch, dass ich zumindest bis zu meinem achtzehnten wartete, um den Führerschein zu machen, damit sie mehr Geld ansparen konnte, um mir ein sicheres, neues Auto kaufen zu können.“
„So lange wolltest du bestimmt niemals warten.“ Dem stimmte ich lachend zu. Nein, so lange ganz bestimmt nicht.
„Ich habe mir einfach meinen eigenen gefälschten Ausweis geholt.“ Dafür bekam ich einen leichten Schlag auf den Hinterkopf, bevor mein Bruder mich wieder losließ. Jetzt kamen wir ohnehin nicht mehr Seite an Seite voran, da die Sträucher wieder dichter wurden.
„Sei froh, dass man dich niemals erwischt hat. Das wäre böse für euch beide ausgegangen. Dann hättest du noch ein paar Jahre länger auf dein Auto warten können, wegen der Strafe, die ihr aufgebrummt bekommen hättet.“
Ich atmete etwas wehmütig geworden durch. „Dann ist es ja gut, dass sie nicht mehr mitbekommen muss, was für eine miese Tochter ich bin.“
Für einen Moment fühlte ich Logans Hand, tröstend an meinem Ellenbogen, doch blickte ihn nicht an. Bisher hatte ich noch kein einziges Mal richtig geweint, außer nachdem ich die Nachricht bekommen hatte. Nicht einmal, als ich ihren Körper identifizieren hatte müssen. Nein. Meine Mutter konnte froh sein, mich endlich los zu sein. Mich, ein vorlautes, dickköpfiges, eigensinniges Kind, was immer seinen Launen nachging. So eines wünscht sich doch wirklich niemand.
„Erzählst du mir jetzt die Story zwischen dir und Vanja zu ende?“
Logan und ich gingen noch gut zwei Stunden durch den Wald. Immer wieder zeigte er mir einige Stellen, an welchen ich mich orientieren konnte, falls ich mich einmal verlief. Dafür war ich aufrichtig dankbar, denn diese Stellen waren tatsächlich sehr charakteristisch. Derweilen erzählte er mir, etwas schüchterner geworden, wie ihn Vanja auf der Frauentoilette eines Restaurants mit einer Kellnerin erwischt hatte. Sie hatte ihn damals wütend zusammengestaucht, wie ekelhaft und pervers er wäre und hatte, die Kellnerin sogar beim Chef angezeigt, welche hochkant hinaus geworfen worden war.
Damals war sich Logan schon sicher gewesen, dass er Vanja niemals wieder gehen lassen wollte. Fast ein Jahr lang hatte sie ihn abgewiesen, alleine weil ihr bewusst war, was für ein Typ Mensch er ist. Irgendwann hatte sie jedoch ihre eigenen Bedenken über Board geworfen und hatte wütend an seine Haustüre geklopft. Anfänglich hatte sie ihn angeschrien, wie nervig, egoistisch und heuchlerisch er sei. Dann von einem Moment auf den anderen, küsste sie ihn einfach.
Da es fürchterlich zu schütten begann, bot er an, dass sie bei ihm schlafen durfte, worüber sie sich anfänglich weigerte, doch schlussendlich, da der Regen nicht nachlassen wollte, schlief sie auf dem Sofa im Wohnzimmer ein, dort wo ich heute Adam gebettet hatte. Logan erzählte weiter, wie er sie dann hinauf in sein Zimmer getragen hatte, um sie dort zuzudecken und sich zu ihr zu kuscheln.
Am nächsten Morgen war sie dann wieder sauer gewesen, weil er sie im Schlaf umarmt hatte. Daraufhin brach ich in lautes Gelächter aus. Vanja war mir überhaupt nicht, wie eine unbeherrschte Zicke vorgekommen. Bisher sah ich sie, als einen grundguten Menschen an. Jemand, der nicht erschüttert werden konnte, doch offensichtlich hatte Logan es geschafft ihre ganze Welt auf den Kopf zu stellen. Das >wie< wollte er mir jedoch nicht verraten. Jedoch vertraute er mir an, dass es am Beginn ihrer Beziehung heftig gekriselt hätte, was besonders an Logans Vater und deren beider Ruf gelegen hatte. Doch irgendwann war Vanja sicherer und überzeugt davon gewesen, dass Logan ausschließlich noch sie liebt und keiner anderen jemals nachsehen würde.
Na ich wusste ja nicht... Von einem Playboy zum treuen Ehemann und überführsorglichen Papi? Da kam mir nicht bloß das Kotzen, sondern es klang auch abwegig. Ich selbst hatte nämlich niemals vor auch nur einen einzigen Mann zu heiraten. Kinder vielleicht irgendwann einmal. Wenn ich dreißig bin und beginne hässlicher zu werden. Aber selbst dann wollte ich keinen Mann an meiner Seite. Meine Mom und ich hatten es ebenfalls gut ohne Vater geschafft. In meinen Augen wurden sie überbewertet.
Als wir stunden später jedoch nach Hause kamen und Adam seinem Vater glücklich quietschend in die Arme lief, kam ich etwas ins Schwanken. Jedoch war mir bewusst, dass es Adam einfach nicht besser wusste. Er hatte eine liebevolle Großfamilie. Für mich hatte es immer bloß Mama und mich gegeben. Ich wusste noch nicht einmal, ob es von ihrer Seite überhaupt noch Familie gab. Angeblich hatte sie eine Schwester, doch die lebte auf der anderen Seite des Kontinents und war nicht erreichbar gewesen.
Mir aber egal. Ich brauche keine liebende Familie. Sollte ich sie jemals benötigen, werde ich sie selbst gründen. Punkt aus. Vater, Mutter, Geschwister hin oder her. Es gab einen Moment im Leben, da sehnte man sich nicht mehr nach der Vertrautheit eines solchen Zusammenhalts. Dieser Moment war bei mir bereits vor eineinhalb Jahren gewesen, weshalb ich auch entschied, alt genug zu sein, um meinen eigenen Weg zu gehen.
„Rissa, möchtest du noch etwas zu Essen? Ich habe... Wo ist sie hin?“
Ich war bereits die Hintertüre hinausgelaufen und eilte in langen Schritten, ohne Handy, ohne Geldbörse, ohne irgendetwas, den langen Kiesweg hinab, welcher mich in den nächsten Minuten zum Tor hinabführen würde.
Einsame Wölfin? Ich würde mich ja viel eher, als Einzelgänger und weniger einsam bezeichnen. Aber jedem das seine...

Marissa, völlig neu in Lykwood...

Nachdenklich kratzte ich mich am Kopf. Nach links, oder nach rechts? Wenn ich nach rechts blickte, erkannte ich nichts, außer noch mehr Wald. Aber wenn ich mich links auf die Ferne Konzentrierte, konnte ich schwören so etwas, wie Beton oder Asphalt auszumachen.
Okay, dann vertrauen wir dem Härten Material und folgen wir ihm einmal. Ich schlug den Weg nach links ein und folgte ihm zirka fünfzehn Minuten lang, bis ich auch bereits zu der Straße kam, von welcher Logan abgebogen war. Durch eine Stadt sind wir jedoch nicht gekommen, doch ich hatte sie aus der Ferne sehen können. Nun hatte ich die Wahl rechts auf die Autobahn aufzubiegen, links dem gewundenen Straßenverlauf Richtung Stadt zu folgen, oder dem Wanderweg zu folgen, welcher über die vielen weitläufigen Felder führte. Letzteres erschien mir in diesem Fall der kürzere und vor allem sicherste Weg zu sein, daher überquerte ich die Straße, als ich endlich eine Lücke bekam und verschwand zwischen zwei Feldern, welche noch überhaupt nicht gesät worden sind. So leer wirkten die Felder irgendwie... fast ausgedörrt und hässlich braun zum Ansehen. Alleine die Tatsache, dass ich einen graubraunen Feldhasen aufschreckte, hob meine Laune, denn die Geschwindigkeit, welche er mir offenbarte, beeindruckte mich sehr. Wie ein Blitz hetzte er auf die benachbarten Felder, bis er sich in Sicherheit fühlte. So cool.
Insgesamt dauerte der Weg von der Villa Hallingway bis zum Rand der Stadt gut vierzig Minuten, wenn ich sie zu Fuß nahm. Nicht gerade ein kurzer Weg, aber ich fand es heute ausnahmsweise angenehm. Ich wollte den Kopf freibekommen und ein wenig alleine sein. Das klappte hier ganz gut. Kein einziger Wanderer kam mir bei diesen Temperaturen entgegen. Zwar hatten wir bereits Februar, doch für die erste Saat war es nun doch noch zu kalt. Nachts bekam es gute Minustemperaturen, doch ich hatte schon immer eine Art Elefantenhaut besessen, weshalb mir bei zehn Grad mit Strickweste und kurzer Hose noch immer nicht kalt geworden war. Zumindest hatte meine Mutter mich immer so bezeichnet. Nicht gerade charmant, aber es entsprach der Wahrheit. Kälteempfindlich war ich beinahe überhaupt nicht. Ich genoss sie sogar und bevorzugte sie der Sommerhitze gegenüber.
Über eine Nebenstraße des Außenbezirks schaffte ich es in die Stadtmitte, welche um eine riesige Kirche gebaut worden war. Länglich zog sie sich über den Hauptplatz und wurde umrundet von Cafés, einigen Shops, und hinter ihm begann eine kurze Einkaufsstraße.
„Rissa!“ Erklang es über den halben Hauptplatz und ließ mich erschrocken herumfahren.
„Gott! Noch vielleicht ein bisschen lauter, mein Bruder hat dich sicher noch nicht gehört, Sam.“ Beklagte ich mich, als mein Cousin mit dem Rad zu mir heranfuhr. Dabei schnitt er fast ein Auto, dessen Fahrer erbost hupte, doch er ignorierte es.
„Was hast du gesagt? Das Auto hat so laut gehupt, ich habe nichts verstanden.“
„Woran das wohl liegt.“
„Ja, ein Idiot halt.“ Beklagte sich der Fünfzehnjährige, woraufhin ich lachte.
„Genau, er ist der Idiot, weil du ihn mit dem Rad schneidest.“
Sam schien etwas erwidern zu wollen, doch sah seinen Fehler ein. „Okay, ja ich habe nicht nachgedacht.“ Gab er schlussendlich doch zu und wurde etwas rot. Verlegen lachend, zog er seine Jacke enger. „Sag, ist dir nicht kalt? Wir haben sieben Grad“ fragte er dann.
Ich blickte an mich herab. Knöchelhohe Wanderschuhe, eine kurze Hose, dazu trug ich ein langärmliches Shirt und eine Strickweste. „Irgendwann sicher, aber jetzt noch nicht.“ Ich winkte ab.
„Okay... Das Hallingwayfell, verstehe schon.“
Fragend zog ich die Augenbrauen hoch. „Das was?“
Sam, mein Cousin stieg vom Fahrrad und lehnte es auf die Stütze, um es nicht länger halten zu müssen. „Das ist so ein dummer Witz. Irgendwie sind alle Hallingways recht kälte unempfänglich, was im Winter immer recht witzig aussieht, wenn dein Bruder, oder dein Vater mit kurzärmlichen T-Shirts herumlaufen und alle anderen sich wegen den Minustemperaturen bis oben hin einpacken.“
Nun lachte ich ebenfalls. Ja, das musste wirklich gut aussehen. „Wie nett, noch ein Beweis mehr, nach welcher Seite der Familie ich gehe.“
„Hast du dich denn schon etwas eingelebt?“
„Wann denn?“ Fragte ich aufrichtig. „Ich bin gestern erst angekommen, eingeschlafen, bin in einen Haufen fremder Leute geschubst worden und heute Morgen durch den Wald getrottet. Viele Chancen zum >einleben< hatte ich noch nicht wirklich.“ Sam gab ein langgezogenes >Oh< von sich. „Aber egal, sag mal, du bist doch mein Cousin, richtig?“ Er nickte und blickte mich interessiert an. „Also habe ich eine Tante, oder einen Onkel?“
Er nickte erneut. Langsam nervte es mich. Damit wirkte er wie ein Wackeldackel, wenn er dies ständig machte. Ob er wohl aufhört, wenn ich ihm eine Halskrause besorge? „Zwei Onkeln. Deine Hallingway Großeltern hatten drei Söhne. Als die beiden älteren jedoch zweiunddreißig waren, hatten sie einen schrecklichen Autounfall.“
Ups... „Oh, das tut mir leid. Moment... beide? Waren sie etwa Zwillinge?“
Schon wieder dieses Nicken! „Zweieige, doch sahen sich überraschend ähnlich.“
„Moment, dann müsstest du doch älter sein, als ich, wenn dein Vater...“
„Großvater!“ Korrigierte er mich.
„Wie jetzt?“
„Die beiden Brüder von Mal, waren gut zwanzig Jahre älter, als er selbst. Ich bin also dein Großcousin, aber wir dachten, >Cousin< wäre etwas Einfacher zu erklären als die gesamte Geschichte drumherum.“
Das machte Sinn. Also sind die Brüder meines Vaters wesentlich älter gewesen als er, die hatten bereits Kinder, oder zumindest einer von ihnen und dieses hat dann Sam bekommen, welcher bloß wenig jünger ist. „Sehr verwirrend, aber ich denke, ich kann folgen. Habe ich denn dann noch weiter Cousins, oder Cousinen?“
Sam nickte einmal mehr. „Ja, einige davon hast du sicher gestern getroffen. Aber es sind wirklich so viele gekommen, ich habe mich selbst kaum noch zurechtgefunden.“ Wem er das nicht sagte. „Einige davon sind mit den Silvermoore verwandt. Ich selbst bin ja streng genommen ein Cavanaugh, da ich viel mehr nach meinem Vater komme, aber so eng sieht man das heute nicht mehr wirklich, sodass...“
„Stopp, du redest viel zu schnell. Wer sind die Silvermoore, oder Cavanaugh.“
Sam erschauderte einen Moment, als ein kühler Luftzug durch die Straße glitt. „Weißt du was? Ich lade dich auf eine heiße Schokolade ein und dann reden wir drinnen weiter, was sagst du?“
„Das viel Stoff auf mich wartet und ich vermutlich einen Notizblock zücken sollte.“ Scherzte ich und ließ mich von meinem Großcousin zu einem nahe gelegenen Café bringen. Ich orderte zwei Kakao, während er rasch zur Toilette ging, dann war er auch schon wieder da.
Im Café war nicht wirklich viel los. Bestimmt waren die meisten lieber zuhause, anstatt draußen herumzulaufen, darüber war ich auch irgendwie froh, denn diejenigen die hier waren, starrten mich bereits dämlich an.
Okay, ich war nicht wirklich wetterbeständig gekleidet und bestimmt fiel meine Pinke Strähne, auf welche ich so stolz war, doch deshalb musste man mich doch nicht gleich dermaßen anstarren, oder? Na, ja. Vielleicht bildete ich es mir ja auch bloß ein.
„Oh nein...“ Sam rutschte in seinem Sitz tiefer, kaum dass er überhaupt platz genommen hatte.
Verwirrt sah ich mich um. „Was ist denn?“
„Sieh nicht hin!“ Mahnte er gerade noch, doch da hatte ich sie auch schon entdeckt. Die beiden Nightengale. Sie saßen offenbar bereits etwas länger hier, denn sie hatten jeweils einen leeren Tortenteller, so wie ausgerauchte Kaffeetassen vor sich stehen und unterhielten sich köstlich.
„Soll ich hingehen und der >Verwandtschaft< gute Tag sagen?“ Zog ich meinen Großcousin auf.
„Bloß nicht! Das sind bösartige Ziegen!“ Motzte er und wandte sich demonstrativ von ihnen ab, sodass er nicht auffiel, während ich mich wiederum positionierte, sodass sie mich besser sehen konnten. Eine hatte mich zumindest schon einmal entdeckt und tuschelte nun mit ihrer Schwester.
Himmel, von hinten sahen die beiden Tussen fast gleich aus. Nun ja, bis auf ihre Kleidung. Die eine trug einen Strickpullover, während die zweite eine stylische Weste trug. „Es sind bloß Mädchen, Dummkopf. Sie kratzen, beißen und zicken halt ein wenig. Das ist ganz normal.“ Belehrte ich ihn, als wäre ich bereits eine alte Frau.
„Sie sind gemein und nervig. Außerdem müssen sie sich ständig über mich lustig machen, was fürchterlich nervt.“
„Weshalb denn?“ Fragte ich und machte einen kurzen Check. Sam hat etwas dunkleres Haar, als mein Bruder Logan, ist großgewachsen für sein Alter, etwas dünn vielleicht, aber das bezeugte bloß, um wie vieles er in Zukunft noch wachsen würde. Seine dunkelbraunen Augen hatten etwas Sanftes, nettes und um seine Wangen bildeten sich, wenn er lachte kleine Grübchen. Zudem sah er mit der Wuschelmähne, welche er nun dank des abstreifen seiner Haube hatte, fast niedlich aus. Wäre er nicht mit mir verwandt, hätte ich ihn sicher angebaggert.
„Keine Ahnung. Die Tussen finden ja doch immer irgendetwas.“
„Hallo Mrissa!“ Erschrocken zuckte ich zusammen. Himmel! Wie leise bewegen sich die denn?
„Hallo... Ähm... Nightengalemädchen. Entschuldigt, ich habe eure Namen noch nicht erfahren.“
Die jüngere der beiden nahm neben meinem Großcousin ungefragt platz, welcher sich auf der Stelle versteifte und mich hilfesuchend anstarrte. Sehr niedlich. Genau, frag ausgerechnet mich, die Gemeine von uns beiden, um Hilfe! Sehr klug.
„Ich heiße Claudine und bin zwanzig. Das ist unser Nesthäckchen Violetta, sie geht mit Sam in die Klasse.“ Stellte sich die Ältere mit dem dicken Pullover vor und nahm währenddessen neben mir platz.
Ihre langen Haare waren heute glatt gehalten und fielen ihr bis zu den Schultern über den Nacken. Ich glaube, gestern noch hatte sie sie hochgesteckt getragen gehabt, wenn ich mich nicht täuschte. Die fünfzehnjährige Violetta hatte wesentlich dichteres und gelockteres Haar, als ihre Schwester und dementsprechend zu zwei fülligen Zöpfen links und rechts von ihrem Gesicht frisiert. Dadurch wirkte sie fast niedlich, wenn sie nicht dasselbe Blitzen in den Augen gehabt hätte, wie ihre wenig ältere Schwester.
„Na dann... Schön euch beide kennenzulernen. Sam kennt ihr ja bereits. Dann kennen wir uns ja alle nun offiziell.“
Ich fühlte, wie Sam versuchte, mich unter dem Tisch zu treten, doch traf bloß das Tischbein.
„Na ja. Einen kleinen Teil kennst du. Und genau genommen sind wir bloß durch unser Erbe verwandt und nicht durchs Blut. Trotzdem waren wir gestern da, denn uns alle verbindet doch etwas, nicht wahr?“ Lieblich lächelte die Zwanzigjährige mich an.
„Und was bitte wäre das?“ Fragte ich genauso lieblich.
„Natürlich Lykwood und unsere tollen Adelsnamen.“
Adels... Wie bitte?
Sam seufzte genervt. „Claudine! Marissa ist erst seit gestern da und ich wollte gerade erst damit beginnen ihr von den fünf Gründerfamilien zu erzählen. Überfordere sie nicht.“
Claudine schnaubte abweisend. „Halt die Klappe, Cavanaugh. Deine Stimme nervt, das ist ja fürchterlich.“
Neben Sam kicherte Violetta und musterte Sam herausfordernd, welcher demonstrativ auf die leere Tischplatte starrte. Da kam auch schon der Kellner. Dankend nahmen wir unseren Kakao entgegen, wobei Violetta den von Sam beschlagnahmte. „Danke, Sam. Wie vorausdenken von dir. So etwas hätte ich dir überhaupt nicht zugetraut.“ Ich erkannte sofort, wie sehr es ihn traf, wie die Mädels mit ihm umgingen, doch er wehrte sich kein Stück. Selbst Schuld, wenn sie ihm dann auf der Nase herumtanzten, dieser Feigling.
„Okay, dann erzählt mir ein paar schmutzige Details. Was muss ich über dieses Kaff wissen?“ Fragte ich die Mädchen und rührte derweilen in meinem Kakao um, während Violetta sachgerecht ihr, oder vielmehr den Schlagobers, welchen mein Großcousin extra geordert hatte, aushob und es im Wasserglas daneben versenkte. Für einen Moment öffnete Sam den Mund, vermutlich um ihr zu sagen, dass sie es lassen solle, doch schloss ihn geschlagen wieder. Armer Junge...
„Ich weiß nicht, was er dir bereits erzählt hat, aber es gibt fünf Gründerfamilien hier in Lykwood.“ Begann Claudine. „Allen voran, die Bekannteste sind die Nightengales, also wir.“ Protzte sie stolz. „Die Cavanaugh.“ Sie deutete auf meinen Großcousin. „Sie sind aber kaum der Rede wert. Dann gibt es noch die Redhills und natürlich die Silvermoore.“ Sie zählte sie an vier Fingern ab, dann sprach Violetta weiter.
„Jede der Familien hat ihren Sitz rund um die Stadt herum. Die Stadt selbst ist so etwas, wie ein weises Tuch.“
„Viel mehr wie Monopoly.“ Bemerkte Sam kleinlaut und stocherte beleidigt mit einem Zahnstocher auf eine Serviette ein.
„Den einen Familien gehören ein Teil aller Gründe, den anderen wiederum andere Teile. Manchmal verkaufen sie untereinander, überbieten sich, oder fördern die Wirtschaft der Stadt, in dem sie in Kleinkriege ausbrechen.“
„Genau, wenn zum Beispiel einer von uns, zum Beispiel wir Nightengales endlich das Krankenhaus hätten, was wir so lange schon bauen wollen, doch es befindet sich leider auf dem Grund der Cavanaugh, welche ihn aber nicht uns zustellen wollen...“
„Dann wären längst die kleinen Ärzte im Teil der Silvermoore draufgegangen. Verlust für sie, Profit für Nightengale und Cavanaugh.“
Die beiden Schwestern ergänzten sich wirklich gut. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass sie sämtliche Geschichten aus dieser Gegend kannten. „Okay... Also jeder versucht, jeden auszustechen, und keiner hat sich lieb, oder wie ist das hier?“
„Doch, klar. Eigentlich kommen alle super miteinander aus... Na ja. Außer alle mit uns.“ Violetta klang überraschend stolz, als sie dies sagte.
„Silvermoore und Redhills heiraten sogar dann und wann untereinander, die Hallingways halten sich für etwas Besseres, wegen ihrer Überlegenheit und...“
„Welcher Überlegenheit?“ Unterbrach ich Claudine.
„Der Prozentanteil der Stadt und je nach dem was sie verdienen.“ Warf Violetta rasch ein.
Fragend blickte ich zu Sam, welcher Claudine mit vorwurfsvollen Blicken taxierte.
„Aber egal. Den langweiligen Rest kann dir ja dein lieber Cousin erzählen. Wir haben einen Termin bei der Maniküre. Bye, bye.“ Claudine winkte lieblich, als wären wir die besten Freundinnen, doch ich kannte dieses Lächeln bereits. Es war ein hinterhältiges und eines, dass falsche Versprechungen machte.
„Wir sehen uns am Montag.“ Versprach Violetta ihrerseits, dann waren die beiden auch schon beim Ausgang, um ihre Jacken zu holen.
„Wieso Montag?“ Heute ist... Donnerstag wenn ich mich nicht täuschte.
„Hat Logan nichts gesagt?“ Ich schüttelte den Kopf. „Du sollst ja deinen Abschluss nachholen und er hat alle seine Kontakte in Bewegung gesetzte und einiges gespendet, um unseren Schulleiter davon zu >überzeugen< dass du ihn dort nachmachen kannst.“
„Ich?“ Stieß ich lautstark hervor und begann zu lachen.
Fragend blickte Sam mich an.
„Ich war seit gefühlten drei Jahren nicht mehr in der Schule.“ Zumindest sehr, sehr selten und wenn dann war ich ohnehin geistig abwesend. Schule... Boah etwas Langweiligeres gab es doch wirklich nicht. „Außerdem bin ich siebzehn! Wenn er will, dass ich den Abschluss mache, dann muss er mich schon am Klassenstuhl festbinden und mir mit Zahnstocher die Augenlider aufhalten.“
Ich schob Sam meinen bisher unberührten Kakao zu, welcher ihn dankend annahm. „Ach komm schon. Es sind bloß ein paar Monate, bis zu den Sommerferien und dann bist du auch schon achtzehn und kannst tun, was du willst.“
„Das tue ich doch jetzt bereits.“ Kicherte ich stolz auf mich selbst. Ja ich weiß... Eigentlich sollte ich das nicht sein, mich schäbig fühlen und Reue zeigen. Aber ernsthaft... Ich hatte etwas Besseres mit meinem Leben anzufangen, als ihn in Klassenräumen zu verschwenden.
Zwei Stunden später, in denen ich mit Sam ausschließlich diskutierte, wie sehr ich nicht in die Schule wollte, er aber auf Besserwisser machte, entschied ich, dass es Zeit war zurückzugehen.
„Keine Sorge, ich habe Logan vor zwei Stunden geschrieben, dass du bei mir bist. Außerdem gibt es heute Lachs zu Abend. Lass es dir schmecken.“ Prophezeite er mir noch, dann fuhr er auch schon mit dem Rad die Straße an der Kirche vorbei und verschwand irgendwo zwischen dem Verkehr.
Feige wie ein Welpe, aber lebensmüde wie ein Idiot. Das Hupkonzert hörte ich noch ungefähr drei Straßen weiter. Nach einiger Zeit war ich dann ohnehin wieder auf den Feldern, folgte dem Weg zurück zur Bundesstraße und überquerte sie gemütlich, da im Moment nichts los war. Zurück auf dem Anwesen schlüpfte ich zu aller erst einmal aus den Schuhen, da sie mich umbrachten.
„Gott!“ Rief ich erleichtert aus, als ich endlich meine bereits stinkenden Socken abstreifte. „Ich brauche ganz dringend ein Bad.“
„Dann beeil dich.“ Erschrocken fuhr ich zusammen, als Vanja gerade aus der Küche kam, ihr folgte der Geruch nach Fisch. „Logan ist gleich mit dem Essen fertig und danach hätte ich lust auf ein Kartenspiel. Was hältst du davon?“
Sie wartete überhaupt keine Antwort ab, sondern brachte das Geschirr, welches sie balancierte zum großen Esstisch im Wohnzimmerbereich. Ich lief die Treppen hoch, suchte mir etwas Bequemes für diesen Abend zum Anziehen und duschte mich lediglich hastig ab.
Mit hochgebundenen, noch nassen Haaren und in einer bequemen Jogginghose, kam ich schlussendlich wieder hinunter, um mit allen zu Abend zu essen.
„E-Es ist lange her, dass wir zu viert waren.“ Bemerkte Logan gedankenverloren und schien mehr mit sich selbst zu sprechen.
„Das stimmt. Entweder sind wir zu dritt, oder Unzählige.“ Witzelte Vanja vergnügt und hievte mir einen zwei Kilo schweren, gebratenen Fisch auf den Teller. Ich bediente mich derweilen am Salat, von dem es ebenfalls genug gab.
„Freu dich schon darauf, wenn wir im Sommer grillen. Da musst du verdammt schnell sein, dass dir die Silvermoore nicht alles vorher wegessen.“ Mahnte mich Logan liebevoll.
„Sind wir mit denen auch verwandt?“
„Mittlerweile nicht mehr, nein.“
„Nicht mehr?“ Hakte ich verwirrt nach.
„Meine...“ Logan räusperte sich verlegen. „>Unsere< Großmutter war vor einigen Jahrzehnten zweimal mit einem Silvermoore verheiratet, bevor sie unseren Großvater kennenlernte.“
„Zweimal?“ Fragte ich schockiert. „Wer heiratet schon zweimal denselben?“
Logan warf seiner Frau einen liebevollen Blick zu, als sie seine Hand nahm. „Also ich würde Logan noch weitere hundert Male heiraten.“ Schwärmte sie und bekam dafür einen Kuss auf die Hand.
„Igitt, nehmt euch ein Zimmer.“ Beklagte ich mich und stopfte Salat in meinen Mund. Erst danach kam ich drauf, dass es Salatsauce auch noch gab und langte von dort ebenfalls zu, bevor ich über die Bratkartoffeln herfiel. Gott! Dieser Mann kann kochen! Und das beste, ich musste noch nicht einmal dafür zahlen. Superlecker!
Logan lachte über mein seufzendes, genüsslich schmatzendes Gesicht. „Mann, ich wünschte, ich könnte auch so kochen. Dann würde ich zwar dick und fett und kugelrund durch die Flure rollen, aber ich wäre immerhin glücklich.“ Schwärmte ich sarkastisch.
„Wenn du möchtest, kann ich dir ein wenig beibringen. Es ist gar nicht so schwer, weißt du.“
Dankend lehnte ich ab. „Besser wir belassen es bei Suppe kochen, da kann nur etwas übergehen und nicht gleich eine ganze Hightechküche abfackeln.“
„Keine Sorge, sie ist brandsicher.“ Beschwor mich Vanja lachend.
„Uh! Wittere ich da etwa schmutzige Details?“
Ihr Grinsen wurde breiter, zumindest so lange, bis sie in Logans Gesicht sah, da wurde es ihr plötzlich unangenehm. „Nun, ja. Mal ist... auch so ein toller Koch, wie du offenbar.“
„Na nur gut, dass er es nicht an Logan weitergegeben hat. Irgendwer muss mich ja bekochen, sonst lebe ich bloß von Junkfood und Chips.“ Obwohl dagegen überhaupt nichts Einzuwendenden war. Gemüse, Brot, Fleisch. Alles Gute war ja da dabei. So mehr oder weniger gesund halt...
„Oh! Rissa, was ich dich fragen wollte. Ich fahre morgen in die Sadt, für Adam ein wenig Shoppen, willst du mit und dir auch etwas aussuchen?“
„Was? Nein, ich habe gerade noch hundertfünfzig am Konto und muss mir hier erst eine Arbeit suchen um...“
„Kommt gar nicht in Frage, ich komme natürlich für alles auf! Du bist meine Schwester, Rissa.“ Überrascht starrten Vanja und ich Logan an, welcher fast schockiert wirkte, dass ich überhaupt auf diese absurde Idee gekommen war, arbeiten zu wollen.
„Das bezweifle ich. Ich bin siebzehn und lasse mich ja gerne durchfüttern, aber ich werde bestimmt nicht alle paar Tage um Geld betteln kommen, zu meinem eigenen Bruder!“
„Wieso nicht?“ Fragte er verwirrt und steckte sich eine gabelvoll Fisch in den Mund.
„Weil ich nicht auf dein Geld angewiesen bin. Du musst auch nicht die nächsten fünf Monate wie eine Glucke auf mir hocken und aufpassen, dass ich nicht auf die schiefe Bahn gerate, denn das ist bereits vor Jahren geschehen. Von mir aus kannst du auch... eine Wohnung für mich mieten, eine billige, welche ich dann monatlich bezahle, wenn du dich dann besser fühlst. Aber ich werde hier nicht auf kleines zehnjähriges Mädchen machen, klar!“
Während ich meine Ansprache hielt, kaute ich immer wieder zwischendurch, was zwangsläufig dazu führte, dass ich mich einmal wiederholen musste, doch alles in allem brachte ich auf den Punkt, was ich sagen wollte. Ich bin selbstständig. Ich weiß, wie ich für mich sorge und das wird so eine dämliche Geburtsurkunde mir nicht widerlegen können.
„Na so weit kommts noch. Ich setzte ganz sicher nicht meine eigene kleine Schwester auf die Straße. Du bleibst hier und ich sorge für dich, solange bis du studiert hast, was du willst, oder eine Ausbildung abgeschlossen, oder...“
„Stopp!“ Ich hielt ihn auf, sich noch weiter in ein Fettnäpfchen hineinzureden. Das war nämlich eigentlich mein Hobby! „Wieso denkst du eigentlich, dass ich meinen Schulabschluss nachholen möchte oder studieren? Vielleicht mag ich auch einfach bloß arbeiten und für mein Trinkgeld Party machen? Ich will... herumreisen und die Welt sehen, solange ich es noch kann und nicht hier irgendwo am Arsch der Welt in einer langweiligen Schule versauern.“
„Tja, Pech.“ Warf Logan ein. „Du wirst zumindest deinen Abschluss nachmachen, denn bis dahin bin ich offiziell dein Erziehungsberechtigter.“
„Logan...“ Vanja versuchte zu schlichten.
„Oh? Auf diese Tour also, ja? Weist du was, dann kann ich dir ja dasselbe sagen, wie meiner Mutter damals.“ Ich ließ eine mahnende Stille entstehen, in welcher Logan und ich uns einen erbitterten Starrkampf lieferten. „Ich scheiß auf dich und was du für mich willst, denn es ist >mein< Leben! Daher bestimme ich, wie es abläuft.“ Damit sprang ich auf und lief schnurstracks aus der Hintertüre hinaus, da ich keinen Bock hatte, mich wie ein kleines Kind im eigenen Zimmer einzusperren.
„Blöder Snob.“ Schniefte ich, sobald die kühle Nachtluft mich umfing und ärgerte mich darüber, dass sich nun alles zu wiederholen schien, was schon in meinem alten Leben nicht hingehauen hatte.

Vanja, die starke Frau hinter einem Mann mit Biss...

 Seufzend lauschte ich der Hintertüre, wie sie ins Schloss fiel. „Logan...“

„Nicht!“ Er unterbrach mich barsch, doch war sichtlich wütender auf sich selbst, als auf Rissa, oder mich. „Ich weiß ja selbst nicht, was ich erwartet habe!“ Gab er nach einer langgezogenen Minute schlussendlich geschlagen zu.
„Jemanden in deiner engeren Familie, den du nicht bemuttern musst.“ Antwortete ich für ihn. „Ich weiß, wie schwer es jetzt scheint, aber überleg lieber einmal, wie es für Marissa ist.“
Fragend zog er die Augenbrauen hoch. „Ich weiß, sie muss gerade durch die Hölle gehen. Ihre Mutter tot, ihr Vater irgendwo im Dschungel und dann gerät sie an einen Kontrollfreak, wie mich! Ich würde mich an ihrer Stelle genauso hassen.“
„Nein!“ Ich legte die Serviette, welche ich über meine Hose gelegt hatte zurück auf den Tisch und ging zu Logan, um mich auf seinen Schoß zu setzen. „Nein, nein. Denk so etwas doch nicht, mein Schatz. Marissa hasst dich nicht. Sie ist bloß verwirrt, hat Angst und weiß nicht, wo sie jetzt hingehört. Was... Was tut ein Raubtier, wenn es sich in die Ecke gedrängt fühlt, Logan?“
Sanft hob ich sein Gesicht, sodass er mir in die Augen sah. „Er beißt wild um sich.“ Erkannte er plötzlich und seine Augen leuchteten für einen Moment golden auf. Ein Anblick, welcher mich anfänglich zutiefst verängstigt hatte. Jetzt fand ich es jedoch wunderschön, wenn er mir diesen Teil von sich anvertraute, denn niemand anderem würde er es freiwillig zeigen, der nicht so ist, wie er selbst. „Also ist Rissa tatsächlich, wie ich. So, wie ich es befürchtet hatte.“
„Das kann ich nicht beurteilen, Logan. Ich bin bloß eine einfache Frau. Aber als Frau erkenne ich die Probleme anderer vielleicht einen Tick besser, als du mit deiner Superspürnase.“ Sanft tippte ich ihm gegen besagtes Teil und gab ihm hinterher noch einen Kuss auf die Wange.
„Rissa´s Probleme sind mir auch klar, nur habe...“
„Logan!“ Ermahnte ich ihn. „Sieh nicht das große Ganze, als Problem an. Es sind die kleinen Unstimmigkeiten, welche immer mehr und mehr werden, bis sie sich in ein richtiges Problem verwandeln.“
Er seufzte tief. „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest, Liebling.“ Ja, das sah man ihm auch ganz deutlich an.
Liebevoll tätschelte ich seine Brust. „Du kümmerst dich um dein Familienproblem und ich diene Rissa als Freundin, klar?“
„>Unser< Familienproblem.“ Korrigierte er mich eindringlich und umarmte mich etwas fester.
„Du bist süß, mein Schatz. Aber wir wissen beide, dass ich dir bei manchen Dingen einfach nicht helfen kann, so gerne ich es auch wollte.“
Logan legte seine Hand mit einer Zärtlichkeit an meine Wange, die man ihm kaum zutraute und zog mein Gesicht wieder an seines. „Du hast ja keine Ahnung, wie sehr alleine deine Anwesenheit hilft.“ Flüsterte er sanft, dann küsste er mich liebevoll.
Hach... Dieser Mann machte mich wahnsinnig. Wie sollte man bloß jemanden wie ihn belehren, wenn er so süße Sachen von sich gab, die mein Herz geradezu, selbst nach sieben Jahren zu einem halben Herzstillstand brachten. „Ich liebe dich, Logan.“ Seufzte ich, während er seine Küsse über meine Wange hinaus ausdehnte, bis hin zu der Narbe an meiner Schulter, welche immer gut sichtbar war. Normalerweise.
Wenn ich jedoch in die Stadt gehe, verdecke ich sie immer, denn andere Menschen würden es vermutlich nicht verstehen, weshalb ich sie voller Stolz trug. Auch vor Rissa wollte ich es verdecken. Wenn sie sich tatsächlich, als jemand mit dem Gründerblut herausstellt, dann konnte ich ihr bestimmt klarmachen, was es bedeutet, wenn sie es nicht ohnehin selbst herausfand.
Zärtlich küsste Logan meine Narbe. „Ich liebe dich unbeschreiblich.“
Noch für einen Moment suhlte ich mich in seiner unendlichen Liebe für mich, bevor ich auch schon von seinem Schoß rutschte und meine Kleidung richtete, welche in Logans Nähe immer auf mysteriöse Weise ein Eigenleben entwickelte.
„Dann stört es dich auch sicher nicht, wenn ich mit Marissa einen Mädelsabend mache. Zumindest, bis ich ins Bett komme.“ Kokett zwinkerte ich Logan zu, dessen Augenfarbe sich erneut vor Vorfreude veränderte, dann schnappte ich mir auch schon den Mantel, welcher neben der Hintertüre hing, jedoch eigentlich Logan gehörte, und folgte Rissa hinaus in den Frühjahrsabend.
Ich fand sie direkt auf der Terrasse vor, mit angezogenen, barfüßigen Beinen auf der Hollywoodschaukel hocken. Ihr starrer Blick war irgendwo hin, in die Ferne gerichtet, obwohl man ihrem gedankenverlorenen Ausdruck ansah, dass sie überhaupt nichts richtig sah. Sie war in sich selbst versunken.
Langsam kam ich näher und ließ mich neben sie auf die Schaukel sinken. „Du bist Logan wichtig.“ Es war das erste, was mir einfiel, denn eigentlich wusste ich, dank der verführerischen Art meines Mannes, überhaupt nicht mehr, weshalb die beiden sich an die Kehle gegangen sind. Zum Glück nicht wortwörtlich.
„Was?“ Fragte sie verwirrt und tauchte aus ihren Gedanken auf. „Ich kann ihm wohl kaum wichtig sein, wenn er mich zu etwas zwingt, was ich nicht möchte.“
Oh, stimmt ja, es ging um die Schule! „Meine Schwester wollte auch nie in die Schule.“ Erzählte ich ihr und betrachtete den Rand der Wälder. „Meine Mutter ist bereits vor Jahren gestorben, mein Vater, kurz nachdem er geheiratet hatte und wir lebten bei unserer Stiefmutter bis zu unserer Volljährigkeit. Sie liebte uns zwar, als wären wir ihre Töchter, aber selbst hatten wir nie das Gefühl akzeptiert worden zu sein.“ Dies stimmte zwar nicht so ganz mit der Realität überein, aber ich hoffte, eine kleine Geschichte würde schon ihren Zweck erfüllen. „Sie zwang uns auf höhere Schulen zugehen, besorgte uns Nachhilfelehrer und an den Wochenenden hatten wir auch noch Musikstunden, die wir gehasst haben!“
Verwirrt musterte sie mich. „Wieso hat sie euch denn gezwungen?“
„Weil sie wollte, dass aus uns nur das Beste wird. Damit uns später alle Türen offen stehen.“
„Und jetzt bist du ein Hausmütterchen.“ Genervt gab sie einen Laut von sich, der mir deutlich zeigte, was sie von meiner Ansprache hielt und wie sinnlos sie diese fand.
„Die glücklichste Mutter und Ehefrau, die man sich vorstellen kann, Süße, denn dank meiner strengen Ausbildung, kann ich jetzt von zuhause arbeiten.“ Fragend blickte sie auf. „Es war zwar nicht unbedingt mein Traum, aber Logan ist richtig, richtig Schlecht, was Buchführung und organisatorisches angeht. Deshalb hatte er einige Startschwierigkeiten, als er sein Unternehmen gegründet hat.“
„Welches denn?“
„Ein Sicherheitsunternehmen, in das jede Familie irgendwie verwickelt ist. Er hat es mit den Silverwood gegründet und aufgebaut, sodass es jetzt sogar fast schon über der Polizei der Stadt steht. Wäre ich nicht, würde über ihm bestimmt alles zusammenfallen.“
„Und inwieweit ist das jetzt gut? Du hast einen Job, den du nicht willst, bist als Mutter ausgelastet und musst ein Riesenbaby betreuen.“ Marissa sah darin bestimmt nichts Gutes. Es klang auch nicht so, als würde sie es verstehen und ja, vielleicht würden es tausend andere genauso wenig. Jedoch für mich war es das Beste, was mir passieren konnte. Ich musste mich nicht jeden Tag in irgendeine Firma quälen, die ich ohnehin nicht ausstehen konnte. Arbeitskollegen treffen und ihren Scheiß ertragen, während ich fürchterlich anstrengender, oder langweiliger Arbeit nachging.
Dank Logan hatte ich alles zusammen. Die beiden Männer, die ich am meisten auf der Welt liebe, einen flexiblen Job, den ich auch einmal einige Tage liegen lassen konnte, so wie die Chance Urlaub zu machen wann und wo ich wollte, sogar, mit wem ich wollte. Ich konnte Hobbys ausbauen, oder meine eigene Firma gründen, wenn ich jemals den Impuls dazu fühlen sollte. Jedoch kam es mir absurd vor. Ich bin bereits der Kopf einer ziemlich schweren Arbeit und konnte mir mehr kaum vorstellen. Freunde, eine große Familie und nervtötende Nachbarn. Damit war man bereits voll ausgelastet, wenn man versuchte, alles im grünen Bereich zu halten.
„Du siehst das alles immer viel zu oberflächlich, Rissa.“ Sanft stieß ich sie mit der Schulter an. „Logan hatte es nämlich nie einfach. Sein Vater ist ein notorischer Lügner. Er stößt Leute vor den Kopf, sagt was er denkt und macht Dinge aus, ohne sich vorher mit irgendjemanden abzusprechen. Bei so jemandem unzuverlässigen aufzuwachsen, bildet ebenfalls den Charakter, verstehst du?“ Ein wenig verlegen geworden, wich sie meinem Blick aus. „Zudem gab es zunehmend Schwierigkeiten mit den Familien. Ständig waren Dinge unklar, es kam zu Missverständnissen, streiterein und manchmal auch zu mehr. Mal hat es aber nie gestört. Ihm war es egal. Zumindest zeigte er kein Interesse an dem Zusammenhalt aller und der Zukunft der Stadt. Als er ging, entstand erst einmal eine tiefe Stille. Logan hat fünf harte Jahre damit gekämpft alles wieder auf die Reihe zu bekommen. Schritt für Schritt hat er sich mir geöffnet, mich mit einbezogen und sämtliche Familien wieder zusammengeführt. Zumindest größtenteils.“
„Ja... Die Nightengale´s sind schon etwas eigen.“
Ich schnaubte. Eigen? Es schien fast, als wären alle sechs Kinder eine schlechte Kopie ihres eigenen Vaters. Ich zweifelte nicht daran, dass auch Marissa schon bald mit ihnen aneinanderstoßen wird und dann die Fetzen fliegen. Hoffentlich erst, nachdem sie das große Geheimnis der fünf Familien kannte, sonst würde es ganz schön ungut ausgehen. „Sie sind eine Einheit, das macht sie fast noch gefährlicher. Zudem sie hinterhältig, arrogant und unberechnbar. Ich hätte nie angenommen, dass sich die gesamte Familie auf die Feier von gestern gewagen würden. Normalerweise residieren sie bloß zuhause, streifen durch die Stadt, oder reisen durch die Weltgeschichte.“
„Keine Sorge, der Titel >Snobs< ist bereits an die gefallen.“ Gestand sie halb scherzend, was mich ein wenig beruhigte. Hoffentlich sah sie ein, dass sie denen besser aus dem Weg gehen sollte. „Violetta macht Sam total fertig und der Depp wehrt sich nicht einmal. Wie dämlich kann man eigentlich sein?“
„Sam? Du meinst deinen Cousin?“
Sie nickte.
„Was meinst du damit, dass sie ihn fertig macht?“
Kurzerhand erzählte sie mir, was heute in der Stadt passiert sei und dass es offenbar an der Schule für Sam nicht besser lief. Zumindest hatte sie nicht den Eindruck. Plötzlich kam mir ein Gedanke, wie ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte... jedoch wird Logan diese Lösung kein Stück gefallen. „Rissa... Könntest du mir einen Gefallen tun, jedoch ohne es Logan irgendwie wissen zu lassen?“

Marissa, ist die >Neue< an der Schule...

Nachdenklich betrachtete ich die Decke. Nur noch ein paar Stunden. Nicht sonderlich viele. Vielleicht sechs oder so, dann muss ich aufstehen, weil mein Wecker klingelt. „Pah!“ Ich sprang aus dem Bett und ging hinüber zum Fenster, um von dort hinunter zu dem kleinen Spielplatz zu sehen, welchen einige aus der Familie für den jüngsten Hallingway errichtet hatten. Eine Rutsche, ein Spielturm, eine Kletterwand, zwei verschiedene Schaukeln, extra noch eine Nestschaukel und eine Brücke, welche vom Turm zur Rutsche gespannt war. Anfänglich gab es angeblich sogar noch eine Sandkiste, doch aus irgendeinem Grund fürchtete sich Adam davor und sie hatten sie wieder abgebaut.
Nach einem ganzen Wochenende in dieser Familie konnte ich kaum behaupten, mir Freunde gemacht zu haben. Feinde jedoch noch weniger. Ständig kamen Leute vorbei. Völlig spontan standen sie urplötzlich im Wohnzimmer, bedienten sich am Kühlschrank oder einmal stahl Sam, mein Großcousin, mir sogar die Fernbedienung. Daraufhin artete es in eine kleine, völlig harmlose Schlägerei aus, welcher er traurigerweise unterlag. Danach nervte er mich ständig, in dem er mir spoilerte, was in dem Film geschehen würde. Irgendwann gab ich auf, warf ihm die Fernbedienung zu und trat ihn nachträglich noch einmal.
Sam schien mir jedoch nichts davon nachzutragen. Selbst, als ich zu einem Silverwood sagte, er solle daheim seinen Kühlschrank plündern, lachte dieser bloß und sagte, >dies sei normal in einer großen Familie<. Im ernst? Die sind doch alle bloß verrückte Idioten! Alle miteinander.
Einen Nightengale sah ich kein einziges Mal mehr. Mit Phiona, der spitzzüngigen Tussi von Mittwochabend, welche ich auf der Willkommensparty für mich kennengelernt hatte, war ich sogar einmal shoppen gewesen. Natürlich lud sich Vanja selbstständig ein und behauptete, sie müsse ja auf uns aufpassen, woraufhin Phiona ihr die Schlüssel von ihrem eigenen, schnittigen Sportwagen zuwarf.
Unfassbar diese Frauen! Fast schon schien es, als würden sich alle hier von klein auf kennen. Wüsste ich es nicht besser, würde ich behaupten, Vanja ist hier geboren worden und aufgewachsen.
Nun gut, die fünf Gründerfamilien schienen auch bereits seit Jahrtausenden hier verwurzelt zu sein. Logan erzählte mir von einem König, welcher sein Reich hier mitten in den Wäldern errichtete. Ein unüberwindbarer Wall aus Monstern solle seine Mauern und Häuser beschützt haben und noch heute sollen einige davon in den Wäldern spuken, weshalb man nicht um die Mitternachtszeit durch sie spazieren darf, denn sonst verirrt man sich und verliert seine Seele.
Ja, klar! Wers glaubt. Na ja, wenigstens ist es eine interessante Spukgeschichte, welche kleine Kinder erschreckt.
Eine Stunde bevor ich eigentlich aufstehen sollte, legte ich meinen Nintendo 3DS zur Seite und sprang kurz unter die kalte Dusche, bevor ich meine Haare föhnte, mich dezent schminkte und in Unterwäsche zum Kleiderkasten stolzierte. Da hatte mir Vanja gestern Abend noch meine Schuluniform hingehangen. Bisher hatte ich es nicht gewagt, sie mir anzusehen, jetzt musste es aber sein. Mir blieb nichts anderes mehr übrig, als mich einer gemeinen Obrigkeit zu unterwerfen, welche damit behauptete, dass uns ein einheitlicher Kleidungsstil zu einer einzigen Gemeinschaft macht.
Pah... das ich nicht lache.
Langsam öffnete ich den Reißverschluss des dunklen Stoffes und enthüllte meine größte Angst. „Puh...“ Erleichtert stieß ich die Luft aus. Doch nicht so schlimm, wie ich angenommen hatte. Es ist ein altbekannter Faltenrock, schwarz weis kariert, kombiniert mit einer dunklen kurzen Hose, welche vermied, dass man die Unterwäsche aus Versehen entblößte. „Wie schade...“ Grinste ich spöttisch. Danach betrachtete ich die zeitlose schwarze Bluse, über welcher ich einen weisen Blaser mit einer Anstecknadel daran trug. Das Emblem auf der Anstecknadel zeigte zwei Wölfe, welche sich den Rücken zugedreht hatten und laut in die Luft jaulten. „Privatschule von Lykwood.“ Las ich laut. „Lyk?“ Wiederholte ich grinsend. Wie ironisch.
Wir besaßen einen der letzten Wälder, in welchem sich Wölfe tummelten und sie nannten ihre Kleinstadt >Lykaner Wald<? Also waren es Werwölfe vielleicht sogar gewesen, welche die Menschen von dem alten Königreich, abgeschreckt hatten? Witzig diese Märchen immer. Und Menschen glauben auch noch an so etwas? Wie traurig unsere Gesellschaft sich doch immer wieder outete.
Kurzerhand schlüpfte ich hinein in die neuen Sachen, wobei ich bei der Bluse zwei Knöpfe weit offen stehen ließ und die Strümpfe zu meinen polierten Schuhen wegließ. Nichts, wirklich gar nichts, konnte mich dazu bewegen jemals in meinem Leben weise Strümpfe zu tragen!
Kaum klopfte es an der Türe, stand ich auch schon fertig angezogen davor und öffnete sie. „Oh, du bist ja schon fertig.“ Bemerkte Logan überrascht, bevor ihm ein lautes Gähnen entschlüpfte. „Entschuldige. Was möchtest du denn frühstücken? Wir fahren nämlich gleich danach.“
„Pfannkuchen?“ Fragte ich hoffnungsvoll, woraufhin mein Bruder breit zu grinsen begann.
„Leckere Idee, die hatten wir schon lange nicht mehr.“ Bemerkte er. „Ich ziehe mich bloß noch schnell an und wecke Vanja.“
„Ich fange unten schon mal an.“ So trennten sich unsere Wege wieder und ich ging hinab in die Küche, um zumindest schon einmal den Teig vorzubereiten. Leider hatte ich etwas weniger Talent, was das Herausbacken von Pfannkuchen anging. Entweder waren sie nicht richtig durch, zu trocken oder pechschwarz. Logan erklärte sich sofort dazu bereit es mir beizubringen, während ich den Kaffee aufsetzte und Vanja den Frühstückstisch im Wintergarten deckte. Und ja! Diese stinkreiche Familie hatte sogar einen Wintergarten! Angeber!
„Hach, wie schön gleich zwei Köche in der Familie zu haben.“ Grinste Vanja und stahl sich ein Stück vom fertigen Teig.
„He! Finger weg, du Naschkatze.“ Schimpfte Logan halbherzig mit seiner Frau und schmierte ihr etwas vom nassen Teig auf die Nase.
„Igitt! Steck deinen Finger nicht in den Teig.“ Schimpfte ich daraufhin ernsthaft mit ihm, wofür er mir die Zunge herausstreckte, ehe er den Pfannkuchen wendete.
Gegen acht Uhr musste ich dann in der Schule sein. Logan brachte mich bereits eine halbe Stunde früher, damit ich es rechtzeitig in den Unterricht noch schaffen konnte. Dank meiner vielen >Amtswege<, welche ich nach drei Schulwechsel bereits gewohnt war, gelassen hinnahm, verflog die Zeit wie im Flug. Zuerst musste ich ins Direktorat. Der strenge, hochgewachsene und altersgraue Direktor, musterte zufrieden mein Aussehen, wobei ihm die weggelassenen Strümpfe zum Glück dank des Tisches zwischen uns nicht auffiel. „Nett dich kennenzulernen, Marissa.“
„Ja...“ Gab ich gedehnt von mir. „Ich nicht so sehr, Mister Redhill.“
Er schmunzelte über meine Ehrlichkeit, doch kommentierte sie nicht, so wie die meisten anderen >Knastaufseher< es tun würden. „Wie ich bereits erfahren habe, hast du einige Schulwechsel bereits hinter dir.“ Ich nickte zustimmend. „Dann bist du auch bereits an die Prozedere gewohnt und weist, dass ich für jeden Unsinn eine Unterschrift von dir und deinem Erziehungsberechtigten benötige.“
„Logan haben Sie leider gerade verpasst. Der hatte es eilig.“
Mister Redhill winkte ab. „Seine habe ich bereits, er war letzten Freitag bei uns, da hat er alles erledigt, somit fehlt bloß noch deine.“ Er reichte mir einen Stapel an Zetteln. „Hier für den Schlüssel. Hier für den Stundenplan. Hier für die bereits bezahlten Schulbücher. Hier für den Erhalt der bereits bezahlten Schulbücher...“ Und so ging das noch einige Minuten weiter.
Zu meinem Glück schwang er nicht gleich eine ganze Rede, sondern hielt sich kurz, bedeckt, aber höflich. Als ich alles erhalten und gut, gefühlte, fünfzig Kilo schwerer war, dufte ich die ganzen Sachen noch ins Lehrerzimmer bringen, wo ich einen anderen, jedoch kleineren Stapel an Zetteln abgab, danach brachte ich meine Bücher in meinen neuen Spind, welchen ich zehn Minuten lang desorientiert suchte und lief zum krönenden Ende... direkt in meinen Cousin.
„Hi, Rissa.“ Begrüßte er mich fröhlich flötend.
Ich warf die Spindtüre genervt zu und stellte einen neuen Code ein. „Hey, wie gehts?“ Fragte ich daraufhin genervt.
„Na, ja. Heute gibt es einen schweren Französischtest... Bis du da auch dabei? Zeig mir einmal deinen Stundenplan?“
Ich war überall bei den Anfängerkursen eingetragen worden. Wirklich in jeden Einzelnen! Mein Bruder hatte es sich nicht nehmen lassen, dass ich jeden Kurs ausprobiere und auch zum Schluss wieder aussteigen kann, falls nötig. Natürlich fand ich einige davon interessant, die meisten jedoch nicht und zu allem Überfluss musste ich dank dieser Kurse bis um sechs Uhr dableiben! Bis um achtzehn Uhr! Danach mein Heimweg...
„Ach schade, wir sind in fast keinen Stunden gemeinsam.“
Ich entwandt meinem Cousin den Stundenplan wieder. „Na zum Glück. Wenn du den gesamten Tag, wie eine überdrehte Fee um mich herumschwirrst, kommt mir ohnehin das Kotzen.“ Dabei hatte dieser Morgen so überaus gut angefangen! Was für eine herbe Enttäuschung.
„Wow. Es scheint fast so, als wärst du mein böser Zwilling.“ Scherzte Sam plötzlich und ich musste über diese Vorstellung genauso grinsen, wie er es im Moment tat. „Hätte nie gedacht, dass es mich einmal in einer weiblichen Ausführung und genervt von der Welt geben würde.“
Ich schlang meinen Arm um seine Schultern und zog ihn in eine halbherzige Umarmung, während ich seine Haare zerzauste. „Pass nur auf, dass ich nicht der >dich verprügelnde Zwilling< werde.“
„Du bist so gemein zu mir.“ Jaulte er gespielt verletzt, bevor er es schaffte sich zu befreien und mich vor meiner ersten Schulstunde absetzt. „Genau deshalb wünsche ich dir Professor Bund an den Hals. Der ist echt gemein und streng.“
Mit herausgestreckter Zunge, blickte ich meinem Cousin noch kurz hinterher, welcher zu seiner eigenen Unterrichtsklasse verschwand und dafür eine Treppe höher laufen musste, während ich im Erdgeschoss blieb. Nachdenklich betrachtete ich die geschlossene Türe.
Klopfen oder einfach hinein gehen? Mein Stil wäre ja Letzteres. Schulterzuckend griff ich zur Türklinke und versuchte sie aufzudrücken, doch sie klemmte. Erneut versuchte ich es fester, doch nichts tat sich. Abgeschlossen.
Verwirrt sah ich mich um. Hatte mich Sam zur falschen Türe geführt? Erneut kontrollierte ich die Zahl an der Wand neben der Türe, mit der auf meinem überfüllten Stundenplan.
Nein. Definitiv richtige Türe. Meine letzte Option, bevor ich zu alternativen Mitteln greifen musste, war anzuklopfen, was ich auch selbstbewusst tat. Als ich dann an der Türe lauschte, hörte ich nichts.
„Was hörst du denn da?“ Erklang plötzlich eine belustigte Stimme hinter mir. Erschrocken fuhr ich herum.
„Scheiße! Haben Sie mich erschreckt!“ Tief durchatmend griff ich an mein wild schlagendes Herz.
„Nette Ausdrucksweise. Ich nehme einmal an, dass du die neue Schülerin Marissa Flaire bist.“
Ich nahm die Hand des Lehrers entgegen, welcher mich dermaßen ungut erschreckt hatte. Er wirkte noch recht jung. Vielleicht hatte er gerade erst sein Studium beendet? „Nennen Sie mich Rissa, ich hasse meinen Namen.“ Bat ich. „Und ja, ich bin >die Neue<. Aber gut, dass Sie da sind, irgendwie komme ich nicht in meine Klasse.“
„Das liegt daran, dass alle Schüler gestern Abend die Rundmail bekommen haben, dass die erste Stunde heute ausfällt, da Mister Bund sich einen Tag freinehmen musste, aus privaten Gründen.“
Genervt stöhnte ich. „Na toll. Wenigstens habe ich jetzt eine Stunde Zeit meine nächste Unterrichtsklasse zu finden.“
Der junge Lehrer lachte und trat an meine Seite, als ich den Stundenplan erneut zückte. „Gut das ich dich gefunden habe.“ Grinste er plötzlich und ich blickte ihn fragend an. „Nach deiner freien Stunde gehörst du die nächsten zwei vollkommen mir alleine.“
Er deutete auf die beiden Turnunterrichtstunden und ich ächzte erneut. „Stoßt mir doch alle gleich einen Dolch ins Herz, dann habe ich es hinter mir.“ Ich schlug die Mappe zu, welche noch beinahe leer war und machte mich auf den Weg, um ein ruhiges Plätzchen für die nächsten vierzig Minuten zu finden.
„Bis später.“ Ich winkte meinem Lehrer kurz, welcher äußerst belustigt wirkte und vertrödelte meine Zeit schlussendlich damit, das Areal besser kennenzulernen.

Jared Nightengale, nicht gerade der größte Fan seines verrückten Vaters...

Gedankenverloren saß ich in dem alten Studierzimmer meiner Mutter. Bereits seit meiner frühesten Kindheit hatte es mich hierher verschlagen. Noch heute standen all ihre Sachen hier drinnen. Jedes Artefakt, jedes Buch über verschiedene alte Völker und nicht zu vergessen, die gestohlenen, jedoch nun sicher verschlossenen Gegenstände. Töpfe, kleine Statuen, altertümliche Figuren und andere private Dinge, die sie aus Gräbern, Ruinen und noch älteren Tümpel mitgehen hatte lassen können.
Meine Mutter war in diesem Sinne nicht unbedingt >korrupt<, doch Skrupel besaß sie noch nie. Vielleicht hatten sie und Vater sich deshalb so gut verstanden? Neun Jahre hat ihre wilde Ehe immerhin gehalten, in welchen meine drei Jahre ältere Schwester Tatiana und ich deren ständigen streiterein ertragen hatte müssen. Iris, wiederum zwei Jahre jünger als ich, hatte das alles nicht so mitbekommen und daher unserer gemeinsamen Mutter am meisten hinterher getrauert. Sophia, zweiundzwanzig Jahre alt, Claudine zwanzig und unsere jüngste Violetta mit knappen fünfzehn, hatten jeweils ihre eigenen Mütter, doch das Sorgerecht hatte bei jeder, mein Vater, dank seiner Kontakte zu verschiedenen Ämter, mühelos erwirkt.
„Vielleicht sollte doch ich mich sehen lassen. Was meinst du?“
Verwirrt blickte ich von meinem Buch auf, in welches ich versunken gewesen war und blinzelte einmal kurz verwirrt. Der Schemen meines Vaters verschwand um die Ecke und ich überlegte, wovon er wohl gesprochen haben mochte. Jedoch vor allem... seit wann befand er sich im selben Raum, wie ich?
Schulterzuckend widmete ich mich wieder der anspruchsvollen Lektüre von Dan Brown und ließ mich erneut mitreißen. Zirka eine Minute lang, dann erschien mein Vater erneut vor mir. „Nein, das wäre auffällig. Am besten wäre es, wenn ich ihr einfach in der Stadt zufällig begegne.“
Seufzend klappte ich den dicken Wälzer zu, doch steckte meinen Zeigefinger zwischen zwei Seiten, da ich mir die Seite nicht gemerkt hatte. „Wovon sprichst du, Vater.“ Widmete sich mein Vater einmal mir, dann ging es lediglich um etwas, dass ihn einfach nicht in Ruhe ließ. Ansonsten sahen wir uns manchmal tagelang nicht, obwohl wir doch im selben Haus lebten, doch mit unterschiedlichen Zeitrhythmen.
„Von dieser... Lisa Hallingway.“
Lisa? Wiederholte ich in verwirrt in Gedanken. Hallingway gab es doch bloß noch vier, also wovon sprach er?
Offenbar konnte mein Vater ausnahmsweise aus meiner Miene lesen. „Das neue Hallingwaymädchen. Die Halbschwester von dem Riesen.“
Ich gab ein verstehendes „Ah!“ Von mir. „Du meinst Marissa.“
Mein Vater winkte genervt ab. „Marissa, Lisa, Susanne. Wem interessiert das schon? Sie wäre aber perfekt, meinst du nicht?“
Okay, ich gab auf, denn das würde offensichtlich ein längeres Gespräch werden, griff nach meinem Lesezeichen und steckte es vorsichtig hinein, um nicht aus Versehen die Seite zu verblättern. Dann legte ich das Buch auf den Abstelltisch neben mir und lehnte mich genüsslich im antiken Ohrensessel zurück, den meine Mutter mir, genauso wie dieses Zimmer, vermacht hatte. „Würde es dir etwas ausmachen, wenn du von vorne beginnst, alter Mann. Ich verstehe dein wirres Gerede nicht.“
Neo Nightengale kratzte sich nachdenklich am Kinn, dort wo ein wenig von dem schwarzen Dreitagebart gräulich schimmerte. „Wo warst du bloß mit deinen Gedanken? Muss ich das ernsthaft alles wiederholen?“
Ich tippte abwechselnd mit Zeige- und Mittelfinger meiner linken Hand auf das Buch, welches neben mir, mit der Rückseite nach oben, lag. „Ich habe gelesen. Etwas das dir und deinen Nerven hin und wieder ebenfalls nicht schaden würde.“
„Sei mal nicht so neunmalklug. Benutz dein Hirn lieber für etwas sinnvolles und hilf mir die Zukunft deiner Schwestern zu sichern.“ Tadelte er mich und wusste damit, dass er einen Wunden Punkt bei mir traf. Laut der Erburkunde durfte unser Grundstück, so wie alles andere bloß an den ältesten Sohn, vererbt werden, wenn er es Wert war. Das bedeutete verheiratet mit rechtmäßigen Erbfolgern. Etwas das mir niemals passieren würde! Ja, ich bin der einzige und somit älteste Sohn. Aber eine Erbfolge von mir würde es niemals geben. Zumindest nicht, solange mein Vater sich einbildete, mich manipulieren zu können.
„Wie kann ich dir einmal mehr zu Verfügung stehen, Vater?“
„Das Hallingwaymädchen. Wenn ihr Vater tot ist, bekommt sie das gesamte Erbe.“
Ich hob mahnend einen Zeigefinger. „Nein, es geht an das älteste Kind.“
„Oder das einzig lebende!“ Korrigierte er mich nun seinerseits. Ein >Aha< verkniff ich mir dieses Mal und seufzte stattdessen bloß genervt. Und für so etwas hielt er mich vom Lesen ab? „Sie ist eine kleine Hure, bestimmt kann ich sie für mich gewinnen.“
Ich verkniff es mir, laut loszuprusten, und versuchte es stattdessen lieber mit schlichter Logik. „Vater, sie ist siebzehn!“
„Aber nicht für immer, Jared.“
„Du wirst aber auch nicht unbedingt jünger.“ Murrte ich und griff wieder nach meinem Buch, als er sich daran machte, ungeduldig und vor sich hin plappernd, auf und ab zu gehen. Gerade, als ich es aufschlug und denselben Absatz erneut las, klatschte er begeistert in die Hände.
„Du hast recht. Aber dich würde sie sicher nicht ausschlagen.“
Erschrocken schlug ich das Buch wieder zusammen, natürlich mit dem Lesezeichen darin. „Wie bitte?“
„Du musst sie ja nicht heiraten!“ Beschwor mein Vater mich plötzlich und seine Stimme bekam einen ganz sachlichen Unterton. „Wenn du sie verführst, dann die Vaterschaft von dir bewiesen ist, bekommt nicht bloß ihr Neffe einen Erbanspruch, sonder sie auch, was automatisch auf ihr Kind und die Nightengale zurückfällt.“
Ich griff mir frustriert an die Stirn. Weshalb konnte mein Vater meine privaten Vorlieben denn nicht verstehen? Ja, natürlich fand ich es, wie jeder andere Mann ausgesprochen reizend, wenn eine Frau um mich wirbt, doch ködern konnte mich deshalb noch lange keine. Frauen interessieren mich einfach bereits seit Jahren nicht mehr. Seit vielen, vielen Jahren. Vielleicht lag es am Verhalten meiner Mutter? Meinen vielen Schwestern? Der mangelnden Zuneigung meines männlichen Elternteils? Wer wusste das schon. Aber mein Interesse erregen ausschließlich andere Männer. So ungern ich meinen Vater auch enttäusche, so konnte ich nicht einfach auf Kommando für eine Nummer mit dem anderen Geschlecht herhalten.
„Vater! Homosexualität inspiliziert, dass ich mich lediglich für mein eigenes Geschlecht interessiere. Im klassischen romantischen Sinne, so wie im sexuellen. Ich habe keine Ahnung, wie du es anstellen möchtest, aber solange sie nicht aussieht, wie ein Mann, riecht, wie ein Mann und spricht, wie ein Mann, kann ich dir in diesem Sinne schlecht weiterhelfen.“
„Wegen einer Nacht wirst du dich doch wohl zusammenreißen können, oder nicht?“
Frustriert rieb ich meine Stirn. Wieso tat ich mir das eigentlich noch einmal an? Würde ich mit einem Fingerschnippen meine persönlichen Interessen wechseln können, wäre ich längst Weltenbummler geworden. Aber nein! So einfach spiel das Leben dann doch nicht. „Vater, ich erkläre es dir gerne erneut, doch...“
Mich zum Schweigen bringend, hob er eine Hand. „Nein, lass es besser. Es hat ja doch keinen Sinn. Bestimmt bin ich auch selbst in der Lage das Schicksal deiner Schwestern in die Hand zu nehmen. Selbst, wenn das heißt etwas gegen meinen Willen zu tun.“ Er schenkte mir einen vielsagenden Blick. „Immerhin bin ich das Oberhaupt unserer Familie und habe bisher auch alles gut selbst hinbekommen.“
Ein weiteres Mal schlug ich mein Buch auf, dieses Mal, um ihm klarzumachen, dass ich für heute wieder genug von ihm hatte. „Perfekt, ich überlasse es liebend gern dir, dich lächerlich zu machen.“
Manchmal verhielt sich mein Vater, wie ein kleines Kind. Zu unserem Leidwesen hatte er nicht ganz unrecht, wenn er mir vorwarf, dass meine sexuelle Vorliebe dem Erbe meiner Schwestern und mir im Weg stand. Aber ernsthaft... Welche Frau lässt sich schon auf eine lieblose Ehe ein, von der sie nichts hatte und fünf Schwestern ihrer vorgezogen wurden?
Ich musste auch zugeben, dass ich Frauen anfänglich schon interessant fand. Noch heute unterscheide ich lediglich optisch welche Frau ich mehr, oder weniger hübsch finde. Trotzdem waren mir einmalige Begegnungen mit meinem Geschlecht wesentlich lieber. Weniger Tränen, weniger Erwartungen, weniger Gefühlsduselei und vor allem musste ich mir um mögliche Ansprüche keine Sorgen machen. Meinesgleichen konnte ich ja nicht aus Versehen schwängern.
Genervt schlug ich mein Buch im selben Moment zu, als mein Vater die Zimmertüre hinter sich schloss. Seufzend stemmte ich meine Wange an meinem Handrücken ab und betrachtete das Ölgemälde meiner Mutter, wo sie mich und Tatiana in ihren Armen hielt. Direkt daneben, auf dem Sims, des unbenutzten Kamins, stand ein gerahmtes Bild, wo meine Mutter die frisch geborene Iris in ihren Armen hielt, erschöpft und verschwitzt strahlt sie in die Kamera, stolz darauf ihr drittes Kind geboren zu haben.
Auch ich erinnerte mich noch zu gut daran, wie verärgert mein Vater jedes Mal wurde, wenn er hörte, er hat eine Tochter bekommen. Leider wurden die meisten Erbansprüche, noch in altmodischeren Zeiten gesetzlich niedergelassen, dass die ältesten Söhne das Erbe ihrer Eltern erhielt. Das war in jeder Familie so. Den Hallingway´s, den Silvermoore´s, den Redhill´s und Cavanaugh´s. Natürlich hatte auch jede dieser Familien eine Verfallsfrist dieser Gesetze. Leider lief unsere erst nach zwölf weiteren Generationen aus. Ich musste auch zugeben, dass es früher mehr Sinn gemacht hatte, als heute. Damals besaß noch jeder sein eigenes Oberhaupt. Jede Familie war ein eigener Clan gewesen, mit einem eigenen Anführer, der selbstverständlich der stärkste seiner Familie war. Damals hatte noch niemand damit gerechnet, dass es irgendwann einmal eine Dürre an Anführer geben würde.
Heute gab es bloß noch einen. Logan Hallingway, welcher sein Amt dank des Wegganges seines Vaters bezogen hatte.
Logan ist siebenundzwanzig und damit zwei Jahre älter, als ich selbst. Fast zehn Jahre älter, als seine kleine Halbschwester. Auch zwischen meinen Schwestern und mir lagen einige und meine Jüngste, Violetta war ebenfalls zehn Jahre jünger und entstammte aus der letzten Ehe, welche mein Vater eingegangen war. Wenigstens Violetta hatte die Schmach nicht miterleben müssen, wie mein Vater mit seinen Frauen umging. Violettas Mutter hatte seit ihrer Geburt ein psychisches Problem, was sie perfekt unter Kontrolle dank der Medikation gehabt hatte. Ein Jahr zusammen mit meinem Vater hatte gereicht, dass sie sich vom höchsten Turm unseres Gebäudes geworfen hatte. Dreißig Jahre der Selbstkontrolle hatte mein Vater innerhalb dreizehn Monate einfach zunichtegemacht.
Wenn Neo einen Vorteil witterte, dann nutzte er ihn erbarmungslos. So würde jetzt wohl auch die kleine Hallingway darunter leiden müssen. Nicht dass ich mir Sorgen mache, Mitgefühl für sie empfand, oder gar für ihre selbstverliebte Familie.
Das Verschieben eines hüfthohen Regals erregte nach wenigen Minuten wieder meine Aufmerksamkeit. Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete ich das pechschwarze Tier, welches sich durch die geheimen Tunnel des Nightengaleanwesens zogen, einen Weg in diesen Raum gebahnt hatte.
Verstaubt und teils voller Spinnenweben schüttelte es sein dichtes, schwarzes Fell und nieste einmal kurz, bevor es mit der Schulter das Regal zurück an Ort und Stelle schob. Erst dann starrten mich seine beiden gelben Iriden fragend an und eine zarte Stimme erklang in meinem Kopf. „Er hat doch wohl nicht etwa vor so tief zu sinken und eine Minderjährige zu verführen, oder?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich wüsste nicht, wann es mich je interessiert hätte, was unser Vater tut.“ Antwortete ich lediglich.
Das Biest bleckte seine Zähne, sodass es wie ein gehässiges Lächeln wirkte, bevor es an meine Seite trat, sich ausstreckte und genüsslich von mir kraulen ließ.

Rissa plant übles...

„Komm schon Hallingway! Ich habe Schnecken gesehen, die schneller laufen konnten, als du!“
Fluchend warf ich meinen Kopf in den Nacken. Mann... konnte er nicht einfach seine verdammte Klappe halten? Ich weiß ja, dass meine Ausdauer außerhalb des Bettes schwer zu Wünschen übrig ließ. „Ich bin ein Stadtmensch, Gott verdammt! Keine dumme Töle die einem Hasen hinterher jagd.“
Mein Lehrer verschränkte sehr verärgert die Arme vor dem Brustkorb, während die anderen Schüler bereits die Sportgeräte wegräumten und teilweise in ihre Pause gingen. Mal wieder hatte sich mein Mundwerk, als tödlich erwiesen, nachdem ich meinem Lehrer an den Kopf geworfen hatte, er solle sich die Eisenstange rektal einführen, vorher würde mich dort niemand hochbekommen. Tja, jetzt hatte ich einmal mehr den Salat, indem ich zehn Runden um den Platz laufen soll. Ich war jetzt bei vier und ein Ende war noch immer nicht in sicht. Zudem half mir meine nicht vorhandene Kondition genau Nüsse!
Wieso noch einmal, musste ich mir das antun? Ach, ja. Weil mein Bruder ein tyrannischer...
„Jetzt lauf endlich weiter, Hallingway! Ich will auch Pause machen und nicht Babysitter für dich spielen.“ Zähnefletschend zwang ich mich zu einer fünften Runde, jedoch immer wenn er wegsah, ging ich in einem gemütlichen Trab, um etwas Energie zu sparen. Sobald er jedoch wieder hersah, tat ich so, als müsse ich eine Pause machen. Danach wurde ich zwar erneut angeschrien, doch wenigstens konnte ich etwas Zeit schinden.
Während meiner achten Runde weigerte ich mich vehement, noch weiter zu laufen. Stattdessen verließ ich den Turnsaal, noch während ich mein Shirt runter zog. Augenblicklich wandte mein Lehrer artig seinen Blick ab, was mich innerlich etwas selbstzufrieden triumphieren ließ.
Hach, mit siebzehn genoss man schon etwas mehr Anerkennung bei Männern, als diese kleinen verwöhnten fünfzehnjährigen Teufelsbraten.
„Na, hast du es endlich hinter dich gebracht.“ Spottete Violetta selbstgefällig. Sie konnte auch selbstgefällig sein, so ungern ich dies zugab. Ich hatte Violetta gewandt, wie eine Raubkatze über den Springbock springen sehen, einen Salto rückwärts machen, den Strick wie ein Äffchen hochklettern und einen Sprint hinlegen, der jedes der Mädchen zurückfallen hatte lassen.
Ich ging zu meinem Spind, in dem ich meine Uniform untergebracht hatte und zog den zur Verfügung gestellten Sport BH über den Kopf. „Boah, ich hasse diesen Vollidioten! Was erwartet der denn? Ich habe die letzten zwei Jahre meines Lebens hart gearbeitet. Wie kommt der darauf, dass ich jetzt aus heiterem Himmel diese ganze Kinderkacke hier können soll?“ Frustriert sprang ich auf einem Bein herum, während ich mein zweites Bein aus meiner Sporthose befreite.
„Tja, hättest du mal deinen Abschluss gemacht, würdest du uns fünfzehnjährigen nicht so hinterherhinken, alte Frau.“
Wütend funkelte ich das freche Gör an, welches es wagte mich >alt< zu nennen! Mit einer kurzen Musterung ihres bereits, mit der Schuluniform bekleideten, frisch geduschten Körpers, verwandelte sich mein Zorn in pure Ignoranz. „Stimmt. Mit meinem wesentlich erwachseneren Körper kann ich natürlich nicht mit euch mithalten.“ Stöhnte ich gespielt frustriert. „Im Gegensatz zu dir muss ich ja diese Dinger mit mir beim Rennen herumschleppen.“ Stolz wackelte ich mit meinen wesentlich größeren Brüsten vor Violetta herum, welche ich sichtlich auf einem unangenehmen Fuß erwischte, wie beabsichtigt.
Rot vor Zorn stemmte sie die Hände in die Hüften, was ihre schmale Brust bloß noch weiter zur Geltung brachte. „Wenigstens sagt man mir nicht hinterher, dass ich eine Hure sei!“
Lachend ging ich auf den Duschbereich zu. „Und das von einer verbitterten Jungfer, die sicher noch nicht einmal ihren ersten Kuss bekommen hat.“ Mann... irgendjemand sollte dringend Klebeband mit sich führen, um mein vorlautes Mundwerk endlich zu verschließen. Damit machte ich mir alles andere, als Freunde. Nicht dass ich welche haben wollte, denn solche machten mir das Leben ohnehin bloß schwieriger, nicht leichter.
Zurück bei meinem Spind fand ich meine Sachen ausgeleert auf dem Boden vor. „Sehr erwachsen.“ Lachte ich und sammelte alles wieder ein. Nichts dass ich nicht bereits erlebt hätte. Dabei war das Ausleeren meiner Sachen noch das harmloseste. Meine Schulsachen hatte schon Tauchgänge hinter sich, Farbattacken, Zerstreuung im gesamten Schulgebäude, zerschnittene Kleidung, verlegte Kleidung, ein mir entgegen kommender Spind... Hach, das waren noch Zeiten!
Von daher gab es also nichts, mit dem mich diese kleinen Ziegen je fertig machen könnten. Ich war größer, fieser und wesentlich erfahrener geworden.
Ich gebe ja zu, damals hatten mich zu Beginn der Attacken noch solche Sachen zum Flennen gebracht. Nachdem mir meine Mutter jedoch einmal versichert hatten, dass sie bloß neidisch wären und ich diese Taten einfach übergehen sollte, um damit ihr Interesse zu verlieren, bekam ich so etwas, wie eine stählerne Haut was kindische Streiche anging.
Ausnahmen waren, wenn man sich körperlich versuchte mit mir zu messen. Meine Kleidung zu verstecken, damit ich nackt durch die Schulflure bis zum Direktorat laufen musste, war mir gleich. Aber mich an den Haaren ziehen, oder schubsen... Gnade ihnen Gott. Das hatte schon dem einen oder anderen Veilchen eingebracht und ein angeknackstes Schlüsselbein. Von den Kratzern fange ich besser überhaupt nicht erst an.
So ging ich selbstzufrieden, da mir mein Alter durchaus bewusst war, in meine Pause. Während ich hinaus trat, knöpfte ich noch meine dunkle Bluse zu. Schade dass es keine weiße, war, die würde nämlich dank meiner Haare durchsichtig werden. Bestimmt hätte dies dem einen oder anderen Jungen hier an der Schule interessante Tagträume beschert.
Unfreiwillig lief ich in meinen Sportlehrer, der sich erst zu erkennen gab, als meine Bluse artig bis oben hin verschlossen war. „Hallingway, hast du einen Moment?“
„Um noch mehr Zeit von Ihrer Mittagspause zu stehlen? Ja, klar, Mister Silvermoore.“
„Sehr nett, komm mit.“ Ein ernstes >Wörtchen<. Mann, diese Zeiten hatte ich alles andere als vermisst!
Er führte mich in die Lehrerumkleide, in der auch ein Schreibtisch stand. Er ließ sich genüsslich auf den eingesessenen Drehstuhl fallen, legte seine beschuhten Beine auf die Tischplatte und griff nach seinem angebissenen Sandwich. „Du weißt, weshalb ich dich um ein persönliches Gespräch bitte?“
Ich ließ mich ebenfalls auf den Stuhl ihm gegenüber fallen und schmiss dabei meinen Rucksack auf den Lehrertisch. „Weil ich ja so unerzogen bin. Ich weiß, ich weiß. Die Laier kann ich bereits hoch und runter beten.“ Natürlich unterließ ich es nicht, genervt mit meinen Augen zu rollen.
„Okay, du kennst das Prozedere. Und ich weiß nicht, wie du von den Lehrern in der Vergangenheit deshalb behandelt wurdest, aber eines kannst du dir sicher sein. Du bist Logans kleine Schwester. So schnell fliegst du nicht von der Schule, glaube mir. Und wenn Logan erfährt, was du hier in der Schule abziehst, nur um so schnell, wie möglich wieder frei zu kommen, so garantiere ich dir, dass keine Hausarbeit der Welt schrecklicher, als dein Bruder sein wird. Er ist der Meister in Reden schwingen und Bestrafungen finden.“
Blah. Blah. „Toll. Früher kam man mir, wenn die Lehrer nicht mehr weiter wussten mit Moral, und ich solle doch bitte an meine arme Mutter denken, die ohenhin schon so viel für mich tut. Jetzt ist es eben mein Bruder, mit dem man mir droht. Sehr einfallsreich, ehrlich.“ Spottete ich, während ich meinen Rucksack öffnete und das belegte Brötchen heraus zog, das ich von Vanja mit bekommen hatte. Mh! Tomaten!
„Marissa, ich meine es ernst! Mit Logan ist nicht zu spaßen. Du kennst ihn vielleicht noch nicht lange, aber ich schon. Ich kenne ihn bereits seit dem Kindergarten.“ Kauend entfernte ich einige Brösel von meiner Uniform und hörte überhaupt nicht mehr zu. Was für ein Kindergarten?
„Rissa? Hörst du mir zu?“
Fragend horchte ich auf. „Hm? Ja, klar.“ Ich hatte absolut keinen Schimmer.
„Okay, dann verstehst du, dass ich deinem Bruder bescheid geben muss. Und wenn du dich den restlichen Tag auch noch so aufführst, so wirst du hier keine Freunde finden.“
Ich lachte amüsiert, nachdem ich mir Sauce aus dem Mundwinkel gewischt hatte. „Weshalb sollte ich mich mit den Kindern anfreunden? Soll ich hier etwa den Babysitter machen, wie ihr, oder... Oh!“ Da kam mir ein interessanter Gedanke.
„Oh, Mann. Den Blick kenne ich. Was hast du vor, Rissa?“
Mit einem extrem falschen, doch lieblichen Lächeln auf den Lippen, zwinkerte ich Professor Silvermoore zu. „Nichts unanständiges, keine Sorge. Aber jetzt will ich Sie nicht länger von Ihrer verdienten Pause ablenken.“ Ich legte das angebissene Brötchen zurück in meine Box und packte es ein.
Mit einem tiefen Seufzer, um sich selbst zu beruhigen, rieb sich Professor Silvermoore das Nasenbein. „Egal was dir durch den Kopf schießt. Konzentrier dich doch einfach auf deinen Abschluss, danach bist du alle fünfzehnjährigen, alle Lehrer und deinen Bruder los.“
Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Ich weiß. Darf ich jetzt gehen?“
Misstrausch beäugte mich mein Sportlehrer noch einen langen Moment, bevor er einsah, dass er ohnehin nichts ausrichten konnte. Mit einem Handwink verwies er zur Türe. „Benimm dich, ja!“
Zu meinem eigenen Glück sah ich nicht mehr, wie Silvermoore zu seinem Handy griff und Logans Nummer wählte, um ihn vor kommenden Ärger zu warnen.

Jared wird ausspioniert...

Feierabend.
Mit Abstand, das schönste, an diesem Tag. Nachdem ich meinem Vater beim Abendessen davon überzeugt hatte, dass ich für seinen kleinen Intrigen Plan keinen Finger rühren werde, hatte er es aufgegeben und damit angegeben, dass er es schon alleine schaffen würde, ganz ohne meine Anteilnahme, die Sicherheit seiner Töchter zu garantieren. Dann würde ich einfach überhaupt nichts von dem Erbe zu sehen bekommen. Gut, dass mir alleine meine Mutter vor ihrem Tod ohnehin ihr Erbe vermacht hatte. Damit hatte ich eine sehr gute Absicherung bis zum Tod.
Gelangweilt zählte ich die drei Eiswürfel in meinem Glas, voll mit Scotch und überlegte meine nächsten Schritte. Um das Interesse meines Vaters an mir endgültig im Keim zu ersticken, wäre es klug auch meine Schwestern abzusichern. Klar, wir leben bereits im einundzwanzigsten Jahrhundert, doch dank den Gesetzen, liefen diese Vereinbarungen unter den fünf Herrscherfamilien erst nach gut weiteren zwölf Generationen aus.
Am einfachsten wäre es ja, diese Verträge einfach verschwinden zu lassen, doch da jede Familie ihre eigene besaß... Nein, das war ein wahnsinniges Unterfangen und würde nur zu einem Weitern Krieg führen. Wenn sich dieser unsinnige Krieg bloß gegen die letzten Hallingway richten würde, so würde das Leben aller Nightengale wesentlich einfacher werden.
Hell gegen Dunkel. Schwarz gegen Weis.
Schon im frühen Mittelalter hatten sich ihre Clans bis zum Tode bekriegt. Erst dem letzten stehenden Alpha war es, Ende des neunzehnten Jahrhunderts, gelungen Frieden in dieses Chaos zu bringen. Seitdem herrschte nur ein einziger Alpha, ein Anführer über alle fünf Clans. Blöd nur, wenn es zur Zeit drei gleichzeitig gab. Schmunzelnd dachte er an dieses wandelnde blonde Chaos.
Sie machte es den anderen Schülern angeblich fürchterlich schwer sie zu mögen und hält sich für etwas Besseres. Violetta war nach dem Unterricht überhaupt nicht mehr zu irgendeinem anderen Thema abgerückt. Sie interessierte es alleine, wie sie diese gehässige >Schnepfe< von ihrem hohen Ross schubsen konnte.
Ehrlich gesagt fand das sogar ich hoch interessant. Wie könnte eine kleine Zicke, wie seine Schwester, die Jared zweifellos liebte, mit einer arroganten Einzelgängerin konkurrieren?
Ich sah keinen Weg für meine kleine Schwester, als bei dem Versuch der Länge nach auf die Schnauze zu fallen. Andernfalls, da diese Marissa ja noch nichts vom Familienerbe ahnte, könnte Violetta dieser in ihrer gewandelten Gestalt einen Riesen Schrecken einjagen.
Selbstgefällig grinsend, nippte ich an meinem Glas und genoss den Geschmack des Pfirsicheistees. Für mich und meine Familienmitglieder konnte Alkohol meist unkontrolliert ausschlagen. Jedoch mussten wir auch den Schein wahren. Menschlich wirken, während wir unseren Instinkten meist freien Lauf ließen.
„Wann brichst du auf?“
Mein Blick glitt hinab zu dem dunkelhaarigen Mann, welche es sich auf meinen Schenkeln bequem gemacht hatte. „Gleich. Ich trinke nur zu Ende.“
„Kommst du morgen wieder?“
Das Schulterzucken sagte vermutlich alles aus, was es sagen sollte. Langsam zog sich der Stripper zurück und ging zurück an die Bar, um mir meine Rechnung zu bringen. Gleichgültig steckte ich einen Schein zwischen die Seiten, welche viel Trinkgeld versprachen und machte mich auf den Rückweg zum Anwesen.
Gegen jede Erwartung traf ich zwei meiner Schwestern auf der Terrasse an, während sie Tee tranken und etwas, zweifellos frisch gebackenes, Gebäck knabberten. Violetta backte, immer wenn sie sauer war. Eine ihrer niedlichsten Eigenschaften, die man kaum von einem Zwerg, wie ihr erwartete.
Ohne mich in ihr Gespräch zu mischen, welches – oh Wunder – sich immer noch um die berüchtigte Marissa Hallingway drehte, nahm ich platz und ließ mir vom Butler noch eine Tasse bringen.
„Himmel du stinkst wieder, Jared! Wie erträgst du diesen ätzenden Rauchgeruch nur?“ Beide Mädchen wackelten mit den Händen vor mir herum, um den Geruch zu verscheuchen, was klarerweise kaum möglich war.
„Frag deine Schwester Tatiana. Die Raucht auch von Zeit zur Zeit eine. Ich hingegen befinde mich lediglich in der Anwesenheit von Rauchern.“ Besserte ich Violetta aus. Violetta warf ihrer ältesten Schwester einen angeekelten Blick zu. „Igitt!“
„Was denn? Das Nikotin beruhigt mich.“ Verteidigte sich die älteste kläglich.
„Wovon musst du dich denn beruhigen? Vom shoppen und dein Make-Up überprüfen?“ Zog ich sie lachend auf, wofür sie mich anknurrte.
„Das ausgerechnet vom Heuchler des Hauses.“
Ich verneigte mich gespielt, bevor unser Butler die Teetasse abstellen konnte. „Womit habe ich denn dieses Kompliment verdient. Sonst beschimpfst du mich eigentlich viel schlimmer.“
Violetta kicherte hinter ihrer porzellanenen Teetasse.
„Weißt du eigentlich, dass ich dich habe auspionieren lassen?“
Überrascht zog ich eine meiner schwarzen Brauen hoch. „Wozu das denn?“ Nicht das ich irgendetwas zu verheimlichen hätte. Besonders nicht vor meinen Schwestern.
Meine ältere Schwester zuckte gleichgültig mit den Schultern und warf mit einer Hand überheblich ihr Haar zurück. „Ich war neugierig, was du so treibst in der Schwulenbar, in der du immer abhängst.“
Stöhnend verdrehte ich die Augen. „Du hast vielleicht perverse Fantasien, Schwesterchen.“
Angeekelt verzog Tatiana das Gesicht. „Igitt, ich wollte doch keine Einzelheiten. Bloß einen Bericht, was du dort so treibst. Seit fast sieben Monaten lasse ich dich nun schon beschatten, und weißt du was? Langsam glaube ich wirklich, dass du nur behauptest schwul zu sein, um unseren Vater zu ärgern.“
Dieser Behauptung war ich bereits häufig genug ausgesetzt gewesen, um mich nicht mehr gekränkt zu fühlen. Besonders von meinem Vater aus, konnte ich mir mehr, als oft genug anhören, dass er diese ganze >homosexuelle< Sache für erfundenen Quatsch hielt. „Und das ausgerechnet von dir? Ich bezweifle dass dir dein Informant gesagt hat, dass ich die gnaze Zeit bloß an der Bar sitze und Eistee trinke, nicht wahr?“
„Zugegeben...“ Gestand Tatiana ein. „...er hat erwähnt, dass du dich alle paar Wochen mit einem Liebhaber zurückziehst. Aber die meiste Zeit bist du dort bloß zum Tratschen und Trinken.“
Die Augen verdrehend biss ich von einem Keks ab, welcher tatsächlich in der Mitte noch heiß war. Erst nachdem ich geschluckt hatte, nahm ich das Gespräch wieder auf. „Tatiana, wenn ich dir einen Rat geben dürfte? Bleib beim designen von Unterwäsche und versuch dich niemals, als Detekivin.“
Kindisch streckte sie mir die Zunge heraus, woraufhin wir alle drei lachten.
„Na gut, ich gebe zu, diese Nachforschungen waren etwas übertrieben. Aber ehrlich, Jared...“ Sanft legte sie eine Hand auf meinen Unterarm. „...wir haben dich alle lieb, ja. Und wenn du dich nur verstellst, um nicht in eine lieblose oder chaotische Ehe zu geraten, dann sind wir die letzten, die dich dafür verurteilen. Das weißt du doch.“
Tief durchatmend nickte ich. „Danke Tiana. Das weiß ich. Und ihr könnt euch darauf verlassen, dass selbst wenn Vater in nächster Zeit verstirbt und unser Erbe an die anderen vier Clans aufgeteilt wird, wir fünf immer noch finanziell abgesichert sein werden, klar! Mama kannte die Bedinungen im Erbvertrag und hat ihren eigenen aufgesetzt, in dem ich alles von ihr Erbe, was rechtmäßig ihr zustand, erhalte. Das ist einiges. Zudem habe ich Wertpapiere angelegt, die immer mehr Wert werden in den Jahren. Macht euch also ebenfalls keine Sorgen und lasst euch von Vater keinesfalls zu irgendetwas überreden, was ihr nicht wollt.“ Letzteres sagte ich an Violetta gewandt.
Auch sie lächelte mir dankbar zu, obwohl es mir im Herzen wehtat die junge fünfzehnjährige jetzt schon mit Erbproblemen zu belasten.
„Ja, wir werden immer alles für dich regeln, Violetta.“ Stimmte Tatiana mir zu. „Du kannst alles lernen, was du willst, okay. Mach dir darüber niemals sorgen.“
Dankbar griff Violetta nach meinem anderen Arm und mit der zweiten Hand nach Tatianas Fingerspitzen. „Ich hab euch zwar lieb, aber bitte hört auf von Vaters Tot zu sprechen, als würde dies bald geschehen.“
Erneut lachten wir, ich erleichtert darüber, wie leicht Violetta die ganze Sache nahm. Dies lag eben in unseren Genen. Nightengale starben nicht einfach so aus. Vielleicht war es auch gut, wenn unser Erbe im Sande verliefe, somit wären wir freie Leute, keine... gefangenen des Familienerbes. Obwohl man im einundzwanzigsten Jahrhundert kaum noch frei sein konnte, als Lebewesen mit einer gespiegelten Seele.

Logan muss Eingeständnisse machen...

Zähneknirschend zischte ich ins Handy. „Danke, Rick.“ Dann legte ich auf.
Vanja legte beschwichtigend ihre Hand auf meine Schulter und massierte sanft mit der anderen meinen Nacken. „Was hat Richard gesagt? Gab es schon ärger?“
„Ärger?“ Fragte ich schnippisch. „Diese Göre macht den Lehrern das Leben zur Hölle. Ich glaube, ich kann noch ein paar tausender mehr spenden... für einen Knast.“
Vanjas heiteres Lachen beschwichtigte meine gespannten Nerven und mein wildes Innere kehrte zurück an seinen Platz. „Ach, Schatz. Wäre es nicht einfacher, ihr alles zu sagen? Wenn Marissa weiß, wer sie ist, dann kann sie sich auch dementsprechend verhalten.“
„Aber wenn sie sich niemals verwandelt? Vielleicht hat sie bloß den Charater eines Alphas, besitzt aber, als Halbblut keine... du weißt schon. Zweite Form.“
Ich fühlte einen sanft gehauchten Kuss in meinem Nacken. „Sieh dir Adam an.“ Mein Blick glitt zu dem kleinen Dreijährigen, der gerade mit seiner Eisenbahn spielte. „Wie würdest du ihm helfen?“
„Ihm werde ich von Anfang an sagen und zeigen, wie man sich richtig Verhält. Adam wird beide Seiten in sich im Einklang haben. Immer!“
Vanjas Finger glitten langsam streichelnd unter den Kragen meines Shirts, während ich genüsslich ihren lockenden Duft einsog. Zärtlich rieb ich meine stachelige Wange an ihrer zarten. „Deine Schwester hatte dazu niemals die Chance, das weißt du ganz genau. Sie hatte nie einen Alpha, der sie zurückpfiff oder ihr den Kopf gewaschen hat.“
„Marissa ist aber schon fast erwachsen.“
Liebevoll tätschelte sie meine Brust. „Aber nur fast, Schatz. Wäre sie ein Junge, hättest du noch viel mehr Zeit. Männer brauchen in der Pubertät nämlich immer ein bisschen länger.“
„Ha. Ha.“ Knurrte ich lachend. „Für diesen dummen Spruch sollte ich dich eigentlich über meine Knie legen.“
Ich drehte den Drehstuhl herum, sodass sich Vanja bequem auf meinem Schoß niederlassen konnte. „Nur, wenn du vorhast mich zu verführen, mein Liebster. Alles andere wäre nur gemein.“ Zärtlich knabberte sie an meinem Hals, während meine Finger ihre eigenen Wege über Vanjas Rücken zogen.
„Gott, ich liebe dich so sehr, weißt du das überhaupt?“
Mit dem schönsten Lächeln, das selbst die Sonne hinter ihr verblassen ließ, blickte Vanja von ihrer erhöhten Position aus, auf mich herab. „Oh ja, du hast mächtig Glück mit mir. Vergiss das nicht. Andernfalls müsstest du dich jetzt ganz alleine mit diesen Problemchen herum schlagen.“
Zur Strafe gab ich ihr einen Klaps auf den Hintern. „Freches Mädchen.“
Kichernd ließ sich Vanja nach vorne fallen, damit ich sie endlich küssen konnte. Leider wehrte dieser genussvolle Moment nicht einmal ansatzweise so lange, wie ich es mir wünschte.
„Igitt! Fresst euch in eurem Zimmer auf.“ Kam es plötzlich und etwas fiel polternd auf den Boden. Bloß widerwillig ließ ich von meiner Gefährtin ab und wandte mich Marissa zu, die eben in mein Büro geplatzt war, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Adam rief begeistert Marissa´s Namen und lief auf sie zu, um sie zu umarmen.
Marissa hatte richtig damit gelegen, dass Kinder die Einzigen waren, mit denen sie auskam. Das lag einfach in ihrer zweiten Natur. Der Nachwuchs ging uns allen über alles! Nichts war wichtiger in unserer Gesellschaft und als ein solcher Schatz wurden sie auch behandelt. Manchmal mussten sogar Meetings oder wichtige Geschäftsverträge warten, wenn ein Kind einen benötigte. Das war so etwas, wie ein ungeschriebenes Gesetz.
„Ich hörte, du hast schon an deinem ersten Tag für Ärger gesorgt?“
„Jemand muss ja die Lehrer auf trab halten, ansonsten würden sie sich nur über Schularbeiten ärgern. Etwas Abwechslung tut denen schon gut, keine Panik.“
Ich bemerkte erst, dass ich Vanjas Taille zu fest umklammert hielt, als sie ihre Hand sanft darauf legte.
„Denk an Adam.“ Säuselte Vanja in mein Ohr, bevor sie mir einen zärtlichen Kuss auf die Wange hauchte und zu unserem gemeinsamen Sohn ging. „Bleib standhaft.“ Grinste sie dann hinterhältig an Marissa gewandt, welche ihr bloß verwirrt hinterher sah. Gemeinsam mit Adam verschwand sie aus dem Büro und schloss die Türe hinter sich.
„Rissa, ich weiß dir passt das alles nicht, aber...“
„Natürlich passt es mir nicht! Ich will nicht in der Schule hocken und blöd an die Uhr starren. So etwas kann ich einfach nicht. Dieses... ruhig dasitzen und mich konzentrieren, auf Scheiße, die mich ohnehin nicht interessiert.“
„Rissa, dein Mundwerk!“ Mahnte ich streng. „Aber was wäre dir denn dann lieber? Möchtest du nach der Schule arbeiten, einen Sport ausüben... Was schwebt dir vor?“
Gefährlich lässig, schlug Marissa die Beine übereinander und lehnte sich auf die Unterarme gestützt vor. „Nicht zur Schule zu gehen, in eine Wohnung ziehen und für meinen Unterhalt selbst aufzukommen.“
Nachdenklich legte ich den Kopf schräg. Es wäre kontraproduktiv Marissa für ihren Tatendrang, für ihre Selbstständigkeit zu bestrafen. So etwas würde ich niemals tun. Aber ihr ihren Willen zu lassen, würde meine eigene Autorität untergraben, welche Marissa ohnehin nicht anerkennen zu schien.
„Wozu willst du eine eigene Wohnung und einen Arbeitsplatz? Ich kaufe dir alles, was du willst und du hast ein Zimmer so groß, wie eine Wohnung. Was passt dir daran nicht?“ Außer, dass es nicht ihr eigenes Revier ist.
„Dass das alles Almosen sind, Logan! Ich bin fast erwachsen, ich habe mich >fast< beispiellos die letzten beinahe zwei Jahre selbst versorgt. Ich gebe zu, nicht auf dem legalen Weg, aber immerhin! Ich habe keinen Tag gehungert, war zufrieden, habe hin und wieder Köpfe auf Tischen aufgeschlagen, oder bin zu Partys gegangen, wann ich es wollte.“
Na was sagte ich... Unabhängigkeit. Marissa wollte nichts, was sich nicht jeder andere Teenager in ihrem Alter wünschte. Oder noch viel wichtiger... ein eigenes Revier. Tief seufzend, da mir das alles überhaupt nicht behagte, gab ich ein wenig nach, ohne Marissa in die Freiheit zu entlassen. „Okay, wie sieht es mit einem Kompromiss aus?“ Hellhörig geworden, leuchteten ihre Augen freudig auf. „Sieh mich nicht so an. Du bekommst weder eine eigene Unterkunft, noch sonst irgendetwas.“ Das verstimmte sie augenblicklich wieder. „Rissa, sieh es einmal aus meinem Blickwinkel. Für mich bist du noch ein Kind. Du bist noch keine achtzehn, du hast keine Erfahrungen, außer der die du, wie du bereits erwähntest, selbst gesammelt hast. Und wie ich annehme, dich nicht unbedingt zu einem stabilen Familienleben führen wird.“
„Oh, um meine Familienplanung musst du dir ganz bestimmt keine Sorgen machen. Meine Gynikologin hat mir damals, als ich mich auf eine Schwangerschaft habe untersuchen lassen, festgestellt, dass meine beiden Eierspender so gut, wie keine Arbeit leisten.“
In jedem anderen Fall hätte ich das Mädchen vor mir nun bedauert. Marissa jedoch konnte ich keinesfalls bedauern, auch wenn es so gesagt, wirklich gemein klang. Nein, ich brauchte Marissa überhaupt nicht für so etwas zu bedauern, denn das war in unserer Familie völlig normal. Keiner von uns konnte sich ungehalten vermehren, da wir nicht mit jedem kompatibel sind.
Meinen Vater ungeachtet in diesem Fall, da dieser, wie immer jeden >normalen Wert< zu sprengen schien.
„Das ist normal in unserer Familie. Trotzdem solltest du das nicht, als einen Freifahrtsschein ansehen.“
„Hast du etwas ebenfalls eine verminderte... du weißt schon.“
„Hatte!“ Korrigierte ich Marissa mit erhobenen Zeigefinger. „Aber darüber möchte ich wirklich nicht mit dir sprechen.“
„Willkommen im Club, vielleicht in zwanzig Jahren dann, wenn ich ganz alt bin und mich ohnehin niemand mehr angreifen will, dann reden wir darüber wie du >das< überwunden hast.“
Innerlich den Kopf schüttelnd, musste ich dennoch auch lächeln. Es war das erste Mal, das Marissa andeutete, mich länger kennen zu wollen, als bloß diese aufgezwungenen, wenigen Monate. Dies bestärkte meine, nicht gerade gut, überdachte Idee. „Na gut, zurück zum Thema. Ich wollte dir vorschlagen, dass du dir, oder wenn du möchtest helfe ich dir auch sehr gerne dabei, einen Nachmittagsjob suchst.“ Als Marissa schon zum Jubeln aufspringen wollte, warf ich ein langgezogenes >aber< in den Raum. „Aber! Dafür verlange ich, dass du deine Klappe hältst in der Schule, und aufpasst!“
Unschuldig zwinkerte Marissa mir zu. „Klar, mich unsichtbar machen kann ich ausgesprochen gut.“
Innerlich schon wieder knurrend, lehnte ich mich am Tisch gestützt, vor. „Dir ist schon klar, dass ich damit nicht meine, dass du schwänzt.“
„Ach, komm schon!“ Murrte sie und verschränkte beleidigt die Arme vor ihrer Schuluniform. „Ich bin viel pflegeleichter, wenn ich nicht anwesend bin. Das weißt du!“
Ich deutete auf mein Handy. „Du bist nicht einmal ansatzweise pflegeleicht, denn den ganzen Vormittag habe ich Anrufe von der Schule entgegen genommen!“ Wieso wirkte Marissa jetzt plötzlich wieder so stolz bei diesem Vorwurf? Bestimmt konnte ich heute Abend bereits die ersten grauen Härchen abzählen, nur wegen ihr! Hoffentlich wird Adam niemals ein Teenager!
„Morgen ist ein Testag. Bekomme ich auch nur einen Anruf, kannst du den Deal mit einem Nachmittagsjob gleich wieder vergessen!“
„Oh Mann! Du bist so ein Spießer. Nur weil du in einer schicken Hightechvilla aufgewachsen bist, gibt dir das noch lange nicht das Recht, dich aufzuführen, wie Papa Schlumpf und zu erwarten, dass alle auf dich hören!“
Zähnefletschend sprang ich vom Stuhl auf, sodass er umkippte und überließ es meinen Instinkten den halbstarken Welpen in seine Schranken zu verweisen. Dieses Mal hielt Marissa sogar vierzig Sekunden lang, meinem Blick stand. Verdammt... Wenn sich da nicht bald etwas tat, würde das ganz üble Ausmaße annehmen. „Im gegensatz zu dir, bin ich nicht von einer liebenden Mutter aufgezogen worden, die alles für mich getan hätte. Nein! Stattdessen hatte ich einen egoistischen Vater an der Backe, einen der so selbstgefällig und kindisch ist, wie du. Weißt du, eigentlich, was das mit einem macht? Damit kann kein Kind der Welt glücklich werden. Ja, ich hatte meine Freiheiten durch den Mangel seiner Aufmerksamkeit. Und ja, ich habe viel Scheiße gebaut. Aber wenn ich sie gebaut habe, dann hatte ich keinen, bei dem ich mich anlehnen konnte. Was wäre passiert, wenn du deine Wohnung verloren hättest, mit einem Haufen Schulden am Buckel? Du hättest zu deiner Mutter zurückdackeln können, und sie hätte sich mit dir zusammen, um alles gekümmert! Was denkst du was Mal gemacht hätte? Er hätte vielleicht meine Schulden beglichen, ja. Aber weißt du was er dann gemacht hätte? Mich einfach auf der Straße schlafen, wie einen räudigen Köter. Manchmal hat er mich auch einfach tagelang im Keller eingesperrt, bis ich so hungrig war, dass ich nicht einmal mehr stehen konnte. Ich war meinem Vater scheiß egal, bis ich alt genug wurde, um etwas von Finanzen zu verstehen. Da musste ich ihm überall hin nachlaufen. Ich war quasi sein Leibeigerner und er nahm mich für selbstverständlich. Ist es das was du willst? In so eine Familie kommen? So eine Mutter einmal sein?“
Ich wusste nicht, ob die Tränen in den Augen von Marissa mir galten, oder ob ich ihr durch die ganze Schreierei angst eingejagt hatte. Meine Sinne sagten mir, dass sie kein bisschen Furcht vor mir verspürte, was mich dezent ärgerte. Verdammte Gene!
„Rissa...“
„Was war mit deiner Mutter?“ Offenbar hatte ihr starker Beschützerdrang die Oberhand übernommen, obwohl ich sie doch eben noch angeschrien hatte. Marissa machte es mir nicht gerade einfach, wütend auf sie zu sein.
„Sie starb bei meiner Geburt. Das... kommt leider häufiger vor in unseren Familien, wenn... wenn es einfach nicht passt.“
Eine Lüge witternd, legte Marissa den Kopf schräg. „Was meinst du eigentlich immer mit >unseren Familien<? Ihr sprecht alle immer davon, als wäre dies irgendein... Geheimcode.“
Verstehe... sie fühlte sich außen vor gelassen, da sie noch weit nicht alles über die fünf Familien wusste. Nur so viel, wie sie es selbst verkraften konnte.
Beschwichtigt zog sich mein Innerstes zurück und ich richtete meinen Stuhl auf, damit ich mich wieder hinsetzen konnte. „Einen geheimen Code gibt es nicht unbedingt, nein. Aber es stimmt schon, dass du bei weitem nicht alles über deine, unsere Hallingway Familie weißt. Unsere Geschichte reicht bis ins frühe Mittelalter zurück. Wir haben bereits alles aus dieser Zeit an das Museeum hier in der Stadt gespendet. Wenn du willst können wir einen Ausflug dorthin machen... Falls es dich interessiert.“
Marissa nickte hastig mit dem Kopf. „Ja! Unbedingt! Dann... nehmen wir Adam und Vanja mit. Wir machen einen... kleinen Ausflug. Ich habe ohenhin noch nicht viel von der Stadt gesehen.“
Schmunzelnd betrachtete ich meine kleine Schwester. Dass ihr das Wort >Familienausflug< nicht über die Lippen kommen wollte, fand ich überraschend niedlich. Marissa hatte nie großartig eine Familie besessen, außer ihrer Mutter, die nicht das nötige Durchsetzungsvermögen für ein Temperament, wie ihres besessen hatte. Und gerade das machte mir Sorgen. Wen Marissa tatsächlich in die Schiene einer einsamen Wölfin fallen würde, so hätte das keine positiven Auswirkungen auf ihre Psyche. Es mangelte ihr stark an Vertrauen und Beständigkeit. Ob vielleicht noch mehr in ihrer Vergangenheit vorgefallen war, als eine überforderte Mutter? Hatte Marissa überhaupt irgendwann einmal so etwas wie ein Vorbild besessen?
So ein Leben konnte ich mir kaum vorstellen. Rangordnung. Struktur. Es waren zwei der wichtigsten Sachen, die unsere Kinder mit auf den Weg bekommen mussten.
„Ja, klar. Sehr gerne. Wie wäre es gleich mit diesem Wochenende?“ Dann hatte ich noch ein zusätzliches Druckmittel.
„Lass mich raten.“ Marissa verzog misstrauisch das Gesicht. „Die Grundvoraussetzung ist, das ich mich benehme.“
„Und morgen Abend Babysittest. Ich will mit Vanja etwas unternehmen.“
Gerührt faste sich Marissa an die Brust, die Stelle, an der ihr Herz saß. „Du vertraust mir deinen Sohn an?“
„Nur zwei Stunden!“ Knurrte ich und verwies zur Türe. „Jetzt zisch ab bevor du wieder irgendetwas dummes sagst, was mich meine Meinung ändern lässt.“
Lachend zog Marissa von dannen, doch vergaß ihren Rucksack neben meinem Tisch. Kopfschüttelnd räumte ich den noch immer nicht durchgelesenen Kaufvertrag fort, dann machte ich mich, zusammen mit dem überraschend schweren Rucksack, auf den Weg zu Marissa´s Zimmer. Dort stellte ich ihn ab, klopfte zweimal und ging hinab ins Erdgeschoss.
Vanja saß vor dem großen Fernseher, im Spielezimmer der großen Jungs und sah sich eine Lernserie, zusammen mit Adam an, dem die Farben schon richtig gut saßen. Lautlos schlich ich mich von hinten an sie heran, obwohl ich wusste, sie würde mich bereits gespürt haben, seit ich den Raum betreten habe.
Lautlos schloss ich meine großen Hände um ihre zarten Schultern. „Hi, meine Schöne.“
„Papa! Rote Erdbeeren!“
„Sehr, gut mein Großer. Das ist richtig.“ Lobte ich und hauchte Vanja währenddessen einen Kuss auf die Schläfe.
„Na, wie ist es gelaufen?“
„Aus irgendeinem Grund hat sie es geschafft, dass ich ihr versprochen habe mit ihr gemeinsam nach einem Nachmittagsjob ausschau zu halten, am Wochenende einen Ausflug ins Museeum zu gehen und morgen Abend alleine mit Adam zuhause zu lassen.“
Vanja lachte erheitert los. „Wer hat ihr das eingestanden? Du oder deine bessere Hälfte?“
Knurrend kniff ich sie für ihren frechen Spott in den Hals. „Ich dachte immer, du wärst meine bessere Hälfte?“
Verlegen wurde meine Gefährtin rot. „Schmeichler. Aber ehrlich gesagt wundert es mich nicht. Du bist ein Alpha, Schatz. Du weißt am besten, was deinen Jüngeren hilft, also vertrau einfach auf deine Instinkte.“
Verspielt ließ ich mich über den Sofarücken hinab gleiten und schnappte mir Adam, um ihn auf meinen Bauch zu setzen, während mein Kopf den Platz auf Mamas Schoß einnahm. „Adam, weißt du was. Ich glaube deine Mama ist in wirklichkeit eine richtige Wölfin.“
Vanja lachte erheitert über das Lob, während Adam quietschend kicherte, da ich ihn kitzelte. Als ich damit aufhörte, damit er Luft schnappen konnte, begann er plötzlich lautstark zu jaulen. Vanjas Lachen wurde nur noch lauter. „Hast du meinem Sohn diesen Unsinn beigebracht?“ Knurrte ich beleidigt.
Plötzlich begann auch Vanja zu jaulen wie ein Wolf, und Adam ebenfalls erneut, dieses Mal in einer schiefen Tonlage. Völlig überrumpelt von deren Aktion, schwoll mein Herz ins Unermessliche. Eigentlich dachte ich, seit sie mir Adam geschenkt hat, ohne dabei zu sterben, ich könnte diese Frau unmöglich noch mehr lieben, als bisher. Doch Vanjas Verständnis und Aufgeschlossenheit... Sanft umfasste ich ihren Nacken, zog sie etwas zu mir herab und streckte mich gleichermaßen, um ihr einen Kuss auf die Kehle zu geben. Eine Geste des Vertrauens, des Versprechens und ein unbeschreiblicher Ausdruck meiner ewigen Liebe für sie. Diese Frau, die im selben Maße meine Henkerin, wie auch Verteidigerin war, würde ich mit allen Mitteln beschützen und verwöhnen.
Dankbar strich Vanja über meine Stirn, mein Haar nach hinten. „Ich liebe dich auch.“ Ihr Blick glitt zu Adam, welcher gerade versuchte auf meinem Bauch zu stehen, während ich ihn hielt, damit er nicht umfiel. „Euch beide.“

Samuel Cavanaugh lernt nie aus...

Das knallen von altem Metall, auf altes Metall, so wie das darauffolgende Einrasten eines Schlosses, ließ mich erschrocken zusammenzucken. Bloß widerwillig folgte ich den polierten Schuhen, auf welche ich im Moment blickte, weißer Strümpfe hinauf, zu einem knielangen Rock. Mit in die Hüften gestemmten Armen blickte die schwarzhaarige Schultussi auf mich herab.
„Na, erschreckt, Cavanaugh?“
Ich schnaubte abweisend und versuchte, meinen Fokus wieder auf das Lernmaterial für den heute noch ausstehenden Mathetest zu legen.
„Versuchst du etwa noch ein wenig Wissen, in dein mikriges Spatzenhirn zu schaufeln? Gib lieber gleich auf, du schaffst es ja doch nicht.“
Mit einem gekonnten Blick, versicherte ich mich, dass sich keiner der Schüler in Hörweite befand und knurrte die Nightengale Schnepfe zornig an. „Im Gegensatz zu dir, versuche ich zumindest zu lernen, denn meine Noten werden nicht bezahlt, wie deine.“
Violetta lachte mehr überheblich, als amüsiert. „Oh stimmt ja... du bist ja bloß ein kleiner Cavanaugh!“ Höhnte sie.
Hier an der Schule gab es nicht viele, die so waren, wie Violetta und ich, den großen Gründerfamilien angehörend. Sogar das Lehrpersonal war größtenteils rein menschlich. Es gab bloß zwei Lehrer, die aus dieser gut ausgewählten Personalbesetzung herausragten. Das waren unser Sportlehrer, ein Silvermoore, der dafür zuständig war, dass wir auch wirklich an unsere Grenzen gebracht wurden, uns unter Kontrolle hielt, falls wir ausrasteten und auch sonst, als Ansprechpartner zur Verfügung stand. Dann gab es noch eine Geschichtslehrerin, die jedoch bloß Teilzeit hier arbeitete, eine Redhill.
Das hatte den besonderen Grund, dass keine Streitigkeiten entstanden, da die Schule offiziell, als weiße Zone erklärt worden war. Hier wurden wir Jugendliche nicht nach den Hausregeln behandelt, sondern als völlig normale Schüler, die wir hier auch gaben. Zumindest die meisten von uns, natürlich waren die Nightengale die große Ausnahme aller Regeln. Die taten immer, was ihnen gefiel, auch wenn es nicht ganz legal ablief, oder manche Rudelgesetze einmal gebogen werden mussten.
Ein bereits gewohnt, dominanter Geruch, ging der fünften und neuesten Wölfin in dieser Schule voraus. Anfänglich hatte es mich gewundert, dass Marissa, obwohl sie noch überhaupt nicht im Einklang mit ihrer anderen Seite war, so viel Autorität ausstrahlte, doch mein Vater hatte mir erzählt, dass dies ganz normal bei angehenden Alpha sei. Durch diesen Geruch konnten erwachsene Alpha während der großen Entwicklungsphase gebührend eingreifen, um das aufkeimende Temperament des Jugendlichen unter Kontrolle zu halten. Hätte man das bei Marissa etwas früher gewusst, wäre ihr Leben bestimmt wesentlich friedlicher abgelaufen. Somit hatte ich fürchterliches Mitleid mit ihr und würde ihr zu gerne erzählen, was sie war, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie nicht so alleine war, wie sie sich offensichtlich fühlte.
„Na, sieh an. Wenn das nicht die Ergänzung zu dem jämmerlichen Cavanaugh ist. Billig und jämmerlich. Das passt doch.“ Spottete Violetta, sobald Marissa um die Ecke gebogen kam und sich ebenfalls, an meiner anderen Seite, ähnlich wie Violetta an den Spind lehnte. Langsam fühlte ich mich hier ziemlich eingeengt.
„Na, wieder auf der Jagd, kleine Nightengale? Ich dachte, du hättest endlich begriffen, dass Sam nicht auf dich steht. Er sieht dich ja noch nicht einmal an, genauso wenig, wie alle anderen Jungs an dieser Schule.“
Mein Herz spielte für einen unwirklichen Moment verrückt und mein Wolf horchte ebenfalls auf. Man konnte kaum abstreiten, dass Violetta nicht hübsch sei, so wie ihre anderen Schwestern, doch auf mich stehen? Niemals! So weit fantasierte nicht einmal ich. Violetta gab sich ohnehin niemals mit irgendwelchen Jungs ab, und die Jungs selbst hatten bereits lange begriffen, dass Violetta nicht zu haben war. Nightengale Mädchen warteten lieber auf Prinz Charming, den ihr Vater für sie ganz speziell aussuchte.
„I-Ich?“ Stammelte Violetta für einen Moment irritiert von Marissa´s Anschuldigung. Hastig riss sie sich wieder zusammen und wurde wieder vollkommen kühl. „Ich habe keine Ahnung, wovon du da fantasierst, aber eine Nightengale würde sich niemals für einen Cavanaugh interessieren. Sieh ihn dir nur einmal an. Diese billige, abgetragene Kleidung, die sie immer anhaben. Einfach nur peinlich! So etwas würde ich nicht einmal, als Staubfetzen meinem Dienstmädchen geben.“
Okay, das war gemein und tief unter der Gürtellinie. Aber es stimmte schon irgendwie, dass meine einzige schicke Kleidung, mein Abendanzug, so wie die Schuluniformen waren. Ansonsten trug ich meist zerrissene Jeans, Shirts die mir zu groß waren oder jetzt, wo der Winter anstand, meine braune, dicke Jacke. Nichts von alldem war auch bloß ansatzweise Designerkleidung, wie alle Nightengale sie selbst zum Schlafen trugen.
Meine Familie hatte natürlich Geld, aber ich konnte mir kaum vorstellen, mir ständig etwas, um mehrere hundert zu kaufen! So lange trug ich meine Kleidung auch wieder nicht, als dass ich so viel Geld dafür ausgeben würde.
„Oh, entschuldige.“ Marissa klang nicht einmal ansatzweise aufrichtig. „Ich dachte nur, da du ständig bei ihm herumhängst, dass du ihm hinterher dackelst, wie eine verliebte Tussi. Sonst ignorierst du jeden Jungen auf diesen Planeten, während du unseren süßen Sam geradezu Hinterherschmachtest.“
Ah! Daher wehte also der Wind. Natürlich konnte Marissa die Anziehung nicht verstehen. Wölfe suchten ihresgleichen, besonders wenn sie unter Stress standen. Violetta kam nicht zu mir, um mich >anzubaggern< sondern um ihren inneren Stress, aufgrund vermutlich des Tests der heute Anstand, bei mir abzuladen. Die Nähe von unseresgleichen beruhigte uns zumeist, in einer Schule, die zu neunundneunzig Prozent aus Menschen bestand. Nur wie erklärte man das nun einer Unwissenden?
Violetta wählte wie immer nicht gerade die charmante Art. „Kein Grund zur Eifersucht, Hallingway. Ich interessiere mich für keinen einzigen Jungen an dieser Schule, die haben ja ohnehin kein Geld. Und für den jämmerlichen Cavanaugh noch weniger. Der einzige Grund für mich hierzusein, ist der, weil es so einfach ist sich über Samuel lustig zu machen. Sieh ihn dir nur an! Das ungepflegte Haar, der ständige Versuch cool zu wirken. Einfach nur peinlich! Und wer, wenn nicht ich, könnte sich am besten darüber lustig machen?“
Marissa ließ sich neben mich zu Boden gleiten, als Violetta sichtbar den Rückzug antrat. „Red dir das bloß schön weiter ein. Ich bin mir sicher, irgendjemand wird dir diese Lüge schon glauben... wenn du genug dafür bezahlst.“
Schnaubend wandte sich das Nightengale-Mädchen ab und zischte mit wallender Mähne davon. Für einen Moment sah ich ihr hinterher. Weniger ich, als mehr der Wolf in mir. Ich wusste, dass er nach einer starken Gefährtin suchte. Jemanden, der sich nicht leicht unterkriegen ließ und auf den er selbst in seinen schwachen Momenten, ohne Scham setzen konnte.
Violetta Nightengale jedoch, gehörte nicht einmal ansatzweise zur engeren Auswahl. Nicht nachdem sie mich bereits seit Kindheitstagen so herablassend behandelte.
„Süßer Arsch, was?“ Scherzte Marissa neben mir.
Ich schnaufte bloß abweisend und senkte meinen Blick wieder auf meine Notizen. „Danke für die Rettung. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, ihr vorzuwerfen, dass sie auf mich steht. Diesen Trick merke ich mir für die Zukunft, dann lässt sie mich sicher bald in Ruhe.“ Wir lachten über den Gedanken, denn er war tatsächlich sehr hinterhältig.
Seufzend lehnte sich Marissa gegen den Spind hinter ihr. „Na dann hoffe ich, dass du dich nicht täuscht. Ich weiß nähmlich, wenn ein Mädchen hinter einem Jungen her ist. Und bei Violetta ist das recht offensichtlich.“
Kopfschüttelnd seufzte ich. „Weißt du eigentlich, dass du hier von der jüngsten Nightengale redest? Nightengale lassen sich nicht auf Cavanaugh, Hallingway, oder Redhills ein. Das ist... ein geschriebenes Naturgesetz.“
„Die Allgemeinverdiener nicht zu vergessen.“ Scherzte Marissa, woraufhin ich wieder schmunzelte.
„Selbst wenn sie auf mich stünde, weder meine, noch weniger ihre Familie würde so eine Verbindung tolerieren. Es ist einfach... quasi ein Naturgesetz.“ Wiederholte ich mich.
„Ich rede ja auch nicht davon, dass ihr heiraten und zusammen durchbrennen sollt. Aber du bist jung. Violetta ist jung... Ihr seid beide Singles, nicht wahr?“
„Ja, das schon. Aber trotzdem. Violetta ist nicht mein Typ. Besonders nicht wenn sie mich... so behandelt.“ Ich deutete in die Richtung, in welche Violetta verschwunden war.
So ein Quatsch. Ich interessiere mich für Computer, will irgendwann einmal selbst ein Spiel erfinden, vielleicht aber auch in die Medizin gehen, wer weiß.
„Wäre sie also netter, würdest du sie nicht ausschlagen?“ Hakte Marissa auf einmal nach.
„Was interessiert dich eigentlich mein Liebesleben plötzlich so sehr?“ Lachend schubste ich sie leicht. „Kümmer dich um dein eigenes.“
„Meines ist mindestens so stark vertreten, wie dein eigenes.“
„Dann ändere das. Logan hat sicher nichts dagegen, wenn du mit jemandem aus der Stadt ausgehst.“
Marissa ächzte genervt. „Ob Logan es mir erlaubt oder nicht, ist mir so etwas von egal. Aber der schnuckelige Nightengale...“
„Rissa!“ Rief ich erschrocken aus, doch merkte rasch, dass sie mich bloß aufziehen wollte. „Über so etwas sollte eine Hallingway wirklich nicht scherzen.“
„Mann, du Spielverderber. Aber ernsthaft. Hast du dir seinen Hintern schon einmal angesehen? Mann... von dem würde ich wirklich gerne einmal heftig...“
„Rissa, er ist schwul.“
Überrascht zog Marissa die Brauen hoch. „Nicht dein Ernst!“
„Wohl.“
„Mann, der einzige halbwegs interessante Typ, mit dem ich sogar Logan quälen könnte und dann so etwas. Bist du dir ganz sicher?“
„Er hängt immer in dieser Schwulenbar, in der Nähe des Highways herum. Also, ja. Ich bin mir sehr sicher. Es könnte natürlich auch sein, dass er es bloß vorgibt, damit sein Vater endlich damit aufhört, ihn verheiraten zu wollen. Könnte ich sogar verstehen, unter so einem Kontrollfreak.“
„Also gibt es doch Hoffnung?“ Mutmaßte Marissa augenzwinkernd.
„Für dich? Nein, ganz bestimmt nicht. Wie gesagt, Nightengale´s interessieren sich für einige Familien kein bisschen. Du fällst wohl oder übel darunter.“
Schulterzuckend lehnte sich Marissa wieder zurück. „Ich habe schon schwierigere Typen geknackt.“ Auch wenn sie es als Scherz verpackte, konnte ich eine gewisse Wahrheit dahinter erahnen.
Mir war es ja an sich egal, wenn Marissa einen Nightengale anbaggerte, doch wollte ich nicht, dass sie verletzt wurde. Ich mochte sie, aufgrund ihrer Aufrichtigkeit, auch wenn sie nichts davon nett verpackte. „He, wie wäre es, wenn wir am Wochenende ausgehen? Ich kann dir etwas die nächtliche Stadt zeigen und vielleicht findest du jemand passenderen zum Anbaggern?“
„Für Samstag hat Logan mir versprochen, dass wir einen Ausflug ins Museum machen. Danach können wir uns von mir aus gerne treffen.“
„Du gehst ins Museum?“ Nicht dass ich meiner Cousine unterstellen wollte, sie sei dumm, doch ich hätte nie gedacht, dass Marissa ein Museenliebhaber sei.
„Nicht ganz freiwillig, aber er hat versprochen mir dort mehr über meine Familie zu erzählen. Also... alle Familien eigentlich.“
„Das klingt spannend.“ Stimmte ich begeistert zu. Am liebsten würde ich gleich selbst mit, da ich Museen liebe, doch bei einem Familienausflug wollte ich mich wirklich nicht aufdrängen. „Dann hole ich dich einfach ab. Ich gebe dir meine Nummer, damit du mir schreiben kannst.“
Kurz darauf läutete ohnehin die Schulglocke und beendete damit unsere Mittagspause. Dabei hatte ich ganz vergessen mich zu erkundigen, wie ihr zweiter Tag bisher gelaufen war. Nun, ja. Da ich bisher nicht gehört hätte, dass Marissa einen Verweis erhalten hat, durfte ich annehmen, es verlief recht gut für sie.

Freitag, der Tag an dem Jared Nightengale aus der Haut fuhr...

Wenn mich jemand fragen würde, ob ich lieber hier saß, in einer Bar und darauf wartete, dass es ein Uhr morgens wurde, oder lieber zuhause ein gutes Buch las, dann würde ich definitiv auf die Nummer zwei Tippen. Leider war es mir an diesem Abend vergönnt, da ein Geschäftstermin für meinen Vater geplatzt war und er nun seine Familie zusammen rief, um etwas Dampf abzulassen. Zu meinem großen Glück hatte Tatiana mich vorgewarnt, weshalb ich, anstatt nach Hause, direkt in meine Lieblingsbar gefahren war. Es war mehr los, als unter der Woche, somit wurde ich häufiger, als gewollt von gutaussehenden, Männern angesprochen, welche genug Mumm aufbrachten, um sich mir überhaupt zu nähern.

Leo, wie sein Künstlername war, ein Transsexueller und echt netter Kerl, half mir, diese aufdringliche Klette so schnell wie nur möglich loszuwerden, während in mir ein unruhiger Sturm tobte.
„Uh la, la. Da hat sich aber eine verlaufen.“ Witzelte Leo, bloß eine Minute später, kaum dass ich meinen Eistee einmal mehr geleert hatte. Alkohol vertrugen unsere Körper leider nicht allzu gut, sonst würde ich meine Langeweile im Moment eher darin ertränken.
„Hm?“ Fragte ich, vollkommen aus den Gedanken gerissen. Es war jedoch die Art meines Wolfes, wie er in die Höhe fuhr und mahnend sein Fell sträubte, als mir ein vertrauter Geruch in die Nase stieß.
Sie bemerkte mich nicht, sah noch nicht einmal in meine Richtung, als sie an der Theke ankam und kokette Leo zu sich winkte.
Ihre verboten langen Beine, steckten in halbhohen Stiefeletten, ihr Hintern wurde gerade mal so von etwas, dass sich Rock schimpfte verdeckt und endete knapp über den Ansatz ihrer Brüste. Sie hatte sich heraus geputzt, wurde mir klar, als ich die aufwändige Frisur bemerkte, die sie sich gemacht hatte. Wenn das nur Logan sehen könnte...
Mein innerstes knurrte bei dem Gedanken wutentbrannt und ehe ich mich versah, stand ich auch schon aufrecht.
Leo lehnte sich interessiert nach vorne, als sich die Lippen der blondhaarigen Bestie länger bewegten, als man für eine Bestellung brauchte. Er kniff ein wenig die Augen zusammen, musterte sie einen Moment lang, dann redete auch er wieder. Über den Lärm hinweg konnte ich zu meinem großen Bedauern nicht wirklich etwas verstehen, doch dass diese Göre nicht hier war, um etwas zu trinken und Dampf abzulassen, war mehr, als offensichtlich, wenngleich sich ihre Hüfte sanft im Takt der Musik bewegte.
Plötzlich lachte Leo und die Blondhaarige winkte verlegen ab. Was besprachen die beiden denn da so lange?
Als ob sie mein intensives Starren bemerkt hätte, wandte die Jugendliche ihre dunklen, verruchten Augen, in meine Richtung. Das war, wie ein Startschuss für meine innerste Bestie und sie begann wie wild an ihrer Kette zu reißen.
Ich mochte es nicht, dass sie hier war! Ich wollte sie hier nicht haben! Nie wieder!
Meinen verachtenden Blick scheinbar vollkommen ignorierend, winkte mir die Schlange mindestens genauso kokette zu, wie sie Leo zu sich gewunken hatte.
Okay! Das reichte!
Ich gab dem Drängen meines wahren Wesens nach und machte mich auf den Weg, durch das dichte Gedränge an willigen Männern.
Einmal fühlte ich sogar eine Hand an meinem Hintern und knurrte willkürlich, was mich selbst mehr überraschte, als den armen lächerlichen Bauern da vor mir.
Ich wandte mich schnaufend ab, nicht gewillt ihm auch nur einen Hauch an Mitgefühl zukommen zu lassen, und sah mich wieder nach meinem Ziel um... nur, dass sie fort war.
Wo war sie? Ich hob meine Nase und versuchte ihren einzigartigen Geruch wahrzunehmen, was aber erst funktionierte, als ich an dem Punkt ankam, wo sie gestanden war.
„Was ist?“ Fragte Leo, als er meine unruhige Suche bemerkte.
„Das Mädchen. Wo ist sie hin?“
Leo zuckte lediglich mit den Brauen, was mich fürchterlich ärgerte, als mich auch bereits ein dominanter Geruch geradezu zu erdrücken versuchte. Ich sträubte innerlich mein nicht vorhandenes Fell.
„Na, hast du mich schon vermisst, Nightengale.“ Witzelte sie und ließ sich von einem tanzenden Paar, mehr als freiwillig, noch näher in meine Richtung drängen.
Ich ging gar nicht erst darauf ein. „Du weißt, dass das hier eine Schwulenbar ist und Logan dich umbringt, wenn er es herausfindet?“
Ihre viel zu langen Wimpern schlugen ein paarmal unschuldig aufeinander. „Aber es war doch seine Idee, dass ich mir einen Job in der Stadt suchen kann, wo ich am Nachmittag arbeite.“ Ihre Stimme war wie Honig, doch die giftigen Stacheln darunter, waren mehr als offensichtlich. Sie reizte einmal mehr diejenigen, welche sehr an ihr hingen.
„Wieso sollte eine Hallingway arbeiten müssen?“
Ohne Körperkontakt zu mir herzustellen, lehnte sich Marissa Hallingway an den Tresen neben mich und ich hatte Mühe nicht in ihren Ausschnitt zu glotzen. Himmel, Mädchen! Noch etwas tiefer und alles was auch nur ansatzweise auf Frauen stand, würde darin versinken können! Hatte sie denn absolut keinen Anstand?
„Weil sie vielleicht unabhängig sein will?“ Schlug sie vor. „Oder weil sie demnächst Miete zahlen muss, wenn sie erst eine passende Wohnung gefunden hat.“
Ich konnte einfach nicht anders, als laut aufzulachen. „Das ist nicht dein Ernst! Ist es so weit und Logan hat dich bereits hinaus geworfen?“ Natürlich war das unvorstellbar. Sie ist ein Welpe!
Ein kleines Kind, das genau wusste, was es wollte und wie es das auch bekam, wie es schien. Ich war zwar ein ganzes Stück größer, als sie, doch mit ihren Stöckelschuhen, schwang sie sich anmutig auf den Hocker, welcher uns bisher getrennt hatte, und nahm den Cocktail an, welchen Leo ihr zuschob, während er an uns vorbei eilte.
„Als ob! Er erdrückt mich viel lieber mit seiner familiären Aufdringlich-... He!“ Ehe Marissa es schaffte, an dem Cocktail zu nippen, entwandt ich ihn ihr und goss ihn in das Waschbecken auf der anderen Seite.
„Du bist zu jung, um zu trinken!“
„Ich bin neunzehn!“ Empörte sich Marissa und log dabei, ohne mit der Wimper zu zucken. Ob sie es selbst etwa schon glaubte?
„Du...“ Korrigierte ich sie und lehnte mich drohend über diese freche Göre, welche hier, in meiner Bar, absolut nichts verloren hatte! „...hast hier noch nicht einmal etwas verloren. Das ist >meine< Bar.“ Ich war drauf und dran zu knurren, doch eingeschüchtert war das Miststück kein bisschen.
Stattdessen fasste sie nach meiner Krawatte, welche nur noch locker um mein Hemd saß und zog mich damit ein gutes Stück näher. Unwillig, mich davon einschüchtern zu lassen, bleckte ich beinahe die Zähne, als mir auch schon bewusst wurde, dass sie überhaupt nicht versuchte, mich einzuschüchtern... Ihre dunkelroten Lippen strichen unerwartet über meine frisch rasierte Wange, während sie sprach. „Keine Sorge, großer... böser... Nightengale...“ Wann war ihre zweite Hand in meinen Nacken gewandert? „...ich habe nicht vor, dir irgendetwas wegzunehmen.“ Ehe ich mich versah, hauchte mir die ausgefuchste Göre auch bereits schnurrend ins Ohr. „Manche Dinge zu teilen, ist eine doch viel... befriedigendere Tat, habe ich nicht recht?“
Na wenn das mal keine direkte Einladung war? Erwartete sie denn ernsthaft, dass ich darauf einging? Ich? Ein Nightengale!
Ich zog gröber, als sie es verdiente, ihre Hand aus meinem Nacken, den sie überraschend angenehm gestreichelt hatte, und hatte mittlerweile beinahe keine Kraft mehr, mir ein wütendes Knurren zu verkneifen. „Ich teile nichts... mit einer Hallingway!“ Na, wenn das nicht mal mehr, als eindeutig war!
Als ich jedoch triumphierend den Kopf hob, entdeckte ich ein süffisantes Lächeln auf ihren frechen Lippen. „Sag bloß, du bist zu schüchtern. Immerhin könnte eine einzige Nummer mit mir, deine gesamte Weltansicht erschüttern.“
Ich lachte herablassend. „Mit einem kleinen Kind? Dass ich nicht lache!“
Für einen Moment fiel ihre Fassade. Ich hatte sie unterhalb der Gürtellinie getroffen, was ich mir sofort einprägte. „Du hast mir nichts zu bieten >Mädchen<.“
Ihr dunkler Blick wurde intensiver, schien sich regelrecht in mein Gedächtnis einprägen zu wollen, während sie den Abstand zu uns wieder verringerte. Die Einschüchterung funktionierte jedoch noch nicht einmal ansatzweise, immerhin war sie noch keine richtige Alpha!
„Baby... das sagen sie immer, ehe...“ Sie balancierte geschickt auf dem Hockerteil, wo man eigentlich die Füße abstellen konnte, und war somit fast so groß wie ich selbst, während ich tunlichst vermied, mein Gesicht weiterhin in der Nähe von dem ihren zu halten. Das war jedoch etwas schwer, da Marissa nun beide Arme um meinen Nacken geschlungen hatte und sie hinunter fallen würde, wenn ich auch bloß noch einen Schritt machte. Trotzdem schaffte sie es erneut in die Nähe meines Ohres, welches bloß zu gerne jeden Laut den sie machte, aufschnappte. „...ich ihre strammen Schwänze leer lutsche. Glaube mir, wenn ich dir sage, dass meine Lippen genauso gut wissen, was Männer wollen, wie andere Teile meines Körpers... Warme... Feuchte Teile...“
Unwillkürlich sog ich ihre Witterung ein und verfluchte mich zeitgleich dafür. Wieso tat ich das? Mein innerstes drehte bereits am Rad, wollte dass ich dieses verzogene Miststück hier auf den Boden warf und ihr klar machte, wer von uns beiden im Moment der Stärkere sei, bloß um...
Meine Hände umfassten ihre kräftigen Schenkel und ich zog das Miststück, mit einem Ruck, zusammen mit dem Hocker, an meinen stählernen Körper. Ich nahm zufrieden wahr, wie ihr für einen Moment die Luft wegblieb, während ich sie so grob behandelte. Dann hob ich sie hoch und ignorierte ihren empörten Aufschrei. Oder ihre Schläge auf meinen Schultern... und die verdammt kreativen Flüche nicht zu vergessen!
„Ich sage es dir jetzt zum letzten Mal! Du wirst weder hier, noch in sonst einem unserer Grundstücke einen Job, noch ein Wohnquartier finden, haben wir uns verstanden?“ Verlangte ich zu wissen, als ich sie kaltherzig auf dem Bürgersteig hinunter fallen ließ. Einzig ihrem naturgegebenen Geschick war es zu verdanken, dass sie nicht am Hintern landete.
Herausfordernd lachte sie mich an, oder gar aus? Sie warf ihr Haar zurück und für einen Moment konnte ich schwören, goldene statt schwarzer Augen in ihrem niedlichen Gesicht vorzufinden. Aber vielleicht lag das auch bloß an einem der vorbei fahrenden Autos, denn für so eine körperliche Reaktion war es einfach noch viel zu früh. „Sagt derjenige, mit dem Ständer.“
Ich sah an mir hinab und fluchte innerlich. Ohne noch ein Wort zu verlieren, drehte ich herum und stürmte durch das Lokal, nach hinten zum Personalausgang, wo sie immer alle rauchten. Im Moment jedoch, war zum, Glück keiner da.
Was stimmte bloß nicht mit dieser Hallingway? War sie lebensmüde? Wollte sie, dass ich sie umbrachte und ein Rudelkrieg ausbrach? Das konnte ich mir kaum vorstellen, doch allzu abwegig war es dann auch wieder nicht.
Dieser dunkle Blick... Die verführerische Stimme... das Outfit... Und dann ausgerechnet meine verdammte Bar!
Ich knurrte verärgert, was die Ratten an den Mülltonnen dazu bewegte, erschrocken davon zu laufen.
Ich konnte dem Drängen in mir keine weitere Sekunde mehr nachgeben. Während ich beobachtete, wie dunkles Fell aus jeder meiner Poren spross, entledigte ich mich hastig meiner Kleidung. Ich schaffte es gerade mal meine Jacke, so wie das Hemd loszuwerden, da stand ich auch bereits auf allen vieren da. Mit den Hinterläufen strampelte ich den Rest der Hose ab und mit einer Vorderpfote, kämpfte ich die dumme Krawatte ab. Himmel, was stimmt nur nicht mit diesen Hallingway´s? Ich durfte diese blöde Kuh noch nicht einmal anfallen, da sie Menschenstatus besaß und damit unantastbar war.
Meine Wolfsbeine übernahmen die Kontrolle und trugen mich knapp über dem Waldboden, durch das Dickicht.
Nein... Noch schlimmer, sie stand sogar unter Welpenschutz! Niemand von uns tat einem jungen Wolf, oder einer jungen Wölfin etwas zu Leide, solange sie noch nicht verwandelt waren. Bedauerlicherweise dauerte es bei Alphajungen bedeutend Länger, bis sie ihre Form ändern können. Die Weibchen oft zwischen ihrem siebzehnten und achtzehnten Geburtstag. Die Männchen zwischen neunzehn und zwanzig Jahren. Normale Wölfe, Beta´s so wie dominantere, wie er selbst, konnten dies bereits ab zwölf Jahren. Es war zwar von Kind zu Kind unterschiedlich, doch großteils geschah es mit vierzehn. Was die Auslöser waren, wusste niemand. Es begann nicht mit der Pubertät, auch nicht nach einem Trauma... Selbst ausgeglichene oder psychopathische Gestaltwandler, und ja solche gab es natürlich auch, wie in jeder Gesellschaft, konnten nicht beeinflussen, wann sie ihren Wolf endlich bekamen. Wenn er ausbrach.
Er selbst konnte bereits mit dreizehn fließend zwischen seinen Gestalten wechseln. Seine jüngste Schwester erst seit sie vierzehn war, Tatiana jedoch bereits seit der Nacht ihren zwölften Geburtstag.
Oft dauerte es Jahre, bis man sich vollkommen wieder im Griff hatte, doch in seiner eigenen Familie kam die Kontrolle innerhalb eines Jahres. Was andere währenddessen als eine >schwierige Phase< bezeichnete, war die Zeit, in der wir lernten, wo unser Platz war im Rudel. Und ja, wir mögen vielleicht fünf vollkommen unterschiedlichen Rudeln angehören... Aber trotzdem gab es seit Mal auch darunter Rangordnungen. So wie Neo Nightengale seine Familie als Oberhaupt anführte, tat dies mittlerweile Logan bei den Hallingway´s, Phiona bei den Cavanaugh´s, Thomas bei den Silvermoore´s und Linette bei den Redhill´s.
Nur mit dem Unterschied, dass Logan zusätzlich noch dafür zuständig war, Friede zwischen den verschiedenen Familien zu wahren.
Das ging natürlich den Nightengale gehörig gegen den Strich. Sie waren die dominanteste Familie der gesamten Stadt. Kein einziger von ihnen war ein einfacher Beta! Sie alle waren ausnahmslos stark und geschickt. Trotzdem war es diesen verruchten Hallingway´s gegönnt die Anführer zu sein.
So etwas war einfach nicht gerecht! Es war schwachsinnig. Eigentlich musste er bloß Logan herausfordern. Als dominanter Wolf konnte er stark genug dafür sein. Er war erwachsen. Gesund und...
Ein Geruch ließ ihn innehalten. Es war Blut. Süßes, frisches Blut, welches mich mitten im Lauf hatte erstarren lassen und neugierig die Nase heben.
Ich kannte diesen Geruch. Ich wusste, von wem er stammte und gleichzeitig sträubte sich mir das Fell. Schon wieder!
Aber das, was ich roch, beunruhigte mich einfach. Das war viel zu viel Blut, für einen eingerissenen Nagel, oder eine blutende Blase am Fuß. Es glich mehr einer Platzwunde... Und tatsächlich! Als ich aus dem Dickicht des Waldes heraus kam, konnte ich ihre Witterung ganz deutlich erkennen. Der Wind schlug sie mir praktisch ins Gesicht!
Es war pures Glück, dass ich sie überhaupt bemerkte. Wäre ich bloß ein wenig tiefer im Wald gewesen... oder hätte einen anderen Weg nach Hause genommen, würde sie bestimmt noch morgen früh dort in der Senke neben der Straße liegen.
Ich trabte, mich vorsichtig nach allen Seiten umsehend, als ich die Straße überquerte. Als ich jedoch versuchte, in die Senke zu steigen, rutschte ich aus. Scheinbar war es hier noch feucht gewesen, vom leichten Regen heute Morgen und nun vereist. Aber heute war auch eine ungewöhnlich kalte Nacht. Mir war es überhaupt nicht bewusst gewesen. Vor allem als Wolf beeinflusste mich diese Temperaturen nicht sonderlich und wäre ich ein Hallingway, würde ich es vermutlich als frühlingshaftes Wetter bezeichnen. Aber die waren doch ohnehin alle verrückt, mit ihrer dicken Elefantenhaut!
Winselnd stieß ich das blondhaarige Mädchen mit der Schnauze an. Sie rührte bloß den Zeigefinger und gab einen unwilligen Ton von sich. Ich schnaufte, was ihr eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht pustete.
Dann eben Welpenschutz... Auch wenn es mir stark missfiel und ich das kleine Miststück am liebsten hier draußen erfrieren lassen würde. Ich stemmte mich mit den Hinterpfoten gegen die Erhöhung und versuchte sie, mit dem Kopf an ihrer Schulter, herum zu drehen. Klar, ich konnte mich natürlich auch verwandeln und in menschlicher Form ihren Zustand überprüfen. Aber erstens, würde ich mir sofort den Arsch abfrieren und zweitens, falls sie erwachte, und ich hockte nackt vor ihr... Nein, das Drama wollte ich mir nicht einmal ausmalen!
Lieber traumatisierte ich sie und ließ sie in dem Glauben, das ein böser schwarzer Wolf versucht hatte, sie aufzufressen. Das war meiner Meinung nach viel amüsanter. Zumindest so lange, bis sie die Wahrheit kannte.
„Ni... Nicht wecken...“ Murmelte sie im Schlaf, was mich ziemlich menschlich mit den Augen rollen ließ. Natürlich plapperte sie im Schlaf! Diese Hallingway´s waren anscheinend im Wachzustand noch nicht nervig genug!
Ächzend drehte ich ihren Körper herum, sodass sie nun am Rücken lag. Jetzt sah ich sie. Entweder war dieses dumme Mädchen herunter gerutscht und wirklich verdammt dämlich aufgeschlagen, oder ein Auto hatte sie gestreift. Aber es roch hier nicht nach verbranntem Gummi und das würde es doch, wenn jemand hektisch gebremst hätte, um ihr auszuweichen. Oder um zu sehen, wie es ihr ging? Nein, wäre es ein Auto gewesen, wären diese Menschen auf jeden Fall stehen geblieben und hätten sich um das Mädchen gekümmert. Fremdeinwirkung konnte ich getrost ausschließen.
Neugierig senkte ich meine feuchte Schnauze an die noch blutende Wunde. Sie war noch keine zehn Minuten alt, was bedeutete, die Hallingway konnte jeden Moment aufwachen. Aber... Ich erschnüffelte Splitter in der Wunde auf der Stirn. Glassplitter!
Knurrend sah ich mich erneut in alle Richtungen um, doch bis auf den starken Blutgeruch, konnte ich nichts mehr wahrnehmen. Nicht hier... Vorsorglich leckte ich über die Wunde, um sie zu desinfizieren und zeitgleich die Splitter heraus zu bekommen. Als auch der Rest von mir in die Wiese gespuckt worden war, sah ich, dass die Wunde glatt war und nicht einmal bis hinab ans Stirnbein reichte. Mehr als eine Beule und dieser Schnitt würde also nicht zurückbleiben. Dummes Mädchen!
„Mh...“ Kam wieder, als ich zur Sicherheit ein letztes Mal darüber leckte, sodass auch der übrig gebliebene Staub der Straße seinen Weg in die Wiese fanden, wo sie keine Blutvergiftung erzeugen konnten. „Kannst du das auch zwischen meinen Beinen machen?“ Fragte sie plötzlich. Ich erstarrte, meine Zunge hing mir zur Hälfte aus der Schnauze und ich riss erschrocken meine Augen auf.
Lautlos zog ich meine Zunge wieder ein und bewegte mich allmählich rückwärts. Ich würde einfach so tun, als hätte ich das nicht gehört!
Kaum hatte ich mich über den Abhang auf den Fußgängerweg geschoben, hörte ich, wie die Hallingway hinter mir in Bewegung geriet.
Sie murrte und stöhnte, während sie sich aufsetzte, doch da war ich bereits längst über das Gestrüpp gesprungen, welches eine Windschutzmauer zwischen den kargen Feldern bildete. Es war dunkel genug, um mich hinter ihnen zu verstecken, auch wenn sie gar keine Blätter mehr trugen.
„Hallo?“ Fragte sie und kämpfte sich auf die Beine. Suchend sah sie sich nach allen Seiten um, auch wenn ich bezweifelte, dass sie mitten am Feldweh, an einem bewölkten Tag, großartig viel überblicken konnte.
„Scheiße!“ Fluchte sie dann weiter und kam die Böschung wieder hoch gekrabbelt. Als sie oben ankam, setzte sie sich mitten auf den Kiesweg und hielt ihren Kopf. Sie musste höllische Schmerzen haben... „Diese Arschlöcher haben mein Bier geklaut!“ Kam es dann überraschend und ich hätte beinahe wütend geknurrt! Was sollte das denn? Sie war offensichtlich angefallen worden und das einzige, was sie interessierte, war ihr blödes Bier? Woher hatte sie es denn überhaupt?
„Wo ist mein Handy?“
Ich spitzte die Ohren und hob meine Nase. Diese kleine Göre... Wie konnte Logan sie auch bloß für fünf Minuten alleine lassen?

Marissa´s Tag im Museum...

Nach einer kurzen Dusche schnappte ich die dreckige Kleidung und warf sie mitsamt dem, was ich von gestern und vorgestern übrig hatte, in die Maschine. Logan wollte zwar, dass >Angestellte< der Familie diese Pflicht übernahmen, doch im Moment war mir das mehr als egal. Mein Schädel brummte und eine Stelle an meinem Kopf fühlte sich an, als ob sie geschwollen wäre. Noch hatte ich nicht gewagt in den Spiegel zu sehen, doch so weit, wie ich mich erinnerte, hatte ich versehentlich betrunkenen Pöbel aufgeschreckt, nachdem ich ein Sixpack Bier aus dem Lagerraum der Schwulenbar stibitzt hatte.

Ich hätte es ja legal bezahlt... wenn dieser blöde Jared Nightengale nicht so ein Spielverderber gewesen wäre! Vor Zorn, dass er mich einfach stehen gelassen hatte, und das, obwohl ich mir richtig viel Mühe gegeben hatte, ihn für diese Nacht klar zu machen, war ich mit leeren Händen am Bürgersteig geendet. Ein Paar hatte mich dämlich ausgelacht, nachdem Jared hals über Kopf in sein Lokal zurück gestürmt war. Das war so ziemlich das Letzte gewesen, was ich gebraucht hatte. Es war eine dumme Kurzschlussreaktion gewesen, ich lief um den Pub herum, versteckte mich bei den Mülltonnen, in der Hoffnung, dass keine Angestellten dort ihre Raucherpause einlegten, und hatte kurzerhand das einfache Schloss geknackt. Zum Glück hatte ich heute Haarspangen benutzt!
Als wäre das Schicksal in diesem Moment auf meiner Seite gewesen und wolle mich für diese Ungerechtigkeit entschädigen, war eine Palette mit Bierkisten direkt neben dem Eingang gewesen. Ich schnappte mir eine gefaltete Trage, steckte hinein, was ging und lief denselben Weg zurück, den ich gekommen war.
Mein Blick in den Spiegel war trüb. Himmel... Ich hatte eine riesige Beule an der Seite meines Kopfs, die war sogar geschwollen und Blau! Als ich darauf drückte, durchzuckte mich ein unangenehmer Stich und ich stieß zischend die Luft aus. Verdammt. Wie sollte ich das Logan morgen früh nur erklären? Der würde wieder nur Terror um nichts machen!
Dabei hatte ich die restliche Woche so anständig wie möglich in Angriff genommen. Hatte mich bemüht nur desinteressiert zu sein, anstatt pampig, hatte in Sport so getan, als würde ich ganz fleißig an meinen Bauchmuskeln feilen und selbst der Geschichtslehrerin hatte ich nichts an den Kopf geworfen, als sie meinte, ich solle ihre Bücher noch dieses Wochenende durch nehmen!
Die Alte konnte mich so etwas von mal! Das waren drei dicke Wälzer über die Stadt und ihre Geschichte. Urbane Legenden so dick wie ein Atlas! Nein danke!
Dann hatte ich mich sogar bemüht, auf ehrliche Weise einen Job zu bekommen! Meine >Qualifikationen< zählten aber nicht. Meine >Erfahrung< war ihnen zu ungewiss, ja!
Pappnasen! Die hatten doch keine Ahnung! Nicht einmal mein Charme funktionierte, weil die meisten von hausaus sofort meinten, dass Logan sie umbringen würde, wenn sie mich einstellten und für sich schuften ließen. Was sollte das eigentlich heißen? Ich bin doch keine beschissene Prinzessin, die sich den Fingernagel nicht einreißen durfte. Ich packte nun bereits seit fast zwei Jahren ordentlich an! Ich bin eine Macherin! Ja! Ich erledige Jobs gewissenhaft, wenn auch nicht immer exakt so, wie es von mir verlangt war. Ich bin kreativ und faul, was mich dazu verleitete Dinge unkonventionell zu regeln.
So auch jetzt. Ich wollte kein großes Drama um das Blut auf meinem Kleid, auch wenn ich ehrlich nicht wusste, woher das schon wieder kam. Zudem stank es nach Rauch. Den würde man bestimmt sofort erkennen und dann durfte ich mir erneut etwas anhören. Wo warst du? Warum warst du? Wie lange?
Himmel, ich machte mich selbst schon ganz verrückt.
Kopfschüttelnd ging ich wieder hoch in den ersten Stock, wo sich mein Zimmer befand. Dort schloss ich ab und warf mich auf die federweiche Matratze. Erst als ich das Licht auf dem Nachtkästchen ausmachte, erkannte ich, dass ich vergessen hatte die dicken Vorhänge zuzuziehen! Mist...
Ächzend stand ich erneut auf, denn ich hatte vor morgen extra lange zu schlafen, da ohnehin keine Schule war. Als ich die beiden Vorhänge schnappte und sie zuziehen wollte, um damit jeglichen Sonnenstrahl in ein paar Stunden auszuschließen, erstarrte ich. Erst war es bloß eine Bewegung im Augenwinkel, die ich wahrnahm, doch dann entdeckte ich noch eine und noch eine... Lächelnd ließ ich meinen Blick über den hinteren Teil des Gartens, welcher in einigen hundert Metern in einen Wald mündete, gleiten. Vom Himmel fielen viele glitzernde Schneeflocken. Sie waren jedoch richtig winzig und schmolzen, sobald sie einen Gegenstand berührten. Trotzdem hatte es etwas Magisches an sich! Im Grunde war es sogar das erste Mal, dass ich Schnee auf etwas anderes fallen sah, als Hausdächer, Straßen oder parkende Autos... Und es war wahrlich wunderschön. Das schönste, was ich je zu sehen bekommen hatte.
Ohne viel darüber nachzudenken, wie spät es bereits war und dass ich eigentlich todmüde war, riss ich das Fenster auf und streckte meinen Kopf so weit hinaus, wie ich es wagte, ohne vornüber in die Tiefe zu kippen. Es war einfach... einfach herrlich! Seufzend nahm ich den Duft des Waldes auf, das eisige Schneiden des ersten Schnees in der Luft.
Keine Abgase. Kein nervöses Hupen. Kein Hundegebell... Nein, da war nur ein leise im Wind raschelnder Wald und Schneeflocken, die lautlos vom Himmel auf die Erde sanken. Kleine Engel, die vom Himmel fielen und uns etwas magisches Glück schenkten. So hatte es meine Mutter mir erklärt, als ich fünf gewesen bin. Mit sechs in der Schule wurde ich für diesen Unsinn jedoch von meinen Klassenkollegen ausgelacht, wodurch ich nie wieder an irgendetwas Magisches glaubte. Ich wurde Realistin.
Darum mag ich auch keine Geschichten aus der Vergangenheit. Zu neunzig protzend waren sie beschönigt oder unvollständig. Man konnte hinein interpretieren und nachsagen, was einem auch immer durch den Geist wanderte. Aber die wahren Fakten... Die existierten bereits nach einem einzigen Tag nicht mehr.
Ich war mir nicht ganz sicher, wann ich eingeschlafen war, doch eine Stimme weckte mich, welche ich nicht erwartete in meinem Zimmer vorzufinden. Vor allem deshalb, weil er es besser wissen müsste.
„Verdammt, Rissa! Es ist eiskalt in deinem Zimmer!“
Ich hob meinen müden Kopf und funkelte den braunhaarigen Hünen in meinem Zimmer wütend an. „Verpiss dich, Logan!“
„Hast du vor dir eine Lungenentzündung zu holen, nur um nicht mit zu dem Familienausflug zu müssen?“
Ich hätte ihn beinahe angeknurrt so genervt war von seinem ganzen Blah, Blah... Immerhin war der Ausflug meine eigene Idee gewesen! Wie konnte er nun annehmen, dass ich nach einer Ausrede suchte?
„Geh erst mal heiß duschen, dann komm runter. Vanja wird dir einen Tee machen.“
„Ich will keinen Tee!“ Keifte ich ihm hinterher, doch da hatte mein Bruder mein Zimmer schon wieder verlassen. Tee ist ekelig. Wasser mit Geschmack, da konnte ich genauso gut einfach Limonade trinken. Die war wenigstens gekühlt.
Da ich ohnehin nicht noch einmal einschlafen konnte, ließ ich mein Genick erst einmal ordentlich knacksen. Dann streckte ich jedes einzelne Glied und gähnte so ausgiebig, dass ich für einen Moment Angst bekam, mein Kiefer würde sich ausrenken.
Dann erst schloss ich das Fenster, tapste ins Badezimmer und ließ die Dusche an. Schon wieder...
Als ich mich vor dem mannshohen Spiegel auszog, erstarrte ich für einen Moment, da ich mich wieder erinnerte, weshalb ich gestern Nacht noch geduscht hatte! „Scheiße...“ Wie verdeckte ich denn jetzt am besten die große Beule? Eine ehemalige Arbeitskollegin hatte mir gezeigt, wie man sich selbst die Haare schneiden konnte... Eventuell konnte das heute einmal nützlich für mich sein?
Ich betrachtete meine Stirn genauer und hob mein platt gelegenes Haar, sodass ich die Wunde untersuchen konnte. Ich wusste noch ganz genau, wie das gesplitterte Glas durch meine Haut geschnitten hatte... Ich erinnerte mich allmählich wieder an den Sturz und wie mich ein seltsam warmes Gefühl überkommen hatte im Gesicht. Ein Geruch... Eine Berührung...
Ich schreckte vor meinem Spiegelbild zurück. Da war nichts. Keine Wunde. Keine Beule. Keine Hautverfärbung!
Blinzelnd hob ich erneut mein Haar an, doch da war einfach nichts. Rein gar nichts! Als ich die andere Seite betrachtete, konnte ich auch dort nichts vorfinden, obwohl ich schwören konnte, dass ich noch vor wenigen Stunden, eine ordentliche Schwellung genau an dieser Stelle gehabt haben musste! Das war... Halluzinierte ich? Schlechtes Karma vom Stehlen?
Hastig schüttelte ich den Kopf. So ein Unsinn! An so etwas glaubte ich doch überhaupt nicht, stieg unter die Dusche und schrubbte mir quasi die Kopfhaut sauber. Erst als ich Blut auf meiner Zunge spürte, bemerkte ich, dass ich mit den Zähnen knirschte. Mein gesamter Körper juckte unter dem blöden Shampoo.
Ich überprüfte, ob es vielleicht jemand ausgetauscht hatte, doch wer käme hier schon auf eine solche Idee. Die Marke stimmte, genauso wie der Geruch.
Fluchend wusch ich den Schaum wieder ab und dachte nicht einmal daran, noch irgend ein anderes Pflegeprodukt zu benutzen. Nur Haaröl kippte ich anschließend noch auf meine Spitzen, ehe ich mir die Zähne putzte und dann einen Blick in meinen übergroßen Kleiderkasten warf.
Natürlich hatte ich bereits, wie von Logan gewünscht, meine Kleider eingeordnet, auch wenn ich es als eine Schande empfand. Nun würde ich die doppelte Arbeit haben, sobald ich ihn zu sehr nervte und er mich hinaus warf.
Murrend schlüpfte ich in legere Kleidung, was im Grunde nicht mehr war, als Hotpants und ein Shirt, welches mir knapp bis zu den Knien reichte. Danach lief ich hinab ins Erdgeschoss, noch immer mit dem Handtuch um meinen Kopf gewickelt, damit es die Feuchtigkeit aufsaugte.
„Guten Morgen, Schlafmütze.“
„Mhm...“ Kam von mir an Vanja zurück gebrummt, während ich den Kühlschrank aufriss und dem Geruch von kühl gestellten Speck folgte. „Ist das eine neue Sorte?“ Ich nahm ihn, noch in der Verpackung liegend, heraus und hielt ihn fragend zwischen Vanja und mich.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, den nehme ich immer.“
Ich schnupperte daran. „Aber er riecht viel stärker als der andere.“ Dann zuckte ich mit den Schultern und wollte mir eine Pfanne besorgen, doch Vanja entwandt mir meine Beute hinterhältig.
„Na, na! Wir essen gleich zu Mittag.“
„Aber ich habe Hunger!“ Beklagte ich mich wehleidig.
„Dann musst du dich noch fünfzehn Minuten gedulden. Logan hat seinen legendären Braten für uns gemacht.“
Dass ich einen bettelnden Schmollmund zog, war der erfahrenen Mutter vollkommen gleichgültig. „Aber was mache ich denn jetzt? Und sag nicht, Tee trinken! Ich mag keinen Tee!“
Vanja schenkte mir ein liebevolles Lächeln, als sie den Speck wieder im Kühlschrank verstaut hatte. „Wenn du möchtest, kannst du gerne den Tisch decken, während ich den Salat anmache.“
Okay, das war unfair! Wenn sie mich so ansah dann... dann... „Ja, gut...“ Ich angelte aus den oberen Regalen Teller für uns alle, schnappte mir Besteck und ging ins Wohnzimmer, um den Esstisch zu decken. Wie hatte Vanja das nur gemacht? Meiner eigenen Mutter hätte ich beinhart gesagt, dass ich lieber auswärts essen gehe, oder sie ihren Scheiß selbst decken kann. Vanja hingegen hatte so etwas... zerbrechliches ausgestrahlt, dass ich kurzerhand nachgeben hatte, bloß um sie nicht zu kränken.
„Tante Risa!“ Ich hatte gerade einmal die Arme ausgestreckt, da kam der Dreijährige schon begeistert auf mich zugelaufen.
Lachend streckte ich die Arme aus und fing den kleinen Zwerg ab. Mit seinen schönen grünbraunen Augen strahlte er von oben auf mich herab, sobald ich ihn in die Luft hielt und mich im Kreis drehte. Er lachte laut und ich ließ ihn erst sinken, als mir ein Sabberfaden gefährlich nahe ins Gesicht kam. „Noch mal! Noch mal!“ Forderte der Gartenzwerg, was mich den Kopf schütteln ließ. Wenn es nach ihm ginge, könnte ich das wirklich den ganzen Tag machen.
„Das geht jetzt aber nicht, Adam. Tante Rissa muss für Mama und Papa den Tisch decken, sonst geht Tante Rissa den Kühlschrank plündern, weil sie hungrig ist, wie ein Bär.“
„Wie ein Wolf!“ Jubelte er und begann mit einem Mal voller Begeisterung und Hingabe zu Jaulen. Noch klang es etwas schief, doch als Vanja aus der Küche gestürmt kam, mit einem langgezogenen >pssst< auf den Lippen, verstummte er wieder.
„Adam! Haben wir dir nicht gesagt, dass Papa das nicht will!“
„Vanja!“ Kam es von oben und Vanja kicherte beschämt.
„Tut mir leid, Schatz!“ Rief sie zurück.
„Papa auch!“ Adam heulte erneut auf, wie ein Wolf unter dem Vollmond und ich prustete amüsiert los.
„Tut mir leid, ich habe ihm diesen Blödsinn beigebracht.“ Gab Vanja verlegen zu und schämte sich sichtlich fürchterlich dafür.
Ich zuckte mit den Schultern, weil ich es wirklich bloß halb so schlimm fand. „Ach, was. Jetzt muss er ohnehin schon in dem Alter sein, wo er über die Tiere lernt, oder?“
Sie nickte. „Ja... Ja, genau! Daher hat er es auch.“ Sie winkte verlegen ab, dann trat sie den Rückzug in die Küche an. „Auch Katze und Hund... Oh den Esel ahmt er auch sehr gut nach!“ Lobte sie überschwänglich, dann war sie auch bereits wieder in der Küche verschwunden.
Ich sah misstrauisch von ihr zu dem dreijährigen Adam. „Deine Mama ist komisch.“
Adam lächelte mich mit blendend weißen Milchzähnen an. „Ich mag Mama!“ Verkündete er stolz.
Ich hob ihn hoch und drehte ihn erneut im Kreis. „Oh! Und wen mag der kleine Mann noch?“
Quietschend lachte Adam, doch als mich dieses Mal tatsächlich ein Spuckefaden mitten im Gesicht erwischte, hörte für mich definitiv der Spaß auf. Was genug war, war einfach genug! Igitt, igitt.
„Schau mal lieber nach, wo Papa bleibt. Sag ihm, sonst kommt Tante Rissa und wird sich ein Beinchen von ihm holen.“ Witzelte ich, woraufhin Adam kichernd loslief. Aber anstatt hoch in den ersten Stock, wie ich vermutet hatte, einen Flur entlang, den ich bisher nicht erkundet hatte, aufgrund von mangelendem Interesse. Ich wusste nur, dass sich dort hinten das Büro von meinem Bruder befand, wo ich auch bereits einmal gewesen bin. Doch die Gänge wanden sich weiter, noch viel tiefer in die Villa hinein und von Vanja wusste ich, dass das Haus voll unterkellert war.
Ich trocknete die letzten Speichelreste in meinem Gesicht, mit meinem Shirt, als ich auch schon ein „Verdammt! Tut mir leid!“ vernahm.
Ich ließ das hochgezogene Shirt wieder sinken und sah zurück zu Sam, welcher eben durch die Hintertür hereingekommen war, als würde er hier wohnen. Diese Manieren hier immer...
„Hi Sam!“ Grüßte ich, da es mir vollkommen egal war, falls er meine Brüste gesehen haben wollte. Sie steckten ohnehin in einem BH, der nichts weltbewegendes war.
„Bist du... Bist du wieder angezogen?“ Fragte er vorsichtig, ehe er allmählich die hochgehobene Hand wieder sinken ließ.
„War ich doch schon die ganze Zeit.“ Tat ich völlig unschuldig. „Außer... du hast vielleicht etwas gesehen, was du nicht sehen solltest, Cavanaugh?“ Neckte ich den armen Fünfzehnjährigen.
Er wurde dunkelrot im Gesicht. „Nein! Nein, überhaupt nicht! Was hätte ich denn auch sehen sollen? Ich habe überhaupt nicht hingesehen!“ Stammelte er nervös, da fühlte ich, mehr als dass ich ihn sah, einen mächtigen Schatten in meinem Rücken.
„Sam!“ Logan´s Stimme war mehr ein mahnendes Knurren, als gewöhnlich, wenn er wütend war. „Was stammelst du hier schon wieder herum.“
Oh Mann! Ich schwöre, wäre Sam ein Hund, hätte er sich in diesem Moment selbst angepinkelt! „Nichts... Es ist nichts gewesen. Ich habe nichts absolut gesehen... Sir...“
Grunzend versuchte ich, nicht laut loszulachen, was quasi unmöglich war! Darum ging ich zu meinem Cousin und drückte ihn liebevoll. „Ach, du armer, jungfräulichlicher Teenager. Es war doch bloß ein BH! Dafür reiße ich dir schon nicht den Kopf ab.“ Versuchte ich ihn zu trösten, was es aber ganz offensichtlich nicht besser machte.
„Rissa?“ Fragte Logan nun in derselben Tonlage, wie zuvor Sam.
„He, sieh nicht mich so an! Ich kann nichts dafür, wenn deine Familie keine Manieren besitzt. Dein Spross spuckt mir auf den Kopf. Dein Großcousin kann nicht anklopfen. Ich bin hier bloß zu Gast.“
Die Männer sich selbst überlassen, tänzelte ich zurück in die Küche, wo mich bereits ein herrlicher Duft willkommen hieß.
Vanja´s Lächeln auf den Lippen, während sie ihrem Sohn einen Löffel mit selbst gemachten Essen für ihn, in den Mund steckte, sagte mir, dass sie alles verfolgt hatte. „Musst du den armen Sam so quälen?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Es war doch bloß ein BH!“ Wiederholte ich, dann hob ich mein Shirt und zeigte ihr, dass es wirklich bloß schlichte Sportbekleidung war, die ich gerne zuhause trug. So waren meine Mädels nicht eingesperrt, hüpften aber trotzdem nicht wie verrückt herum.
„Um Himmels willen!“ Sam war eben geradezu hinein geflogen, als er mich erneut in Unterwäsche sah. „Bitte, tötet mich einfach schnell und schmerzlos!“ Bat er, nachdem er beide Hände in sein Gesicht geklatscht hatte und versuchte, blind wieder aus der Küche zu finden, doch dabei gegen Logan´s breite Brust lief.
„Rissa!“ Schimpfte Logan, dieses Mal sogar entrüstet.
„Was denn? Mädchen unterhalten sich eben auch gerne mal über Unterwäsche. Hängen meine beiden Mädels auch nicht zu sehr darin?“ Auch er hatte artig den Blick abgewandt, was Vanja nun schallend auflachen ließ.
Ich zeigte ein wenig Gnade und ließ mein Shirt wieder sinken, um mich über die gräuliche Theke zu lehnen und meinen Finger in das Einmachglas zu stecken. Lecker, Spinat!
„I-Ich warte... Ich warte einfach draußen. Allein...“ Knallrot verschwand Sam aus der Küche und wünschte sich in diesem Moment ganz bestimmt auf einen völlig anderen Planeten... Weit... Weit weg von mir!
Logan hingegen, schüttelte bloß den Kopf und ging zu seiner noch immer laut lachenden Frau, schlang seine Arme um sie und küsste zart ihre Wange, ehe er weiter ging, um nach dem Braten im Ofen zu sehen.
„Tut mir leid, Schatz!“ Beteuerte Vanja, doch hatte sich noch nicht so weit ein bekommen, um auch nur ansatzweise überzeugend zu klingen. „Aber Sam´s Gesicht war einfach unbezahlbar.“
„Ha. Ha.“ Kam es vom Ofen her.

 

- - - - -

 

Das Essen war angespannt und schweigsam. Während ich den einen oder anderen Versuch startete, eine unverfängliche Konversation zu führen, grunzte Logan bloß abweisend herum, während er Sam mit wütenden Blicken strafte, und Sam versuchte schlichtweg unter den Radar zu fallen. Vanja schmunzelte vor sich hin, während sie von Zeit zur Zeit nach Logan´s Arm griff und diesen sanft streichelte.
Nachdem der Abwasch in den Geschirrspüler von Sam und mir eingeräumt worden war, griff ich nach seinem Handgelenk und zog ihn neben mir her. „Ich ziehe mich nur schnell um und nehme Sam mit.“
„A-Aber...“ Begann Sam zu widersprechen.
„Die Türe bleibt offen!“ Kam es gleichzeitig von Logan, in einem ärgerlichen Tonfall.
„Ja, ja, Mama.“ Witzelte ich zurück.
„Aber ich könnte auch einfach unten warten.“ Fügte Sam kleinlaut an. Ich überhörte es einfach, zog ihn mit in mein Zimmer und warf die Türe nach ihm zu.
„Willkommen in meiner Suite!“ Ich machte eine einladende Geste in mein Zimmer, woraufhin sich der brünette Wuschelkopf interessiert umsah. „Schön... Aber etwas karg.“
Ich sah mich meinerseits um. Karg? Was meinte er damit? „Was meinst du?“ Mein Bett war noch nicht gemacht, doch ich hatte es am Abend zuvor lediglich zur Seite geschlagen. Noch immer stand der Stuhl vor dem Fenster, den ich mir zurecht gezogen hatte, um hinaus in die nächtliche Winterlandschaft zu schauen, von welcher mittlerweile nichts mehr zu sehen war. Der Fußboden war sauber, nur zwei langhaarige Teppiche lagen herum. Auf dem Nachttisch, so wie dem Schreibtisch stand jeweils eine Lampe, die Vorhänge vor meinem einzigen Fenster hing in gleichmäßig von der Decke und die falsche Ziegelsteinmauer, welche auf der anderen Seite einen massiven Schrank versteckte, gab meinem Zimmer eine optische Abrundung.
„Nun ja, du hast ja überhaupt keine Bilder aufgestellt oder... Poster oder so.“ Bemerkte er.
Jetzt wo er es sagte... „Dann willst du wohl nicht mein Bad sehen, dort stehen drei Schränke und die habe ich bereits jetzt vollgestopft.“
Er schmunzelte. „Ja mit deinem Mädchenkram, aber ich finde, deinem Zimmer fehlt die... die Persönlichkeit. Eigentlich könnte das hier der Raum von jedem sein.“
Ich zuckte schon wieder mit den Schultern. „Es ist ja auch bloß ein Gästezimmer.“ Entgegnete ich gleichgültig. Was Sam wieder für Ideen hatte! Ich deutete auf das Bett. „Mach es dir gern bequem, ich muss mir erst einmal etwas zum Anziehen heraus suchen.“
Mein Handtuch hatte ich längst vom Kopf gezogen, wodurch mein blonder Haarschopf ganz wirr und verknotet war. Das würde bestimmt wieder ewig im Bad dauern.
„Trag etwas Bequemes. Logan ist ein Sklaventreiber.“ Verkündete Sam, welcher natürlich einmal mehr meinem Bruder gesteckt hatte, dass er mir gerne nach dem Ausflug ein wenig die Stadt zeigen möchte. Daraufhin wurde er direkt eingeladen, mit uns zu Mittag, zu essen und uns ins Museum zu begleiten. Was das anging, war Logan wirklich verdammt nett. Vermutlich war er einfach nur froh, mich nicht alleine ertragen zu müssen.
„Ach ja, wie lief es eigentlich gestern Abend bei deiner Bewerbung?“ Sam warf die Frage ganz locker in den Raum, nachdem ich durch meine karge Kleidersammlung schaute. Zu nuttig. Zu warm. Zu kratzig. Zu nuttig. Zu kurz... Hach, wem mache ich da etwas vor? Logan würde mich ohnehin bloß mit Jeans außer Haus lassen... Aber was er nicht wusste...
Ich biss mir auf die Unterlippe, schnappte mir ein knappes Kleidchen, eine Jeanshose und meine Lieblingslederjacke. Sie war aus Echtleder und meine Mutter hatte mir einmal gesagt, dass mein Vater sie ihr geschenkt hatte. Beinahe wäre das gute Stück am Müll gelandet, doch ich hatte sie gerettet und trug sie, seit ich groß genug dafür geworden war.
Oh! Unterwäsche...
„Der Typ an der Bar war total begeistert von meiner Bewerbung, wir haben uns gut verstanden. Er war sogar transsexuell und nicht so zickig, wie die aus der Stadt...“
„Warte... Was?“ Rief Sam erschrocken aus und runzelte irritiert die Stirn. Oh ja, ich hatte ihm ja erzählt, dass ich mich bei einer Bar in der Stadt hatte bewerben wollen...
Verlegen kratzte ich mich am Hinterkopf. „Ja, ähm... Ich habe mich bei der Schwulenbar beworben.“
Sam wirkte, als hätte ich ihm eben gestanden, ich stünde auf Sex mit Toten. „Aber das gehört den Nightengale´s!“
Ich ächzte genervt. „Ja, das weiß ich jetzt auch!“ Dann kaute ich an der Unterlippe und grinste ganz stolz. „Und er ist ganz schön gut bestückt, für jemanden, der auf Männer steht.“
Sam war so schnell wieder auf den Beinen, dass er beinahe flog. „Wie bitte? Was hast du schon wieder angestellt?“
Also eigentlich, war es Jared´s eigene Schuld gewesen! Der Moment, als er mich vom Barhocker zog, war mein Körper vollständig an seinen gepresst gewesen. Also wenn er nicht gerade zufällig eine Taschenlampe oder Ähnliches eingesteckt gehabt hatte, dann...
Ich räusperte mich unschuldig. „Ähm... Entschuldige? Ich habe absolut nichts angestellt! Was hätte ich dort auch schon großartig anstellen sollen?“
Sam kniff herausfordernd die Augen zusammen. „Spuck es aus, Hallingway.“
Ich wollte so dringend darüber sprechen, dass ich klein bei gab. „Ich schwöre! Ich war wirklich bloß dort, um mich für die Bar zu bewerben, ja! Das wäre der ideale Job, ohne je begrapscht zu werden oder mir blöde Sprüche über meine Brüste anhören zu müssen, ja! Außerdem würde ich nicht während der Schulzeit dort arbeiten und bin nur eine halbe Stunde von hier entfernt.“
Sam wirkte nicht gerade überzeugt von meiner Rechtfertigung.
„Aber dann war dieser Nightengale dort... Scheiße war er heiß... Mit dieser schiefen Krawatte und sein Haar ganz zerwühlt, weil er sich ständig das Haar gerauft hat... Richtig bettfertig eigentlich. Also wäre er auf meine Verführung eingestiegen, ich hätte den geritten, wie-...“
„Gott, bitte hör einfach auf, Rissa! Das will ich ehrlich nicht hören!“
Ich winkte ab und suchte in meiner Unterwäscheschublade nach einem passenden Höschen für meinen frischen BH. „Stell dich nicht so an! Du wärst doch auch froh, wenn sich Violetta auf dich schwingen würde.“
Sam gab einen Würgelaut von sich. „Hörst du dir eigentlich selbst zu? Weder ein Jared Nightengale wird sich jemals dazu herablassen, dich auch bloß anzufassen, genauso wie eine Violetta Nightengale jemals... Jemals nur entfernt Ähnliches mit mir anstellt! Du angelst definitiv an den schlechtmöglichsten Stellen!“
Ich richtete mich wieder auf, nachdem ich das perfekte Höschen gefunden hatte, und grinste frech. „Dafür war sein Ständer aber ganz schön verräterisch.“
Sam wurde etwas rot, doch stammelte nicht mehr so herum, wie noch vor einer dreiviertel Stunde. „Vielleicht war das ja eher sein Handy.“
„Zu lang für ein Handy.“ Witzelte ich, was ihn erneut laut >la, la, la< singen ließ, während er sich Finger in die Ohren steckte.
„Spießer.“ Zog ich ihn auf, ehe ich ins Bad verschwand. Man konnte ja sagen über mich, was man wollte. Aber bei Inzucht zog ich definitiv eine konsequente Grenze. Ja, vielleicht im betrunkenen Zustand, würde ich den armen Cavanaugh seine Unschuld stehlen, einfach weil ich Mitleid mit ihm hatte. Fünfzehn und immer noch Jungfrau... Mit fünfzehn hatte ich meinen ersten Zwanzigjährigen, aber vermutlich zählte nicht jeder so wie ich. Deshalb war ich nun auch ganz brav und verschloss sogar die Badezimmertüre hinter mir, während ich mich umzog. Dafür hätte ich doch schon quasi einen Orden verdient!
„Okay, mal ganz hypothetisch. Selbst wenn du ihn... angemacht... hättest... Wenn es auch bloß entfernt, in irgendeiner Galaxie möglich wäre... Wieso würdest du ihn dann überhaupt ins Bett bekommen wollen?“
Ich grinste mir selbst im Spiegelbild zu. „Die bessere Frage lautet doch eher, was würde Jared Nightengale für eine Schande über seine Familie bringen, wenn er mit einer Hallingway geschlafen hätte?“
„Kommt darauf an, ob er dich schwängert.“ Bemerkte Sam plötzlich und ich erstarrte.
„Was meinst du?“ Rief ich durch die Türe.
„Nun ja, unsere Familien haben sehr... sagen wir mal, altmodische Erbverträge.“
„Und was bedeutet das genau?“ Hakte ich nach, während ich auf einem Bein balancierte.
„Sieh zum Beispiel mal deine Familie. Da gibt es ebenfalls solche Erbverträge, wie dass nur der männliche Anteil deiner Familie erben darf, dass Frauen verheiratet werden müssen und im Grunde haben sich unsere Familien ihren Reichtum lediglich erschlichen oder erspielt!“ Wieso klang er so genervt davon. „Die Nightengale heiraten aus Prinzip bloß Leute, die reicher sind, als sie selbst. Wir Cavanaughs haben einen Riecher für Wertpapiere, in die wir alles anlegen. Die Redhills... Nun ja, die stehen es sich total auf Antiquitäten und Waffen... Sie sind etwas eigen. Silvermoore sind auf Wissen aus. Ich kenne eigentlich keinen Silvermoore, der weniger als zweihundert Bücher besitzt.“ Er lachte amüsiert auf, als ihm das bewusst wurde.
„Und was ist mit den Nightengale? Was sollte die Anspielung mit der Schwängerung?“
„Nun ja. Neo ist der Vater von sechs Kindern und bloß eines davon ist ein Kerl. Solange Jared aber nicht verheiratet ist und mindestens einen Nachkommen gezeugt hat, sieht er von seinem Erbe nichts, sobald sein Vater das Zeitliche segnet.“
„Und was wird aus deiner Violetta und ihren Schwestern des Grauens?“
„Erstens, sie ist >nicht< meine Violetta! Zweitens, die sehen ohnehin nichts vom Erbe, abgesehen von dem Taschengeld, was ihnen ihr Vater zugesteht. Sie müssen so früh wie möglich heiraten.“
„Das sind ja seltsame Familien, die ihr da habt.“
Sam lachte süffisant. „Du meinst wohl, deine Familie.“ Zog er mich auf. Als ich jedoch, recht anständig bekleidet, aus dem Bad trat, stieß er einen anerkennenden Pfiff aus. „Sehr anständig, Miss Hallingway.“
Ich lächelte selbstzufrieden. Mein Haar würde in der nächsten Stunde trocknen und dann ganz natürlich um meinen Kopf herum fallen, nun da es ordentlich durchfrisiert war. Viel fehlte ohnehin nicht mehr.
„Mister Cavanaugh, würden Sie mir die Ehre erweisen?“ Fragte ich, woraufhin mein Cousin mir seinen Arm darbot.
„Wie könnte ich dazu schon nein sagen?“ Entgegnete er und so gingen wir Seite an Seite hinab ins Erdgeschoss. Vanja benötigte noch eine viertel Stunde mit Adam, ehe wir aufbrechen konnten, doch bis dahin hatten wir zu dritt die Küche wieder auf Vordermann gebracht und sogar Logan hatte sich wieder entspannt. Vermutlich vor allem deshalb, weil er nicht dachte, dass ich mein Shirt später als Minikleid missbrauchen würde...

 

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Die Fahrt ins Museum dauerte eine halbe Stunde. Vor allem deshalb, weil Logan auf der Straße, vom Parkplatz zu direkt anschließenden Museum wohlbemerkt, mindestens elfmal angesprochen wurde! Natürlich blieb er bei jedem stehen, unterhielt sich oberflächlich mit dieser Person und sicherte ihm dieses oder jenes zu. Sie taten ja gerade so, als ob mein Bruder der Bürgermeister wäre den sie vergöttern!
„Er wird eben in der Gemeinde geschätzt und seine Spenden haben vielen gemeinnützigen Organisationen erst auf die Beine geholfen.“ Hatte Sam erklärt, was mir einen kalten Schauder über den Rücken jagte. Für den Arsch! Als ob!
Schon bei meiner >Ankunftsparty< hier in Lykwood hatte mein Bruder gut siebzig Gäste geladen. >Enge< Verwandte! Sie waren ihm alle respektvoll, aber recht... cool begegnet. Sie hatten mit ihm gescherzt und ihn geduzt. Alle anderen jedoch behandelten ihn wie einen Messias und selbst seinem Sohn prophezeiten sie eine glorreiche Zukunft.
Na gut, vielleicht übertrieb ich ja an diesem Punkt ein wenig? Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass mich das ganze Gesülze fürchterlich nervte. Ich war die ganze Zeit die kleine Schwester von Logan Hallingway! So wie sie es aussprachen, klang es wie ein Adelstitel. Der erhabene König und seine jüngere Schwester. Vielleicht sollte ich das etwas mehr genießen, doch... Wah! Nein, ich konnte diesem Verhalten einfach nichts abfinden. Einige der Älteren wagten es sogar, nach meinem Kopf zu fassen und ihn genauso zu zerstrubbeln, wie den von Sam, welcher sich das getrost gefallen ließ und sich in der Aufmerksamkeit sogar sonnte! Der Dritte, der es versuchte, dessen Hand hatte ich gepackt und unschön verdreht, bis er versprach so etwas nie wieder bei mir zu versuchen.
Sagen wir einfach mal... Der Weg vom Parkplatz bis ins Museum trübte meine Laune gewaltig.
Als wir schlussendlich doch endlich ins Museum konnten, winkte uns der Kassierer einfach durch, steckte uns lediglich einen Schlüssel für einen großen Spind zu und... das war es!
„Also ehrlich! Wie viel hast du dem Museum eigentlich gespendet, damit sie dich so fürstlich behandeln?“ Fragte ich halblaut in den engen Raum voller Touristen hinein. Eigentlich war das hier nur ein kleines Museum, mit gerade einmal einem einzigen Stockwerk! Ohne Cafeteria. Mit einer winzigen Umkleide... Trotzdem schien etwas die Leute geradezu hierher zu locken.
Ich wurde einem Besseren belehrt, als wir uns in die Haupthalle begaben. Das Museum war spiralenförmig angelegt. Man arbeitete sich quasi von der Mitte aus, wo es auch die Toiletten, so wie Umkleiden gab, nach außen hin vor, indem man zwei Gänge folgen konnte.
Adam lief schon mal auf die Mitte zu. Im Gegensatz zu einem großen Dinosaurier, oder irgendeiner klassischen Willkommenstafel, fand man sich direkt vor einem trojanischen Pferd wieder! Und das meinte ich absolut wortwörtlich. Man konnte durch den Rumpf hinein klettern, da eine trittsichere Leiter angebracht wurde, und es gab sogar eine Ampel, für diejenigen die hinein gingen und hinaus kamen! Somit entstand auch kein Stau. Beim hinteren Teil wiederum, war eine gebogene Röhrenrutsche angebracht, wo Kinder jubelnd hinab rutschen konnten.
„Scheißt das Pferd etwa jubelnde Kinder aus?“ Fragte ich amüsiert an Logan gewandt, denn Vanja musste bereits mit dem fröhlich quietschenden Adam auf die große >Pferderutsche< zulaufen.
„Wir haben es etwas ironischer ausgedrückt... aber ja. Im Grunde hast du recht.“ Entgegnete er schmunzelnd.
„Komm, jeder aus Lykwood muss mindestens einmal in seinem Leben aus dem trojanischen Pferd gerutscht sein! Das ist... so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz!“ Beteuerte er euphorisch.
Ich hingegen sah das ganz anders! „Ich werde doch nicht einem Holzpferd aus dem Arsch rutschen!“
„Tante Risa!“ Von der Treppe her, winkte mir Adam ganz aufgeregt zu, während ihn seine Mutter hinauf trug. Der Kleine strahlte über das ganze Gesicht.
„Okay, ihr habt gewonnen.“ So wie dieser Zwerg strahlte, musste ich einfach herausfinden, was diese Rutsche so besonders macht. Ich wandte mich Logan zu. „Rutschst du auch?“
Er lachte. „Dafür bin ich aber wirklich etwas zu alt!“
Sam, welcher noch immer meine Hand hielt, grinste spitzbübisch. „Für ein trojanisches Pferd ist man nie zu alt!“ Entgegnete er.
„Bitte, bitte Logan! Sieh es als... ein Bruder, Schwester Ding an!“
Ich sah, wie er in seiner konsequenten Entscheidung wankte, doch noch nicht nachgeben wollte. „N-Nein, danke. Ihr habt bestimmt ohne mich mehr spaß!“
Nun angelte ich nach Logan´s Hand, welche er übrigens vor dem Brustkorb verschränkt hatte, und zog bloß leicht daran. „Das ist nicht wahr! Es gibt nichts über Familienaktivitäten, nicht wahr? Außerdem was denkst du, wie sich Adam freut, wenn sein Papa plötzlich dort oben erscheint und mit ihm und Mama rutscht?“
Ich sah buchstäblich in seinen Augen, wie sein Vaterinstinkt übernahm. „Na gut. Aber nur einmal!“
„Yippie!“ Rief ich aus. Sam und ich zogen Logan quasi die Treppe hinauf, während ich nach Vanja schrie.
Stolz, dass ihr Mann sich doch tatsächlich dazu bereit erklärt hatte nach vielen Jahren wieder einmal hier hoch zu steigen und zu rutschen, küsste ihn sanft auf die Wange und sagte ihm, wie sehr sie ihn dafür liebte.
Mir persönlich entging natürlich nicht, wie einmal mehr die gesamte Treppe nur für Logan frei gemacht wurde.
Also wirklich... Langsam übertrieben die aber! Logan ist doch keine Gottheit verdammt noch mal!
Vanja, mit Adam im Arm und der übergroße Logan, welcher die große Röhre mit einem Mal wie ein winziges Schlauchloch wirken ließ, rutschten als Erste. Sam und ich, sahen uns noch ein wenig die Schilder mit den Infos aus dem trojanischen Krieg an.
Danach rutschten auch wir gemeinsam und landeten vor einem Gang zur nächsten Runde. Im Grunde war das Museum eher kinderfreundlich angelegt. Statt auf ausgelutschte Phrasen und detaillierten Jahresangaben, wurde mehr in das kindliche Auge hinein investiert. So sah man oft Zeichentrickfiguren oder kurze, kindergerechte Filmchen die etwas ganz simpel erklärten und darstellten. Von der Erdentwicklung, über diverse Kriege und vorherrschende Zeitalter, bis hin zur modernen Gründergeschichte, war so ziemlich alles dabei. Oft auch wurde etwas mit 3D Effekten dargestellt oder projiziert. Alles in allem war das Museum nämlich extrem modern eingerichtet. Während man in einem abgetrennten Raum, zwischen den vielen Gängen, über die Mondoberfläche wartet, konnte man in einem anderen Tiefseeabenteuer verfolgen und lernte zeitgleich, wie die Menschen das Segeln gemeistert hatten. Auch für Fliegerfreunde, Lokomotivbegeisterte und Rennwagenjunkies war allerhand dabei.
Erst in der aller letzten Reihe gab es fünf Bereiche, welche vollständig den Gründerfamilien gewidmet waren. Riesige, mehr als mannshohe Gemälde hingen dort an den fünf Hauptwänden.
„Hallingway steht für die stärkste Familie.“ Erklärte mir Logan, während ich das Ölgemälde ungläubig betrachtete. Darauf waren drei Männer abgebildet. Jeder von ihnen, gut zweieinhalb Meter groß, gemalt verstand sich, ausgeprägte Muskeln zeichnete sich unter den strammen, altmodischen Anzügen ab, welche die dressierten, blondhaarigen Wolfshunde neben ihnen wie kleine Welpen wirken ließen, obwohl selbst diese mich überragten. Hinter ihnen zeichnete sich eine Vollmondnacht ab, der die Weite eines Waldes beschien. Die Augen der Hunde leuchteten praktisch gelb, während die Männer... Dominanz ausstrahlten? War es das, was ich ihren gepinselten Gesichtern entnahm? Jedenfalls konnte ich viele Ähnlichkeiten zwischen ihnen und mir ausmachen. Das blonde, leicht gewellte Haar, welches sie zwar zurück gegelt hatten, doch trotzdem im Nacken eine Welle schlugen. Die Koteletten an ihren Backen waren plüschig und sehr... ausgeprägt. Ich zu meinen Teil mochte ja Bärte, ich fand, es ließ einen Mann erst richtig männlich wirken. Aber so Koteletten? Nein, das sah einfach nur dämlich aus. Ihre Augen waren dunkel, genau wie die von Logan und mir, ihre Körperhaltung strahlte Erhabenheit und Selbstbewusstsein aus, wie... wie bei Logan. Und so, wie er das Bild betrachtete, war er mehr als angetan von ihnen.
„Wie sind wir mit ihnen verwandt?“ Fragte ich.
„Das ist dein Ururgroßvater und seine beiden Söhne.“
„Gibt es von dir auch so ein Gemälde?“ Fragte ich schalkhaft, was ihn mit den Augen rollen ließ.
„Nein, Dad wollte nie, dass wir diesen >altmodischen Mist< mitmachten.“
„Seine Worte, richtig?“
Logan schmunzelte. „Meine sind es definitiv nicht, immerhin würde ich mich gerne auf diese Weise verewigen lassen, damit unsere Nachkommen später einmal etwas über uns erfahren können.“
Ich verschränkte nachdenklich die Arme vor dem Oberkörper, während ich das Bildnis weiter betrachtete. „Also ich weiß nicht. Ich bin viel zu heiß, um auf diese Art reduzieren zu lassen. Von mir wird es einmal nur mündliche Überlieferungen geben, von wegen, wie großartig mein Mund gewesen ist.“
Logan lief augenblicklich dunkelrot an und plusterte sich wütend auf.
„He, nicht das, was du jetzt wieder denkst! Ich spreche doch nur über mein vorlautes Mundwerk!“ Augenzwinkernd ging ich weiter, auf das Bildnis der Cavanaugh zu. Dort saßen fünf erhabene Geschäftsmänner bei einer Tasse Tee zusammen und schienen sich angeregt miteinander zu unterhalten. Leider konnte man die Gesichter nicht so gut erkennen, denn das Bildnis war eher wie ein Panoramabild angelegt. Zu ihren Füßen lagen ebenfalls fünf, atemberaubend schöne Wolfshunde. Diese waren in braunen, bis beigen Tönen eingefärbt und selbst ihre Augen leuchteten in einem intensiven Gelb.
„Was hat es mit den gelben Augen der Hunde auf sich?“ Fragte ich und riskierte einen Blick auf das Bild der Hallingway´s zurück.
„Der Maler wollte ihre Wildheit damit einfangen.“ Erklärte Sam. „Das waren nämlich keine normalen Hunde, sondern richtige Wölfe. Sie lebten eigentlich nie im Haus, sondern begleiteten die Männer bloß bei der Jagd. Unseren Familien wird bereits seit dem Beginn des Mittelalters nachgesagt, dass wir irgendwie Wölfe kontrollieren könnten und eine Affinität zu ihnen hätten.“ Er lachte amüsiert auf, als hielte er dies für ziemlich dämlich. Mir ging es ähnlich, deshalb lachte auch ich amüsiert auf.
„Ernsthaft? Waren unsere Familien etwa so etwas... wie Wolfsflüsterer?“
Logan wirkte weitaus ernster, als Sam und ich bei diesem Teil der Geschichte. „Nein, ganz im Gegenteil. Sie sagten uns nach, dass unsere Vorfahren selbst zu Wölfen werden konnten und als Teil der Meute durch die Wälder zogen.“
Ich lachte noch schallender auf, als ich daran dachte, wie peinlich es gestern Vanja gewesen war, dass sie Adam das Heulen beigebracht hatte. „Adam!“ Rief ich aus, da der Zwerg bereits begeistert auf einer elektrischen Wolfsimitation saß und darauf ritt. Natürlich ebenfalls kindergerecht und bunt angemalt. „Ahooo!“ Begann ich, woraufhin auch er lauthals losheulte.
„Marissa!“ Schimpfte mein Bruder schockiert, während Sam an einem Lachanfall erstickte und Vanja verzweifelt versuchte, ihren Sohn dazu zu bewegen, damit sofort wieder aufzuhören.
Plötzlich erklangen aus allen Richtungen vereinzelte Heulgeräusche. Manche Besucher machten einfach aus Spaß mit, andere lachten so laut, dass ein riesiger Tumult entstand, während Logan sichtlich hoffte, im Boden zu versinken.
„Ich gehe mit euch nie wieder irgendwo hin!“ Schwor er grummelig und machte sich auf den Weg zum nächsten Bild.
Es waren die Nightengale. Sie saßen in feinen Anzügen und prachtvollen Kleidern auf einigen Bankreihen oder standen hinter ihrer großen Familie, direkt vor einem gewaltigen, uralten Anwesen. Schon zu dieser Zeit hatte man der Burg, oder dem kleinen Schloss, oder was auch immer es darstellte, sein Alter angesehen. Die Nightengale hatten, im Gegensatz zu den anderen beiden Bildern, bloß einen einzigen nachtschwarzen Hund... Äh, Wolf an ihrer Seite. Er saß in der Mitte, neben einem älteren Mann, mit ergrautem Haar, der griesgrämig dreinblickte. Mindestens so finster blickte sein Wolf drein. Er hatte die Lefzen zu einem knurren erhoben und die Augen leuchteten in einem beunruhigenden dunklen Gelb. Rauchschwaden stiegen von seinem Maul aus auf, da das Bild einen kühlen, späten Herbsttag zeigte. Dadurch wirkte das Untier, wie eine Kreatur aus der Hölle und war damit weit weniger kinderfreundlich, als alles andere hier drinnen.
Überhaupt herrschte durch die bewölkte Hintergrundkulisse, so wie den scheinbar toten Wald im Hintergrund, hinter dem Haus, eine ausgesprochen düstere Stimmung.
„Okay, wenn die Hallingway´s für Stärke standen, wofür dann die Cavanaugh´s und Nightengale?“ Erkundigte ich mich und warf erneut einen Blick auf das Bild der Cavanaugh. Sie hatten zumindest den wunderbaren Hintergrund eines Wintergartens gehabt.
„Für Erfolg. Leider landet so gut wie jeder in meiner Familie am Ende als Vorstand irgendeines Konzerns, Direktor, Wertpapierhändler oder sonst etwas... langweiligen. Wir haben ein Händchen für Geld.“
Ich hob überrascht die Brauen. „Aber das ist doch gut, oder? Geld regiert die Welt, Baby!“ Witzelte ich, was ihn wieder ein wenig aufheitert.
„Ja, schon irgendwie. Aber wir legen unser Geld überall an, wo es nur geht, und investieren in Sachen... Weißt du... Da bleibt leider am Ende nicht so viel Bargeld, wie ich es mir wünschen würde. Alles wird immer nur in die Zukunft investiert. >Denk an die Zukunft, Kind! Wenn etwas passiert, kannst du zu jeder Zeit darauf zugreifen, aber in der Gegenwart brauchen wir keinen Überfluss.<“ Zitierte er in verstellter Stimme. „Das konnte ich mir von jedem Einzelnen in meiner Familie anhören.“ Erklärte er daraufhin.
Meine Hand fand von selbst seine Schulter, denn die Verbitterung und der Ärger, welche er ziemlich verbissen versuchte zu vertuschen, waren doch mehr, als offensichtlich. Ich hatte früh gelernt, dass gerade die Dinge, die man versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, genau die sind, welche am stärksten herausstachen. „Dann wirst du eben deinen eigenen Weg gehen, Samuel Cavanaugh. Nicht jeder ist dazu bestimmt in die Fußstapfen seiner Eltern zu treten, denn manche von uns, haben einfach viel große Füße.“
Er lachte leise und traurig, darum legte ich meine Stirn an seine Schläfe. Augenblicklich schloss er die Augen und atmete einmal tief durch, bis er wieder seine eigene, ganz natürliche Ausgeglichenheit gefunden hatte.
Sam nahm mich an der Hand und führte mich weiter zum nächsten Bild. „Komm schon, bevor wir hier noch Wurzeln schlagen.“
Ich trabte neben ihm her, bis wir vor den Silvermoore´s ankamen. Natürlich war, wie bereits von Sam angedeutet, das Gemälde vor einem gigantischen Bücherregal gezeichnet worden. Sieben Familienmitglieder standen und saßen dort. Ebenfalls adrett gekleidet, mit hoch erhobenen Häuptern, bloß das dieses Mal eine Frau den Vorsitz hatte. Ihre Augen waren klug und herausfordernd, während sie ein Bein auf dem Wolf zu ihren Füßen abgestellt hatte. Die anderen Wölfe flankierten die Familie, so als ob sie jeden Moment aus dem Bild hervorspringen wollten und jeden anfallen, der es wagte, ein schlechtes Wort über deren Familie zu verlieren.
„So viel zu den Gebildeten.“
Logan, welcher ein wenig zurückgefallen war, weil sein Sohn unbedingt darauf bestanden hatte, dass sein Papa mit ihm auf dem mechanischen >Wolf ritt<, holte nun wieder auf und ächzte abgeneigt. „Doloris Silvermoore. Sie ist die Urgroßtante deines Turnlehrers. Sie war anscheinend eine fürchterlich anstrengende Frau. Genial, genauso wie bissig und herablassend. Mit ihr hat sich nie jemand angelegt.“ Ein wenig hörte ich da doch Bewunderung heraus, nicht wahr?
„Hast du sie noch kennen gelernt?“ Erkundigte ich mich, da die Frau auf dem Bild überraschend jung wirkte.
Logan schnaubte. „Nein, zum Glück nicht, sie verstarb noch vor Mal´s Geburt. Aber jeder der ihren Namen erwähnt, löst dabei eine Welle der Gereiztheit aus.“
Ich schmunzelte begeistert. „Also ich hätte sie geliebt.“ Dabei zwinkerte ich meinem Bruder verschwörerisch zu, welcher schlichtweg mit den Schultern zuckte.
„Ihr hättet euch die Köpfe eingeschlagen. Sie war ein herzloses Miststück mit einer gefährlichen Intelligenz.“
„Tja, ich bin vielleicht nur ein klassisches Miststück, aber ich wette, ich hätte Mittel und Wege gefunden ihr eines auszuwischen. Immerhin bin ich berüchtigt dafür Schwestern auf die Palme zu bringen und Mütter zum Ausrasten.“
Sam prustete. „Darauf wette ich.“
Logan schubste mich lediglich weiter, zum letzten Bildnis, den Redhill´s. Was ich dort fand, erschreckte mich höllisch. Das Bild muss um die Zeit des Zweiten Weltkrieges gemacht worden sein, denn es zeigte Menschen, wie sie in ihren Gräben lungerten und mit altmodischen, sehr langen Waffen auf ihre Feinde zielten.
Auf der anderen Seite wiederum, liefen Menschen, so wie Wölfe im selben Maße auf die armen Soldaten zu und überrannten sie. Diejenigen, die nicht ausweichen konnte, wurden zerfleischt. Blut befand sich überall auf dem Bild, Waffen reflektierten das Strahlen der Sonne, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte, und die wütenden Gesichter der Redhill´s zeugte von Freude an diesem Massaker.
„Ach du meine Fresse...“ Entschlüpfte es mir ehrfürchtig.
„Du kannst in der gesamten Weltgeschichte, mindestens einmal den Namen Redhill in einem jeden einzelnen Krieg wiederfinden.“ Schwor Sam hoch und heilig.
„Deshalb sind sie heutzutage auch, so besessen von dem ganzen antiken Quatsch den sie sammeln.“ Fügte Logan an.
„Familienerbstücke.“ Stellte ich kopfschüttelnd fest und konnte es kaum glauben. Wie hatte es ein einziger Nachname bloß geschafft, dermaßen lange zu überleben? Das war doch unmöglich, richtig? „Kämpften etwa nur die Männer?“ Erkundigte ich mich, als ich bemerkte, dass auf dem Bild bloß Männer zu sehen waren.
„Nun ja... Ja!“ Sam erinnerte mich daran, dass Frauen erst seit kurzem einigen Jahrzehnten einen militärischen Rang erlangen konnten. Bis dahin waren die Soldaten bloß während der Heilungsphase schlimmerer Wunden nach Hause gegangen, um ihre Frauen zu schwängern, damit es genug Nachkommen gab. Diese wiederum wurden von den Frauen, nach strickten und beinahe Elitären Regeln erzogen und in Militärschulen ab einem bestimmten Alter gesteckt.
„Zum Glück hat sich das heutzutage stark geändert.“ Beruhigte mich Logan, als ich anfing, mich darüber auszulassen was für ignorante Idioten Männer doch waren.
„Eis! Eis! Eis!“ Verkündete Adam plötzlich, kaum dass wir wenig später und ausgiebig schnatternd, das Museum verlassen hatten. Neben vielen Daten, die ich ohnehin gleich wieder vergessen hatte, hatte ich auch viel, über die unterschiedlichen Charaktere, der Gründerfamilien, von Lykwood kennengelernt. Ich verstand meinen Cousin besser, hatte ein grobes Bild des Verwandtschaftsgrads der hier ansässigen Einwohner bekommen und konnte so >Daumen mal Pie< sagen, welche Lokale oder Büros zu welchen Familien gehörten. Das Krankenhaus zum Beispiel, wie auch das Museum und die große Stadtbibliothek gehörten den Silvermoore´s, wie auch ähnliche Unternehmen. Den Hallingway´s gehören so gut wie sämtliche Wohnanlagen, die städtischen Parks und das Gemeindehaus. Die Nightengale kontrollierten die Polizei und Detektei, wo vor allem Redhill´s arbeiteten, wie eine Art Fetternwirtschaft. Die Cavanaugh´s lenkten Banken und größere Firmen, wie auch den In- so wie Export.
Alles in allem drehte sich mir schon der Kopf vor lauter Gesetze, denn mir persönlich würde bloß ein geringer Teilsatz des Erbes meines Vaters zufallen, falls es ihn je einmal nicht mehr geben sollte.
Aber wie hieß es so schön? Unkraut vergeht nicht...
„Eis! Eis! Eis!“ Schloss ich mich Adam´s Singsang an, woraufhin Vanja mahnend einen Finger hob.
„Na, na! Kein Eis für euch beide. Adam muss endlich ins Bett und du hattest doch noch etwas mit Samuel vor, oder?“
Ich legte meinem Cousin einen Arm um die Schultern. „Du willst doch bestimmt ein Eis haben, richtig?“
Er verzog das Gesicht. „Nö...“ Gab er langgezogen darauf. „Es ist Winter! Eiskalt... Da isst man doch kein Eis!“
„Eis geht immer.“ Wiedersprachen Logan und ich gleichzeitig und sahen uns verlegen an. Hatten wir etwa eben etwas gefunden, bei dem wir doch tatsächlich einer Meinung waren?
Vanja schmunzelte und zog ihren Mann neben sich her zum Auto. „Meldet euch, wenn ihr abgeholt werden wollt, ja? Logan holt euch dann.“
„Danke, Mrs. Hallingway!“ Rief Cavanaugh, woraufhin ich nun das Gesicht verzog.
„Arschkriecher.“ Ich schubste das Ekel von mir, woraufhin er zurück schubste.
„He, ich bin im Gegensatz zu dir wenigstens höflich.“
Das letzte, was ich noch hörte, ehe Sam und ich aus Logan´s Sichtweite verschwunden waren, war Vanja´s amüsierte Stimme. „Du weißt doch hoffentlich, dass sie die Hose ausziehen wird, noch ehe sie um die Ecke ist, oder?“
„Was? Wieso das denn?“

Marissa´s schräger Samstag Abend...

Es war Samstag und später Nachmittag, um die sieben Grad Außentemperatur. Vanja behielt recht. Ich stellte mich lediglich hinter eine Mülltonne, dann hatte ich meine Jeanshose auch bereits ausgezogen, richtete mein Kleid, sodass es zumindest meinen Hintern bedeckte und plüschte meine wilde Haarmähne auf. Samuel, welcher aus irrationalen Gründen einen Rucksack dabei hatte, nahm meine Hose nur widerwillig entgegen, ehe wir durch die Straßen von Lykwood schlenderten. Es gab wirklich viele Geschäfte hier und noch mehr Pups, wie auch Bars. Samuel zeigte mir diverse Gegenden, wo er gerne abhing. Es gab einen Skaterpark, ein Hallenbad, einige Parks und sonst so gut wie alles, was das Herz begehrte. Das Einzige, was mir hier wirklich abging... war witzigerweise eine Kirche. In den Städten fielen sie mir bloß immer auf, weil sie so unwirklich und fehl am Platz wirkten. Doch hatte nicht jedes Dorf und jede Stadt so etwas Unnötiges?

„Oh, ja wir sind alle nicht wirklich religiös und wollen auch nicht, dass sich irgendjemand... Wie soll ich das formulieren?“ Überlegte er angestrengt, während wir die Treppe in ein Pub hinunter gingen. Ich hatte vor auch dort mein Glück mit einer Anstellung zu versuchen. „Nun ja, unsere Stadt steht für Gleichberechtigung und freie Entwicklung, weißt du. Da wäre es eigentlich ziemlich heuchlerisch, wenn wir uns irgendeinem irdischen Glauben unterwerfen, nicht wahr? Ich meine... So gut wie jede Religion trieft doch bloß vor Brutalität und Unterdrückung. Wir... wirken dem entgegen.“
Ehrlich gesagt fand ich es sogar heuchlerischer, dass er, als Familienmitglied einer Gründerfamilie, die sich anscheinend mit den anderen nicht so gut verstand, bloß weil sie anders waren, als seine eigene, in diesem Punkt überhaupt eitel war.
Blinzelnd wandte ich meinen Blick wieder ab. Was soll man darauf bloß erwidern? Ich hob meine Hand, um die Barkeeperin, welche scheinbar auch gleichzeitig, als Kellner fungierte und zwischen den Tischen balancierte, auf uns aufmerksam zu machen. „Zwei Bier, bitte.“
Die Frau besaß cappuccinofarbene Haut und Locken, die wie kleine Sprungfedern von ihrem Kopf abstanden. Sie war etwas füllig, ihre Brüste überraschend gespannt und ich konnte... was war das nur? Ein Hauch von irgendetwas an ihr wahrnehmen, welches mich an Milch erinnerte. Blinzelnd tat ich die Verwirrung einfach ab.
„Klar, Süße. Aber von deinem kleinen Bruder brauche ich den Ausweis.“ Ich lachte schallend los, als Sam dunkelrot im Gesicht anlief.
„I-Ich trinke kein Bier. Wasser ist mir lieber.“ Amüsiert zwinkerte sie uns zu, dann flog sie praktisch zum Kühlschrank, um mir ein Bier zu bringen und Sam eine gekühlte Flasche mit Wasser.
„Ich zahle.“ Sagte ich sofort, als Sam seine Börse zückte. „Logan hat mir einen Hunderter zugesteckt, ehe wir los sind.“
„Da wusste er anscheinend noch nicht, dass du deine Hose ausziehen würdest.“
„Sonst hätte er ihn mir auch ganz bestimmt nicht zugesteckt.“ Witzelte ich zurück, ehe ich mich an die Barkeeperin wandte. Es war nicht viel los und der Lärmpegel hielt sich, im Gegensatz zu der Bar von gestern Abend, in Grenzen.
„Hi, wie ist dein Name?“ Erkundigte ich mich.
„Sarah.“ Erwiderte sie und trocknete sich ihre frisch gewaschenen Hände an ihrer Schürze.
„Hi, ich bin Rissa, das ist mein Cousin Sam. Sag, sucht ihr vielleicht im Moment nach einer Aushilfe?“
Sarah´s dunklen Mandelaugen glänzten vor Aufregung. „Ja klar, schon ewig! Wieso fragst du?“
„Ich suche einen Job neben meinem erzwungenen Studium.“ Log ich. „Meine Familie zwingt mich dazu, aber wenn ich genug Geld zusammen gespart habe, dann kann ich mir hier eine Wohnung nehmen und Vollzeit arbeiten. Wie siehts aus?“
Sarah lehnte sich über den Tresen und wirkte sichtlich interessiert. „Hast du denn schon Erfahrung im Ausschenken und bedienen?“
Ich nickte. „Jap. Ich habe das so... sieben oder acht Monate gemacht, vergangenes Jahr, ehe ich mich an Lagerarbeit versucht habe.“
„Wieso hast du denn gewechselt?“ Ich erkannte die Frage dahinter sofort. Sie wollte wissen, ob mir der Job zu stressig gewesen ist, oder ich gefeuert wurde.
Ehrlich gesagt... wurde ich gefeuert, da ich mich im Dienst habe volllaufen lassen, mit ein paar Jugendlichen die Party machten. Und das... nicht nur einmal.
„Ehrlich gesagt, sollte es ein Statement sein.“ Log ich weiterhin, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich hatte so einen total arschigen Boss, der es okay fand, das seine betrunkenen Gäste uns Frauen antatschen. Wir haben alle auf einmal gekündigt, unseren Resturlaub genommen und haben seinen Ruf ruiniert...“
Sie klatschte begeistert in die Hände, als ihr ein Licht aufging. „Davon habe ich gehört! Das war doch dieser Typ... mit dieser Lokalkette, richtig... Wie hieß der denn nochmal?“
Um ehrlich zu sein, war das unser schlimmster Konkurrent in der Gasse gewesen und beinahe hätte er die Bar, an welcher ich damals gearbeitet habe, ebenfalls aufgekauft, dieser geldgierige Sack. Aber nun ja... Sagen wir mal, ich kannte die Mädchen dort, sehr gut, hing mit ihnen von Zeit zur Zeit ab und... klaute mir den Büroschlüssel. Ich ließ mein Handy dort um aufzunehmen, wie der Mann seine Angestellten behandelt und als sie ihn zur Rede stellten... Nun ja, sagen wir, die Frau ist ihres Glückes Schmied gewesen...
Trotzdem flog ich fünf Wochen später.
„Ja genau, wir haben ihn total gehasst!“ Stimmte ich ihr zu. „Jedenfalls habe ich mir eingebildet, dass ich mir einen bequemen Job, als Regaleinschlichterin verdient hätte, aber seien wir mal ehrlich... Wer vermisst nicht die Hektik hinter der Bar, die Leute und natürlich das gute Trinkgeld.“
Sie lachte mit mir und ich merkte sofort, dass sie mich mochte. Sie reichte mir eine Serviette mit Kulli. „Okay, du hast mich schon überzeugt. Ich rede noch mit meinem Mann, ihm gehört die Bar. Schreib mir einfach deinen Namen auf, so wie deine Telefonnummer, dann rufe ich dich morgen an.“
„Super! Mache ich.“ Erwiderte ich, doch war bloß noch halb so begeistert, wie zuvor. Scheiße... Mein Handy war noch immer nicht wieder aufgetaucht.
„Gut, dann habt noch einen schönen Abend, ich muss jetzt Milch abpumpen gehen, ehe meine Mädels euch noch in die Drinks hüpfen. Bis bald!“
„Bye!“ Erwiderte Sam, welcher bisher kein einziges Wort verloren hatte.
„Scheiße, was mache ich denn jetzt?“ Fragte ich an Sam gewandt, der natürlich nichts von meinem Problem wusste.
Er wirkte fürchterlich irritiert. „Was? Weshalb denn?“
„Ich habe mein Handy gestern Abend verloren.“ Flüsterte ich in seine Richtung, während ich aus Gewohnheit meinen mütterlichen Nachnamen auf die Serviette schrieb. Vielleicht war es auch besser so. Bisher hatte ich mich stets mit Hallingway vorgestellt, da mein Bruder, noch ehe ich überhaupt in Lykwood angekommen war, dafür gesorgt hatte, dass alle meine Dokumente geändert wurden und ich eine rechtmäßige Hallingway war.
„Schreib meine auf.“ Schlug Sam vor und wollte schon sein Handy zücken.
„Nein, das geht nicht! Dann denkt sie doch, ich verarsche sie total, wenn du plötzlich ran gehst.“
„Soll ich dir die von Logan ansagen?“ Schlug Sam weiterhin, genauso nutzlos vor. Dafür schnipste ich ihm sogar gegen die Stirn. So viel Dummheit musste einfach bestraft werden. „Autsch! Ich weiß, blöde Idee.“
„Na wenigstens ist es dir aufgefallen. Jetzt sag mir lieber, was ich hier hinschreiben soll!“ Beklagte ich mich und deutete auf die Serviette.
Sam hielt einen Finger in die Höhe. „Wie wäre es, wenn ich dir mein Handy für einen Tag leihe? Du schreibst meine Nummer hin, ich sage, ich habe es versehentlich bei euch liegen gelassen und wenn eine unbekannte Nummer anruft, dann gehst du ran. Mich ruft ohnehin nie jemand an, außer meine Eltern. Und die werden mich nicht anrufen, wenn ich ohnehin zuhause bin.“
Sam´s Idee war unbezahlbar, auch wenn ich mich etwas wunderte, wieso er mir so viel Vertrauen entgegenbrachte, dass er mir so etwas persönliches von sich lieh. Umso erstaunter war ich... als er mir das Steinzeithandy schlecht hin darbot.
Ungläubig starrte ich den Klumpen Plastik in seiner Hand an. Es hatte sogar noch Drucktasten, keinen Touchscreen und leuchtete grünlich, wenn man es aktivierte.
„Sag bloß, ich brauche dafür auch noch eine Ladestation.“ Murrte ich herablassend.
„Unsinn, der Akku von dem Ding, wird so gut wie nie leer.“ Erwiderte er, als sei es das normalster der Welt.
Hallo! Einundzwanzigstes Jahrhundert! Wer lief da noch mit so einem alten Teil herum? Existierte diese Marke überhaupt noch?
Auch wenn ich dankbar war, sein Angebot annahm und seine Nummer aufschrieb, wobei ich das so schnell wie möglich korrigieren würde, ließ ich die nächste Stunde keine Situation aus, um auf seinem Uraltgerät herum zu haken. Einmal hatte ich Sam sogar so weit, dass er schon wütend davon stampfen wollte, doch ich entschuldigte mich rasch und ließ die Sache ausnahmsweise auf sich beruhen. Himmel, das Teil musste sogar älterk, als er selbst sein!
„Okay, ich geh noch schnell auf das Töpfchen.“ Ich fühlte, wie meine Zunge bereits schwer geworden war und Sam viertelstündig attraktiver wurde. Vielleicht hatte ich hier das eine oder andere Bier zu viel genossen?
Ich bejahte meine eigene Frage, in dem Moment, in welchen ich mich versuchte gerade Hinzustellen und ins Schwanken geriet.
„Mist, wie betrunken bist du denn?“ Fragte Sam, der sich sichtlicht Sorgen um mich machte. Ich winkte jedoch gleichgültig ab. Das bisschen Alkohol würde sich abgebaut haben, sobald ich überhaupt in die Nähe der Villa gekommen war. Zumindest hoffte ich das sehnlichst!
„Schon gut, ich war schon betrunkener.“ Gab ich lachend zu, drehte mich mit etwas zu viel Schwung herum und purzelte glatt auf den Schoß eines attraktiven jungen Mannes.
Überrascht fing er mich auf und lächelte mich amüsiert an. „Hoppla.“ Murmelte ich. Offensichtlich musste er meine Fahne bemerkt haben, denn sein Blick wurde... dunkler. „Das tut mir aber leid. Normalerweise lande ich erst auf der Toilette auf dem Schoß eines heißen Kerls.“
Er und seine Kumpels lachten amüsiert, während sie mich abcheckten. „Du schleppst Kerle auf der Toilette ab?“ Fragte er sarkastisch. „Dabei bist du so heiß, da wäre es eine Verschwendung dich nach bloß einem Quickie stehen zu lassen.“
Ich lehnte mich wieder über seine Schoß und hauchte, wie ich hoffte, sinnlich in sein Ohr. „Wer sagt denn, dass ich mich bloß auf einer Toilette vernaschen lasse?“
Sein Blick sagte alles, was man sich bloß vorstellen konnte, während ich hüftschwingend zur Toilette tänzelte. Und dabei betete ich aufrichtig, nicht zu taumeln und mir das Tänzeln nicht lediglich einzubilden.
Am Klo blieb ich glatt für zehn Minuten. Ich brauchte so viel Zeit, um nicht bloß meine Blase zu leeren, sondern vor allem, um mein Haar wieder zu richten, denn wann das so durcheinander gekommen war, wusste ich ehrlich nicht. Dann zog ich meinen Lidschatten nach, ordnete meine Kleidung und half mit kühlem Wasser, meinem lädierten Gehirn wieder auf die Sprünge. Seit wann ging mir der Alkohol denn dermaßen an die Nieren? Im Grunde konnte ich Shots ohne Ende trinken und von Bier wurde ich nicht mal ansatzweise betrunken. Und wie viele hatte ich bis eben davon gehabt? Höchstens drei! Woher kam das also so plötzlich?
Für einen Moment erwog ich, ob ich vielleicht irgendetwas ins Getränk gemischt bekommen hatte, doch ich hatte durch eine ehemalige Freundin gelernt, stets mit Argusaugen über mein geöffnetes Getränk zu wachen, selbst wenn ich betrunken war. Wenn mir jemand etwas geöffnetes anbot, nahm ich es nicht an und ich saß aus Prinzip lieber an der Bar, dadurch gab es weniger Möglichkeiten mir etwas hinein zu schummeln.
Nein, irgendwelche Narkotika oder Schlimmeres würde es ja doch nicht sein, denn dafür fühlte ich mich einfach zu... Schlichtweg einfach betrunken.
Sobald ich einigermaßen klar war, atmete ich tief durch, verließ die Toilette und entdeckte den süßen Typ in der Nähe des Hinterausganges, wie er rauchte. Na aber hallo... Wenn das mal kein Schicksal war! Der Typ war so süß. Schwarzes Haar, ein schlanker Körper, dunkle Lederjacke, sein Hintern... Nun ja, er könnte knackiger sein und seine Augen waren so dunkel, ich konnte nicht einmal die Farbe ausmachen. Aber vielleicht lag das auch einfach nur an meinem alkoholisierten Zustand, so wie dem sperrlichen Licht?
„Was gibt es denn hier gratis?“ Fragte ich ihn und erschreckte ihn ein wenig.
„Oh hi, du bist ja noch da.“
Hastig trat er die Zigarette aus. Ich erkannte, dass er mich für jemand anderen gehalten haben musste, doch verwarf den Gedanken, da mir seine Hintergrundgeschichte so etwas von am Arsch vorbei ging.
„Tja, ich bin eben wie eine Motte, die dem Licht folgt. Nur mit dem Unterschied, dass mich bloß besonders heißes Licht interessiert.“
Sein Lächeln wurde wieder anzüglich. „Kreativ.“ Gab er zu, während ich näher kam und mich direkt vor ihm, an den Türrahmen lehnte, so wie er es tat. „Aber bist du nicht etwas zu betrunken, um schlechte Entscheidungen zu treffen?“
Ich ließ meinen Blick lange über seinen Körper gleiten. Er sah so gut aus. Einer von denen, die ich nicht von der Bettkante schubsen würde, aber trotzdem war da etwas in meinem Hinterkopf, das unaufhörlich nörgelte. Ich wusste nicht, was es war, doch etwas störte mich an diesem süßen Typen, von dem ich noch nicht einmal den Namen erfahren hatte.
„Ich treffe bloß schlechte Entscheidungen, wenn ich in einer Gruppe unterwegs bin.“ Ich sah mich nach beiden Seiten um. „Aber im Moment... scheint es so, als sei ich hier ziemlich alleine...“
Ich bemerkte nicht, wie er sich vom Türrahmen abstieß, um sich über mich zu beugen und dabei ganz offen in meinen karg bedeckten Ausschnitt zu glotzen. „Was würde da dein kleiner Freund wohl dazu sagen, wenn er wüsste, dass du mich hier hinten anbaggers?“
„Erstens...“ Ich hob den Zeigefinger. „Er ist bloß mein Cousin.“ Ich hob den Mittelfinger dazu. „Zweitens, ich baggere nicht... Ich schleppe ab.“
Überaus amüsiert lachend, beugte sich der Typ, denn so würde ich ihn ab jetzt einfach nennen, da mich Namen aus Prinzip kaum interessierten, zu meinen Lippen herab. Er schmeckte, ähnlich wie ich, nach Bier. Sein Atem war warm, seine Zunge geschickt, während seine Hände andächtig über meinen Körper streichelten.
Ich hob meine Arme, um sie über seinen Nacken zu legen, als er sich für einen Moment zurück zog. „Also eigentlich ist das eine schlechte Idee. Ich habe eine Freundin... und auch wenn es kompliziert ist-...“
Ich unterbrach ihn ächzend. „Himmel, ich will bloß Sex und keinen Heiratsantrag. Weißt du eigentlich, wie lange ich schon nicht mehr gefickt habe? Wenn du also nicht sofort aufhörst, darüber nachzudenken, werde ich mir einen deinen Kumpel einfach holen kommen.“
Er grinste. „Autsch. Das würde mich ja schon fast treffen, wenn du dabei nicht so heiß aussehen würdest.“
Na bitte! Ging doch!
Ich schnappte ihn mir bei der Hand, zog ihn hinter mir her, auf die Männertoilette und schloss uns in eine der Kabinen ein.
Ich war gerade einmal dabei diese zu verriegeln, als der Typ sich auch schon leckend und saugend über meine Brüste her machte.
Genüsslich stöhnend lehnte ich mich an die Türe hinter mir, rekelte und streckte mich, damit er problemlos an meine Lieblingsstellen herankam, da war seine Hand auch bereits in meinem Höschen.
Na so viel zu, übereilig sein.
Himmel, wieso dachte ich auch überhaupt so viel darüber nach? Das war ich ebenfalls nicht gewohnt. Ob es mit meinem überschüssigen Alkoholkonsum zu tun hatte? Oder ob es eher an dem Mangel daran lag, denn je mehr mich dieser Typ berührte, umso... ehrlich gesagt, trockener fühlte ich mich.
Ich stöhnte frustriert, während ich mein Gesicht in seinem Nacken vergrub, was er wohl fälschlich interpretierte. Was machte diese verdammte Kleinstadt Lykwood bloß mit mir, dass mir sogar Sex keinen Spaß mehr machte? Sonst hatte ich sogar stockbesoffen und halb betäubt mehr spaß und die Männer schwärmten davon, wie gut ich mich anfühlte.
Hm, ob es daran lag?
Ich wechselte Position mit dem Typ, stieß ihn mit sichtlich mehr Kraft, als nötig gegen die Türe hinter mir, denn ihm entwich prustend die Luft, während ich auf die Knie ging.
Kaum war seine Hose herunten, stöhnte und bebte der Typ dank meiner Erfahrung, doch fluchte wüst, während er meine Technik lobte. Genau das hatte ich gemeint! Ich wusste doch, dass ich gut war im Vorspiel, so wie in allem danach. Trotzdem... Ich konnte es selbst kaum glauben, doch irgendwie ekelte es mich vor diesem Typ. Wie konnte das überhaupt sein?
Sein Schwanz war auch nicht gerade etwas dass ich als enttäuschend empfinden würde, trotzdem hockte ich hier auf der Männertoilette mit einem attraktiven Typen, der übrigens wohl auf wusste, was er tat, doch trotzdem... reizte er mich so kein bisschen.
Ich kam wieder hoch, woraufhin seine Zunge unmittelbar wieder in meinem Mund steckte. „Oh Baby... Ich will dich so sehr!“
Auch das war etwas, was ich oft genug, genauso drängend gehört hatte.
Augenblicklich fand ich mich, mit den Armen, über die Spüle gedrückt, in einer meiner Lieblingspositionen wieder, doch anstatt sehnsüchtig auf das heiße, harte Stück Fleisch zu warten, von dem ich wusste, es würde mich auf jeden Fall befriedigen, wurde ich bloß wütend.
Ich fuhr herum und packte das Mistschwein an seiner Kehle. „Verficktes Arschloch, was denkst du, was du da tust?“ Fauchte ich mit einer dunklen Stimme, die vor Abscheu triefte.
„Wa-Was?“ Fragte der Typ, vermutlich zu recht, überaus verwirrt.
„Du Stinkstiefel widerst mich an.“ Wurde meine Stimme etwa noch dunkler? „Fass mich noch einmal an und du wirst sehen, wo du dein mickriges Stück Scheiße, was du einen Schwanz schimpfst, wiederfindest.“
Mehr überrascht von mir selbst, als der Tatsache, dass sich der Kerl eben in die Hose pisste, schob ich mich an ihm vorbei und stürzte aus der Toilette. Anstatt dass ich wieder zurück zur Bar ging, stürmte ich hinten hinaus, in den abgeriegelten Hof und übergab mich lautstark, um den Geschmack von diesem Typen loszuwerden. Scheiße...
Mit pochenden Herzen und wild pulsierenden Puls, sah ich mich in alle Richtungen um. Das Tor, zweifellos abgeschlossen, war gute zwei Meter hoch und bestand aus massivem Metall. Aber das war mir egal. Mehr einem Instinkt folgend, als der menschlichen Logik, rannte ich das Tor hoch, fing mich an seiner oberen Seite ab und schwang mich elegant wieder auf den Gehsteig hinunter.
Scheiße... Ich musste diesen... diesen Geruch und den Geschmack dringend loswerden. Es war, als Würde sich mir purer Ekel aus einem nie gekannten Teil meines Körpers hinauf arbeiten. Tief aus meiner Brust, schämte ich mich für mein, so Typisches verhalten. Woher kam das nur zum Teufel? Der Typ war attraktiv gewesen und stank lediglich nach Bier und einem leichten, männlichen Parfüm. Trotzdem bereitete mir der alleinige Gedanke daran, nichts weiter als anstößigen Ekel. Dabei hatte ich doch bereits mit ekelerregenderen Männern geschlafen, mit denen ich einfach bloß Mitleid gehabt hatte.
Wieso stieß mich das hier also bloß dermaßen ab? Was stimmte nicht mit mir?
Ich fühlte doch, dass ich Lust auf Sex hatte, ich wollte berührt und gestreichelt werden... Aber nicht mit diesem Typ. Er war mir... Ich hatte ehrlich gesagt kein Wort dafür, denn weniger Spaß als gerade eben, hatte ich auch noch nie gehabt.
Wütend und verwirrt über meine eigenen Gefühle ging ich den Weg zurück, den ich mit Samuel gekommen war. Viel zu angeekelt über mein Verhalten, wagte ich es nicht, mich ihm unter die Augen zu trauen. Und nein, es lag ganz bestimmt nicht daran, dass ich mich ihm gegenüber schuldig fühlte, denn für mich war Sam bloß ein Freund. Aber ich wusste... Nein, etwas in mir wusste, er würde merken was ich getan hatte und ahnen, mit wem. Dieser Typ war einfach... So langweilig gewesen und absolut keine Herausforderung für mich. Ich fühlte mich beschmutzt, wie nie zuvor, wenngleich ich mich in wesentlich entwürdigenderen Positionen bereits wiedergefunden hatte. Einmal sogar gefesselt an mein eigenes Bett, als ich noch >zuhause< gewohnt hatte. Damals... als es mir noch egal gewesen war, was meine Mutter oder sonst jemand über mich dachte. Die Zeit, in welcher ich mir keine Gedanken um andere gemacht hatte. Wieso also jetzt?
Ich verstand mich einfach nicht mehr...

 

- - - - -

 

Ich war ausgesprochen stolz auf mich, dass ich während des gesamten Rückweges zur Villa, kein einziges Mal geweint hatte. Ehrlich gesagt wunderte es mich schon ein wenig, dass Sam noch nicht die Spacial Forces, oder sonst irgendetwas hinter mir her geschickt hatte. Immerhin dauerte mein Heimweg eine gute Stunde und noch war kein Wahnsinniger auf der Suche nach mir, die Straße heim entlang gekommen.
Ob es meinem Bruder mittlerweile egal geworden war? Ehrlich gesagt... würde es mir doch ein kleines wenig wehtun, falls ja. Wenngleich es mich in meiner Meinung bestärkte, dass ich einfach alleine besser dran war. So ist das nun mal bei mir. So war ich eben.
Ich kann unter Brücken schlafen, ohne dass es mich großartig stört. Ich hing sogar ganz am Anfang einmal, mit Obdachlosen herum. Die waren total freundlich und hatten mir sogar geholfen wieder auf die Beine zu finden, nachdem ich, nach dem besonders großen Streit mit meiner Mom, von zuhause abgehauen war. Endgültig verstand sich. Sie hatten mich emotional aufgebaut und ich gab mir selbst den nötigen Arschtritt, einen Job zu finden und mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ich war eben von niemanden abhängig. Unter keinen Lebensumständen.
Besonders nicht von jemanden, den man mir als >großen Bruder< aufgebürdet hatte. Gerade so jemanden brauchte ich ehrlich nicht in meinem Leben.
Ich erreichte eben einen Teil der Mauer, welche als Sichtschutz, vorne bei der Straße errichtet worden war, wenngleich ich nicht ganz verstand, was sie genau bringen sollte. Das Anwesen befand sich mehrere hunderte Meter und einige Biegungen tiefer im Wald drinnen. Und ein Wald bestand bekanntlich nicht ausschließlich aus Gestrüpp, doch war ich nie auf die Idee gekommen, Logan nach dem Sinn der Mauer zu befragen.
Ächzend zog ich mich die hohe Mauer hinauf, indem ich die ungleichen Steine hinauf kletterte und balancierte im dunklen, bloß begleitet von den Straßenlaternen, über die fünfzig Zentimeter dicke Steinmauer hinweg. Nach innen hin, tiefer in den Wald hinein, wechselte sich der Stein dann mit einem Metallzaun ab, welchen ich zurückfolgen sollte, falls ich mich einmal verlaufen sollte.
Zum Glück aber, verspürte ich als Stadtmensch nicht unbedingt das Bedürfnis nach einer langen Wanderung im langweilig, grünen Wald.
Dass ich nicht von der Mauer flog, verdankte ich der Tatsache, dass die kühle Abendluft meinen getrübten Sinnen wieder auf die Beine geholfen hatten. Ich fühlte mich wieder fit und so, als ob niemals etwas gewesen sei, je länger ich durch die Nacht wanderte. Seltsamerweise fühlte ich mich wesentlich ausgeglichener, je länger der Weg dauerte und hüpfte nun sogar wieder beschwingt über die Mauer, wenngleich das vermutlich nicht eine meiner besten Ideen war.
Trotzdem. Das war ich. So fühlte ich mich endlich wieder, wie ich selbst, solange ich am Rande des Wahnsinns tanzte. So hatte es zumindest meine Mutter stets beschrieben.
Ein Lehrer hatte sogar einmal gemeint, ich sei süchtig nach dem Abenteuer. Nach der Herausforderung, dem Abgrund entgegenlachen zu können, was ich jedoch damals nicht verstanden hatte.
Heute sah ich mein Verhalten selbst ein, doch wenn ich mich zu etwas Zwang, was andere als >normal< bezeichnen, bekam ich ein beklemmendes Gefühl. Es war, als würde ich gegen meine eigene Natur ankämpfen und mich versuchen in die Haut eines Fremden zu zwängen, was ja bekanntlich unmöglich war.
Offensichtlich wurde ich nach einer Weile zu euphorisch, oder mein Glück verließ mich, wie üblich lediglich, denn mein rechtes Bein knickte an einem losen Stein weg, dieser gab unter meinem Gewicht bloß zu gerne nach und schon polterte ich schreiend die anderthalb Meter in die Tiefe. Ächzend blieb ich am Rücken liegen und betrachtete für einen Moment die Decke des Nadelbaumes.
Jap... Es waren keine winzigen SPeere, welche in mein Fleisch bohrten, sondern bloß kleine Nadeln von diesem, überaus ungünstig stehenden Baumes.
Ich stöhnte. Na toll, wieso konnte ich nicht einfach in einen weichen Laubhaufen fallen? Mussten es unbedingt blöde Tannennadeln sein?
Das Geräusch eines knackenden Zweiges ließ mich aus meiner kurzfristigen Melancholie wieder auftauchen und ich rollte herum, um nach der Geräuschquelle Ausschau zu halten. Ich hatte schon eine Entgegnung für Logans bösen Blick auf den Lippen, als ich in etwas starrte, dass vom silbrigen Mond, oder war es auch die gelbliche Laterne, schwach beleuchtet war. Ein Schemen, welcher sich kaum von der Umgebung abhob, da er so schwarz, wie die Nacht selbst war. Er erstarrte, sein gesamter Körper spannte sich an, als ob ich ihn überrascht hätte, dabei war es ja genau umgekehrt. Vielleicht folgte mir der gewiefte Jäger auch bereits seit einer Weile, da er mich als leichte Beute einschätzte?
Seltsamerweise erfüllte mich dieser Gedanke mit einer Art... Hochgefühl. Adrenalin schoss durch meine Blutgefäße, trieb meine mangelnde Muskelmasse zum Höchstbetrieb an, so wie einen Boxer unmittelbar vor seinem entscheidenden Kampf.
Das Tier musste meine körperliche Erwartung entweder gespürt, oder gesehen haben, denn plötzlich senkte es knurrend den Kopf und bleckte eine lange Reihe, spitzer weißer Zähne, die überaus perfekt saßen.
Warum ich das so genau sah? Weil das Tier sich keine zwei Meter von mir entfernt befand. So nah war ich noch nie einem echten Jäger gekommen. Zumindest keinen, der es tatsächlich auf mein Leben abgesehen hatte.
„Schon gut.“ Hauchte ich, beinahe lautlos, doch der Wolf spitzte seine Ohren, als ob er auf meine Worte lauschen würde. Dabei hörte er jedoch nicht auf, mit seinem aggressiven Verhalten.
Ich bemerkte überhaupt nicht, dass ich auf allen vieren Stand und den starren Blick des Wolfes erwiderte, als ich friedlich eine Hand hob. „Ich weiß ja nicht, ob du das breits wusstest. Aber ich wohne auch hier, ja. Also lass uns gute Nachbarn sein und das hier ja nicht ausarten. Okay?“
Ja, ich wusste selbst, wie dumm es war mit einem wilden Tier, das auch noch dazu ein Wolf war und damit wesentlich kräftiger, als ich selbst, zu sprechen, als ob es mich verstehen könnte. Aber in Ermangelung von klugen Ideen, blieb mir keine andere Wahl.
Außerdem erinnerte mich der Wolf an irgendetwas, was ich schon einmal gesehen hatte. Heute... Genau! Der Wolf erinnerte mich an die Bilder aus dem Museum. Sie hatten genauso gewirkt, wie dieser hier. Wild, lebendig, gefährlich... Niemand war ihnen gewachsen, denn sie waren die einzig wahren Jäger dieser Wälder. So groß und stattlich besaßen sie keine natürlichen Feinde, abgesehen von den Menschen selbst.
Aber dennoch hatten sie irgendwie überlebt und zu den Gründungsmitgliedern gehört. Mit seinem schwarzen Fell und den goldenen Augen... „Nightengale.“ Es war wieder bloß ein Hauch meiner Stimme, doch es ließ den Wolf verblüfft stutzen. Insofern Wölfe ein ähnliches Gesicht ziehen konnten, oder ihre nicht vorhandenen Brauen heben. Er hörte auf zu knurren und trat sogar einen Schritt zurück, so als ob er mich tatsächlich verstanden hätte.
„Oh ja, ich kenne die Geschichten über euch schwarze Wölfe. Ihr gehört zu den Nightengale. Aber ich bin eine Hallingway, was bedeutet, dass du auch zu mir gehörst.“ Ich kam auf die Knie und wurde mir bewusst, dass mich der Wolf wohlauf verstand. Er wusste, was ich da sagte. Er konnte es spüren! „Ich bin deine Familie, Wölfchen.“
Und dann war er plötzlich direkt vor mir. Zähne bleckend und knurrend sprang er direkt vor mich, so als ob er sich auf mich stürzen wollte. Mich zerfleischen und für diesen Frevel, ihn als meine Familie bezeichnet zu haben, hinzurichten. Doch stattdessen verlor er sich in meinen Augen. Ich wusste nicht genau, was er da sah. Überlegenheit? Selbstbewusstsein? Denn, Himmel, davon hatte ich zweifellos viel zu viel an diesem Abend erwischt. Jeder normale Wolf hätte mir bereits die Kehle zerfetzt, doch dieser versuchte meinem viel zu intensiven Blick stand zu halten. Ganz sechs Sekunden kämpfte er wie verrückt. Ich sah, dass er nicht nachgeben wollte. Er wollte sich mir nicht beugen, doch das haben sie alle getan. Wölfe beugen sich unserer Familie, aus welchen Gründen auch immer.
Winselnd gab er nach und ließ den Blick zu Boden sinken, was mir ein breites Lächeln bescherte. „Gutes Wölfchen.“ Grinste ich und tätschelte seine weiche Flanke. Darunter befanden sich zwar Muskeln, die sich bestimmt in der Wolfswelt sehen lassen konnten, doch das Fell war weich und beinahe seidig. So geschmeidig und warm, dass ich mich ein wenig danach sehnte, selbst so einen Pelz zu besitzen, denn so kälteresistent ich auch sein mochte, fuhr mir die Kälte allmählich in die Knochen.
Ich fuhr mit den Fingern hoch zu seinem Hals, bis zum Ohr, wo ich ihn kraulte, wie jeden anderen Hund meiner Nachbarn. Auch sie hatten es geliebt, dort gekrault zu werden.
Für einen Moment schien es so, als ob er meiner Berührung nachgeben wollte, doch dafür besaß dieses wilde Tier wohl dann doch zu viel stolz. Der Wolf war bekanntlich kein Schmusetier, daher knurrte er mich an, dass ich das lassen sollte.
„Sei nicht so zickig.“ Ich rutschte näher an den Wolf heran, egal wie dumm es einem Normalsterblichen vorkommen musste und ließ auch meine zweite Hand in seinem geschmeidigen Fell versinken. „Du bist viel zu prachtvoll, um zickig zu sein, mein... Ähm? Junge oder Mädchen? Was bist du denn?“
Ich wollte zwischen seinen Beinen hindurch schielen, doch er drehte sich zur Seite, so als ob er schüchtern sei. Oh wow, das war sogar für meine Verhältnisse seltsam. „Schon gut, ich weiß, so gut kennen wir uns ja noch nicht. Aber jetzt wo ich dich streicheln kann, heißt das, dass du mir gehörst, wie diese Wölfe an den Gemälden?“
Der Wolf nieste und stob dabei einige trockene Blätter auf. Ich deutete dies als ein nein, vor allem, da er sich auch noch ein wenig von mir abwandte.
„Schade, käme sicher mega gut an, wenn ich dich mit nach Hause nehmen würde. Mein Bruder würde ausflippen.“ Interessiert hob der Wolf seine Ohren und legte den Kopf nachdenklich schief. Dann lachte ich und zog ihn sanft an einer Ohrspitze. „Und ich dachte immer, Wölfe seien genauso wenig intelligent, wie Eichhörnchen. Dafür verstehst du mich aber scheinbar viel zu gut. Gehörst du etwa schon jemanden? Sicher einen der Nightengale, richtig? Deshalb willst du nicht mein... Wolf sein? Haustier klingt ja irgendwie herabwürdigend. Ich sollte Logan fragen, wie unsere Vorfahren euch bezeichnet haben.“
Ich zog den wieder grummelig wirkenden Wolf am Ohr, was er mit einem lustlosen Schnappen nach meiner Hand quittierte. „Ach komm schon, sei mein Wölfchen.“ Neckte ich den Wolf weiter, wofür ich einmal mehr angeknurrt wurde.
Er war ja auch wirklich kein bisschen kooperativ. „Nicht einmal, wenn ich dich ganz lieb anbettele?“ Versuchte ich es weiter, dann pickste ich ihn sanft an der Brust. Wieder vibrierte sein Körper, während er knurrte. „Bitte, bitte, lieber schwarzer Wolf.“ Meinte ich sarkastisch, zog ihn wieder nervend am Ohr, woraufhin der Wolf überraschend schnell zuschnappte und meinen Unterarm plötzlich zwischen den spitzen Zähnen hielt.
Für einen Moment hielt ich erschrocken die Luft an, immerhin war das hier vor mir, noch immer der König der Wälder. Aber als kein Schmerz einsetzte, erkannte ich, dass er mich nur davon hatte abhalten wollen, ihn weiter zu segieren.
Als sein goldbrauner Blick den meinen traf, kam mir etwas in den Sinn, woran ich noch überhaupt nicht gedacht hatte. Der Wolf würde mir nichts tun. Keiner der Wölfe, welche sich hier auf den Anwesen der Gründerfamilien tummelten, würde mir jemals etwas antun.
Sanft lächelte ich ihn an und legte meine freie Hand auf seine Wange. „Entschuldige, ich höre ja schon auf.“ Versprach ich. Fürs Erste...
Er schien zu erkennen, dass ich es ernst meinte, denn der Wolf ließ endlich meinen Unterarm los und leckte sanft über die Stelle, wo seine Zähne einen leichten Abdruck hinterlassen hatten. Zudem bemerkte ich auch, dass sich meine Haut bereits fühlbar abgekühlt hatte. Wenn ich also nicht frieren wollte, sollte ich möglichst bald aufbrechen.
„Aber dafür, dass du nicht mein Wolf werden willst, musst du mich zumindest zurückbegleiten. Zumindest ein Stück.“
Der Wolf knurrte wieder, doch da er sich aus der sitzenden Position auf bewegte, deutete ich das, als ein Eingeständnis.
„Na siehst du-...“ Mit einem Aufschrei landete ich wieder am Boden, da mein rechtes Fußgelenk, jenes mit dem ich abgerutscht war, schrecklich zu schmerzen begann.
Bisweilen war ich mir das stete Pochen nicht einmal bewusst gewesen, doch nun da ich versuchte, ihn zu belasten, knickte ich unter unterdrückten Tränen zusammen und fiel zurück in das Gemisch aus Laub und Nadeln. „Scheiße, tut das weh!“ Fluchte ich.
Plötzlich fühlte ich eine kühle Nase an meiner Wange und ich drückte sie weg. Ich hatte ja nichts dagegen, wenn ein Hund mich ableckte, aber im Gesicht fand ich das wirklich zu viel. Jedoch hatte der Wolf überhaupt nicht vor, mich abzulecken, sondern schnüffelte meinen Körper nach der Quelle meines Schmerzes ab. Als er den Knöchel bemerkte, den ich hielt, sah er sich plötzlich nervös um.
„Schon gut, ich bin schon mit schlimmeren Blessuren nach Hause gekommen.“ Schwor ich. Vor allem, um mich selbst vom Schmerz abzulenken, begann ich einfach darauf los zu plappern. „Einmal bin ich ins Haus meines damaligen Freundes eingestiegen. Ich glaube, da war ich dreizehn oder so. Es war gegen halb sechs Uhr morgens, ich war stock besoffen und hatte eigentlich vor mich bei ihm zu entschuldigen, weil ich echt eine Bitch gewesen bin. Aber dann-...“
„Marissa! Marissa?“
Ich stockte in meiner Erzählung und der Wolf wich langsam in einer geduckten Haltung, von mir zurück. „Logan?“ Rief ich nun meinerseits, überaus verblüfft in den Wald hinein, denn ich hatte ehrlich nicht erwartet, seine Stimme allzu bald, oder gar dermaßen besorgt zu vernehmen.
„Marissa?“ Und da brach mein großer, starker Bruder auch bereits aus dem Unterholz, wobei ich zugeben musste, dass er überaus überrascht zu sein schien, dass hinter mir ein wild knurrender Wolf kauerte. „Marissa... Beweg dich jetzt ja nicht.“
Ich deutete hinter mich. „Mach dir keinen Kopf um Wölfchen. Der ist ganz lieb.“ Meinte ich abwinkend. „Er hat auf mich aufgepasst, nachdem ich von deiner blöden Mauer gestürzt bin. Die solltest du dringend restaurieren lassen.“ Maulte ich, mehr verärgert über meine dumme und mädchenhafte Verletzung, als über die Tatsache, dass ich überhaupt gestürzt war.
Sehr irritiert über meine Worte, fiel Logan quasi neben mich und betastete fürsorglich meinen Knöchel. „Okay, das sieht gebrochen aus. Ich bringe dich sofort zu unserer Ärztin.“
Ich hob irritiert die Brauen. „Deiner Ärztin? Ein Krankenhaus wird es auch tun.“
Logan sah sich noch einmal nach dem Wolf um. „Verpiss dich, ehe ich dir das Fell abziehe!“
„He! Sei nicht so gemein zu ihm... ihr. Oder was auch immer. Der Wolf war total lieb. UNd er hat mich auch bloß ein bisschen angeknabbert.“ Ich zeigte ihm stolz den leichten Abdruck der Wolfszähne, was meinen Bruder bloß noch wütender zu machen schien.
„Sehe ich dich noch einmal in ihrer Nähe, war es das mit deiner Erblinie! Habe ich mich klar ausgedrückt?“ Logan nahm mich auf die Arme, was höllisch in meinem Bein schmerzte, deshalb hörte ich lediglich, wie der Wolf verärgert knurrte und dann im raschelnden Unterholz verschwand.
„Moment, dein Handy.“ Er ging mit mir auf die Knie, so als wöge ich nicht mehr, als ein gewöhnlicher Lappen, dann angelte er nach etwas im Laub, ehe er wieder aufstand und hastig zum nahe geparten Auto lief. Der Motor lief noch, weshalb ich annahm, er musste meinen Schrei wohl auch bei geschlossenen Fenster gehört haben, doch dieses auf der Fahrerseite war herunter gelassen.
Bei der Kälte?
Was mich jedoch noch mehr wunderte, war die Tatsache, dass Logan mein Handy gefunden hatte. Das Handy, was ich gestern Nacht verloren hatte und jetzt hier... irgendwo im Wald wieder auftauchte? Direkt neben der Stelle, wo ich gestürzt war?
Also wenn das nicht an Magie grenzte, war ich dem Schicksal einiges schuldig. Erst ein wohl erzogener Wolf, der sich nicht gerne ärgern ließ und dann tauchte mein Handy auf mysteriöse Weise wieder auf? Dieser Abend wurde ja immer verrückter.

Jared´s Wutausbruch...

Es gab bloß selten etwas, was mich tatsächlich in Rage brachte. Rage in dem Sinne, dass ich mir willkürlich Küchengeschirr schnappte und es mit aller Kraft an eine leere Wand schmetterte, bis es entweder total verdellt, oder in kleine Splitter zerbrochen war.
Noch nie in meinem Leben war ich dermaßen gedemütigt worden. Ich hatte doch... Ja was hatte ich denn? Versucht guten Willen zu zeigen, indem ich dieses verdammte Handy auf der Kontrollroute von Logan lege, damit er es morgens fand?
Ja, ganz genau. Das war schon mal mein erster Fehler gewesen. Ich hatte mich, in guter Absicht, auf feindliches Gebiet gewagt.
„Ach, hier steckst du!“ Mein Vater kam gerade in den unbenutzten Teil des Anwesens, in den ich mich, während meiner Wutausbrüche stets zurückzog, um nichts Kostbares zu zerstören. Er ignorierte das Chaos zu meinen Füßen gekonnt und forderte mit einer Handbewegung meine ungeteilte Aufmerksamkeit. „Jared, mein Sohn. Du wirst es nicht glauben, was ich eben erfahren habe. Luisa erzähte mir, dass die Hallingwaygöre einen Halbtagsjob sucht.“
Ich strich mit meiner freien Hand, in welcher ich keine Tasse hielt, die ich eben hatte werfen wollen, mein Haar zurück, das mir während meines Tobsuchtsanfalls ins Gesicht gefallen war. „Wie bitte?“ Fragte ich ungläubig. Nahm mein Vater eigentlich auch das Geschehen um sich herum wahr, wenn es sich nicht um sein eigenes, überdimensionales Ego drehte? Vermutlich könnte ich eben mit Stakemesser auf kleine Kinder einstechen, er würde es einfach übergehen, da er seine Information schlichtweg interessanter fand.
„Hörst du mir denn nie zu?“ Fragte er genervt. „Ich sagte, die kleine Hallingway sucht einen Job für den Nachmittag. Du hast doch diesen winzigen Buchladen noch, nicht wahr?“
Da ich nicht verneinte, redete er einfach weiter. „Jedenfalls, ich wäre dir ausgesprochen zugetan, wenn du sie von einem deiner Angestellten dort arbeiten ließest. Dann hätte ich zumindest einen Grund, ihr ständig über den Weg zu laufen.“
Ich ließ die Tasse sinken und betrachtete meinen Vater, als sei er geisteskrank. „Vater, du gehst nicht einmal in die Nähe eines Buches! Wie willst du da überhaupt in einer Buchhandlung überleben?“ Geschweige denn, sie überhaupt erst einmal zu finden. Mein Vater hatte an diesem Platz bereits mehrfach versucht, etwas anderes hin bauen zu lassen, da er es bloß als >unscheinbare Buchhandlung< ansah. Sobald ich ihn jedoch erinnerte, dass sie mir gehörte und ich nicht vor hatte, diese von ihm entweihen zu lassen, tat er es einfach ab, bis ihm etwas Neues, unglaublich Wichtiges einfiel, was er unbedingt an dieser Stelle bauen lassen wollte, da er vergaß, dass ich ohnehin wieder nein sagen würde.
Manchmal sind Väter einfach unverbesserlich.
„Jared, ich weiß, dass du kleingeistig bist, aber deshalb musst du dich nicht dümmer stellen, als das du eigentlich bist.“ Fluchte er etwas verärgert, über meinen Seitenhieb. Ich stöhnte und wandte mich wieder der wertlosen Tasse in meiner Hand zu. Wie viel ärger würde ich wohl bekommen, wenn ich sie ihm über den Kopf ziehen würde?
„Tut mir leid, aber in meine Buchhandlung kommt ganz bestimmt kein Hallingway. Das Weib ist geisteskrank und würde mir ohnehin bloß die Kundschaft vertreiben. So jemanden brauche ich nicht in meinem Betrieb.“ Der übrigens bereits seit Jahren ausgesprochen gut lief!
„Jared, das ist eine einzigartige Chance für unsere Familie. Willst du das nicht sehen?“
Da fragte er auch noch? „Du willst eine geisteskranke Minderjährige verführen? Nein! Das sehe ich wirklich nicht ein, Vater. Selbst wenn sie ein Mensch wäre, wäre das niveaulos und einfach bloß abartig. Aber noch dazu, ist sie eine Alpha, Vater! Eine richtige und sie beherrschte ihre Macht bereits jetzt, auch wenn sie es noch nicht weiß!“
Mein Vater, welcher offensichtlich zu gekonnten Widerworten angesetzt hatte, stutzte überrascht. „Woher willst du das wissen?“
Ich deutete auf die Scherben, welche sich in der Küche verteilt hatten. „Mein Wutausbruch kam bestimmt nicht aus dem Nichts!“ Erinnerte ich ihn. „Ich hätte die einzigartige Chance gehabt, den Hallingway´s einen Schnitt zuzufügen, von dem sie sich niemals erholt hätten. Sie hatte ein verletztes Bein und lag schutzlos am Waldboden! Ich hatte sie fast... So knapp, verstehst du?“ Fragte ich und deutete mit dem Zeigefinger und Daumen einen winzigen Spalt an. „Es wäre so leicht gewesen, doch dann hat sie ihre Wolfsaugen an mir... gewirkt. Ich konnte... Ich konnte nichts mehr tun! Es war, als würde mich ihre pure Anwesenheit in die Knie sinken lassen und meinen Kopf dabei sprengen! Weißt du überhaupt, wie sich das anfühlt?“
Mein Vater wich schnaubend meinem Blick aus. Zweifellos hatte er ihn bereits hin und wieder selbst an sich erfahren müssen, so oft wie dieser sich mit Logan angelegt hatte. Mittlerweile kannte mein Vater seinen Stand, doch das hieß nicht, dass es ihm auch gefiel.
„Das ist ohnehin bloß noch ein Grund mehr für mich, sie für mich zu gewinnen.“ Entschied er stur. „Was denkst du, was für einen starken Nachkommen ich dadurch endlich bekommen würde. Ein Alpha, in unserer Nightengale-Familie. Uns könnte kaum etwas Besseres passieren.“
Ich war mittlerweile erwachsen genug, um mich von seinen Worten nicht mehr angegriffen zu fühlen. Zu meinem persönlichen Glück, geriet ich ohnehin mehr nach meiner Mutter, als nach ihm. Genauso wie Tatiana, meine zwei Jahre ältere Schwester. Nur Iris, sie war wiederum zwei Jahre jünger als ich und teilte sich mit Tatiana und mir, dieselbe Mutter, ging deutlicher nach Vater. Sie war nicht unbedingt überheblich, doch besaß sie zweifellos ein gewisses... Ego.
„Jared!“ Ein kalter Schauder kroch über meinen Rücken, während mein Name in einem tiefen Bariton, durch das gesamte Haus vibrierte. Es war eigentlich mehr ein Dröhnen, doch als ich vor Schreck die Tasse fallen ließ und sie klirrend am Boden zersplitterte, war mein Vater bereits in Kampfhaltung und bereit dem Eindringling die Kehle heraus zu reißen.
Etwas, was mein Vater jedoch ausschließlich in seiner Fantasie ausleben konnte.
Dann stand er plötzlich im Raum. Der siebenundzwanzig Jährige Mann, wirkte in dem schmalen Türrahmen, plötzlich dreimal so groß, seine Augen leuchteten golden und seit langen sah ich wieder einmal einen richtigen Wolf in den Augen des derzeitigen Hallingway Oberhauptes,
„Du!“ Knurrte mein Vater. Ich sah ihm an, dass wenn es ihm nicht zu viel Mühe machen würde sich zu entkleiden, würde er sich zweifellos augenblicklich verwandeln und auf Logan losstürmen. „Was hast du hier verloren? Ohne Einladung! Das ist mein Haus. Respektier das.“
Logan ignorierte meinen Vater getrost, da der alte Mann kaum noch eine Bedrohung für ihn darstellte. Mittlerweile hatte ich sogar das Gefühl, dass mein Vater lediglich noch formhalber, das Oberhaupt der Nightengale-Familie war. Andererseits gab es auch niemanden, der den Posten von uns Kindern freiwillig übernehmen wollen würde. Außer Iris eventuell.
„Ich sage dir das jetzt in aller Deutlichkeit. Du wirst weder in >ihre< Nähe kommen, >sie< nicht in unser Familiengeheimnis einweihen, nicht einmal >ihren< Namen wirst du je in den Mund nehmen, ist das verständlich? >Sie< ist meine kleine Schwester und eines, nicht mehr allzu fernen Tages, wirst du dich vor ihr auf den Rücken werfen und beten, dass >sie< dir nicht das Fell von der Haut zieht und deine Eingeweide einfach nur zum Spaß im Wald verstreut. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?“
Es war, als würde sich mir das Fell im Nacken aufstellen, obwohl ich versuchte, möglichst ruhig zu wirken und keine Aggression auszustrahlen. In eben jenem Moment, könnte dies tatsächlich lebensgefährlich für mich ausgehen.
Was jedoch aus meinem Mund kam, war weniger einsichtig. „Dann sag dieser Göre, sie soll sich von mir, meiner Bar und eigentlich von allem fernhalten, was den Namen Nightengale trägt!“
Mein Vater riss erschrocken die Augen auf, doch schritt nicht ein, als Logan mit einem Satz durch den Raum sprang, mich an der Kehle packte und kehlig anknurrte, während er meinen Hals quetschte. „Sag das noch mal, räudiger kleiner Pisser...“
„Jared!“ Es dauerte nur einen Wimpernschlag. Meine naive kleine Schwester, welche noch nie in ihrem Leben an einen Alpha geraten war, verwandelte sich innerhalb eines Augenblickes. Erst stand da noch dieses entzückende Mädchen, mit der süßen Spitznase, den klugen Augen und dem dunklen, langen, gewellten Haar... Als ihr Nachtkleid auch schon zerriss und eine nachtschwarze Wölfin in all ihrer Pracht dastand, wenngleich sie noch nicht vollkommen ausgewachsen war. Sie sprang auf Logan hin, völlig außer Kontrolle, mit Geifer der ihr aus dem weit aufgerissenen Maul spuckte, während sie aggressiv knurrte und bellte.
Logan hingegen, sah sie noch weniger, als meinen Vater als eine Art an Bedrohung an, schlug mit der linken, freien Hand nach ihr und katapluterierte den fünfzig Kilo schweren Wolf, lediglich mit einem gezielten Schwung über den Tresen, wo sie gegen den Küchenschrank flog und bewusstlos am Boden ankam.
„Violetta!“ Besorgt lief mein Vater zu seiner Jüngsten und hob ihren Wolfskopf sanft auf seinen Schoß.
Logan wandte sich wieder mir zu. Dass Tatiana und Sophia, beide ebenfalls in Wolfsgestalt durch den selben Eingang wie Violetta kamen, war ihm vollkommen egal. Sie waren alt genug, um zu wissen, dass es dumm wäre, ihn ebenfalls anzugreifen. Violetta war aufgrund ihrer Jugend entschuldigt. Zumindest dieses Mal...
„Ich glaube, ich habe mich da ein wenig verhört... Nightengale.“ Knurrte Logan. „>Du< hast weder etwas auf meinem Grund verloren, noch in der Nähe meiner Familie. Rieche ich dich auch bloß noch einmal irgendwo in unserer Nähe. Sei es auch bloß der Hauch davon... werde ich wieder kommen... Und dann werde ich nicht so gefasst sein. Hast du mich verstanden?“
Ich konnte nicht anders... Ich wusste, ich musste mich zusammenreißen, doch willkürlich begann ich zu knurren und versuchte mich gegen viel zu starken Griff zu erwähren. Ich war eben kein Redhill, kein starker, massiver Wolf, der nur zum Kämpfen geboren war. Meine Familie glänzte durch Eleganz und Schnelligkeit.
Ich knurrte und kratzt über den viel zu starken Unterarm, welcher mich auf den Zehenspitzen hielt, damit ich keine Kraft aus den Beinen heraus aufbauen konnte. „Fick dich!“ Knurrte ich, ehe mein Kopf auch bereits auf der Arbeitsplatte aufschlug und ich Sterne sah.
„Leg es nicht darauf an, Jared. Bisher musste ich es vielleicht nicht tun, doch um meine Familie zu beschützen, komme ich auch gerne wieder, um dich zu töten.“
Ich verstand bloß die Hälfte von dem, was Logan sagte, ehe er sich umdrehte und einfach wegging. Dafür dröhnte mein linkes Ohr zu sehr, welches zusammen mit meinem Jochbein besonders hart auf der, überraschend robusten Platte aufgekommen war.
Im nächsten Moment spürte ich auch bereits sanfte Nasen, die über die Platzwunde an meiner Schläfe leckten und die Hand von Violetta, nachdem sie sich zurückverwandelt hatte. Wie viel hatte sie denn gesehen? War meine kleine Schwester lange bewusstlos gewesen?
Keuchend führte ich ihre Hand an meine Lippen und küsste ihre Fingerspitzen sanft. „Danke, kleine Schwester.“
Sie lächelte wieder. Etwas, was unsere Familie lediglich selten tat...

Marissa wird sich ihrer Ziele bewusst...

Die Ärztin, zu welcher mich Logan brachte, nannte er direkt beim Vornamen. Sie hieß Lilly Silvermoore, besaß dunkelbraunes, strähniges Haar und gräuliche Augen, welche uns verzwickt gegen das Licht der Außenlaterne betrachtete.

Schlaftrunken winkte sie uns hinein, doch wirkte bei Betrachtung meiner Verletzung weit weniger hysterisch, als mein überfürsorglicher Bruder.
Nach einem kurzen, vorsichtigen Schall, entschied die Ärztin, dass es wohl klüger wäre, das Bein zu röntgen, was sie auch tat. Danach bekam ich eine Schiene, um das Bein zu stabilisieren und drei Tage Bettruhe verordnet. Dass mich das ankotzte, musste ich wohl kaum betonen, richtig?
Wieder auf der Rückfahrt zur Villa, schien sich Logan endlich wieder beruhigt zu haben, was vor allem der einfühlsamen Stimme von Lilly Silvermoore zu verdanken war, denn er ließ keine Sekunde aus, um auf mir herum zu hacken, wie gedankenlos und unvorsichtig ich sei.
Alleine dass ich mich mit angeknackstem Knöchel einem verdammten, wilden Wolf genähert hatte, war dümmer, als man erlaubend durfte. Seine Worte, nicht meine.
Ich verstand ja seine Sorge, ganz ehrlich. Aber he, was dich nicht umbringt, macht dich bekanntlich bloß stärker. So war das ebenfalls schon immer bei mir gewesen. Am Limit leben. Das Leben auskosten und die Feste Feiern, wie sie fielen. So sollte, meiner Meinung nach, jeder in meinem Alter leben. Punkt.
Natürlich sah das Logan nicht so, das erläuterte er lang und ausgiebig, bis mich endlich Vanja´s warmherzige Umarmung von meinem bösen Bruder rettete. „Lass sie jetzt in Ruhe, Schatz! Das kann doch bis morgen warten. Komm, ich helfe dir ins Bett, Süße.“
Fürsorglich streichelte sie über meinen Kopf, wobei sie auch noch ein paar Nadeln daraus hervor zog, die ich scheinbar am Hinterkopf übersehen hatte. Blöder gemischter Wald!
Auf der Stiege stützte sie mich und brachte mir sogar hastig meine Schlafkleidung, auch wenn sie daraufhin entschied, mir morgen ein ganzes Arsenal an passenden Schlafanzügen, so wie Morgenmäntel kaufen zu fahren.
Als ich widersprach, winkte sie lediglich ab und meinte, sie müsse ohnehin für Adam etwas besorgen, daher mache dies überhaupt keine Umstände. Obwohl das ja eigentlich nicht mein Problem war. Ich schlief nun mal lieber entweder in Unterwäsche, oder kurzen Sachen. Wenn sie das nicht einsehen wollte, dann bitteschön. Mein Geld war es ja nicht, was sie dabei verschwendete.
Oder war es das doch? Immerhin bin ich eine Hallingway... Ach, wen interessiert das schon? Ich hatte bis heute immer gut für mich selbst gesorgt und würde dies auch weiterhin tun.
„So, jetzt leg dich hin und ruh dich gut aus. Morgen früh bringe ich dir das Frühstück.“ Das klang mehr nach einer Drohung, als Fürsorglichkeit, zumindest ihr Unterton ließ es so klingen, ehe Vanja das Licht aus machte und die Türe schloss.
Tief seufzend, rutschte ich auf dem Bett zurück, bis ich aufrecht saß und ich mich einigermaßen entspannen konnte. Seltsam. Selbst nach alldem was mir heute widerfahren war, der lange Weg durch das Museum, der Barabend mit Sam, dem betrunkenen Typen... Nein, ich war betrunken gewesen, er bloß bedürftig. Aber ekelig war er trotzdem gewesen, der Himmel weiß warum. Zu allem Überfluss bin ich auch noch zu Fuß bis zur Villa gelaufen, bloß um kurz vor meinem Ziel, von einer Mauer zu fallen und mich Auge um Auge mit einem wilden Wolf widerzufinden. Trotzdem, jetzt da ich das alles sachlicher betrachtete und mein Adrenalin lange abgeklungen war, konnte ich mit Sicherheit sagen, dass das, was ich gesehen hatte, bestimmt kein Wolf gewesen sein konnte. Immerhin hätte ein echter, wilder Wolf niemals dermaßen zahm auf einen Menschen reagiert. Auf potenzielle Beute, wohlgemerkt!
Zudem... Ich angelte nach meinem leergelaufenen Handy auf dem Nachttisch. Wo war das Handy überhaupt auf einmal her gekommen? Ich war mir absolut sicher gewesen, dass ich es Freitag Nacht verloren hatte. Zu hundert Prozent sogar! Also wie ist es in diesen Wald gekommen? Nur wenige Meter entfernt von der Stelle, an welcher ich gestürzt war?
Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr los, selbst als ich am Morgen, geweckt von Vanja´s übermotivierter Stimme, geweckt wurde. Scheinbar bin ich mit dem Handy in der Hand eingeschlafen, mein Nacken schmerzte höllisch von der ungewohnten Position und ich gab einen unwilligen Ton von mir, als Vanja flötete, dass es Zeit sei, aufzuwachen.
So ein Blödsinn! Vor zwei würde ich nicht eine Zehe aus dem Bett strecken!
„Na komm schon. Ich habe auch nicht den ganzen Tag zeit und du willst dich sicher noch waschen, ehe Logan hier hinein platz. Er kennt keine Privatsphäre, weißt du.“
Ich grummelte unter dem Polster, den ich mir über das Gesicht geschlagen hatte, kaum dass Vanja die Vorhänge geöffnet hatte.
„Was sagst du?“ Fragte sie irritiert von meinem Gemurmel.
„Ich sagte, das schaffe ich schon alleine. Lass mich schlafen.“ Damit beendete ich, aus meiner Sicht, das Gespräch und freute mich bereits darauf, wieder ins Land der Träume zu versinken. Dieses Mal, in einer wesentlich bequemeren Position. Bedauerlicherweise war Vanja hartnäckiger.
„Rissa, ich bin mit deinem Bruder verheiratet. Ich weiß, wie man einen Hallingway früh morgens aus dem Bett bekommt. Hopp, hopp.“ Mahnte sie mich, was ich absolut nicht lustig fand.
„Geh sterben!“ Maulte ich schlaftrunken. Was hatte diese Frau bloß gegen herrlichen, erholsamen Schlaf einzuwenden? Ich sollte doch gesund werden, richtig? Das ging bekanntlich am besten, indem man schlief.
„Wenn du Speck willst, dann solltest du in einer halben Stunde mit duschen fertig sein.“
Speck? Die Frau benutzt unfaire Methoden!
„Heute koche zwar ich, damit du eine Chance hast dich emotional vor deinem Bruder zu wappnen, aber wenn es hier erstmal nach Frühstück riecht, habe ich genügend mit Adam zu tun und kann dir nicht mehr beim Umziehen und gehen helfen.“
„Ich brauche keine Hilfe.“ Murrte ich halblaut. Die benötigte ich ehrlich nicht. Himmel, laut meinem gefälschten Ausweis, welcher übrigens dank Logan irgendwo auf der Straße herum lag, war ich immerhin bereits neunzehn Jahre alt! Und bekanntlich, war man stets bloß so alt, wie man sich fühlte.
„Na gut, dann beweis es mir. Wenn du es bis zum Bad schaffst, lasse ich dich in Ruhe.“
Schwor Vanja.
Ächzend erhob ich mich von meinem Bett, wohl bedacht darauf, mein rechtes Bein nicht zu belasten. Etwas steif kam ich zwar auf die Beine, doch sobald ich einmal auf dem linken Bein standfest war, winkte ich Vanja mit meinen beiden freien Händen. Na Muttilein! Was sagst du dazu?
Vanja verschränkte herausfordernd die Arme vor dem Oberkörper. „Und jetzt bis zum Bad.“
Ihr die Stirn bietend, ließ ich mich wieder auf das Bett sinken, rutschte mit erhobenem rechten FUß auf die andere Seite hinüber, dann hüpfte ich einbeinig auf die geschlossene Badezimmertüre zu. So weit so gut. Ich konnte zwar nicht behaupten, dass ich schmerzfrei war, doch wenn ich meine Zähne ganz, ganz fest aufeinanderbiss und nur ganz, ganz vorsichtig hoppelte, tat es bloß... Nun ja, bedingt weh. So mehr oder weniger.
„Na bitte, geht doch.“ Ließ Vanja da plötzlich verlauten. „Nun hopp, hopp. Den Rest wirst du wohl doch alleine schaffen.“ Damit verließ sie das Zimmer, doch ließ natürlich meine Türe sperrangelweit offen.
Halt... Hatte mich das Mütterchen eben ausgetrickst? Wenn ich genauer darüber nachdachte, ja hatte sie. Vanja hatte mich ausgetrickst! Pah! Das würde ich mir rot am Kalender markieren müssen.
Da ich hier nun aber schon stand und der Schmerz in meinem Bein meine Blase dazu bewegt hatte sich eindringlich zu melden, ging ich nun doch Vanja´s gut gemeinten Rat nach, zog mich ins Badezimmer und wusch mich, so gut es eben ging.
Ich ließ das rechte Bein aus der Wanne hängen, da die Silvermoore Ärztin gesagt hatte, ich dürfte die Schiene nicht nass werden lassen. Dann frisierte ich mich, föhnte gleichzeitig mein Haar und schlüpfte anschließend in bequeme Bettkleidung.
Moment, hatte Vanja gestern nicht irgendetwas von wegen Frühstück im Bett versprochen?
Ich ließ mich erleichtert auf das Bett sinken und massierte meinen überbeanspruchten, armen linken Fuß, als das Frühstück auch bereits in mein Zimmer geeilt kam. Leider aber trug es nicht Vanja´s liebes Gesicht, sondern das eines mehr als grimmigen Familienoberhauptes.
Ich stöhnte gleich noch einmal, da ich schrecklich genervt war.
„Du brauchst mich gar nicht erst so anzusehen.“ Schimpfte Logan. „Unser Gespräch von gestern ist noch lange nicht vorbei.“
„Du meinst das, was du alleine geführt hast?“
„Immerhin hättest du tot sein können, Mädchen! Denkst du auch nur einmal über die Konsequenzen deines Handelns nach?“
„Nur wenn für mich etwas dabei heraus springt.“ Murmelte ich, einmal mehr ungehört, wobei ich das Tablett mit Essen bloß zu gern entgegennahm.
„Nicht bloß, dass du Sam hast einfach alleine stehen lassen und er sich schreckliche Sorgen um dich gemacht hat. Nein du wanderst allein, mitten in der Nacht, nach Hause. Du bist ein kleines Mädchen, Marissa! Was wäre, wenn dir jemand Zwielichtiges begegnet wäre?“
>Kleines Mädchen<! So schnell war mir der Appetit noch nie vergangen. Selbst vergangene Nacht nachdem ich einen Schwanz im Mund gehabt hatte, von einem völlig Fremden, wäre ich noch fähig gewesen etwas zu essen. Aber als kleines Mädchen bezeichnet zu werden, war etwas, dass mich zutiefst kränkte.
Logan bemerkte es jedoch überhaupt nicht, sondern plapperte munter weiter. „Ich weiß, unsere Stadt ist bekanntlich ausgesprochen sicher, doch was wäre, wenn dich ein vorbei fahrender Mörder entdeckt hätte? Oder ein Schänder? Du wärst dort draußen, vollkommen ungehört, leichte Beute gewesen.“
„Keine Sorge, die hätten mich ohnehin nach fünf Minuten wieder dort abgesetzt, wo sie mich gefunden haben.“ Maulte ich.
„Mach dich nicht über so ein ernstes Thema lustig, Marissa! Du magst vielleicht mutig sein und leichtsinnig. Aber das beschützt dich kein bisschen, sobald du an jemanden gerätst, der stärker ist, als du.“
„Das sah das süße Hündchen von letzter Nacht aber etwas anders. Der hätte mich genauso gut anfallen können!“
Logan warf die Hände in die Luft. „Siehst du? Genau das ist es ja, was ich meine! Welcher normale Mensch geht schon auf einen wilden Wolf zu und fordert sein Glück heraus? So etwas Tun nur wahnsinnige!“
Ich gab ein schelmisches Lächeln von mir. „Ach, was du nicht sagst. Hast du auch endlich erkannt, dass ich nicht normal bin? Dann halt dich besser gut fest, Brüderchen. Ich werde nämlich erst warm.“
Verbissen kniff Logan die Lippen aufeinander und schien schrecklich mit sich zu ringen. Sehr zu meiner persönlichen Erheiterung. „Mariss, ich verstehe natürlich dass der Verlust deiner Mutter, so wie dieser Umzug... schwer für dich sein muss. Aber du könntest es uns beiden einfacher machen, in dem du einfach mitspielst.“
Ich lachte laut los. Er klang wie mein Direktor an meiner zweiten Schule, die ich besucht hatte, nachdem ich von der ersten geflogen war. „Mach nur so weiter, Logan. Dein diktatisches Verhalten, spornt mich lediglich zu waghalsigeren Dingen an.“
Logan packte mich so plötzlich am Kinn, dass ich überrascht japste. Wie hatte er sich denn bitte dermaßen schnell bewegen können? „Hör mir zu, Rissa. Nicht nur du leidest, verstanden? Ich wahre hier einen ausgesprochen wackeligen Frieden, das kannst du dir noch überhaupt nicht ausmalen. UNd ich weiß, ja dein Verhalten ist vollkommen normal... Aber es macht mich wahnsinnig. Behalte dich unter KOntrolle, sonst werde ich das für dich übernehmen. Verstanden?“
Ich fühlte erneut einen Druck auf mir. Etwas... ich konnte es kaum beschreiben, lag in seinem Blick, was mich klein fühlen ließ. Es drückte auf meine Gefühle, meine Aufmümpfigkeit, meinen Verstand... Ich wollte Logan zeigen, wohin er sich dieses verdammte Verbot und all seine Drohungen stecken konnte. Ich bin kein verdammtes, kleines Kind mehr, das würde ich Logan, genauso wie diesen verdammten Jared spüren lassen. Oh ja! Sie würden es noch bereuen, mich so behandelt zu haben.
Schnaubend schlug ich seine Hand weg. „Träum weiter. Jetzt geh weg. Ich will mich ausruhen.“
Das Tablett stellte ich unberührt am Boden ab, dann rutschte ich rückwärts zurück auf das Bett und machte es mir gemütlich.
Logan stand noch einen Moment, mitten in meinem Zimmer, Bedachte mich mit einem Blick, den ich kaum deuten konnte. Wollte er mich mit ihnen erdolchen? Oder ein Geheimnis aus mir heraus kitzeln? Ich wusste es nicht so recht, doch was mir klar geworden war, ist, dass ich beweisen musste, dass ich eine erwachsene, unabhängige junge Frau war. Anders würde Logan mich niemals respektieren.

Vanja, die Mutter zwischen den Fronten...

„Ich traue diesem Frieden nicht, Schatz. Du hättest ihren Blick sehen müssen. Sie weicht noch nicht einmal mehr vor mir zurück. Das ist nicht normal. Nicht normal...“ Murmelte mein geliebter Mann, während er im Wohnzimmer auf und ab ging.

Ich hatte bereits versucht, seine Schultern zu massieren, doch Logan war so aufgeregt, dass er sich einfach abreagieren musste. Da, die von mir bevorzugte Methode, im Moment nicht zur Verfügung stand, seufzte ich tief und stellte mich in seine Wanderroute. „Liebling. Ich verstehe dich, aber wie wäre es, mit einem kleinen Lauf? Ich glaube, das täte dir jetzt gut. Geh ein paar Stunden jagen, lass deinen Kopf leer werden und dann betrachte das Problem >Marissa< mit ganz anderen Augen. Hm?“
Logan schien einen Moment darüber nachzudenken, doch schüttelte dann den Kopf. „Nein, ich kann jetzt nicht weg, mein Schatz.“ Mehr nachdrücklich, als liebevoll, drückte er mir einen Kuss auf die Lippen. „Ich werde versuchen, Vater zu kontaktieren. Vielleicht hat er ja eine Idee, immerhin ist er genauso verrückt wie Marissa. Gib mir eine Stunde, dann gehe ich mit Adam in der Stadt spazieren, gut?“
Ich nickte einfach, da er mich ohnehin nicht wirklich um mein Einverständnis gebeten hatte, sondern einfach nach hinten in sein Büro eilte. Verblüfft sah ich ihm hinterher, unfähig einen Ton hervor zu bekommen, denn ich wusste, sobald sich Logan einmal in seinem Büro eingesperrt hatte, würde er überflutet werden von Mails und Anrufen seiner Arbeiter und Familienmitgliedern.
Kopfschüttelnd wandte ich mich Adam zu. Er hatte mich, seit er aufgestanden war, bereits dreimal gefragt, ob wir hoch gehen können zu Rissa, weil sie >Aua< hat und ihr sicher langweilig im Bett ist. Nachdem Logan dermaßen gereizt wieder hinunter gestürzt war, ließ ich Rissa dann doch lieber den Abstand, den sie zweifellos brauchte. Hallingway´s waren eben störrisch und definitiv nicht gut darin, Dinge zu teilen. Wenn etwas nicht so lief, wie sie es sich vorstellten, dann wurde es laufend gemacht. Egal, was sie dafür benötigten. Vorschlaghammer, Gerichtsvollzüge oder gar mal ein Schlag auf den Hinterkopf. Hallingway teilten liebend gerne aus.
Dafür biss man bei ihnen aber auch zusehends auf Granit und hatte das schreckliche Los, sich fügen zu müssen.
Oder, man war wie ich, und baute sich seinen eigenen Weg, um die nervigen Mauern darum herum.
„Schätzchen, du wolltest doch zu Tante Rissa, oder?“
Mit strahlenden Augen streckte Adam seine kleinen Arme nach mir aus. Ich nahm ihn hoch, packte noch ein paar vereinzelte Spielsachen, dann trug ich alles hoch in Marissa´s Zimmer. Natürlich klopfte ich, ehe ich eintrat, obwohl die Türe weit offen stand.
„Rissa? Schläfst du?“ Fragte ich halblaut.
„Tante Rissa!“ Zappelnd machte sich Adam von mir los und stürmte auf das Bett zu, wo sich ein strubbeliger, noch feuchter Haarschopf aus den Laken wühlte.
„Hä?“ Fragte Marissa irritiert, ehe ihr Adam quasi hochkletterte. Sie nahm ihn liebevoll lächelnd in den Arm und drückte ihn kurz.
„Wieder alles gut?“ Fragte er nuschelnd.
„Bei mir? Ja, es ist wieder alles gut.“ Versprach Rissa sanft. „Schau, ich habe eine coole Schiene bekommen und bin jetzt zum Teil ein Roboter.“ Ich seufzte erleichtert. Rissa war ganz die Alte, Adam gegenüber. „Ich. Bin. Ein. Ro-bo-ter.“ Witzelte sie und bewegte sich dazu roboterhaft, was Adam quietschend zum Lachen brachte und ihn animierte, sie nachzuahmen.
„Es tut mir schrecklich leid, dass ich dich geweckt habe.“ Entschuldigte ich mich aufrichtig. „Aber Adam hat einfach unten keine Ruhe gegeben. Er wollte unbedingt wissen, dass es dir gut geht.“
Sie rubbelte ihm durchs, normalerweise perfekt sitzende Haar. „Das versteh ich doch.“ Rissa schob die Decke nun vollends von sich und bereitete Adam ein bisschen platz. „Ich würde mir genauso sorgen um dich machen, wenn du ein Aua hast.“ Schwor sie, an Adam gewandt, welcher überglücklich grinste.
Die Blicke, welche sich die beiden zuwarfen, ließ mein Herz förmlich davon schmelzen. Rissa verhielt sich, zumindest Adam gegenüber, wie eine vorbildhafte große Schwester. Etwas, was ich mir sehnlichst für Adam wünschte. Natürlich kein größeres Geschwisterchen, doch ich bin selbst, als Einzelkind aufgewachsen. Genauso wie Logan, der stets Schwierigkeiten mit seinem Vater gehabt hatte und hintenanstand.
So etwas wollte ich für mein Kind niemals. Selbst wenn Logan und mir, der Himmel bewahre, jemals etwas geschehen würde, wollte ich, dass er jemanden hatte, ein kleineres Geschwisterchen, was ihm den Anreiz gab, stets weiter zu machen. Etwas dass er beschützen konnte, hüten und als einen besten Freund erachtete.
Aber ich denke, das wünscht sich ohnehin jede Mutter für ihre Kinder. „Bist du mir sehr böse, wenn ich ihn dir eine halbe Stunde hier lasse? Ich muss noch ein wenig im Büro erledigen, was gestern liegen geblieben ist und-...“
„Nein, kein Problem, geh ruhig Vanja. Wenn Adam verspricht ganz brav zu sein und auf mich zu hören.“ Lockte sie ihren Neffen, der sofort den kleinen Fingerschwur bei ihr ablegte.
„Wenn ich wieder komme, lese ich dir deine gute Nacht Geschichte vor, mein Zwerg.“
„Geh Mama. Ich mag spielen!“ Wurde ich daraufhin prompt aus dem Zimmer geworfen.
Lachend bedankte ich mich bei Marissa und eilte hinunter ins Erdgeschoss. Ich war gerade einmal um die Ecke, an unserem Gang angekommen, wo Logan und ich, jeweils ein eigenes Büro nebeneinander bezogen hatten. Zu meinem Bedauern hörte ich ihn lautstark, bis nach draußen schimpfen und das, obwohl die Türe verschlossen war.
Sanft klopfte ich an und schob mich, so lautlos, wie es mir möglich war in seinen privaten Bereich.
Für einen Moment bedeckte Logan das schnurlose Bürotelefon mit einer Hand und schob den Hörer etwas von seinem Ohr weg, so als ob er mich dadurch besser hören könnte. Selbstverständlich würde Logan meine Stimme sogar über eine ganze Gruppe von feiernden Leuten hinaus ausmachen können.
„Telefonier erst fertig.“ Winkte ich leise ab. Dankbar nickte er mir zu, dann klopfte er auf seinen Schoß, ehe er sich wieder seinem Gesprächspartner widmete.
„Fünf Monate sind zu lang. Du musst >jetzt< zurückkommen. Deine Tochter...“ Logan wurde scheinbar unterbrochen, oder seinem Vater war einmal mehr, etwas anderes wichtiger.
„Mal, hör mir gefälligst zu, wenn ich mit dir spreche! Mal... Mal?“ Irritiert betrachtete Logan den Hörer, ehe er ihn schnaubend auf das dazugehörige Modul schmetterte und damit den Hörer brach. Seufzend beugte ich mich hinab zum untersten Fach, von wo ich einen neuen Hörer heraus nahm, um diesen, wesentlich vorsichtiger, auf das Modul zu platzieren.
Als das erledigt war, ließ ich mich auf seinen Schoß gleiten und streichelte zärtlich seine, bereits wieder bärtige Wange. Dieser dumme Mann machte sich einfach immer viel zu viele Gedanken. „Mal kommt also nicht?“
„Nein, er lässt mich wieder einmal alleine auf seinem Chaos sitzen.“ Murrte Logan, doch führte meine ausgestreckte Hand an seine Lippen, um diese zärtlich zu küssen. „Tut mir leid, ich wollte nicht so laut werden. Mal ist anscheinend irgendwo in China auf einer Afterparty bei... Studenten oder so etwas. Ach, was weiß ich denn.“ Verwirrt blickte Logan auf, als ob er nach etwas suchen würde. Oder viel mehr, jemanden. „Wo ist Adam?“
„Rissa passt auf ihn auf. Ich habe ihr gesagt, dass ich in einer halben Stunde wieder komme, um ihn nieder zu legen. Ich dachte mir, dass du emotionale Unterstützung gebrauchen könntest.“
Ein bezauberndes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Mannes meiner Träume aus. Dass er mit diesem umwerfenden Lächeln sogar heute noch reihenweise Frauenherzen verzaubern konnte, musste ich wohl kaum betonen. Selbst meines schmolz nach langen sieben Jahren an seiner Seite, noch jedes Mal davon, da ich wusste, dass dieses aufrichtige Lächeln, ausschließlich mir gehörte. Auch diese Liebe, welche ich zweifellos in seinen Augen erkannte, war etwas, dass ausschließlich mir gehörte. Das machte ich selbst heute noch jedem einzelnen weiblichen Wesen klar, welches sich die Frechheit heraus nahm, meinem Logan schöne Augen zu machen.
„Du bist die beste Gefährtin auf der gesamten Welt.“ Liebevoll küsste er meine Nasenspitze. „Ich wüsste nicht, wie ich jemals ohne dich überlebt hätte.“ Den nächsten Kuss erhielt ich auf den Mundwinkel. „Oder gar, wie ich ohne dich jemals weiterleben sollte. So sehr liebe ich dich.“
Ich schmolz in seinen Armen dahin. Wie sicher und geborgen ich mich in seinen Armen fühlte, war kaum mit Worten zu beschreiben. Selbst seine kleinsten Berührungen hatten von Anfang an eine Kaskade von Emotionen in mir losgetreten. Einerseits war mir sein Ruf wohlauf bewusst gewesen, andererseits hatte mir sein aufrichtiges Werben sehr geschmeichelt. Gleichzeitig jedoch, hatten mich eine lange Zeit Stolz und Vorurteile daran gehindert, diesen besonderen Gefühlen nachzugehen. Immerhin war er ein berüchtigter Weiberheld und verwöhnter, eigensinniger Hallingway. So eine egoistische Art an Person hatte ich mir niemals in meinem Leben gewünscht.
Nun konnte ich ihn mir nicht mehr wegdenken.
Keuchend löste ich mich von Logans verlockenden Lippen und rieb meine Stirn an seiner. „Ich tue alles für dich.“ Schwor ich hoch und heilig. „Das weißt du doch, oder?“
Er nickte und gab ein sanftes Knurren von sich. „Was denn genau? So im Allgemeinen frage ich.“ Als seine Zähne neckisch über meine empfindliche Haut am Hals kratzten, hätte ich beinahe vergessen, dass ich doch als emotionale Stütze hierher gekommen war. Nicht für das, an was er schon wieder dachte.
„Logan! Ich habe nur eine halbe Stunde.“ Ich kicherte, da sich seine Hände bereits auf Wanderschaften begeben hatten.
„Das reicht auf jeden Fall, um dich zu verwöhnen, bis du deinen eigenen Namen vergessen hast.“
Liebevoll, aber mit Nachdruck, schob ich seine Hände von mir. „Nein! Logan, nicht jetzt. Lass uns lieber über Marissa sprechen. Du hast mir noch überhaupt nicht ausführlich erzählt, wie du sie im Wald gefunden hast.“ Tadelte ich ihn stattdessen, was Logan sichtlich die Lust vertrieb.
Er stöhnte genervt. „Ich weiß ehrlich nicht, was ich beobachtet habe. Marissa lag am Boden. Sie war voller vertrockneter Blätter und Nadeln. Jared war... angespannt und hat sie... irgendwie beschnuppert, oder so.“
„Oder so?“ Fragte ich. So kannte ich meinen Gefährten überhaupt nicht. „Was bedeutet das?“
„Dass ich mir nicht sicher bin, was das mit Marissa schon wieder ist. Irgendetwas hat sie scheinbar mit dem Nightengale gemacht, denn als ich gestern Abend zu ihnen gefahren bin, hat er sich versucht, gegen mich aufzulehnen. Und du kennst Jared. Er ist dominant, aber nicht hitzköpfig, wie seine jüngeren Schwestern. So habe ich ihn noch nie erlebt.“
Ich kicherte. „Ach, Schatz. Du weißt doch, ihr Hallingway, ihr habt so eine Art an euch... Die kann einem ganz schön den Kopf verdrehen.“ Zog ich ihn auf, wohlwissend, dass Jared niemals etwas mit einem Hallingway anfangen würde, außer er legte es darauf an, aus Lykwood verbannt zu werden. Dem einzigen Ort auf der Welt, wo Wesen wie Logan noch ihrem selbst nachgehen können und gleichzeitig sich ihre Menschlichkeit bewahren.
Logan begann fürchterlich zornig zu knurren, doch mich schüchterte er damit bereits seit Jahren nicht mehr ein. „Mit so etwas spasst man wirklich nicht, Vanja.“
Ich küsste sanft seine Wange. „Du hast natürlich recht. Aber was könnte es denn sonst sein?“
Nachdenklich begann er auf seinem Stuhl vor und zurück zu schaukeln. Seinen Gleichgewichtssinn, da ich ja auch noch mit ihm auf dem Bürostuhl saß, beneidete ich dabei besonders. „Ich weiß nicht. Wäre sie nicht erst siebzehn, würde ich sagen, dass sie sich jeden Moment verwandeln könnte. Vielleicht noch nicht in den nächsten Tagen, aber...“
„Gab es denn bereits Alpha, die sich zu früh verwandelt haben?“
Logan schnaufte. „Darüber würde man sprechen. Außerdem weiß ich nicht, was es mit ihrer menschlichen Psyche anstellen würde. Vielleicht war es doch ein Fehler, sie direkt hier in die Zentrale zu bringen. Wenn sie etwas Abstand zu mir hätte... Aber das kann ich auch nicht machen. Sie ist noch ein kleines Kind.“
„Ein kleines Kind, das sich beinahe zwei Jahre lang selbst erhalten hat, Logan.“ Erinnerte ich ihn. „Rissa war für eine lange Zeit, eine einsame Wölfin, auf der ständigen Suche nach jemanden, der versteht, wie sie ist. Das musst du auch bedenken. Weder ihre Mutter, noch irgendein Mensch, den sie bisher kennen gelernt hat, konnte ihr jemals das geben, was sie gebraucht hat, richtig?“
„Ein Rudel.“ Entgegnete er verstehend.
„Sie hat sich doch recht wohl gefühlt, in der Küche mit den Redhills und Silvermoore, erinnerst du dich? Vielleicht ist Sam... einfach zu wenig und Adam zu jung.“
Logan wippte noch eine ganze Weile vor und zurück, während er angestrengt über meine Worte nachdachte. Auch wenn ich nicht wirklich die Gefühle meines Mannes wahrnehmen konnte, oder mich in ihn, so wie sein wildes Selbst hinein versetzen konnte, so besaß ich dennoch bereits von Anfang an, eine gewisse Intuition. Das machte mich auch so perfekt, als Gefährtin des Alphas. Es war diese Intuition und mein Einfühlungsvermögen, was mir den Respekt seiner ganzen Familie verschafft hatte, und das, obwohl ich doch bloß ein schlichter Mensch war. Sie würden auf mein Wort genauso hören, wie sie es bei dem seinen taten. Und das nicht, weil sie befürchteten, ich könnte sie unterwerfen. Sie taten es aus Liebe zu ihrer Familie. Aus Liebe zu mir.

 

- - - - -

 

Es tat mir zwar schrecklich leid, doch wegen Logan vergaß ich vollkommen die Zeit. Seine Zärtlichkeiten und Gedankengänge, hatten mich so sehr gebannt, dass ich Marissa nun, statt einer halben Stunde, gar über eine hinweg alleine mit Adam gelassen hatte.

Natürlich glaubte ich nicht, dass Marissa großartig Schwierigkeiten gehabt hatte, doch befürchtete dass sie sauer sein könnte, hier den Babysitter zu spielen, obwohl sie doch ins Bett verbannt worden war, mit einer Schiene am Bein.
Meine gesamten Befürchtungen zerstreuten sich jedoch in dem Moment, als ich an die Zimmertüre klopfen wollte, mit einer aufrichtigen Entschuldigung auf den Lippen.
Keuchend betrachtete ich das friedliche Bild vor mir. Marissa lag seitlich, ihr Bein auf einem Polster drapiert. Auf ihrem ausgestreckten Arm lag Adam, zusammen gerollt zu einer winzigen Kugel und sein Körper bewegte sich ruhig. In ihrer Hand schien sie ein Buch gehalten zu haben, denn nun lag es, zugeschlagen, neben Adam und auch Marissa´s Körper hob sich in sanften Zügen.
Ohne zu zögern, zog ich mein Handy aus der Hosentasche und machte hastig ein Foto von den beiden. Natürlich schickte ich es lediglich Logan, ehe ich auf leisen Sohlen näher an die beiden schlafenden heran trat, um die Vorhänge zu, zu ziehen.
Danach bedeckte ich die beiden noch, auch wenn ich mir bewusst war, dass hier zwei Hallingway´s lagen, die niemals frieren würden. Nicht so bald zumindest und in der Villa war es, extra für mich, stets wohlig warm eingeheizt.
Sanft drückte ich beiden einen Kuss auf den Kopf, dann drehte ich mich um und fand mich in den wunderbaren, dunklen Augen von Logan wieder. Ich lächelte liebevoll zu ihm auf, konnte kaum beschreiben, wie mir das Herz überging, während ich die beiden da so liegen sah.
Genau so etwas wollte ich. So etwas wünschte ich mir für Adam´s Zukunft. Jemanden an seiner Seite zu haben, auf den er zählen konnte, der ihn genauso beschützte, wie er sein Geschwisterchen beschützen würde. Er sollte gütig und liebevoll sein. Stark und respektabel.
Logan schlang beide Arme um meinen Körper und küsste meinen Scheitel so sanft, dass mir bewusst wurde, dass er genau dasselbe dachte. Logan liebte seine Schwester, da war es auch egal, dass sie ihn zur Weißglut brachte.
Denn in Marissa sah er etwas, was ihn sein Vater niemals hatte fühlen lassen. Liebe und Sicherheit. Marissa schien so viel davon zu geben zu haben und doch... wehrte sie sich gegen ihre Natur.
Na wenn das mal kein Hallingway-Alpha war, wusste ich auch nicht weiter.

Jared, der von nichts eine Ahnung hat...

Drei Tage waren vergangen. Drei Tage, in welchen ich einen seltsamen Frieden genossen hatte. Mein Vater hatte nicht ein einziges Wort mit mir gewechselt und bedachte mich durchgehend mit nichts weiter, als finsteren, forschenden Blicken. Ich hatte das Gefühl, dass dieser auf etwas passte. Etwas von mir erwartete, um mich in Grund und Boden zu stampfen, wobei mir nicht eingehen wollte, worauf es dieser alte Depp abgesehen haben kann.
Violetta, meine fünfzehnjährige Schwester war wiederum das genaue Gegenteil von Vater. Seit sie von Logan gegen die Küchenzeile geworfen worden war, schien sie unter Dauerspannung zu stehen und fragte mich jedes Mal, sobald wir uns sahen, ob sie meine Wunde heilen sollte. Es würde reichen, wenn sie einmal über den bereits verheilenden Schorf an meiner Schläfe lecken würde, dann wäre es augenblicklich am Abheilen und in wenigen Minuten nicht mehr zu sehen. Doch ich zu meinem Teil, wollte diese verdammte Verletzung mit Würde tragen. Jedem, der es hören wollte, erzählte ich, von wem ich die Wunde bekommen hatte. Dass sie bloß entstanden war, da sich unser Alpha nicht im Griff hatte, genauso wenig, wie seine jüngere und blondere Ausführung. Die Hallingway´s sollten ruhig als labil und untragbar abgestempelt werden. Das war mir vollkommen gleich, sie verdienten es sogar!
Logan durfte nicht, in meinem eigenen Heim, dermaßen mit mir umspringen und mir Vorschriften machen. Nicht als Mensch! Seine Wälder waren für alle Familienmitglieder, dass schloss uns Nightengale zweifellos mit ein, auch wenn wir es nur selten als gut befanden. Natürlich besaßen wir unsere eigenen Wälder und hielten uns zumeist darin auf. Aber rein rechtlich, durften auch wir mit allen anderen auf dem Hallingway-Anwesen laufen und wir selbst sein.
„Wie geht es deinem Kopf?“ Ich hatte die Klingel bereits gehört und am Geruch erkannt, dass es einmal mehr, lediglich Violetta war, die nach mir sah.
Mit einem, eher genervten Gesichtsausdruck, lächelte ich auf meine kleine Schwester herab. „Schwesterchen...“ Begrüßte ich sie meinerseits, zog sie mit einem Arm heran und küsste ihren Scheitel, welcher mir noch nicht einmal bis zur Schulter reichte. „...dir ist bewusst, dass mich deine täglichen Kontrollen allmählich nerven, richtig?“
Sie lächelte ihrerseits, vollkommen unschuldig, zu mir hinauf. Dass sie dabei umwerfend aussah, wusste sie sehrwohl. Violetta besaß, ähnlich wie Iris, ein Lächeln, dass die Männerherzen, außerhalb der Familie, beinahe augenblicklich auf die Knie sinken ließ. Bloß dass Violetta, im Gegensatz zu Iris, dieses Lächeln kaum nutzte. Sie war nicht berechnend und eigennützig, was sie ein wenig untypisch für unsere Familie machte, doch damit frischen Wind ins Haus brachte.
„Irgendjemand muss doch nach unserem einzelgängerischen Bruder sehen, oder? Vater hält es ja ganz offensichtlich nicht für nötig.“
„Der ist zu sehr, mit seiner Babyplanung beschäftigt.“ Witzelte ich, humorlos.
„Arg...“ Violetta würgte. „Wenn er das durchzieht, werde ich ihm das nie verzeihen.“ Entschied sie. „Es ist nicht nur moralisch verwerflich, weil dieses Weib dreißig Jahre jünger ist, als er, sondern auch noch... Ihr Nachname... Der Teufel stehe uns bei und lässt hoffentlich irgendetwas auf Vater fallen, ehe er seinem plan auch nur noch einen Schritt näher kommt.“
Lachend streichelte ich ihren Rücken, während ich mich an den Verkaufstresen meiner kleinen, jedoch feinen Buchhandlung lehnte. Meiner Mutter zu ehren, hatte ich sie Claudine´s Buchladen benannt lassen. Sie hatte vielleicht nicht viel Zeit darin verbracht, da sie sehr viel auf Reisen und Erkundungstouren gewesen war, doch in ihm hatte sie ihre persönliche Note hinterlassen, genauso wie in ihrem Büro, das ebenfalls mir gehörte.
„Ich denke, mit seinem Vorhaben, wird er auf Granit beißen.“
Violetta schnüffelte in meine Richtung. „Davon kannst du ausgehen. Es riecht eher so, als ob du wirklich gute Chancen bei ihr hättest.“
Nun war ich es, der angewidert würgte. Ich hatte mich bereits so oft gewaschen, dass meine Haut rot geworden war und einparfümiert, was ich normalerweise nie tat. Zum Glück kannten bisher die wenigstens die Witterung von diesem blöden Blondschopf, wodurch niemand auf dumme Gedanken kam. Der Geruch dieser Göre war mittlerweile so... penetrant, ich bekam ihn beim besten Willen nicht los.
„Heute Abend dusche ich mit Zahnpaste. Das muss den Geruch einfach überdecken.“ Fluchte ich grummelnd, was Violetta amüsiert zum Lachen brachte.
„Ach, Brüderchen.“ Hinter uns läutete die Glocke, weshalb Violetta die Stimme etwas senkte. „Du weißt doch, was ein Alpha markiert, das gehört ihm auch.“
Zu meinem großen Bedauern hätte Violetta in keiner Tonlage überhört werden können. Nicht von einem Wesen wie ihr...
„Sprecht ihr von einem Auto?“
Violetta´s Lächeln verging augenblicklich und die typische Nightengale-Eiskönigin erschien auf ihrem Gesicht. „Ja natürlich. Nichts vergast unsere Kleinstadt mehr, als ein Alpha Romeo.“ Witzelte sie überheblich.
Auch ich wandte mich, zur Hälfte dem ungewünschten Gast zu. Ich wollte nicht, dass sie die Wunde sah... Woher das auf einmal kam, war mir selbst schleierhaft, denn eigentlich wollte ich den Hallingway´s damit doch bloß unter die Nase reiben, wie schrecklich sie im Grunde waren.
„Wow... Jetzt weiß ich, was du mit Geruch und Alpha meinst.“ Sie wackelte mit einer Hand vor ihrem Gesicht herum, was meinen Blick unweigerlich tiefer zog. Himmel, wir hatten nachts bereits Minusgrade, doch dieses Mädchen trug ein Shirt, das gerade mal ihre wohlgeformten Brüste bedeckte. Die hochgeschnittene Jeans, trug nicht gerade etwas dazu bei, ihren falchen Bauch zu bedecken, oder ihre langen Beine, da sie diese scheinbar selbst gekürzt haben musste. Das einzige, was sie lang trug, war eine samtfarbene Weste, die ihr bis zu den Knien reichte, doch so dünn war, dass sie ihren Sinn verfehlte. Außerdem besaß sie weder Knöpfe, noch einen Zipp. Wenigstens steckten ihre Füße in wollig warmen Stiefeletten, welche sie ein wenig größer machten. Ganze sieben Zentimeter, wenn ich mich nicht täuschte... Und es betonte ihre langen Beine, wenn sie so wie jetzt vor uns stand.
„Ist das nicht dieser arge Duft? Ich habe ihn häufiger bei meinen Gästen ertragen, als mir lieb gewesen ist. Er ist vielleicht angenehm, doch wenn man ihn zu hoch dosiert, kann er ausgesprochen eindringlich sein. Hast du etwa experimentiert? Oder bist in einen Topf davon gefallen?“
Ich? Was? Hastig riss ich meinen Kopf hoch und versuchte, etwas Würde zu bewahren.
Wohin zum Teufel starrte ich da nur wieder? Es waren bloß gottverdammte Füße. Etwas das ich schon aus Prinzip an Frauen nicht schätzte. Andererseits, hatte ich gehört, dass Marissa Hallingway die letzten Tage eine Schiene hatte nach dem Sturz tragen müssen. Wo war die hingekommen?
„Solltest du nicht eigentlich eine Schiene tragen? Ich dachte, dein Fußgelenk sei gebrochen gewesen?“
Marissa sah an ihrem rechten Bein hinab. „Ach, das?“ Sie winkte ab. „Scheinbar hat es schlimmer ausgesehen, als es eigentlich gewesen ist. Lilly hat mir die Schiene vor einer Stunde herunter genommen.“ Sie wackelte ein wenig mit ihrem Fuß hin und her. „In nächster Zeit, werde ich vielleicht nicht großartig klettern, aber für einen gemütlichen Spaziergang reicht es.“
„In dieser nuttigen Aufmachung?“ Entgegnete Violetta schnippisch. „Sieht eher aus, als ob du gleich ins nächste Puff einziehst.“
„Violetta!“ Mahnte ich meine Schwester, obwohl ich ihr doch im Grunde zustimmen sollte. Violetta war meine Schwester. Meine Familie. Ich müsste hinter ihrer Aussage stehen.
Marissa musterte Violetta´s tadellose Aufmachung. Natürlich kam meine kleine Schwester eben erst von der Schule zu mir gekommen, da es Donnerstag am Nachmittag war. Deshalb trug sie auch ihre perfekt sitzende Uniform. Worüber sich Marissa da schon lustig machen konnte, wollte mir einfach nicht auffallen.
„Ach, deshalb hat Sam so herum gestottert, als er meine Brüste bewundert hat. Bei dir kann das ja zum Glück nicht passieren.“
Violetta wurde von einem Moment, auf den anderen, einfach knallrot und schien mit sich zu ringen, nicht ihre Zähne zu blecken. „Hure!“ Violetta´s Stimme glich beinahe einem Knurren, was mich dazu zwang, den Zickenkrieg neben mir, endgültig im Keim zu ersticken.
„Das reicht. Was suchst du hier, Kindchen?“
Marissa´s Aufmerksamkeit bohrte sich in mich hinein, als ob sie versuchte den Wolf in mir, an die Oberfläche zu reißen, damit sie ihn erwürgen konnte. Ich haderte stark mit mir, um meine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Zum Teufel, dieses Weib hatte eine natürliche Macht, die ließ Logan wie einen unkontrollierbaren Welpen erscheinen.
„Ich habe gestern einen Anruf von eurem Vater erhalten. Scheinbar hat er gehört, dass ich auf Arbeitssuche bin und ihr jemanden beim Kaffee ausschenken sucht.“
Nun war ich schon mehr dazu geneigt, wütend zu knurren. Also langsam reichte es mir wirklich... Waren wir für ihn nichts weiter, als Schachfiguren, zur Hölle noch mal?
Abweisend verschränkte ich meine Arme vor dem Brustkorb. „Dann hat er dich falsch informiert. Wir sind-...“
„Oh mein Gott! Was ist denn mit deinem Gesicht passiert?“
War es ein Schweben? Oder eher ein teleportieren? Ich musste mehrmals blinzeln, denn Marissa stand so plötzlich, nur Zentimeter von mir entfernt, dass mir keine Zeit blieb, meine Nightengale-Maske hoch zu ziehen. Ihre Fingerspitzen streichelten sanft über mein violett verfärbtes Jochbein und ihr betörender Geruch, schien mein Parfüm mit einem Schlag zu vernichten.
Ehe ich mich versah, fühlte ich, wie mein Puls ins Unermessliche ging und ich schluckte schwer. Dieses dumme Gör... Wieso berührte sie mich?
Das ziehen in meiner geschundenen Seite, war vergessen, während sich wärme an ihrer Stelle ausbreitete. Überall dort, wo Marissa mein bunt verfärbtes Gesicht berührte.
„Das war den lieber Bruder. Der ist genauso unberechenbar, wie du.“
Marissa hielt in der Berührung inne und betrachtete Violetta irritiert. Ich selbst hatte bisher keinen Muskel bewegt. Wieso, wusste ich selbst nicht so wirklich.
„Warum sollte Logan ihm so etwas antun?“ Hörte ich da etwa ein verärgertes Knurren in ihrer Stimme? Willkürlich musste ich innerlich lächeln. Wieso missfiel mir, ihr ärgerliches Knurren nicht? Ehrlich gesagt, fand ich nicht genug Gehirnstränge, um überhaupt einen klaren Gedanken zu bilden.
„Na weil Logan dich...“ Violetta stutzte und da Marissa ihre Hand sinken ließ, wurde auch ich aus meiner Trance gerissen.
Scheiße, was hatte Violetta da nur wieder begonnen? Sie konnte ja kaum sagen, dass ich, als Wolf, zufällig über sie gestolpert war, unmittelbar nach Marissa´s Sturz von der Mauer.
„Weil Logan was?“
Ich holte hastig Luft und sagte das Einzige, was mir in dem Moment einfiel. „Weil ihm scheinbar irgendjemand gesteckt hat, dass ich dich vor meiner Bar auf die Straße gestellt habe. Er meinte, als Familienmitglied, wäre es meine Pflicht gewesen, dich unverzüglich heimzubringen und ihm selbst davon zu erzählen.“
Scheiße, das würde mich noch in Teufelsküche bringen.
Marissa verschränkte trotzig die Arme vor dem Oberkörper. „Das geht ihn eigentlich überhaupt nichts an, gottverdammt!“ Fluchte sie. „Außerdem ist mir überhaupt nichts passiert. Ich bin wohlauf nach Hause gekommen.“
Ich öffnete den Mund, um zu widersprechen, immerhin hatte ich sie bloß kurze Zeit später, in einem Graben gefunden und ihre Wunde an der Stirn geheilt, damit sie sich nicht infizierte. Außerdem hatte ich ihr Handy wieder beschafft. Dafür sollte sie in meiner Schuld stehen!
Marissa fasste nach kurzem Überlegen an ihre Stirn, genau die Stelle, wo die Platzwunde gewesen war, doch als sie meinen forschenden Blick bemerkte, räusperte sie sich hastig und tat, als sei nichts gewesen.
Ob sie es wusste? Hatte sie mich als Wolf etwa doch gesehen? Ich war felsenfest davon ausgegangen, dass sie nichts bemerkt hatte. Und den Wolf von Samstag nacht, hielt sie ohnehin für einen domestizierten Köter. Zumindest hoffte ich das inständig.
„Wie dem auch sei, wenn ihr doch niemanden sucht, dann gehe ich jetzt. Ich habe auch noch andere Jobangebote.“
Beinahe hätte ich geknurrt, denn ich wollte nicht, dass diese verdammte Hallingway irgendwo hier in der Stadt arbeitete. Vor allem, wenn ich ihr dort auch noch zufällig über den Weg laufen konnte.
Violetta war jedoch einmal mehr, schneller, als ich. „In dieser Aufmachung nimmt dich ohnehin lediglich ein Puff.“
Marissa hatte sich bereits zum Gehen gewandt gehabt, als Violetta´s Worte sie dazu drängten stehen zu bleiben. Die Hallingway-Göre wandte sich halb herum und lächelte mich... wenn ich es nicht besser wüsste, sogar schelmisch an. „Ach dieses Outfit...“ Sie zwinkerte mir zu. „...war ohnehin bloß für Jared gedacht. Logan nimmt mich mit heim, wo ich mich umziehen kann.“
Beinahe hätte ich getaumelt und wärde der Länge nach auf die Nase gefallen. Was... Was hatte sie gesagt?
Ich wechselte einen irritierten Blick mit meiner kleinen Schwester, die vor Wut bereits dunkelrot angelaufen war. Dieses dumme Hallingway-Mädchen riskierte tatsächlich gerne Kopf und Kragen!

Marissa, hat den Durchblick...

 Ich saß, immer noch breit schmunzelnd, auf dem Beifahrersitz von Logan´s Lieblingsauto. Er hatte zwar gefragt, was ich in der Buchhandlung so dringendes zu erledigen gehabt hatte, doch beteuerte ich bloß, dass sie das Buch nicht gehabt hätten, welches ich nur zu gern für Adam gekauft hätte. Natürlich war es eine glatte Lüge gewesen, aber der Abstecher hierher hatte sich schon alleine gelohnt, da ich Jared mit offenem Mund hatte dastehen sehen. Es gab wohl nichts Besseres auf der Welt, als diesen Kerl von seinem hohen Ross zu stoßen. Das hatte er auch wirklich verdient gehabt, nachdem was er vergangenen Freitag mit mir abgezogen hatte. Was war er? Ein Höhlenmensch, der sich das Weib einfach über die Schulter warf und vor der Höhle stehen ließ? Jedenfalls, konnte ich es ihm damit deutlich zurückzahlen, wenngleich mir sein Gesicht tatsächlich sehr leidgetan hatte.

Auch wenn es mir ein wenig gegen den Strich ging, so musste ich dennoch zugeben, dass mir sein Gesicht ausgesprochen gut gefiel. Es war so markant, verschlossen, mit dünnen Lippen und eisigen, abweisenden Augen, die ich zu gerne knacken wollte. Ich zweifelte nicht daran, dass er ein leidenschaftlicher Typ sein musste, auch wenn er, wie jeder wusste, kein Interesse an Frauen hegte. Dies war bloß ein Grund mehr für mich, diese Nuss zu knacken.
Dass Jared zugleich auch für das gegnerische Team meines Bruders spielte, gab dem ganzen noch diesen verrucht, verbotenen Unterton, der meine gesamte Aufmerksamkeit packte.
„Sag mir einfach welches, dann bestelle ich es dir.“
Logan´s Worte rissen mich aus meinen pervertierten Tagträumen und zurück in die Realität. „Nö, keinen Bock.“ War alles, was ich dazu sagte, dann starrte ich weiterhin aus dem Fenster.
Sollte ich Logan darauf ansprechen, was er mit Jared´s Gesicht gemacht hatte? Ehrlich gesagt, hatte es mich sehr erschreckt, zu erfahren, wozu er überhaupt fähig war. Logan war für mich mehr wie ein... muffiger Teddybär, der bloß gruselig aussah, aber im Herzen ganz weich. Was sollte das also, mit Jared? Und wer, zum Teufel, hatte ihm gesteckt, dass ich mich in der Bar aufgehalten hatte? Dort sind doch bloß schwule und ein paar vereinzelte Lesben gewesen. Selbst die waren so abgefüllt worden, dass sie kaum noch gerade Stehen haben können.
Nein, das war einfach zu... unsinnig. Und diese Sache mit dem Geruch? Was sollte das überhaupt bedeuten? Violetta hatte gesagt, > Du weißt doch, was ein Alpha markiert, das gehört ihm auch<, aber was sollte das bedeuten? Alpha. Ich wusste ja, was das Wort bedeutete, nur der Zusammenhang entging mir irgendwie. Was genau wusste ich darüber?
Alpha war der erste Buchstabe im griechischen Alphabet. Es stand für den Anfang, so wie das Ende. Doch was markierte man mit etwas, dass sich Alpha nannte? Nein, das ergab einfach keinen Sinn. Ich würde Sam dafür befangen müssen.
„Okay, hör zu, Marissa...“
„Rissa.“
„Rissa... Ich dachte mir, dass die letzten Wochen doch etwas holprig gewesen sind. Was hältst du davon, wenn ich am Samstag ein Familienabendessen organisiere? Im kleineren Kreise.“
Ich lachte. „Willst du etwa den armen Samuel schon wieder quälen?“ Zog ich meinen Bruder, mit dem Geschehnissen von Samstag auf.
Er murrte vor sich hin. „Ein Grillabend. Ich rede von einem Grillabend.“
„Es ist abends schon echt kalt, wieso willst du da grillen?“
An seinen hektisch, auf dem Lenkrad, tippenden Fingern, erkannte ich, dass er allmählich gereizt wurde. „Wir grillen. Stell dich einfach darauf ein.“
„Und wenn ich etwas vor habe?“ Erkundigte ich mich, um meinen Bruder weiter zu nerven. „Denn weißt du, andere haben auch Jobs, denen sie nachgehen müssen.“
Okay, den Blick, den ich für diese Aussage kassierte, sollte mich scheinbar an Ort und Stelle in Flammen aufgehen lassen. Zum Glück tat er es aber nicht.
„Hast du denn schon eine Stelle gefunden?“ Stichelte er, wohl wissend, dass ich hier nicht so schnell etwas werde finden können, auf meinem wunden Punkt herum.
„Vielleicht. Ich schaue später noch einmal vorbei, dann weiß ich mehr.“
„Wo denn?“
Ich lachte amüsiert auf. „Als ob ich dir das sagen würde. Es reicht schon, wenn ich Hallingway nur erwähne, dass ich auf eine ausgesprochen höflich, unhöfliche Weise abgewimmelt werde.“
„Wie kann man denn höflich, unhöflich sein?“ Erkundigte er sich, sichtlich irritiert von meiner Wortwahl.
Ich begann damit die freundlichen Stimmen der vergangenen Woche nachzuahmen. „Ach, die kleine Schwester, von Logan! Das ist uns eine Ehre, aber wir können dich doch nicht eine solche Arbeit verrichten lassen.“ Logan schmunzelte amüsiert. „Oh wirklich? Ich denke, das ist wirklich unter deinem Standart. Wieso steigst du denn nicht einfach ins Familiengeschäft ein.“ Ich würgte. „Oder mein bisheriger Favorit. Logans kleine Schwester? Aber du musst doch nicht arbeiten, Schätzchen. Genieß deine Jugend, so lange du es noch kannst.“
„Schon gut!“ Logan lachte leise. „Ich habe es ja verstanden. Wieso hast du überhaupt so schnell meinen Nachnamen ändern lassen? Weißt du eigentlich, wie unangenehm es ist, ständig abgewimmelt zu werden, nur weil >du< aus gutem Hause stammst? Das ist einfach nur lächerlich.“
„Erstens, Mal hat das getan, ich hatte damit nichts zu tun. Zweitens stammst du aus demselben Haus, damit verdienst du, es auch den Namen Hallingway zu tragen. Außerdem haben sie recht. Du musst wirklich nicht arbeiten, Rissa. Das habe ich dir bereits gesagt.“
„Und du hast auch gesagt, dass du mir hilfst einen Nachmittagsjob in der Stadt zu finden.“ Erinnerte ich ihn eindringlicher. Was war aus diesem Versprechen eigentlich geworden?
„Das habe ich doch. Aber du hast es abgelehnt als meine Sekretärin zu arbeiten.“
Ich gab einen abschätzigen Laut von mir. „Dass du überhaupt auf diese Idee gekommen bist, ist einfach nur lächerlich. Ich werde doch nicht nach der Schule, zu der ich übrigens überhaupt nicht gehen will, so tun, als würde mich dein Job interessieren. Wenn du einen unordentlichen Arbeitsraum willst und meine dreckigen Schuhe am Tisch, dann helfe ich dir natürlich liebend gern weiter. Ansonsten kannst du mich vergessen.“
„Und ich werde meine kleine Schwester bestimmt nicht hinter einer Bar arbeiten lassen. Allem voran, da du noch lange nicht volljährig bist.“
„Sind ja nur noch ein paar Wochen.“
„Monate.“ Korrigierte er mich streng. „Du hast erst im Frühjahr Geburtstag.“
„Sag ich ja! Sind bloß noch ein paar Wochen dahin.“ Versuchte ich auf meiner Meinung zu beharren, denn drei Monate, klang viel zu lang, als wenn ich bloß von einigen Wochen sprach.
„Schön, wie dem auch sei. Zurück zum Thema. Ich möchte, dass du die Verwandtschaft besser kennen lernst. Deshalb organisiere ich auch diesen Grillabend.“
„Ach, die mögen mich doch jetzt schon. Also weshalb sollte ich mein Glück aufs Spiel setzen?“
„Wie meinst du das?“
„Nun ja, ich nerve ja bekanntlich jeden, der länger als zehn Minuten mit mir zu tun hat. Wieso sollte es mir mit ihnen besser ergehen?“
„Weil sie deine Familie sind.“ Kam es von Logan, wie aus der Pistole geschossen. „Sie werden dich lieben. Auch wenn du sie nervst.“
Ich horchte interessiert auf. So abgehakt, wie Logan sprach, musste ich willkürlich sogar lächeln. „Ach ja... Alle lieben mich? Du etwa auch, Brüderchen?“
Er murrte wieder. „Jetzt übertreiben wir mal nicht, Nervensäge.“
Lachend ließ ich den Sitz nach hinten kippen und rekelte mich genüsslich auf dem Sitz. „Ich weiß, du liebst mich. Das sehe ich dir an der Nasenspitze an.“
„Wie auch immer.“

 

- - - - -

 

Es gefiel Logan zwar ganz und gar nicht, doch da Sam versprach, halbe stündlich unseren Standort an Logan zu senden, willigte mein nerviger Bruder ein, dass ich noch einmal, zu Fuß in die Stadt gehen durfte. Auf halben Weg kam mir Samuel entgegen und winkte mir bereits fröhlich aus der Ferne.
„Hi, wie geht es deinem Bein? Ist alles gut verheilt?“
Dafür, dass mein Knöchel, laut dem Röntgenbild angeknackst gewesen war... „Ja, irgendwie schon.“ Gab ich zu.
„Du klingst ja nicht gerade begeistert davon.“ Lachte Samuel heiter.
„Das liegt daran, dass ich es einfach... seltsam finde, weißt du.“
„Was denn genau?“
„Nicht so wichtig.“ Ich seufzte. Nein, ich hatte es nicht vor Logan erwähnt, oder Vanja, oder dieser seltsamen Ärztin, die sie tat, als sei es das Normalste der Welt gewesen, dass mein Fuß bereits nach drei Tagen wieder voll belastbar war. Gut, auf akrobatische Übungen sollte ich vermutlich die nächsten Tage noch verzichten, doch logisch betrachtet... Dieser, viel zu schnell verheilte Knacks, schien niemanden großartig zu beunruhigen. „Sag, hat sich die Bar eigentlich schon bei dir gemeldet?“
Sam, sichtlich irritiert von dem plötzlichen Themenwechsel, winkte ab. „Nö. Worüber ich auch echt froh bin. Ich hätte nämlich echt nicht gewusst, was ich denen sagen soll. Du bist betrunken von einer Mauer gefallen, kommt bestimmt nicht so gut an.“
„Ich war nicht mehr betrunken. Außerdem, bist du dir ganz sicher? Schau besser noch einmal nach.“
Sam zog das Handy aus seiner Tasche. „Klar, keine ungespeicherten Anrufer, keine-... He!“
So schnell konnte Sam nicht einmal danach greifen, hatte ich mir sein Handy auch bereits in die Hosentasche gesteckt. „Was soll das?“
„Denkst du ehrlich, ich lasse zu, dass du Logan ständig steckst, wo ich mich aufhalte?“
Sam wirkte mit einem Mal, sehr zwiegespalten. „Nun ja, es ist nur... Er wird sich sorgen machen, weißt du. Als du vergangenen Samstag einfach vom Erdboden verschluckt wurdest und ich dich nicht finden konnte, hat er die gesamte Familie aus dem Bett geklingelt. Alle sollten nach dir Ausschau halten.“
Ich grunzte. „Bis der alle aus dem Bett hatte, war ich schon quasi vor seiner Haustüre, habe mit einem Wolf gekuschelt und mir den Knöchel angeknackst. Ehrlich, wenn er sich solche-...“
„Moment, warte... Was hast du?“
Ich wusste, er wollte mehr über den Teil mit dem Wolf erfahren, und ehrlich... ich musste das endlich einmal mit jemanden teilen! Wieso also nicht mit Sam?
„Nun ja, als ich von der Mauer gefallen bin, war einer der Steine locker. Er hat nachgegeben und...“
„Rissa! Den Teil kenne ich schon, aber was war das mit dem Wolf? Welcher Wolf denn?“
Ich zuckte, gespielt gleichgültig mit den Schultern. „Was weiß ich. Ein schwarzer Wolf halt. Zumindest sah er im Dunklen so aus. Aber ich glaube, es war einfach ein Streuner, der nach Aufmerksamkeit gesucht hat, sonst hätte er mich nie so nahe an sich herangelassen.“
Sam wirkte etwas irritiert und sein Lächeln aufgesetzt. „Ja, bestimmt. Hier gibt es viele... Ähm, in den Wäldern, halt. Mischlinge und so.“
Ha! Na bitte. Ich hatte endlich das schwache Glied in der Kette ausfindig gemacht. Vielleicht würde mir Sam mehr zu dem seltsamen Verhalten aller um mich herum sagen können.
Kumpelhaft legte ich ihm den Arm um die Schulter. „Samuel, mein lieblings Großcousin...“ Ich kniff ihn sanft in die Wange, doch er ahnte sichtlich bereits das Schlimmste. Kluger Junge!
„Oh nein... Egal, was es ist. Nein.“
„Keine Sorge, ich habe bloß ein paar Fragen. Mach dir nicht gleich ins Hemd.“
Mein Cousin stieß erleichtert die Luft aus. Dies blieb aber nicht lange so, denn ich beobachtete jede seiner Reaktionen ganz genau. „Hast du denn auch schon einmal so einen schönen, wolfsartigen Hund in den Wäldern gesehen?“
Er schüttelte den Kopf. „Nö, ich bin nicht so der Waldmensch. Wieso?“
„Nun ja, ich dachte, vielleicht kann ich den Mischling ja wiederfinden. Er war so zahm und... anschmiegsam.“ Ich seufzte, gespielt, verträumt. „Wie sich sein Fell angefühlt hat, das war so gepflegt und er hat mir auch so brav über den Arm geleckt, weißt du.“
Ich spürte, wie Sam steif wurde. „Was meinst du damit, dass er dir über den Arm geleckt hat? Ich dachte... Ich, ähm, habe gehört, dass dein Knöchel doch angeknackst gewesen ist.“
Ich winkte ab. „Ach, das ist mir zu der Zeit noch überhaupt nicht aufgefallen. Dafür war ich viel zu abgelenkt von diesem Wolf. Kannst du dir das vorstellen? Diese rohe Kraft unter seinem dichten, schwarzen Fell, die klugen Augen und wie er mir aufmerksam zugehört hat. Das kann doch kein wildes Tier gewesen sein, oder?“
Sam stammelte einen Moment vor sich hin, ehe er eine plausible Antwort für mich hatte. „Nun... Nun ja, weißt du... Die Nightengale haben gerne so schwarze Wolfshunde, wie die, die du auf den Gemälden gesehen hast. Heute ist es vielleicht nicht mehr so üblich, diese zu züchten und es tut auch keiner mehr so wirklich, doch vielleicht hatten sie noch einen als Haustier? Er kann... abgehauen sein, würde ich auch, wenn ich bei denen ein Haustier wäre.“
Klang logisch. Dennoch hatte ich einen gemeinen, kleinen Satz in der Hinterhand, welcher Sam absolut überrumpelte. „Stimmt, ach ja. Du kannst nicht zufällig mit dem Satz >was ein Alpha markiert, das gehört ihm auch<, etwas anfangen?“
Sam registrierte, dass ich ihn in eine Falle gelockt hatte, in dem Moment, als er mir schockiert, in mein triumphierendes Gesicht sah. „Was...“ Fragte er langgezogen. „So... So etwas habe ich ja noch nie gehört.“ Er räusperte sich, um seine, sich überschlagende Stimme, in den Griff zu bekommen. „Ich meine, wo hast du denn so etwas gehört?“
Ich nahm den armen kleinen Jungen in den Schwitzkasten. „Sam, du bist mit Abstand der schlechteste Lügner aller Zeiten. Rück raus mit der Sprache.“
„I-Ich weiß ehrlich nicht, was du damit meinst.“ Beteuerte der Teenager felsenfest.
„Sami, Sami...“ Tadelte ich. „Rück raus mit der Sprache, oder ich frage die Nightengale direkt.“
„Bloß nicht!“ Röchelnd klopfte er auf meinen Arm, damit ich ihn endlich losließ, was ich auch tat. „Danke. Ähm... Hast du schon Logan danach gefragt?“
Ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu. „Natürlich nicht, er würde mir ins Gesicht lügen, ohne mit der Wimper zu zucken. Du warst einfach das leichtere Opfer.“ Sein Gesicht wurde etwas trotzig, doch darauf nahm ich keine Rücksicht. „Jetzt spuck es aus, oder wir gehen direkt zum Nightengale-Anwesen.“ Auch wenn ich bisher nicht wusste, wo es lag. Aber das war egal, mein Handy würde es mir schon sagen.
„Nun ja... Ähm... Alpha, ist ein... ein griechischer Buchstabe, halt...“ Stammelte er wieder.
Ich schüttelte den Kopf. Also wirklich. Musste ich tatsächlich drastische Maßnahmen ergreifen? Ich zückte Sam´s Handy.
„Was... Was machst du denn da?“
„Ich suche eine Nummer heraus.“ Antwortete ich, denn dieser gutmütige Dummkopf besaß nicht einmal einen Pin um sein Handy zu schützen. Ah! Da war sie ja. Unter >blöde Schulzicke< vermtete ich einmal Violetta. „Wie süß, ihr gebt euch ja sogar schon Spitznamen. Blöde Schulzicke...“
„Was... Was willst du mit Violetta´s Nummer, Rissa?“
Ich wählte >eine SMS schicken, aus. „Liebste Violetta...“ Begann ich, woraufhin Sam knallrot wurde.
„Rissa!“
„Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin...“ Tippte ich, auch wenn es mir mit diesem verdammt alten Tastenfeld echt schwerfiel.
„Rissa, das reicht. Was hast du vor?“
„Ich helfe dir auf die Sprünge. Außerdem bin ich echt gut darin, Liebesnachrichten zu verfassen. Also beeilst du dich besser mal mit deiner Antwort auf meine Frage. ...habe ich bereits so viel an dich gedacht, dass...
„Hör auf damit! Diesen Scheiß schickst du ihr sicher nicht!“ Ärgerlich versuchte er, mir das Handy zu entreißen, doch ich war wesentlich schneller, auch wenn ich auf dem Tastenfeld dafür ungeschickter wurde. „Rissa, das ist nicht lustig! Violetta wird mich umbringen!“
„Dann antworte auf meine Fragen, Cousinchen.“
„Das kann ich nicht!“ Seine Stimme klang regelrecht verzweifelt, weshalb ich munter mit meiner Folter fortfuhr.
„...ich mir nun absolut sich bin. Du bist das Mädchen meiner Träume. Die Schönheit...“
„Rissa, ich meine es ernst! Rede mit Logan, aber bitte... Bitte schick ihr das ja nicht! Bitte!“
„Ich kann das damit natürlich aufhören.“ Beruhigte ich Sam, welcher hörbar die Luft ausstieß. „Nur, wie sollte ich dann je erfahren, was ich wissen will? ...deiner Augen, dein sinnliches, schwarzes Haar, in das ich...“
„Okay! Okay! Ich rede ja! Nur bitte, lösch das! Bitte!“
Ich seufzte. „Nun gut. Ich will mal nicht so sein.“ Ich hielt das Handy, auf Abstand zwischen uns, damit er sah, dass ich weder weiter tippte, noch es sendete. „Leg los, Cavanaugh.“
„Okay, ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang du diesen Satz gehört hast, aber Alpha ist so etwas wie ein Anfang, würde ich sagen. Also... Das Erste, oder vielleicht ein Anführer? Du weißt schon. Das Alphateam oder... oder der Alpha von einer Gruppe eben.“
„Ein Alphateam?“ Wiederholte ich nachdenklich. „Was ein Alpha markiert, das gehört ihm auch. Das klingt eher nach einer einzelnen Person.“
„Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst! Vielleicht ist das einfach eine moderne Version, von diesem Satz?“ Schlug Sam verzweifelt vor.
Okay, so kam ich auch nicht weiter. Ich ließ das Handy sinken und drückte dabei auf die >Löschen< Taste, während dem armen Samuel sichtlich das Herz stehen blieb.
„Rissa! Mein Handy?“
Ich tat überrascht. „Ups... Ich glaube, jetzt habe ich es doch gesendet.“
„Was?“ Sam´s Stimme war mit einem Schlag hell und voller Verzweiflung, während er mir das Handy endlich entreißen konnte und... eine leere Seite anstarrte. Giftige Blicke taxierten mich bloß einen Moment später, doch das hatte ich natürlich verdient.
„Du bist ein Monster. Hast du eigentlich eine Ahnung, was Violetta mit mir angestellt hätte?“ Fragte er, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. „Dafür hätte sie mir die Haut abgezogen, oder das Gesicht zerfetzt! Dieses Weib ist... ein tickendes Pulverfass, weißt du!“
„Dann vögel sie, damit sie Dampf ablassen kann.“ Meinte ich schlichtweg und ging weiter.
„Sie steht nicht auf mich. Genauso wenig, wie ich auf sie.“ Murrte Sam, sichtlich verärgert, über mein Drängen. Na gut, ich hatte es ohnehin bereits satt, mich über sein nicht vorhandenes Liebesleben lustig zu machen. „Lass uns besser das Thema wechseln.“
„Sehr gut, mich würde es ohnehin mehr interessieren, wieso Logan Jared ein so schlimmes Veilchen verpasst hat.“
„Du hast auch schon davon gehört?“ Erkundigte Sam sich überrascht.
„Gehört? Ich habe es gesehen und von ihm selbst erfahren, weil Logan mir ja nichts erzählt. Wieso tut mein Bruder so etwas überhaupt? Das ist doch echt nicht normal!“
„Ja, da hast du recht. Nett war es nicht gerade.“
„Nett?“ Brauste ich auf. „Wie kann Logan es wagen, auf Jared loszugehen? Er hat ihm doch überhaupt nichts getan.“
„Jared tut schon immer so, als würde ihn die Familienfehde nichts angehen. Für irgendetwas wird er es wohl schon verdient haben.“ Meinte Sam gleichgültig, was mir halb das Herz stehen bleiben ließ. Was stimmt nur nicht mit diesen Familien?
„Okay, dann bitte, gib mir ein Beispiel. Für was hätte ich es verdient, dass mir mein Bruder dermaßen eine runterhaut, dass ich danach wochenlang mit einem blauen Flecken herum laufe?“
Sam schien ernsthaft darauf antworten zu wollen, doch als er meinem Blick begegnete, verstummte er augenblicklich. „Natürlich für gar nichts. Man schlägt Mädchen nicht.“
Dafür bekam Sam natürlich einen Schlag von mir, über den Hinterkopf. „Oh... Jetzt habe ich ein kleines Mädchen geschlagen, verklag mich.“
Sam erwiderte nichts, sondern grummelte lediglich vor sich hin, während er sein Tempo hochschraubte.
Gut, ja natürlich, macht es auch für mich einen Unterschied, ob ich jemanden schlage, oder >schlage<. Jemanden einen Schlag über den Hinterkopf zu verpassen oder eine Ohrfeige zu geben, war für mich nichts, wo ich sagen würde, dafür gehört diese Person ins Gefängnis. Aber wenn ich jemanden dermaßen hart schlagen würde, dass sein Gesicht anschwellt oder er sogar genäht werden muss... So etwas ist doch nicht normal! Wenn schon nicht ins Gefängnis, dann sollten solche Leute in die Psychiatrie gesperrt werden.
Natürlich kam es dabei auch auf die Ausgangsposition darauf an. Wenn Jared meinen Bruder tatsächlich so weit verärgert hatte, dass die beiden handgreiflich geworden waren und Jared den Kürzeren zog... Männer halt. Was soll ich dazu großartig sagen. Aber ich hatte nicht wirklich das Gefühl, dass sich Jared einfach so verprügeln lassen würde. Nightengale suhlten sich in ihrem Stolz, in ihrer eingebildeten Überheblichkeit. Also ja, ich würde Logan glauben schenken, für den Fall, dass er sich auf so eine Kleinigkeit heraus redete. Aber alles andere, ließ mir einfach keine Ruhe...
„Du, Rissa. Sag mal, jetzt wo ich genauer darüber nachdenke... Stehst du eigentlich auf Jared?“
Ich hob meinen Kopf und betrachtete Sam mit gerunzelter Stirn. Er ging vor mir, rückwärts, den Feldweg entlang und wir waren bloß noch wenige, hundert Meter von der Ortstafel >Lykwood< entfernt.
Seine Worte brauchten eine ganze Weile, bis sie in meinen Kopf vorgedrungen waren, denn es fühlte sich an, als würden sie sich erst durch Watte kämpfen müssen. Mein Puls schlug unvermittelt in die Höhe und ich fühlte so etwas wie ein Schaudern über meinen Körper gleiten. Ich? Auf Jared stehen? Ich hatte ihn mir doch bloß heraus gepickt, weil ich wusste, dass es Logan am meisten gegen den Strich gehen würde, wenn ich mit ihm herum hing und offen anschmachtete. Aber Gefühle sind da doch nicht im Spiel. Das sind sie bei mir niemals. Ich verliebte mich nämlich nie, deshalb lachte ich auch über Sam´s Worte. „Er ist bloß mein Mittel zum Zweck.“ Entgegnete ich mit einem kühlen Unterton.
„Dafür sprichst du aber ziemlich viel von ihm. Eigentlich jedes Mal, wenn wir uns treffen.“
„Ich ziehe dich auch jedes Mal mit Violetta auf, wo ist der Unterschied?“
Dafür erhielt ich noch einen giftigen Blick. Sam raffte seine braune Jacke enger um seinen Körper und schnaufte genervt. „Es ist bloß die Art, wie du dich über >die Sache< aufregst.“
„Die Sache...“ Wiederholte ich stirnrunzelnd. „Du meinst die Sache, das Logan jemanden grün und blau schlägt, bloß weil der nicht seiner Meinung ist? Diese Sache meinst du, ja?“
„Du weißt, dass es so nicht gewesen ist.“ Korrigierte mich Sam besserwisserisch. „Logan beschützt dich nur. Auf seine Weise.“
Ich lachte humorlos. „Oh, wird das auch seine Ausrede sein, sobald ich unter der Erde liege und er wegen Mord angezeigt wird? Er hat sie doch bloß umgebracht, weil sie nicht hören wollte. Böse Rissa!“ Äffte ich Sam nach.
„Du neigst zur Übertreibung, weißt du das eigentlich?“
Ich hob überheblich das Kinn. „Übertreibung ist mein zweiter Vorname.“
Willkürlich begann Sam zu lachen und es war, als würde er damit die düstere Stimmung, welche sich zwischen uns aufgebaut hatte, einfach vertreiben.
Auch ich fühlte mich wieder heiterer, mein Puls legte sich und das ziehen an meiner Haut hörte auch endlich auf.
Himmel, wenn alle Cavanaugh so waren, würde ich mir hier mein persönliches Grab selbst schaufeln müssen.

 

- - - - - 

 

Die Bar, in welcher ich zu gerne arbeiten wollte, nannte sich Swifty´s. Sie hatte auch nachmittags geöffnet, doch Hochbetrieb herrschte offensichtlich eher nachts.

Ich trabte als Erste, die steinerne Treppe hinab in das Kellergeschoss, wo sich auch die Bar befand. Dann klopfte ich, wie an eine Türe, auf den Tresen. „Hallo, jemand schon wach?“
Sam kam gemächlich hinter mir her, dass er auf seinem Handy tippte, entging mir jedoch keinesfalls. Verräter! Ich hätte es einbehalten sollen...
„Rissa? Bitte sag mir, dass du das bist?“
„Hi Sarah!“ Grüßte ich die Barkeeperin, welche mit einem Neugeborenen, gerade einmal wenigen Wochen alten Baby um die Ecke kam.
„Oh!“ Stieß ich langgezogen hervor. „Wie süß ist der kleine Racker denn!“ Augenblicklich stand ich an der Seite, der sichtlich stolzen Mutter und berührte die seidig weiche Haut des Babys. Es war so rein, warm und weich, wie nichts anderes auf der Welt.
„Nicht wahr? Er ist mein kleiner Engel... Außer er hat Hunger oder seine Windel ist voll.“
Wir lachten, Adam war zum Glück aus diesem Alter bereits heraußen. Er quengelte einfach so lange, bis er hatte, was er wollte. Und wenn das auch nichts half, gab es einfach einen Trotzanfall. Zum Glück hatte ich damit jedoch noch nie etwas zu tun haben müssen, dieses Privileg blieb Vanja vorbehalten.
„Kann ich mir vorstellen. Genieß die Zeit, so lange du sie hast. Ich weiß von meinem Neffen nur zu gut, dass sie irgendwann einmal fordernder werden.“
Wir lachten erneut, woraufhin das Baby amüsiert quietschte.
„Danke, das höre ich ohnehin ständig.“ Sie winkte ab. „Aber wie dem auch sei. Es tut mir schrecklich leid, dass ich mich nicht gemeldet habe. Mein Mann hat versehentlich irgendetwas über deine Serviette verschüttet. Wir haben zwar ein paar Zahlen retten können, doch... Nun ja. Sagen wir, wir mussten beten, dass du noch mal vorbei kommst.“
Schmunzelnd streckte ich ihr meine Hand hin. „Gib mir dein Handy.“
Willig entsperrte sie es und ging in das Menü, um einen neuen Kontakt zu speichern. „Danke dir. Jetzt kann es kein Alkohol der Welt mehr löschen.“ Witzelte sie.
„Lass das bloß nicht das Weinfass hören.“ Gab ich zurück.
„Stimmt, diesen Rat werde ich wohl auch beherzigen müssen.“
Sam sah ich aus dem Augenwinkel, gelangweilt mit den Bierdeckeln spielen. Anscheinend versuchte er, ein Kartenhaus zu bauen. Wie er das mit runden Deckeln allerdings hinbekommen wollte, war mir schleierhaft. Wenigstens beschäftigte ihn das eine Weile.
„Sehr gut, mein Rat ist nämlich im Normalfall nicht kostenlos!“ Mahnte ich noch. „Also musst du mich schon einstellen, um mehr von meiner Weisheit zu erhalten.“
Die Mutter lächelte mir schmunzelnd zu. „Dann würde ich das liebend gern sogar heute Abend machen, falls du Zeit hast. Eigentlich dachte ich, dass es einfacher wäre, solange mein Baby schläft, dass ich zumindest mitten in der Nacht aushelfen kann, aber scheinbar will er keinen richtigen Schlafrhythmus finden.“
Ich bedauerte die Arme. Aber selbst schuld, wenn sie unbedingt ein Kind wollte, musste sie da jetzt durch. Zum Glück würde ich frühestens in sechzig Jahren so ein Problem haben. Falls überhaupt.
„Klar, ich habe Zeit.“
Sam räusperte sich. „Ähm, Sam solltest du nicht vorher...“
„Meine Familie wird es verkraften, wenn ich einmal einen Abend nicht zuhause esse. Außerdem muss ich morgen nicht in die Schule.“
„Musst du nicht?“ Fragte Sarah verwirrt.
„Nein, ich hatte am Heimweg, vergangenen Samstag, einen kleinen Unfall und habe mir meinen Knöchel irgendwie blöd vertreten. Deshalb bin ich die ganze Woche frei gestellt.“ Ich hüpfte ein wenig auf und ab. „Aber wie du siehst, ist es halb so schlimm gewesen.“
„Bist du sicher? Ich will nicht, dass du noch länger zuhause bleiben musst, nur weil du dich übernimmst.“ Hörte ich da etwa einen bemutternden Unterton heraus? Ich ließ es Sarah durchgehen, aber nur, weil sie ihre Hormone noch nicht in den Griff bekommen hatte!
„Ganz im Gegenteil. Von dem vielen Liegen, bin ich voller Energie. Von mir aus, kann es sofort losgehen.“
Sarah sah sichtlich nicht zufrieden aus, doch respektierte, dass ich meine Grenzen selbst kannte. Oder vielleicht hoffte sie bloß, dass es zu keinem Arbeitsunfall kommen würde und ich sie verklage, jedenfalls, stimmte Sarah zu.
„Gut, dann zeige ich dir mal die Umkleide. Es ist eigentlich mein Büroteil, aber es muss reichen.“
Wir machten uns danach aus, dass ich um halb acht wieder hier sein solle, da dann der Hauptbetrieb losging. Sam und ich, verzogen uns, zu einem kleinen Lokal, welches er mir empfahl. Ein kleiner Italiener, bei welchem ich mich vollstopfte, bis ich halb platzt. Dafür war das Essen aber auch einfach zu lecker gewesen. Ich weiß, nicht wie der Koch es hinbekam, doch die Pizza hier schmeckte so gut, ich wollte am liebsten direkt hier einziehen.
„Also, was machen wir noch? Du hast noch eine Stunde, ehe deine Schicht beginnt.“ Fragte Sam erwartungsvoll.
Ich grunzte amüsiert. Er hatte eine ganze Pizza, regelrecht verschlungen... Und dann wollte er noch etwas unternehmen? „Ach, mir reicht es, wenn ich hier herum kullere. Wann musst du überhaupt zuhause sein?“
Sam winkte ab. „Ist egal. Da ich für Logan auf seine kleine Schwester aufpasse, habe ich keinen Zeitdruck.“
Okay, jetzt fühlte ich mich doch ein wenig angegriffen, auch wenn ich wusste, dass er es nur gut meinte. „Sam... Ich bin beinahe achtzehn!“ Erinnerte ich ihn etwas strenger. „Wenn, dann bin ich hier der Babysitter.“
„Wer redet denn vom Babysitten?“ Sam lachte. „Ich meinte doch bloß, dass ich dir beistehe, um die Zeit zu überbrücken oder dich zu bespaßen.“ Sam nahm den Salzstreuer, so wie den Pfeffer und begann plötzlich damit zu jonglieren. Überrascht lachte ich auf. „Siehst du, ich mache dir sogar den Clown.“
Kopfschüttelnd lehnte ich mich wieder vor und atmete tief durch. „Zugegeben, das war sehr beeindruckend, Kleiner. Aber du kannst auch nicht die ganze Nacht an der Bar hocken und warten, dass meine Schicht um ist. Hast du zuhause nicht noch irgendetwas zum Tun? Hausübung zum Beispiel?“ Sein Gesicht wurde verkniffener und er stellte die Streuer wieder zurück. „Na siehst du. Geh lieber heim. Ich bin ohnehin zu voll gefressen, um mich in der nächsten Stunde auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Danach habe ich keine Zeit für dich, wenn ich hinter dem Tresen stehe. So etwas kann echt stressig sein, auch wenn das hier keine besonders große Stadt ist, weißt du.“
Sam schnaubte. „Na gut. Du hast ja recht. Aber ruf wenigstens Logan an, damit er Bescheid weiß.“
Ich nickte. Das hatte ich ohnehin noch vor gehabt. „Mache ich, sobald du aus der Türe bist, damit er weiß, dass du von deiner Schicht befreit wurdest.“
Sam lachte, dann winkte er dem Kellner, um zu bezahlen.
„Na gut, dann sehen wir uns spätestens Samstag beim Grillabend, richtig?“
Ich nickte. „Genau. Insofern ich bis dahin nicht wieder etwas angestellt habe.“
Grinsend machte sich Sam auf den Heimweg. Sobald er das Lokal verlassen hatte, zückte ich mein Handy und rief, wie versprochen, Logan an.
„Hi, Rissa. Wann kommst du heim?“
„Gegen Mitternacht.“ Entgegnete ich sofort, was mit eisernem Schweigen gestraft wurde. „Grummel nicht so. Ich meine das ernst. Dank Sam habe ich eine Bar gefunden, die händeringend jemanden sucht. Ich springe heute Abend für eine Kollegin ein und bleibe voraussichtlich erst mal bis Mitternacht.“
„Rissa, ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht will, dass du hinter einer verdammten Bar arbeitest.“
Ich lachte. „Oh, Brüderchen. Ich frage hier ganz bestimmt nicht um Erlaubnis. Das ist jetzt mein Job. Leb damit, oder lass es. Mir egal. Ach, ja, bevor du überhaupt darüber nachdenkst. Ich habe Samuel´s Handy. Du kannst es vergessen, ihn anzurufen und dich zu erkundigen, wo ich arbeite. Schlaf schön.“ Damit legte ich auf und kramte auch das Handy von Sam unter meinem Hintern hervor. Als er auf die Toilette gegangen war, hatte ich es ihm aus der Jackentasche stibitzt. Dass dieser Idiot nie auf sein Handy schaute, kam mir damit sehr entgegen.
Sobald ich mich angezogen hatte, ging ich zum Kassierer und reichte ihm das Handy von Sam. „Entschuldigen Sie, das hat jemand liegen gelassen.“
„Vielen Dank, ich werde es aufbewahren.“
Hinterhältig lächelnd, verließ ich das Lokal und machte mich auf den Weg, zu dem einzigen Buchladen hier in der Stadt.
Ich wusste nicht genau, was es war, doch meine innere Unruhe ließ mich schon halb im Dreieck springen. Vielleicht lag es auch einfach an der großen Erwartung an den Job, den ich lieber machen wollte, als alles andere auf der Welt?
Jedenfalls drängte es mich zurück zu diesem Buchladen. Claudine´s stand in schlierenartigen Buchstaben auf dem großen Schaufenster. Sie stellten dort Wanderwegratgeber aus, historische Geschichten über den Ort und eigentlich alles, was mit Lykwood in Verbindung gebracht werden konnte.
Einen Moment stand ich seltsam nervös geworden, vor dem Schaufenster und fragte mich ehrlich, was ich hier tat. Heute Vormittag war mir das alles noch so viel leichter gefallen. Ich war hier hinein gekommen, um... Ja, wozu noch mal genau? Logan hatte ich gesteckt, dass ich für Adam ein Buch hatte holen wollen, doch das gab es hier angeblich nicht. Und diese blöde Ausrede, von wegen ich wolle mich für einen Job hier bewerben. Ja, Neo Nightengale hatte mich zwar angerufen um mir davon zu erzählen, Gott allein wusste, woher dieser alte Mann überhaupt meine Nummer hatte, doch das Letzte was ich war, ist ein Bücherfan. Alles, was ich wissen wollte, fand ich wesentlich schneller, und vor allem kostenlos, im Internet. Wozu es diese Papierverschwendung überhaupt noch gab, war mir ohnehin ein Rätsel.
Die Türglocke bimmelte neben mir und schreckte mich aus meinen Gedanken. Ich hielt der älteren Dame, mit einem höflichen Lächeln, die Türe auf und trat anschließend selbst ein.
Kaum war die Türe hinter mir geschlossen, schoss der dunkle Haarschopf, welcher, höchst konzentriert über einem Buch gehangen hatte, hoch und fixierte mich mit einem untypisch dunklen Blick. Zumindest für den Fakt, dass seine Augenfarbe sehr hell war.
„Was verschafft mir erneut das Vergnügen?“ Fragte Jared sarkastisch und sah sich nach Kundschaft um. Offensichtlich hoffte er auf irgendeine Art an Rettung.
Wortlos kam ich näher, um den Verkaufstresen herum und stellte mich, an das Holz gelehnt, direkt vor den Nightengale. „Ich bin hier, weil ich Antworten erwarte.“
Jared deutete sarkastisch auf die vielen tausend Bücher um ihn herum. „Du hast die Qual der Auswahl, Hallingway.“
Ich verkniff mir ein amüsiertes Lächeln. Er wusste, dass ich nicht wegen seiner blöden Bücher hier war, aber okay. Ich spielte mit. „Na gut, Nightengale. Dann verrate mir mal, welches Buch du mir für narzisstische Brüder empfehlen würdest, die einem Familienmitglied das halbe Gesicht brechen.“
Für einen Moment schwieg Jared. Was in seinem Kopf vor sich ging, konnte ich bloß erahnen, doch als er antwortete, hätte ich beinahe laut losgelacht. „Dann würde ich sagen, einen Ratgeber über narzisstische Verwandte, so wie ein Gesetzbuch über Strafrechte.“
Nun konnte ich mir ein Schmunzeln wirklich nicht mehr verkneifen. Ob Sam etwa recht besaß? Bisher hatte ich noch nie großartig etwas für jemanden empfunden. Klar gab es da Mädchen in meinem Alter, die, wenn sie ungerecht behandelt wurden, ich beschützte. Natürlich nahm mich der Anblick eines Babys sofort in den Bann, immerhin bin ich nicht aus Eis. Aber so etwas wie Liebe... Ich weiß ja nicht... Ich konnte bisher nicht behaupten, je jemanden getroffen zu haben, mit dem ich mir mehr vorstellen hätte können, abgesehen von gutem Sex.
Ehe ich mich versah, ließ ich meine Hand wieder auf seiner Wange ruhen und streichelte sanft über die bunte Färbung. Hätte er die Haare offen, konnte er sie etwas überdecken, doch Jared trug sie stets, sehr ordentlich zu einem Zopf im Nacken gebunden. Wie er wohl aussah, wenn er sie offen trug? Sicher wie ein richtiger Badboy. Sehr sexy! „Wieso zeigst du dafür nicht meinen Bruder an? Und komm mir nicht mit der Ausrede, dass er Familie ist. Ihr hasst euch.“
„Hass ist ein zu intensives Wort.“ Korrigierte mich Jared und fing zischend meine Hand ab, als meine Berührung zu weit hoch geglitten war. „Außerdem habe ich sie verdient. Ich habe einfach übertrieben, im Eifer des Gefechts und hätte mich vielleicht fügen sollen.“
Mir wäre beinahe ein ärgerliches Knurren entwichen. Wie kam Jared bloß auf einen solch dummen Gedanken? „Und ihn weiter auf dir herum haken? Du bist ein Nightengale. Ich bezweifle, dass euch jemals irgendetwas dazu treiben könnte, dass ihr euch einfach wie brave Jünger fügt.“ Ich spürte, wie etwas elektrisch über meine Körper schoss. Adrenalin schoss durch meine Venen und mein Puls beschleunigte sich wieder. „Du bist besser, als solche Leute.“
Jared´s Blick war bisher kein einziges Mal von meinem Gesicht gewichen. Nicht so wie heute Morgen, als er mich von oben bis unten gemustert hatte. Das hatte mir seltsam gefallen, auch wenn ich es mit meinem Outfit eigentlich überhaupt nicht hatte provozieren wollen. Mittlerweile verfluchte ich mich selbst dafür, dass ich mich tatsächlich umgezogen hatte, doch anders hätte Logan ohnehin wieder nur einen Aufstand gemacht.
„Was willst hier Marissa? Wenn du versuchst, meine Familie bloß noch mehr gegen deine aufzustacheln, dann gib dir keine Mühe. Das schafft dein Bruder ganz gut alleine.“
Meine Familie. Seine Familie... Mich interessierte das kein Stück. Ich war nur wegen ihm her gekommen, um etwas für mich zu klären. Ich hatte noch eine dreiviertel Stunde, was mehr als ausreichend Zeit war, für schnellen und guten Sex, um danach artig und gesittet bei der Arbeit zu erscheinen.
Da Jared noch immer mein Handgelenk hielt, musste ich die andere Hand ebenfalls heben, um seine lose Krawatte zu packen und mich näher an ihn heran zu ziehen, denn dieser Kerl gab keinen Millimeter nach. „Ich bin bloß hier, um mich zu entschuldigen. Auf die Netteste... Weise, die du dir nur vorstellen kannst.“ Hauchte ich sanft und küsste Jared auf den Mund. Es war kein sanfter Kuss, sondern fordernd und grob. Für einen Moment dachte ich sogar... nein, ich erwartete sogar, dass er mich von sich stieß und mir zum wiederholten mal sagt, dass er nur auf Männer stand. Dass ich ihn in Ruhe lassen sollte, weil ich eine Hallingway war.
Was er aber tat, war so viel besser! Erst bewegte er sich überhaupt nicht, als wolle er nicht auf den Kuss eingehen, doch dann öffnete er einfach den Mund. Keuchend folgte ich der stummen Aufforderung, tauchte ein in seinen geschmackvollen, warmen Mund und stieß auf eine geschickte Zunge. Jared berührte mich nicht, bis auf mein Handgelenk, doch alleine sein Kuss reichte aus, um mich an Ort und Stelle gefangen zu halten. Er stöhnte, ließ sich in meine fordernde und leidenschaftliche Berührung fallen, während ich meine Brüste, so wie Taille an seinem starren Körper hochschob.
Für einen Moment bildete ich mir sogar eine Art... Knurren ein. Es war so animalisch und wild, dass mir glatt ein Blitz zwischen die Beine fuhr.
Leider erhielt ich keine weitere Chance, diesem störrischen Nightengale den Kopf endgültig zu verdrehen, da brach er einfach ab und zog sich von mir zurück.
„Verdammtes...“ Ich erfuhr nicht, als was er mich bezeichnen wollte, denn Jared wandte hastig den Blick ab und schien sich erst mal fangen zu müssen, ehe er noch ein weiteres Wort hervorbrachte.
Geduldig und außer Atem, wartete ich darauf, wie er sich nun wieder heraus reden würde. Ich hatte es nämlich dieses Mal wieder gespürt. Die reine Männlichkeit, die über meinen Schenkel gestrichen hatte, die Begierde in seinem Kuss. Ich schmeckte Jared sogar jetzt noch in meinem Mund, wie wirklich guten Alkohol. Vollmundig und hart. Dieser dumme Mann hatte ja keine Ahnung, was er mit meiner Libido machte.
Räuspernd blieb Jared von mir abgewandt. „Geh jetzt bitte, Marissa. Verlass meinen Laden.“
„Aber ich habe noch eine dreiviertel Stunde, bis meine Schicht beginnt. Ich bin mir sicher, dass du mir die Langeweile sehr, sehr...“ Ich trat an seinen Rücken heran und streichelte mit beiden Händen darüber. „...überzeugend vertreiben kannst.“
Jared fuhr wütend herum. „Hörst du schlecht, oder bist du so ein bescheuertes Blondchen, dass kein Nein verstehen kann? Verpiss dich aus meinem Laden und lass dich nicht wieder irgendwo in meiner Nähe sehen. Verstanden?“
Wow. Ich konnte kaum beschreiben, wie hart mich seine Worte trafen. Es war, als ob sich mir irgendetwas auf die Brust legte und mir die Luft heraus drückte.
„Sag bloß, das ist jetzt wieder so ein Nightengale-Hallingway-Streit-Ding? Denn ganz ehrlich, auf das Scheiße ich. Es ist mir egal was du und mein Bruder gegenander haben, denn wie ich finde, kannst du kaum abstreiten, dass du mich heiß findest.“
Er verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und bedeckte dadurch, mit seinem Sakko den Bereich, der sich gerade eben besonders deutlich an seiner Hose abzeichnete. „Ist mir egal, wie dich mein Schwanz findet. Wenn das alles ist, was du an Zungenarbeit zu bieten hast, dann erinnert mich das bloß wieder daran, weshalb ich Männer bevorzuge. Die wissen wenigstens, was sie tun.“
Ich konnte nicht anders, als verärgert das Gesicht zu verziehen. Jared log so schlecht... Ich wusste ganz genau, dass er mich nicht wegen meiner Erfahrung abwies. Es war nichts Persönliches, sondern ging einmal mehr rein um meinen dummen Familiennamen.
Mit ausgestrecktem Zeigefinger stupste ich diesem Ignoranten gegen die Brust. „Weißt du, du und mein Bruder haben einander wirklich verdient. Ihr seid beide eingebildet, arrogant und abgehoben. Kein Wunder, dass ihr euch hasst. Dann werde ich mir eben einen Nightengale schnappen, der sehr wohl meine Vorzüge zum Schätzen weiß.“
Ich sah Jared buchstäblich kalkweiß im Gesicht werden. „Halte dich von meinem Vater fern. Er ist gefährlich und verfolgt nur seinen eigenen Zweck, wenn er sich auf dich einlässt.“
Ich ging rückwärts, zurück zum Ausgang. „Oh, ich stehe auf Badboy. Das ist so sexy.“
„Marissa, ich meine es ernst! Lass dich nicht auf ihn ein.“
„Oder was?“ Rief ich über die Schulter zurück, als ich die Türe aufstieß und aus dem Laden trat. Ignoranter, nichtsahnender Vollidiot! Ich hatte doch seine körperliche Reaktion auf meinen Kuss gespürt. Und gesehen! Das bildete ich mir doch nicht ein und bloß wegen so einem Scheiß Familiending, wollte er nicht mit mir ins Bett? Zudem beleidigte er mich dreist, was mir tierisch gegen den Strich ging, verdammt noch mal. Hatte dieser Scheißkerl denn kein bisschen Respekt?
Jedenfalls, scheiß auf ihn. Ich hatte genug davon, um ihn herumzuschwirren. Natürlich würde ich es wieder tun, sobald mein Bruder in der Nähe war, oder irgendjemand anderes, dem ich damit auf die Nerven fallen konnte, doch bis dahin würden mich keine zehn Pferde mehr in Jared´s Nähe bringen. Soll er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Auf mein Mitleid würde er nun auch verzichten können. Genauso, wie auf meine Erfahrung. Er hatte ja ohnehin keine Ahnung, was ihm da entging. Blöder Vollidiot...

 

- - - - -

 

Mich von Jared fernzuhalten, war so ziemlich das einfachste auf der gesamten Welt. Logan war natürlich, wie zu erwarten, mächtig angepisst. Er hatte nicht nur raus gefunden, wo ich arbeite, sondern auch, dass ich ein zweites Mal in der Buchhandlung gewesen war. Wie ging das überhaupt? Hatte er mich gestalkt, oder so etwas? Oder stalken lassen...
Während Vanja, recht verzweifelt versuchte Friede zu stiften, ging ich hingegen zum äußersten und kehrte Logan den Rücken. Wortwörtlich, denn als ich von der Schicht ausgehabt hatte, hatte Logan bereits vor der Eingangstüre gewartet, mich wortlos in den Wagen gesteckt und dann nicht mehr aufgehört zu schimpfen, bis ich einfach auf mein Zimmer gegangen war.
Also wirklich. Logan benahm sich, als wäre ich seine dreizehnjährige Tochter. Und das nicht nur, weil ich mir diesen Blödsinn bereits mit dreizehn von meiner Mutter hatte anhören dürfen... Nein, natürlich nicht.
Die ausgelutschten, uralten Attitüden über Frauen in dunklen Gassen, gemienen Männern, die an jeder Ecke lauerten, so wie verrückten Psychopathen denen man versehentlich über den Weg laufen könnte. Gangs, verwilderte Tiere mit Tollwut und etlichem mehr.
Wenn ich nur daran dachte, wie viele Leute am Tag bei einem Unfall starben, dann durfte man, rein von der Logik her, ja überhaupt nicht mehr hinaus gehen.
Für mich war das alles ausgemachter Quatsch. Ich wollte leben und einfach bloß ich sein. Wenn Logan das nicht akzeptierte, würde ich es ihm einfach machen und genauso abhauen, wie ich es für Mom getan hatte.
Er war vielleicht stark genug, um meine Launen zu ertragen, doch meine Mutter war es nie gewesen. Sie war viel zu sensibel und nahm sich Dinge sofort zu Herzen, ungefähr so wie Vanja. Was konnte ich schon dafür, wenn die es falsch verstanden, oder einfach überhörten, was ich sagte? Ich bin auch nur ein Mensch. Ich brauche meine Freiheiten, sonst würde ich verrückt werden.
So tigerte ich in meinem Zimmer auf und ab. Es war zum haareraufen. Dieses Zimmer. Mein Bedürfnis nach Ruhe. Diesem einen Ort, den ich zuhause hatte nennen dürfen...
Wieso durfte ich das nicht zurückhaben? Was war daraus geworden? Hatte Logan wirklich alles bloß in einem Container untergestellt? Oder war es längst am Altmüll gelandet?
Ich verstand ihn nicht. Jared... Ich verstand aber auch Logan nicht, oder wie Vanja bloß andauernd so ruhig blieb. Das ist... Das ist doch nicht normal! Die sind nicht normal!
Schreiend ging ich zu Boden und hielt meinen Kopf.
Wieso sind sie so? Was stimmt mit ihnen nicht? Ich fühle es. Ich kann es... Ich kann es ganz genau spüren, dass sie etwas vor mir verheimlichen. Dass sie nicht wollten, dass ich etwas wusste. Nur worüber? Über meine Sachen? Die Wohnung meiner Mutter? Oder gar meiner Eigenen?
Was stimmt nur nicht? Was ist es?
„Marissa?“ Offensichtlich hatte schon häufiger versucht, eine Stimme meine Aufmerksamkeit zu erregen, doch dieses Mal drang die Stimme zu mir hindurch.
Das war ein Fehler...

Logan versagt auf voller Linie...

Fluchend schlug ich mit der flachen Hand auf die Selbstverriegelung. Mit einem, beinahe lautlosen, Piepton aktivierte sich ein Mechanimus, welcher massive Gitter vor den Fenstern hinunter gehen ließ und eine Stahlplatte unmittelbar vor der Zimmertüre, welche ich auswählte.

„Logan!“ Rief Vanja schockiert aus, mit unserem gemeinsamen Sohn auf dem Arm, nur um unmittelbar nach einem Aufprall, welcher gegen die gesicherte Türe folgte, zusammen zu zucken. „Logan, was ist hier los?“ Nun war ihre Stimme wesentlich besorgter.
„I-ich...“ Keuchend fasste ich mir an die blutige Schnittverletzung.
„Oh nein!“ Vanja stellte unseren Sohn ab, dann kam sie auf mich zu und hob mein Shirt an, welches ohnehin in Fetzen hing.
„Nicht. Ist schon gut, es heilt bereits.“
„Papa...“ Adam sah aus, als würde er jeden Moment platzen, deshalb wandte ich mich ab.
„Schon gut, Spatz. Papa hat bloß Ketchup verschüttet.“ Schwor Vanja. „Aber jetzt muss ich dich kurz in dein Zimmer bringen. Baust du mir dort etwas Schönes mit deinen Legosteinen, bis ich Papa´s Shirt gewaschen habe?“
Immer noch mit Tränen in den Augen, nickte mein tapferer kleiner Sohn.
„Sehr gut. Ich hab dich lieb und bin sofort wieder bei dir.“ Erneut nickte er, dann ging er hinein in sein Zimmer, wobei Vanja das Schloss, welches wir außen angefügt hatten, versuchte so lautlos wie möglich zuzuziehen.
„So, was ist passiert?“ Augenblicklich stand meine Gefährtin wieder vor mir und begutachtete den Schaden mit Argusaugen. „Das ist schlimm. Wir sollten Lilly anrufen.“
„Nein!“ Entgegnete ich mit einem Knurren.
„Nein? Wieso denn?“ Ihr Blick glitt überrascht zu der verschlossenen Türe, an welche erneut etwas polterte. „Es war Marissa, oder?“ Dann fixierte sie mich mit gerunzelter Stirn. „Aber wie?“
Ich schüttelte unwissend den Kopf. „I-Ich weiß es nicht. Irgendetwas stimmt nicht mit ihr.“
Vanja trat noch näher und begutachtete den Schaden auf meiner Brust genauer. Wir beide wussten, dass eine Verwandlung reichen würde, damit die Wunde sofort verschwand, doch das machte sie nicht weniger schrecklich. „Was meinst du mit >irgendetwas<? Wie hat sie das gemacht, Logan?“
Ich schluckte schwer und rekonstruierte, was geschehen war, seit ich diesen markerschütternden Schrei gehört hatte. Ich hatte mich unten im Büro befunden, war praktisch durch die verschlossene Türe gelaufen, bloß um meiner Schwester zu Hilfe zu kommen, welche so schrecklich geschrien hatte. Auf meinem Weg nahm ich lediglich Vanja wahr, welche erschrocken an die Decke starrte, während Adam sein Spielzeug erschrocken fallen ließ. Sonst war da niemand gewesen. Keine fremden Gerüche, keine Personen, die hier nichts zu suchen hatten. Bloß diese... diese intensive Note. Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, ein Löwe hätte im oberen Stockwerk sein Revier markiert, doch die einzige welche ich oben vorfand, war Marissa gewesen.
Sie kniete vor ihrem Bett, hielt sich den Kopf und murmelte irgendetwas vor sich hin. Für einen Moment hatte ich mir eingebildet, sie wäre besessen, was aber auch gut an meiner Vorliebe für Horrorfilme liegen könnte. Natürlich war das absurd, doch dass meine Schwester etwas gehabt hatte, war nur zu offensichtlich gewesen.
„Es war, als würde etwas... Ich weiß nicht, wie ich es formulieren soll... Ehrlich nicht.“ Vanja keuchte erschrocken auf, als ein dritter, dumpfer Schlag gegen die Türe erklang, bloß um daraufhin von einem qualvollen Heulen verfolgt zu werden.
„Was ist mit ihr, Logan?“
Auch wenn meine Hand blutig war, nahm ich darauf keine Rücksicht. Ich streichelte meiner Gefährtin sanft über den Rücken, was sie ihrerseits augenblicklich meine Fleischwunde vergessen ließ. Zischend schob ich sie, sanft, von mir fort. „Entschuldige bitte!“
„Schon gut. Am besten wäre es, wir... wir lassen Marissa erst mal sich beruhigen. Ich habe sämtliche Fenster verriegelt und das Tor ist herunten. Sie kann nicht raus.“
Als hätte sie es gehört, erbebte die Türe ein viertes Mal. „Logan...“
„Hör mir zu, Vanja.“ Sanft nahm ich das Gesicht meiner Frau in die Hände. „Pack ein paar Sachen für Adam zusammen und für dich selbst, ja?“
Sie schüttelte den Kopf energisch.
„Doch, Liebling. Geh zu den Silvermoore. Schlaf bei ihnen und morgen früh, komme ich dich als aller Erstes holen, gut?“
Erneut schüttelte sie den Kopf. „Bitte, Baby tu das für mich. Ich muss wissen, dass ihr sicher seit, sonst schaffe ich das hier nicht.“
Vanja hörte auf den Kopf zu schütteln, dann küsste ich ihre Stirn. „Los, aber wasch dich vorher.“
Mein Blick glitt zurück zu dem zweibeinigen Ding, welches ich gerade eben noch, auf der anderen Seite dieser Stahltüre gesehen hatte. Wie sollte ich das nur meiner Gefährtin erklären, ohne sie verrückt zu machen?
Ich bin mir ja noch nicht einmal sicher, ob mich meine Augen im Zwielicht nicht getäuscht hatten. Ja, mein Blick war perfekt in der Nacht, doch... Auch Wolfsaugen konnten sich einmal irren, nicht?

 

- - - - - 

 

„Schatz, wir fahren jetzt.“
Ich küsste meinen schlafenden Sohn, sanft auf den Hinterkopf, dann meine Gefährtin lang und innig. „Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch. Pass auf dich auf.“
„Ich habe ja auch jeden Grund dazu, nicht wahr?“
Ihr lächeln war schwach und nicht aufrichtig, doch Vanja bemühte sich, für mich stark zu wirken. Das war meine Gefährtin! Die Frau die ich lieben gelernt hatte und auf deren Urteil ich vertraute.
„Jetzt fahr schon.“
„Willst du nicht lieber doch jemanden aus dem Rudel dazu holen?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Das ist eine Alphaangelegenheit.“
Sie sagte nichts dazu, doch nickte, ehe sie in meinen Wagen einstieg und gekonnt aus der Garage ausparkte, um durch den dunklen Wald, den Weg zu den, bereits vorgewarnten Silvermoore´s zu fahren, den sie selbst unter den schlimmsten Bedingungen zu jeder Zeit finden konnte.
„Dann gehen wir es mal an.“ Seufzte ich, ehe ich mein Handy zückte, die Eins wählte und schweren Schrittens zurück, hoch in den ersten Stock ging.
„Hi, Mal. Ich bin es noch einmal. Irgendetwas stimmt nicht mit Marissa.“
„Ist sie dir schon abgehauen?“ Witzelte mein Vater sarkastisch.
„Nein, es geht um ihr Erwachen. Sie tut es jetzt. Und ich weiß nicht, ob das gut für sie ausgeht. Du weißt, was mit jenen passiert, die zu früh dran waren.“
Mein Vater schwieg. Eine Eigenheit, die er bloß annahm, wenn er angestrengt über etwas nachdachte, so selten wie das auch vorkam.
„Ich war vor zirka, einer halben Stunde oben in ihrem Zimmer. Sie war in so etwas, wie einer Zwischenverwandlung. Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, sie war... ein Löwe, oder so etwas. Mit dichter Mähne am Kopf, goldenen Augen, dem Raubtiergebiss und lange Klauen.“
So urplötzlich, dass ich gar auf der Treppe ins Stolpern geriet, begann mein Vater zu lachen. Laut und überaus amüsiert kugelte sich mein Vater geradezu hörbar über sein Bett, ehe er zu nuscheln begann und ich erkennen musste, dass er schon wieder rauchte.
„Oh, Logan... Mein armer, nichtwissender Sohn. Jetzt bist du... wie alt? Fünfundzwanzig?“
„Siebenundzwanzig.“ Korrigierte ich knurrend, da er mich schon wieder verarschte, dieser alte Sack.
„Ja, genau! Und verheiratet noch dazu, trotzdem hast du so wenig Ahnung von Frauen?“ Fragte er ironisch, während ihm mein ärgerliches Knurren zur Antwort reichte. „Logan, deine Schwester ist voller Hormone, da sie ein Teenager ist. Ihre Wölfin ist genauso auf Hormone und da ich dich gut genug kenne um zu wissen, dass du die arme nicht einmal in die Nähe eines Mannes gelassen hast, wird sie sehr, sehr frustriert sein. Teenager, plus Frustration, mal erwachendes Wolfsgen? Rechne es dir selbst aus.“
Ich grunzte. „Was redest du da für einen Scheiß? Das ist deine gottverdammte, minderjährige Tochter, kein Flittchen aus irgendeiner Bar.“
„Junge, erinnerst du dich noch, wie du gepoppt hast, während deinen letzten Wochen, als normaler Teenager?“
Also darüber würde ich ganz bestimmt nicht mit meinem Vater sprechen!
„Mal!“
„Stell dich nicht dümmer, als du bist und sei froh dass, was auch immer geschehen ist, unter deiner Aufsicht stattfand. Lass das Mädchen einfach ihr Leben leben. Solange bis sie ihre Verwandlung überbrückt hat, dann legt sich das sofort.“
„Himmel, der Blitz möge dich irgendwann einmal treffen!“ Fluchte ich halblaut. Natürlich hörte er es. „Du kannst mir doch nicht erzählen, dass das normal war. Sie hat mir den halben Brustkorb aufgerissen!“
Mal begann zu husten, da er sich am Rauch vor Lachen verschluckte. „Also ich sag dir nur noch eines. Als meine Verwandlung vor der Türe stand, habe ich drei Menschen getötet in einem dieser Anfälle. Natürlich hat das Rudel das für mich geregelt. Darum habe ich dir und deinem Penis freie Hand gelassen. Deine Instinkte wussten immer, was sie brauchten, dich musste niemand an der Leine erst ausführen. Lass meiner Mimi auch diese Freiheit.“ Damit legte dieser Dreckssack einfach auf. Was fiel ihm ein so etwas über seine eigenen Kinder zu sagen? Der Mann ist doch nicht normal!
Ernsthaft... Manche Männer waren als Elternteile eine wandelnde Abschreckung!
Kopfschüttelnd ging ich auf die massive Türe zu, welche ich versiegelt hatte, überprüfte die Einstellungen an meinem Tablet, dann entriegelte ich das... Nun ja, das, was vom Zimmer übrig war.
„Scheiße...“ Murrte eine Stimme, irgendwo aus den Kissen und pustete ein paar Federn aus. „Hab ich eine Taube erlegt?“
Kopfschüttelnd verfluchte ich den Familiennamen Hallingway. Allmählich verstand ich wirklich, wieso die Nightengale uns für nicht ganz richtig im Kopf hielten...

Jared ist nicht mehr Herr seiner Sinne...

„Ach du meine Güte! Raus hier! Aber sofort, oder ich spritze dich mit dem Schlauch ab!“ Mahnte mich Tatiana, als ich auf allen vieren, über einen Seiteneingang versuchte mich hinein zu schleichen. Ertappt blieb ich stehen und knurrte sie an. Wehe sie wagte es! Meiner ältesten Schwester war, mit Verlaub, so gut wie alles zuzutrauen, was sie androhte.
„Du brauchst mich gar nicht erst anknurren! Solange deine dreckigen Pfoten die wertvollen Teppiche für immer ruinieren, sperre ich dich lieber, dein ganzes Leben lang in einen Hundezwinger. Hast du mich verstanden?“
Grunzend machte ich kehrt, schüttelte mein schwarzes, vollkommen verklebtes Fell auf und ergriff hastig die Flucht, als ich eine Morddrohung in meinem Rücken vernahm.
Lachend lief ich um das Haus herum, zum nächstgelegenen Eingang zu meinen Räumlichkeiten, quetschte mich in die Geheimgänge, welche man lediglich als Wolf passieren konnte und kam hinter einer Kommode, direkt in meinem Zimmer wieder heraus. Noch ehe sich der Geheimgang verdeckt hatte, stand ich auf beiden Beinen und betrachtete den Matsch, die getrockneten Blätter, so wie Tannenzweige auf meinem gesamten Körper.
Vorsorglich schnupperte ich an mir. Nein, auch mein Moorbad hatte absolut nichts geholfen!
Stöhnend schob ich den Riegel vor, damit meine gemeine, ältere Schwester, so erwachsen sie sich auch gab, nicht herein kommen konnte, um mir eine Tracht Prügel zu verpassen. Danach sperrte ich auch meine Zimmertüre ab und verzog mich in mein anschließendes Badazimmer. Das Herrenhaus war so riesig, da waren die Schlafzimmer alle mit eigenen Badezimmern ausgestattet, so wie einer ansehnlichen Garderobe.
Ich wusch mich, machte mich bettfertig und starrte anschließend hoch, zu der altmodischen, dunklen Satindecke, welche über mein Himmelbett, bereits seit Jahren, gespannt war. Wann hatte ich das eigentlich das letzte Mal gewechselt?
Ruckartig saß ich wieder aufrecht und rieb meine Schläfen. Es pochte unangenehm, doch dank der Verwandlung, war die Verletzung, welche mir Logan zugefügt hatte, bereits wieder verschwunden. Wieso also pochte mein Schädel noch so? Vielleicht an den vielen Verdrängungen, mit denen ich mich in letzter Zeit auseinandersetzen musste?
Nicht nur das Marissa, wohl gemerkt gleich zweimal, in meinem Buchladen aufgetaucht ist und mich beim letzten Besuch sogar versuchte, zu verführen, nein. Ich kam nach Hause, sah einen Koffer im Flur stehen und machte direkt wieder kehrt. Wenn ein Koffer hier irgendwo herum stand, dann konnte dies bloß einem im Haus gehören.
„Ah! Jared, da bist du ja endlich. Ich muss ganz dringend nach Japan, irgendetwas stimmt nicht in meinem Hotel.“
Mir fiel ein Stein vom Herzen. „Oh, das tut mir leid, Vater. Wie lange wirst du weg sein?“
„Höchstens eine Woche... Oder zwei? Ich weiß es noch nicht.“ Er er seufzte genervt. „Jedefalls, du kennst dich aus? Ich habe dir sämtliche Verfügungen auf meinen Schreibtisch gelegt.“
Ich nickte. „Natürlich, Vater.“
„Sehr gut, dann pass mir auf meine Mädchen auf.“
„Papa? Wohin verreist du denn?“ Es war meine dreiundzwanzigjährige Schwester Iris, welche, bereits im Schlafkleid, mit einem Glas Milch in der Hand, durch die stillen Flure wanderte.
„Nach Japan. Ich bin aber bald zurück, Liebes.“ Sanft küsste Neo Nightengale seine jüngste Tochter, seiner ersten Frau auf die Stirn und drückte sie für einen vertrauten Moment an sich.
Ich fragte mich, ob er das überhaupt je bei mir gemacht hatte? Erinnern konnte ich mich an keinen Moment, aber das war mir auch gleich. Ich war bereits zu alt, um eifersüchtig zu sein.
„Ich habe dich lieb. Sei brav, ja?“
Sie nickte stolz und blickte mit ihren tiefblauen Augen, hoch zu den alten, bereits blasser gewordenen Augen, von unserem Vater. „Überlass das nur mir. Ich kümmere mich um alle.“
Wer´s glaubt...
„Gut, bis in ein paar Tagen.“ Damit verließ unser Vater, unter unseren wachsamen Blicken, das Anwesen und fuhr mit dem Familienwagen zum Flughafen. Bestimmt hatte er bereits jemanden organisiert, der den Wagen anschließend wieder zurückbringen würde, so gut kannte ich meinen Vater bereits.
„Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Esstisch, was? Du riechst schrecklich, Jared. Bitte wasch, was auch immer dich markiert hat, unbedingt ab und verbrenn deine Sachen.“
Ich knurrte sie an, was sie unberührt ließ. Stattdessen stolzierte sie hinauf in den ersten Stock, wo ihr Zimmer lag, ganz in der Nähe von Tatiana´s.
Leider hatte sie recht, so hatte ich mich entkleidet, war durch die Küchentüre hinaus in den hinteren Teil des Gartens und hatte mir eine möglichst sumpfige Stelle gesucht, was bei diesen Temperaturen ausgesprochen schwer war. Im Sommer regnete es in unserer Umgebung wesentlich mehr, was den Wald leicht einmal zu einer Moorlandschaft machte, dafür war es dann im Winter so trocken, dass man für Wasser ganz bestimmt, unendlich tief hätte graben müssen.
Am liebsten hätte ich mich unglaublich tief vergraben. Meilentief... Nur um meinen dummen, so unendlich dämlichen Gedanken zu entkommen.
Egal wohin ich ging, ich roch dieses verdammte Mädchen an mir. Ich schmeckte sie noch immer auf meinen Lippen, fühlte die Weichheit ihres Körpers, an dem meinem und Himmel... Wie köstlich sie geduftet hatte, als ich versehentlich knurrte.
Wieso hatte ich überhaupt geknurrt? Das war dumm gewesen, doch scheinbar war es ihr überhaupt nicht aufgefallen. Ihr Körper hatte einfach nur instinktiv darauf reagiert, war mit einem Schlag brennheiß geworden und hatte die Verlockungen ihres Körpers noch um ein Tausendfaches verstärkt.
Zum Glück hatte ich mich so weit im Griff gehabt, um wieder zu Besinnung zu kommen und das alles abzubrechen, was auch immer sie da losgetreten hatte.
Jetzt jedoch, bekam ich es einfach nicht aus meinem verdammten Kopf heraus. Selbst als ich, Stunden später, endlich in einen unruhigen Schlaf fiel, träumte ich bloß von dieser Verlockung, welcher ich unter keinen Umständen nachgeben durfte.
Dementsprechend murrend, wachte ich nicht mit dem ersten Sonnenstrahl auf, so wie sonst immer, sondern wälzte mich noch eine gute Stunde durch mein Bett, was meine Aufenthalt im Badezimmer um ein dreifaches verlängerte. Blöde Knoten. Ich sollte mir die Haare einfach schneiden lassen, ich trug sie doch ohnehin bloß so, weil es meinen Vater ärgerte...
Unter Tags herrschte bereits ab sechs Uhr morgens herber Betrieb in unserem bescheidenen Herrenhaus. Zwei Zimmermädchen, ein Chefkoch, so wie zwei seiner besten Köche, zauberten frühmorgens etwas für uns in der Hauptküche. Es varierte, je nachdem welchen Wunsch mein Vater am Vortag geäußert hatte. Heute schienen jedoch die Mädchen bestimmt zu haben, was es geben soll, so lange Vater nicht zu Hause war.
Ach ja, wie hatte es Iris so schön formuliert... War die Katze aus dem Haus.
Tja, meine fünf, mehr oder weniger entzückenden Mäuschen ließen es sich gut gehen.
„Guten Morgen, Jared.“ Grüßte mich Tatiana, mit einem höflichen Lächeln auf den Lippen. Claudine, meine zwanzigjährige Schwester, so wie Violetta, die jüngste schienen heute wieder einmal lange zu schlafen. Wie jeden Samstag. Sophia hatte bereits gepackt, vermutlich wollte sie wieder durch die Stadt bummeln und saß dementsprechend, bereits ordentlich bekleidet, am Tisch, während meine beiden ältesten Schwestern noch im Pyjama herum lümmelten.
„Guten Morgen, die Damen.“ Ich setzte zwar ein nettes Lächeln auf, doch Sophia durchschaute mich, wie jeder andere hier am Tisch. „Oh je. Unser Jared hat wohl wirklich schlecht geschlafen.“
Tatiana kommentierte dies lediglich mit einem kühlen „Karma.“
Ich hätte ihr beinahe kindisch die Zunge heraus gereckt, doch da vor mir bereits Croissant serviert wurden, hellte sich meine Stimmung doch wieder ein wenig auf.
„Claudine und Violetta schlafen noch?“ Ich warf die Frage in den Raum, obwohl ich die Antwort darauf kannte, da ich sehr gerne vom Thema abweichen wollte.
„Natürlich, es ist Samstag und Papa ist nicht da. Das lassen sie sich doch nicht entgehen.“ Witzelte Iris.
„Ich habe noch bis tief in die Nacht hinein aus Violetta´s Zimmer Liebeslieder dröhnen gehört. Wisst ihr, was mit ihr los ist?“
„Hat sie denn überhaupt einen Freund?“ Fragte ich und wollte mich glatt selbst ohrfeigen. Natürlich wären Vater und ich die Letzten, die jemals etwas über das Liebesleben der Nightengale-Schwestern erfahren würden.
„Nicht das ich wüsste.“ Entgegnete Sophia. „Aber mir ist aufgefallen, dass sie die seit neuestem immer häufiger hört. Vielleicht schwärmt sie ja für jemanden.“ Sie und Iris kicherten.
„Sie geht an die Lykwood-High... Da wäre kein passender Kandidat für sie dabei.“
„Onlinedating ist das neue Zauberwort, Schwesterchen.“ Entgegnete Sophia. „Oder wie denkst du, kann ich mir sonst so viele Verehrer leisten.“
„Von deinem Taschengeld.“ Stichelte Iris und selbst ich musste zugeben, dass dieser Satz aufgelegt gewesen war.
„Klappe. Wenigstens rennen mir die Kerle hinterher.“
„Solange du nicht so endest wie Tatiana, ist ja alles in Ordnung.“
An dieser Stelle würde mein Vater bestimmt einspringen, denn niemand im Haushalt durfte schlecht über Tatiana sprechen. Es war schwer genug, wenn man sich, als Wölfin an jemanden binden musste. Aber wenn das ausgerechnet ein menschlicher Gefährte war, dann konnte das Unglück schon mal die Taschen packen. So etwas bedeutete für unsere Nightengale´s nämlich, dass sie Vereinsamen würden. Wenn dieser unfreiwillig Erwählte aber dann auch noch kaum Geld besaß, um sich selbst zu ernähren, war es ohnehin gelaufen für diese Nightengale-Wölfin. Und Tatiana hatte es vor einigen Jahren herb getroffen.
Der junge Mann, den sie im Auge gehabt hatte, war mittlerweile zu einem reifen Mann herangewachsen, mit einer Bäckerei, die so halbwegs gut lief. Leider war er jedoch kein Geschäftsmann, zwar sein eigener Herr mittlerweile, doch ich kannte die Finanzen dieses Unternehmens, da der Grund uns gehörte. Aber gut, Tatiana hätte es auch noch schlimmer treffen können und sich einen... Nun ja, etwas Nervigeres anlächeln.
„Oh je, Jared zieht schon wieder diese Miene.“ Mahnte Iris, welche mir gegenübersaß, plötzlich und ich blickte irritiert von meinem Kaffee auf. Miene? Welche Miene?
„Ja, die zieht er seit neuestem öfters. Als hätte er auf eine verdorbene Frucht gebissen.“
„Oder einen Quietscheball zwischen den Zähnen.“ Witzelte Sophia und ich knurrte, was die Drei bloß zum Lachen brachte. Sehr solidarisch. Danke auch, Schwestern.
„Knurr doch nicht gleich.“ Tatiana klopfte mir auf die Schulter. „Es reicht doch, dass du schrecklich riechst, du musst dabei nicht auch noch so dreinsehen. Damit verschreckst du noch die Kinder.“
Welche Kinder denn? „Haltet die Klappe.“ Ich packte mein Croissant und trat, mit Gelächter im Rücken, den Rückzug an.
Meine Stimmung wurde in der Arbeit nicht gerade besser, weshalb ich gegen Mittag schloss und zu meiner Bar fuhr.
Hier war tagsüber genauso wenig los, wie Sonntags in meinem Buchladen, aber hier konnte ich zumindest diesem penetranten Geruch entkommen, welcher mich auf Trab hielt.
Zur Hölle, was stimmt denn mit diesen Hallingway´s nicht?
„Chef, was machen Sie denn so früh hier?“
Ich hob nicht einmal meinen Kopf vom Tresen, um meinem Mitarbeiter in die Augen zu sehen, während ich im Selbstmitleid ertrank. „Die Zeit verstreichen lassen, Leo... Ich lasse bloß die Zeit verstreichen.“
Leo schnaufte. Noch war er nicht umgezogen, sondern trug den steifen Anzug, welchen er jeden Tag in seiner Firma zu tragen hatte, ehe er dem >Ich< nach gehen konnte, welches in Wahrheit in ihm steckte.
Mit einem zweifelnden Ausdruck im Gesicht, ging Leo um die Bar herum und stellte mir einen Tequila vor die Nase. „Versuchen Sie es hiermit. Alkohol löst sämtliche Probleme, welche Sie mit der Zeit haben könnten.“
„Danke, Leo.“
„Bitte, Chefchen. Brauchen Sie noch etwas?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Eine neue Identität vielleicht?“
Leo lachte. „Kann ich Ihnen morgen frisch gedruckt, direkt aus der Firma mitbringen... Obwohl, es wird wohl eher Montag werden, sonntags sind die Sicherungsmaßnahmen am Amt wesentlich strenger.“
„Danke Leo.“
Ich hörte ihn genervt auf dem Boden mit den Zehenspitzen tippen, ehe er genervt seufzte. „Hören Sie, Chef. Ich weiß, ich bin lediglich Ihr Angestellter. Aber so wie Sie sich eben in Selbstmitleid, oder was auch immer diese trübe Sauce hier auf meinem Tresen ist, baden, ist es ja offensichtlich, dass etwas nicht stimmt. Spucken Sie es schon aus. Vielleicht kann ich helfen.“
Ich murrte lediglich. Leo hatte recht. Er war nur ein Angestellter. Außerdem war das hier meine Bar. Wenn ich sagte, dass heute einmal geschlossen bleiben würde, müssten dies alle kommentarlos akzeptieren.
Nur was würde ich dann ganz alleine in einer unbenutzten Bar tun?
„Ist es mal wieder Ihr Vater? Ich dachte, darüber seien Sie hinweg?“
„Bin ich auch.“
„Sehr schön. Was haben Ihre Schwestern dann verbrochen?“
Ernsthaft... Wie viel wusste dieser Leo überhaupt von mir? Ich kannte ja noch nicht einmal seine Augenfarbe, was großteils an mangelndem Interesse lag.
„Nichts, sie sind nervig wie immer. Leo...“ Ich raffte mich auf und richtete meine Kleidung. „Wieso fragst du mich das alles überhaupt?“
Leo tippte auf die Oberfläche, auf welcher mein Kopf bis gerade eben noch gelegen hatte. „Wenn Sie sich über etwas Ärgern, dann sind das die Hallingway´s. Wenn Sie wegen irgendetwas in Selbstmitleid versinken, dann-... Oh, es sind also die Hallingway´s?“
Offensichtlich hatte ich bei der Erwähnung dieses Nachnamens genervt die Augen verdreht. „Das geht dich gar nichts an.“ Murrte ich sofort abweisend. Was fiel ihm überhaupt ein? Ich bin doch kein Abendprogramm! Obwohl, wie spät war es denn bereits? Zwei Uhr? Später? Ich hatte vollkommen das Zeitgefühl verloren. Auf jeden Fall war es noch Stunden zu früh, um meine Bar zu eröffnen. Falls ich das heute überhaupt noch tun würde.
„Chefchen, ich bin der Einzige, bei dem du dich ausheulen kannst.“ Auch wenn mein Angestellter im Moment sein Alltags-Kostüm trug, welches lediglich bürotauglich war, hörte ich dennoch sehr wohl sein schnippische, aber verspielte Leo-Stimme heraus.
„Na gut, es geht natürlich um die Hallingway´s. Erinnerst du dich an die Kleine, die ich letzte Woche raus geschmissen habe? Das war eine von denen.“
Leo lachte. „Hinaus geworfen? Chef, Sie haben sie über die Schulter geworfen wie ein Neandertaler. Sehr sexy übrigens.“
Ich murrte und griff über den Tresen hinweg zu der Lade mit den gekühlten Getränken. Leo reichte mit die Falsche mit Eistee, während er weiter sprach. „Ist denn etwa noch etwas danach vorgefallen?“
„Noch etwas? Dieses Weib stalkt mich! Sie taucht in meiner Arbeit auf, kommt in meine Bar, bringt meine kleine Schwester zur Weißglut und... Baggert mich die ganze Zeit an. Herrgott, ich bin fünfundzwanzig Jahre alt! Was denkt die sich eigentlich?“
„Sie ist doch neunzehn, wo liegt das Problem?“
Ich schnaubte. Als ob! „Sie ist siebzehn.“
„Oh.“ Gab Leo darauf und rieb sich nachdenklich das Kinn. „Hätte ich nicht erwartet, sie wirkt irgendwie... reifer.“
„Du meinst, sie ist eine Hure, wie der Rest ihrer Verwandtschaft? Dann stimme ich dir zu.“
Großzügig leerte ich die Flasche, als wäre sie Alkohol. Leider verbrauchte jede Verwandlung einen Großteil des Zuckerhaushaltes. Dementsprechend musste ich mich auch aufladen, wenn ich nicht zusammenbrechen wollte.
„So hatte ich das nicht gemeint. Aber gut, Sie werden sie besser kennen, als ich. Haben Sie ihr denn gesagt, dass Sie nichts von ihr wollen?“
Ich nickte. „Natürlich habe ich das.“ Mehrfach... „Vor und nach dem Kuss.“ Und dennoch... „Sie will einfach nicht hören, wie es scheint.“
„Sie haben sie geküsst?“
Ich sah wieder auf. „Was? Nein! Natürlich nicht. Sie hat mich überrumpelt!“
„Aber sie haben ihn erwidert.“
Ich wollte schon widersprechen, doch schloss den Mund wieder. „Nein, natürlich nicht. Nur... im ersten Moment.“ Murrte ich dann.
Leo lachte heiter, als ich mit meiner Flasche zu spielen begann. Himmel, wie alt war ich denn, dass ich mich dermaßen unvernünftig benahm?
„Nun ja, genießen Sie es einfach, Chef.“
Genießen? „Wieso sollte ich?“ Fragte ich, angeekelt klingend.
„Ich weiß ja, Sie bevorzugen Männer, aber dieses Mädchen scheint Ihnen dennoch ein wenig unter die Haut zu gehen. Wenn Sie kein sexuelles Interesse an ihr haben, dann sagen Sie ihr das direkt und bieten ihr eine Freundschaft an. Vielleicht könnt ihr ja gemeinsam auf Beuteschau gehen. Jeder Schwule braucht eine Heterosexuelle beste Freundin. Das ist ein ungeschriebenes Naturgesetz.“
Also das war mit Abstand das Dümmste, was ich jemals in meinem Leben gehört habe.
„Hör auf so viele Broadwaymusicals zu schauen. Du gibst nur Mist von dir, Leo.“ Stöhnend wandte ich mich auf dem Hocker herum und ging auf das Büro zu. „Ich bin im Büro, stör mich also nur, wenn die Bar brennt, verstanden?“
Ich hörte ihn amüsiert hinter mir lachen, während ich mich in dem kleinen Büro einschloss. Anstatt jedoch mich über den anstehenden Papierkram zu stürzen, warf ich mich direkt auf die bequeme Couch. Ich hatte sie gekauft, für den Fall, dass ich häufiger hier übernachte, um meinem Vater auszuweichen. Nun jedoch, war ich unendlich froh, meine Augen noch ein paar Stunden ausrasten zu können. Das hatte ich mir verdient, wie ich fand.

 

- - - - -

 

Auch wenn ich von mehreren Metern, massivem Stein umgeben war, die Anziehung des Mondes, konnte keiner von uns, in jeder Vollmondnacht abstreiten.
Wir nannten uns natürlich nicht Werwölfe, noch verloren wir die Kontrolle in eben jenen Nächten. Auch unsere Kräfte stiegen nicht an, noch fühlten wir uns irgendwie tierischer.
Trotzdem war da immer etwas. So eine Art... Anziehung, welche uns an diesen, am hellsten beschienen Nächten, hinaus in die Wälder rief, um unserer zweiten Natur nachzugehen, welche wir, vermutlich im Allgemeinen, viel zu sehr vernachlässigten.
Das Gefühl von Gras unter den Füßen und dem Wind im Fell, während wir durch das herrliche Dickicht brachen, bloß um einen Moment später, unter dem hellen, wachsamen Auge des Mondes zu rennen, war einfach unbezahlbar. Es gab nichts Schöneres im Leben.
Von eben jenem Gedanken angetrieben, schoss ich so hastig von der Couch hoch, dass mir sogar ein wenig schwindelig wurde.
Kurz überprüfte ich meine Nachrichten. Die meisten waren von meinem Vater, eine von Violetta, zwei von Tatiana und noch eine... von Logan?
Natürlich öffnete ich die letzte als Erste und erkannte, dass es lediglich eine förmliche Einladung war. Offensichtlich hatte ich sie heute Morgen überhaupt nicht bemerkt. Oder sie einfach verdrängt, wie so vieles andere in meinem Leben.
Die Nachrichten von meinem Vater ignorierte ich, sie waren bloß dazu da, mir zu bestätigen, dass er noch lebte. Aber wen interessierte das schon?
Violetta´s Nachricht hingegen war... überraschend. Sie schrieb mir, dass sie gerne die Einladung annehmen würde und zu dem Barbecue gehen. Unsere Schwestern hatten keine Lust darauf, was ich sehr wohl nachempfinden konnte, doch dass diese Wunschäußerung von Violetta kam... Kurzerhand wählte ich ihre Nummer.
„Hi, Jared.“
„Hallo, kleines. Tut mir leid, ich war ziemlich eingespannt, erst im Laden, dann in der Bar. Darum habe ich deine Nachricht erst jetzt gelesen.“ Ich riskierte einen Blick auf die Uhr. Es war bereits gegen neun und dementsprechend hatte die >Party<, falls man sie so bezeichnen konnte, längst angefangen. „Willst du denn überhaupt noch hin?“
„Ja!“ Kam es überraschenderweise von ihr, was mich stark irritierte.
„Wieso?“
„Nun, ja. Heute ist Vollmond und Vater zwingt uns nicht, mit ihm zu jagen. Ich dachte, vielleicht... könnten wir zumindest ein einziges Mal etwas mit den Rudeln machen. Aber die anderen sagten >nein, nur über meine eingeäscherte Leiche<.“
Ich lachte. Ich konnte mir vorstellen, von wem das gekommen ist.
„Bitte, Jared! Alleine gehe ich dort ganz bestimmt nicht hin, aber... Wer weiß, wann Papa wieder einmal über Vollmond nicht da sein wird.“
Bis zu meinem Erwachen vor wenigen Minuten, war mir nicht einmal bewusst gewesen, dass heute Vollmond sein würde. Zu meinem eigenen Erstaunen willigte ich ein. „Aber ich werde nicht mit ihnen laufen, ist das klar? Heute habe ich keine Lust darauf.“
Ich hörte sie begeistert in ihr Kissen quietschen, ehe sie sich räusperte, wohl wissend, ich hatte das durchaus gehört. „Ähm... Soll ich dich mit dem Roller abholen?“
„Gern. Aber bring mir... einen Kamm mit.“
Sie erwiderte nichts darauf, sondern dankte mir nur noch einmal, dann legte sie auf und ich bereitete mich emotional auf eine Begegnung, der anderen Art vor.

Jared´s Begegnung mit der anderen Art...

Ich musste schon zugeben, dass Logan Geschmack besaß, was die Organisation eines Grillabends anging. Jedoch vermutete ich, dass, sollte mir jemals ein Lob über die Lippen kommen, was natürlich nicht geschehen würde, so ginge es ohnehin lediglich an Vanja. Sie hatte die Jungs dafür sorgen lassen, dass Laternen im hinteren Teil des Gartens in die Erde gebohrt worden waren und Lampions dazwischen gespannt. Auch wenn es nun bereits um fünf Uhr dunkel geworden war, so leuchtete der gesamte Hinterhof, wie bei einem Straßenfest. Es gab ein paar kleine Stände, mit wenigen Alkoholischen, dafür jede Menge süßen Getränke und auch warme, für den menschlichen Anteil der hier versammelten Leute.
Ich hatte meinen Arm um Violetta geschlungen gehabt, doch nun, da sämtliche Blicke, mit nur einem Schlag auf uns gerichtet waren, ließ ich ihn sinken, um meine eigene Verteidigung aufzubauen.
Nightengale benötigten niemanden, auf den sie sich stützen konnten. Schon gar nicht der älteste und einzige männliche Nachkomme.
Violetta kam mir einmal mehr, mit ihrem viel zu vorlauten Mund zu vor. „Was kuckt ihr denn so? Ihr Flohschleudern bekommt ohnehin keinen von uns ab. Wir spielen außerhalb eurer Liga.“ Spottete sie, was den Großteil, sehr genervt, mit den Augen rollen ließ, während der Rest zu Tuscheln begann.
Natürlich hatte ich kein herzliches Willkommen erwartet, doch ich war hier nur für Violetta. Außerdem mussten wir wieder einmal den Ruf unseres Hauses heraushängen lassen. Nicht, dass diese Bauern gar vergessen, wer wir waren.
„Oh, wow! Violetta?“ Vanja wäre beinahe in meine kleine Schwester gerannt. Sie wirkte gehetzt und räusperte sich anschließend sogar verlegen. „Ähm... Tut mir leid, wo sind meine Manieren? Violetta, Jared, es freut mich, dass ihr unserer Einladung gefolgt seid!“
Violetta schnaufte abweisend. „Du kannst eher froh darüber sein, dass wir überhaupt Zeit gefunden haben.“
„Natürlich, das wird das...“ Sie sah sich hastig um. „Das Rudel freut sich natürlich. Je größer die Meute, umso lustiger, nicht wahr?“
Ich konnte zwar nicht das Gesicht meiner Schwester sehen, doch an ihrer Haltung erkannte ich ganz deutlich, dass jeden Moment etwas herabwürdigendes aus ihrem Mund schlüpfen würde. „Als ob du das beurteilen könntest, Mutti.“ Lachend ging sie weiter, während Vanja sichtbar mit ihren Gesichtszügen zu kämpfen hatte.
Anschließend fing ich ihren Blick auf, wodurch sie sich nur noch mehr bemühte, neutral zu wirken. „Ähm... Bedien dich gerne, Jared. Du weißt, alle sind hier willkommen.“
Ich nickte, stumm.
Als ich nichts sagte, entschuldigte sie sich und entfernte sich wieder.
Nun, da die Aufmerksamkeit von mir gewichen war, entschied ich, dass ich meiner Neugierde ruhig nachgehen konnte. Nicht, dass es mich etwas anging, doch hier war überraschend viel zusammen gekommen. Nicht bloß, dass Marissa, trotz ihrer Unwissenheit, hier herumschwirren konnte, wollte ich zudem versuchen diese kleine Göre an ihren Platz zu verweisen.
Nein. Stopp, ich wollte im Moment bestimmt an vieles denken, aber ganz bestimmt nicht, an dieses Hallingway-Mädchen. Ich war wegen Violetta hier. Ich sollte ihr folgen und ihr den Rücken stählen.
Ich wandte mich von dem irrationalen Gefühl ab, Vanja ins Haus zu folgen und suchte gemächlich die Gruppen, nach einem wohl bekannten Schopf ab.
Ich fand sie bedauerlicherweise nicht, bis ich eine zweite Runde um meine >Familie< gemacht hatte. Da ertappte ich sie, mehr zufällig, als durch Glück, als sie jemanden gerade eine ziemlich gewaschene Szene machte.
Ich hatte keine Ahnung, um was es ging, doch die junge Wölfin, welche mit tränennassen Augen an mir vorbei sauste, sah ganz so aus, als hätte diese eine meiner Schwestern in der Mangel gehabt.
Ehe ich um die Hausecke trat, erklang Violetta´s Stimme. „...ist doch mal wieder klar, Cavanaugh. Ihr seid euch auch wirklich für nichts zu schade. Sie kann echt froh, sein dass ich noch rechtzeitig dazwischen gefunkt habe.“ Sie lachte ein gehässiges Lächeln.
„Du bist ein fieses, verwöhntes Miststück! Das einzige, was du unterbrochen hast, war ein zwölfjähriges Mädchen, das Rat bei mir gesucht hat. Mehr nicht!“
„Oh ja, das habe ich gesehen. So wie die an deinen Lippen hing, war sie bloß Sekunden davon entfertn, dir auf den Schoß zu springen.“
„Na und?“ Fragte Sam giftig und halb brüllend. „Bist du etwa eifersüchtig?“ Ich hätte beinahe laut aufgelacht, als Violetta doch herablassend schnaufte... Warte, was? „Im Gegensatz zu dir interessieren sich Mädchen wenigstens für mich. Aber du wirst für immer und ewig eine bittere, einsame Wölfin bleiben. Das habt ihr Nightengale so an euch! Ihr seid... gemein und bösartig. Etwas anderes kennt ihr einfach nicht! Das habt ihr vermutlich mit der Muttermilch aufgesogen.“
Ich knurrte schon, doch das Knurren von Violetta übertönte meines. Niemand hatte das Recht, so über meine Familie zu sprechen. Besonders Cavanaugh sollten sich davor hüten, wie sie uns gegenübertraten, diese rückgratlosen Hunde.
Ich trat gerade einmal einen Schritt um die Ecke, da hatte sich Violetta bereits, aus einem Impuls heraus, auf Sam gestürzt. Ich seufzte. Verdammter Vollmond... Auch wenn er uns Erwachsenen vollkommen egal sein konnte, so beeinflusste er die Kontrolle unserer Jugendlichen umso mehr.
Violetta hatte Sam zu Boden gerangelt und thronte nun, mit verzerrtem Wolfsgebiss und einem wirklich animalischen Knurren, über dem kleinen Jungen. Ich persönlich, war mehr als stolz auf meine kleine Schwester. Sie war eben eine richtige Nightengale und bewegte sich schneller und gewandter, als alle anderen Wölfe.
„Hör auf, verdammt!“ Schrie Sam, rammte seine Hände gegen ihre Schultern und stieß sie damit von sich.
Hastig kam meine Schwester wieder auf die Beine, woraufhin ich kehrtmachte. Sie hatte sichtbar alles im Griff, mehr wollte ich auch überhaupt nicht. Von daher, sollte ich die beiden jetzt wirklich in Ruhe lassen, denn egal um was es zwischen denen beiden ging. Ich war einfach zu alt, um mich da einzumischen. Zudem bin ich kein Mädchen und musste daher keine Frauensolidarität zeigen. Nightengale schaffen solche Kleinigkeiten schon selbst aus der Welt.
Was mich ehrlich gesagt, erneut daran erinnerte, dass auch ich etwas aus der Welt zu schaffen hatte. Aber vielleicht wurde ich selbst allmählich verrückt. Ich bildete mir ein, aus einem gekippten Fenster, aus dem ersten Stock, den Geruch von Marissa wahrzunehmen, doch selbst wenn, die Windrichtung musste diesen Duft doch in die Gegensätzliche Richtung tragen.
Ich war eindeutig in den Bann der Hallingway´s gekommen und das wollte ich mir ernsthaft nicht bieten lassen. Ich bin ein verdammter Nightengale und sollte diesem dummen Ding klar machen, dass, egal was sie sich dabei erhoffte, wenn sie versuchte, mich zu verführen, aus mehreren Gründen, nichts daraus werden konnte. Ich bin doch kein verdammter Kauknochen, der als provokatives Spielzeug, zwischen diesen beiden verrückten Geschwistern diente!
Wenn Marissa sich ihrem Bruder beweisen wollte, dann sollte sie einfach einen Bär erlegen. Das würde ihr, zumindest in ihrer menschlichen Form, einen gewissen Respekt im Rudel einbringen.
Andererseits... schlüge ich ihr dies wortwörtlich vor, würde sie mich ebenfalls für verrückt halten.
Wenn ich ihr jedoch einen solch großen Schrecken einjagen konnte, dass selbst ihr Bruder in Erklärungsnot käme...
Mit einem Lächeln auf den Lippen, kehrte ich zurück zum Hintereingang, in welchem Vanja vor einigen Minuten verschwunden war.
Ich pirschte mich lautlos an die angelehnte Glastüre heran und schaute in das Innere. Viel gab es nicht zu sehen. Zumindest nichts, was ich nicht ohnehin bereits kannte.
Logan stand mit dem Rücken zu mir, was ich als gutes Zeichen wertete, während Vanja, irgendetwas auf dem Arm trug, was verdammt nach Stakes aussah. Ich konnte gerade noch so verhindern, dass mein Magen begierlich knurrte. Offensichtlich hatte ich das Essen heute tunlichst vermieden, während ich mir den Kopf über... so bestimmtes, zerbrochen habe.
Vorsichtig drückte ich die Türe auf, um mehr zu verstehen. „...nicht länger, als nötig.“
„Das will ich auch hoffen, Logan Hallingway! Sonst muss ich dir die Schlappohren langziehen, denn ich fühle mich absolut nicht wohl dabei. Wir sollten lieber der Natur freien Lauf lassen, so wie Mal es gesagt hat.“
„Mal spinnt einfach. Ich werde doch kein geistig verwirrtes, kleines Mädchen...“ Logan hielt inne und rieb sich frustriert seine Nasenwurzel. „Tut mir leid, du hast recht. Und es tut mir auch leid, dass ich es dir nicht schon früher gesagt habe.“
„Das sollte es auch!“ Erst jetzt erkannte ich, dass Vanja fürchterlich wütend wirkte.
„I-ich wusste mir einfach nicht anders zu helfen.“
„Wirst du das dann später etwa mit Adam auch machen?“ Fragte sie, überraschend kalt. „Falls, ja warne mich am besten jetzt schon vor, damit ich ihn von dir fernhalten kann!“ Damit brauste sie an ihm vorbei, direkt auf mich zu.
Ich hatte gerade noch genug Zeit, um mich hinter einer Säule zu verstecken. Wäre sie auch bloß ansatzweise eine Wölfin, hätte sie mich augenblicklich beim Spionieren enttarnt, doch Vanja war so aufgebracht, sie achtete noch nicht einmal auf ihre Gäste, bis sie an dem gewünschten Grill ankam.
Ich schielte noch einmal hastig durch die Türe, doch Logan war verschwunden. Als ich mir sicher war, dass mich niemand beobachtet, stieß ich sanft die Türe auf und machte einen Schritt hinein, um mir einen besseren Überblick zu verschaffen. Der Raum war leer und Logans Fährte, führte mich zum Vordereingang, von wo ich ihn auch mit jemanden sprechen hörte, dessen Gesicht ich nicht sah.
Hastig schlich ich die Treppe hoch, verlagerte mein Gewicht auf die Fußballen, um auch wirklich kein Geräusch zu verursachen, was mir als Wolf bestimmt leichter Gefallen wäre.
Hier oben war der Geruch von Marissa deutlich ausgeprägter. Er war... schier überwältigend und der Wolf in mir drehte durch. So schnell konnte ich meinen Körper nicht einmal unter Kontrolle bringen, schoss mir das Blut auch bereits in die Lenden und ließ meinen Kopf sich ungut im Kreis drehen.
Instinktiv folgte ich der Fährte zum Ende des Ganges. Dort befanden sich drei Türen. Eines roch definitiv nach Logan, die Dritte, wesentlich penetranter, gehörte Marissa, während ein sanfter, süßlicher Duft, zwischen diesen beiden Räumen lag. Adam.
Noch etwas fiel mir ganz deutlich auf. Aus irgendeinem Grund, war vor der dritten Türe das Sicherheitstor hinunter gefahren worden. Da ich, neben meinem Vater, das Oberhaupt meiner Familie bin, kannte ich selbstverständlich das Sicherheitspasswort, doch wunderte ich mich sehr, weshalb Logan es überhaupt benutzt hatte.
Wenn er Marissa in einer Nacht wie dieser nicht am Grundstück haben wollte, konnte er doch bessere Möglichkeiten finden, als sie in ihrem Zimmer einzuigeln. Das fand sogar ich ein wenig barbarisch!
Ich sah mich noch einmal im Gang um, doch Logans Stimme klang noch immer weit entfernt. Bis er meine Fährte entdecke würde es ohnehin längst zu spät sein.
Mit einem wölfischen Grinsen im Gesicht, schob ich das Jackette über meine Schultern und ließ es zu Boden fallen. Dann lockerte ich die Krawatte, knöpfte schnell das Hemd auf und öffnete meine Schnürsenkel. Erst als ich nur noch in Unterhosen im Flur stand, sah ich mich nach einer guten Versteckmöglichkeit um. Das einzige, was ich in Erwägung zog, war das gekippte Fenster. Also war vom Flur dieser Duft zu mir gedrungen? Wie seltsam...
Blinzelnd versicherte ich mich, dass niemand in der Nähe war, dann ließ ich meine Kleidung aus dem obersten und größten Spalt, hinab in den Garten fallen. Violetta würde es schon einsammeln, wenn sie es fand.
So nun der letzte Schritt. Ich hatte das Passwort längst eingegeben, drückte auf Bestätigung und während die Sicherheitstür hochfuhr, verwandelte ich mich in einer geschmeidigen Bewegung in einen wendigen, schwarzen Wolf. Meine Knie schoben sich nach hinten, meine Läufe streckten sich, die Schnauze schob sich aus meinem Oberkiefer und meine Rippen schufen Platz, für eine waagrechte Gangart. Innerhalb von fünf Sekunden stand ein voll ausgewachsen, pechschwarzer Wolf, auf dem spärlich beleuchteten Gang und schüttelte sein geschmeidiges Fell auf.
Es war stets seltsam befreiend, so als ob ich mich nach langer Zeit, endlich wieder in bequemer Kleidung einfügen und einem viel kräftigeren Gang zurückverwandeln würde. Noch einmal streckte ich meine Wirbelsäule, dann war ich auch schon bereit, dem Unheil höchst persönlich den Schrecken seines Lebens einzujagen.
Mit der Schnauze zog ich die Türklinke hinab, dann drückte ich die Türe auf. Viel konnte ich nicht sehen. Es war stockdunkel im Raum, die Vorhänge waren zugezogen und es roch ein wenig stickig. Zudem lag der säuerliche Geruch von etwas in der Luft, was mich beinahe würgen ließ.
Eine aggression, wie ich sie nur fühlte, wenn ich Logan gegenüber stand, machte sich in mir breit, doch in diesem Raum war anscheinend niemand. Zumindest konnte ich auf dem ersten Blick niemanden ausmachen. Meine Neugierde trieb mich weiter in den Raum hinein, wo der Geruch der Säure bloß stärker wurde. Dann... hörte ich etwas. Es war ein Stöhnen, plötzlich hustete jemand und gab dann einen gequälten Ton von sich.
Besorgt hob ich den Kopf höher, da bewegte sich eine dicke Bettdecke. Marissa! Alarmiert trottete ich auf das Bett zu und stellte mich mit den Vorderpfoten auf die Matratze. Was ich sah, bereitete mir nicht bloß Sorgen, es... bereitete meinem menschlichen Ich Kopfschmerzen und reizte deshalb meinen Wolf bis ans Äußerste. Jetzt wusste ich auch, woher dieser widerwärtige, säuerliche Geruch herkam! Es war eine erkaltete Tasse, mit Tee darin. Sie roch für meine Sinne so schrecklich, da sich offensichtlich Wolfswurz darin befand. Es war wie Riechsalz für unsere Wolfsnasen, aber nicht giftig. Es hatte eher, eine betäubende Wirkung auf uns, egal, in welcher Form wir uns im Moment befanden. Natürlich konnte eine hohe Konzentration uns töten, doch wen würde das nicht...
Deshalb also, war Vanja so wütend auf Logan gewesen. Er hatte Marissa ohne Vanja´s Wissen betäubt. Ich fühlte mit unserer nicht ganz wölfischen Alphagefährtin und hörte mich selbst, willkürlich knurren. So etwas war einfach unverzeihlich! Jemanden seiner eigenen Art, nein noch wichtiger, jemanden aus seiner eigenen Familie, so etwas anzutun, war einfach nur...
„Wuschelkopf!“ Ich hatte vor Ärger überhaupt nicht bemerkt, wie sich Marissa in meine Richtung gedreht hatte und nun ihre Arme unter der Decke hervor schob. „Wer hat dich denn in mein Zimmer gelassen? Bist du hier, um mich zu trösten?“ Ihre Stimme klang schwächlich und rau, so als sei sie am Verdursten. Ehe sie noch die Hand nach dem kalten Tee ausstrecken konnte, hüpfte ich auf das Bett und wischte, wie beiläufig, die Tasse mit dem Schwanz auf den Boden.
„Och... Das wollte ich noch trinken.“ Murrte sie erschöpft, doch rührte keinen Finger, um nach der Tasse zu greifen. Ein Glück, dass sie es nun nicht mehr konnte. Wer wusste schon, wie viel davon oder wie hoch dosiert, Logan ihr dieses Gift schon verabreicht hat.
Wieso tat er so etwas überhaupt? Das klang so gar nicht nach Logan!
„Na, mein Großer?“ Ehe ich mich versah, hatte Marissa beide Arme um mich geschlungen und vergrub ihr Gesicht in meinem Fell. Meine Haut begann schier zu brennen!
„Du riechst echt gut. Fast wie dieser blöde Nightengale.“
He! Ich bin nicht blöd...
„Aber du bist nicht blöd, oder? Auch wenn du ihm vermutlich gehörst. Magst du nicht lieber mir gehören? Ich bin viel netter und lasse dich sogar vom Tisch naschen, wenn du bettelst.“
Ich hätte beinahe aufgelacht, als sie das sagte, doch bemerkte rasch, dass sie bereits wieder eingeschlafen war. Mit dem Gesicht in mein Fell gedrückt, sog sie noch einmal tief meinen Geruch auf, dann ging ihre Atmung auch schon wieder flach und regelmäßig.
Mit einer erhobenen Pfote, so wie zurück gelehnten Oberkörper, versuchte ich mich aus ihrem Griff zu befreien, doch als ich mich bewegte, begann Marissa damit, sanft mein Fell zu kraulen.
Verdammt war das gut! Ehe ich begriff, was ich da tat, lehnte ich mich ihrer Liebkosung entgegen. Genoss unverschämt, wie ihre Nägel zart über meine Haut kratzten, ihre Fingerkuppen das Fell glatt strichen und jeder Zentimeter schier in Flammen aufging, den sie berührte.
Was war das für ein Gefühl? Ich wollte mich hinein fallen lassen, einfach alles Vergessen und mich neben sie legen, um ihren kränklichen Leib zu schützen. Marissa war so... verdammt schutzlos. Sie brauchte mich und ich wollte für sie da sein, egal, um was es ging.
Das war so... absolut unnatürlich. Marissa gehört nicht zu meinem Stamm der Familie. Ich war ihr zu nichts verpflichtet, denn noch war sie keine Alpha.
Murrend schüttelte ich mein Fell auf. Was war nur los mit mir? Woher kam das auf einmal? Noch vor wenigen Minuten hatte ich nicht so empfunden, doch dann berührte diese Göre mich und ich stand schwanzwedelnd von ihr? So bin ich doch überhaupt nicht.
Oder ihr verdammter Kuss! Ja ganz genau, daran musste ich mich erinnern! Der Moment, in dem sie einfach ihre Lippen auf meine gepresst hatte... Diese Schande, welche sie unseren beider Familien zufügte... Oder doch eher die Art, wie sie es schaffte, dass sich mein Kopf leer anfühlte?
Verdammt noch mal!
So sollte das alles beim besten Willen nicht laufen! Ich bin ein verdammt mächtiger Wolf, ein dominanter Wolf!
Der sich verdammt gut in ihrer Umarmung fühlte...
Blinzelnd riss ich mich los und sprang vom Bett. Marissa schlief einfach weiter, sie bemerkte mein ärgerliches Knurren überhaupt nicht, oder gar die Wehklage in meiner Brust, da mir ihre Berührungen in meinem Fell fehlten.
Moment, war es das etwa?
Ohne viel Zeit zu verlieren, verwandelte ich mich wieder zurück in Jared Nightengale und hockte nackt, mitten in ihrem Zimmer.
Ja! Das ist es gewesen. Mein Herzrasen und die Sehnsucht wurden augenblicklich von Abscheu und besseren Wissens überschattet. Ich konnte mich endlich wieder, wie ich selbst fühlen. Ganz natürlich sein, so wie ich immer war.
Immerhin wäre es absolut absurd, etwas für eine Hallingway zu empfinden. Vor allem, für eine, wie diese!
Erleichtert atmete ich durch. Ja, das fühlte sich so viel besser an, wenngleich es mich ein wenig fröstelte. Hallingway´s und deren verdammte Körpertemperaturen.
„Jared?“
Erschrocken sah ich mich nach Marissa um. Mein Herz begann augenblicklich wieder schneller zu schlagen, nur dieses Mal, hatte es ganz andere Gründe! Verdammt, wie erklärte ich, dass ich nackt in ihrem Zimmer hockte?
Vielleicht musste ich das auch überhaupt nicht? Ja, sie würde, wie zuvor, ohnehin gleich wieder einschlafen. Immerhin stand sie noch unter Drogen.
„Jared, träume ich das?“ Marissa schlug die Decke von ihren Beinen und schwang diese über die Matratze. Leichtfüßig betasteten ihre Zehen den kalten Boden, doch sie erschauderte davor, nicht so wie ich es getan hätte.
„Rede mit mir. Wieso bist du in meinem Zimmer?“ Ihre Nase bewegte sich neugierig in die Höhe und im nächsten Moment verfärtben sich ihre blassgrauen Augen, in ein kraftvolles Gelb. „Was... Was ist das für ein Geruch?“
Mein Mund bewegte sich auf und zu. Wie sollte ich ihr erklären, dass ihr Bruder sie mit Wolfswurz versucht hatte, zu betäuben? Sollte ich das überhaupt tun? Es würde Marissa mehr, als nur kränken, wenn sie es wüsste...
Verdammt, das sollte mir eigentlich egal sein!
„Es... Es riecht so...“
Wiederlich? Säuerlich? Ja, so ist Wolfswurz für uns.
„...Nun ja, irgendwie sexy...“
Ich konnte mir ein prusten nicht verkneifen, denn dass ein Wolf jemals Wolfswurz als sexy bezeichnen würde, wäre mir niemals in den Sinn gekommen.
Sie bewegte ihre Nase weiter, ihr Blick richtete sich auf mich und ihr Kopf legte sich seitlich, sodass ihr Haar auf die linke Seite fiel.
Wow... Wüsste ich es nicht besser, wäre ich der Meinung, noch nie etwas Gefährlicheres und Atemberaubenderes in meinem Leben gesehen zu haben. Wie kann man nur so schön und doch so furchteinflößend zur selben Zeit wirken?
„Das bist du, nicht?“
Ich? Was? Ich hatte irgendwie den Faden verloren.
Marissa streckte eine Hand aus, so als ob sie mich berühren wollte, doch gute zwei Meter trennten uns, zu meinem Glück.
„Jared... Ich kann dich riechen.“ Ihre Stimme klang überrascht von ihren Worten, doch dann tat sie einen Schritt... Und noch einen...
Ich bemerkte kaum, wie ich halb aus meiner Hocke hochkam. So fasziniert war ich von Marissa´s Anblick. Es war fast, wie in dem Moment, als ich sie das erste Mal gesehen hatte. Damals war es mir nicht bewusst gewesen, doch ihr Auftritt, ihre Selbstsicherheit, während sie mich mit sanfter Stimme umschmeichelt hatte...
So unschuldig und dumm, hatte mir gedacht. Mit der Überzeugung, dass Marissa keine Woche hier überleben würde, so wie sie sich gab.
Aber jetzt... Just in diesem Moment, wollte ich nichts lieber, als sie eine Woche lang an das verdammte Bett zu fesseln und sie so richtig durch zu vögeln, bis sie endlich aufgab!
Nur Zentimeter von mir entfernt, erstarrte Marissa, da ein Schauder über ihren Körper glitt. Sie hatte etwas an sich, was ich so noch nie gesehen hatte, denn es geschah ausnahmslos in den Wäldern.
Ihr Blick wurde von einem Strahl abgelenkt, welcher, wie zufällig, in ihrem Gesicht erschienen war. Sie sah dorthin und ein widerliches Knacken erklang.
Marissa schrie nicht. Sie reagierte noch nicht einmal darauf und das, obwohl sich eben ihr Knie mit einem Ruck herum gedreht hatte.
„Marissa?“ Fragte ich vorsichtig. Ein zweites Knacken erklang und sie schnaufte. Plötzlich ging ihr Atem so schnell, sie klang wie eine Dampflok, welche im Hochbetrieb war.
„Marissa, du musst hier raus.“ Sonst würde das, ihre Einrichtung vermutlich nicht überleben.
Noch etwas knackte, doch dieses Mal achtete ich nicht darauf, welcher Körperteil nun brach, nur um sich in eine andere Position bewegen zu können.
Sanft berührte ich ihre Wange, welche sich allmählich mit flauschig weichem Fell überzog. „Marissa, hörst du mi-...“
„Was ist das dort unten? Es sind so... so viele warme, sehnige Körper. Kannst du sie auch sehen?“
Ich ließ meine hellblauen Augen, zu Wolfsaugen werden und drehte sanft ihr Gesicht zu mir. „Nein, ich sehe sie nicht wie du.“
Sie leckte sich über die Lippen, als sich ihre Ohren zuspitzten. „Mein Körper... Jared, er fühlt sich an, als würde er explodieren.“
Ich lächelte. „Das ist aber noch zu früh, du Verrückte. Wenn du jetzt hinunter läufst, in den Wald... Wird dir das gesamte Rudel folgen.“ Zumindest der männliche, ungebundene Teil, denn Marissa roch verdammt verlockend.
„Du meinst die Wölfe aus dem Wald?“
Meine Finger streichelten sanft, über die immer haariger werdende Wange. „Die werden sich hüten, die je wieder zu nahe zu kommen. Und jetzt geh lieber in die Knie. Der Schmerz wird einsetzen.“
„Welcher Schmerz?“
Einen Moment später, schrie Marissa auch schon schockiert auf. So war es immer, das hatten wir alle durchgemacht. Erst kamen die Veränderungen, doch ehe der Wolf uns vollkommen übernahm, spürten wir den Schmerz der Verwandlung, zum ersten und zum letzten Mal in unserem Leben. Während Marissa hart auf die Hüfte fiel und sich schreiend wandt, glitt ich zurück in die Hocke, bloß um einen Wimpernschlag später, als Wolf vor ihr zu sitzen.
Für einen Moment hielt sie inne. Sie erkannte mich, registrierte, dass ich von Jared, zu einem echten Wolf geworden war, welcher nun neugierig, jedem ihrer Bewegungen folgte.
Dann schrie sie von neuem, wandt sich, riss sich mit Klauen die Kleidung vom Leib, bis es in Fetzen um sie herum lag und der blondhaarige Wolf, sie vollends übernommen hatte.
Sie war ein stattlicher WOlf, mit langen Beinen und einem robusten Körperbau. Sie war nicht so drahtig und wendig, wie meine Art, doch besaß, unter anderem die typische Größe für eine Alphawölfin. Nun würde sie Logan in nichts mehr nachstehen, abgesehen von der vorausgehenden Kampferfahrung.
Sich schüttelnd, kam Marissa wieder auf ihre Beine. Dabei kratzten ihre scharfen Krallen über das Parkett und hinterließen tiefe Furchen, welche Logan lediglich mit einem neuen Teppich vertuschen würde können.
Beeindruckt von Marissa´s neuem Aussehen, betrachtete ich die blondhaarige Wölfin von Pfote bis zum zugespitzten Ohr. Ihr Kopf neigte sich verwirrt von einer Richtung in die andere, dann hob sie ihre Pfote zur Schnauze und verzog das Gesicht, als ob sie etwas sagen wollte, doch nichts außer Schmatz-, so wie Knurrgeräusche drangen daraus hervor.
Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so... zufrieden gefühlt. Es war, als ob ich auf nichts dringlicher gewartet hatte, als auf diesen einen Augenblick. Sie sah zum Anbeten aus...
Schnaubend wandte sich Marissa an mich und sah mich, zumindest vermutete ich es, genauso schmachtend an, wie ich es in diesem Moment tat. Mein Körper bebte, als mir ihre Erregung um die Nase schmeichelte.
Marissa schien mich nicht nur in menschlicher Gestalt anziehend zu finden. Offensichtlich reagierten unsere Wölfe instinktiv aufeinander. Wie zwei, bisher getrennt gewesene, Puzzleteilchen, welche endlich ihren Bestimmungsort fanden. Dabei wusste ich überhaupt nicht, was ich an dieser Hallingway so anziehend fand.
Sie war nervig, viel zu jung und eine gottverdammte Hallingway! So etwas durfte ich, in keiner meiner beiden Formen fühlen. Unter keinen Umständen!
Trotzdem... Ich knurrte sanft und reckte meine Nase genießerisch nach vorne. Es war, als ob man mir ein Stück Speck davor hielt, so herrlich duftete sie. Mein Hirn wurde regelrecht breiartig. Ich konnte kaum noch einen halbwegs stabilen Gedanken fassen, dermaßen angezogen fühlte ich mich von ihr. Ich wollte sie... berühren, ihr Fell an meinem spüren und ihr beruhigend über die bebende Flanke lecken. Sie hatte Angst. Sie war verwirrt und direkt nach ihrer Verwandlung, in einem kleinen Raum eingesperrt, den sie nicht wollte.
„Marissa...“ Knurrte ich sanft, was die Wölfin erschrocken zusammenschrecken ließ. Wir sprachen in unserer Wolfsform ausgesprochen selten, da es schwierig war und erst mal gelernt sein musste. Marissa´s Name jedoch, lief mir wie Honig über die Lippen.
Meine Nase hatte gerade einmal ihr dichtes, weiches Fell berührt, da begann sie auch schon zu knurren.
Augenblicklich knurrte ich zurück und nahm eine Kampfstellung ein, da ich bemerkte, wie sich ihre Muskeln anspannten. Ihr gefiel es überhaupt nicht, dass ich ihr ungefragt so nahe kam. Eigentlich war es ja auch eine Frechheit, von meiner Seite aus, aber zur Hölle mit allen Rudel-Benimmregeln!
Ob Wolf oder Mensch, ich wollte diese Miststück, egal unter welchen Bedingungen!
Ich kam nicht einmal dazu, meinen Leib an ihrem zu reiben, da verpasste sie mir, mit der Pfote, auch bereits eine gewaschene Ohrfeige, welche mich zur Seite taumeln ließ. Verdammt, der Schlag war fies!
Entnervt von diesem völlig unnötigen Vorspiel, denn Marissa gehörte so etwas von mir, sprang ich auf sie und versuchte mich in ihrem Nacken zu verbeißen. Dass wir dabei die Türe zuwarfen und den Kleiderschrank eindellten, bemerkten wir nicht.
Ich jaulte auf, als mich ein fieser Biss am Ohr erwischte, doch es blutete nicht. Noch ein Biss, dieses Mal an der Wange und ich erkannte, dass Marissa doch tatsächlich die Frechheit besaß, mich herauszufordern!
Okay, eigentlich hatte ja ich damit begonnen, doch Marissa gehörte mir. Sie ist das Stück Fleisch, um das ich mich jeden verdammten Tag, für den Rest meines Lebens reißen wollte, und was tat dieses undankbare Weib? Sie verwehrte sich mir, nur weil sie eine Alpha ist?
Noch verärgerter schlug ich ihr auf die Nase, als sie versuchte mich in die Schulter zu kneifen, dafür riss sie mir ein Büschel Fell aus und so etwas wie ein ärgerlicher Ruf erklang. Da er jedoch weder von mir, noch von Marissa aus gekommen war, ignorierten wir beide es.
Die weitaus größere Wölfin warf sich mit einem Mal, mit ihrem gesamten Gewicht auf mich darauf. Marissa wog locker fünfzig Kilo mehr, als ich und begrub mich unter ihrer Museklmasse, so wie dem vielen Fell, als sei ich nichts weiter, als ein treues Kuscheltier.
Strampelnd wandt ich mich unter ihrem Körper heraus, bis wir uns wieder gegenüber standen. Der schwarze und der blonde Wolf. Schnauze an Schnauze, mit aufgestelltem Fell und Geifer, welcher uns aus dem Maul lief, während wir langgezogen und ärgerlich knurrten.
Marissa hatte nicht vor, sich von mir einfach in Besitz nehmen zu lassen. Sie wäre ja auch dumm, wenn sie es täte, doch dass ihre Wölfin gleich so instinktiv reagierte, direkt nach ihrer ersten Verwandlung, hatte mich doch ein wenig überrumpelt.
„Mein!“ Knurrte ich verärgert.
„Wage es ja nicht! Ich töte dich sonst!“ Erklang es, von einer völlig anderen, männlichen Stimme, doch mein Interesse war zu gering, um ihr auf den Grund zu gehen.
Plötzlich ging Marissa in die Hocke und spannte ihren Körper an. Ich sah ihr deutlich an, dass sie nicht vorhatte, klein bei zu geben, weshalb ich mich auf den Angriff gefasst machte, welcher nur eine Sekunde später folgte.
Bloß, dass es kein Angriff war. Sie stieß mich mit ihrem Körpergewicht einfach zur Seite, grub ihre Krallen in das Parkett und sammelte so viel Schwung, wie sie auf die geringe Distanz zwischen Kasten und Fenster aufbringen konnte.
Mit einem Klirren, so wie einem Jauchzen, welches, wenn ich es nicht besser wüsste, wie ein >Juhu< klang, segelte die hundert Kilo Wölfin aus dem Fenster und landete leichtfüßig, drei Meter tiefer, auf der Wiese.
Mein Kopf folgte ihr ruckartig und ich konnte nichts tun, abgesehen davon, ungläubig den Kopf zu schütteln.
Hallingway´s... Die waren doch alle durchgeknallt!

Jared und die verrückte Alphawölfin...

Oh nein, das würde sie mir doch nicht antun! Richtig?
Zwar sah ich es mit eigenen Augen, doch glauben wollte ich es wirklich nicht. Das war einfach zu absurd! Immerhin leben wir im einundzwanzigsten Jahrhundert, da tat man einen solchen Blödsinn beim besten Willen nicht mehr. Es war barbarisch und einfach... unreif, wenn man mich fragte.
Aber gut, ich wurde nicht gefragt, da alle Hallingway´s einfach absolutbösartig und verrückt sind.
Knurrend stand die Alphawölfin nun vor einem absolut mundtoten Rudel. Bloß die Technomusik, welche irgendein Idiot ausgewählt hatte für diesen Abend, rauschte noch ein wenig im Hintergrund. Lediglich das sanfte, einladende Knurren, einer mehr als bereiten Wölfin übertönte die schreckliche Musik. Was davon ich im Moment schlimmer fand, konnte ich nicht wirklich sagen. Ich hasste Techno, doch der Gedanke, dass sich jeden Moment, ein Haufen wollüstiger Idioten auf die Alphawölfin werfen könnten, war mindestens genauso schlimm.
Mir wurde die Entscheidung jedoch abgenommen, da nur drei Sekunden später, die Augen eines jeden einzelnen, hier anwesenden Wolfes aufleuchteten. Egal in welchem Alter, egal ob gebunden oder nicht. Sie alle nahmen die neue Alpha mehr als deutlich wahr.
Die meisten senkten im selben Moment den Blick, als dieser Marissa begegnete. Sie waren niedere Beta oder kaum dominant und fielen damit bei weitem nicht in das Beuteschema eines Alphas. Sie hatten bereits jetzt die anstehende Jagd verloren.
Mein gesamter Körper erbebte, bei dem mahnenden Knurren, welches ich ausstieß. Wenn sie es wagten... Ich würde ihnen die Kehlen zerfetzen!
„Scheiße.“ Fluchte meine Schwester ungalant und brachte das Chaos auf den Punkt. Marissa tat da etwas, was bereits seit einigen Generationen nicht mehr stattgefunden hatte.
Früher ließ man, frisch verwandelte Wölfinnen, im zarten Alter von gerade mal zwölf bis vierzehn Jahren, durch den verdammten Wald hetzen, gefolgt von einer Meute, notgeiler Wölfe, welche versuchten sie für sich zu beanspruchen.
Selbstverständlich war dieser absurde Brauch von den Alphas vor Mal und Logan, bereits vor längerem verboten worden. Zumindest hatte ich aus den Tagebüchern meiner Vorfahren erfahren, dass ein Silvermoore Alpha, bei der Gründung seiner ersten Siedlung und dem Einzug in den Hauptwohnsitz, dieses Gesetz erlassen hatte. Frauen druften selbst wählen, ob sie erobert werden wollten, oder lieber ihren Gefährten suchten.
Verdammt noch mal! Ich stand nur einen Meter von Marissa entfernt, mein Wolf war, im Gegensatz meines besseren Wissens, mehr als bereit, diesen Bund augenblicklich mit ihr einzugehen, doch was tat sie? Dummes, verrücktes Miststück! Wofür hatte ich das nur verdient?
„Ist das...“
Logan war blitzartig neben einer völlig fassungslosen Vanja erschienen. Seine Augen glühten, doch im Gegensatz zu den großteils ungebundenen Wölfen, war er nicht in ihren Bann gezogen. „Ja, das ist sie. Und sie macht eben einen riesen Fehler!“
Meine Rede! Er war ihr großer Bruder, er sollte ihr diesen Scheiß dringend ausreden!
„Marissa... Hör mir bitte zu.“ Der Blick der Alphawölfin traf den des menschlichen Alphas, woraufhin er augenblicklich stehen blieb. „Du solltest das Rudel nicht zu diesem Lauf zwingen. Du wirst es dein lebenslang bereuen! Glaube mir das! Bitte, Marissa!“
Vanja trat ängstlich an die Seite ihres Mannes, als es nach und nach begann, Kleidungsstücke zu regnen. „Marissa! Ich bitte dich!“
Für einen Moment verweilte der Blick von Marissa auf dem von Vanja. Ich hielt gespannt die Luft an. Sie waren eine Familie. Wenn nicht die beiden, wer sonst könnte Marissa ein wenig Verstand eintrichtern?
Ich hätte es ganz bestimmt ahnen müssen, doch so schnell, wie Marissa durch das Fenster gesprungen war, stürmte sie nun auch hinein in den Wald.
Die wenigsten hatten genug Zeit, um sich zu entkleiden, da übernahmen ihre Wölfe bereits die Führung. Viele liefen einfach nur des Spaßes halber mit. Sie wussten, dass sie keine Chance hatten, die kräftige und eigenwillige Alphawölfin jemals an sich zu binden. Andere hingen, dominantere Wölfe, wie ich selbst einer war, hatten ganz gute Chancen und genau das war es, was ich an alldem am meisten hasste. Marissa würde nehmen, was mir zuvor kam...
„Logan, tu doch was!“
Logan knurrte, da die Wiese sich allmählich leerte. „Du weißt, ich kann nicht. Sie hat es entschieden.“
„Aber, sie weiß doch überhaupt nicht, was sie da tut!“
Logan schlang seine breiten, muskulösen Arme um seine viel zu zierlich wirkende Frau und wiegte diese sanft. „Dann wird sie daraus lernen müssen. Ich habe alles getan, was ich konnte.“
Alles? Für den Arsch! Er hatte sie unterdrückt und dann auch noch betäubt! Das war nichts, was ich als >alles getan< bezeichnen würde!
„Hey! Bist du verrückt?“
Ich hatte gerade bemerkt, dass ich einer der wenigen, recht ratlosen Familienmitglieder war, die noch hier auf dem großen Feld, hinter dem Herrenhaus herum standen.
„Nein! Das wirst du nicht tun. Du wirst sie ja ohnehin nicht bekommen!“
Ich wollte meine Schwester schon anknurren, von wegen wo sie sich diese Worte hin stecken konnte, doch als ich ihr meinen Kopf zuwandte, sah ich, dass sie ihre Finger tief im Fell eines flauschigen, braunen Wolfes versenkt hatte und ihre Hacken in die Wiese stemmte.
Was zur Hölle tat Violetta da?
„Hey! Wenn du mich zwickst, trete ich dir in den Arsch, klar?“
Der Wolf hatte nach Violetta´s Finger geschnappt, damit diese ihn losließ, doch ich verstand dieses Szenario noch immer nicht so richtig.
„Du bist ein Cavanaugh! Sie würde dich ohnehin nur in den Boden stampfen.“
Nun kratzte der Junge Wolf nach meiner Schwester, welche dem Hieb hastig auswich, doch damit auf dem Boden landete.
Knurrend blickte er auf sie herab und trat langsam den Rückzug an. „Gut, dann tu eben, was du nicht lassen kannst.“ Rief sie dem Wolf hinterher, welcher langsam schneller wurde. „Scheiß Bauer! Soll sie dir gleich den Kopf abschlagen!“
Verdammt, hinkte ich etwa einem lahmen Cavanaugh hinterher?
Der Ärger packte mich, genauso wie der Ehrgeiz. Dieses Scheißmiststück hatte mich nicht nur einfach stehen gelassen, nein ich stand hier auch noch wie ein gaffender Idiot herum, der nicht einmal eine Birne von einem Apfel unterscheiden konnte.
In verdächtigem Rekordtempo preschte ich in den Wald hinein und erkannte, dass das Rudel bereits einen beträchtlichen Vorsprung hatte. Wenn ich mich nicht ran hielt, würde irgend so ein wertloser Redhill, oder lahmer Sivermoore sie vor mir erwischen!
Das konnte ich einfach nicht tollerieren, doch mit dem, was als Nächstes kam, rechnete ich noch weniger.
Viele Jungwölfe, die gerade einmal frisch verwandelt waren und vor allem die ältesten, liefen einfach nur des Spaßes halber, mit dem Rudel mit. Sie benutzten das halbe Tempo, oder ließen sich von Fährten ablenken, um Kleinvieh aufzuschrecken.
Silvermoore, Redhills und Cavanaugh stürzten sich einen halben Kilometer tiefer im Wald, stürmisch über ein aufgeschrecktes Reh, welches gar nicht wusste, wie ihm geschah, als es auch schon tot war.
Drei Wölfe zankten sich um einen erlegten Hasen, während wieder ein anderer, ganz verspielt mit einem Igel turtelte.
Das war etwas, was ich jedoch monatlich erleben konnte. Das richtig Fiese, ging einen Kilometer tief im Wald los. Zwei Redhill hatten sich in die Wolle bekommen, bissen sich sogar blutig, bis sie bemerkten, dass ich in Windeseile an ihnen vorbei preschte. Hastig lösten sie sich voneinander, da ihnen klar wurde, dass sie abgehängt worden waren, von der noch jagenden Meute.
Tja, das war Pech für die beiden.
Etwa eineinhalb Kilometer weiter vom Haus entfernt, schnüffelten einige Wölfe im Kreis herum, so als ob sie etwas suchten, doch ich musste bloß dem Lärm folgen, um die ungefähre Richtung zu bestimmen.
Am dritten Kilometerpunkt schloss ich endlich auf. Zu meiner großen Überraschung war nicht viel von der Meute übrig geblieben. Scheinbar hatte Marissa es geschafft, den Großteil abzuhängen, oder sie waren sicher ihrer geringen Chance bewusst geworden, jedenfalls konnte ich nun die Wölfe, welche noch an Marissa´s Ferse hafteten, an zwei Händen abzählen.
Da waren drei Silverwood, ein Cavanaugh und vier Redhills. Sie holten schon den letzten Rest aus sich heraus, den sie für diese Art an Verfolgung ausschöpfen konnten. Marissa hatte es ihnen scheinbar nicht einfach gemacht. Auch jetzt hatte ein Silvermoore aufgeholt, versuchte sie am Hinterbein zum stolpern zu bringen, doch ehe dieser sie erreichte, lief sie eine enge Kurve und der arme krachte, verwirrt von dem plötzlichen Richtugswechsel, frontal gegen einen stabilen, uralten Baum, sodass die Nadeln nur so auf ihn rieselten.
Bewusstlos blieb auch er zurück.
Gemeines Biest! Wieso lief ich hier überhaupt mit? Um so zu enden, wie dieser Silvermoore? War es das Wert?
Mein Knurren lenkte die Aufmerksamkeit der anderen nun auf mich. Der Blick von den vier Redhill, welchen sie sich zuwarfen, reichte, um zu ahnen, dass sie mich schnell aus dem Rennen drängen wollten. Natürlich war ich als Nightengale hier absolut und unwiderruflich unerwünscht. Es würde quasi gegen ihre Wolfsehre verstoßen, mich einfach gewinnen zu lassen, daher stürzten sich die drei, sehr kampferfahrenen und massiven Wölfe wie Odins Wolfsmeute direkt auf mich.
Winselnd ertrug ich, wie sie nach mir bissen und sogar heftige Blutergüsse zu fügten, aber das war mir egal. Ich preschte voran, gefühlt noch schneller als zuvor und vor allem zerschrammter.
Durch diese Vier idioten, war ich ordentlich zurück gefallen und da waren immer noch drei Wölfe, welche an der Spitze liefen. Ein Cavanaugh, welcher einfach sein Glück versuchte und zwei Silvermoore, welche sich bestimmt dachten, sie hätten es verdient, der Gefährte eines Alphas zu sein. Dem einzigen Ledigen hier.
Hinter mir waren aber auch noch die vier Redhills. Sie waren vielleicht nicht so flink wie ich, doch ihr Durchhaltevermögen, grenzte schon beinahe an der willkürlichen Laune von Mutter Natur, welche einem ihrer Geschöpfe ein besonderes Geschenk gemacht hatte. Redhills waren im Durchschnitt Rotwölfe, von enormer Größe und fast ein jeder von ihnen war dominant. Sie sind im Grunde das Gegenteil von den zurückhaltenden, einfühlsamen Cavanaugh´s. Sie waren brutale Krieger und früheren Geschichten unserer Ahnen zu folge, sollen sie von Odins unheilvollsten Wolf höchst persönlich abstammen. Von Fenris.
Aber daran glaubte natürlich heute keiner mehr...
Verdammt! Ich flog geradezu über einen blutigen Cavanaugh, mit gebrochenem Bein. Er winselte, doch ich hielt nicht an, um ihm Beistand zu leisten. Das erschien kaltherzig, doch ehrlich. Wir waren hier in einem Wald voller Wölfe, sollte sich doch einer der zurückgebliebenen um diesen hier kümmern.
Mein Ziel war ein völlig anderes. Etwas, was meinen Ehrgeiz überstieg und mein gesunder Menschenverstand vermutlich als den größten Fehler meines Lebens abtun würde.
Aber da war es endlich! Ich konnte es kaum glauben, doch Marissa hatte tatsächlich innegehalten. Gar nicht mal so weit entfernt von der Stelle, an der ich zurückgeblieben bin. Sie war eine Runde gelaufen, um hierher zurückzukommen und nach mir zu sehen, was mich zutiefst berührte, denn es bedeutete, dass Marissa nur lief, damit ich mich ihr bewies.
Aber wieso? Wieso sollte ich beweisen, dass sie mir gehörte, wenn das doch mehr als offensichtlich ist?
Sie hatte es als Mensch nicht verstanden, diese Anziehung, welche sie zu mir empfand, doch hätte ich nur ein wenig auf meinen stets unruhigen Wolf gehört, so hätte ich es bestimmt augenblicklich gewusst.
Ihr Duft, ihre Art, dieser freche kleine Mund... Sie gehörte mir! Mir allein!
Schlitternd kam ich direkt vor Marissa zum Stehen, wirbelte herum und baute mich zu einer, wie ich finde, sehr imposanten Größe vor den beiden Silvermoore´s auf.
Zähne fletschen und aus mehreren Wunden blutend, keifte ich sie an, dass sie es nur versuchen sollten. Kampflos würde ich nicht das Feld räumen, doch die beiden Silvermoore waren klug genug, es nicht zu versuchen. Sie sind Denker, keiner Kämpfer. Klar, würde es um Leben und Tot gehen, dann besaßen sie natürlich eine gewisse Zerstörungskraft, da sie systematisch vorgingen und nach einer Strategie kämpften, wie es nur Menschen taten.
Aber hier, jetzt und unter solchen Umständen, räumten sie doch besser das Feld. Vielleicht kam ich nicht mehr so locker gegen die beiden an, wie noch vor einer halben Stunde, doch ihnen war der Aufwand sichtlich nicht Wert, den sie betreiben mussten, um an mir vorbei zu kommen. Nicht bei meinem Grad der Verärgerung.
Als die beiden abgezogen waren, sah ich mich noch einmal nach den vier Redhills um. Sie schienen ihre Jagd ebenfalls aufgegeben zu haben, denn keiner von ihnen tauchte selbst nach einer vollen Minute, in der ich einfach dastand und mahnend den stockdunklen Wald anknurrte, nicht wieder auf. Vielleicht waren ihnen ja die beiden Silvermoore begegnet, die bestimmt davon ausgingen, dass mich die Alpha nun in Stücke Riss.
Immerhin sprachen wir hier von einer Hallingway. Einer blondhaarigen, eingebildeten Schnepfe, die sich niemals auf einen egomanen, überheblichen Nightengale einlassen würde.
Als ich meinen Wolf endlich zur Ruhe rief und mich endlich umwandte, traute ich meinen Augen kaum.
Marissa lag erschöpft auf einem Haufen an Blättern, der da vor einer Minute ganz bestimmt noch nicht gelegen hatte, und leckte ihre dreckig gewordenen Pfoten! Wie dreist konnte man eigentlich sein? Sich so auf dem Silbertablett zu präsentieren?
Ihr Fell schimmerte schon fast silbrig, im Licht des Mondes und der Pelz wurde von einer sanften, kühlen Briese bewegt, welcher scheinbar nur darauf gewartet hatte, die Wölfin in eine filmreife Szene setzen zu können.
Zur Hölle mit diesem Teufelsweib!
Sie sah ja noch nicht einmal auf, als ich auf sie zukam und an ihr schnüffelte. Meine feuchte Nase vergrub sich glatt in ihrem Nackenfell, doch Marissa leckte selbstzufrieden ihre Pfote weiter. Es juckte sie kein Stück, dass ich eben von vier Felsen überrollt worden war und meine Pfoten brannten, als wäre ich über heißen Teer gelaufen.... Mit Zementstiefeln an! Ich hatte das absolute Maximum aus mir heraus geholt, um sie einzuholen, und was tat diese Göre?
Ärgerlich zog ich sie am Ohr, was sie mit einem Seitenhieb ihrer Hinterpfote quittierte. Jetzt hatte ich Marissa und dementsprechend forderte ich auch meine Belohnung ein! Zumindest einen Hauch Aufmerksamkeit konnte sie mir dann doch schenken, richtig?
Andererseits... Konnte ich ihr denn verdenken, dass sie mich nun so zappeln ließ? Nicht nur die Sache in meiner Bar konnte sie mir übel nehmen, nein vor allem die Worte in meiner Buchhandlung. Das war nicht ganz okay gewesen. Aber es war doch einfach die Wahrheit, nicht wahr? So gerne ich auch Bücher hatte, lebte ich nicht in einem romantischen Abklatsch von dem, was Marissa als >aufregend< empfand. Zur Hölle und retour, noch mal! Ich bin ein verdammter Nightengale und im Gegensatz zu den Hallingway´s, lag mir die Geduld im Normalfall im Blut.
Bedauerlicherweise aber, nicht in diesem Moment... Ich hatte ehrlich genug von ihr und ihrem umso nervigeren Charakter! Marissa ging einfach zu weit!
Mit regelrecht stampfenden Schritten, kam ich auf die Wölfin zu, welche es wagte, ihre neu gewonnen, scharfen Krallen zu bewundern, als käme sie frisch von der Maniküre.
Ich bin ein gottverdammter, dominanter Wolf! Sie gehörte mir. Einfach mir, ganz alleine!
Bedrohlich ragte ich mit meinem schwarzen Fell, wie ein dunkler Schatten über Marissa´s weißlich wirkenden Fell auf. Mehr grob, als leidenschaftlich, packte ich sie mit den Zähnen im Nacken und brachte mich über sie in Position. Wenn sie nicht anders auf mich reagierte, dann würde es eben ein harter Fick als Wolf werden müssen. Daran war sie selbst schuld.
Ehe ich mich versah, purzelte ich jedoch bereits von ihr herunter und sie trabte gemächlich auf eine Pfütze zu, die sie eben entdeckt hatte.
Nicht... ihr... verdammter... ernst! Ein Nachtfalter schien irrtümlich in der Pfütze gelandet zu sein, nun versuchte sie ihn, recht ungeschickt, wie ich anmerken musste, zu retten.
Erneut folgte ich ihr, kletterte auf ihren Rücken, doch kaum hatte sie ihn gerettet, wirbelte sie herum und schlug mir die Vorderläufe weg, sodass ich mit der Nase voran, im Matsch landete.
Na danke auch.
Schnaufend lief sie von dannen, obwohl man es, gelinde gesagt, eher als Tänzeln bezeichnen sollte.
Jetzt verstand ich... Marissa verarscht mich.
Schnaubend ließ ich meinen Hintern auf den Boden plumpsen. Nein, auf diesen Scheiß würde ich mich nicht einlassen. Wir sind zwei halbwegs erwachsene Menschen. Außerdem beide intelligent, da brauchte man doch wirklich keine Spielchen spielen. Zumindest nicht so Kindische, verdammt!
Beleidigt wandte ich mich ab und sah überall hin, darauf bedacht, ihr keinerlei Beachtung mehr zu schenken, denn das wollte diese blöde Wölfin ja offensichtlich. Beachtung und im Mittelpunkt stehen. Wie alle Frauen.
Als ich tatsächlich eben von einer Eule abgelenkt war, welche lautlos durch die Lüfte segelte, wurde ich so schnell umgeworfen, dass ich sogar willkürlich winselte. Erschrocken blickte ich auf, in da zahlreich bestückte Maul einer verspielten Wölfin, die auf meinem Maul herum kaute.
Grummelnd stieß ich sie mit den Beinen von mir und trottete noch etwas von ihr weg. Was sie konnte, konnte ich schon lange.
Dafür wurde ich ins Ohr gezwickt, kaum dass sie neben mir saß und ihre Flanke an die meine schmiegte. Vorhersehbar, Hallingway... Also wirklich.
Ich wandte mein Gesicht in die andere Richtung, wobei Marissa ihre Chance nutzte, um ihre feuchte Nase in mein Nackenfell zu stecken. Das kitzelte so sehr, dass ich mich schlussendlich doch unter ihr hindurch ducken musste, damit sie aufhörte. Ich weiß, es ist ein wirklich dummer Ort, aber man suchte sich nicht wirklich selbst aus, wo man kitzelig war...
Mit einem nachdrücklichen Knurren, schlug ich ihr sanft auf die Schnautze, damit Marissa endlich aufhörte, mich zu beschnüffeln, doch sie hörte einfach nicht auf.
Was war denn jetzt schon wieder?
Ehe ich mich versah, baute sich Marissa, vollkommen in Spiellaune versunken, die absolut unangebracht war, auf und warf sich mit ihrem ganzen Gewicht auf mich. Schon wieder... Während ich mich knurrend unter ihr hervor schob, knabberte sie seelenruhig an meinem Ohr, was sich, verdammt soll ich sein, wahnsinnig gut anfühlte. Willkürlich gab ich einen, nicht ganz wölfischen, Ton von mir, während sie begann mein Ohr zu lecken. Genüsslich strich sie immer und immer wieder seitlich über meinen Schädel, so wie mein Nackenhaar. Sie leckte es ausgiebig und genussvoll, als wäre es absolut notwendig, dass ich mich nun entspannte.
Irritierenderweise tat ich das auch. Ich hörte auf zu kämpfen. Ich ließ einfach... einfach los, streckte mich, so gut es, halb unter ihr begraben, ging aus und öffnete sogar hechelnd das Maul, während sie einfach weiter machte.
Himmel, ich hätte nicht gedacht, dass es sich so gut anfühlen konnte, von einer Wölfin abgeleckt zu werden... War das irgendwie pervers? Vermutlich nur, wenn man sich davon angemacht fühlte, doch ich hingegen, fühlte mich einfach nur angenehm entspannt. Etwas, was ich so in Wolfsgestalt ehrlich nicht kannte.
Normalerweise war es stets stressig ein Wolf zu sein. Entweder man kämpfte, jagte oder wurde von jemanden herum kommandiert. Ich zum Beispiel lief auch bloß als Wolf durch die Gegend, um mich abzureagieren, nicht um zu entspannen. Das tat ich ausschließlich, als Mensch... vor einem guten Buch.
Als Marissa bemerkte, dass ich so schnell nirgendwo hingehen würde, robbte sie endlich von mir hinunter und ich konnte mich auf den Rücken rollen. Waren die Wolken immer schon so hellgrau und magisch gewesen? Und der Mond erst... Wieso war mir nie aufgefallen, wie mystisch und faszinierend er war?
Marissa begann urplötzlich damit, auch meinen Bauch zu lecken. Ich gab einen überraschend hundeartigen Laut von mir und streckte mich sogar. Moment, hatte ich sie nicht eben noch verflucht? Wie hatte sie mich so schnell zur absoluten Entspannung gebracht?
Seltsam erregt, rollte ich wieder herum, kam auf die Beine und schüttelte mich ab, nachdem ich im Grunde eine Rolle über den Boden gemacht hatte, wie ein artiges Hündchen. Auch Marissa setzte sich auf und besah mich mit einem Blick, den ich kaum zu beschreiben vermochte. Er war überraschend sanft und man erkannte deutlich die Menschlichkeit in ihren herrlichen Wolfsaugen.
War das etwa... stolz?
Ja, ganz deutlich. Das, was sie empfand, war tatsächlich stolz, bloß auf wen? Auf mich wohl kaum, dafür waren sich sämtliche Nightengale zu schade. Ruhm nahmen wir für selbstverständlich und Niederlagen wurden mit eiskalter Ignoranz bestraft.
Grummelnd ging ich auf die kräftige Wölfin zu. Sie wandte nicht einmal für einen Wimpernschlag, ihre Augen von mir ab, sondern musterte jede Einzelne meiner Bewegungen, als seien sie der Schlüssel zu jeglichem Wissen. Fand sie meinen Wolfskörper so imposant und herrlich, wie ich den ihren? Mochte sie, wie sich mein Fell anfühlte, wenn es über das ihre glitt? Oder fand sie es genauso faszinierend wie ich, wenn ihr Körper vom Knurren erschauderte?
Inbrünstig betete ich zu allem, was mir heilig war, in diesem Fall der weibliche Teil meiner Familie, dass Marissa dasselbe empfand, wie ich es tat. Ich wollte nichts sehnlicher, als dass sie es genauso fühlte. Diese Anziehung, die statische Ladung, die praktisch vom reibenden Fell, direkt in meine Lenden schoss.
War so etwas normal? Empfand man so etwas immer, wenn man mit anderen Wölfen zusammen war, die nicht zur eigenen Familie gehörten?
Mir war es ehrlich gesagt egal, denn als Marissa ihren herrlichen Körper erhob und sich, an meinen Körper schmiegend um mich herum bewegte, um mich mit ihrem Duft zu markieren, dachte ich ohnehin nicht mehr an irgendwelche anderen Leute. Selbst meine eigene Familie vergaß ich, denn dieser seltsame Urinstinkt stieg erneut in mir auf. Den, den sie mit ihren dummen Scherzen in den Boden getapst hatte. Jetzt kehrte er umso intensiver wieder zurück und mein grummeln wurde zu einem dunklen Grollen, während meine eigene Erregung diesen verfluchten Wald zu meinem Eigen erklärte. Genau hier, genau jetzt würden sie keine Späße oder Ähnliches mehr retten. Auch wenn ich ehrlich noch immer nicht verstand, wieso sie versuchte mich dermaßen aus dem Pelz fahren zu lassen. Das ergab keinen Sinn und schien auch keinem logischen Zweck gedient zu haben.
Am Ende würde es ohnehin bloß auf eines hinaus laufen. Zwei Wölfe. Zwei Körper. Und eine Menge Geschrei...
Mir gegenüber hatte sich Marissa bisweilen noch nicht sonderlich dominant verhalten, weshalb ich auch, wie ich schamhaft zugeben musste, für einen Moment völlig ausblendete, dass sie eine richtige Alphawölfin war. Und ehrlich, ich hatte es verdient, denn als Marissa die zweite Runde um mich herum beendet hatte, warf ich mich mehr wie ein räudiger Straßenköter, als ein atemberaubender Wolf, auf sie, packte sie im Nacken und versuchte sie, in eine unterwürfige Position zu zwingen, auf dass ich sie hart durchvögelte.
Dass sie mich dafür bis aufs Blut in die Pfote biss, war dementsprechend wohl verdient. Ärgerlich knurrte sie und baute sich, gefühlt doppelt so groß auf, als dass sie es eigentlich war. Ihr tiefes Knurren, war wütend und mahnend zugleich. So einfach gab sie sich also nicht geschlagen.
Aber trotzdem! Egal ob es ihr passte, oder nicht... Marissa hatte den Lauf um ein lebenslanges Band mit ihr, begonnen. Ich hatte ihn beendet, also gehörte sie mir allein. Wieso also zierte sie sich so?
Erneut sprang ich auf sie, doch sie warf sich herum, sodass wir mehrmals über den Erdboden kullerten. Dabei fügte sie mir ein paar wirklich gemeine Bisse zu, während ich mich krampfhaft versuchte, auf ihr zu halten.
Aber es nützte nichts. Marissa war hartnäckiger und frecher, als es gut für meinen armen Körper war, der übrigens ohnehin von Blessuren überseht, war.
Die einzige Möglichkeit war, dass wir uns zurückverwandelten und darüber sprachen, selbst wenn ich etwas ganz anderes bevorzugte.
„Marissa...“ Knurrte ich. „Verwandeln. Sofort.“ Meine Stimme klang wie ein grollendes Unheil. Ein detail, was Gestaltwandlern wie uns bestimmt diesen fiesen Beinamen wie >Werwölfe< eingebracht hatte. Abgesehen davon, dass sämtliche Darstellungen davon absoluter Unsinn waren, gab es bis heute keine bestätigten Fälle, von uns Wölfen, die jemals eine Zwischenform angenommen hätten.
Marissa wandte schnaubend den Kopf ab, offensichtlich hatte sie einfach keine Lust, sich zu verwandeln. Sie wollte lieber ein Wolf sein, aber sie wollte auch mich nicht an sich heran lassen.
Nun frustrierter, als zuvor, versuchte ich erneut mein verdammtes Glück. Irgendwann musste sie doch nachgeben, richtig? Ich benutzte alles, was mir in den Sinn kam, um diese verdammte Wölfin halbwegs im Zaum zu halten, doch sie warf mich ein jedes Mal ab.
Und das Schlimmste daran war ja, dass sie mich dabei offen verspottete! Erst noch fügte sie mir blutige Bissspuren zu, nun streckte sie sogar dämlich ihre Zunge heraus und lachte mich aus, wie einen Versager.
Das würde ich mir wirklich nie bieten lassen! Nicht einmal von einer Alpha! Nein, besonders nicht von dieser!
Marissa fühlte sich sichtlich so wohl in ihrer erhabenen Position als Alpha, dass sie es mir sogar erlaubte, um sie herum zu gehen. Sie ließ mich hinter ihrem Rücken verschwinden und wandte mir nicht einmal ein Ohr zu, als sei ich nichts weiter, als ein lästiger Floh, den sie ohnehin gleich wieder abschüttelte. Aber nicht mit mir!
Es war zwar absolut nicht meine Art, aber dieses Weib ließ mir keine andere Wahl. In Ermangelung besserer Ideen tat ich das Frechste, was mir einfiel. Ich steckte meine Schnauze zwischen ihre Beine und leckte an ihrem Geschlecht.
Quietschend fuhr Marissa halb aus der Haut und holte japsend Luft. Was sie jedoch nicht tat, war mir eine zu verpassen, oder mich zum Teufel zu jagen.
Vorsichtiger dieses Mal, versuchte ich erneut mein Glück, streckte meine Zunge aus und hörte erneut dieses herrliche, erschrockene Japsen, während sie zittrig nach Luft schnappte und ihr Kiefer daraufhin fest zusammenhielt, um keinen weiteren Ton mehr auszustoßen.
Na wenn das so ist... Genüsslich streckte ich meine Zunge mehrmals aus, leckte über ihren niedlichen, fluffigen Hintern, der sogar ein wenig weißlich dort unter dem Schwanz wirkte, bis ein ganz anderer Geschmack meine Knospen traf. Mh... Jetzt war mein Mädchen so richtig läufig! Halb wahnsinnig von diesem betörenden Geschmack, an dem ich kein Stück zweifelte, dass es sogar als Mensch so zwischen ihren Beinen schmecken würde, tat ich das, worauf ich schon seit einer halben Stunde hin spielte. Den verdammten Lauf natürlich nicht mitgerechnet.
Ich war bereits auf ihr, ehe sie begriff, dass ich aufgehört hatte sie zu lecken und drückte sie mit meinem Gewicht, in eine Position, aus der sie so schnell nicht hochkam, da sie mit ihrem eigenen Gewicht, so wie meinem, auf ihren Pfoten lag. „Verwandeln!“ Knurrte ich, halb Mensch, halb Wolf, auf dem besten Weg, meinen viel zu harten Schwanz, hier und jetzt in ihr zu versenken, egal, in welcher Gestalt sie sich befand.
Klugerweise gab Marissa nach. Stöhnend verwandelte sie sich zurück, in eine nackte, Blondine, mit Flüchen auf den Mund, sodass ich überlegte, das nächste Mal Seife mit in den Wald zu nehmen. Bloß zur Sicherheit und so...
„Verdammt, Hallingway!“ Knurrte ich und ließ zu, dass sie sich herum drehte.
Mit wüsten Flüchen auf den Lippen versuchte sie sich unter mir hervor zu schieben, doch da kniete ich bereits auf ihren Händen. „Vergiss es. Du hattest deine Chance, dir einen anderen zu angeln. Du hast verhkackt!“ Sagte ich ihr ganz direkt und küsste sie auf den Mund, um sie zum Schweigen zu bringen, ehe noch ein weiteres Wort diesen verließ.
Stöhnend erwiderte sie meinen Kuss, aber hörte nicht auf, sich gegen mich zu wehren. Das Spielchen war jedoch vorbei. Ich wollte, was mein war. Hart. Schnell. Und vor allem dreckig!
„Verdammt, was tust du?“
Fluchte sie erneut. Als ich jedoch meine Finger zwischen ihre Beine schob, rollten sich ihre Augen nach hinten und sie begann gleich ganz andere Flüche auszustoßen. „Nach was fühlt es sich denn an?“
Auf meine Berührung hin, hatte Marissa zwar die Beine ein wenig gespreizt, doch als ich meine Zehen zwischen ihre Schenkel schob, bemerkte sie, dass ich etwas vorhatte, was ihr überhaupt nicht gefallen würde. Ihr war nur noch nicht ganz klar, was das sein würde.
Zufrieden lächelte ich auf das kleine, mehr als verwirrte Miststück herab. Das hatte sie so etwas von verdient, verdammt!
„Jared! Ich warne dich! Wenn du mich hier im Wald, feucht und bereit zum Ficken einfach liegen lässt, wird dein ganzer Körper morgen, von Wachs überseht sein, klar?“
War das eine Drohung oder irgendeine verrückte Art von Verführung?
„Weder noch, Liebes.“ Ich griff zu meinem erregten Penis und begann ihn schnell zu massieren. Ihre Augen wurden ganz groß, als sie das bemerkte und für einen kleinen Moment, konnte sie ihre Augen nicht von eben jenem Stück lassen.
„Keine Sorge, ich bin schon seit einer halben Stunde kurz davor zu kommen. Es wird schnell gehen.“ Versprach ich.
Ihr Blick schoss wieder hoch zu meinen Augen. „Was meinst du damit, wenn du sagst, dass es gleich vorbei sein wird?“
Anstatt ihr eine Antwort zu geben, tat ich das, wovon ich ganz klar wusste, dass sie es hassen würde. Ich drückte mich tiefer, bis ich mich ganz zwischen ihren warmen, feuchten Schenkeln hindurch schieben konnte, ohne dabei jedoch in sie einzudringen. Stöhnend genoss ich das Gefühl der warmen Feuchtigkeit, wie ihre Beinmuskeln um mein Fleisch drückten und es massierte, ohne dass sie es eigentlich wollte.
„Verdammt, Jared! Ich reiß dir hier und jetzt den Kopf ab! Wehe du machst das! Ich töte dich, haben wir uns verstanden? Ich reiße dir jedes Glied extra aus und mit deinem verdammten Schwanz werde ich anfangen!“
Ich keuchte. „Scheiße, oh ja! Sag das noch mal, Liebes.“ Alleine der Gedanke, das sie ihn anfassen wollte, sei es auch für barbarische Zwecke, wie Gewalt, turnte mich in diesem Moment so an, dass ich unvermittelt auf ein Maximum anschwoll.
„Jared! Zieh ihn sofort weg dort! Ich schwöre dir, wenn du mir dorthin spritzt...“
Zwischen ihre Beine? Auf ihren Hintern? In ihren Mund? Ihr Gesicht? Ihre Brüste? Verdammt, ich hatte vor, heute Nacht keine einzige Stelle auszulassen, egal ob ich dafür grün und blau, oder gar ohne Beine, nach Hause kommen musste. Das würde es so etwas von Wert gewesen sein!
„Jared!“ Mahnte sie ein letztes Mal, doch ich erschauderte bereits. Keuchend zielte ich mit meiner Spitze direkt zwischen ihre glitschig feuchte Spalte und ergoss eine ganze Ladung dort, bis die Wellen meines Orgasmus endlich nachgelassen hatten.
„Ich hasse dich, verfickte Scheiße! Wieso hast du das getan?“
Ich zog ihn zwischen ihren Beinen hervor und legte ihn, gut sichtbar pulsierend und noch etwas Samen verlierend, auf ihrem Bauch ab. „Das fragst du auch noch?“ Entgegnete ich scherzhaft, bückte mich wieder und küsste sie ein weiteres Mal. „Du gehörst jetzt mir. Dadurch riechst du auch nach mir, selbst wenn du geduscht hast, oder in Chlor badest. Glaub mir...“ Ich küsste sie erneut und erneut. Ich konnte überhaupt nicht mehr aufhören, so angetan war ich davon. „...das werde ich von jetzt an, jeden verfickten Tag machen.“
Grummelnd schaute Marissa vom unten zu mir auf, als wolle sie mich jeden Moment einfach umbringen. Natürlich konnte sie das aber nicht. Egal wie sehr sie mich hasste, sie würde mich zur gleichen Zeit aber auch für immer lieben.
Womit ich jedoch nicht rechnete, war, dass es ihr scheinbar egal zu sein schien, ob mir meine Nase gefiel, so wie sie dort in meinem Gesicht saß, oder auch nicht. Kurzerhand schlug ihre Stirn gegen mein Nasenbein und ich verlor für einen Moment die Kontrolle über mein Gleichgewicht.
Einen Augenblick später, landete ich auch schon auf dem Boden, damit rechnend, dass es nun Bisse oder Tritte hageln würde, stattdessen sattelte Marissa auf und krallte sich mit ihren Wolfskrallen in meinen Brustkorb. „Oh Nightengale... Du hättest wirklich laufen sollen, als du noch die Chance dazu gehabt hast.“
„Wie bitte?“ Fragte ich und blinzelte zwischen den Tränen des Schmerzes, hinauf zur Rachegöttin selbst. Mehr Wölfin, als Mensch, schlug sie meine Hände fort und biss mich so heftig in die Schulter, dass ich vor Schreck und Schmerz, laut aufschrie. Ich dachte sogar, dass innerhalb eines Kilometers, kein lebendes Wesen mehr da sein durfte, bei diesem Gebrüll und als sie sich dann auch noch selbst meinen Schwanz zwischen die Beine steckte und mich zu reiten begann, verlor ich ohnehin alles, was nur ansatzweise mit Denken zu tun hatte.
Scheiße verdammte, diese Frau schaffte mich! Nicht nur, dass ich sie überhaupt nicht verstand, ich hatte das Gefühl, als hätte mir im Leben niemals etwas Besseres passieren können. Mit einem Lächeln auf den Lippen, hielt ich meine gebrochene Nase, während mir Blut von der Schulter lief und mein Schwanz regelrecht vergewaltigt wurde. Der Herr im Himmel stehe mir bei. Diese Frau wusste tatsächlich sehr, sehr gut, was sie da tat!

Marissa, die neue Alpha in der Stadt...

Das mit dieser Verwandlung, war schon mehr, als verrückt gewesen. Ehrlich gesagt... konnte ich mich kaum an etwas erinnern. Es fühlte sich an, wie ein Traum, welcher langsam verblasste, je näher ich meinem aktiven Bewusstsein kam, in welchen mich ein herrlicher Duft lockte.
Ich sehe noch immer diese vielen, kleinen Käferchen vor mir, welche meinen Weg gekreuzt haben, während meine kräftigen, jungen Beine, mich durch den Wald getragen hatten. Es war wie ein Instinkt gewesen, direkt auf den Pfoten zu landen, meinen Körper zu spannen oder mich in waghalsige Kurven zu legen. Selbst mein erhöhtes Körpergewicht, brachte mich kein einziges Mal, aus dem Gleichgewicht, oder gar die Koordination von vier Füßen auf einmal. Ich hatte alles meine Wölfin machen lassen. Meinem Zweiten Ich. Wie die Natur plötzlich gerochen hat, war erstaunlich gewesen. Nur zu gerne, wäre ich einer jeden einzelnen Fährte gefolgt, hätte Wild aufgeschreckt, einfach weil ich es konnte und der Mond! Himmel, wie schön der Mond geleuchtet hatte. Er war mir ein Leitfaden in der Dunkelheit des Waldes gewesen und mein Instinkt sagte mir, dass ich mich auf ihn vollkommen verlassen durfte. Er war mein Stern, mein Licht, mein Zuhause. Nur unter ihm waren meine Nächste sicher.
„Du bist endlich wach...“ Eine kratzige, männliche Stimme, säuselte in mein Ohr, während etwas Hartes zwischen meinen Beinen rieb.
„Nicht nur ich, wie es scheint.“ Scherzte ich und rieb meinen Hintern an der feurigen Hitze, welche mich die ganze Nacht wach gehalten hatte. Egal ob als Mensch, oder später sogar noch einmal als Wolf... Jared fickte in jedem Körper und in jeder erdenklichen Position einfach göttlich!
Scheiße, ich war doch tatsächlich zur Schlampe geworden. Ich selbst, hatte mich gerne als nuttig angesehen. Aber durch Jared und dem, was ich mit und für ihn getan hatte... Nun ja, ich war einige Level aufgestiegen und so wund und selig wie sich mein Körper anfühlte, bereute ich keine Sekunde davon. „Ich wusste doch, dass du Hetero bist.“
Dafür wurde ich strafend ins Ohr gekniffen und kicherte amüsiert, ohne meine Augen zu öffnen. „Ich wusste es. Ich war mir absolut sicher, dass es das Erste sein würde, was du zu mir sagst, sobald du aufwachst.“
Mit einem stolzen Lächeln auf den Lippen, drehte ich mich herum und erlaubte mir erst jetzt, die Augen zu öffnen. Es war scheinbar mitten am Tag, doch eine dichte Tanne sorgte mit ihrem Schatten dafür, dass mich die Sonne nicht blendete, welche mir überraschend heller vorkam, als an jedem anderen Tag zuvor. Ob sie nur für uns beide so strahlte? Ich hoffte es...
„Guten Morgen.“ Sagte ich anschließend, damit er mir nicht vorwerfen konnte, dass ich ihn nicht einmal diesen wünschte. Jared sah... Nun ja, vermutlich genauso durchgevögelt aus, wie ich es mit Sicherheit tat. In seinem offenen, verknoteten Haar, hing einiges aus dem Wald, was er ohne eine ausgiebige Dusche und viel Haaröl bestimmt nicht heraus bekommen würde. Sein gesamter Körper war von Flecken und Schorf überzogen, doch das Lächeln, welches er auf seinen Lippen trug, machte all das hinfällig. Es war ihm schlicht egal, denn alles, was ihm wichtig war, lag direkt in seinen Armen. Das war ihm einen jeden Flecken wert gewesen.
„Guten Morgen.“ Säuselte er zufrieden zurück und strich sanft mit dem linken Arm, denn auf dem anderen lag ich, über meine Wange. „Du siehst gut gefickt aus.“ Meinte er dann und stahl mir einen zarten Kuss.
„Tja, ich weiß eben wie ich es mir richtig auf einem Mann besorgen kann.“ Entgegnete ich frech und stahl ihm sein Eigenlob. Dafür kniff er mich zwar in die Unterlippe, doch das Lächeln, was darauf folgte, war unbezahlbar.
„Dir kann man auch wirklich gar nichts Recht machen, was?“
„Keine Sorge. Du hast es mir schon recht gut gemacht. In...“ Ich küsste ihn. „...jeder Erdenklichen...“ Schob langsam meinen nackten, wunden Körper auf ihn. „...Weise.“
Bei jeder Bewegung spürte ich getrocknete, zähe Stellen auf meinem Körper. Bis auf mein Haar, gab es wohl nichts, was dieser Idiot nicht >markiert< hatte und selbst zwischen meinen Beinen, tropfte es noch unverschämt hervor. Ich wusste überhaupt nicht, dass ein Mann so oft kommen konnte.
„Du riechst so herrlich.“ Jared leckte mir über den Hals und knabberte sanft an der Stelle, wo nun ein, bereits verheiltes, gut sichtbares Mal saß. Ich war sein, bis zum Tod. Und witzigerweise, erschreckte mich diese Tatsache kein Stück.
„Ich stinke bestimmt fürchterlich.“ Entgegnete ich und richtete mich auf seinem Brustkorb auf, sodass ich rittlings auf ihm saß und meine Arme auf seinem Brustkorb abstützte. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper, als ich dabei auf eine lila Verfärbung traf.
„Nach mir. Das ist schon richtig so.“
„Blöde Hund.“ Knurrte ich und begann mit meinem feuchten Hintern auf seinem Bauch herum zu rutschen, um ihm seine genauso blöde Flüssigkeit, welche aus mir heraus sickerte, herum zu schmieren. „Da hast du deine Markierungen wieder.“ Ich lachte, da ich schon ahnte, dass er es ekelig finden würde. So waren Männer eben. Vollspritzen war ja in Ordnung, solange es sie nicht selbst traf.
„Mh...“ Machte Jared und seine hellblauen Augen, leuchteten wölfisch auf. „Was haben wir denn da?“ Fragte er spöttisch, während er seine Finger zwischen seinen Bauch und meine Beine schob. Kurz tauchten seine Finger tief in mich hinein, sodass ich stöhnend den Rücken bog, doch dann zog er sie wieder heraus, um die Flüssigkeit auf seinen Fingern zu betrachten. „Sieht so aus, als wäre das alles von mir.“ Meinte er stolz und rieb es auch noch auf meine Brust! Wie dreist!
„Arschloch!“ Knurrte ich, doch wurde kurzerhand unter ihm begraben und mit küssen wieder friedlich gestimmt.
Wow... Das war einfach der Wahnsinn. Ich konnte kaum beschreiben, wie ich mich nun fühlte. Nicht nur wegen der heißen, vergangen Nacht, nein auch wegen Jared. Die Art, wie er mich ansah, ließ mein Herz, wie verrückt pumpen. Überall wo er mich berührte, brannte mein Körper und obwohl ich vollkommen erschöpft war, verlangte mein Körper doch nach mehr von ihm. Ich war schier unersättlich nach diesem Spinner.
Als sich Jared jedoch von mir löste, war ich schon ein wenig enttäuscht. Ich merkte doch, dass er bereit für die nächste Runde war, doch sein Gesicht zeichnete etwas anderes ab.
„Was ist?“ Fragte ich, während meine Finger, andächtig über das Mal an seiner Schulter strichen.
„Es ist bereits nach Mittag. Vielleicht sollten wir allmählich zurück, damit die anderen wissen, dass es uns gut geht?“
Entnervt ließ ich meine Gliedmaßen zu Boden fallen und stöhnte. „Wozu? Es kann ihnen doch egal sein.“
„Sie sind unsere Familien. Natürlich ist es ihnen nicht egal.“
Ich grummelte. „Ich will aber nicht zurück zu Logan... I-Ich kann es dir nicht erklären, aber wenn ich nur daran denke... bekomme ich einen Hals...“
Lächelnd küsste Jared meine Nasenspitze. „Erstens, ich habe nicht gesagt, dass ich dich gehen lasse. Und zweitens, ist das ganz normal. Du bist eine Alpha, wie dein Bruder. Sein Haus, ist sein Revier. Er wird dich genauso wenig dort haben wollen, wie du dorthin willst. Vermutlich sogar ein wenig mehr.“
„Aber wo soll ich dann hin? Meine ganzen Sachen sind dort und...“
„Zu mir!“ Entgegnete er, als sei das absolut logisch. „Du bist meine Gefährtin. Zwar eine Hallingway, doch dadurch bist du die erste Nightengale-Alpha seit Generationen.“
Mein Herz schlug noch schneller, als er mich seine Gefährtin nannte. Einerseits wollte ich mich liebevoll an ihn schmiegen, gleichzeitig jedoch, hatte ich das Gefühl, als würde mich etwas erdrücken.
Zwei Extreme, die mir erhebliche Angst einjagten.
„Ja und wie soll das aussehen? Soll ich mich einfach vor deine Familie hinsetzen und ihnen sagen, dass ich ihr neuer Feldwebel bin? Die werden mich doch zum Teufel jagen. Ich bin eine Hallingway.“
Jared sprang auf die Beine und hielt mir seine Hand hin, damit ich sie ergriff, doch ich quälte mich aus eigener Kraft viel lieber hoch. Scheiße, waren meine Beine schon immer so wund gewesen? Huh... Außerdem sollte ich dringend mal auf die Toilette gehen. Als Wolf hatte ich mir ja nicht viel dabei gedacht und mich einfach hingehockt. Aber als Mensch... Ich war mir nicht sicher, ob ich so etwas wirklich vor Jared tun wollte...
Jared deutete auf seine Schulter. „Du bist vielleicht eine geborene Hallingway, doch nach unseren Rechten, dadurch nun eine Nightengale. Wären unsere Geschlechter vertauscht, würde mich das nun zu einem Hallingway machen.“
Ich verschränkte ungläubig die Arme vor dem Brustkorb. „Das ist sexistisch!“
Jared packte mein Kinn und küsste mich noch einmal, sodass mein empörter Gesichtsausdruck sofort wieder verschwand. „Das ist wölfisch.“ Hauchte er dann und brachte mich zum Schmunzeln. Er war auch wirklich sehr entzückend, dieser Dummkopf.
„Jetzt komm, ich habe einen Bärenhunger. Du nicht auch?“
Jared hielt mir seine Hand hin, welche ich auch ergriff, während ich schmachtend seinem Körper hinunter sah, wo etwas mehr als aktives stolz in meine Richtung zeigte. „Du stellst dir gar nicht vor, wie groß.“
Jared grollte und zog mich an sich, sodass Fleisch auf Fleisch klatschte und küsste mich wieder. Ich lachte, als er mich plötzlich auf seine Arme hob und trug wie eine Prinzessin. Es ließ mich irgendwie... besonders fühlen, denn mir war absolut klar, dass Jared so etwas, niemals bei irgendjemand anderen machen würde.
Der Spaziergang, den wir im Grunde machten, zog sich bis auf über fünf Kilometer hinweg. Dass wir so tief in den Wald vorgedrungen waren, ist mir überhaupt nicht bewusst gewesen, doch da der Rückweg viel zu lange dauerte, knurrte mein Magen schon beachtlich.
Außerdem waren wir absolut nackt. Wenigstens gab es hier in der Nähe, keinerlei Wanderwege, denn ein jeder Mensch, hätte uns für absolut verrückt gehalten.
Wenige hunderte an Meter, vor Logan´s Anwesen, hörten wir bereits ein selsam, klagendes Jaulen, welches sich auf und ab an der Baumgrenze bewegte.
„Das ist Violetta.“ Meinte Jared und lief mit einem Mal los. Es überraschte mich ein wenig, wie schnell er war, auch wenn er sehr groß und drahtig gebaut war. Ich hatte es schwer, mit ihm Schritt zu halten, auch wenn er immer wieder bremste, um mich auf irgendetwas aufmerksam zu machen, über das ich doch stolpern konnte.
Als ich knurrend meinte, ich sei kein Baby, hörte er damit auf und bracht bloß wenige Augenblicke später, durch das Unterholz.
Ich folgte ihm, blinzelte angestrengt gegen das viel zu grelle Licht an und brauchte einen Moment, bis ich endlich klar sah.
Da war ein schwarzer Wolf, ähnlich gebaut, wie Jared, in seiner anderen Form und nieder getrampelte Gras, welches von einer Baumgrenze, bis zur anderen reichte. Wie lange war die Wölfin hier wohl schon auf und ab gelaufen?
Jared kauerte vor der Wölfin und streichelte sanft ihre Wange. Wäre mir nicht bewusst, dass dies seine Schwester ist, wäre ich bestimmt durchgedreht.
„Marissa!“ Vanja´s Stimme erklang aus einiger Entfernung, woraufhin sich mehrere Körper gleichzeitig bewegten. Ein dunkelbrauner Wolf, mit diversen Zeichnungen darin, kam, freudig schwanzwedelnd, auf mich zu gelaufen. Wenige Meter von mir entfernt, wurde er langsamer und landete direkt, am Rücken liegend, vor meinen Füßen.
Kopfschüttelnd beugte ich mich herab und klopfte Sam hörbar auf den Bauch. „Guter Junge.“ Witzelte ich, als er dann auch noch meine Zehen ableckte und verspielt zu mir hochsah. Dass ich nackt vor ihm stand, schien ihm jedoch vollkommen zu entgehen, vor allem, da sich einen Augenblick später, zwei schwarze Wölfe auf den armen Jungen stürzten. Während der eine, etwas kleinere Wolf, ihn am Ohr packte und wegzog, baute sich der andere, bösartig keifend, direkt vor mir auf, als müsse er mich vor dem verspielten, sanften Wolf, beschützen.
Dafür trat ich Jared gegen den Hintern. „Mann, du Neandertaler. Das war bloß Sam!“
Jared verwandelte sich fließend zurück, packte mich an der Taille und küsste mich leidenschaftlich. „Und das war nur, damit er nichts missversteht, dieser kleine Dorftrottel.“
Im Hintergrund knurrten sich zwei Wölfe noch immer an, wobei sie jetzt, wesentlich weniger aggressiv wirkten und eher miteinander rangelten, so als müssten sie Dampf ablassen.
„Hier.“ Vanja hielt einen Mantel in der Hand, den ich nur zu gut kannte. Es war mein eigener. Er war körperwarm, so als hätte ihn jemand die ganze Zeit in seinen Armen getragen und als ich hinein schlüpfte, erkannte ich deutlich Vanja´s, so wie Adam´s Geruch daran.
„Danke.“ Ich lächelte die >menschliche< dankbar an. Und ja, ich roch wortwörtlich, dass Vanja keine Wölfin war. Sie trug zwar unseren Geruch an ihrer Kleidung und ihrer Haut, doch es war mehr... so etwas wie ein Parfum. Etwas, was sie nicht bewusst trug, doch aufgetragen hatte. Natürlich unwissentlich.
„Und deine Kleidung habe ich auch gefunden.“ Meinte Vanja, etwas strenger, doch ihr Lächeln straften ihre Worte Lügen.
„Danke, Vanja.“
Logan, mein eigener Bruder, war der einzige, der etwas zurück blieb. Es lagen gut fünf Meter, wenn nicht mehr zwischen uns, doch so wie er mich in diesem Moment ansah... kam es mir vor, wie ein unüberwindbarer Graben.
Aber hatte ich nicht genau darauf hin gespielt? Ich bin es gewohnt, auf Ablehnung zu stoßen. Genauso wie ich es gewohnt war, das Übel auf ein Maximum zu reizen. „Brüderchen. Willst du mich gar nicht in den Arm nehmen?“ Fragte ich mit zugeknöpften Mantel und ausgestreckten Armen. „Ich dachte, du hättest dir Sorgen um mich gemacht?“
Logan ließ seine goldenen Wolfsaugen aufblitzen. Es war das erste Mal, dass ich es sah und es brachte meine Wölfin dazu, mir schier aus der Haut zu fahren. Ohne dass ich es kontrollieren konnte, fuhren meine Reißzähne und Krallen aus.
„Hey!“ Jared packte mich an der Taille, ehe ich losstürzen konnte und drehte uns so herum, dass er nun mit Logan im Rücken zu mir stand, mir die Sicht auf ihn, absichtlich versperrend. „Was ist los? Logan hat nichts getan.“
Blinzelnd zwang ich meine Wölfin zurück und griff mir an den schmerzenden Unterkiefer. Es fühlte sich total verspannt an. „I-Ich weiß nicht. Das war ich nicht.“
„Was heißt, das warst du nicht?“ Fragte Vanja verwirrt, während die beiden dunklen Wölfe aus gesunder Entfernung das Spektakel betrachteten.
„So wie ich es sage. Ich habe das nicht... bewusst getan, es war wie ein Schalter und...“
„Das ist, weil du dich zu früh verwandelt hast. Jared, du hättest sie nie wecken dürfen.“
Jared sah seltsam betrübt aus, auf die Worte meines Bruders hin, doch ich verstand nicht wirklich ein einziges Wort davon.
„Deine Schwester unter Drogen zu setzen, ist wesentlich schrecklicher, als sie sich frühzeitig verwandeln zu lassen.“
„Unter Drogen?“ Fuhr ich in die Luft, denn ich hatte davon absolut keine Ahnung.
„Langfristig gesehen, aber nicht! Sie hätte bloß noch ein paar Monate durchhalten müssen, dann wäre alles normal abgelaufen.“
„Unter Drogen?“ Fragte ich über Jared´s Schulter hinweg.
Logan seufzte. „Ich habe dich bloß betäubt. In geringen Maßen, damit du den Vollmond verschläfst. Du hättest, bis auf eine leichte Übelkeit am nächsten Tag, nichts davon mitbekommen.“
Jetzt war ich aber so richtig...
Jared hatte Mühe mich zu bändigen und ehrlich gesagt... Ich war dafür auch wirklich zu müde. „Wisst ihr was? Scheiß drauf. Mir wurde schon in die Schultasche gekotzt, meine Sachen wurden angezündet, ich wurde von drei Schlägertypen vergewaltigt und bin meiner eigenen Mutter weggelaufen. Unter Drogen gesetzt zu werden, hatte ich noch nicht. Das hat mir eh noch auf meiner To-do-Liste gefehlt.“
Ich riss mich von Jared los und stürmte, einen großen Bogen zu Logan haltend, einfach davon.
„Wa-Warte? Was war das mit der...“
Doch ich hörte Logan überhaupt nicht zu. Ich wollte einfach weg hier. Fort von diesem... Diesem Ort hier, der so fremd und doch vertraut roch. Er war nie mein Zuhause gewesen. Diese... Diese Leute nicht meine Familie. Ich bin immerhin schon eine Ewigkeit alleine klar gekommen, also wieso dann nicht auch weiterhin?
„Hey...“ Jared fing meine Hand ab und drückte mir einen sanften Kuss auf den Handrücken. Dann schlang er einen Arm um mich und lief einfach schweigend neben mir her, während ich mich an ihn lehnte und dem Hallingway-Herrenhaus, barfuß, den Rücken kehrte.
Scheiß auf Familie. So etwas wird so wie so überbewertet.

Marissa im Hause Nightengale...

Jared verhinderte, dass wir zu Fuß zu seinem Anwesen gingen, indem er mit seinem Telefon, welches dankenswerterweise, in seiner Jackentasche gesteckt hatte, den Fahrer seines Vaters rief. Er holte uns am Ende der Straße ab. Während Jared meine Fußsohlen sanft massierte, sah ich aus dem Fenster und konnte überhaupt nicht fassen, was die letzten paar Stunden so alles vorgefallen war.

In meinem Inneren fühlte ich eine animalische Unruhe. Wie ein Sturm, der bereit war, jede Sekunde, wie eine Pistole loszuschießen, oder unkontrolliert durch die Wälder zu jagen. Es juckte mich unter der Haut und Jared´s blöden Berührungen machten mich schon wieder scharf. Dabei tat er im Grunde überhaupt nichts, was mich anmachen sollte. Er massierte wirklich bloß meine Fußsohlen, oder spielte gedankenverloren mit meinen Zehen.
Als ich es kaum noch aushielt, lehnte ich mich in er kleinen Limousine vor und wandte mich an den Fahrer. „Wie lange fahren wir denn noch?“
„Fünf Minuten, Miss.“
„Okay, ähm... Kann man hier hinten auch irgendwie zumachen. Also zu dir nach vorne?“
Er nickte. „Natürlich, über Ihnen ist ein Druckknopf, betätigen Sie ihn einfach einmal.“
Ich klopfte dem Mann auf die Schulter. „Guter Mann. Aber Sie können sich ruhig Zeit lassen, bis zum Anwesen.“ Damit schloss ich das kleine Sichtfenster und begegnete JAred´s fragenden Blick.
„Wenn du etwas wissen willst, du kannst dich frei vor ihm unterhalten. Er ist eingeweiht und der Gefährte einer Cavanaugh.“
Ich rutschte zurück an Jared´s Seite und spreizte die Beine. „Glaub mir, das will er nicht sehen. Jetzt her mit deinem Schwanz.“
Für einen Moment noch verwirrt, breitete sich ein wölfisches Lächeln auf seinen herrlichen Lippen aus, dann öffnete Jared auch bereits den Hosenstall, ging vor mir auf die Knie und schob sich, ohne viel Vorspiel, in mich hinein.
Stöhnend seufzte ich. Scheiße verdammt, war das gut! Jared knurrte, als ich ihn küssen wollte, packte mich an der Kehle und drückte mich zurück in den Sitz, während er immer wieder in mich hinein stieß.
Verzückt lachend, von seiner aggressiven Weise, ließ ich ihm seinen Willen und genoss es einfach, wie er sich in mir anfühlte. Es dauerte nicht einmal die ganzen fünf Minuten fahrt, damit Jared mich zum Orgasmus brachte und mir bald darauf atemlos folgte.
Keuchend senkte er sich aus seiner aufrechten Position herab und küsste mich nun doch. Leckte an meiner Zunge und pumpte jeden einzelnen Tropfen in mich hinein, bis es irgendwann ungeduldig an der Türe klopfte.
„Steigt ihr heute noch aus, oder soll ich erst Papa anrufen, damit er euch aus dem Wagen zerrt?“
Ich kannte diese Stimme nicht, sie war zwar eindeutig weiblich, doch egal ob Mensch oder Wolf... Ich würde ihr den Arsch aufreißen, dafür dass sie mich hierbei störte!
„Halt die Klappe, Iris!“ Auf meinen fragenden Blick hin, fügte Jared eine Erklärung, etwas sanfter an. „Sie ist meine zwei Jahre jüngere Schwester.“
Meine Wölfin beruhigte sich und die aufkommende Eifersucht war wie weggeblasen. Irgendwie schon fast gruselig...
„Dann kann sie ja wohl noch bis zum zweiten Durchgang warten, oder?“
„Ist das das Hallingway-Mädchen?“ Erkundigte sich Iris, absolut verwirrt.
Jared knurrte. „Nein, sonst ruft sie meinen Vater an und der bringt uns beide lieber um, als uns nur eine Sekunde zuzuhören.“
Okay, das verstand ich noch weniger, doch Jared hatte schnell seine Kleidung wieder gerichtet und stieg aus. Ehe ich ihm folgen konnte, schlug er jedoch die Türe zu, was ich ihn noch zum spüren bekommen lassen würde. Aber vielleicht war es auch besser so, denn das was Iris sagte, hätte sie mindestens den Kopf kosten lassen.
„Sag, mal! Bist du Irre? Hast du dich etwa an diese Missgeburt von Hallingway gebunden? Du weißt schon, was du Papa damit antust?“
Jared knurrte. „Was ich ihm antue? Er lag mir doch wochenlang damit in den Ohren, dass er eine Minderjährige schwängern will, nur um an das Vermögen der Hallingway´s zu kommen!“
„Ja, weil du ja auch ein Versager bist und zu nichts zu gebrauchen, wie man ja sieht. Du tickst doch echt nicht normal! Wieso hast du sie markiert?“
Jared schwieg einen Moment, ehe er antwortete. „Weil mein Wolf es wollte. Ich habe es gefühlt, als ich mich verwandelt habe. Nach ihrer Verwandlung habe ich mich in einem Lauf für sie bewiesen. Also ist es nur mein gutes Recht! Sie ist jetzt meine Gefährtin. Niemand wollte das so sehr, wie ich, also sag du mir ja nicht, was unser so genannter >Vater< von alldem halten wird, denn das weiß ich selbst bereits.“
„Tz.“ Machte sie abweisend. „Du bist doch krank. Jared, sie ist eine-...“
„Iris, halt dein Maul!“
Eine weitere weibliche Stimme war erklungen. Sie war rauchiger und klang ein wenig älter, als die von Iris. Außerdem empfand ich diese weitaus angenehmer, als das schrille Geschrei der Jüngeren.
„Wo hast du Violetta gelassen?“ Noch eine Stimme, doch diese erkannte ich als die von Claudine.
„Sie kommt als Wolf zurück.“ Entgegnete Jared kühl.
„Jared, mein Glückwunsch.“ Es war wieder die Zweite. Ich hörte, wie ihre Schritte näher kamen, dann das rascheln von Kleidung. Sie umarmte Jared. „Ich freue mich, dass du in den Genuss einer so starken Gefährtin kommen durftest.“ War das... Bitterkeit in ihrer Stimme?
Jared klang ebenfalls sanfter, als zuvor. „Ich danke dir, Tatiana.“
Für einen Moment schwiegen alle, dann sprach wieder Tatiana. „Lässt du das arme Mädchen jetzt aus dem Auto, oder muss sie sich erst durch die Türe kratzen?“
Jared schnaufte amüsiert, ehe die Türe sich endlich öffnete. Nicht dass ich versuchte hätte, sie von innen zu öffnen, denn dies war Jared´s Familie. Da wollte ich nicht einfach unverhofft hinein platzen.
Nun ja, mir lief da etwa zwischen den Beinen hinab, was von ihrem einzigen Bruder kam... Also peinlicher konnte es ohnehin nicht mehr werden.
„Marissa. Darf ich dir meine lästigen Schwestern noch einmal vorstellen. Das sind Tatiana.“ Jared zeigte auf eine hoch gewachsene Frau, die Jared verdammt ähnlich sah. Dieselbe drahtige Figur, das markante Gesicht und die hellblauen Augen. „Iris, ist meine wenig jüngere Schwester.“ Dabei deutete er auf eine... eher bockig wirkende junge Frau, die ihre Arme abweisend vor dem Oberkörper verschränkt hatte und mich vermutlich versuchte mit ihren Blicke zu töten.
„Sophia.“ Er deutete auf das Mädchen, welches im Hauseingang lehnte und mir halbherzig zuwinkte. „Und Claudine kennst du bereits, wie ich von Violetta und ihr weiß.“
Jeder der fünf Geschwister hätte ein Abklatsch von dem jeweils anderen sein können. Zusammen mit Violetta, trugen sie alle dieselben Erkennungszeichen von hellblauen Augen und tiefschwarzem Haar, was an und für sich schon überaus faszinierend war. Bis auf Sophia, waren auch alle eher dunkel gekleidet und strahlten etwas von einer animalischen Macht aus, die meinem Wolf sagte, dass sich diese Wölfe hier, in den Schatten bewegten.
„Hi, Mädels. Schön euch doch noch kennen zu lernen. Jared wollte mich ja eher von sich und seiner Familie fern halten, da ich eine Hallingway bin. Ich hoffe, da ich ja nun eine halbe Nightengale bin, wird er weniger quengelig sein.“
Tatiana lachte und schenkte ihrem Bruder einen wissenden Blick. „Tja, so kennen wir Jared. Er beschützt uns schon, seit er alt genug zum Laufen ist.“
Ich reckte mich und gab Jared einen sanften Kuss auf die Wange. „Braver Wachhund.“ Sagte ich, was auch Sophia zum Lachen brachte.
„Also wirklich. Wir sind doch keine Hunde!“ Keifte Iris und wirkte, als wolle sie mir augenblicklich an die Kehle gehen.
„Komm, ich denke, wir brauchen beide endlich ein Bad. Danach muss du unbedingt...“
„Moment.“ Bat ich, ließ Jared´s Hand los und packte Iris im Nacken. Im nächsten Moment klatsche ihr Gesicht durch die Fahrerscheibe des Wagens, was sie in Tränen, so wie Blut ausbrechen ließ.
Räuspernd ging ich zurück in Jared´s Arme. „Tut mir leid, mir hat nicht gefallen, wie sie mich angesehen hat. Was wolltest du noch einmal sagen?“
Lachend küsste Jared meine Schläfe und führte mich hinein in ein wahnsinnig prächtiges Gebäude.
Während Logan´s Villa vor Modernität nur so strotzt, war das Haus der Nightengale´s das genaue Gegenteil. Und dabei hatte ich gedacht, noch unterschiedlicher konnten diese beiden Familien wohl kaum sein. Es war aus gräulichem Stein gehauen und mit einem schwarzen Dach bedeckt und selbst die Fensterläden, so wie Türen, waren in dunkles Holz gekleidet. Die ganze linke Seite der Villa umgab eine Terrasse mit mehreren Säulen und Bögen, so wie einer durchgehenden Steinumrandung.
Es war im Grunde zweistöckig, doch an machen Stellen erhoben sich kleine Türme, bis in einen dritten, zusätzlichen Stock, der selbst wiederum einen steinernen Balkon besaß und zur Front gerichtet war, mit einem steilen Dachabgang davor. Schwarze, metallene Gitter verhinderten, dass man davon herab fiel und ich konnte mir gut vorstellen, genau an diesem Ort, jeden Morgen meine Augen zu öffnen und über den Balkon lehnend, den neuen Tag zu begrüßen. Es sah herrlich altmodisch aus. Geräumig aber heimelig und unzählige Heizer, welche vor allem an in den Böden eingelassen waren, hielten das Haus wohlig warm.
Jedoch wollte ich die Rechnung dafür niemals mit eigenen Augen sehen...
„Komm, ich zeige dir mein Zimmer. Dann kannst du dich frisch machen.“
„Dein Zimmer also?“ Fragte ich neckisch.
„Ja, damit du dich frisch machen kannst!“ Wiederholte Jared noch einmal deutlicher. „Du musst essen und schlafen, damit du fit bleibst.“
Egal wie sehr ich das Gesicht verzog, Jared blieb streng.
„Nicht einmal, wenn ich uns beiden ein Bad einließe?“ Erkundigte ich mich noch einmal, als wir im ersten Stock ankamen.
Jared schwieg, bis wir bei einer dunklen Türe ankamen, die aussah, wie jede andere hier. Seufzend gab er nach. „Na gut, ein Bad. Aber dann müssen wir etwas essen.“
Jared´s Zimmer war einfach... alles andere, als schlicht! Das Bettgestell war gräulich, so wie die Überzüge und Decken, während über dem Bett ein dunkler Himmel gespannt war. Sonst waren alle Möbel in dunklem Holz gehalten, genauso die altmodischen Lampen und Kästen. Es war ein herrliches Reich, voller Kleinkram, Bücher und Dingen, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. Statuen, welche seltsam alt wirkten und Vasen, die einfach nur zum Ansehen dastanden, fesselten für kurze Zeit meine Aufmerksamkeit. Mich wunderte es nicht, dass kein einziges Gemälde aufgehängt war, wie es im restlichen Haus eigentlich der Fall zu sein schien, denn dafür hatte Jared sichtlich überhaupt keinen Platz mehr.
„Du hast richtig viel Zeug, weißt du das?“
Jared deutete auf eine Türe, welche weiter, hinein ins Bad führte.
„Der Großteil davon... Was sage ich, beinahe alles davon, gehörte meiner Mutter. Sie hat es mir vermacht und wenn es irgendwo anders herum steht, als in meinem Zimmer, oder meinem Büro, dann wirft es mein Vater weg.“
Ich hielt mit der Hand auf der Klinke inne. Was hatte er da eben gesagt? Wieso sollte sein Vater so etwas tun? „Wieso wirft er es sonst weg. Es ist doch von der Frau, die er einmal geliebt hat.“
Jared lachte, als hätte ich einen Witz gemacht, während er in einem begehbaren Kleiderschrank verschwand, um nach frischer Kleidung zu suchen. „Mein Vater heiratete, genauso wie jeder andere aus meiner, weil es ihm etwas nutzt. Das Wort Liebe existiert, glaube ich nicht einmal in seinem Wortschatz..“
Autsch, so etwas Gemeines, so ernst und voller Überzeugung über seinen Vater zu sagen, war echt hart. Deshalb musste ich einfach erneut fragen. „Magst du deinen Vater denn überhaupt?“
Jared hing eine Pyjamahose über das Bett, so wie eine kurze Hose mit einem Shirt und ging wieder zurück zum Schrank, um zwei Bademäntel zu besorgen. „Natürlich. Er ist mein Vater. Mir bleib gar nichts anderes übrig.“
Als er die Kastentüren schloss, begegnete er meinem erwartungsvollen Blick und erkannte scheinbar da erst, dass meine Fragen ernstgemeint waren.
„Oh, ach so meinst du. Ähm... Er ist vielleicht etwas eigen, aber immerhin mein Vater.“
Das war nicht das was ich hören wollte, aber gut. Jared musste ja nicht mit mir darüber sprechen. Die Vorstellung von einem Bad mit ihm, war ohnehin viel reizvoller.
Aber davor... „Ähm, warte einen Moment hier. Ich muss noch etwas erledigen.“ Bat ich, als Jared direkt vor mir stand, dann schloss ich mich im Bad ein und erledigte erst einmal einen längst überflüssigen Toilettengang. Dann trank ich, gefühlt, den halben Wasserhahn leer, auch wenn das eigentlich unmöglich war und griff nach einer Bürste. Verdammt, sah mein Haar schrecklich aus! Und trotzdem schlief dieser Idiot noch mit mir? Unfassbar...
Etwa fünf Minuten später, öffnete ich die Badezimmertüre wieder und bekam prompt einen lang anhaltenden Kuss.
Lachend schob ich Jared von mir. „Das waren gerade einmal fünf Minuten.“
Jared grinste. „Das kann sich aber schon wie ein halbes Leben in Wolfsjahren anfühlen.“
Ich lachte lauter und schlang meine Arme um seinen Nacken. „Jetzt werd mal nicht anhänglich, klar! Mehr als Sex ist wirklich nicht drinnen. Warum glaubst du, habe ich dich sonst so lange zappeln lassen?“
Jared knurrte. Ein tiefes, grollendes Knurren, welches direkt an meiner Brust vibrierte und meine Nippel wieder hart werden ließen. Scheiße, hatte der Kerl einen Einfluss auf meine Libido gefunden. Das war wirklich nicht normal. „Du hast mich zappeln gelassen? Darf ich dich daran erinnern, wer wen gestalkt hat und sich ihm quasi an die Wäsche warf?“
Ich grinste stolz. „Das war aber nur so lange, bis ich selbst so ein Hundevieh geworden bin. Sicher hast du mich mit dem Kuss angesteckt, den du mir aufgezwungen hast.“
Jared gab mir einen Klaps auf den Po. „Ich dir? Ja? So siehst du das?“
Quietschend landete ich in der Badewanne, woraufhin Jared die Knöpfe meiner Jacke öffnete. Dann schaltete er den automatischen Wasserregler an und schloss das Abflussloch mit einem Fuß. „Ich glaube, ich habe dir doch das Hirn rausgevögelt, nachdem du nur Mist erzählst.“
An seinem Hals knabbernd, half ich ihm, sein blödes Hemd rasch wieder loszuwerden. Nun ja... meine Krallen halfen dabei deutlich. „Nö, den Mist habe ich schon seit der Geburt von mir gegeben. Außerdem funktioniert mein Hirn noch ausgesprochen gut. Ich denke, da musst du dir mehr Mühe geben, ehe das beschädigt wird.“ Jared strampelte die Hose ab und stieg zu mir in die Badewanne. Dass er noch immer Socken trug, schien ihn herzlich wenig zu interessieren.
„Ach ja?“ Fragte er dann und schob seine Finger zwischen meine Beine, um eine besonders sensitive Stelle zu massieren. Keuchend warf ich den Kopf zurück, dass ich dabei gegen die Fliesen stieß, entging mir irgendwie. „Dann sollte ich mir hierbei wohl noch einmal richtig Mühe geben, bis du überhaupt keinen Gedanken mehr zustanden bringst, was?“ Fragte er in einem knurrenden Ton, der bis in seine Fingerspitzen vibrierte und mich zum kommen brachte.
Keuchend wandt ich mich auf seinen unverschämt guten Händen, doch Jared dachte noch lange nicht daran, aufzuhören. Ohne seine Finger zwischen meinen Beinen hervor zu ziehen, drehte er mich herum. Meine linke, erhitzte Gesichtshälfte knallte gegen die schier eisigen Fliesen, so wie meine Brüste, während er meinen Hintern gegen seine Lenden presste.
„Das hier wird mir so viel spaß machen...“ Schwor er grollend und hörte nicht auf meinen Orgasmus hinaus zu zögern, bis ich winselnd zwischen seinen starken, mich aufrecht haltenden Armen, so wie der Wand hing. Meine Beine hatten schon nach kurzer Zeit den Halt verloren und hingen völlig unbrauchbar in der Luft, während Jared herrlich hart und ungestüm in mich hinein hämmerte.
Erst als das Wasser überging, wurde uns bewusst, dass wir etwas wichtiges Vergessen hatten, doch bis dahin konnte ich ohnehin nicht mehr klar denken.
Vermutlich schlief ich, absolut befriedigt in seinen Armen ein, denn als ich erwachte, war das Bad voller Schaum, herrlich warm und ich lag bequem in seinen fürsorglichen Armen. Mit einem Schwamm wusch er über meinen Bauch und entfernte sorgsam einen jeden einzelnen Dreckfleck.
„Na, doch wieder wach? Dabei hatte ich die leise Hoffnung, ich müsste jeden einzelnen Zentimter von dir äußerst sorgsam reinigen und dich anschließend ins Bett tragen, um meine Mühen zunichtezumachen.“ Mein Magen grollte rebellisch. „Oder lieber erstmal etwas zum Essenbesorgen, was ich anschließend zwischen deinen Beinen ablecken kann.“
Scheiße verdammte, Jared´s Fantasie war ja noch viel schmutziger, als die meine.
„Also um auf den ersten Tagespunkt zurückzukommen, ich habe nichts dagegen, wenn du mich mit diesem Schwamm belästigst, solange ich das danach auch bei dir machen kann.“
Schmunzelnd küsste Jared meinen Hals. „Sehr verlockend.“ Stimmte mir Jared zu.
„Und um zum zweiten Punkt zurückzukehren... oder war es der Dritte? Egal, ehrlich gesagt, würde es mich schon ein wenig interessieren, wieso du auf einmal doch an mir interessiert warst... Moment, du warst doch in meinem Schlafzimmer, in der Hallingway-Villa, oder?“ Dieser Teil meiner Erinnerungen war tatsächlich äußerst verschwommen. „Und der Wolf im Wald, als ich gestürzt bin...“
Jared unterbrach das Knabbern an meinem Hals, was ich etwas enttäuschend fand. „Ja, der Wolf war ich. Irgendwie hatte ich als Wolf gleich zweifach das Glück, dich aufzuspüren. Bestimmt wusste er es wesentlich besser als ich, dass du meine Gefährtin sein würdest. Selbst deine nicht erwachte Wolfsseite wusste es besser, als ich.“ Entnahm ich Jared da einen gewissen enttäuschten Unterton?
„Hm... Also hast du mich nicht gebissen und zum Werwolf gemacht?“ Der Scherz rutschte mir, als führte mein Mund ein Eigenleben.
Jared lachte. „Blödsinn. So funktioniert das nicht. Das Wolfsgen liegt dir dank Mal Hallingway im Blut. Aber weshalb er dich dann nie hergebracht hat, verstehe ich nicht.“
„Wie meinst du das? Er wusste ja, dass ich existiere, aber ich war ihm einfach scheiß egal.“
„Nein, wir wissen es immer sofort. Es ist der Geruch der Frau, er verändert sich, innerhalb weniger Stunden nach dem ungeschützten Verkehr. Mit Menschen geschieht es... etwas seltener und es ist ausgesprochen gefährlich für sie, da wir, wenn unser Wolfsgen aktiv ist, als Wölfe zur Welt kommen und uns erst verwandeln, wenn die Nabelschnur durchgeschnitten ist.“
„Gut, dass ich mir darüber keine Sorgen machen muss.“ Entgegnete ich entspannt. „So oft wie du jetzt in mir gekommen bist, wäre ich jetzt vermutlich dabei ein ganzes Fußballstadium auszutragen, wenn ich nicht unfruchtbar wäre.“
Jared verspannte sich fühlbar unter mir und er hörte auf damit, meine Brüste mit dem Schwamm zu massieren.
„Das... traf eigentlich nur auf deine... Nun ja, unfruchtbare Zeit zu. Jetzt da du eine Wölfin bist und kein Welpe mehr... Sollten wir in neun Monaten dann besser zu deinen fruchtbaren Zeiten verhüten.“
Mir rutschte das Herz praktisch in die Hose und mit einem Schlag, war sämtliche Erregung, welche ich selbst bis jetzt noch gefühlt habe, wie weggeschlagen.
„Was... Was meinst du mit >in neun Monaten<?“
„Genau das, was du denkst. Wie gesagt, man riecht es bereits.“
Schlagartig stand ich aufrecht in der Badewanne und knurrte von oben auf Jared herab. „Ich schwöre dir! Wenn du jetzt in Gelächter ausbrichst und mir sagst, dass du mich bloß aufziehst, bringe ich dich eigenhändig um!“
Jared wirkte mit einem Mal ein ganzes Stück kleiner. „Es... Tut mir leid?“ War das ernsthaft eine Frage gewesen?
Ich und ein Baby? Mit gerade einmal siebzehn jungen Jahren? Nein! Das war unmöglich. Ich war doch artig jedes Jahr bei verschiedenen Gynäkologen. Ein Jeder, ausnahmslos hat mir bestätigt, dass ich unfruchtbar bin!
Dass ich das ganze Badezimmer volltropfte, während ich auf und ab ging, war mir scheißegal. Ich hatte nicht vor, es aufzuwischen. „Jared, du verstehst das sicher falsch. Ich bin unfruchtbar. Frag meine Gynäkologen!“
„Das war vielleicht noch vor ein paar Tagen richtig so... Aber sobald der Wolf in uns erwacht, ändert sich das untereinander. Darum bevorzugen die meisten eher Menschen im Bett, da das Risiko bei ihnen geringer ist.“
„Und meine Mutter? Was... Was soll das überhaupt heißen, wir kommen als Wölfe zur Welt? Wie soll ich mir das vorstellen? Ploppt da ein Wolfwelpe aus uns heraus und wird dann dank magischer Zauberfeen zu einem kleinen Menschenbaby, wie bei Pinocchio, der ein richtiger Mensch sein will, oder was?“
Jared schnaufte und wusch sich seelenruhig weiter, während ich neben ihm ausflippte. „Natürlich nicht. Aber es ist auch der Grund, für so viele Hausgeburten in unseren Familien. Wie stellst du dir vor, dass wir erklären, weshalb unsere Kinder als Wölfe zur Welt kommen? So weit ich von meinem Vater weiß, der wiederum seine eigenen Quellen besitzt, sollst du als Mensch zur Welt gekommen sein. Wie genau dein Vater, was auch immer angestellt hat, musst du ihn schon selbst fragen.“
Jetzt verstand ich überhaupt nichts mehr... Was? Wieso überhaupt als Wölfe, das ergab für mich eher weniger Sinn und klang wie aus einem unterbezahlten Film.

 

- - - - -

 

Jared war natürlich nicht darauf eingestellt gewesen, mich in die Regelungen und Gesetze der Gestaltwandler einzuweihen. Zumindest nennen sie sich selbst teilweise so. Manche nannten sich auch die Zweigesichtigen, oder Besessenen, wenn man die uralte, menschliche Version davon glauben wollte. Dass der Vollmond reichlich wenig mit uns zu tun hatte, wollte ich Jared auch nicht glauben. Nicht bei dem, was ich unter dem wachsamen Auge des Mondes gefühlt hatte. Diese Sicherheit, die er Bot und wie er mich dazu gebracht hatte, überall etwas Magisches und Interessantes zu sehen... Das hatte ich mir doch nicht eingebildet!
Violetta kam eine gute Stunde später nach Hause, als wir. Ihr Fell glänzte feucht, da es draußen leicht nieselte, und sie betrachtete mich mit schräg gelegtem Kopf, während ich auf der Arbeitsplatte saß und leckere Schinkenstreifen roh verschlang, während Jared noch dabei war, eine Jause für uns zu zaubern.
„Was glotzt du so?“ Maulte ich sie übel gelaunt an, während Jared unbeirrt weiter davon erzählte, dass normale Wölfe, ihre erste Verwandlung bereits zwischen zwölf und vierzehn Jahren durchmachen. Alpha hingegen, wie ich und Logan, erst viel später.
Violetta knurrte abweisend, doch legte es nicht auf einen Kampf mit mir an. Kluges Mädchen. Sie verschwand hastig im oberen Stockwerk, wobei sie sich auf halben Weg, die Treppe hinauf, in ein nacktes, junges Mädchen verwandelte. Wie lange Violetta wohl bereits eine Wölfin war?
Auch erzählte mir Jared, dass Logan geplant hatte, mich bis ich achtzehn war, bei sich zu behalten und aufzupassen, dass es seiner kleinen Schwester gut ging. Als Alpha hatte er allen befohlen, nicht das kleinste Detail zu mir durchdringen zu lassen, weshalb ich auch unwissend geblieben war.
Aber den Grund, weshalb Logan selbst nach den ersten Anzeichen nichts gesagt hat, konnte mir Jared auch nicht nennen.
Es war irgendwie kurios, das alles zu hören. Meine Familie hatte eine wirklich lange Geschichte, das hatte ich ja schon gewusst. Aber dass diese Wölfe, welche ich auf den Gemälden gesehen habe, tatsächlich die Widerspiegelungen ihrer menschlichen Wesen waren... Es klang noch etwas unglaubwürdig in meinen Ohren.
„Vielleicht ist er ja einfach nur neidisch, weil ich eine viel coolerer Alphawolf wäre, als er.“ Witzelte ich und steckte die nächste Scheibe Speck in meinen Mund.
Jared schnaufte. „Dafür müsstet ihr beide auf Leben und Tod kämpfen. Anders geben Alpha ihren Thron nicht ab. Außerdem heißt es >die Alpha< da du weiblich bist.“
„Was? Wieso?“
Jared wandte sich mir zu und schnalzte missbilligend mit der Zunge, als er bemerkte, dass ich ihm den Speck wegaß. „Der ist für alle gedacht.“
Ich grinste. Das war mir durchaus bewusst, aber so etwas von egal!
„Jedenfalls, es heißt der Alpha bei einem Mann, oder die Alpha, wenn es eine weibliche Person ist, da wir Versuchen aufgeschlossen zu sein und niemand in eine geschlechterfeindliche Schublade zu stecken. Es mag grammatisch nicht korrekt zu sein, aber...“
„Ihr heuchelt einfach gern, ich weiß. Damit habe ich Logan und Sam auch bereits aufgezogen.“ Erinnerte ich mich amüsiert.
„Wie bitte?“ Jared entwandt mir den Speck und rollte ihn über irgendeine Art Käse zusammen, sodass kleine Häppchen entstanden.
„Nun ja, eure >keine Kirche< Regierung hier. Das ist ganz schön heuchlerisch, wenn man bedenkt, dass ihr einem Alphahündchen wie brave Welpen ihrer Mutter folgt, oder?“
Jared seufzte. „So ist es nicht. Wir sind individuelle Wesen und keine treudoofen Gefolgsleute. Ja, es stimmt, Alpha können einen Ton anschlagen, bei dem wir ausnahmslos gehorchen müssen, doch schon vor Jahrzehnten haben sie geschworen, diesen Ton nur anzuwenden, wenn die Umstände es erfordern. Es garantiert uns Unabhängigkeit, trotz unserer angeborenen Loyalität. Es ist quasi. Win win, für beide Seiten.“
„Aber du hasst Logan.“
Jared hob mahnend einen Finger. „Ich hasse, wofür das Haus Hallingway steht. Gegen Logan per se habe ich nichts, abgesehen davon, dass er absolut nutzlos ist.“
Ich rutschte vom Tresen und schmiegte meinen Körper an Jared´s herrlichen Rücken. Mh... Wie er duftete und sich anfühlte... Ich befand mich im selben Raum wie ihn und vermisste dennoch schmerzlich seine Nähe. War das normal?
„Also würdest du lieber mich auf dem Hallingway-Thron sehen wollen?“ Witzelte ich.
Jared drehte mich herum und küsste mich intensiv. Als er knurrend von mir abließ, leuchteten seine Wolfsaugen erregt auf. „Dich auf einem fellbesetzten Wolfsthron? Mein Kopf zwischen deinen Schenkeln? Ja... ich denke, daran könnte ich mich glatt gewöhnen.“
Nun ja, wenn er es so ausdrückte, wurde das Ganze natürlich eine wesentlich verlockendere Vorstellung.
„Ih, nehmt euch ein Zimmer.“ Grunzte Iris, als sie in die Küche getapst kam. Dabei hielt sie auf den Kühlschrank zu, in welchen sie etwas zurücklegte.
Ich grinste selbstzufrieden, als ich mehrere Schnittwunden, so wie eine Schwellung in ihrem Gesicht entdeckte. „Wir befinden uns in einem. Aber du störst.“ Keifte ich zurück, was ihr sichtbar einen Schauder über den Rücken jagte. Gute Wölfin. Sie hatte nun Angst vor mir!
„Nur mit der Ruhe.“ Mahnte Jared. „Iris, wie geht es deinem Gesicht?“
Giftig musterte sie ihren Bruder, welcher ebenfalls die eine oder andere, eher frische Verletzung aufwies. Sein offengelassenes Hemd verbarg keinen meiner Markierungen.
„Beschissen, was denkst du denn? Ich hatte heute Abend ein Date, aber das kann ich jetzt verschieben. Danke auch.“ Der letzte Satz galt definitiv mir, zumindest ließ mich der gereizte Tonfall darauf schließen.
„Es tut mir sehr leid, Schwesterchen.“ Entschuldigte sich Jared, wofür ich ihm mit dem Knie gegen den Oberschenkel trat.
„Heuchler. Tut es nicht.“
Jared knurrte. „Natürlich tut es das. Sie ist meine Schwester, auch wenn sie sich wie ein Holzkopf benimmt.“
„Sie hat doch meinen Kopf durch diese beschissene Autotüre geknallt! Und ich bin der Holzkopf?“
„Bei deiner Fresse-...“
„Du hast dich sehr respektlos ihr gegen über verhalten. Das musst du einsehen, Iris.“
„Aber dafür muss sie doch nicht meinen Kopf durch eine Autotüre stecken!“
Wow, wieso sprachen die beiden über mich, als wäre ich nicht einmal im Raum? „Stimm, es hätte etwas Stilvolleres sein sollen, wie ein Hundehaufen.“
Iris knurrte verärgert, während sie ihre Krallen ausfuhr.
Oh! Böses Mädchen!
„Marissa! Iris! Hört auf jetzt!“ Mahnte Jared und hielt mich bereits ziemlich fest, obwohl ich mich keinen Zentimeter bewegt hatte.
„Sie legt es doch darauf an.“ Meine Wölfin fühlte sich schon durch die schiere Anwesenheit von Iris, mehr las gereizt.
„Sie ist eine Hallingway!“ Sprach Iris im selben Moment, wie ich. Ernsthaft? Das war ihre Argumentation? Erbärmlich!
„Iris!“ Fauchte nun Jared ziemlich verärgert. „Marissa ist nicht mehr >nur< eine Hallingway. Sie ist meine Gefährtin und laut Rangordnung damit auch unser Oberhaupt. Wenn du nicht willst, dass sie dir das Leben zur Hölle macht, solltest du dringend an deiner Körpersprache arbeiten!“
Iris schien noch etwas erwidern zu wollen, doch stampfte verärgert auf dem Fußboden auf, ehe sie wieder hinein in den Kühlschrank griff, sich ein neues Kühlpad griff und dann vom Acker machte. Schade eigentlich. Mir stand der Sinn nach noch einer Abreibung.
„Und jetzt zu dir. Liebling, ich wäre dir wirklich sehr verbunden, wenn du keine meiner Schwestern mehr durch Autotüren steckst. Oder... In sonst irgendetwas.“
Ich grummelte. Aber nicht, weil er mich tadelte, sondern weil es mich sehr irritierte, wie er mich nannte. „Nenn mich nicht Liebling, von so etwas bekomme ich die Krätze.“ Maulte ich und nahm Abstand zu Jared. Okay, vielleicht verärgerte mich sein Tadel doch ein wenig.
„Wieso nicht? Du bist jetzt meine Gefährtin. Meine Frau. Bis dass der Tod uns scheidet...“
Ich knurrte, da sich mir sämtliche Härchen aufstellten. Sex mit Jared zu haben, war wirklich berauschend. Aber diese lieblichen Kosenamen... Igitt! „Okay, stellen wir mal ein paar Grundsätze klar...“ Begann ich, worauf Jared mit gehobenen Augenbrauen, die Arme vor dem Brustkorb verschränkte. „Ich hasse Kosenamen! Von mir aus können wir überall und zu jeder Zeit Sex haben, glaube mir, ich werde da kaum nörgeln. Aber wenn du denkst, dass ich jetzt deine brave Ehefrau spiele, oder sonst irgendeinen Scheiß... Oder bildest du dir nur wegen diesem dämlichen Gefährtending plötzlich ein, dass du mich liebst?“
An seinem Gesicht konnte ich sehr gut ablesen, dass dem nicht so war. Wir waren verbunden, ja. Wir hatten super wilden Sex, doppel ja. Und wir waren offensichtlich eifersüchtig aufeinander, nachdem was ich vorhin mit Sam gesehen hatte und wie ich auf fremde, weibliche Stimmen reagierte. So weit konnte ich das alles zu geben. Aber Liebe? Das war doch wirklich keine Liebe, richtig? „Denn ganz ehrlich, ich habe mich noch nie in meinem Leben verliebt und werde es auch niemals tun. Ich gebe zu... dass ich eifersüchtig sein kann und es bestimmt auch werde. Aber das ist bei weitem nicht das, was ich mir unter Liebe vorstelle. Ich meine...“ Ich lachte leicht hysterisch auf. „...was haben wir beide schon gemeinsam?“
„Nichts.“ Gab Jared Nightengale genauso kühl zurück.
„Siehst du! Und nur weil du mir da etwas eingepflanzt hast...“ Ich deutete auf meinen Bauch „... gesteht dir das noch lange keine Rechte auf mich ein, klar!“
Jared streckte die Hand aus und schob das Shirt, welches ich trug, ein Stück hinuner, um mein Mal sichtbar zu machen. „Das hier, bindet dich an mich, genauso wie mich das deine an dich. Das sind die einzigen Ansprüche, die ich auf deinen Körper und >unser< Baby stelle.“
Unser... Von wegen! Ich dachte zwar bei weitem nicht an Abtreibung, doch ich fühlte mich ehrlich gesagt nicht einmal ansatzweise schwanger.
„Da ist kein unser. Wie gesagt... Ich bin überzeugt davon, dass du dich irrst. Ich kann überhaupt nicht schwanger sein.“
„So funktioniert das aber bei uns nicht, Marissa. Wir sind nicht >normal<.“
„Und außerdem riechst du schwanger. Freu dich doch ein wenig darüber.“ Tatiana war lautlos in die Küche getreten, weshalb nicht bloß ich erschrocken zusammen zuckte. „Dein Geruch wird von Stunde zu Stunde stärker werden und in ein paar Tagen, kannst du dann auch einen Schwangerschaftstest machen.“ Erklärte sie sachlich. Tatiana war wirklich hoch gewachsen, dürr und trug denselben strengen Dutt, welchen sie bereits bei der Feier meiner Ankunft getragen hatte. Zumindest erkannte ich langsam ihr Gesicht wieder. Normalerweise hatte ich es ja nicht so mit Gesichtern, doch die Nightengale... Nun ja, sie waren nicht so schwer zu verwechseln.
„Ist mir doch egal, was eure Nasen sagen. Wie ich Jared schon erklärte, habe ich mehrfach von verschiedenen Gynäkologen bestätigt bekommen, dass meine Gebärmutter keine Eizellen produzieren. Da ist nichts. Nada!“
„Tatiana, würdest du ihr bitte bestätigen, was ich ihr schon erklärt habe. Sie glaubt mir einfach nicht.“ Bettelte Jared, hörbar genervt.
„Es stimmt aber. Du bist erst fruchtbar, seit deiner ersten Verwandlung. Das ergeht uns allen so.“
Tja, das sagte sie. Aber glauben konnte ich es immer noch nicht, dafür vertraute ich viel zu sehr, auf die moderne Medizin.
„Bitte, dann gehe ich eben erneut zu einem Gyn, der wird euch dann hoffentlich überzeugen, dass in mir nichts brütet.“
„Sehr gut.“ Bestätigte Jared sofort, während Tatiana mit den Augen rollte. Moment, wollte er, dass ich das jetzt tatsächlich durchzog? „Dann brauchst du gar nicht erst einen Schwangerschaftstest zu machen. In fünf Tagen, werden wir einfach zusammen zu einem Arzt deiner Wahl gehen und du kannst es von ihm hören.“
Ja, er legte es tatsächlich darauf an. Na danke auch... „Aber ich war doch erst vor fünf Monaten bei einem Gynäkologen.“ Da würde sich definitiv nichts von heute auf morgen ändern. Das war absolut lächerlich... Vermutlich genauso wie sich am frühen Nachmittag total erledigt zu fühlen, nach einer, zum Frieden erbrachten, Tasse mit Tee und dann mitten in der Nacht, als Wolf wieder zu erwachen.
Das war nicht nur kurios, sondern gar... unbeschreiblich. Es fühlte sich jedoch genau wie das an, was ich mein Leben lang gesucht hatte. Die... unbändige Unruhe in mir, hatte jäh in dem Moment geendet, als ich als Wolf durch das Dickicht geprescht war. Der Wind in meinem Fell, die weiche, nachgiebige Erde unter meinen Pfoten...
Scheiße verdammt, genau das war ich. So etwas hatte ich mein Leben lang gesucht und...
Mein trotziger Blick begegnete, dem hoffnungsvollen von Jared. Mein Herz klopfte wie ein Presslufthammer in meiner Brust, so unvorstellbar laut, es hätte genauso gut eine Beatbox sein können. „Ja gut. Ich gehe hin!“ Versprach ich endgültig, wofür ich ein strahlendes Lächeln von Jared erhielt.
Dass sich Tatiana noch im selben Raum befand, vergaß ich promt, als seine Hand zärtlich meine Wange streichelte.
„Danke, Marissa. Das bedeutet mir wirklich viel.“ Genauso gut hätte er etwas Schmutziges sagen können, denn zwischen meinen Beinen wurde es sofort wieder feucht. Ob ich wohl je nicht feucht sein würde? Jared verdarb mich, wie ich wohlwollend feststellte, während ich meine Arme um seinen Nacken legte.
Huch, da erging es wohl nicht nur mir so. „Dann sei bis dahin besser ein ganz artiges Wölfchen. Sonst muss ich mir das alles noch einmal überlegen. Klar?“
Zärtlich küsste Jared mich, doch ich wollte unter keinen Umständen etwas >zärtliches<. Zumindest nicht im Moment. Ungestüm zog ich mich seinem Körper hinauf, bis meine Beine genauso um ihn geschlungen waren, wie meine Arme.
Lachend versicherte sich Jared, dass ich mich auch ja fest genug geklammert hatte, murmelte irgendetwas, zu irgendjemanden der sich offenbar noch im Raum befunden hatte und schnappte sich das tolle Tablett, welches er mit viel Mühe für uns zubereitet hatte. Und vermutlich als Wiedergutmachung für seine Schwestern.
Jetzt jedoch wanderte der leckere Snack, mit mir in den Armen und den leckerein, hoch in sein Zimmer, aus dem ich mich weigerte, je wieder hinaus zu kommen.

 

- - - - - 

 

Diese Rechnung machte ich jedoch bedauerlicherweise ohne Jared. Die meiste Nacht hatte ich heute so richtig gut und wohlig geschlafen. Ich hatte mein Versäumnis aufgeholt, hatte mich in Jared´s Arme geschmiegt und war in meinen Träumen durch den Wald gejagt.
Natürlich könnte ich nun Witze über mich selbst reißen, doch verkniff es mir, während ich heiß duschte. Ehrlich gesagt erwartete ich, nachdem ich schon alleine erwacht war, das Jared wieder da sein würde, sobald ich aus der Dusche trat, doch dieser ließ mich in seinem Zimmer, in einem fremden Haus, mit fremden Leuten, einfach ganz alleine.
Nicht, dass ich mich einsam gefühlt hätte. Aber es wäre schon schön gewesen, wenn Jared mich ein wenig herum geführt hätte...
Grummelnd entschied ich, dass es Zeit wurde, die Küche erneut zu finden, was sich als überraschend leicht herausstellte, da ein fremder Mann darin stand und den Kochlöffel schwang.
„Oh, Madame Marissa, nehme ich an?“ Anstatt die Hand, reichte mir der Mann den Kochlöffel, den ich mit erhobenen Brauen betrachtete. Was zum Teufel...
Als ich kein Wort verlor, redete der Mann einfach weiter. „Mein Name ist Lucas, ich bin Koch für die Familie Nightengale. Eigentlich übernimmt das ja mein Vater, aber der lässt sich für heute entschuldigen. Er ist auch nicht mehr der Jüngste. Darf ich Ihnen etwas Spezielles anbieten? Oder haben Sie Wünsche? Ich kann alles backen, was Teig besitzt. Und... Zutaten.“ Witzelte er und lachte, als hätte er eben etwas total Witziges gesagt.
„Ich suche Jared, wo ist er?“ Da ich nicht wusste, ob der Mann irgendwie eingeweiht war, verkniff ich es, ärgerlich über seine unbeschwerte Art zu knurren. Es gefiel mir nämlich nicht, wie er mich behandelte. Da er jedoch vollkommen menschlich roch, bekam ich so eine Vorahnung, dass ein Zusammenstoß von seinem Gesicht und der Herdplatte, unschön ausgehen konnte.
„Jared? Ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Tut mir leid.“ Er wirbelte den Kochlöffel herum und schlug den Teig weiter, an welchem er gerade eben arbeitete. „Am besten Fragen Sie eine der Schwestern. Sie sitzen im Esszimmer.“
Das war genau das, was ich nicht wollte, doch scheinbar blieb mir nichts anderes übrig. Ergeben seufzend, folgte ich der Türe, welche ich noch nicht durchquert hatte und danach dem schmalen Gang, zu einem wirklich ausladenden Esszimmer. Es war voller Gemälde, Pflanzen und ein prächtiger Teppich lag zu Füßen des massiven Esstisches.
Darum herum waren drei Gedecke, ein viertes wurde prompt hergerichtet, kaum dass ich den Raum betreten hatte. Zwei Frauen wünschten mir einen wunderschönen guten Morgen, während mich Tatiana und Claudine verschlafen musterten.
„Hi.“ Sagte ich, während die beiden Angestellten wie Feen um mich herum schwirrten. „Habt ihr Jared gesehen?“
Claudine gähnte ausgiebig. „Noch nicht.“
Tatiana nahm ihre Beine vom Stuhl neben sich und schenkte mir wesentlich mehr Aufmerksamkeit. „Ich weiß, nicht wo er hin ist, aber als ich von meinem Morgenspaziergang kam, habe ich ihn das Anwesen verlassen sehen. Am besten rufst du ihn einfach an.“
Gute Idee... Bis zu dem Moment, an dem mir in den Sinn kam, dass mein Handy noch in Logan´s Anwesen lag. „Mist. Mein Handy liegt noch drüben... Eigentlich habe ich hier... absolut gar nichts.“
„Schon gut, benutz meines, wenn du möchtest.“ Tatiana hatte ihres neben ihrer Tasse liegen gehabt und schob es mir nun über den Tisch hinweg zu.
„Danke.“ Meinte ich aufrichtig, vor allem deshalb, weil sie Jared´s Kontakt direkt für mich heraus gesucht hatte, denn ehrlich... Selbst wenn ich Jared´s Nummer gehabt hätte, die ich übrigens nicht besitze, hätte ich sie mir wohl kaum auswendig gemerkt. Ich kannte ja noch nicht einmal meine Eigene auswendig!
„Jared? Ich bin es, Marissa. Wo bist du? Ruf mich zurück, wenn du das abhörst.“
Ich war direkt mit der Mailbox verbunden worden, was mich nur noch mehr ärgerte. Wo war Jared, zur Hölle noch eins? Und wieso ließ er mich im Unwissenden? „Ist er vielleicht arbeiten?“ Fragte ich, während ich Tatiana das Handy zurück gab.
Claudine antwortete. „Nein, er öffnet seinen Buchladen erst gegen neun Uhr. Vielleicht besorgt er etwas für dich. Du kannst schließlich nicht für immer in seiner Kleidung herum laufen.“ An ihrer Stimme erkannte ich keinerlei Vorwurf oder Spott. Sie war einfach direkt.
Tatiana fasste sich an die Stirn. „Ach ja! Das habe ich gestern ganz versäumt. Willst du dir vielleicht Kleidung von uns ausleihen? Du hast Claudine´s Größe. Sie leiht dir sicher etwas, bis du dir Neue gekauft hast.“
Wow, abgesehen davon, dass Tatiana mir Kleidung, ungefragt von ihrer Schwester lieh, die direkt neben uns saß, war ich erstaunt davon, dass sie so einfach davon ausging, ich würde meine Kleidung einfach zurücklassen. Oder dass ich überhaupt genug Geld besaß, durch welches ich mir einfach mal so einen neuen Satz leisten konnte. Oder überhaupt Geld besaß... Verdammt, sogar mein Bargeld lag bei Logan. Ich musste heute unbedingt zu ihm und einiges mit ihm klären, auch wenn es mir sehr missfiel.
„Danke, vielleicht zumindest Unterwäsche, denn ich will heute noch unbedingt zu Logan und mit ihm reden.“
„Das ist eine gute Idee.“ Stimmte Tatiana stolz zu, ehe sie mit ihrer Hand einen Wink machte und die beiden Hausfeen den Raum stumm verließen. Erst nachdem die Türe geschlossen war, sprach sie weiter. „Bestimmt kannst du mit Logan, als seine Schwester, einen lockeren Handel eingehen wer welches Gebiet, in Zukunft als Alpha beherrscht.“
Als was? Warte, was? „Wieso sollte ich das tun? Ich dachte, dass Logan seine Stellung fix inne hat?“
„Natürlich hat er das, da niemand je Anspruch darauf erheben konnte und sein Vater abgehauen ist, kaum dass Logan sich verwandelt hatte. Er hat... quasi das leere Feld vererbt bekommen. Du kannst jetzt aber Ansprüche stellen und ihn entweder herausfordern oder etwas aushandeln.“
Ich runzelte irritiert die Stirn. „Meinst du damit, ich soll auf Leben und Tod mit meinem Bruder kämpfen?“ Frachte ich Claudine ungläubig.
„Nein, das nicht. Aber Lykwood ist groß genug für zwei Alpha. Uns wird er dir sicher mit Kusshand überlassen, aber wie es mit den Cavanaugh, Silvermoore und Redhills aussieht, weiß ich leider nicht.“
„Nimm bloß nicht die Cavanaugh! Nur Weil sie neben uns leben, brauche ich sie nicht auch noch, als Rudelgefährten.“ Motzte eine weitere, weibliche, verschlafene Stimme und ließ sich neben Claudine auf den freien Platz fallen.
Verwirrt sah sie sich am leeren Esstisch um, wo bisher nur Tee und Kaffee stand. „Ist Maurice heute nicht da?“
Tatiana schüttelte den Kopf. Nein, sein Sohn.“
Mürrisch zog sie sich eine Tasse, so wie Kaffee heran. „Schon wieder die Hüfte?“ Erkundigte sie sich dann aber etwas einfühlsamer.
„Woher soll ich das denn wissen?“ Tat Tatiana das Thema ab, erhob sich seufzend und machte sich scheinbar auf den Weg in die Küche. „Ich mache Lucas etwas Dampf.“
„Hoffentlich im übertragenen Sinne. Sonst bekommen wir heute überhaupt nichts mehr zum Essen.“ Witzelte Claudine, wofür sie den Mittelfinger gezeigt bekam.
„Wo ist eigentlich Jared?“ Fragte da Violetta, als ihr aufging, dass ihr Bruder gar nicht an mir hing.
Claudine und ich zuckten einheitlich mit den Schultern.

 

- - - - -

 

Claudine brachte mir, nach einem recht schweigsamen Frühstück, ein paar ihrer >alten Klamotten< welche alle einzeln schon besser aussahen und mehr gekostet hatten, als alles aus meinem Kleiderschrank zusammen!
Ich bedankte mich bei ihr und schlenderte noch bis Mittag durch das Nightengale-Anwesen. Es war einfach... riesig. Die Gänge waren gewunden, dunkel und teils nur schwach beleuchtet, was jedoch niemanden von uns störte, da sogar meine Augen jetzt viel besser funktionierten, als je zuvor. Ich betrat ein paar Räume, versuchte mir eine Übersicht zu verschaffen, vor allem, da Tatiana gemeint hatte, ich solle mich wie zuhause fühlen. Was es laut Jared ja nun auch sein sollte.
Ich war mir da noch nicht so ganz sicher, wenngleich ich mich hier ehrlich gesagt wohler fühlte, als in Logan´s Villa. Hier hatte alles einen so... so heimeligen und wohligen Geruch. Vor allem der von Jared frohlockte mich, was vor allem daran lag, dass ich ihn sehnlichst vermisste.
Irgendwann entdeckte ich eine Türe, mit einem rötlichen Messinggriff. Ich trat ein, da es hier besonders stark nach Jared roch und staunte nicht schlecht. Für einen Moment dachte ich, ich sei versehentlich im Museum gelandet, doch tatsächlihc überwog Jared´s Geruch hier besonders. Überall waren Bilder von einer braunhaarigen, wirklich schönen Frau aufgestellt. Sie besaß grüne Augen, mit dunklen Sprenklern. Sie wirkte auf den meisten Bildern verschwitzt, aber glücklich, während sie vor den Kameras mit Fremden posierte, oder etwas, scheinbar, besonderes präsentierte.
Recht schnell erkannte ich Ähnlichkeiten zu Jared. Also wenn er keine noch ältere Schwester in ihren dreißigern besaß, konnte das hier bloß noch seine Mutter sein.
Und tatsächlich fand ich nach kurzem Suchen, sogar ein Fotobuch. Darin war die Frau bereits deutlich gealtert, mit jedem Bild nahm die Härte in ihrem Gesicht zu, bis sie auf einem Bild, in einem Krankenhaus, mit drei kleinen Kindern gezeigt wurde. Ein Baby lag in ihren Armen, daneben zwei kleine Kinder. Ein Mädchen und ein Junge. Beide strahlten, freuten sich sichtlich über ihre kleine Schwester. >Iris<. Stand darunter, ehe mir auffiel, dass das Bild irgendwie... schief wirkte.
Verwirrt legte ich das Buch auf dem Schreibtisch ab, was vermutlich ein paar Zettel in Unordnung brachte, doch das war mir gleich. Ich nahm das Foto aus seinen Folie und faltete es auf. Neben dem Krankenbett stand ein Mann, noch viel jünger als der Herr Nightengale, den ich kannte. Seine Augen waren jedoch bereits damals kühl gewesen und seine Miene stoisch. Er zeigte weder Freude darüber, eben wieder Vater geworden zu sein, noch Enttäuschung. Er stand einfach unbeteiligt daneben, während der Rest der Familie zufrieden lächelte.
Etwas irritiert, knickte ich das Bild wieder um. Wieso hatte Jared seinen Vater von dem Bild weggeknickt? Mochte er ihn tatsächlich so wenig?
Nachdem ich das Bild zurück gesteckt hatte, natürlich so, wie ich es vorgefunden hatte, blätterte ich weiter und erschrak. Es war das Bild von einem wunderschönen, schwarzen Sarg mit godenen Verzierungen. Darunter stand das Sterbedatum. Es war nur ein Monat nach Iris Geburt verzeichnet.
„Oh...“ Machte ich.
Als ich weiter blätterte, fand ich ein Bild vor, auf dem drei Mädchen vor einer Schaukel posierten.
Danach eines mit fünf Mädchen in unterschiedlichen Altersstufen.
Tatiana hielt dabei das jüngste von ihnen in ihren Armen. Alle wirkten... seltsam fromm und nichts ließ mehr an das Bild direkt nach Iris Geburt erinnern.
Da ich den Anfang bloß grob überblättert hatte, ging ich noch einmal zurück, da ich sehen wollte, wo genau das Gesicht von Jared´s Mutter anfing, nicht mehr so glücklich zu wirken.
Ich sah sie auf Ausgrabungsstellen. Mit größeren Bäuchen, mit kleineren. Mal mit ihrer ältesten Tochter auf einer Safarireise und dann mit einem zweijährigen Jared auf einem Schiff hinunter winken.
Irgendwann entdeckte ich sogar den kleinen Buchladen, den Jared leitete. >Claudine´s< stand auf der großen Glasfront, was mir ehrlich gesagt noch überhaupt nicht aufgefallen war.
Claudine... Aber Claudine war doch erst Jahre nach dem Tod von Jared´s Mutter gestorben, richtig?
Kopfschüttelnd, da ich Jared unbedingt danach fragen musste, fand ich sogar ein Foto, auf dem sie ein Selfi machte, mit einem schwarzen, knurrenden Wolf im Hintergrund. Sie wirkte kein Stück besorgt, doch wenn es sitmmte, dass alle Gestaltwandler als Wölfe zur Welt kamen, war es natürlich unschwer zu verheimlichen, dass auch ihr Mann einer gewesen war, genauso wie ihre Kinder einst sein würden. Oder... eher geworden sind mittlerweile.
Ob ich zu meiner Mutter wohl auch ein besseres Verhältnis gehabt hätte, wenn wir beide eingeweiht gewesen wären? Wenn sie gewusst hätte, dass in mir etwas ist, dass mich so abnormal handeln ließ?
„Was tust du da mit meiner Mutter?“ Erschrocken wirbelte ich herum. Jared lehnte locker im Rahmen der Tür und lächelte mich zufrieden an, als ich knurrend herum wirbelte.
„Erschreck mich doch nicht so, verdammt! Außerdem wo warst du die ganze Zeit? Du kannst mich doch nicht einfach alleine mit deinen blöden Schwestern lassen.“ Außer er wollte, dass wieder eine in einer Autotüre landete.
Jared schloss nun die Türe hinter sich und kam langsam auf mich zu. „Hast du mich etwa schon vermisst?“
Mein Knurren wurde lauter, was auch sein Lächeln breiter werden ließ. Blöder Jared! „Arsch. Wo bist du gewesen?“
Sanft nahm er mich in den Arm und küsste mich erst einmal lange, ehe er wieder etwas sagte. „Im Haus riecht es nicht nach Blut. Anscheinend war mein Vertrauen in dich gerechtfertigt. Niemand ist tot, oder verletzt.“
„Noch nicht!“ Murrte ich. „Aber das kann sich ganz schnell ändern, wenn du mir nicht bald sagst, wo du gewesen bist!“ Hier befanden sich genug Objekte, welche ich Jared über den Kopf ziehen konnte!
„Na gut, aber dafür musst du mir erst einmal folgen.“
Ich knurrte wieder. „Spiel keine Spielchen, Nightengale, oder ich trete dir wirklich in den Arsch.“
Er ging rückwärts zur Türe und sah mich dabei einfach nur, selbstzufrieden grinsend an.
Im oberen Stockwerk schlug er dann den Weg zu seinen Räumlichkeiten ein, was mich fragend die Brauen heben ließ. Gab es da irgendeine Art Überraschung, die ich noch nicht gesehen hatte? Das bezweifelte ich nämlich stark.
„Sieh mich nicht so an. Es wird dich freuen. Versprochen.“
Ich knurrte. „Ich werde mich nur darüber freuen, wenn du dich dort drinnen dann nackt ausziehst.“
Jared lachte, dann kamen wir endlich an der Zimmertüre an. Ungeduldig drängte ich mich an ihm vorbei und stieß die Türe selbst auf. Was ich vorfand... es... Ähm. Nun ja, es überraschte mich ehrlich sehr! Und ob es mich freute, wusste ich nicht so recht. Eher verwirrte es mich.
„Woher hast du...“ Fragte ich und ging zu dem verschlissenen Koffer, den ich nur zu gut kannte. Als ich das erste Mal von zuhause weggelaufen war, hatte ich ihn bis oben hin voll gepackt. Wie ich später wusste, war das meiste absolut unnötig gewesen. Seitdem hatte er mich so gut wie überall hin begleitet. Sogar hierher, nach Lykwood, wenngleich mir Logan versucht hatte das Gefühl zu vermitteln, dass ich ihn nie wieder brauchen würde.
„Ich war bei Logan und habe mit ihm gesprochen. Vanja war so frei, dir ein paar Sachen zusammen zu packen, bis du zurück kommst, doch ich habe ihr gesagt, sie soll gleich alles einpacken. Du wirst nämlich bei mir bleiben.“
Was war ich denn? Eigentum der Familie Nightengale?
„Logan sieht ein, dass du ein Recht darauf hast, selbst zu entscheiden, wo du bleiben möchtest. Er gibt dir Zeit, deinen Platz selbst zu finden, will aber, dass du so bald wir möglich zu ihm kommst. Er muss sich vergewissern, dass es dir gut geht und sie beide vermissen dich. Besonders Adam vermisst seine Tante sehr, soll ich dir ausrichten.“
„Beim Thema Adam stieß ich ein langgezogenes und berührtes >Oh< aus. Ich vermisste den kleinen Scheißer doch genauso. Er fehlte mir ehrlich gesagt bereits so sehr, dass ich es bereute mich so lange nicht mit ihm befasst zu haben. Eigentlich habe ich, seit ich in Lykwood angekommen war, jeden Tag mindestens für eine Stunde etwas mit Adam unternommen. Sei es nun seine Lieblingsserie schauen, oder eine Kissenburg bauen.
„Adam fehlt mir auch, wahnsinnig.“ Gab ich kleinlaut zu. Wieso war ich noch mal vorhin so wütend gewesen? Ach ja! Ich boxte Jared gegen den Oberarm.
„Aua!“
„Sei froh das gerade kein Auto in der Nähe ist!“ Mahnte ich. „Das hättest du mir auch in einer Notiz hinterlassen können. Aber nein, stattdessen läufst du einfach irgendwo herum und ich kann dich nicht einmal kontaktieren! Was soll der Scheiß?“ Jared hatte einen Finger gehoben, um mir zu signalisieren, dass ich warten sollte. Ich beobachtete ihn, erneut gereizt, wie er um das Bett herum ging und einen Zettel vom Boden aufhob, den ich überhaupt nicht bemerkt hatte. „Das nächste Mal, lege ich ihn besser auf die Kommode.“
Augenblicklich verflog meine Wut und zurück, blieb etwas... etwas seltsam Warmes in meiner Brust. Ich nahm den Brief entgegen. Es war der allererste Brief, den ich je erhalten hatte. Abgesehen von meinem Lohn, der Versicherung und den Rechnungen verstand sich.
„Liebste, Marissa. Ich wollte dich nicht wecken, deshalb hinterlasse ich dir nur diesen Brief. Mach dir keine Sorgen, ich bin nur bei Logan, um ein paar Sachen von dir zu holen, oder am besten gleich alle.“ Ich lachte. „Deine Worte gestern, haben mir deutlich gezeigt, dass einen Gefährten gefunden zu haben, nicht das Ende der Geschichte ist, sondern erst der Anfang. Ich kann noch nicht sagen, dass ich dich liebe, da ich da genauso denke, wie du es tust. Ich habe nie geliebt. Ich wollte nie lieben. Aber wenn wir etwas finden können, was diesem Gefühl nahe kommt... denke ich, erreichen wir dies nur, wenn wir uns ab jetzt, auch außerhalb des Bettes, besser kennen lernen.
Dein Jared.“ Schniefend wischte ich eine Träne aus meinem Augenwinkel und konnte kaum fassen, wie heftig mein Herz schlug, ohne dass ich dabei sabberte. Jared hatte mit seinem Brief etwas gefunden, eine Möglichkeit die lang und mühsam errichtete Mauer zwischen uns, ein wenig ins Wanken zu bringen.
Mit einem Mal, fühlte ich mich ihm ein ganzes Stück näher und... das ängstigte mich schon ein bisschen. Ein bisschen sehr, wie ich zugeben musste, doch als ich in seine wunderschönen, eisblauen Augen sah, erkannte ich, dass ich dieses Risiko ohnehin eingehen würde. Egal ob es Liebe wurde, oder einfach nur irgendetwas familiäres... Jared war an mich gebunden, wie ich an ihn. Mal sehen, was wir daraus machen konnten.

Logan, hat endlich alles, was er je wollte...

Nervös zerkaute ich die Innenseite meiner Wange. Eine lästige Angewohnheit, die ich mir seit der Geburt meines Sohnes angewöhnt hatte, damals als ich noch darum gebangt hatte, ob die Liebe meines Lebens, die Geburt überstehen würde, wie Marissa´s Mutter, oder nicht. Zu meinem persönlichen Seelenheil, war sie nicht nur problemlos durch die Geburt gekommen, sondern schien durch Adam sogar noch aufgeblühter zu sein, als jemals zuvor.
Erneut zückte ich mein Handy und betrachtete die Nachricht, die ich vor gut drei Stunden erhalten hatte. >Komm gleich vorbei, beiß mir aber nicht gleich den Kopf ab.<
Was bei diesem Mädchen >gleich< war, verstand wohl auch nur der Heilige Geist, denn sie ließ mich bereits seit Stunden warten.
Ungeduldig tigerte ich im Wohnbereich auf und ab, dass ich dabei von mehreren Blicken gleichzeitig taxiert wurde, war mir völlig gleichgültig.
Nun da Marissa unser Geheimnis, zweifellos kannte, war der Alltagsbetrieb zurückgekehrt. Redhills patrolierten wieder, Silvermoore hingen Geschäften mit mir nach und Cavanaugh boten ihre vielfältigen Dienste im Haus, so wie im Garten an. Endlich herrschte in diesem Haus wieder das rege treiben, welches ich stets genossen hatte.
„Soll ich sie vielleicht jetzt abholen fahren?“ Erkundigte sich Phiona, die das Oberhaupt der Cavanaugh war und zugleich die Tauftante von Sam, Marissa´s und mein Großcousin.
„Nein, nein lass es besser. Sie ist nun eine Erwachsene Wölfin. Marissa könnte es in den falschen Hals bekommen, wenn ich sie weiterhin behandle, wie ein kleines Kind.“
Ich fühlte die Hand von Vanja zustimmend auf meine Schulter drücken, damit ich endlich stehen blieb.
„Oder ich bekomme es in den falschen Hals, dass du es nicht einmal für nötig hälst, deine kleine Schwester abzuholen. Geizkragen.“ Witzelte eine süffisante Stimme, mit einem irrsinnig breiten Grinsen im Gesicht.
Erleichtert stieß ich die Luft aus. Ihr ging es gut. Sie sah, wie immer, traumhaft schön aus und strotzt nun auch vor Übereifer und Macht. Und wenn ich >strotzen< sagte, dann meinte ich, dass geradezu ein Tsunami von diesem zarten Wesen ausging.
Ich kannte ja nicht sonderlich viel Alpha. Genauer gesagt, ausschließlich Mal, unser Vater und mich. Trotzdem bezweifelte ich, dass es normal war, so viel Autorität zu versprühen. Oder sollte man es beim Namen nennen und schlichtweg Dominanz nennen?
„Marissa, es ist so schön, dich zu sehen!“ Vanja war weniger distanziert, als ich es war, während Marissa´s Blick durch den Raum gewandert war. Die beiden umarmten sich, als hätten sie sich bereits seit Jahren nicht mehr gesehen, doch als Vanja sich lösen wollte, hielt Marissa sie weiterhin, natürlich sanft in ihren Armen. „He, stimmt der Mythos eigentlich, dass man Gefährtinnen stehlen kann? Wie wäre es, wenn wir tauschen. Ich nehme die süße Vanja und du bekommst meinen Jared?“
Ich knurrte zur Antwort, während Vanja amüsiert auflachte. Einige schmunzelten mit ihr, doch mich ärgerten ihre Worte lediglich, da sie mir bewiesen, dass Marissa noch immer nichts gelernt hatte.
Marissa entließ Vanja aus ihrer Umarmung und stemmte wieder die Arme in die Hüften. „Schon gut, du musst nicht gleich so viel plappern, ich komme ja überhaupt nicht zu Wort.“ Wies sie mich schalkhaft darauf hin, dass ich noch kein einziges Wort an sie verloren hatte.
Nun da Marissa es ansprach...
„Jetzt umarm sie schon!“ Tadelte Vanja strenger, kam zu mir zurück und zog mich am Arm.
Verwirrt sah ich zwischen meiner kleinen Schwester, so wie meiner teuren Gefährtin hin und her. Ich, ein Alpha, sollte eine andere Alpha umarmen? Mein Wolf sträubte vor Widerwillen das Fell.
„Keine Sorge, ich bin genauso wenig erpicht darauf, dich zu knuddeln, wie du.“ Marissa ließ ihre Augen gelb aufblitzen, dann betrachtete sie die Leute, die sich heute hier eingefunden haben. „Und auch sonst sollte ich kein männliches Wesen knuddeln, sonst tickt mir Jared wieder aus.“
„Das ist normal am Anfang. Logan hat jeden angeknurrt, der mich nur angesehen hat, als wir frisch zusammen gekommen sind.“
Die beiden Frauen lächelten sich verschwörerisch an und teilten etwas, von dem ich befürchtete, es für immer verspielt zu haben... Nein, ich wusste, dass ich es längst verbockt hatte.
„Es tut mir wirklich leid, Marissa. Ich wünschte, ich hätte dich schon viel früher eingeweiht. Aber ich fand, du wärst noch nicht so weit... Und es war alles so kompliziert.“
Marissa kam elegant und selbstsicher auf mich zu. Dabei trug sie Stiefeln, welche ihr bis zu den Knien reichten und eine, selbst gekürzte, Jeans. „Alles klar, Brüderchen. Ich hätte dir ohnehin kein Wort geglaubt, wenn du etwas gesagt hättest.“
Erleichtert stieß ich die Luft aus, bloß um einen Moment später schmerzerfüllt aufzuschreien. Sie hatte mir in die Seite geboxt und deutete nun mit dem Zeigefinger auf mich. „Das war für die Drogen, klar!“
Ich knurrte, doch sah ein, dass ich Schlimmeres, als einen blauen Fleck verdient hatte. „Verzogene Nervensäge.“
„Reicher Schnösel.“ Antwortete sie und wir lächelten uns versöhnlich an.
„Ich bin froh, dass ich keine Geheimnisse mehr vor dir haben muss.“
„Und ich erst.“ Stimmte sie mir zu, dann tat Vanja etwas, womit ich nicht Rechente. Sie trat zwischen uns und umarmte uns beide liebevoll. „Ihr Welpen.“ Tadelte sie sanft und wir drückten sie zusammen zurück.
Also von mir aus... war meine Welt endlich perfekt. Endlich war da ein Familienmitglied, dass mich verstand, dass an meiner Seite sein würde und mich achtete, wie ich sie. Gut, wir sprachen hier zwar immer noch von Marissa, die alles andere, als einfach war, doch dafür besaß sie ihren eigenen Charme. Sie war etwas Besonderes und das nicht nur, weil sie meine kleine, verlorene Schwester war. Nein, da war mehr...
Ich schnüffelte in der Luft. „Du bist schwanger?“ Es sollte zwar nicht wie ein Vorwurf klingen, doch scheinbar schnappte es Marissa so auf.
„Nein! Bin ich nicht! Und jetzt hört verdammt noch mal auf, das ständig zu sagen! Das ist Schwachsinn! Ich kann nicht schwanger sein!“ Knurrte sie ärgerlich.
„Aber du riechst so!“
„Dann schnüffel nicht an mir! Nur weil ich nach Jared rieche, macht mich das nicht automatisch schwanger. Dafür braucht man ´nen verdammten, funktionstüchtigen Eierstock.“
„Du hast doch zwei davon!“
„Nein, ich bin unfruchtbar! Wie oft muss ich das euch Typen noch erklären?“
„Aber du bist jetzt...“
„Wage es ja nicht >anders< zu sagen, oder ich vergesse mich!“
Vanja seufzte, während Marissa und ich, die nicht einmal zwei Meter voneinander entfernt dastanden, einander ankeiften. „Ich gehe Tee aufbrühen. Will noch jemand?“ Die gesamte Meute schloss sich ihr sicherheitshalber an...

Jared Nightengale wird ja doch Vater...

Wenn mich jemals jemand fragen würde, was das absolute Gegenteil von mir war, würde ich mit >Marissa< antworten und das, ohne zu zögern. Ihr Haar war so blond, dass es in einem starken Kontrast zu dem meinem, schwarzen stand. Ihre Augen, scheinbar blass, grau, wurden von meinem intensiven Blau ausgestochen. Wo ich mein Haar zähmte, ließ sie ihres gekonnt in Szene treten. Ich war lang gebaut und athletisch. Sie kompakt und niedlich klein, zu meinen Verhältnissen. Ich achtete stets auf Manieren und versuchte mich desinteressiert zu geben... Wo anstatt Marissa das gesamte Spielbrett, samt Figuren durch den Arbeitsraum schleuderte, nur weil sie sich ärgerte, da ich zum vierten Mal in Folge in Schach gewonnen hatte. Ein Spiel, welches sie gerade eben erst lernte und ich seit Jahren perfektionierte...

Falls mir damit die Natur hatte einen Streich spielen wollen, so hatte sie das wunderbar hinbekommen. In meiner Jugend hatte ich zwar verschiedene Frauentypen ausprobiert, doch egal ob Wölfin oder Mensch, Jung oder Alt. Nichts hatte mich großartig gereizt. Sie alle waren mir zu anhänglich, zu weiblich, zu zickig, zu nervtötend gewesen. Diese verbotene Jagd, als Wolf und gleichzeitig einziger Nightengale-Erbe, hatte mich scheinbar mehr gereizt, solange diese Männer nicht auch mehr gewollt hatten. Somit konnte ich stolz behaupten, einer jeden ernsten Beziehung bisher entkommen zu sein.
Zumindest so lange, bis mein Wolf sich das vermutlich nervigste Weib im ganzen Universum gesucht hatte. Anspruchsvoll, da sie stets das wollte, was vollkommen unnötig war. Irrsinnig, da sie erst handelte, ehe sie nachdachte... Und Scheiße verdammt, war sie heiß, wenn sie da auf dem Boden herum kroch und meine geliebten, selbst geschnitzten Spielfiguren einsammelte. Weswegen nochmal, hatte ich sie eben angeknurrt? Ach ja, da war ja etwas gewesen, von wegen Termin...
Egal, wird schon nicht so wichtig gewesen sein. Ehe Marissa die Figur unter dem Sofa hatte hervorziehen können, zog ich ihren knackigen Po an meine Lenden und knurrte heiser an ihrem Nacken. „Du solltest wirklich nicht so herum kriechen... zumindest nicht, solange du so viel trägst.“ Ich machte mir bereits an ihrem Reißverschluss zu schaffen, als sie sich auch schon aus meinen Fingern wandt und mit hochrotem Gesicht die Hand in meine Richtung ausstreckte. Dieses Mal jedoch nicht, um mich an sich zu ziehen, sondern um mir zu deuten, dass ich sofort aufhören sollte.
Oh ja, der Termin!
„N-Nein! Nicht, Jared! Wir müssen gleich los, deswegen haben wir ja Schach geübt! Reiß dich also zusammen, oder ich werde dich dort beim Gynäkologen auf die Matte werfen und ihn dich direkt kastrieren lassen, klar!“
Ich knurrte ärgerlich, doch Marissa hatte ja recht. Sex konnten wir danach noch jede Menge haben. Am Rückweg im Auto oder so... Dort waren wir das letzt Mal überhaupt nicht...
„Jared! Hörst du mir zu?“
Ich nickte. „Du, ich. Der Rücksitz des Wagens, am Heimweg. Klar, ich höre zu.“
Ach ja, das war es, was uns bisher verbunden hatte. Wirklich exzellenter, schweißtreibender und scheinbar nie enden wollender Sex. Konnte man denn auf so etwas Körperliches, eine stabile Beziehung aufbauen? Mein gesunder Menschenverstand sagte, nein. Es war unmöglich, wenn man nur der Fleischeslust nachgab, auch eine emotionale Verbindung zu finden. So etwas sollte doch von Anfang an da sein, nicht wahr? Aber es gab auch Leute, die pflegten bereits seit Jahren eine stabile, freundschaftliche Beziehung, ehe sie erkannten, dass zwischen ihnen schon immer mehr gewesen war. Also wieso wurde diese Sex-Dating-Sache dann so verschrien? Ich fand sie toll!
„Jared! Das, was du da machst, ist kein >auf später< verschieben!“
Ich hatte Marissa nicht angefasst, doch mein Blick alleine löste bei ihr diesen herrlichen Duft aus, bei dem ich augenblicklich in meiner Hose kommen wollte. „Ach, was mache ich denn?“
Ihre geröteten Wagen, verzogen sich zu einem gemeinen Lächeln. „Mich mit deinem ich-will-Sex-und-zwar-sofort-Blick ausziehen.“
„Und das ist ein Problem?“ He, das war eine gerechtfertigte Frage! Ich wurde jahrelang angeheult, weil ich niemals jemanden so sehr gewollt hatte, wie ich Marissa wollte. Und ausgerechnet sie hatte ein Problem damit?
„Ja, weil wir keine Zeit dafür haben. Ich muss erst in einer halben Stunde los.“
„In einer halben Stunde können wir viel schaffen.“ Schwor ich und sie wusste, dass ich in diesem Punkt nicht log.
„Nein! Das Thema hatten wir gestern Abend bereits. Ich will nicht, dass deine Suppe aus mir heraus rinnt, während mir der Arzt das Ultraschallgerät hinein steckt. Wie würde das denn aussehen?“
War es pervers, dass ich beinahe sabberte? „Sexy?“
„Jared!“ Fluchte Marissa halb lachend. „Ich habe nein gesagt.“ Und das würde ich akzeptieren, andererseits wäre es bestimmt lustig, wenn ich sie in eine peinliche Situation bringen könnte, vor allem da Marissa so gut wie nie irgendetwas peinlich war... Verdammt, war dieser Gedanke verlockend.
„Andererseits, wenn du...“ Marissa lehnte sich langsam vor und kam auf alle viere. „...sagen wir mal, nicht zwischen meinen Beinen kommen würdest...“ Schlug sie plötzlich vor.
Verdammt, ihre Vorstellungskraft war ja noch viel besser, als meine!
Ich sah schon halb den Himmel, als Marissa geschickt meinen Gürtel öffnete und zärtlich, langsam und genüsslich über meinen Schwanz leckte... Als auch schon Tatiana in den Raum platzt.
„Nein! Mhm... Das geht gar nicht! Du hast mich gestern gebeten, dich zu unterstützen, Marissa. Und das tue ich auch. Also zieh den Schwanz von meinem Bruder aus deinem Mund und komm. Wir werden früher aufbrechen.“
Was? Nein! Wieso? „Verpiss dich!“ Knurrte ich und ließ durch meine Stimme den Wolf sprechen. Was bildete sich diese... „He! Wo gehst du hin?“ Bedauernd blickte Marissa auf mich herab, während sie in großem Bogen um mich herum ging.
„Tut mir leid, Schätzchen... Aber ich habe sie angefleht, mich von dir runter zu zerren, wenn ich nur damit beginne, dich auszuziehen...“
„Aber ich bin überhaupt nicht ausgezogen!“ Flehte ich stöhnend und sah diesen beiden Bestien hinterher, wie sie meinen Arbeitsraum verließen. Unbefriedigt blieb ich auf dem kalten Boden zurück. Allein... Und vor allem unbefriedigt.
Stöhnend verdeckte ich das nötigste und ging dann ins Badezimmer, direkt nebenan. Wenn es schon nicht Marissa sein würde, dann eben eine lange, heiße Dusche... Eine sehr, sehr lange...

 

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Es dauerte zwei verdammte Stunden, bis Marissa wieder nach Hause kam. Einen Großteil davon hatte ich zwar unter der Dusche verbracht, doch irgendwann hatte ich auch eingesehen, dass es keinen Sinn machte, einfach nur zu warten. Ich musste etwas produktives tun. Was tat ich denn sonst den lieben langen Tag? In der Zeit vor Marissa, verstand sich.
Oh, E-Mails! Genau, E-Mails hatten mich schon immer fürchterlich genervt, genauso wie Buchungszahlen und der ganze Rechnungskram... Ach wem machte ich hier etwas vor? Ich konnte mich ja doch nicht richtig konzentrieren. Zwar checkte ich hastig meine Mails, doch großartig fündig wurde ich auch nicht. Zumindest fand ich nichts, das mit >dringlichkeit< markiert war, selbst wenn es noch ein paar Tage dauern konnte. „Moment... das ist seltsam...“ Murmelte ich konzentriert und ging meine Mails durch. Die letzte Mail, welche mein Vater verschickt hat, war bereits fünf Tage alt. Da ich sonst täglich mindestens fünf von ihm bekam, selbst wenn er nur ein Stockwerk höher in seinem persönlichen zweiten Stock saß, leitete er mir organisatorische Daten weiter. Vor allem jedoch, wenn er doch aufgrund eines Notfalles nach Übersee gemusst hatte...
Kurzerhand wählte ich am Firmentelefon die Nummer meines Vaters. Natürlich die Büronummer, so kamen keine Kosten für uns auf, auch wenn er sich auf einem anderen Kontinent befand.
Erstaunt runzelte ich die Stirn, als ich auf die Mailbox weiter geleitet wurde! Und ja, geleitet! So etwas geschah nur, wenn mein Vater erkältet zuhause lag und seine Sekretärin ebenfalls ausfiel. Also... praktisch nie!
Ich wählte die nächstbeste Nummer. „Hi, Iris. Sag, bist du noch in der Stadt?“
„Ja, klar. Braucht ihr etwa neue Kondome? Ach ja, ihr benutzt ja keine! Stattdessen bringt ihr lieber einen Satansbraten zur Welt.“ Spottete sie sarkastisch lachend, was mich ärgerlich knurren ließ.
„Danke für deine Fürsorge, aber tatsächlich wollte ich mich erkundigen, ob du in den letzten Tagen etwas von Vater gehört hast.“
Iris schnaubte. „Ach, plötzlich interessiert dich Dad? Konntest du dich lang genug von deiner-...“
„Iris, achte auf dein Mundwerk, oder du brauchst überhaupt nicht mehr nach Hause zu kommen!“ Ich schrie schon halb, vor Ärger. Sollte sie doch so viel über unseren Sexualtrieb spotten, wie sie wollte. Das war mir gleich. Ich wusste, sie konnte und würde es niemals verstehen. Aber wehe sie wagte es, Marissa oder unsere Erbse in den Dreck zu ziehen! War es denn überhaupt schon so groß, wie eine Erbse? Nach fünf Tagen? Und war das Baby überhaupt sicher, wenn Marissa und ich so wild übereinander her fielen?
Ich öffnete augenblicklich den Webbrowser...
„Ja, ja schon gut. Nein, Daddy hat mich noch nicht angerufen.“
„Auch gut.“ Knurrte ich und legte wieder auf, da meine Gedanken um das kleine Wesen drehte, welches vielleicht in einem dreiviertel Jahr hier durch das Haus getragen werden würde. Ob ich auch bereits nach Bettchen und Hochstühlen suchen sollte? Oder wartet man mit so etwas vorerst?
Zudem, würde es unbedingt einen Raum, direkt anschließend zu unserem brauchen. In unserem Schlafzimmer musste ich auch dafür platz schaffen... Und war das Haus sicher genug, falls es schon früh damit begann, die Welt zu erkunden?
Für einen Moment hatte ich doch glatt das Gefühl, mich würde Panik übermannen. Vielleicht musste ich dafür doch glatt das Zimmer meiner Mutter räumen? Aber das wollte ich doch überhaupt nicht. Mein Vater würde uns zudem auch noch auf die Nerven fallen. Er wird vollkommen ausrasten, wenn ich ehrlich mit mir selbst war.
Selbst das Oberhaupt der Familie zu sein, war sein gesamter Stolz. Sein Leben. Dass ich ihn nun, als Gefährtin unsere neuen Alpha von diesem jahrzehntelang eingesessenen Thron stieß, würde er ganz bestimmt nicht gut aufnehmen. Kein Stück, befürchtete ich sogar...
Ich war so sehr in Gedanken versunken, nun da ich es endlich einmal wieder schaffte, klar zu denken, dass ich sie erst bemerkte, als sie meine Hände von der Tastatur fort schob und auf meinen Schoß kroch. Und ja, sie kroch wortwörtlich!
Verwirrt blickte ich auf, als sich Marissa, wie ein Ball an meiner Brust zusammen rollte und einfach ganz still war. Meine Aufmerksamkeit wurde von Tatiana abgelenkt, als diese mit den Händen wedelte.
„Was hat sie denn?“ Fragte ich stumm, mit den Lippen die Worte formend.
Tatiana deutete auf ihren Bauch. „Der Doc hat es bestätigt.“ Dann lächelte meine Schwester mich überraschenderweise sogar stolz an. „Gut gemacht, kleiner Bruder.“ Flüsterte sie, ehe sie die Türe ins Schloss fallen ließ und ich alleine mit einer völlig aufgelösten Alpha zurückblieb.
Räuspernd streichelte ich über Marissa´s Rücken und schloss sie dabei zärtlich in eine beschützende Umarmung. „Hi, Schätzchen...“ Hauchte ich an ihrem Scheitel und küsste die Stelle zart. „Es wird alles gut. Ich bleibe bei dir. Und dem kleinen Satansbraten.“ Ehrlich gesagt, gefiel mir der Spitzname für das Ungeborene, selbst wenn Iris es gehässig gemeint hatte. Es passte irgendwie zu Marissa´s und meiner Verbindung.
Sie knurrte so stark, dass mein gesamter Körper darunter vibrierte. „Nenn es nicht so!“
„`tschuldigung...“ Nuschelte ich in ihr Haar, doch leid, tat es mir ganz und gar nicht.
„Und knuddel mich fester. Ich bin nicht zerbrechlich, bloß weil ich da was großziehe in mir.“
Mit gerunzelter Stirn, schlang ich meine Arme fester um Marissa´s Leib, was sie zufrieden seufzen ließ. Ich verstand nicht ganz, wieso sie auf einmal so passiv, aggressiv reagierte. Ich hätte eher mit Tränen gerechnet oder in ihrem Fall, eher mit dem Verlust von noch mehr Fensterscheiben... Doch dieses Stumme... Leiden, denn anders konnte ich ihr Verhalten kaum beschreiben, ängstigte mich halb zu Tode.
So blieben wir mehr, als zehn Minuten, einfach sitzen. Ich lauschte Marissa´s hektischen Atemzügen. Was in ihrem Kopf vor sich ging, konnte ich nach fünf Tagen natürlich nicht einschätzen, doch dass es die Ruhe vor dem Sturm sein musste, war sogar mir klar.
Wer jedoch darunter würde leiden müssen, ängstigte mich fast genauso sehr... Ob ich je wieder ohne eine gut sichtbare Verletzung aufstehen würde? Bestimmt nicht...
Ich hing bereits lange, meinen eigenen Gedanken einfach nur nach, streichelte Marissa´s Rücken und schmiegte mich an ihr dichtes Haar. Sie war eben eine richtige Hallingway. Irgendwann jedoch, musste ich mich überwinden und das Gespräch beginnen. Besser, ich brachte es so schnell, wie möglich hinter mich. „Wie fühlst du dich?“ Fragte ich daher, so leise, dass ich beinahe befürchtete, sie würde mich nicht hören.
Zu meinem Glück tat sie es. „E-Es ist... Okay, denke ich.“
Seltsam, ich musste wohl etwas an den Ohren haben, denn ich konnte schwören, dass Marissa kleinlaut gemeint hatte, dass es okay sei... Nein, bestimmt hatte ich eben einen Schlaganfall oder Ähnliches. Marissa war nämlich weder kleinlaut, noch würde sie >okay< zu einem solchen Thema sagen.
„Was meinst du damit?“ Fragte ich sicherheitshalber nach.
„Hast du doch gehört!“ Da war wieder dieses ärgerliche knurren! Ich musste vorsichtiger sein, als nur vorsichtig... Verdammt!
„Ja... Natürlich... Also konnte dir der Arzt sagen, weshalb du...“ Ich ließ die Frage offen, da ich das Wort unter keinen Umständen in ihrer näheren Umgebung je wieder aussprechen wollte.
Für einen langen Moment schwieg Marissa einfach. Ich dachte schon beinahe, sie wollte mir einfach nicht antworten, als sie wieder leise zu Sprechen begann. „Ich bin wirklich schwanger... Aber ich versteh es nicht, Jared... Das wollte ich nie, weißt du!“
Ich hielt dabei inne, sie zu streicheln, und holte tief Atem. „Und du musst wissen, dass ich >das< bestimmt nicht mit Absicht getan habe. Ich habe in unserer ersten Nacht, einfach nicht über die Konsequenzen nachgedacht, obwohl ich roch, dass du empfänglich bist... Es tut mir wirklich leid...“
Ich hörte sie an meiner Brust seufzen. War das Ärger? Erleichterung? Musste ich mir sorgen um meinen Brustkorb machen? Hilfe!
„Marissa, du musst es mir wirklich glauben. Ich bin, ehe du gekommen bist, selbst halb in Panik ausgebrochen, weil ich darüber nachgedacht habe, was wir bis das Baby kommt, alles besorgen müssen. Und wo wir es überhaupt unterbringen... Ich meine, das Haus ist natürlich groß, aber die Räume auch, weshalb es bloß begrenzte Anzahl von Zimmern gibt. Meine Schwestern kann ich auf keinen Fall vor die Türe setzen, so nervig sie auch sein können. Aber was mache ich dann mit meinem Büro?“ Ich fühlte, wie Marissa´s Körper auf meinem Schoß zu vibrieren begann. „Es wäre nämlich der einzige, unbelegte Raum, aber ich möchte auch nicht die Sachen meiner Mutter hinaus werfen. Außerdem ist dieses Zimmer so weit von dem unseren entfernt... Lachst du etwa?“
Marissa wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und hob dabei ihren Kopf ein Stück. Da erkannte ich, dass sie tatsächlich lachte. Über mich! Jetzt war ich mir sicher, dass ich halluzinierte.
„Es tut mir leid, aber ich habe dich noch nie so viel plappern gehört. Das war irgendwie süß.“
Knurrend stieß ich mit dem Kopf gegen ihren. „Ach, du findest es lustig, dass dein Gefährte halb in Panik verfällt, wegen etwas, dass erst in einem Jahr überhaupt ein Thema sein wird?“
Sie schmiegte ihre Wange gegen meine Stirn und ich genoss das tröstliche Gefühl, welches sie mir damit versuchte zu vermitteln. „Nein, ich lache darüber, dass ein Jared Nightengale überhaupt in einen Redeschwall ausbrechen kann.“
War das ihr verdammter Ernst? „Du bist schrecklich!“ Knurrte ich mehr Wolf, als Mensch.
„Schon gut... Wir finden bestimmt einen Platz. Das müssen wir, denn es wird verdammt noch mal, meine Figur für immer ruinieren!“
Also, dass so ein Quatsch die einzige Sorge dieser Frau war... „Na wenigstens reißt du mir nicht den Kopf ab.“
Marissa sah mir in die Augen und lächelte dabei so süß, dass ich schwer schluckte. Für einen Moment hatte mir dieser glückliche Ausdruck in ihrem Gesicht, trotz verschmierter Schminke, dennoch den Atem geraubt. Wow...
Die Tatsache, dass Marissa Hallingway eine attraktive junge Frau war, war die eine Sache... Aber es plötzlich zu... zu >fühlen<, etwas ganz anderes.
„Das sollte ich eigentlich, da du mich damit quasi zu meiner Mutter machst. Sie hat mich auch, bereits in jungen Jahren, bekommen. Das heißt, aber auch, dass ich eine Teenagerschwangerschaft haben werde. Kommt zu Wölfen eigentlich auch das Jugendamt?
„Nein.“ Antwortete ich tonlos. Verdammt, in den letzten fünf Tagen hatte ich doch tatsächlich, mehr als erfolgreich ausgeblendet, dass Marissa erst siebzehn war... und ich gottverdammte fünfundzwanzig! „Aber vielleicht die Polizei...“ Murrte ich und fasste mir halb ohnmächtig an die Stirn, während Marissa amüsiert auflachte und meine Wange küsste. „Uh, ich könnte meinen eigenen Gefährten wegen Kindesmissbrauch verklagen... Denkst du, du hältst es im Knast mit Dauerständer aus?“
Konnte ich nicht einfach sterben?

Jared´s Neue Welt...

 Ich war der Überzeugung davon, an diesem verdammten Tag, Zeuge von einem gänzlich neuen Weltwunder geworden zu sein. In den letzten hundert, bis zweihundert Jahren, ist es bestimmt noch nie vorgekommen, dass ein Hallingway auf der Terrasse, mit seiner Gefährtin auf dem Schoß, dasaß und entspannt mit seinem Rudel sprach. Besonders da die Tatsache geradezu überwältigend war, dass diese Terrasse den Nightengale´s gehörte!

Marissa war ebenfalls vollkommen entspannt, während sie aufmerksam ihrem großen Bruder zuhörte, um uns herum, die jeweiligen Oberhäupter ihrer Familien, so wie engsten Familienmitgliedern. Sie hatten nicht gleich alle Rudel anrücken lassen wollen, um uns Nightengale nicht zu überfordern.
Alleine an den Gesichtsausdrücken meiner Schwestern erkannte man sehr gut, wie überfordert sie schon alleine von diesem Haufen waren.
Ich konnte es ihnen jedoch nicht verdenken, während ich sanft die Schulter meiner Gefährtin streichelte, die ich in den Arm genommen hatte, und liebevoll einen Kuss auf ihre Schläfe hauchte. Dass sie die Einzige war, die mit Minirock dasaß, musste ich wohl kaum betonen. Auch Logan trug eine kurze Hose, während wir anderen uns in Wintermäntel eingepackt hatten. Typisch, Hallingway.
Phiona, das derzeitige Oberhaupt der Cavanaugh und irgendwie die einzige Person in der Cavanaugh-Familie, die zumindest ansatzweise etwas wie Autorität besaß, sprach sich schon längst für die Seite von Marissa aus. Anscheinend kannten sich die beiden bereits und taten auf dicke Freundinnen. Phiona war so ungefähr in meinem Alter, was sie im Grunde zu einem jungen Oberhaupt machte, da sie noch immer keine Kinder hatte. Cavanaugh zogen sich aus dem Familienoberhaupt-Geschäft eigentlich immer heraus, sobald sie Eltern wurden. Dies lag vor allem daran, dass sie Familientiere waren. Alte Seelen die niemals gelernt hatten, autoritär zu sein. Streng, ja. Sogar aggressiv. Aber Unterwürfigkeit war etwas, was niemals aus ihren Genen gewichen war. Wussten die Geister weshalb. Deshalb war es auch stets etwas besonders Amüsierendes, wenn man es schaffte einen Cavanaugh zur Weißglut zu bringen. Nicht dass es mein Hobby war, doch vor allem meine Schwestern schienen sich nur zu gern einen Spaß daraus zu machen, egal wie alt sie bereits waren.
Ursprünglich hatten wir uns hier versammelt, da es Marissa offiziell zustand, einen Teil der Meute zu beanspruchen. Da sie bloß eine Zweitgeborene war, müsste sie sich dieses Anrecht in einem Kampf verdienen, doch da Marissa auch schwanger war, hing über ihr eine Schutzglocke, welches jedem menschlich, oder nicht menschlichem Wesen untersagte, sie anzufallen. Würden wir in weniger zivilisierten Ländern leben und würde sich Marissa nicht so gut mit ihrem Bruder verstehen, würde sie trotzdem um jeden Funken Respekt kämpfen müssen. Da wir jedoch weitgehend gesittet waren und nur in seltenen Fällen in unsere alten Verhaltensweisen zurückfielen, so wie es Marissa bei ihrer ersten Verwandlung getan hatte, musste sie sich darüber keine Sorgen machen und konnte sämtliche Verträge mit ihrer neuen Familie völlig simpel klären.
Trotzdem blieb in meinem Unterbewusstsein das stete Pochen der schlechten Vorahnung. Ja, Marissa wurde von ihrer Familie gemocht, auch wenn sie alles daran setzte, dass es nicht der Fall war. Auch passte es, dass Logan, vermutlich auf das Drängen seiner klugen Gefährtin hin, Marissa endlich einsah, dass er seine kleine Schwester nicht weiterhin würde beschützen können vor der Bürde eines Alphas. Und nur der Himmel wusste... Logan hatte es mit allen Mitteln versucht und sich gegen ihr unausweichliches Schicksal gewehrt, wo sie es doch nur zu gerne annahm.
„Deine restlichen Sachen werden wir dir natürlich noch bringen.“ Bestätigte Vanja gerade, denn ich war Logan´s und Marissa´s Stichelein nicht weiter gefolgt. Lieber hatte ich mit der Hand eingehend ihre glatten, starken Beine betastet um mir ihre Form einzuprägen. Was hatte dieses Weib nur für weiche Haut... Ich könnte sie den ganzen Tag betasten und ablecken...
„Nicht nötig, ich werde Marissa alles kaufen, was sie will... Oder viel eher wird sie es selbst tun, denn mein Vermögen ist nun ihres.“
Marissa horchte interessiert auf und grinste mich neckisch an. „Ach, ja? Was ist das denn für ein Vermögen?“
Ich ergriff die Chance und küsste zart ihre weichen Lippen. Es war einfach ein Traum... Am liebsten wollte ich niemals wieder damit aufhören, auch wenn ich wusste, dass es sich gerade für Alpha nicht gehörte, in der Öffentlichkeit so herum zu schmusen.
Ich kicherte beinahe... Herumschmusen... Wie das in meinem Alter klang! Durfte ich so etwas überhaupt noch denken, oder gar aussprechen?
„Ich bin mir gerade eben nicht sicher, ob ich dir das wirklich verraten sollte... Womöglich haust du sonst mit dem ganzen Geld noch ab.“
„Und lasse dich hier am langen Arm verhungern?“ Witzelte sie.
„Gib es zu, du würdest mich doch ohnehin nur vermissen und deshalb gehst du nicht.“
Marissa grunzte, als sie ein Lachen unterdrückte. „Deinen Penis vielleicht, aber dich lasse ich liebend gerne hier zurück, wenn deine Finger auch nur noch einen Zentimeter weiter hoch wandern.“
„Biest.“ Murrte ich halblaut. „Wie konntest du es nur so lange mit ihr aushalten?“ Fragte ich dann an Logan gewandt und nahm meine Hand vorsichtshalber zurück. Ich wollte jetzt schon nichts lieber als Marissa zu schnappen und in irgendein verstohlenes Eckchen zu zerren. Verdammt, was machte diese Frau nur mit mir?
Erst fand ich das andere Geschlecht ätzend und langweilig. Dann fand ich eine Beschäftigung mit Männern, die mich einigermaßen befriedigte, nur um von einer verdammten Siebzehnjährigen heillos um den Verstand gebracht zu werden. Ich hoffte sehnlich, dass dies nur dieser seltsame Flitter-Effekt war, ehe das alltägliche Eheleben uns einander überdrüssig werden ließ. Irgendwann in ein paar... Jahrhunderten oder Jahrtausenden dann... Grob überschlagen... Denn mit weniger würde ich mich niemals zufriedengeben können.
„Ich hatte eine kluge und einfühlsame Gefährtin an meiner Seite, die mir den Kopf zurechtstutzt.“ Schleimte Logan an Vanja gewandt, welche sofort rot wurde und ihren Mann verlegen anlächelte.
Ich seufzte. „Klingt ja langweilig...“ Neckte ich ihn, ohne darüber nachzudenken, dass mir dieser Kommentar den Kopf kosten konnte... Zumindest früher hätte es dies gekonnt. Jetzt jedoch lachte Logan amüsiert darüber, als seien wir alte Freunde.
„He, wenigstens bekomme ich kein Kind mit einer Minderjährigen. Dir ist klar, dass wir dich dafür anzeigen könnten.“ Gab Logan schalkhaft zurück, was meinen Schwestern sichtlich etwas an Steife nahm. Bisher waren sie wie Statuen dagestanden und hatten darüber gewacht, dass die Situation nicht außer Kontrolle geriet. Allmählich jedoch, entspannten sie sich doch endlich.
„Nicht nach Wolfsgesetz.“ Murrte ich zurück, trotz Logans breiten, wölfischem Grinsens.
„Stimmt. Also benimm dich, sonst such ich mir einen süßen Welpen, statt dir aus der Meute heraus.“
Logan lachte. „Oh, meine kleine, frisch gebackene Wolfsschwester benutzt sogar schon Wolfsjargon.“
„Hat sie alles von uns.“ Witzelte Phiona und legte eine Hand auf die Schulter von Marissa.
„Das glaube ich dir aufs Wort. Bestimmt hast du schon längst Sam vorgeschickt, dass sie etwas aufschnappt.“
Marissa winkte ab. „Ach was, ich bin anpassungsfähig. Ich bin eben blitzgescheit.“
Ich grunzte, während ich einen Lacher unterdrückte, woraufhin ich prompt den Ellenbogen meiner Gefährtin in den Magen bekam. „Wie war das, Schatz?“ Das letzte Wort betonte sie in einer mahnenden Wolfsstimme.
„Nichts, ich dachte nur gerade darüber nach, wie wenig ich doch euch Hallingway´s ausstehen kann. Und trotzdem sitzt ihr alle hier auf meiner Veranda... Liebling.“ Ich kniff sie strafend in den Po, woraufhin sie halb auf meinen Schoß sprang. Den Schlag auf meinen Brustkorb, welchen ich dafür kassierte, nahm ich nur zu gern hin.
Was jedoch direkt daraufhin geschah, war etwas, wie es so seit Jahrhunderten nicht mehr gegeben hatte. Zumindest nicht in unserer Familie. Ein Nightengale beleidigte öffentlich die Familie Hallingway... und alle lachten. Sie lachten aber nicht darüber, dass gleich mein Kopf rollen würde, oder weil sie Logan auslachten. Nein... Sie lachten einfach mit meiner Familie...
Den Kuss den ich, ähnlich einem Sahnehäubchen auf dem ungenießbaren Haufen von Familie bekam, war alles, was ich noch brauchte, damit auch mein letzter Widerstand einbrach. Scheiße... Darum hatte mein Wolf also dieses Miststück gewählt. Ich verstand es.
Lächelnd streichelte ich über die zarte, leicht gerötete Wange von Marissa und vergaß, dass es überhaupt noch irgendetwas um uns herum gab. Die Wölfe, die Familie, das Haus, sogar die Wälder.
Da war einfach diese blondhaarige, entzückende Wölfin, mit frechen Sprüchen auf den Lippen und dem Hüftschwung einer Stripperin. War sie schon immer so schön gewesen? Hatte sie schon immer so gut gerochen?
Am liebsten wollte ich mich sattsehen an ihr, doch wusste, dass es unmöglich war. Mit all ihren Ecken und Kanten war sie das nervigste, was ich jemals für immer in meinem Leben behalten wollte. Von mir aus, sollte der alte Kram meiner Mutter in den Keller wandern und meine Schwestern ausziehen. Hiernach wollte ich mindestens noch ein Dutzend Kinder mehr haben. Und das so lange, bis das Haus aus allen Nähten platzte.
Marissa zog die Brauen hoch. „W-Was ist? Wieso siehst du mich so an?“ Ich konnte an ihrer unsicheren Stimme erkennen, dass sie sich ganz sicher fragte, ob meine Sicherung durchgebrannt war. Und wie sie das war...
„Weil ich gerade darüber nachdenke, wie heiß du als moppeliges Hausmütterchen aussehen würdest, umrahmt von einer ganzen Schar Kinder.“
Marissa schluckte. „Das kommt überhaupt nicht in die Tüte!“ Mahnte sie mit erhobenem Zeigefinger.
Dass sich Logan und Vanja dabei einen liebevollen, wissenden Blick zuwarfen, bemerkten wir nicht einmal. Oder wie die anderen amüsiert über unser Liebesglück grinsten.
„Ich werde weder Fett, noch werde ich jemals noch ein weiteres Kind bekommen. Ich will ja nicht mal das da.“ Sie deutete auf ihren Bauch, während sie sich langsam von mir wegschob. Ehe sie jedoch aus meiner Reichweite entfliehen konnte, packte ich sie an den Knien und zog sie zurück.
Lachend wand sie sich in meinen Armen und ich schwöre hoch und heilig... Wäre es anatomisch möglich, würde ich ihr das Gegenteil beweisen, indem ich ihr noch ein Kind und noch eines machte, bis sie überzeugt davon war, mich genauso zu lieben, wie ich es tat.
„Jared...“
Claudine´s mahnende Stimme war es, welche mich aus meiner Trance holte und Marissa dazu zwang, sich von mir in den Arm nehmen zu lassen.
„Daddy!“ Voller inbrünstiger Begeisterung, lief Iris auf unseren Vater zu, welcher missbilligend auf unsere kleine Zusammenkunft starrte und warf sich ihm in die Arme.
Der alte, halb ergraute Mann, welcher fitter war, als so mancher zwanzigjähriger, fing seine Lieblingstochter mit geminderter Begeisterung ab, tätschelte ihr den Rücken und ließ sie dann kommentarlos stehen.
„Vater, was machst du so früh hier?“ Erkundigte ich mich und stand nun meinerseits auf. Neo Nightengale, ein einundfünfzigjähriger Mann mit fünf Töchtern, so wie einem Sohn, den er stets als Bürde empfunden hatte, beachtete keines seiner Kinder. Er beachtete noch nicht einmal die versammelten Rudel, welche unmerklich einen schützenden Ring um die einzig menschliche Frau hier bildeten, während sich der Hallingway-Alpha erhob und und meinen Vater knapp beim Namen grüßte.
Ja noch nicht einmal für Logan hatte mein Vater einen Blick frei. Die einzige Person die er aus seinen strengen, blassblauen Augen musterte, war auch die Einzige, welche völlig gelassen sitzen blieb und ihm mit goldenen Wolfaugen begegnete. Sie forderte instinktiv Respekt von dem alten, erfahrenen Mann ein, welcher nun laut dem Gesetz der Natur automatisch unter ihr stand, doch sich nicht so verhielt. Er erwiderte ihren Blick, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
Langsam hob mein Vater eine Hand und zeigte damit vorwurfsvoll auf meine Gefährtin. „Du!“ Sagte er streng. Er spie es geradezu aus. „Du solltest meine Gefährtin sein. Ich bin das Oberhaupt dieser Familie!“
Seine Stimme war autoritär und schneidend. Selbst die vereinzelten Schneeflocken, welche unmerklich vom Himmel fielen, schienen vor ihm zu frösteln. Ich zu meinem Teil, tat es auf jeden Fall. Es war ein eingeprägter Instinkt, da mein Vater die autoritärste Person war, die ich jemals kennen gelernt hatte. Seine Wut und seine Abneigung ließ er mich bloß zu gerne spüren, bis er es hinnahm und lieber bloß noch über mich, so wie meine Eigenheit nörgelte.
Marissa ließ die schneidende Kälte an sich vorüber ziehen und blieb gelassen auf der Bank sitzen, welche wir uns bisher geteilt hatten. „Du bist aber nicht derjenige, den meine Wölfin und ich gewählt haben, alter Mann.“ Sie musterte ihn nun ihrerseits, ehe sie spöttisch lächelte. „Auf dem Lauf, hätte ich deine müden alten Knochen locker abgehängt. Du bist keinerlei Konkurrenz für Jared.“
Ich sah, wie die Ader an der Schläfe meines Vaters wild zu Pochen begann.
Der Blick meines Vaters traf mich so unvorbereitet, dass ich sichtbar zusammen zuckte, wie ein kleines verängstigtes Kind. Trotzdem hielt ich seinem Blick stand. Ich war nun nicht länger der Sohn von Neo Nightengale. Ich war der Gefährte meiner Alpha! Und nur mein Wolf spendete mir die Zuversicht, dass sie mich nicht aus einer Laune heraus ausgewählt hatte, sondern weil sie ganz genau wusste, was in mir steckte.
Es waren unsere Instinkte, die Natur unserer Wölfe, aufeinander zu reagieren und somit das stärkste Paar dieser Generation hervorzubringen.
Schnaubend verzog mein Vater das Gesicht. „Jared ist nicht einmal ein richtiger Mann. Er ist nicht würdig der Gefährte einer Alpha zu sein. So jemand kann dir keine gesunden und starken Jungen schenken.“
Hinter mir erklang mehrfaches Knurren von verschiedenen Personen. Tatiana und Violetta, davon war ich überzeugt. Doch wem gehörten die restlichen Stimmen, welche schützend über mich wachten? Ich wollte mich nicht umdrehen, in der Angst in diesem Moment der Unaufmerksamkeit etwas zu verpassen.
Marissa fasste sich gut sichtbar an den Bauch. „Ach denkst du das, alter Mann? Jared hat mich noch in der ersten Nacht geschwängert. Wie lange hätte es wohl bei dir gedauert.“ Sie lachte humorlos auf und trieb den Kopf meines Vaters dazu an, noch röter zu werden.
Mist, wenn sie nicht bald damit aufhörte, würde mein Vater etwas tun, was meine gesamte Familie bereute. Aber wenn ich mich einmischte... würde ich die Dominanz meiner Gefährtin schmälern... Was soll ich tun?
Hilfesuchend wandte ich mich an Logan, welcher meinen Blick nicht einmal zu bemerken schien.
Verdammt... Was soll ich tun? Wie reagieren?
„Das ist egal. Ich bin die bessere Wahl. Somit bist du meine Gefährtin und das ist mein Kind, welches du unter dem Herzen trägst. Punkt aus.“
„Papa!“ Ermahnte ihn Iris schockiert, doch er beachtete sie nicht weiter.
Eine Hand berührte mich am Unterarm, ich brauchte nicht einmal meinen KOpf zu drehen, um Violetta zu erkennen.
„Was willst du damit sagen, alter Mann? Soll ich Jared jetzt einfach stehen lassen, nur weil du es dir einbildest? Ich würde dich niemals akzeptieren und dir lieber die Kehle aufreißen, anstatt mich noch eine Sekunde länger mit dir zu befassen.“ Entschieden erhob sich Marissa und nahm Neo damit endgültig jede Macht, welche er bisher für sich beansprucht hatte.
„Dann fordere ich dich eben ein. Ich bin ein dominanter Wolf, aus derselben Linie wie dieser Nichtsnutz.“
Seltsam, aber seine Worte trafen mich nicht einmal mehr. Ich war sie schlichtweg gewohnt. Und dass sich Marissa selbst sehr gut verteidigen konnte, von dem war ich mehr als überzeugt.
„Gut.“ Antwortete Marissa plötzlich und brachte damit, nicht nur mich, sondern das gesamte Rudel dazu, schockiert die Luft anzuhalten. „Aber dein Gegner werde ich sein.“
„Marissa, nein...“ Entgegnete ich sofort, doch sie schnitt mir das Wort ab.
„Doch, Jared. Ich lasse dieses Schwein doch nicht so über dich reden!“ Ich stutzte... Sie tat dies... für mich?
Goldene Wolfsaugen funkelten meinen Vater erbost an, während ein aggressives Knurren ihren gesamten Körper erbeben ließ. „Vater hin oder her... Wenn du noch einmal so über meinen Gefährten sprichst...“ Sie hielt einen winzigen Moment inne. „...oder den Rest unserer Familie, werde ich dich mit den Eiern oben an die Spitze eines Turmes hängen.“ Schwor sie aufrichtig.
Nun ja, Marissa hatte schon den Kopf einer meiner Schwestern durch eine Autotüre befördert und hatte mich zu einem Lauf, mit ihr selbst als Preis, gebracht... Langsam begann ich doch tatsächlich zu glauben, dass dieses Weib alles schaffte, was sie laut aussprach.
Entschlossen trat ich an ihre Seite und legte eine Hand auf ihren Rücken. „Russa, das ehrt dich, wirklich. Aber du kannst nicht kämpfen. Du bist schwanger und-...“
Ich rechnete nicht damit, dass Marissa mich küssen würde, daher stockte ich auch, mit einem seligen Gesichtsausdruck, als ihre süßen Lippen, sanft über die meinen wanderten. Ich genoss ihre Zuneigung, die Sicherheit darin, dass es nicht der Letzte sein würde und das Versprechen, dass dieser Kuss bloß der Anfang war, von etwas, dass ich später ausführlich und lange auskosten würde.
„Ich passe schon auf, du alter Nörgler. Und jetzt lass mich diesem Ignoranten den Arsch aufreißen.“
Ich knurrte missmutig und ließ sie ziehen, was nun Logan dazu zwang, auf seine kleine Schwester einzureden. „Marissa, ich verbiete dir, diesen Schwachsinn durchzuziehen. Wenn du schon nicht auf deinen Gefährten hören willst, dann denk zumindest an euer Kind. Du bist in den ersten Wochen und könntest es verlieren.“
Sie knurrte abweisend. „Dann machen wir eben ein neues.“ Meinte sie kalt, doch hielt, ihre Worte eine Lüge strafend, eine Hand schützend über ihren Bauch. „Ist ja nicht so, als wäre das meine einzige Eizelle gewesen.“
„Marissa! Denk nach!“ Mahnte Logan erneut. Da tat Marissa etwas, was normale Wölfinnen eigentlich nur mit ihre Jungen taten. Sie biss dem anderen Alpha frech in die Nase.
Entsetzt hielt er diese und Marissa verschaffte sich dadurch Zeit, seinem eisernen Griff zu entkommen, den ich überhaupt nicht bemerkt hatte.
Und dann war es soweit. Marissa stand sieben Schritte entfernt von meinem Vater, welcher sich bereits die Jacke auszog und das Hemd aufknöpfte.
Mehr brauchte dieser Mann auch nicht zu tun. Schon während er sich verwandelte, zog er die Arme aus den Ärmeln, verlor Schuhe und Socken und strampelte sich geschickt von seiner Hose frei, wo Marissa noch damit beschäftigt war, eine Kampfposition einzunehmen. Vielleicht hätte ich die Situation vorhin doch nutzen sollen, um ihr die Regeln zu erklären... Natürlich musste sie als Wölfin um ihre Ehre und ihren Körper kämpfen. Nun war aber nichts mehr zu ändern und während das schwarze Fellknäul mit einem tierischen Brüllen auf sie zugeflogen kam, ließ Marissa ihn in den Ärmel ihrer Weste beißen. Mit unmenschlicher Geschicklichkeit wirbelte Marissa den vor Geifer triefenden Wolf im Kreis herum, bis er dazu gezwungen war, loszulassen, damit ihm nicht allzu schwindelig wurde. Dadurch jedoch, kam er ins straucheln, stürzte und purzelte mehrere Male über die ordentlich getrimmte Wiese, was Marissa Zeit verschaffte, endlich ihre Kleidung loszuwerden und sich, noch mit angezogenen Hosenbeinen, zu verwandeln.
Ich japste erschrocken auf, als die blonde Wölfin murrend versuchte, aus der Hose zu schlüpfen, und mein Vater bereits wieder auf sie zusprang. Marissa kam ins Stolpern, stürzte der Nase voran auf den Boden und gab einen, beinahe menschlichen, Laut von sich, während mein Vater, aggressiv schnappend, über sie hinweg segelte. Erneut...
Logan und ich stießen erleichtert die Luft aus und hätten uns beinahe aneinander gelehnt, als Marissa auch schon die Kleidung los war und meinem Vater hinterher hechtete. Sie war um einiges größer, stärker und muskulöser als er. Sie besaß einen gewichtigen Vorteil, doch meine Familie glänzte nun einmal mit einer Fähigkeit, die sonst keiner der Wölfe hier besaß... Schnelligkeit.
Noch ehe meine Gefährtin ihn am Schwanz erwischen konnte, wirbelte mein Vater herum und hieb mit einer Pranke, überaus katzenhaft, nach ihr und brachte Logan, so wie mich dazu, uns einander verwirrt anzusehen. Seit wann benutzten wir Wölfe solche Techniken? Immerhin besaßen auch wir so etwas wie Stolz... und dies nicht gerade in geringen Maßen.
„Marissa, pass auf-...“ Stieß Vanja aus der hintersten Reihe hervor, da ihr keiner der anderen Wölfe erlaubte, sich dem Kampf auch nur ansatzweise zu nähern. Mittlerweile war sie auf den Tisch geklettert, was Logan einen entgeisterten Blick entlockte, ehe er zu seiner Frau eilte.
Ich hingegen beobachtete das Schauspiel nicht weiter, sondern konzentrierte mich auf meine Gefährtin. Ich konzentrierte mich so stark auf sie, versuchte ihr positive Gedanken und Gefühle zu schicken, oder ihr gar meinen Rat zu erteilen, was sich natürlich als unmöglich heraus stellte. Wir Wölfe mögen sehr instinktiv sein... Doch Gedankenübertragung beherrschten wir noch lange nicht.
Ich knurrte schon, halb wahnsinnig vor Sorge, als Marissa nach mehreren Kampfminuten erschöpft keuchte, während mein Vater weiterhin spöttisch Attacken anttäuschte, oder ihr falsche Möglichkeiten für einen Angriff darbot. Er hetzte die unerfahrene Kämpferin, bis die kraftvolle Wölfin ein leichtes Spiel für ihn sein würde.
Starke Arme verschlossen mir den Weg, gerade als ich bei einem besonders fiesen Biss, dazwischen gehen wollte. Mittlerweile blutete Marissa an mehreren Stellen. Nur leicht, doch ich wusste, diese Wunden zu heilen, entzogen ihr nur noch mehr Kraft, welche ohnehin bereits schwindend gering wurden.
Aber ich durfte mich nicht einmischen. Es war ein legal geforderter Kampf, der Tradition besaß und den die schwangere Wölfin selbst angenommen hatte. Vielleicht waren ihr die Risiken nicht so klar gewesen, wie sie gedacht hatte, nur bekam ich auch keine Chance einzugreifen und alles zu korrigieren, was ich im Vorhinein falsch gemacht hatte. Ich hätte sie besser einweisen sollen. Ihr mehr erklären, statt ihrer kämpfen... Als Gefährte der Alpha stünde es mir sogar zu!
Verdammt... Wieso nur? Weshalb hatte ich nicht die Plätze mit ihr getauscht? Nur weil ich vertrauen hatte in ihre Fähigkeiten? Das war eine dumme Entscheidung gewesen! Sehr, sehr dumm!
Und dann geschah es. Der Moment, vor dem ich mich am meisten gefürchtet hatte. Mein Vater stürzte sich auf die zittrig gewordene Wölfin, aus dessen Maul geifer, wie auch Blut und massenhaft Rauch trat. Ihre Nase war zerkratzt und viele Stellen ihres Fells hatte sich bereits rotbraun verwaschen.
Kiefer verbiss sich in dichten Haarbüscheln. Jaulen erschallte über den Garten und die blonde Wölfin benutzte ihre Masse, um den schwarzen Wolf unter sich zu begraben, während jeder den andern, verbissen festhielt.
Für einen winzigen Moment lang, erkannte ich so etwas wie Panik in den Augen meines Vaters. Er wusste, nun da Marissa über ihm war, konnte sie sein Leben mit einem Hieb beenden, denn sein Bauch lag vollkommen ungeschützt dar.
Nur... leider dachte Marissa scheinbar nicht daran, oder sie war einfach zu erschöpft... Ich konnte es nicht beurteilen, doch sie ließ ihre Chance vergehen, woraufhin mein Vater etwas tat, wofür ich das Recht erhielt, ihm eigenhändig den Kopf abzureißen! Er hieb mit den Hinterbeinen, mit voller Kraft in Marissa´s Unterleib... Mehrere Male, während die winselnde Wölfin ihr Gebiss, in einem leidvollen Schrei aufriss und winselnd zur Seite kippte.
Währen da nur nicht diese Hände... Ich war wie von sinnen, daher nahm ich nur Hände wahr, welche mich an diversen Körperstellen festhielten, nur damit ich mich nicht in dem Kampf einmischen konnte.
Ich sah schreiend dabei zu, wie mein Vater, siegessicher Marissa im Nacken packte und versuchte, sie herum zu schleudern, bis sie bewusstlos, oder am besten sogar tot war.
Ich sah schon mein Leben... das meiner Liebe und meines Kindes vor meinem inneren Auge davon rinnen, als ein schwarzer Blitz meinen Vater so kräftig in der Seite traf, dass dieser gegen die Hauswand geschleudert wurde und für einen Moment betäubt seine Sinne aufsammeln musste.
Im nächsten Moment stand auch schon ein zweiter schwarzer Blitz da. Sie war weniger Gnedig, warf sich auf das betäubte Oberhaupt und biss ihm kaltherzig in die Kehle.
Ich achtete nicht darauf, welche meiner Schwestern so einen Verrat beging, da ich mich endlich losreißen konnte und auf meine Gefährtin zu stolperte. Winselnd und blutend lag sie da. Kaum hatte ich sie berührt, verwandelte sie sich auch schon sehr langsam zurück in ihre menschliche Form und ließ dabei einen Großteil der oberflächlichen Wunden zusammen mit dem Fell endgültig verschwinden. Die Kratzer verblassten und zurück blieb bloß dein riesiger blauer Fleck... in ihrer Bauchgegend.
„Ma-Marissa...“ Schniefte ich und drückte ihr tränennasses Gesicht an meine Schulter. Mehr brachte ich nicht hervor, während der Geruch von Blut stärker wurde und sich eine kleine Pfütze unter ihren Beinen sammelte. Ich hielt sie einfach nur, weinte zusammen mit ihr und wiederholte ihren wunderschönen Namen, als sei es das einzige Wort, welches ich jemals beherrscht hatte...

 

- - - - -

 

Die Beerdigung meines Vaters war... überraschend karg besucht. Ich war selbst nicht dabei, ich hütete an Marissa´s Seite das Bett, bis sie sich wieder einigermaßen stark genug fühlte, das Bett zu verlassen.
Tatiana erzählte es mir, doch wir verstanden es beide nur zu gut. Auch wenn Neo nicht sonderlich gemocht worden war, so hätte sich doch zumindest ein Teil des Rudels gezwungen gefühlt, den alten Mann zur letzten Ruhe zu begleiten und ihm einen respektvollen Abschied gewehrt. Durch seine überaus... miese Aktion, welche kaum in Worte zu fassen gewesen war, hatte er sich auch dieses Privileg verspielt und schlussendlich kamen lediglich drei seiner Töchter, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.
Und ganz ehrlich... Selbst wenn Neo Nightengale nicht das getan hätte, was er getan hat, wäre ich nicht auf seine Beerdigung gekommen. Ich war froh, dass Neo unter der Erde lag und wir nun das Ruder übernehmen konnten, um die Nightengale endlich zurück an die Spitze führen zu können, wo unsere Familie ursprünglich hingehört hatte.
Eitelkeit und Stolz hatte uns dazu gezwungen uns von den Rudeln abzuwenden. Aber jetzt nicht mehr! Vermutlich war er das letzte Hindernis gewesen, welches unsere Familie in den Rückstand getrieben hatte.
Nun jedoch, besaßen wir eine starke und selbstsichere Alpha... Zumindest würde sie dies in ein paar Wochen wieder sein, sobald sie den schrecklichen Verlust überwunden hatte. Ich wusste nämlich, dass sie es schaffen würde! Diese Tatsache war unanfechtbar!
An dieser Stelle wäre es vermutlich auch noch interessant zu erwähnen, welche meiner Schwestern es gewagt hatte, sich einzumischen, richtig? Zu meiner großen Überraschung war es nicht Tatiana gewesen. Sie hatte mich, zusammen mit fünf anderen Wölfen, versucht zurückzuhalten, damit ich mich nicht einmischte.
Mit Iris einmischen jedoch, hatte keiner von uns gerechnet. Gerade die Schwester, welche unseren Vater am meisten vergöttert hatte, war bei seinem hinterhältigen Schlag, so erbost gewesen, dass sie ihn doch tatsächlich zur Seite gestoßen hatte. Doch... sie hatte ihn bloß gestoßen, damit er unserer Familie nicht noch mehr Kummer und Schande brachte... Den tödlichen Biss jedoch...
Nun ja, dies ist Stoff für eine ganz andere Geschichte, zu einer anderen Zeit, denn dies hier ist nicht nur unsere Geschichte. Es ist die Geschichte von fünf Familien, welche noch durch sehr viel mehr gehen müssen und eine ganze Generation braucht, um endlich zu der Stärke zurückzufinden, welche in ihr innewohnt. Denn wir sind nicht nur fünf Familien mit fünf verschiedenen Fellfarben und ganz eigenen Stärken.
Wir... sind ein Rudel!

Prolog

Mein Name lautet Violetta Nightengale. Ich bin die jüngste Tochter von unserem bisherigen Oberhaupt Neo, welcher vor gut einem Jahr umgebracht worden ist, um diesen davon abzuhalten, meine Schwägerin zu töten. Ich bin vielleicht keine Alphawölfin, so wie es sich mein Vater für jeden von uns ausnahmslos gewünscht hat, doch ich bin dominant und selbstbewusst. Mich bekommt niemand in die Knie, vor allem keine jämmerlichen Jungs.
Meine größte Sünde jedoch ist es, dass ich jemanden liebe, der weder den Vorstellungen meiner Familie entspricht, noch weniger die Erwartungen meiner Wölfin erfüllt. Was davon das größere Übel ist, müsst ihr im Endeffekt selbst entscheiden.
Das hier ist meine Geschichte. Das hier bin ich, unverfälscht und so deutlich, wie ich nur sein kann. Und um das klar zu stellen, es ist keine Liebesgeschichte. Nein, das hier ist ein Ratgeber, von mir für euch, wie ihr am besten über jemanden hinweg kommt, der jede Minute eures Lebens in euren Gedanken vorkommt. Wie ihr es hinaus schafft, aus dem Teufelskreis zwischen Begehren und Enttäuschung. Ich bin Violetta Nightengale und ab exakt diesem Moment habe ich entschieden, meine Gefühle für diesen Cavanaugh loszuwerden, der mir weder etwas bieten kann, noch mich auf irgendeine Weise ergänzt.
Diese Gefühle für jemanden, der unter meiner Würde ist, sind menschliche Gefühle. Aber ich bin eine Wölfin. Eine dominante Wölfin, die genau weiß, wie ihr Traummann zu sein hat.
Drückt mir alle Pfoten dort draußen! Ich werde sie brauchen...

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 13.07.2017

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