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I. Isles Skylander

Heute, vor genau zwei Jahren ist es passiert. In einer kalten Dezembernacht, wenige Tage vor Weihnachten. Ich erinnere mich noch immer daran, als wäre es erst gestern geschehen.
Eben noch, kam ich nach Hause, von einer Vor-Weihnachtsfeier mit Freundinnen und einigen süßen Jungs. Unser letztes gemeinsames Jahr und wir wollten noch einmal so richtig einen drauf machen. Ich befand mich in unserem Garten, da wir einen für unser Grundstück zwei Eingänge besaßen, und versuchte meinen Rausch, so gut wie es mir möglich war, mit dem eisigen Wasser der Vogeltränke zu dämmen. Es half genau... überhaupt nichts. Schlussendlich saß ich, bis auf die Knochen zitternd und mit drehenden Kopf, auf dem verschneiten Gartenboden und tastete nach meiner hinunter gefallenen Haube. Vielleicht hatte ich sie auch in der Bar liegen gelassen, in welcher wir gefeiert hatten? Wer wusste das heute schon noch? Jedenfalls passierte es in dem Moment, als ich mich wieder aufrichtete, stand er oder sie vor mir? Ich konnte mich an keine Gesichter, oder Körperformen erinnern. Jedenfalls biss dieses Dreckschwein mich einfach in den Hals und ließ mich, wenige Minuten danach, zum Sterben zurück. Vermutlich hätte es so aussehen sollen, als wäre ich erfroren, denn das Dreckschwein, zumindest nannte ich meinen Erschaffer seitdem so, öffnete meine Jacke und stahl meinen Schal. Kurz nach Mitternacht fanden mich jedoch meine Eltern und brachten mich in ein Krankenhaus. Darin musste ich wegen, starken Erfrierungen, zwei Wochen lang bleiben. Jedoch lag es weniger an den Erfrierungen, sonder eher, an meinem Blutmangel und meiner plötzlichen Schockstarre, dass ich so lange Bleiben hatte müssen.
Und heute? Heute, zwei Jahre später, feierte ich meinen zweiten Vampirgeburtstag. Ja! Ein Vampir. Ich wurde zu einem verfluchten Vampir gemacht. Wie? Warum? Das sind die Millionen Fragen. Genauso, wie die Fragen >Was war zuerst da? Die Henne oder das Ei?< oder noch besser >Was ist der Sinn des Lebens?<
Ja verflucht, ich hasse mein Leben. Mehr, als es sich jemand vorstellen könnte. Andererseits brachte diese Art von >Leben,< mehr oder weniger sogar Vorteile. Ich benötige keinen Schlaf mehr. Ich habe seit exakt zwei Jahren nicht mehr geschlafen! Für die einen oder anderen klingt es vermutlich langweilig, doch sich als siebzehnjähriger Teenager niemals Müde zu fühlen? Das hatte schon etwas.
Das Nächste war, dass ich nichts essen musste. Ich konnte, um den Schein zu wahren, noch lebendig zu sein, doch ich brauchte es nicht. Das einzige, was ich brauchte, und zudem einer der größten Nachteile mit sich trug, war Blut. Ekelerregendes, nach Eisen riechendes Blut! Leider war ich bisher nicht der Typ Mensch, der Blut sehen konnte, zumindest nicht, mein eigenes. Seit ich jedoch zum Vampir gemacht wurde, zog es mich geradezu hypnotisch an. Natürlich nicht mein eigenes Zähes, sondern das frische und pulsierende, im menschlichen Körper. Diese Elektrizität, welche mich jedes Mal durchfuhr, wenn ich jemanden Menschlichen berührte... es ist einfach... überwältigend. Das erste halbe Jahr, war ich so ziemlich, jedem an die Kehle gesprungen, der mich berührte und in dessen Adern, Blut floss, doch nach und nach, schaffte ich es, mich zu kontrollieren.
Ich begann wieder, zur Schule zu gehen, zudem studierte ich nun, seit knapp einem dreiviertel Jahr, Medizin, obwohl meine Eltern immer gewollt hatten, dass ich wie mein Vater Architektin werde. Bäh... es gab wohl nichts Langweiligeres. Jedoch mit dem ständigen Drang zu leben, anderen an die Kehle springen zu wollen, erinnerte mich jede Sekunde daran, was für ein Monster ich bin. Es sagte mir, dass ich diese Menschen, die ich hier versuchte zu retten, benötigte. Sie waren mein Lebensquell, der niemals versiegen durfte. Und mit dem Respekt, den ich aufbringen konnte, und der ihnen mehr als nur zu stand, zapfte ich niemandem mehr, als einen halben Liter Blut ab. Dafür hatte ich mir sogar, meine eigenen Instrumente besorgt. Sterile Nadeln, jede Menge Blutbeutel, Spritzen wenn nötig. Ich fühlte mich beinahe, wie ein wandelndes Nadelkissen. Oder war vielleicht nicht doch eher ich selbst die Nadel??
Die Augen verdrehend über den Scheiß, den der Betrunkene neben mir quasselte, stürzte ich den Rest meines Kaffees hinab und torkelte gespielt betrunken zur Toilette. Natürlich nicht, ohne ihm noch eine Anspielung ins Ohr zu flüstern.
Auf der Männertoilette schloss ich mich in eine Kabine ein und wartete ungeduldig, dass mein Opfer endlich nachkam. Knapp zwei Minuten später, klopfte er an meine Kabine. „Sky?“
Ich schloss auf und lächelte verführerisch. „Hallo, Süßer.“ Säuselte ich und zog den Vierzigjährigen in meine Kabine. Der Perverse stand tatsächlich auf jüngere Mädchen, doch solche fand ich in dieser Bar öfters. Nicht, dass sie eine Bedrohung für mich wären, denn ich gab mich immer für sechzehn aus und sie glaubten mir.
„Mal sehen, was du unter diesen Klamotten für einen süßen Körper trägst.“ Lallte er und spielte an meinem Hosenknopf herum.
„Aber sei vorsichtig... Ich habe so etwas... noch nicht, so oft getan...“ Log ich gespielt schüchtern und schloss hinter ihm die Türe ab, damit uns niemand, aus Versehen, störte. Immerhin vertrugen es normale Menschen nicht gerade würdevoll, wenn sie sahen, wie ich meine Zähne in die Adern von jemandem versenkte. Wem konnte ich das schon verübeln?
„Setzt dich hin.“ Bat ich und leckte mir verführerisch über die Lippen. Dabei streichelte ich meinem Opfer zärtlich über die Schulter. Wie befohlen setzte sich der Mann auf die Toilettenschüssel und ich nahm über ihm platz. Sein eindringliches Ding, drückte bereits ungeduldig an meine Hüfte, was mir beinahe das Essen hochkommen lassen würde, wenn ich die letzten Tage etwas gegessen hätte. Jedoch erfahren, wie ich im Umgang, mit solchen Leuten war, verführte ich ihn dazu, mir seine Kehle anzubieten, sodass ich ihn eigentlich liebkosen konnte, doch mein Interesse galt nicht seinem Vergnügen, sonder eher, dem meinigen.
Drängend zwickten mich meine Eckzähne an der Oberlippe. Als ob ich den brennenden Durst in meiner Kehle nicht bereits längst bemerkt hätte.
Seufzend stach ich hauchzart in die dicke pulsierende Vene, die sich sofort beschleunigte, als mein Opfer Angst bekam, doch in dem Moment, in dem ich meine Zähne versenkte, setzte ich mit meinem Speichel eine Chemikalie frei, die ihn sorgenfrei fühlen ließ. Wie genau das alles funktionierte, wusste ich nicht. Es war mir auch egal, solange sie mir half, meine Opfer, für die nächsten paar Minuten zu betäuben.
Fünf Minuten später, kam ich aus der Männertoilette und bestellte noch einen Drink, um den ekelhaften Geschmack seiner Erregung und Blut wegzuwaschen. Dabei sah mich der Barkeeper an, als hätte ich eben irgendetwas verbrochen. Nun, ja er dachte bestimmt auch, dass ich es, für etwas Geld, das ich mir immer von meinen Opfern nahm, auf der Männertoilette mit älteren Männern tat.
„Du weißt, das ein hübsches junges Mädchen, wie du, so etwas nicht machen musst?“ Mit seinen eindringlichen dunklen Augen fixierte er mich, als würde er mir dadurch seinen Willen aufzwingen können, mit dem aufzuhören, von dem er dachte, dass ich es tat. Sein immer struppiges Haar, strich er zurück, als er bemerkte, dass es sich nichts brachte, mit mir zu diskutieren und ich ihm, nachdrücklich meine Zunge heraus streckte, um ihm zu zeigen, was mich seine Meinung interessierte. Kopfschüttelnd wandte er sich ab, als wäre er enttäuscht von der heutigen Jugend. Er schien auch nicht sonderlich viel älter, als ich zu sein. Vielleicht vierundzwanzig? Fünfundzwanzig?
Was interessierte es mich auch? Ich stürzte meinen Tequila hinunter und verließ das Lokal.
Mein Zuhause, in dem ich mittlerweile alleine lebte, befand sich in der achtgrößten Stadt, der Insel Island. Selfloss befindet sich im Südwesten des Landes und hatte gerade einmal, fünftausend und noch ein paar zerdrückte, Einwohner. Mehr oder weniger zumindest. Jedenfalls war diese Stadt groß genug, um mich zu verstecken und gleichzeitig nicht zu überfüllt, sodass ich ständig Angst haben musste, durch Zufall entdeckt zu werden. Es ist eine ruhige Stadt und dadurch, dass ich eine zu Gezogene bin, liegen meine Wurzeln natürlich nicht hier. Meine Mutter war, als sie noch lebte, eine leidenschaftliche Vogelbeobachterin und zog mit uns von England hier her, als ich gerade einmal fünf gewesen bin.
Mein Vater dachte, als Architekt, könnte er der Wirtschaft etwas helfen, mit neuen Gebäuden, doch groß angesehen war er niemals worden. Beide verstarben sie, kurz nach meiner Verwandlung, bei einem Autounfall, doch noch eines der Vorteile meines neuen Lebens war, so gut wie keine Gefühle zu besitzen. Nicht, dass ich nicht weinte, bei traurigen Filmen, oder lachte, bei lustigen Videos, jedoch schienen sich diese Gefühle lediglich zu melden, sobald ich hungrig wurde. Sobald ich satt war, fühlte ich überhaupt nichts, als wäre Blut ein Gefühlsdämmer oder so etwas Ähnliches.
Zuhause angekommen, warf ich mich zu aller erst, unter die heiße Dusche, um das ekelerregende Gefühl, was dieser Mann an mir erzeugt hatte, fortzuspülen. Danach legte ich mir, aus dem Gefrierschrank, einen Blutbeutel in den Kühlschrank, damit es über Nacht auftaute und mir morgen, als Frühstück diente.
Jedoch nicht so, wie normale Menschen, ging ich jetzt schlafen, sondern setzte mich vor den Computer, um zu recherchieren, oder sah mir das Spätprogramm an. Je nachdem, zu was ich Lust bekam. Gegen sechs trank ich meinen Blutbeutel leer und verbrannte ihn, damit niemand zufällig über ihn stolpern konnte. Es wäre doch seltsam, wenn die Müllabfuhr nur Blutbeutel in meinen Tüten vorfinden würde, oder? Eine viertel Stunde später, saß ich frisch bekleidet und natürlich weniger kindlich gestylt, in meinem kleinen bequemen Suzuki Jimny und fuhr meine knapp fünfundvierzig Minuten nach Reykjavik, der Hauptstadt von Island,

 

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Das erste und charakteristischste, was mich im Spital traf, war der Geruch von Blut und jede Menge Desinfektionsmittel. Durch etwas >Willen<, habe ich die Stelle, als Assistenzschwester bekommen und durfte, im Grunde, nichts anderes machen, als Leute waschen, oder Kloschüsseln wechseln. Aber was soll es auch schon? Durch Recherche wusste ich so gut, wie alles, was ich wissen musste, um mich weiter, als Krankenschwester oder Ärztin ausbilden zu lassen. Natürlich mit den einen oder anderen Connection ging so etwas, beinahe durch Zauberhand. Trotzdem nutzte ich meine Gabe, anderen meinen Willen einzureden, so gut wie nie. Das einzige Mal, als ich es gemacht habe, war um diese Stelle zu bekommen. Vielleicht lag es auch an meinem umfangreichen Wissen, das war mir bis heute nicht klar, doch geschadet hatte es sicher nicht.
„Skylander. Können Sie sich um Zimmer zwei kümmern? Es ist lediglich eine oberflächliche Schnittwunde an der Hand. Wir sollen sie verbinden.“ Ich nickte entschlossen die Aufgabe meisterhaft zu vollbringen und ging in das besagte Zimmer.
„Guten Morgen. Mein Name ist... Oh. Sie?“ Überrascht blickte ich in die dunklen Augen, meines Barkeepers, den ich beinahe jeden Abend sah, doch mit dem ich niemals sprach. Nun, ja... von den Bestellungen einmal abgesehen.
„Sieh an. So klein ist die Welt.“ Bemerkte er und ich verdrehte gewohnheitsmäßig die Augen.
„Wir leben auf einer Insel. Da begegnet man sich einfach hin und wieder.“ Gab ich wahrheitsgetreu zurück und zog meine sterilen Handschuhe an.
„Also, wie ist Ihr Name?“
Skeptisch zog ich die Augenbrauen zusammen und griff nach Desinfektionsmittel für Wunden und einen sterilen Verband. „Das ist nicht wichtig.“
„Oh, Isles? Ein ungewöhnlicher Name.“ Bemerkte er, da er von meinem Namensschild ablas und streckte mir die linke Hand, zum Gruß, entgegen, da seine rechte aufgeschnitten war. „Mein Name ist Njal Einarson.“
„Wie schön für Sie, reichen Sie mir bitte ihre andere Hand.“ Kein bisschen beschämt, zog er seine unverletzte Hand zurück und reichte mir die verletzte. Dort nahm ich den provisorischen Verband, bestehend aus einem Tuch, wieder ab und begann, die Wunde zu versorgen.
„Abends wirken Sie nicht ganz so kühl.“ Bemerkte er nebenbei, während er beobachtete, wie ich seine Hand versorgte.
„Das liegt am Alkohol.“ Log ich, da ich normalerweise immer freundlich zu jedem Patienten war, nur dieser hier störte mich ein wenig. Nun musste ich das Lokal ändern, damit ich nicht gezwungen war, ihm meinen Willen aufzuzwingen.
„Okay, langsam verstehe ich Sie immer weniger. Ich dachte eigentlich, dass Sie... was Sie eben abends so tun, lediglich machen, weil Sie Geld benötigen, doch jetzt sehe ich, dass Sie bereits einen Vollzeitjob haben. Wieso tun Sie das mit den... Betrunkenen?“
Fester, als nötig wickelte ich den Verband, sodass er gequält die Luft einzog. „Was ich tue, oder nicht tue, geht nur mich etwas an.“ Beharrte ich, während ich zur Schere griff.
„Wenn Sie zusätzlich Geld benötigen, dann arbeiten Sie hinter der Bar, oder als Kellnerin bei mir. Ich kann die Hilfe nachts gut gebrauchen.“
Nachts arbeiten? Auf diese Idee war ich bisher überhaupt nicht gekommen, da ich, nachts damit beschäftigt war, mir Blut zu besorgen. Aber zusätzlich Geld zu verdienen, während ich mir Blut besorgte? Interessiert sah ich ihn an. „Was zahlen Sie?“ Mein Glück, dass ich keinen Schlaf benötige. Njal überlegte kurz und nannte mir einen Durchschnittspreis. „Okay, ich komme heute Abend zur Probe. Gibt es etwas, was ich wissen sollte?“
Ich beendete das Verbinden seiner Hand und warf die, nun weniger sterilen, Handschuhe in den Mist. „Keine Deals mit meinen Kunden.“ Ach, was! „Dein Outfit muss eine schwarze Hose sein, die immer über das Knie reicht und ein Shirt, oder Hemd. Auch schwarz und kein Ausschnitt.“ Warnte er nachdrücklich.
Ich willigte, mit einem nicken, ein und stand auf. „Deal?“ Fragte Njal noch auffordernd und streckte mir die gesunde Hand entgegen. Ich jedoch übersah sie absichtlich.
„Hypochonder.“ Erklärte ich nur und verschwand aus dem Untersuchungsraum.
Besser konnte es doch kaum laufen. Tagsüber der Job, der mir Spaß machte und nachts konnte ich mich bedienen, wie ich wollte, am Blut der betrunkenen Gäste, während ich auch noch dafür bezahlt wurde!
Abzahlung ich komme! Begeistert klatschte ich vor der Türe in die Hände und unterdrückte einen Freudenschrei. Das käme vermutlich in der Öffentlichkeit nicht allzu gut an. Seriös wirken, Isles! Warnte ich mich selbst.

II. Gerard Tobonneau

Kapitel 2 - Gerard Tobonneau
Mein rauschender Mantel bäumte sich, durch den Fahrtwind, auf und zerrte bedrohlich an mir. „Kommst du rein, oder muss ich dich erst herunter zerren?“
Mein Blick glitt nach unten, wo Louis stand, denn seine hellblonden Haare erkannte man selbst im dunkeln, aus der Ferne. „Versuch es doch, wenn du dich traust!“ Fauchte ich bösartig zurück, woraufhin mein Partner einen Schmollmund zog.
„Sei nicht immer so ernst, Gerard. Freu dich doch, dass du endlich eine Schwester bekommst.“ Ich fauchte aus der Tiefe meiner Kehle, während mir der ekelerregende Geruch, von nassem Hund in die Nase schlug. Es war kalt hier oben, auf Island, viel kühler, als im Schloss meines Herren. Trotzdem fror ich nicht, noch nicht, denn mein dicker Mantel, hielt mich warm, wobei er in einem Kampf recht hinderlich werden konnte, was meine Bewegungen anging.
Ich ging die Hocke und betrachtete die felsigen Wände von Island. Mich freuen? Ich würde ihr die Kehle heraus reißen. Etwas wie sie, sollte nicht existieren. Sie ist eine Gefahr für meine Familie, die >anderen< und sich selbst. Keine Ahnung, wie dieser Idiot von König, nur auf diese Idee kam, dass sie eine hervorragende Auserwählte wäre. „Eher knutsche ich einen Wolf.“

III. Isles Skylander, das Schaf unter Wölfen

Gegen Abend stand ich artig vor der Bar und wartete, dass mir Njal öffnete. Wie ich von außen erkennen konnte, lebte er direkt über seiner Bar. Ob das legal war? Mir soll es jedenfalls recht sein. „Du hättest ruhig die Hintertüre nehmen können.“ Erklang Njals Stimme, als er das Lokal eröffnete und mich mit hochgezogenen Augenbrauen musterte. Schwarze, lange Hosen, Stiefeletten, ein schwarzes Hemd und mein grauer, dicker Mantel. So konnte ich mich doch sehen lassen, oder? Natürlich würde ich drinnen den Mantel ausziehen, aber draußen war es, selbst für einen Vampir zu kalt, um herumzulaufen. Zumindest für einen Vampir, der sich für einen Menschen ausgab.
„Okay, bereit für deinen ersten Arbeitstag... Abend?“ Besserte er sich aus und lachte über seinen eigenen Fehler.
„Natürlich.“ Versprach ich und hängte meinen Mantel in der Küche auf. „Ich kümmere mich, um die Küche und gleichzeitig um die Bar. Du pendelst zwischen Bar und Kellnern, verstanden?“
Die Bar, war nicht sonderlich groß und insgesamt gab es fünf Gerichte, die man bestellen konnte, daher würde mir der Platz, als Kellnerin wohl oder übel bleiben. Umso einfacher würde es mir jedoch fallen, die Männer abzufüllen, um an ihre Adern zu kommen.
„Isles?“ Ich folgte Njal in die Küche und wurde auch kurz durch die Bar geführt, die abgesehen vom Hauptraum und der Toilette, nicht viel zu bieten hatte.
„Okay, ich denke, das wird nicht sonderlich schwer werden.“ Und so kam es auch. Tagsüber arbeiten im Krankenhaus und nachts in der Bar. Mein Leben konnte kaum ausgeglichener sein. Mit Njal verstand ich mich mit der Zeit immer besser, besonders nachdem ich ihm endlich überzeugen konnte, keinen Männern mehr wegen Geld nachzustellen. Das ich ihnen jedoch lediglich wegen ihres Blutes nachstellte, offenbarte ich ihm jedoch nicht.
„Zwölf Shots für Tisch zehn.“ Befahl ich Njal und lenkte derweilen zwei Bier an den Tisch, auf der anderen Seite des Raumes. Njal und ich wurden überraschenderweise zu einem guten Team und ich mochte ihn. Er ist wirklich nett und verständnisvoll. Beinahe so, wie ein älterer Bruder, der versuchte seine störrische Schwester, auf die richtige Bahn zu lenken. Zumindest fühlte es sich für mich so an, da ich keinerlei Erfahrungen mit Geschwistern besaß.
Zurück bei Tisch zehn, stellte ich die Gläser vorsichtig vor den Damen ab, die sich ganz offensichtlich heute die Kante geben wollten, und kassierte gleich ab. Zurück bei Njal übernahm ich die Bar für den Moment, während er das Essen für ein Pärchen richtete.
„Hey, Süße. Ein Bier für uns alle, sofort.“ Grölte ein alter Kerl, als er sich mit seinen drei Freunden setzte und grinste höhnisch, während er meine Oberweite musterte. Wie gewünscht reichte ich, ihm über die Bar ein Bier mit vier Strohhalmen. Die würden sie bestimmt brauchen, wenn sie gleichzeitig daraus trinken wollte. Ja, ja. Meine gemeine innere Stimme.
Mit einem zufriedenen Grinsen stellte ich das Glas ab und eilte zu Gästen, die bestellen wollten.
„He! Ich sagte ein Bier für uns alle! Bist du etwa schwerhörig?“ Höflich lächelnd kassierte ich ab und beachtete den alten Mann überhaupt nicht. Wieso auch? Trunkenbolden und Krawallmacher verdienten so etwas, wie meine Aufmerksamkeit nicht.
Plötzlich griff eine Hand nach meinem Handgelenk und drohte sie zu zerquetschen. „Verdammt ich rede mit dir, Weib!“ Moment... nannte er mich eben >Weib<? Das ging zu weit!
Ein Fauchen unterdrückend, rammte ich ihm meine Finger in den Magen, sodass der Trunkenbold wie ein Sack in sich zusammen fiel. „Warte, bis deine Bestellung dran ist!“ Zurück an der Bar blickten mich seine drei Freunde unsicher an. „Kann ich Ihnen auch noch etwas bringen, oder reicht ein Bier für sie alle?“
Einer griff nach dem Bier und trank sofort aus einem Strohhalm, bevor er es seinen Kollegen weiter reichte. „Sehr artig.“ Lobte ich die Drei und zwinkerte ihnen freundlich zu, bevor ich nach hinten in die Küche ging. „Was ist denn los? Plötzlich war es so still.“ Fragte Njal und blickte mich besorgt an.
„Nur ein betrunkener alter Mann. Er hat seine Bestellung nicht richtig angegeben und mich beschuldigt, nicht richtig zuzuhören. Seine drei Freunde trinken jetzt artig ihr Bier aus dem Strohhalm.“
Mit hochgezogenen Augenbrauen schmunzelte er. „Moment, willst du mir etwa erklären, drei Erwachsene trinken ihr Bier aus einem Strohhalm?“
„Genauer gesagt aus einem Glas!“ Korrigierte ich und entlockte ihm lautes Gelächter.
„Gutes Mädchen.“ Lobte er und schickte mich mit der Platte für zwei wieder nach vorne. Der vierte hatte sich beleidigt zu seinen drei Freunden zurückgesetzt, doch beachtete sein Bier nicht einmal, mit einem halben Blick.
„Miss! Können wir noch ein paar Drinks haben?“
„Wenn Sie mir später nicht den Boden vollkotzen?“ Fragte ich dagegen und das schien die drei Frauen zu verwirren. Die Augen wieder einmal verdrehend, brachte ich ihnen die gewünschten Drinks und beschrieb einer der Dreien, wie sie die Toilette fand.
Wenig später besuchte ich dieselbige ebenfalls auf, doch kaum, dass ich die Toilette betrat, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Es roch... seltsam. „Hallo?“ Fragte ich in den scheinbar leeren Raum hinein, doch bekam keine Antwort. Bildete ich mir das nur ein, oder war es etwas zu still hier drinnen. Vor nicht einmal einer Minute ist doch eine Frau hier hinein gekommen, oder?
Vorsichtig klopfte ich an die erste Toilettentüre. „Geht es Ihnen gut Miss?“
Keine Antwort.
Neugierig geworden, kniete ich mich auf die kalten Fliesen und blickte unter dem Spalt der Türe hindurch. Leer.
Als ich an der Türe rüttelte, ließ sie sich aufmachen.
Okay, nur noch zwei. Ich tat bei der mittleren dasselbe wie bei der Ersten, ging auf die Knie, sah niemanden und probierte dann erst. Wieder leer.
Also konnte sie nur bei der Letzten sein. „Miss, ich weiß, dass sie hier sind. Kann ich ihnen helfen? Brauchen Sie Papier zum Abwischen? Eine Mundspülung? Irgendetwas?“
Kein Ton von der Frau.
Seufzend ging ich wieder auf die Knie. Ausnahmsweise war diese Kabine nicht leer. Zwar menschenleer, doch trotzdem befand sich etwas in ihr, was mich stutzen ließ. „Wieso zum Geier...“ Nuschelte ich und kam wieder auf die Beine. Das ergab keinen Sinn. Die Türe war von innen verschlossen, daher musste ich über die Nebenkabine klettern und mich in die dritte Kabine hinein fallen lassen. Vorsichtig, um nicht auf der Kleidung zu landen, die auf dem Boden lag, sprang ich auf den heruntergekappten Toilettensitz und sah, abwechselnd, zwischen dem geöffneten Fenster und der Kleidung herum. „Hä?“ Kopfschüttelnd hob ich die Kleidung auf, verschloss das Fenster und schlich mich wieder zurück hinter die Bar, damit mich die beiden verbliebenen Frauen nicht sahen. Das ergab einfach keinen Sinn. Wieso sollte jemand nackt aus einem Fenster klettern? So betrunken, war sie doch überhaupt nicht, oder? Jedoch gab es etwas, was mich an alldem noch mehr verstörte. Das Fenster war gerade einmal groß genug, sodass sich ein Kleinkind hindurch zwängen konnte, aber niemals eine erwachsene Frau, egal wie schlank sie war.
„Njal?“ Ich deutete ihm mir in die Küche zu folgen, darauf bedacht mir nichts anmerken zu lassen.
Njal folgte mir neugierig und ich zeigte ihm die Kleidung, die ich gefunden hatte. „Nett! Bist du, auf der Toilette shoppen gewesen?“ Scherzte er und fing sich dafür einen verärgerten Blick ein.
„Das ist nicht witzig, Njal. Diese Kleidung gehört der Frau, der ich eben die Toilette gezeigt habe. Der, die mit ihren beiden Freundinnen sich hier eben zu Tode betrinken wollte.“
Mit hochgezogenen Augenbrauen besah sich Njal die Unterwäsche. „Und du sagst mir jetzt, das eine heiße und vor allem, nackte Braut, auf meiner Toilette hockt?“
Genervt verdrehte ich die Augen. Wollte er es nicht verstehen? „Njal! Ich meine es ernst. Die Frau ist weg, das Fenster stand offen und ihre Kleidung lag in einer verschlossenen Kabine. Und diese Kabinen kann man nur von >innen< verschließen.“ Fügte ich mit Nachdruck hinzu, da ich das Gefühl bekam, dass er mich nicht ernst nehmen wollte.
„Okay, schon gut. Lass die Kleidung hier, wir sehen gemeinsam nach.“ Auf der Toilette? Wieso wollte er jetzt...
Kopfschüttelnd folgte ich Njal auf, die noch immer leere, Toilette. Prüfend öffnete er die letzte Türe und einzige, mit einem Fenster. „Also verschlossen sieht sie nicht aus.“ Bemerkte er und sah sich um.
„Weil ich über die Trennwand geklettert bin, um sie zu öffnen.“ Und um das Fenster zu schließen, da es viel zu kalt war, um es offenzulassen.
„Isles, ich weiß nicht, was du erwartest? Vermutlich hat sie sich umgezogen und hinaus geschlichen, als niemand aufgepasst hat. Vielleicht hatte sie noch etwas zu erledigen, oder wollte ihre Freundinnen auf der Rechnung sitzen lassen. Wie auch immer...“
„Sie hatten längst bezahlt, ich kassiere immer, sobald die Gäste alles haben, was sie wollen. So kann ich keine Rechnung vergessen und die Frau ist bestimmt nicht einfach abgehauen.“ Ich wüsste es, doch wenn sie an mir vorbei gekommen wäre. Offenbar wollte er mich nicht ernst nehmen.
„Hey, jetzt sei doch nicht gleich wütend. Aber kein Erwachsener kommt hier durch das Fenster, okay?“
Beleidigt verschränkte ich die Arme vor dem Oberkörper und biss mir auf die Lippe. Was er sagte, stimmte, aber... es hatte Minusgrade! Und die Frau ist nackt! „Nein, zieh es mir, von mir aus, vom Lohn ab, aber ich gehe die Frau jetzt suchen. Sie ist nackt, betrunken und irrt vermutlich draußen umher.“ Vielleicht hatte sie auch Drogen konsumiert, so etwas konnte ich nicht beurteilen, doch kein nüchterner Mensch, der noch alle Sinne beieinanderhatte, ging freiwillig nackt in die isländische Kälte, im Dezember!
Entschlossen wandte ich mich ab, doch Njal fing mich ab. „Stopp! Nein, du gehst bestimmt nicht, bei dieser Kälte, alleine hinaus und suchst eine Betrunkene. Wir rufen die Polizei, sagen ihren Freundinnen, dass die Frau nach Hause gegangen ist und überlassen das den Behörden. Sie finden die Frau bestimmt eher, als du.“
Also ob. Ich bin ein Vampir und wenn ich meine Fähigkeiten nicht einsetzen konnte, um eine Frau vor der sicheren Erfrierung zu retten, dann würde ich mich ab morgen an eine Wand ketten und verdursten lassen!
„Gut, du rufst die Polizei und halte mich am Laufenden. Ich gehe die Frau suchen.“
„Isles! Isles, nein. Warte doch.“ Wieder hielt er mich am Oberarm fest, doch dieses Mal war der Druck darum herum stärker und eindringlicher. „Du kannst nicht alleine hinaus gehen. Du weißt nicht, in welchem geistigen Zustand sich die Frau befindet.“
Geistiger zustand? Nun, ja wenn man freiwillig nackt draußen spazieren geht, konnte man nicht mehr alle Tassen im Schrank haben. „Ich weiß. Aber wenn ich sie einfach zum sterben draußen lasse, dann werde ich damit leben müssen und dich dafür verantwortlich machen.“
Erschüttert blickte Njal mich an. Ja, vermutlich war dies etwas zu hart, er sorgte sich lediglich. Doch leider, um die falsche Person, denn ich konnte auf mich aufpassen, ob er es glaubte, oder auch nicht. „Keine Sorge, ich passe schon auf mich auf. Ich bin bisher immer alleine zurechtgekommen.“ Versuchte, ich ihn zu trösten, doch es schien alles nur noch schlimmer zu machen.
Nun durfte ich mich endlich gänzlich abwenden und eilte in die Küche, um meinen Mantel zu holen. Kaum, dass ich mich eingewickelt und die Haube auf hatte, spazierte ich durch den Hinterausgang, der gleichzeitig Njals Zugang, zu seiner Wohnung war, da hörte ich noch einmal meinen Namen.
„Isles! Warte noch.“ Genervt drehte ich mich zu Njal um, der mit einem Schal hinter mir her kam. Stimmt. Einen Schal hatte ich mir niemals nach gekauft. Eigentlich hatte sich sogar schon beinahe eine Phobie vor Schals, denn meiner hing über dem Hals meines Mörders, der gleichzeitig mein Erschaffer war. „Zieh dir bitte noch den Schal an. Es ist wirklich sehr kalt heute.“
Eigentlich wollte ich nein sagen. Ich sollte sogar nein sagen, denn mein gesamter Körper versteifte sich gegen die Vorstellung, einem Schal wieder so nahezukommen. Ein Schal, der eigentlich ein Schutz vor der Kälte sein sollte. Ein Schutz vor den gefährlichen Zähnen, eines Monsters. Trotzdem blieb ich, wie erstarrt stehen und wartete, dass Njal den obersten Knopf meiner Jacke öffnete und den Schal um meinen Hals wickelte. Vorsichtig, sodass er schützend um meinem Hals lag, zog er ihn fest und verschloss die Jacke, die jetzt etwas zu eng um meine Brust saß, wieder.
„Verzeih mir, wenn du gedacht hast, dass ich dich nicht ernst nehme.“ Gab er zu und richtete meine Haube etwas. „Aber mir ist es wichtig, dass dir nichts passiert, okay? Du bedeutest mir sehr viel, ich könnte es nicht ertragen, wenn dir etwas zustößt.“
Bedeuten... Ihm? Was? Meinte er seine Worte etwa ernst? Sah er etwa in mir mehr, als nur eine Freundin, oder Barhilfe? Das war mir bisher nicht bewusst gewesen. Hatte er mich etwa auch nur deshalb eingestellt? In der Hoffnung, mir näher zu kommen?
Rasende Wut machte sich in mir breit und ich wandte mich ab. „Ich brauche dein Mitleid nicht. Ich habe Wichtigeres zu tun!“ Meine Worte enthielten schon beinahe ein Knurren, was ihm zum Glück nicht auffiel. Zumindest hoffte ich es inständig.

 

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Durch den Schnee stapfend und gleichzeitig glücklich, dass ich meine Halbstiefel gegen richtig feste getauscht hatte, verschwand ich um die Ecke, um nach Spuren der Frau zu suchen. Leider hatte der stürmische Wind bereits den Schnee etwas verweht, sodass nichts, außer meine eigenen Schritte zu sehen waren. Verdammter Mist!
An der Außenwand suchte ich nach Spuren, vielleicht einem Haar, oder etwas Blut, denn unverletzt konnte diese Frau unmöglich die kantige Wand hinunter gekommen sein. Das einzige was ich fand, war Fell. Vermutlich von einer Katze, die versucht hatte hinein zu kommen, als es vielleicht gekippt gewesen war. Seufzend ließ ich von der erfolglosen Spurensuche ab und lief in einem gemütlichen Joggingtempo durch den knöchelhohen Schnee. Auf der Suche nach Fußspuren, oder einem bewusstlosen Körper, sah ich hinter Mülltonnen nach und umrundete verschneite Autos. Irgendwo musste sie doch sein. In ihrem Zustand konnte sie unmöglich weit gekommen sein.
Die dunklen, verschneiten Straßen suchte ich systematisch ab, umrundete jedes Auto und sah hinter jeden Container, jeder Wand und spekulierte über die Zäune, um ein Anzeichen zu finden. Erfolglos. Ich konnte sie einfach nicht finden. Nicht einmal Fußspuren, aber welcher normale Mensch lief auch schon um drei Uhr nachts in einem Sturm herum?
Der Wind peitschte eiskalt um mein ungeschütztes Gesicht, während meine Beine es langsam immer schwerer hatten, durch den höher werdenden Schnee zu warten. Meine Durchblutung in den Beinen, schien es langsam auch nicht mehr mitmachen zu wollen, dass ich mich hier herumquälte und mein Hals verlangte nach meiner flüssigen, roten Droge. Seufzend gab ich auf. Vielleicht hatte ich sie übersehen, oder... es hatte sie jemand anders gefunden?
Wie aufs Stichwort spürte ich ein Vibrieren an meiner Hüfte. Zitternd öffnete ich den Reißverschluss zu meiner Jackentasche und hielt mein Handy ans Ohr. „Njal?“
„Isles? Wo bist du? Die Polizei war eben hier, komm zurück.“
„Haben sie sie denn schon gefunden?“
Kurzes schweigen. „Nein.“ Gab er zu. „Aber sie sagten, dass es zu kalt für dich ist, sie zu suchen. Wenn es wirklich stimmt, dass sie draußen herum irrt, dann wirst du sie so nicht finden. Sie setzen jetzt Hunde ein und haben ihre Fährte durch die getragene Kleidung. Komm bitte zurück.“
Ein Nörgelndes brennen, in meinem Hals, stimmte Njals Anweisung zu. Verdammte Kälte. „Ich gehe nach Hause, ich brauche ein heißes Bad.“ Sagte ich stattdessen. „Wenn die Polizei etwas braucht, gib ihnen meine Nummer und meine Adresse. Ich beantworte gerne Fragen.“
„Okay, aber...“
„Njal!“ Unterbrach ich ihn. „Ich gehe nach Hause. Gute Nacht.“ Vermutlich waren so wie so bereits beinahe alle Gäste fort. Den Rest schaffte er auch alleine, wenn nicht soll er es mir, auf die Rechnung setzten. Jetzt jedenfalls hatte ich keinen Nerv dafür, mich noch um eine verdammte Bar zu kümmern, wenn in mir etwas heißer, als die Hölle brannte.
Blutdurst hatte so seine Tücken. Er kam plötzlich und verlangte sofortige Stillung. Durch die Frau hatte ich viel Energie an die Kälte verschwendet, da sich mein Körper nicht selbstständig warm halten konnte und meine Glieder schnell steif wurden. Sobald also mein Blutdurst eintraf, musst ich ihn stoppen, um nicht bei jedem Menschen eine Art >Heißhungerattacke< zu erleben.
Mit eiligen Schritten, lief ich die Straße hinab zu meinem Haus und schloss mich darin ein. Im Keller besorgte ich mir eine Flasche Blut und stellte sie in die Mikrowelle, während ich mir ein heißes Bad einließ.
Als ich zurückkam, war es bereits erwärmt und ich nahm es mit in die Badewanne, während ich mich in die schaumige Wärme kuschelte. Ja, ein Vampir zu sein hatte auch große Nachteile. Wenn einem kalt wurde, musste man schnell handeln, ansonsten verlangte es einem nach der süßen Körperwärme von frischem Blut, direkt aus einer Ader. Anfänglich war es schwer für mich gewesen, eine richtige Symbiose zwischen mir, als Menschen und meinen vampirischen Gelüsten zu finden. Heute war es wenigstens kein Problem mehr.
Das plötzliche Läuten meiner Türglocke ließ mich erschrocken zusammen zucken. Waren das etwa die Polizisten? Um diese Uhrzeit noch?
Eilig wickelte ich mich in ein dickes Handtuch und versteckte den Rest meiner Flasche zwischen den Shampoos. Wenn ich im Handtuch nach unten ging, würden sie bestimmt schnell wieder gehen. Dann hatte ich wenigstens genug Zeit, um mich darauf vorzubereiten, falls sie wieder kamen.
„Ich komme schon!“ Rief ich hinunter und überprüfte noch einmal mein Aussehen. In Ordnung. Meine dunkelbraunen Haare hingen nass an meinem Rücken hinab, meine Schminke war vom Baden verschwommen, wodurch meine dunklen Augen noch stechender wirkten. Eigentlich war es mir egal, wenn mich Polizisten so sahen, aber bestimmt würde es sie verschrecken, wenn ich so tat, als wäre es mir peinlich, wenn sie mich so sehen.
Gähnend öffnete ich die Türe und starrte überrascht in die hellen Augen von Njal. „Was suchst du denn hier?“ Meine Worte kamen vermutlich etwas kälter heraus, als geplant, aber daran ließ sich nun auch nichts mehr ändern.
„Ich wollte nach dir sehen.“ Antwortete er ehrlich, während der Wind an seiner Kleidung riss.
„Komm herein. Draußen ist es kalt.“ Murrte ich und ließ ihn ein.
„Du siehts... erfrischt aus.“ Meinte er, nach einer kurzen Schweigeminute, in welcher er sich aus seinen Schichten Kleidung schälte.
„Weil ich eben aus der Badewanne gekommen bin.“ Als ob das nicht offensichtlich wäre.
„Entschuldige, ich weiß, eigentlich sollte ich jetzt wieder gehen und dich ausruhen lassen, aber... ich mache...“
„Ja, ja. Du machst dir sorgen, das habe ich bereits verstanden.“ Unterbrach ich ihn forsch. „Setz dich in die Küche und wärme dich erst einmal auf. Ich gehe mich anziehen.“ In Gedanken überprüfte ich, ob auch wirklich kein Blutbeutel im Kühlschrank war, doch auf so etwas achtete ich generell immer penibel. Schnell lief ich wieder hinauf, leerte die Blutflasche in schnellen Zügen und versteckte sie weit hinten, in meinem Kleiderkasten, während ich gemütliche Kleidung anzog, bestehend aus einem knielangen Pullover, einer kurzen Hose und dicke Wollsocken, die mir bis zu den Knien reichten, mit süßen Häschen darauf. Vermutlich etwas kindisch, aber ich fand es bequem.
Zurück in der Küche, ging ich zuerst zum Schrank, in dem sich die Gläser befanden, und ließ etwas Wasser hinein. Das gefüllte Glas stellte ich Njal vor die Nase und setzte mich dann mit hochgezogenen Beinen neben ihn. „Bist du nicht müde?“ Fragte er, nachdem er aus dem Glas genippt hatte.
„Nein.“ Antwortete ich wahrheitsgetreu. „Du?“
„Etwas.“ Gab er zu. „Aber ich wollte sicher gehen, dass dir nichts abgefroren ist und du auch wirklich nach Hause gegangen bist.“
Vermutlich würde ich jetzt immer noch, nach der Frau suchen, wenn mein Blutdurst, aufgrund der Kälte, nicht eingesetzt hätte. „Wenn ich sage, dass ich nach Hause gehe, dann tue ich das auch.“ Versicherte ich ihm.
„Isles... ich will dir doch nichts Böses. Wieso stößt du mich immer weg?“ Sein Gesichtsausdruck wurde wieder besorgt und er lehnte sich vor, als würde er mir nahe sein wollen. Etwas was ich nicht ausstehen konnte.
„Weil du mich nervst und bemutterst. Ich bin neunzehn Jahre alt!“ Und ein Vampir „Ich kann mittlerweile auf mich alleine aufpassen.“
„Das weiß ich, aber... du bist eigentlich immer so. Frage ich dich etwas Privates, blockst du ab, frage ich dich, wieso du dich damals diesen Männern verkauft hast, lügst du mich an und wenn ich versuche, dir als Freund zu zeigen, dass du mir vertrauen kannst, fauchst du mich an, als würde ich versuchen einer Katze ihre Beute zu stehlen.“
Fauchen war vermutlich ein guter Vergleich. „Hör zu.“ Begann ich und lehnte mich ebenfalls auf dem Tisch vor. „Njal, ich bin dir dankbar, dass du mir die Arbeit gegeben hast, aber ich kann wirklich sehr gut auf mich aufpassen. Sei es nun, ein betrunkener Arsch, oder eine nackte, verwirrte Frau. Ich arbeite gerne in der Bar und ich lerne noch lieber im Spital. Mir ist es egal, was du über mich denkst, doch ich arbeite, um zu überleben und dieses Haus zu behalten. Ich zahle immer noch mein Auto ab und gleichzeitig versuche ich, weiter zu lernen, um eines Tages eine Ärztin zu sein.“ Eigentlich sollte ich noch hinzufügen, dass ich nebenbei jede Nacht einen seiner Gäste abzapfe, um am Leben und bei Verstand zu bleiben, doch wer würde mir das schon glauben?
„Ich weiß, dass du eine fleißige und eigenständige Frau bist. Deshalb mag ich dich auch so sehr. Okay... wenn ich ehrlich bin, ist es auch mehr als nur mögen.“ Gab Njal plötzlich zu und wurde etwas rot. „Aber ich weiß, dass du noch lange nicht so viel Vertrauen zu mir hast, als dass wir probieren könnten mehr zu sein. Aber das würde ich mir wirklich wünschen.“ Njal streckte seine Hände nach den meinen aus, welche ich unter meinem Pullover versteckte und blickte mich geradezu bettelnd an.
Na, toll. Also hatte ich es richtig verstanden, er hatte sich in mich verliebt. Ein Problem, das ich im Moment nicht gebrauchen konnte. Wenn er auch nur ansatzweise mein Geheimnis wittern würde, blühte mir Übelstes. Oder eher ihm. Ich wäre eine ständige Bedrohung für ihn und jede Berührung, wäre ein Kampf, gegen den Sog seines Pulses.
Nein, so weit würde ich es niemals mit einem sterblichen Wesen kommen lassen. „Njal, weder heute, noch morgen, oder in einem Jahr, werde ich so weit sein, mich mit jemanden einzulassen. Ja, ich mag dich, jedoch als Freund. Nein, ich vertraue dir nicht, denn du kannst mir nicht vertrauen. Niemand kann mir vertrauen. Nicht einmal meine Eltern konnten es und bei der Trauerfeier schaffte ich es nicht einmal, eine Träne zu vergießen. Ich bin ein herzloses Miststück, dass dir nur jeden Nerv rauben würde und dich schlussendlich eiskalt verlässt, oder noch schlimmeres tut. Es ist besser, wenn ich für mich bleibe und höchstens >Bekannte< habe.“ Erklärte ich mit erhobenem Haupt, wobei ich genau beobachten konnte, wie sich bei jedem Wort seine Mundwinkel weiter nach unten zogen, während sich Ungläubigkeit in seinen Augen widerspiegelte.
Wie soll ich erklären, weshalb ich nicht schlafe?
Wie soll ich erklären, weshalb ich nicht esse?
Wie soll ich erklären, weshalb ich den Keller abschließe?
Wie soll ich erklären, weshalb ich keine Nähe zulassen kann?
Dies und hundert mehr Fragen, so wie Lügen, müsste ich erfinden, um eine >Art< von Beziehung zu führen. Zudem, ich starke Gefühle vorspielen müsste, die ich einfach nicht besitze.
„Das dachte ich mir bereits.“ Njals Stimme war so leise, dass ich ihn beinahe fragen wollte, was er gesagt hatte, doch als ich wieder seinem Blick begegnete, hatte sich etwas verändert. „Arbeitest du deshalb im Spital?“
Fragend zog ich die Augenbrauen hoch. Was hatte das eine mit dem anderen zu tun? „Ich verstehe nicht, was das eine, mit dem anderen zu tun hat.“
„Ich meine wegen dem Blut. Arbeitest du deshalb dort?“ Blut? Wusste er etwas? Hatte er mich gesehen? Hatte er spioniert? Nein! Ruhig! Vermutlich interpretierte ich da viel zu viel hinein.
„Du meinst, weil ich ein leichter Hypochonder bin? Nein, ich trage jederzeit Handschuhe und desinfiziere regelmäßig meine Hände. Ich habe kein Problem damit.“
Genervt seufzte er. „Du weißt genau, wovon ich spreche. Zuerst dachte ich, dass ich es mir nur einbilde, denn keiner deiner Art wäre so dumm hier zu leben und ich muss zugeben, du hast dich sehr gut versteckt. Kein Einziger hat dich bemerkt, oder gar verdächtigt. Also verrate mir, wieso lebst du hier? Spionierst du mein Rudel etwa aus?“
Mit hochgezogenen Augenbrauen versuchte ich, zu verstehen, was er da sagte, doch ich verstand zugegeben kein Wort davon. „Wen soll ich denn ausspionieren?“ Fragte ich nach.
„Stell dich nicht dumm. Wer hat dich geschickt? Prinz Michellé? Seine Mutter?“
Ich kannte keinen von beiden. „Woher sollte ich irgendwelche Prinzen kennen? Nur, weil ich aus England bin?“ Langsam wurde es mir zu dumm und ich lehnte mich beleidigt zurück. „Egal was du denkst, wer ich bin, du spinnst. Nur, weil ich aus England bin, muss ich noch lange keinem Adel angehören.“ Verteidigte ich mich und fühlte mich gekränkt. Unter anderem störte mich etwas an seinen Worten.
„Was? Nein, ich rede nicht von Nationalitäten, sondern von den Vampirfürsten und Königen.“
Fürsten? Könige? Das wurde ja immer besser. „Danke, aber verarschen kann ich mich selbst auch.“ Fauchte ich erzürnt. Was dachte er eigentlich über mich? Das ich eine Verrückte bin? Oder ist Njal gar der Verrückte?
„Isles! Ich weiß Bescheid. Ich weiß, dass du ein Vampir bist, ich habe es gerochen, kaum, dass ich einen Fuß durch die Türe hatte. Es stinkt hier geradezu nach Blut und in deinem Atem kann ich es genauso riechen.“
Überrascht fasste ich mir an den Mund, als könnte ich jetzt noch etwas verbergen. Er roch es? Nicht einmal ich roch hier Blut. „Du weißt über Vampire Bescheid?“ Hakte ich nervös nach. Und Moment... sagte er nicht irgendetwas von Prinzen und Fürsten? „Und es gibt Fürsten? Wie viele?“
Njal schien etwas sagen zu wollen, da wurde ihm offenbar klar, dass ich keine Ahnung hatte. „Du... weißt es wirklich nicht? Wer ist denn deine Mutter oder dein Vater? Also... dein Vampirvater, oder -mutter meine ich.“
Schon alleine bei dem Gedanken an diesen Scheißkerl verging mir sämtlicher Appetit. „Sag es mir, wenn du es herausgefunden hast, dann kann ich ihm endlich an die Kehle gehen, wie er mir vor zwei Jahren!“ Nun versteckte ich mein Fauchen überhaupt nicht mehr, so wie meine Fangzähne. Njal schien das kein bisschen nervös zu machen.
„Du bist also eine Verlassene? Das ist scheiße. Aber zwei Jahre? Bist du dir sicher, dass du erst so jung bist? Du versteckst dich, wie eine Siebenjährige, oder älter. Das hätte ich niemals erwartet.“
Ja, und das alles konnte ich nicht gerade meinem Erschaffer zugutehalten. „Er hat mich kurz vor Weihnachten angegriffen.“ Begann ich, zum ersten Mal, die Geschichte, die ich bisher niemanden erzählt hatte können. „Ich kam von einer Feier heim und habe versucht, meinen Kopf mit eisigem Wasser hinten im Garten, an der Wassertränke klar zu bekommen.“
Ich stand auf und ging zur Hintertüre, die in den Garten führte. „Du meinst diese Wassertränke?“
„Plötzlich stand er einfach da. Packte meinen Schal und... zerbiss mir die Kehle. Danach nahm er mir meinen Schal weg und knöpfte meine Jacke auf. Betäubt blieb ich auf dem kalten Erdboden sitzen.“ Wie ein Film spielte sich das ganze Szenario wieder in meinem Kopf ab und ich konnte nur noch daran denken, wie sehr ich mir gewünscht hatte jetzt tot zu sein. „Meine Eltern fanden mich, an die Tränke gelehnt. Sie brachten mich mit Erfrierungen in die Notaufnahme und ich sprach einige Monate kein Wort. Das Einzige, was ich wollte, war... Blut. Es übermannte mich eines Nachts so stark, dass ich an nichts anderes, als dieses süße Rauschen denken konnte. Ich tötete den Nachbarhund und zwölf Schafe in dieser einen Nacht, da ich, so schnell ich konnte, zum nächstgelegenen Hof gerannt bin. Der Farmer verschlief das zu seinem Glück, denn ich weiß nicht, was ich ihm angetan hätte.“ Ein Schauder lief über meinen Körper und ich fühlte, wie sich eine Hand auf meinen Rücken legte, jedoch schien dies nicht mein Körper zu sein. Er war weit entfernt, in der Vergangenheit. „Als ich wieder zuhause war, habe ich alles verbrannt und mich gewaschen. Seitdem jagte ich jeden Abend Tiere, doch es reichte nicht.“
„Nein, natürlich nicht. Dein Körper benötigt menschliches Blut.“ Ich nickte monoton.
„In der dritten Nacht, tötete ich in einer Herberge sieben Menschen, bevor ich ruhiger wurde. Ab diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich etwas tun musste. Ich lernte, meinen Durst zu erkennen und lernte ebenso, wie ich Menschen meinen Willen aufzwingen kann. Das nutzte ich, an Betrunkenen aus, da ihr Wille am schwächsten ist.“
„Deshalb warst du in der Bar!“ Ich hörte, wie sich Njal an die Stirn schlug. „Ich Idiot, ich dachte, du holst denen einen runter, oder Ähnliches. Du warst immer so schnell draußen, dass ich ebenfalls annahm, dass du sie einfach bestiehlst und dann liegen lässt, aber dazu sahen die Männer viel zu glücklich aus. Entschuldige.“
Plötzlich fand ich mich in einer Umarmung wieder und erstarrte bei dem Ekel, der mich befiel. Wieso zur Hölle fasste er mich überhaupt an?
„Ich brauche keinen Trost!“ Schimpfte ich und stieß Njal von mir. „Jetzt wo du weißt, was ich bin, brauchst du kein Mitleid mehr zu heucheln.“
Seufzen lächelte Njal. „Entschuldige. Vampire hegen von Natur aus eine beinahe penetrante Abneigung gegen uns.“
Das machte mich natürlich wieder neugierig. „Also... bist du auch anders? So wie ich?“
Meine Hoffnung erstarb, als sich seine Augen von einem hellen Blau in ein wildes Gelb verwandelten. „Nein, eigentlich bin ich genau das Gegenteil. Ich bin ein Werwolf. Deshalb spürst du diese tiefe Abneigung gegen mich, immer wenn ich mich dir nähere. Es ist ein Verteidigungstrieb in dir. Jetzt wo du weißt, was er ist, wirst du andere meiner Art hier überall in der Stadt bemerken.“
„Die Frau!“ Stieß ich überrascht hervor.
„Ja, sie ist aus einem anderen Rudel, doch besuchte hier ihre beiden Schwestern.“
„Die aus der Bar?“ Fragte ich und schloss die Balkontüre wieder.
„Ja. Und viele andere. Bevor du fragst, nein, wir verwandeln uns nicht an Vollmond und heulen den Himmel an!“ Fügte er mit erhobenen Finger hinzu und brachte mich mit der Vorstellung zum Schmunzeln.
„Wie ist es dann bei den Werwölfen?“
„Wir leben eigentlich in Familienverbänden. Es gibt einen Rudelführer, das ist meist der älteste oder stärkste unter uns. Jedoch haben wir uns mittlerweile den Menschen so gut angepasst, dass wir nicht großartig anders sind, als sie. Wir verwandeln uns so gut wie nie, oder gehen gar auf die jagt. Eigentlich ist es sogar ekelhaft für die meisten von uns, etwas mit ihrem Mund zu erlegen und roh zu fressen. Das vertragen unsere Mägen nicht mehr.“
Nun musste ich doch lachen und wir setzten uns wieder an den Tisch zurück. „Also seit ihr artige Haushunde?“
Der Vergleich gefiel ihm sichtlich nicht, aber Njal nickte. „Ja, kann man wohl so sagen. Trotzdem sind wir das Einzige, was einem Vampir gefährlich werden kann. Wir sind ihre natürlichen Feinde, wenn du es so haben willst. Ihre Einzigen eigentlich. Jedoch ist unser Blut sehr schmackhaft für Vampire und es macht sie viel Stärker und Geschickter. Schneller, feinere Sinne und manche entwickeln dadurch sogar besondere Fähigkeiten. Natürlich nur, wenn sie unser Blut regelmäßig konsumieren und reichlich davon. Selten werden wir sogar, als Blutspender gehalten, was sehr übel aussieht, aber wir können nicht wirklich etwas dagegen tun. Sie sind mächtig und... skrupellos.“
„Und ihr wollt einfach nur Überleben, unter den Menschen. Ich verstehe das. Entschuldige, wenn du mich als Bedrohung ansiehst, aber ich habe keinen Wunsch danach euch an die Vene zu gehen.“
Njal streckte seinen Arm aus und tätschelte meinen Unterarm. „Ich denke ein Grund dafür, weshalb du bereits so gut im Umgang mit deinen Fähigkeiten bist, ist, dass du unbewusst bereits unser Blut getrunken hast.“
Erschrocken griff ich mir an die Lippen. Was? Ich habe Werwolfblut... Oh... „Du meinst das Spital?“ Natürlich, wo gingen Werwölfe hin, wenn sie sich verletzten? Ins Spital. Und woher bekam ich mein Blut? Von den Patienten. „Ich bin so ein Idiot!“ Stieß ich hervor und ließ meinen Kopf auf die Tischplatte knallen. Vermutlich hätte ein normaler Mensch jetzt eine blutende Platzwunde. Nicht so ich.
„Schon gut. Du wusstest es auch nicht.“
„Aber es schmeckt alles gleich. Ich verstehe nicht, wie ich das alles nicht merken konnte. Die beiden Jahre habe ich ständig versucht, mich zu verstecken und alles zu verbergen, oder auf meine eigene Weise zu schaffen... Ich wollte doch niemals jemanden weh tun.“
„Das hast du auch nicht!“ Beruhigte mich Njal. „Es gab in den letzten Jahren keine Todesopfer durch Vampire und keiner, hier, hat jemals bemerkt, dass du einer sein könntest. Aber ich kann dir lehren, was du wissen musst, wenn du das möchtest?“
Ich nickte stumm. Ja, das wollte ich. So lange hatte ich alles auf meine Weise lernen müssen und auf die harte Art erfahren. Jetzt, wo mir endlich jemand eine helfende Hand hin streckte, wollte ich nichts mehr, als sie zu ergreifen und ganz fest zu halten.
„Okay, aber erst trinken wir einmal etwas. Du hast bestimmt Kaffee zuhause?“ Ich stand auf und ging zur Kaffeemaschine. Eines der wenigen Dinge, die meinen Blutdurst zumindest für einige Stunden stillen konnte, war Koffein. Jedoch nur in großen Mengen.
„Also, wie sieht es ansonsten aus, mit euch in Vollmondnächten?“ Fragte ich, während ich den Filter einfügte. „Nicht anders, als bei anderen auch. Einige, die dem Wolf in uns noch näher sind, die fühlen sich in diesen Nächten vielleicht ruheloser, oder aufgeweckter, aber ansonsten gibt es keine Unterschiede, abgesehen von Alkohol. Manche von uns vertragen ihn kaum. Seltene sehr gut.“
„So wie die Frau heute Nacht.“ Stellte ich fest. Deshalb war sie durchs Fenster gekommen und es erklärte auch die Katzenhaare... oder eher Hundehaare.
„Also geht es ihr gut?“
Njal nickt. „Ja, vermutlich kommt sie gegen Tagesanbruch nach Hause... mit einem ordentlichen Kater.“ Er lachte und leerte das restliche Wasser.
„Und was ist mit mir. Was sind meine Stärken und Schwächen? Was weiß ich noch nicht?“
Njal verstummte wieder und legte die Stirn in Falten. „Nun, ja. Dass mein Blut dich stärker machen kann, weißt du bereits. Du hast eine gesunde Abneigung gegen Werwölfe, hast einen ewigen Blutdurst, den du jedoch durch Blut, oder Koffein stillen kannst.“
„Und Alkohol.“ Fügte ich hinzu. „Es unterdrückt das Brennen in meinem Hals.“
„Stimmt.“ Nachdenklich zählte er weiter auf, was er wusste. „Vampire leben eigentlich niemals alleine. Sie halten sich zumeist gefügige Blutmenschen, also lebende Blutbeutel.“
Ich erkannte in seinem Tonfall eine Frage und deutete auf die Kellertüre. „Ich habe in den letzten Jahren gelernt, Blut über Nadeln zu zapfen. Ich friere sie ein, versehe sie mit einem Datum und meist auch die Namen. Damit ich mich daran erinnere, was für ein Monster ich geworden bin.“
„Falsch! Du wurdest dazu gemacht!“ Korrigierte mich Njal streng. „Du trägst keine Schuld, du bist ein Opfer, vergiss das nicht.“
Ja, ein Opfer, dass anderen an die Venen gehen muss. „Okay, was noch?“
„Es gibt fünf Dynastien voller Vampire. Die drittgrößte und Nähersten ist hier in Europa, direkt in England, also eigentlich auf Irland. Oder eher dazwischen.“
Lachend unterbrach ich ihn. „Entscheide dich erst, sonst verwirrst du mich, mit zu vielen Fakten.“
Entschuldigend gelobte er Besserung. „Gut... Also es liegt zwischen Irland und England, jedoch stark nördlich. Der größte Vampirverbund liegt, wie zu erwarten in Nordamerika, sie profitieren stark an der hohen Obdachlosenrate.
Die anderen drei in Südamerika, Australien und in Afrika.“
„Afrika?“ Hakte ich nach. „Ich hätte jetzt eher mit Russland gerechnet.“
„Ja... Nein, die Kälte behagt Vampiren kein bisschen. Du wirst sie also weder in Alaska, hier auf unserer beschaulichen Insel, oder Ähnlichem finden. Nun, ja... bis auf besondere Ausnahmen.“ Scherzte er und lächelte frech.
„Gut und wer war dieser Prinz... Michael?“ Fragte ich nach.
„Prinz Michellé.“ Korrigierte er mich. „Seine Mutter ist einer der ältesten lebenden Vampire und reinblütiger, als alles andere, was unter ihnen wandelt. Ein Tropfen ihres Blutes auf deiner Lippe und du kannst dich die nächsten Stunden nur noch, als Monster und schrecken der Nacht bezeichnen. Etwas Furchtbareres, als sie, existiert nirgendwo auf der Welt. Ihr Sohn, Michellé, hat momentan die Rolle, als Familienoberhaupt. Unter ihnen gibt es noch etliche Fürsten, aber ich kenne keinen von ihnen. Zum Glück, sonst würde ich vermutlich, in einem Keller eingesperrt, ihr Hündchen spielen.“
Der Gedanke ließ sogar mich schaudern. „Ihr Sitz liegt in Frankreich und beinhaltete den zweitgrößten Familienclan. Zumindest den, mehr oder weniger, Verwandelten Teil. Sie denken, durch Verwandlung könnten sie zu mehr Macht kommen, doch das würde auch bedeuten, dass sie mehr Menschen brauchen, um zu überleben.“
„Das wäre ja furchtbar!“ Beklagte ich und nahm zwei frische Tassen aus dem Schrank, um darin Kaffee einzufüllen.
„Ja, das wäre es wahrlich. Aber was kann ich dir sonst noch erzählen?“ Dachte Njal nach und schüttete sich vier Löffel Zucker in den Kaffee.
„Du hast vorhin etwas mit erweiterten Fähigkeiten erwähnt. Was bedeutet das?“
„Vampire, die sich hauptsächlich von Werwölfen ernähren, neigen dazu Fähigkeiten wie Gedanken lesen, teilweise sogar Telekinese oder die Verwandlung in ein Tier, zu erlangen. Das Letztere ist jedoch ausgesprochen selten.“
„Okay, dann verstehe ich gut, weshalb sie Werwolfblut mögen, aber es gäbe bestimmt bessere Methoden, um daran zu kommen, oder? Es ist doch Unsinnig, sie wie Sklaven zu halten.“
„Schlimmer, Isles. Meine Wölfe werden, wie Tiere gehalten und dazu gezwungen auf ihre niedersten Instinkt zurückzukehren. Sie besitzen keine menschliche Seite mehr und fallen alles an, was sich auf zwei Beinen bewegt, sobald man sie von ihren Ketten lässt.“
Bestürzt fasste ich mir an die Lippen. „Und ich habe es auch getrunken... Ich schwöre dir hoch und heilig, dass ich nicht einmal mehr einen Einzelnen...“
„Nein, nein Isles. Ich wollte dir kein schlechtes Gewissen einreden. Du bist noch so viel Mensch, dass es mir regelrecht weh tut zu sehen, was man dir angetan hat.“ Sanft legte er seine Hand auf meine Wange und eine angenehme Wärme glitt über diese hinweg.
„Wie warm...“ Flüsterte ich und schmiegte mich in seine Berührung. Wie lange war es her, dass mich ein Mensch angefasst hat? Also richtiger Haut auf Haut Kontakt? Zwei Jahre? Erst jetzt erkannte ich, wie sehr ich mich danach gesehnt hatte, dass mich jemand so akzeptiert, wie ich bin. Andererseits... „Moment... Wieso fühlt es sich warm an, wenn du mich berührst, doch bei jedem Menschen ist es beinahe, wie ein elektrischer Stoß.“
„Wie meinst du das?“
„Wenn mich ein normaler Mensch berührt, also Hautkontakt aus Versehen herstellt, dann ist es, wie ein Stromstoß, der durch meinen Körper geht und mir... einen Kick verschafft. Alle meine Sinne stehen auf Fressen und ich sehe überall heiße pulsierende Venen anstatt Körper.“
Njal nahm seine Hand fort und ich trauerte ihr innerlich ein wenig hinterher. Also brauchten auch Monster gelegentlich Nähe? „Ich weiß nicht. Davon habe ich noch nie gehört. Vermutlich ist es ein Instinkt, der dir ermöglicht, die Beute schnell und effizient zu erledigen. Ehrlich gesagt, bin ich noch nie einem Frischling, wie dir begegnet. Normalerweise verbunkern sie ihre neugeborenen Kinder, wie kleine Babys und lassen sie erst mit fünf bis sieben Jahren wieder in die Welt hinaus.“
„Also hatte ich so etwas wie... Glück?“ Sonderlich glücklich fühlte ich mich trotz dieser >Freiheit< trotzdem nicht.
„Nun, ja. Wir vermuten, dass sie ihnen in dieser Zeit lehren, ihren Durst zu kontrollieren und sich selbst in ihrer neuen Form kennen zu lernen.“
Klang auch nicht gerade prickelnder, doch immer noch besser, als unwissend ausgesetzt zu werden. Bis man frei gelassen wird, denkt alle Welt, dass man bereits tot ist, doch ich? Ich musste ständig aufpassen, keinen falschen Schritt zu machen. Oftmals hatte ich mich sogar, wie ein Drogensüchtiger in Abstinenz gefühlt. Einfach schrecklich.
„Soll ich dich noch einmal berühren?“
Ich wollte schon >Ja!< brüllen und mich in seine Arme werfen, nur um endlich wieder etwas Hautkontakt zu haben, doch ich versteckte demonstrativ meinen Kopf hinter der Kaffeetasse. Diese Schmach würde ich mir bestimmt nicht geben.
„Okay, sag einfach Bescheid, wenn du einmal mit mir kuscheln möchtest.“ Dafür fauchte ich ihn an und zog meine Beine wieder hoch, um sie unter meinem weiten Wollpullover zu verstecken.
„Idiot.“ Nuschelte ich in meine Tasse und bekam dafür ein strahlendes Lächeln. Sofort meldete sich meine Abneigung gegen ihn wieder, doch dieses Mal wusste ich, woran es lag.
„Isles... ich wollte nur sagen... auch, wenn ich jetzt weiß, was du bist und deine wahre Geschichte kenne, ich dich deshalb nicht weniger mag, okay? Wenn irgendetwas ist, dann kommst du sofort zu mir. Ich meine es ernst. Ab jetzt will ich, dass du mir in allen Dingen vollauf vertraust. Nur so kann ich dich hier in Island beschützen, vor den anderen Wölfen.“
Ich nickte dankend und blickte beschämt zu Boden. „Danke, Njal. Aber ich verstehe nicht, wieso du mir immer noch vertrauen willst, wenn ich doch bereits deinen Gästen an die Venen gegangen bin. Ich meine... Viele von ihnen sind bestimmt, wie du und ich... habe sie einfach so ausgenutzt.“
„Du wusstest bis jetzt kaum etwas über dich selbst und absolut nichts über meine Art. Du hast dir alles selbst erkämpft und ironischerweise sogar am gefährlichsten Ort, der auf der ganzen Welt möglich wäre.“ Sein Blick munterte mich auf und seine Worte trösteten mich.

 

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Ein Vampir, der unter Werwölfen lebt? Seltsam, oder nicht? Besonders, da ich absolut keinen Unterschied bemerkt habe. Weder durch das Blut, noch durch ihr Verhalten. Sie sind vollkommen normale Menschen. Gründen Familien, arbeiten, sterben und lachen zusammen. Jeder macht sich die Hände schmutzig und kümmert sich auf dieser kleinen Insel, um die anderen. Natürlich gibt es auch Konkurrenzverhalten, doch inwiefern unterscheidet es sie vom Menschen?
„Weißt du, weshalb ich in Wahrheit im Spital arbeiten wollte und sogar jemandem in Führungsposition beeinflusst habe?“ Njal schüttelte nachdenklich den Kopf. „Weil ich den Menschen etwas zurückgeben wollte. Dafür, dass sie mich im wahrsten Sinne des Wortes am Leben erhalten, wollte ich ihnen im Gegensatz die Zeit erleichtern, in denen sie hilflos sind. Zumindest fühlt es sich für mich... einfacher dadurch an, ihnen etwas zu nehmen und unter anderem ist es einfacher jemandem meinen Willen aufzuzwingen, wenn sie mir vertrauen.“
„Und das tut man generell bei Schwestern, ich verstehe das.“
Ja, diese Methode beruhigte mein schlechtes Gewissen zumindest ein wenig. Trotz allem fand ich es immer noch fruchtbar, jemanden seinen Lebenssaft zu stehlen. „Ich wünschte nur, es gäbe eine einfachere Methode. Die Blutspenden kann ich auch unmöglich plündern, das wäre nicht fair den Menschen gegenüber, die es wirklich brauchen und ich finde es... unpersönlich... irgendwie.“
Njal schien tatsächlich Mitleid mit mir zu haben und schenkte mir noch die nächsten Stunden Trost. Da ich ihm leider nichts zu Essen anbieten konnte, blieb mir nur, ihm einen Platz zum Schlafen anzubieten, denn er wirkte ausgesprochen Müde. „Fährst du etwa jetzt nach Rejkavik?“
Ich nickte. „Ja, in fünfzehn Minuten, ich muss nur noch... etwas erledigen.“ Erklärte ich ausweichend und deutete auf die Kellertüre.
„Okay, tu nur, was du nicht lassen kannst, mich stört es nicht. Aber kannst du mich vielleicht mit nach Rejkavik nehmen? Ich wohne dort und bin viel zu Müde, jetzt noch selbst mit dem Auto zu fahren.“
„Selbstverständlich.“ Nachdem, wie er mich akzeptiert hat... und vor allem seine Worte... Das bedeutete mir alles sehr viel, besonders da ich zwei Jahre lang sehr abgeschieden gelebt hatte. Endlich wieder mit jemanden zu reden... ohne Lügen zu müssen! Es war regelrecht befreiend.
Eilig lief ich hinunter, um einen Blutbeutel zu holen, und legte ihn, wie letzte Nacht in die Mikrowelle. Eigentlich mochte ich es nicht, das Blut mit der Mikrowelle zu wärmen, da es einen seltsamen verbrannten Geschmack danach hatte, aber um es auftauen zu lassen, fehlte mir leider die Zeit.
Während meine >Mahlzeit< warm wurde, schlüpfte ich in meine warmen Stiefel und zog meinen Mantel über. „Oh, du bist schon fertig?“ Fragte Njal, als er aus der Toilette kam und ausgiebig gegähnt hatte.
„Nein, nicht direkt. Ich muss es in der Mikrowelle auftauen. Aber ich habe es gleich. Gib mir nur einen Moment.“
„Stopp!“ Befahl Njal plötzlich.
„Was denn?“ Irritiert sah ich ihn an.
„Du willst doch nicht im ernst, so zur Arbeit gehen?“ Aus seiner Stimme war ein leichtes Knurren zu hören, als er auf meine nackten Beine zeigte, die in einer kurzen Hose steckten.
„Oh... Nicht unbedingt, nein.“ Gab ich zu und eilte in die Küche, um meinen Beutel zu holen, welcher zwar immer noch etwas kalt war, doch wenigstens nicht mehr gefroren. Mit dem Beutel im Mund und den Stiefeln in der Hand rannte ich hoch, um mir >wettergeeignete< Kleidung anzuziehen, und hüpfte auf einem Bein, während ich den Beutel leerte, wieder hinunter.
Lachend nahm mir Njal den Beutel aus dem Mund, während ich versuchte in meinen zweiten Stiefel hinein zu kommen. „Was tust du denn da? Das sieht nicht sonderlich gesund aus.“ Scherzte er und stupste mit dem Zeigefinger lächelnd gegen meine Nase, während er den Blutbeutel neben sich, auf die Kommode legte.
Verwirrt über das warme Gefühl, das meine Wangen erfüllte, griff ich an meine Nase und rieb darüber, als würde so das Gefühl von selbst verschwinden.
„Alles in Ordnung?“ Fragten Njal und strich mit den Fingerspitzen sanft meinen Unterarm hinab. Ein Kribbeln und natürlich das ungewöhnliche warme Gefühl, folgte seinen Fingerspitzen.
„Ja.... Ja! Ähm... wir sollten los, sonst komme ich zu spät. Bestimmt sind die Straßen total verschneit nach letzter Nacht.“
Ein weiteres Mal zog ich meine Jacke an, setzte meine Haube auf und schlüpfte in meine Handschuhe, während ich unauffällig den leeren Blutbeutel hinter das Regal fallen ließ. Njal entging das jedoch nicht. „Wieso versteckst du es?“
„Nun, ja. Nenn mich paranoid, doch sollte jemand zufällig einen Blutbeutel hier irgendwo liegen sehen, dann glaube ich kaum, dass ich heil wieder nach Hause komme, oder?“
Das konnte er nicht abstreiten. „Stimmt. Aber ein paar Duftkerzen könnten ebenfalls ihren Zweck erfüllen.“ Nuschelte Njal, hielt mir die Türe auf und ich schloss hinter ihm ab, während er zu meinem Auto ging, und begann es mit dem Arm auszugraben.
„Na, toll. Blöder Schneeschieber!“ Fluchte ich, da schon wieder einmal ein Berg an meine Einfahrt hochgeschoben worden war. Innerlich fluchend, räumte ich mit der Schneeschaufel den Weg frei, doch warf Njal den Schlüssel zu, damit er derweilen einheizte, im Wagen.
„Sicher, dass ich dir nicht helfen soll?“
Ich winkte ab. „Nein, du hilfst mir schon alleine damit, wenn du mein Auto von dem weißen Zeug befreist.“ Ächzend schob ich mit Händen und Füßen einen Eisblock zur Seite, den ein normaler Mensch vermutlich nicht einmal bewegt hätte.
„So. Fertig!“ Rief ich aus und schleppte mich zurück zum Auto.
„Jetzt wo ich weiß, was du bist, sehe ich immer häufiger Anzeichen dafür.“ Überrascht sah ich Njal an, während ich meinen Wagen startete.
„Wie meinst du das?“
„So, wie ich es sage. Ich habe dich in der Bar noch nie etwas essen sehen, du wimmelst Leute ab, die das dreifache von dir sind, du zeigst keine Angst, egal wie furchteinflößend meine Gäste sein können und du fauchst mich an, wenn ich versuche, dir näher zu kommen.“ Der letzte Satz ließ mich erneut rot werden.
Vorsichtig parkte ich aus und fügte mich dem Verkehr ein. „Wie sieht das eigentlich aus, die... Nähe zwischen Vampiren und Werwölfen. Ich bezweifle, dass man so eine Beziehung akzeptieren würde. Auf beiden Seiten.“
Njal blickte mein Profil forschend an. „Das ist wahr. Ein Führer würde seinen Wolf vom Land, für so eine Frechheit, verjagen. Einen Vampir würde man dafür bei lebendigen Leibe häuten und den Wolf dann ihm vorwerfen, sodass der Blutdurst einem überwältigt und man das Problem selbst löst.“
„Klingt beides schrecklich.“ Meinte ich und verzog das Gesicht. Mir vorzustellen bei lebendigem Leibe gehäutet zu werden und dann auch noch meinen Geliebten töten zu müssen, da so etwas meinesgleichen nicht sehen wollen. Schrecklich und vor allem diskriminierend.
„Aber es gibt vereinzelnd Vampire, die Koexistieren mit Werwölfen. Sie leben, als eine Familie und ernähren und verstecken sich. Jedoch geht das nur hoch im Norden, wo es kaum Zivilisation gibt.“
„Schrecklich.“ Wiederholte ich meinen Gedanken laut. „Dann solltest du auch aufhören, darüber nachzudenken. Du weißt, dass es nur schlimm enden kann.“
Dieses Mal traf mich sein Blick beinahe so stark, wie eine Ohrfeige. „Das will ich auch, aber ich kann nicht. Manchmal kann man seine Gefühle nicht einfach abstellen. Manchmal sind sie zu stark, um sie zu ignorieren, und es fühlt sich zu gut an, als dass ich es versuchen möchte.“
Mein Herz schlug einmal höher. Was sagte er da? Täuschte ich mich etwa und er mochte mich nicht nur, sondern war sogar richtig in mich verliebt? Das verstörte mich etwas.
Überhaupt, dass jemand etwas für mich empfand, ist neu für mich. Dass mich jemand berühren wollte, und es sich nicht, wie ein Rausch anfühlte, ist überwältigend. Aber, dass sich jemand ernsthaft in mich verliebt haben könnte... „Nein, Njal. Das will ich nicht. Natürlich freut es mich, endlich jemanden zu kennen, der über mich bescheid weiß und ein mindestens genauso großer Freak ist wie ich.“ Njal lachte über meine Worte, doch schien keinesfalls davon verschreckt zu werden. „Aber ich kann jetzt keine Beziehung gebrauchen. Es hat mich Jahre gekostet, herauszufinden, was ich bin und wie ich mich verstecke. Jetzt lass mich erst einmal mit dem Gedanken anfreunden, dass ich ein ausgesetztes Kind bin, das man zum sterben zurückgelassen hat.“ Ich meinte jedes Wort ernst. Nicht nur das der Mistkerl versucht hatte, mich erfrieren zu lassen, damit ich zu schwach, für die Verwandlung war, nein zu allem Überfluss, hatte er mich auf einer Insel zurückgelassen, unwissend was ich bin, umgeben von Wölfen, die mich sofort töten würden, falls sie herausfinden, was ich bin.
„Okay, also... sind wir jetzt endlich Freunde?“
Ich warf Njal einen Seitenblick zu. „Ja, das würde mich freuen.“
Die restliche Fahrt schlief Njal, ich weckte ihn nur, um seine Adresse zu erfahren und ihn vor der Wohnung abzusetzen, danach fuhr ich ins Spital und ging an die Arbeit.

IV. Isles Skylander, die Tochter des europäischen Vampirkönigs

Mein Arbeitstag verlief heute ruhig. Leider führte diese Ruhe dazu, dass ich anfing, mir Gedanken zu machen und mich bei jedem Patienten zu fragen: Was bist du?
Gab es vielleicht mehr Vampire, wie mich, hier? Hatte er oder sie andere verwandelt? Ich konnte doch unmöglich das einzige, zufällige Objekt gewesen sein. Und wenn doch, wieso?
All die alten Fragen kamen wieder hoch und trieben mein Hirn geradezu in den Wahnsinn.
„Uh... Skylander. Sexy Besuch für dich!“ Verkündete die Schwester hinter der Rezeption des Stockwerkes, in dem ich heute Dienst hatte. Sexy Besuch? Für mich?
Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich in zehn Minuten Dienstschluss hatte, doch es fühlte sich an, als hätte ich noch eine Ewigkeit vor mir.
„Wow, ich wusste, nicht dass Schwestern so sexy aussehen dürfen.“ Ertönte eine bekannte Stimme laut durch den Flur und veranlasste einige meiner Kollegen über mich zu schmunzeln.
„Was? Du findest Schwesternuniformen sexy? Wir haben nicht mehr, als einen Leinensack an, der den Patienten Sauberkeit und Professionalität vermitteln soll.“ Gab ich zurück und legte mein, unglaublich spannendes, Tagesformular zur Seite, dass ich jeden Tag ausfüllen musste, da ich, so zu sagen, eine unterbezahlte Praktikantin war.
„Nicht unbedingt, aber langsam nervt es mich, dass du sogar in einem Leinensack sexy aussiehst, obwohl ich seit Wochen versuche, dass du in meiner Bar nicht so sehr auffällst. Langsam denke ich, es ist unmöglich, dass du nicht heiß aussiehst.“
Beschämt und vor allem überrumpelt von seinen, so ehrlichen, Worten ließ ich den Kopf sinken und wünschte, ich könnte mich hinter dem Tisch einfach in Luft auflösen. „Njal! So etwas sagt man nicht so öffentlich. Außerdem, interessieren mich deine Gedanken kein Stück, was suchst du überhaupt hier?“
„Ich dachte, es wäre offensichtlich. Dich.“
Mich? Wieso sucht er mich denn? „Gratuliere, du hast mich gefunden.“ Gab ich kühl zurück.
„Du hast mich heute Morgen nach Hause geführt und mein Auto steht noch vor der Bar. Ich dachte, du könntest mich am Heimweg wieder absetzen.“
Hinter mir ging Getratsche los, das ich absichtlich ignorierte. Aber Moment... jetzt kam mir dennoch etwas seltsam vor. Eigentlich hatte ich angenommen, dass Njal über seiner Bar wohnen würde, doch wieso ließ er sich von mir dann nach Rekjavik fahren? Das ergab keinen Sinn. „Ich habe heute Morgen nicht wirklich darüber nach gedacht... aber lebst du nicht über deiner Bar?“
Njal lächelte frech und lehnte sich über den Empfangstisch zu mir. „Ja, aber meine Mutter lebt hier. Ich dachte heute Morgen, dass ich so, etwas mehr Zeit mit dir verbringen könnte.“
Mein Kollege lächelte vielsagend zu mir auf und zwinkerte verschwörerisch. Was sollte das denn jetzt? „Von mir aus, ich nehme dich mit. Das Letzte mal!“ Drohte ich ihm und machte mich auf den Weg zu den Umkleiden, um meine Alltagskleidung wieder anzuziehen.
Wenig später, befanden wir uns auf der Heimfahrt. „Musstest du dich so peinlich vor meinen Kollegen verhalten?“ Fuhr ich ihn an.
„Ich? Eigentlich wollte ich nur jedem klar machen, dass ich dich bereits haben will.“
Haben will? Bin ich etwa ein Gegenstand?
„Freunde!“ Rief ich Njal ins Gedächtnis. „Funktioniert dein Gehirn etwa heute nicht? Ich sagte, mehr als Freunde sein, möchte ich nicht.“
„Aber du hast nie gesagt, dass nicht einmal mehr sein könnte, zwischen uns.“
Auch wieder wahr... Aber trotzdem!
„Ich empfinde nicht so für dich, Njal. Ich dachte, das wüsstest du mittlerweile.“
„Ich bin mir sicher, ich kann das ändern. Ich bin Barkeeper und sehe gut aus. Welche Frau kann mir denn da schon widerstehen?“
Seine Worte entlockten mit ein Lächeln. „Hältst du nicht etwas zu viel von dir? Nicht jede Frau steht auf einen Kerl, der sich jeden Abend in seiner Bar betrinkt und Frauen abschleppt.“ Gab ich kalt zurück, trotzdem verriet mein Lächeln mich.
„Als hättest du mich jemals jemanden abschleppen gesehen. Außerdem habe ich so wie so nur Augen für die hübsche Kellnerin, die für mich arbeitet.“
Die Augen verdrehend öffnete ich meinen Mund nicht mehr. Was sollte ich denn auch sagen? Langsam fing ich sogar an zu bereuen, dass Njal mein Geheimnis kannte, denn etwas hatte sich seitdem zwischen uns verändert. Plötzlich nahm er kein Blatt mehr vor den Mund, wenn er mir sagte, was er für mich empfand und schien richtig siegessicher zu sein. Aber wenn ich daran dachte, was uns passieren könnte... Niemals würde ich mit dem Gedanken weiterleben könnten, ihn ausgesaugt zu haben. Der einzige Freund, den ich seit langem besaß.
Ich setzte Njal vor seiner Bar ab und fuhr weiter, ohne mich zu verabschieden. Zuhause ließ ich erst einmal meinen versteckten Blutbeutel verschwinden, bevor ich unter die Dusche stieg und frisch einkleidete. Wenig später, stand ich in meiner Kellnerkleidung vor dem Spiegel und besah mich genauer.
Es hatte sich etwas geändert, das konnte ich ganz deutlich fühlen. Dies war nicht unbedingt eine körperliche Veränderung, im Gegenteil. Es ist eher etwas... seelisches? Oder Charakterliches? Jetzt wo ich wusste, es gibt mehr, als nur mich und ich lebte auch noch direkt mittendrin... fühlte ich mich nicht mehr verängstigt, oder wollte mich verstecken. Eigentlich bekam ich große Lust, meinen Gefühlen endlich freien Lauf zu lassen. Ich wollte es hinaus schreien. Jedem Vampir klar machen, was ich von ihnen hielt und dass sie mich... nun, ja dass ich sie nicht sonderlich mochte.
Aber was würde das ändern? Ich müsste fortziehen und wäre eine Aussätzige. Obwohl... bin ich das nicht ohnehin bereits? Der Vampir, welcher mich erschuf, hatte mich nicht haben wollen, ich war bloß Beute. Die Werwölfe würden mich auch niemals akzeptieren, dafür lag die Fehde, zwischen den beiden Wesen, viel zu tief in ihren Genen. Dabei waren sie nicht einmal so unterschiedlich. Sie wollten beide überleben und während die Wölfe ihre Tierinstinkte dafür aufgaben, schienen die Vampire ihre Menschlichkeit zu verlieren. Beide sind sie geborene Überlebenskünstler, die nicht zu unterschätzen waren. Aber was bin ich? Zu was gehöre ich? Äußerlich zu den Vampiren aber in mir drinnen? Ich weiß, ich bin kein Mensch, aber zu irgendetwas muss ich doch gehören. Trotzdem verstießen mich scheinbar alle drei Arten.
Seufzend starrte ich in meine dunklen, immer wilden Augen. Oft hatten die Lehrer gedacht, dass ich ein Mädchen bin, dass viel Ärger mit sich bringt, sich piercen lassen wird und tätowieren. Doch das habe ich niemals vor gehabt. Ich wollte nur, dass meine Eltern stolz auf mich sind und später in der Pubertät, dass sie mir nicht peinlich sind. Und dann mit siebzehn... es änderte sich einfach alles. Dieser verdammte Mistkerl, hatte mir einfach so mein Leben gestohlen, ohne mit der Wimper zu zucken.
Frustriert strich ich mein gefärbtes, welliges Haar hinter meine Ohren und band meine Stiefel. Keine Ahnung, wieso ich heute Absätze tragen wollte, doch ich hatte sie im Kasten entdeckt und... ich wollte einfach etwas rebellisches tun. Irgendwie zeigen, dass ich anders bin, anders sein kann. Zwar waren sie nicht hoch, doch mit meiner Größe, fühlte ich mich damit beinahe, wie ein Riese. Nicht, dass ich klein bin, ich bin gute einen Meter sechsundsiebzig, doch mit diesen Schuhen... es war einfach etwas anderes, als immer die bequemen Stiefel zu tragen. Vielleicht reizte es mich deshalb?
Eine Stunde später betrat ich, durch den Hintereingang, das Lokal von Njal und streifte meinen Mantel ab. Säuberlich hing ich ihn auf den Kleiderhaken, direkt neben Njals Sachen und stopfte meine Mütze, so wie meine Handschuhe in die Taschen.
„Isles? Bist du das?“
„Ja!“ Rief ich die Stiegen hinauf. Die Bar war noch dunkel gehalten, offenbar war Njal heute noch überhaupt nicht herunten gewesen. „Bist du noch oben?“ Rief ich, als ich nicht wusste, was ich tun sollte. Normalerweise richtete Njal jetzt in der Bar alle Tische her und ich half ihm dabei, doch hier zu stehen und dämlich in die Dunkelheit zu blicken, wollte ich auch nicht unbedingt.
„Komm rauf.“ Ertönte seine Stimme plötzlich an der Treppe.
Hinauf? Wieso? Bisher bin ich kein einziges Mal bei ihm oben gewesen, wieso sollte ich jetzt plötzlich? „Wieso? Wir sollten jetzt herrichten, sonst öffnen wir nicht pünktlich.“ Schimpfte ich mit ihm.
„Jetzt komm schon und nörgle nicht herum!“
Ich und nörgeln? Das ist gemein! Verstimmt eilte ich mit klappernden Schritten die dunkle Treppe hinauf und stand direkt in seinem Wohnzimmer. „Wer nörgelt hier?“ Fragte ich fauchend und bekam dafür ein strahlendes Lächeln.
„Setzt dich, ich lasse heute geschlossen.“
Geschlossen? „Und dafür konntest du mich nicht anrufen, sondern lässt mich antanzen?“
Sein Blick sagte mir, dass er es nicht böse meinte, doch trotzdem fühlte ich mich verletzt. Jetzt hatte ich vollkommen umsonst Sprit verfahren. „Sei mir nicht böse, ich möchte dir eigentlich nur etwas anbieten.“ Anbieten? Ich verstand es nicht.
„Was könntest du mir denn noch anbieten? Ich arbeite doch bereits für dich.“
„Ich meine, damit du niemandem mehr Blut nehmen musst, ich gebe es dir freiwillig, was hältst du davon?“ Njal strahlte mich an, als wäre es die beste Idee, die jemals jemand gehabt hatte, doch der Blick verschwand, als er mein wutentbranntes Murren vernahm.
„Hältst du das etwa für einen Witz?“
„Nein! Was? Natürlich nicht. Ich meine das vollkommen ernst. Du hast doch gesagt, dass du dich schuldig fühlst, weil du unschuldigen ihr Blut stehlen musst, doch wenn ich es dir freiwillig...“
Rasend vor Wut packte ich ihn am Kragen und hob ihn einen halben Meter über den Boden. „Denk niemals wieder, dass du dich ungestraft über mich lustig machen kannst! Wenn du noch einmal so einen Unsinn von dir gibst, wirst du mich niemals wieder sehen, ist das klar!“
Njal nickte panisch und ich ließ ihn wieder auf den Boden sinken, wo er gierig nach Luft schnappte. „Ich... Entschuldige, ich wusste nicht...“
„Du wusstest was nicht Njal? Dass ich nicht das Monster bin, für das man mich allgemein hält? Ich bin, verdammt noch einmal, nicht dumm Njal! Egal wie naiv ich dir erscheine, vergiss niemals, dass ich zwei Jahre lang, unbemerkt hier gelebt habe, ohne einen Fehler zu machen. Vermutlich bin ich jung und weiß nichts über diese Welt, aber so etwas... so etwas würde ich niemals jemandem antun!“ Niemals möchte ich so sein, wie die anderen Vampire. Blut von einem Werwolf zu stehlen, um stärker und schneller zu werden. Lieber lebte ich da mein erbärmliches Leben, welches ich bisher geführt hatte, als Njal zu so einem Packt zu zwingen.
Njal kam hustend wieder auf die Beine und strich sich das Hemd zurecht. Aus seinem Blick wich jedoch jegliche Panik und zurückblieb nur noch Zuneigung. Langsam ging er auf mich zu, doch da ich nicht zurückwich, sondern ihm stur entgegenblickte, legte er seine Arme um mich und zog mich in eine einseitige Umarmung. „Entschuldige. Ich wollte nicht... Ich wollte dich nicht verärgern.“ Njals Worte ließen meine Wut verrauchen. Er hatte ja recht. Ich habe überreagiert.
Unsicher legte ich meine Stirn an seiner Schulter ab und atmete hörbar aus. „Erschreck mich nur bitte niemals wieder so sehr.“ Bat ich aufrichtig.
„Schon gut.“ Zärtlich strich er über mein abgedunkeltes Haar und zog mich fester an sich. Njal machte es mir nicht gerade einfach, ihn zu akzeptieren. Natürlich wusste ich, was er für mich empfand und verstand, wie ernst es ihm war, doch dies war nicht dasselbe, was ich für ihn empfand. Njal ist ein liebenswerter und aufrichtiger Mann, der sich seiner Ausstrahlung und Macht über schwache Frauen durchaus bewusst war, doch ich wusste bereits jetzt, dass ich niemals mehr, als meinen Kollegen, oder meinen Freund in ihm sehen würde.
„Willst du jetzt die Bar noch geschlossen lassen, oder öffnest du sie endlich?“
Schnaufend gab Njal auf und nickte. „Okay, gehen wir.“
Eilig lief ich die Treppen wieder hinunter, als könnte ich das geschehene einfach so zurücklassen, doch seine Worte verfolgten mich innerlich. Njal hatte mir wirklich sein Blut geben wollen. Werwolfblut. Das Einzige, was mich effektiver, stärker machen konnte. Aber das wollte ich doch überhaupt nicht.

 

- - - - -

 

Zwar öffneten wir eine Stunde später, doch das spielte keine Rolle. Unsere Gäste kamen artig, als wäre es überhaupt nicht länger, als gewöhnlich geschlossen gewesen und alles verlief, wie an jeden anderen Abend. Nun, ja. Zumindest beinahe alles.
„Könnte ich Kaffee haben? Schwarz, bitte.“ Bat ein Fremder an der Bar und ich nickte bestätigend.
„Natürlich. Lange Nacht?“ Wenn ein Mensch Kaffee um diese Uhrzeit schwarz trank, dann konnten es nur Überstunden sein. Obwohl, so gut angezogen, wie er war und gepflegt wirkte er auch... Vielleicht ein Geschäftsmann auf der Durchreise?
„Keine Nacht ist kürzer, oder länger, als die andere. Das ist bloße Ansichtssache.“ Lächelnd konnte ich ihm nur zustimmen. Mir kamen die Nächste auch manchmal länger und andere Male kürzer, als gewöhnlich vor, obwohl die Zeitgeschwindigkeit sich doch niemals änderte.
„Auch wieder wahr. Noch etwas?“ Der Mann lehnte dankbar ab und ich ging in die Küche, um eine große Platte abzuholen. Als ich zurück an die Bar kam, hatte der seltsame Mann seinen Kaffee geleert und blickte mich bittend an. „Sind Sie sicher? Nicht dass Sie mir nach Hause fliegen, anstatt gehen.“ Scherzte ich, doch drückte ihm noch einen Kaffee herunter. „Ich habe meinen Boss nämlich überredet, eine neue Sorte zu verwenden. Sie ist effektiver, als die Billigprodukte.“
„Kennen Sie sich etwa mit Kaffee aus?“ Offenbar brauchte der Mann jemandem, mit dem er sich unterhalten konnte. Solche Leute traf ich hier oft an. Sie schütteten einem betrunken die Seele aus, doch der Mann schien nüchtern zu sein.
„Nun, ja. Ich habe eine Leidenschaft für Kaffee entwickelt, seit ich zwei Jobs habe. Also ein bisschen.“
„Sie besitzen zwei Jobs? Beeindruckend. Ich nehme an, dies hier ist Ihr Nebenjob?“ Ich nickte, doch würde ihm bestimmt nicht verraten, wo ich ansonsten noch arbeite. Beim besten Willen konnte ich keine Stalker gebrauchen und wer wusste schon, welche Geheimnisse in den Menschen steckte?
„Ja ist es.“ War das Einzige, was ich dazu sagte.
„Ich habe früher auch sehr viel gearbeitet. Beinahe tagein und tagaus. Bin auf Feldern gestanden und habe mir meine Hände und meinen Rücken ruiniert.“ Dafür besaß der Kerl jedoch eine besonders gerade Haltung.
„Ich würde sie weniger, als ein Bauer, als eher einen Geschäftsmann einschätzen.“ Meinte ich ehrlich und reichte ihm seine zweite Tasse, schwarzen Kaffee. Wenn ich zwei Tassen schwarzen Kaffee trank, dann nur, weil ich hungrig wurde. Langsam wurde mir der Mann wirklich sympathisch.
„Ein Geschäftsmann trifft es gut. Wissen, Sie. Ich suche nämlich jemanden.“
Ach, daher wehte also der Wind. „Ich nehme an, dass dieser Jemand in dieser Bar für gewöhnlich herum hängt, oder zumindest einmal hier gesehen wurde.“ Stellte ich fest.
„Ja, ehrlich gesagt, sie ist meine Tochter, doch wir stehen nicht allzu gut zueinander.“ Eine Volljährige, die hier manchmal abhing? Der Kerl sah kaum älter als vielleicht dreißig aus. Dicke Augenbrauen verdeckten seine, beinahe schwarzen Augen und sein dichtes dunkelbraunes Haar, war gepflegt zur Seite gekämmt. Wollte er nun wild oder adrett wirken?
„Ihre Tochter? Wann haben Sie sie gezeugt? Mit zwölf?“ Scherzte ich und nahm ihn nicht mehr ernst. Das sollte wohl ein Witz sein, dass ein Mann in seinem Alter eine Tochter besaß die so alt, wie ich sein sollte. Vielleicht sogar älter?
Ein Lächeln legte sich auf seine, von der Kälte, spröden Lippen und er lehnte sich über die Bar vor. „Sie glauben mir also nicht?“
In dem Moment hörte ich, wie Njal in der Küche über das heiße Wasser fluchte und verärgert heraus stampfte. „Ich schwöre dir! Morgen wechsle ich diesen verdammten...“ Njal erstarrte mitten im Satz, so wie der Bewegung und ein grimmiger Ausdruck breitete sich auf seinem, ansonsten so freundlichen, Gesicht aus.
„Guten Abend, Njal.“
Njal schob sich langsam auf mich zu und nahm meine Hand in seine. „Was suchen Sie hier?“ Fragte er und ein bedrohliches Knurren drang aus seiner Kehle, welches sieben Köpfe zu ihm herumschnellen ließ. Jedoch blickten die Gäste dabei nicht Njal schockiert an, oder etwas dem Ähnlichen. Sie fixierten alle den Fremden, wissend.
„Was denkst du denn, was ich hier suche? Natürlich mein Eigentum.“ Erklärte der Mann, der sieben starke Werwandler gleichzeitig nervös machte, während er elegant und völlig unbeeindruckt seinen Kaffee schlürfte. Er spreizte sogar seinen kleinen Finger weg, wenn er nippte. Wer tat das heutzutage noch?
Njal warf mir einen Blick zu und da verstand ich plötzlich. Nur ein einziges Wesen konnte acht Werwandler gleichzeitig nervös machen.
Vampir!
Panisch schoss meine Herzleistung auf ihren Höhepunkt zu, während aus meiner Kehle ein tiefes animalisches klingendes Knurren erklang. „Na, na. So knurrt man doch keinen Adeligen an!“ Tadelte er mich und stellte die leere Tasse wieder ab.
„Mir egal wie man Abschaum wie...“ Eine Hand schlug auf meinen Mund und hielt ihn zu, sodass ich nicht mehr sprechen konnte.
„Sie ist ein Welpe und weiß nicht, was sie sagt.“ Entschuldigte sich Njal für mich. Was hieß hier überhaupt Welpe? Ich bin verdammte neunzehn Jahre alt und ein zweijähriger Vampir!
Na, gut. Zweites war vielleicht nicht sonderlich imposant, aber ich bin neunzehn! Kein kleines Kind! „Geh hinauf in meine Wohnung und komm nicht herunten, wenn ich dich nicht hole.“ Befahl er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ.
Sein strenger Ton veranlasste mich, einige Schritte zu tun, doch der Vampir verhinderte es, indem er, von einem Moment auf den anderen, vor mir stand und die Hand hielt, die eben noch in Njals gelegen hatte. „Aber wieso so schnell gehen? Euer Ehrengast ist doch eben erst eingetroffen.“
„Und er ist mächtig in der Unterzahl!“ Knurrte ich aus der Tiefe meiner Kehle und sieben Wölfe bewegten sich gleichzeitig aus ihrer sitzenden Position hoch. Sie mochten es also genauso wenig, wie ich, dass ein Vampir dachte, er könnte jedem etwas befehlen.
„Lass das. Leg dich niemals mit einem Vampir an!“ Schimpfte Njal und stellte sich wieder neben mich, als könne er so den Vampir verscheuchen. Und diese Worte kamen ausgerechnet aus seinem Mund!
„Wie es aussieht, hat hier jemand nicht seinen Welpen im Griff.“ Welpen! Schon wieder dieser Ausdruck! Wieso nannten sie mich einen Welpen, wenn ich doch ein Vampir bin und kein... Weil mich ansonsten die anderen Wölfe nicht beschützen würden! Ich bin ein solcher Idiot!
„Es tut mir leid, Njal.“ Entschuldigte ich mich bei ihm, denn einem Vampir... Abschaum, wie diesem Dreckskerl würde ich mich niemals dermaßen unterwerfen.
Der Vampir ließ meinen Arm los und ich tat so, als hätte es weh getan. In Wahrheit hatte ich nichts, außer festen Druck gespürt.
„Schon gut, Schwesterchen.“ Beruhigte mich Njal gespielt und zog mich in eine Umarmung. Dafür würde er später leiden! Andererseits war es vermutlich auch gut so. Noch hatte ich keine Abendmahlzeit gehabt, weshalb mein Atem nicht nach Blut roch. Wer wusste jedoch schon, was die anderen, zu meinem fehlenden >Wolfskörpergeruch< sagen würden, sobald es ihnen auffiele?
„Gut, dann komme ich hiermit zu meinem Anliegen. Vor zwei Jahren, habe ich hier etwas gewütet. Natürlich, wie ihr gut wisst, bleibt es hierbei nicht nur bei ein paar Opfern, sondern eine davon, hatte wohl einen stärkeren Willen, als das gut für sie gewesen ist.“
Ich wusste sofort, dass er von mir sprach, doch Njal drückte mein Gesicht fester an seine Brust, um mir zu verdeutlichen, dass ich zu schweigen hatte. Idiot!
„Also hast du vor zwei Jahren einen Vampir erschaffen und ihn noch nicht abgeholt?“ Fragte eine Stimme aus der hinteren Reihe.
„Ja. Ich dachte mir eigentlich, dass ihr sie schon zerfleischen würdet, denn kein Vampirbaby ist in der Lage sich vor Menschen zu verstecken. Sie sind dumm und einfallslos.“ Seine Worte trafen mich härter, als sie es sollten und Njal verstärkte seinen Griff um mich weiterhin.
„Wenn hier ein Baby herumlaufen würde, dann würden wir es merken. Vermutlich ist es schon längst weiter gezogen.“ Knurrte ein näher stehender Werwolf.
Der Vampir verzog das Gesicht und fauchte bösartig, wobei er seine Zähne deutlich zeigte. „Ich bezweifle, dass ich jetzt hier stehen müsste, wenn ich sie nicht direkt fühlen könnte. Ich weiß, dass ihr Wölfe sie versteckt, aber noch nicht wo.“
Einstimmiges Lachen erklang. „Als ob wir Abschaum, wie dich verstecken würden!“ Knurrte ein anderer Werwolf.
Von einem Moment auf den anderen, flog ein Kopf quer durch den Raum und der restliche Körper sackte wie ein Stück Fleisch, was es ja auch war, zusammen. Im nächsten Moment geschah alles ganz schnell. Njal stieß mich in Richtung Küche und schrie mich an, dass ich das Weite suchen solle, doch noch während ich seine Worte in meinen Ohren nachhallen hörte, sackten zwei weitere Körper auf den Boden und vier menschliche Wölfe, sprangen gleichzeitig, auf den scheinbar unbewaffneten Vampir hin. Er wehrte sie ab, als wären sie lästige Fliegen und schleuderte sie durch die Luft. Derjenige jedoch, welcher auf Njal zuflog, schockierte mich am meisten. Es passierte beinahe im Zeitlupentempo. Alle schien langsamer, als nur in Zeitlupe zu laufen, denn ich konnte rechtzeitig über den Tresen springen, um zu verhindern, dass der schwere Körper Njal traf und ihn unter sich begrub. Als würde die Zeit eben nicht still stehen, senkte ich den schwebenden Körper auf den Boden, sodass er sich nicht das Genick brechen konnte, und blickte in die schockiert werdenden Augen des Vampirs. Er hatte drei Wölfe getötet! Er hatte sie getötet, ohne mit der Wimper zu zucken, dabei verteidigten sie doch lediglich ihr Revier! Dreckskerl!
Meine Faust traf den, beinahe erstarrten, Vampir so hart, dass er gegen die nächstgelegene Mauer prallte und dadurch hindurch, nach draußen, auf den gefrorenen Asphalt kugelnd, und mitten im Verkehr liegen blieb.
Augenblicklich ging die Zeit weiter und Njal duckte sich erschrocken hinter die Bar, jedoch war das >gefährliche Flugobjekt< bereits von mir entschärft worden, sodass ihm nichts geschah.
„Isles?“
„Ja!“ Ich lief zu Njal und ließ mich von ihm wieder in eine Umarmung ziehen. Langsam fühlte ich mich, wie ein Kuscheltier und das war mir keinesfalls recht!
„Was ist passiert? Wo ist er hin?“ Fragte Njal und ich deutete auf das große Loch, wo vor zwei Sekunden noch seine Türe gewesen war. „Hast du das etwa getan?“
Ich nickte. „Ja, ich... ich weiß aber nicht wie. Plötzlich ist alles still gestanden und...“ Mein Kopf fing sich an zu drehen und der Geruch von Blut stieg mir so stark in die Nase, dass mir beinahe schlecht wurde. Nicht schlecht ,weil ich es ekelhaft fand. Nein, mir wurde schlecht vor Hunger.
„Mist verdammter!“ Fluchte ich. Ich hatte heute noch keinen Gast angeknabbert, daher war es ein Wunder, dass ich nicht bereits beim ersten Tropfen von diesem süßen Lebenssaft an die Decke gegangen bin.
Meine Zähne machten sich bemerkbar und stachen durch mein Zahnfleisch hindurch hinaus. Ihr Sinn bestand lediglich aus einem... trinken! „Ich muss ganz schnell heim!“ Ich wollte bereits durch das Loch springen, was der Vampir durch meine Kraft geschaffen hatte, doch Njal zog mich so plötzlich zu sich, dass ich den Halt verlor und rückwärts auf dem Boden landete. Im nächsten Moment bedeckte ein Körper den meinen und das heiße, drängende Gefühl, meine Zähne in etwas zu schlagen, wurde klarer.
„Njal du musst...“ Nuschelte ich durch meine geschwollenen Lippen, doch dann roch ich es wieder. Blut... Blut, das nach Njal roch!
„Nimm es, sonst wird es zu spät sein.“ Ich fühlte noch, wie ich stur den Kopf schüttelte, doch dann sah ich bereits diese dicke Ader, die Sattheit versprach, und meine Zähne taten den Rest. Sie wussten, wo sie ansetzen müssen und wie viel Druck ich aufbringen musste, um die hauchzarte Haut zu stechen, doch nicht seine Kehle dabei zu zerfetzen. Plötzlich war mein Mund voll von den köstlichen Himmelssäften und erfüllten alle meine Sinne mit ihrem einzigartigen stillenden Gefühl. Ein Schluck.
Zwei.
Drei.
Dann durchatmen. Das wusste ich bereits. Durchatmen und zuhören. Njals Herz schlug schnell, doch das Mittel in meinen Zähnen schien bereits seine Arbeit zu leisten. Es erfüllte seinen Körper mit dem Gefühl zufrieden zu sein und dem Versprechen, dass er sich danach an nichts mehr würde, erinnern können. Mein armer Njal... Was ich ihm da antat, war zu schrecklich, als dass er sich daran erinnern sollte.
Anders, als bei meinen anderen Spendern, zog ich meine Zähne genauso vorsichtig wieder heraus, wie ich sie hatte, hinein gleiten lassen und küsste zärtlich die Stelle, an der sich bereits ein kleiner Bluterguss gebildet hatte.
Zufrieden glitten meine Zähne zurück in mein Oberkiefer und legten sich zur Ruhe, für die nächste Beute. „Danke Njal...“ Flüsterte ich in sein Ohr und vergrub mein Gesicht an seiner Schulter. Was er da für mich getan hatte, so etwas konnte ich ihm niemals zurückgeben.
„Dafür das du dich beim ersten Mal so gewehrt hast...“ Scherzte er leicht betrunken klingend und stützte sich über mir mit seinen Händen ab, sodass seine Muskeln unter dem Hemd spannten.
„Du weißt, ich wollte das nicht. Ich wollte dich niemals beißen. Ich bin nicht so. Ich tue so etwas nicht!“ Rechtfertigte ich mich mit Tränen in den Augen.
„Isles, ich habe es freiwillig getan. Und ich werde es jederzeit wieder tun. Du brauchst mich nur zu fragen.“ Njal verlagerte sein Gewicht auf die rechte Seite, sodass er meine Tränen mit der linken Hand fortwischen konnte.
„Du solltest so etwas nicht tun. Nicht für mich.“ Er ist so ein Idiot! Wie konnte er so etwas bloß, für ein Monster, wie mich, tun? Freiwillig!
„Für dich lasse ich mich sogar anketten und ausbluten.“ Schwor er und überbrückte die letzten Zentimeter, die unsere Gesichter trennten, um mich zu küssen. Der Kuss fiel nicht zärtlich aus, aber auch nicht leidenschaftlich. Es war mehr ein Kuss, der einen Schwur besiegeln sollte. Einen Schwur, von dem ich niemals Gebrauch machen würde, denn vielleicht wurde ich zu einem Monster gemacht, doch deshalb wollte ich mich noch lange nicht, wie ein solches Benehmen.

 

- - - - -

 

„Komm schon! Du bist bereits den zweiten Tag zuhause, du kannst nicht Ewig schmollen.“ Erklang es in meinem Anrufbeantworter.
Genervt löschte ich die siebzehnte Nachricht von Njal und nuckelte weiter an meinem Blutbeutel. „Idiot.“ Schimpfte ich seine Stimme.
Ja, es stimmte. Seit zwei Tagen war ich nicht zur Arbeit erschienen. Weder in der Klinik, noch in der Bar. Nun, ja. Die Bar, war wegen Ermittlungen geschlossen worden und die Polizei suchte nun auf unserer kleinen Insel Island, nach einem Terroristen. Kann man sich so etwas vorstellen? Welchen Unsinn die Menschen nur alles glauben, sobald es von einem Polizisten kam, oder generell von Behörden. Jedoch war der >Anschlag< des Vampirs nicht der Grund, weshalb ich immer noch in meiner Jogginghose zuhause saß und Trübsal blies. Nein, es lag eher an Njal.
Njal dieser Idiot, hatte mir sein Blut gegeben, damit mich nicht meine niederen Instinkte übernahmen und ich wahllos anfing zu töten. Jedoch hatte sich seitdem etwas geändert. Njal hatte mir auch geschworen, sich das Schlimmste, nur für mich, antun zu lassen. Dabei wollte ich das überhaupt nicht.
Und dieser Idiot besiegelte diesen Schwur auch noch mit einem Kuss!
Einem verdammten Kuss!
Wie dämlich konnte ein einzelner Mensch nur sein? Mich gegen meinen Willen zu küssen hätte Njal beinahe sein Gesicht gekostet. Vor überschwappenden Zorn hatte ich ihn von mir geworfen und er war wenige Meter weiter auf dem Boden aufgekommen, doch ohne sich schlimmere Verletzungen zu zuziehen. Zum Glück. Danach bin ich einfach verschwunden und habe seitdem mein Haus nicht verlassen. Weder für die Arbeit, noch um Blutnachschub zu holen. Nun, ja vielleicht nicht gerade meine klügste Entscheidung, doch für die nächsten Tage reichte mein Vorrat.
Ich ließ die nächste Nachricht abspielen. „Hallo, Isles. Ich bin es schon wieder. Ich weiß, dass du meine Nachrichten löscht und langsam bin ich wirklich wütend darüber. Wenn du mich bis sechs nicht zurückgerufen hast, dann werde ich vorbei kommen und dich anschreien. Ist das klar?“ Stille folgte und ich hörte sein Seufzen. „Nun, ja. Vermutlich mehr anbetteln, als schreien, aber ich bin trotzdem sauer, dass du meinen Kuss mit einem Tritt quittiert hast!“ Damit endete die Nachricht und ich löschte sie schmunzelnd.
„Idiot.“ Wiederholte ich, nur dass ich mich dieses Mal, nicht darüber ärgern musste, sondern lächelte.
Ich spielte die letzte Nachricht ab, die sich auf meinem Anrufbeantworter befand. „Isles? Ein schöner Name.“ Schon am ersten Klang der Stimme, war mir bewusst geworden, dass diese Nachricht, ausnahmsweise, nicht von Njal stammen konnte. „Welch Ironie, dass ich dich beinahe übersehen hätte. Du hast so gut, wie überhaupt nichts, von einem Vampir, mein Kind. Keine elegante Ausstrahlung, keinen Geschmack für Kleidung und an deiner Aussprache mangelt es an Höflichkeit.“ Was sollte das denn jetzt werden? Ein Test, ob ich gut genug bin, um ein Vampir zu sein?
„Dreckskerl!“ Schimpfte ich den unschuldigen Anrufbeantworter.
„Aber das ist egal, das wirst du noch lernen. Das lernt, normalerweise, jeder Vampir in seinen ersten Jahren. Jedenfalls finde ich es schade, dass ich dich erst jetzt suchen konnte. Bisher war ich geschäftlich unabkömmlich und um ehrlich zu sein... ich dachte nicht, dass du in dieser feindlichen Umgebung überleben würdest. Aber sieh an... Aus dir ist ein großes Mädchen geworden.“
Groß? Ich hatte mich kein bisschen vom Aussehen geändert, seit ich siebzehn bin!
„Deshalb nehme ich dich auch mit nach Hause. Ich kann es immerhin nicht riskieren, dass du anderen Vampiren in die Hände fällst. So klug, wie ich dich einschätze, musst du wissen, dass du besser freiwillig mit mir mitkommst, denn ich bin der Einzige, der dir lehren kann, was du bist. Und vor allem, was ich aus dir machen werde in den nächsten Jahren.“ Damit endete es.
Eigentlich hatte ich den Anrufbeantworter nur abgehört, da mir das Ständige piepen auf die Nerven gegangen war, jetzt jedoch, war ich sogar ernsthaft froh darüber, es getan zu haben. Ich konnte mir kaum vorstellen, wie ich reagiert hätte, wenn ich abgehoben hätte!
Dieses kalte Biest hatte drei Wölfe, ohne einen Sinn für Gnade, getötet und wollte vier weiteren dasselbe antun. Und so jemand hatte mich verwandelt? Dieses... Monster... hatte ich überlebt, als unschuldiger Teenager? Aber wieso? Ich verstand es einfach nicht.
Klopfen an der Türe, ließ mich erschrocken aufschreien. Im nächsten Moment wurde die Türe aufgerissen und Njal stand bei mir in der Küche. „Was ist passiert?“ Knurrte er und streifte sich die verschneite Haube vom Kopf, während er so aussah, als würde er gleich alles zerfleischen.
„Du! Du Idiot!“ Schrie ich ihn an und lief die Treppe zu meinem Zimmer hinauf. Dort warf ich die Türe lautstark zu, so wie ich es immer getan hatte, als meine Eltern noch gedacht hatten, ich hätte mich in dieser verdammten, verschneiten Nacht, vor zwei Jahren, umbringen wollen. Das war einfach nicht fair!
„Isles?“ Fragte Njal an meiner Türe.
„Verschwinde oder ich werfe dich hinaus!“ Brüllte ich ihn an und steckte meine nackten Beine unter die Decke.
„Isles, wenn es wegen dem Kuss ist...“
„Scheiß auf diesen verdammten Kuss.“ Unterbrach ich ihn wütend. „Nicht alles dreht sich nur um dich! Du bist... Du bist schuld an allem! Wieso bist du überhaupt hier her gekommen?“
„Ich?“ Njal öffnete vorsichtig die Türe. Als er sah, dass ich ihn nicht an die Kehle sprang, trat er ein. „Woran bin ich denn schuld? Was habe ich getan?“ Seine Stimme klang besorgt und in seinen Augen spiegelte sich ernsthafte Sorge.
Genauso hatten sie mich angesehen. Genau... genau so! Diese Sorge und das Wissen, dass etwas mit mir nicht stimmt. Ihre Angst... vor mir! Ihrer Tochter!
Alles schien plötzlich wieder in meinem Kopf hochzukommen, wie eine alte Wunde, die von neuem aufgerissen wurde. „Du bist schuld daran, das mich dieses Monster gefunden hat. Du bist schuld daran!“
„Der Vampir? Wieso kommst du auf die Idee, dass ich dich verraten haben könnte?“
Das fragte er auch noch? „Ich bin ein Vampir, Njal. Ich bin so, wie dieser Dreckskerl. Also, wie viele Gründe brauchst du noch?“ Fauchte ich ihn an.
„Isles, so etwas würde ich dir niemals antun. Du weißt doch, was du mir bedeutetest und die Vampire würden deinen Hass auf mich, nur noch weiter schüren. Ich werde nicht zulassen, dass dir dieser...“
Ein Läuten an der Haustüre ließ ihn verstummen und meinen Herzschlag ins unermessliche Steigen. „Isles... bleib hier sitzen und...“ Njal kam nicht einmal dazu, seine Worte fertig zu sprechen. Ich rauschte an ihm vorbei und polterte die Treppen, mit halb gebleckten Zähnen, hinab. An der Türe stoppte ich und ballte die Hände zu Fäusten, als könnte ich den Eindringling dadurch fortwünschen.
„Wer ist da?“ Brüllte ich durch die Türe hinaus.
„Dein Vater natürlich, ich habe dir doch heute Mittag auf die Box gesprochen.“ Ich erkannte die Stimme des Mannes wieder, der mich erschaffen hatte, und fauchte lautstark.
„Welche Nachricht?“ Flüsterte Njal an meinem Ohr.
„In der Küche. Er hat mir eine Nachricht darauf gesprochen.“ Gab ich zu.
„Wieso hast du das nicht eher gesagt? Ich wäre mit dir untergetaucht!“ Knurrte Njal verärgert.
„Ich habe sie eben erst abgehört, dann bist du gekommen.“ Und offenbar nicht alleine. Ob das auch ein Zufall war? Oder wurde ich einfach paranoid, nach all den Jahren?
„Isles, mach bitte auf. Wir wissen beide, dass du es nicht mit mehreren Vampiren aufnehmen kannst. Du bist ein kleines Kücken. Du gehörst zurück in dein schützendes Nest.“ Belehrte er mich durch die Türe, als wäre ich eine entflohene Irre.
„Ich weiß, dass ich dich schon einmal auf den Boden gebracht habe, alter Mann. Zudem konnte ich mich vor den Werwölfen gut genug verstecken, sodass niemand herausfand, was für ein Monster du aus mir gemacht hast. Also denke ich, nein! Ich bin die Letzte, die kampflos untergeht.“
Seufzen ertönte vor der Türe.
„Isles, wenn du jetzt wegläufst, dann...“
„Dann was? Dann benutzt er dich als Druckmittel? Nein danke. Lieber sterbe ich mit meinen Zähnen in seinem Hals.“ Fauchte ich Njal an.
„Kind, sieh es ein. Wir sind drei starke Vampire und du noch ein kleines Kind.“
Ein Kind? Ein kleines Kind! Das hatte er eben nicht gesagt. „Dem werde ich jetzt...“
„Isles!“ Njal hielt mich mit aller Kraft zurück, sodass ich die Türe nicht öffnen konnte. „Hör nicht auf ihn. Du hast keine Chance, bitte! Lauf weit weg, Isles. Ich weiß, du schaffst das.“
Laufen? Das war bis heute, für mich, keine Option gewesen. „Njal, wir sind auf einer Insel. Wo soll ich denn hin?“
„Ja, ich weiß... Ich weiß auch nicht wohin. Ich...“ Njal überdachte die Möglichkeiten, während draußen die Stimme des Vampirs wieder erklang.
„Isles! Ich zähle jetzt bis drei, dann stürmen meine Wächter dein Haus.“
Erschrocken zuckte ich zusammen. Seine Wächter? Wie sie wohl aussahen? Bestimmt hatten sie irgendeine Schutzrüstung. Oder waren es irgendwelche Mutationen? Wer wusste schon, was eine solche Bestie alles tun konnte. „Drei!“ Ertönte der Timer.
„Isles! Bitte, lauf. Du hast keine andere Chance.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Zwei!“ Zählte er etwa von drei abwärts?
„Du bist nicht stark genug. Bitte! Isles.“ Njal bettelte mich geradezu an, und versuchte mich in die Küche zu schieben, damit ich dort hinaus lief, doch Njal hatte recht. Ich bin nicht stark genug, um mich gegen drei Vampire zu währen. Zumindest denke ich das, bisher war ich nur diesem einen begegnet und der war überrascht gewesen. Aber hinauslaufen, bei dieser Kälte? Ich trug, wie immer, nur eine kurze Hose und heute sogar nur ein Trägershirt. Nicht einmal Socken hatte ich angezogen, da ich so stark eingeheizt hatte, aus Zorn, auf alles und jeden. Aber ich wusste dafür, wie ich stärker werden konnte.
„Noch! Noch bin ich nicht stark genug!“ Sagte ich zu Njal und er schien zu verstehen, was ich vor hatte. Es dauerte keine Sekunde, da sprangen meine Reißzähne hervor und bohrten sich vorsichtig in Njals Hauptschlagader. Sofort setzte das Mittel ein und betäubte ihn, für die Zeit, in der meine Zähne in ihm steckten. Vorsichtig sank ich mit Njal zu Boden und lehnte seinen schwach gewordenen Kopf, gegen die Wand.
„Los, holt sie!“ Erklang die Stimme von außen.
Im selben Moment, in dem ich blutverschmiert zur Türe sah, wurde sie aus den Angeln gehoben und in zwei Teile gebrochen, als wäre es nur ein lästiger morscher Ast, der im Weg lag. „Die Tür war offen... ihr Ignoranten!“ Fauchte ich und fühlte, wie Blut von meinem Kinn tropfte.
„Sir! Sie hat eben von einem Wolf getrunken.“ Bemerkte der rechte Vampir, der näher bei mir stand und jeder, meiner Bewegungen, wie eine Motte dem Licht folgte. Vermutlich versuchte er, mich einzuschätzen. Beide trugen einen langen schwarzen Mantel, doch der rechte hatte auch schwarzes Haar, das ihm überraschend gut stand. Der andere war blond und wirkte eher, wie ein Fotomodel, das sich in der Berufsanzeige geirrt hatte.
„Das spielt keine Rolle. Fangt sie ein.“ Erwiderte Michellé kalt und gleichzeitig sprangen beide, in Schwarz gehaltenen, Männer auf mich zu.
Fauchend wich ich dem ersten aus, dem schwarzhaarigen, der gesprochen hatte und warf mich auf den blonden Typen, um ihm eine Abreibung zu verpassen. Dieser Vampir rechnete offenbar nicht damit, dass ich ihn attackieren würde, und hob seine Hände nicht mehr rechtzeitig hoch genug, sodass ihn meine blutverschmierte Faust, mitten im Gesicht traf.
„Zwei von drei!“ Jubelte ich, sprang auf das Ziel meines Zornes hin und ließ den bewusstlosen achtlos liegen. Jedoch sah das der dunkelhaarige Wächter nicht genauso, wie ich, sondern fing mich in der Luft ab und packte mich in eine Umarmung sodass ich mit den Beinen einen guten, halben Meter in der Höhe hing, meine Hände an meinen Körper gepresst. „Lass mich los. Ich werde dieses Dreckschwein die Kehle heraus reißen!“ Fauchte ich und sah das zufriedene Lächeln meines Erschaffers.
„Sie ist wirklich niedlich. In dem alter, denken sie noch, dass sie kräftig wären.“ Scherzte er und kam meiner geringen Reichweite gefährlich nahe.
„Sag deinem kastrierten Kätzchen, dass es mich loslassen soll, dann werden wir ja sehen, wie stark du bist!“ Fauchte ich ihn an und schnappte erfolglos nach seinem Gesicht.
„Heben wir uns das lieber für später auf. Jetzt muss ich dich zu aller erst, deinem Bruder vorstellen. Er ist schon sehr gespannt, was für ein wildes Geschenk ich für ihn habe.“ Musternd glitt sein Blick über meinen Körper, der, wie ich feststellen musste, spärlich bekleidet war und brachte mich abermals in rasende Wut.
„Sieh mich nicht an! Schwein! Abschaum!“ Ich brüllte jede Menge, immer kreativer werdende, Schimpfwörter, während ich all meine Kraft darauf konzentrierte, dem eisernen Griff zu entkommen, der sich, beinahe wie ein Schraubstock, anfühlte.
„Sir. Sie ist außergewöhnlich kräftig, können wir jetzt bitte gehen.“ Seine Stimme erklang direkt neben meinem Ohr und ich hatte große Lust, ihm dafür die Zunge heraus zu reißen.
Der so genannte >Sir< schnaubte abfällig. „Halt den Mund.“ Fauchte er meinen Schraubstock an. „Wir gehen, wenn ich sage, dass wir gehen.“
Stimmt. Kein Schraubstock, sondern ein Vampir. Ein männlicher Vampir! Mit einem neuen Ziel schlug ich nach hinten aus, doch verfehlte, da der Vampir meine Positionsänderung voraussah und seine Hüfte zur Seite wandte, sodass ich nur gegen harte Muskeln trat. Viel zu vielen Muskeln! Wie konnte ein Mensch nur so viele und starke Muskeln haben, dass es sich anfühlte, als ob ich gegen einen Baum treten würde?
Obwohl... ich denke weniger menschlich, als ein Vampir, konnte man wohl kaum sein. Fluchend vergrub ich meine Nägel, tief ins Fleisch meines Schraubstockes hinein. „Verdammtes Miststück!“ Fauchte der Vampir in meinen Rücken und setzte mich auf dem Boden ab, sodass er seine Hände, von meinen Nägeln befreien konnte. Ich nutzte die Chance, um mich vom Boden, so stark ich konnte abzustoßen und schlug mit dem Kopf, wie ein Stück Stahl, gegen ein Stück Stahl.
Für Sekunden schien sich alles um mich herum zu drehen, doch nicht nur mir ging es so. Auch der, wesentlich stärkere Vampir, musste sich mit einem Arm an der Wand abstützen, während er mich mit dem anderen davon abhielt, selbst auf den Boden zu stürzen. „Scheiße...“ Nuschelte ich und griff an meinen Hinterkopf, welcher vermutlich jetzt eigentlich Matsch sein müsste.
„Was zur heiligen Mutter tut ihr denn da?“ Fragte mein Erschaffer und erinnerte mich daran, weshalb ich mich eigentlich selbst betäubt hatte, und kam etwas schneller, als der andere Vampir wieder zu bewusstsein.
Leider hinderte sein fester Griff, um mein Handgelenk, mich daran, mich auf das Dreckschwein zu stürzen, daher nahm ich das, was ich als Erstes erwischen konnte und das war, wohl oder übel, er selbst. Fauchend zielte ich mit den Fangzähnen auf sein Gesicht, doch anstatt ihm das Gesicht zu zerbeißen, bekam ich beinahe eine Faust ins Gesicht. Gerade so konnte ich ihr ausweichen, trotzdem erwischte er mich an der Schläfe und brachte meinen Kopf abermals dazu, sich im Kreis zu drehen. Oder hatte einfach nur die Welt plötzlich beschlossen, sich schneller zu bewegen? Für meinen Geschmack, hatte die Welt, ein wirklich beschissenes Timing.
Mit schwarzen Flecken vor den Augen fühlte ich, wie sich eine Hand um meinen Rücken legte und eine weitere unter meine nackten Füße. Im nächsten Moment befand ich mich in einer waagrechten Position und das Haus verschwand aus meinem Blickfeld, während mein Kopf gegen eine warme, harte Wand sackte. Was bewegte sich da? Ich? Nein, es musste das Haus sein, ich konnte nicht einmal einen einzigen Schritt machen. Wie denn auch, wenn ich lag?
Einen Moment später erfüllte der Geruch von Leder meine Nase und ich wurde unsanft auf etwas Glattes gelegt. Schnaufend versuchte ich aufzukommen, doch ein fester Griff drückte mich wieder zurück.
„Schlaf etwas, mein Kind. Bald sind wir zuhause.“ Zuhause? Wo ist zuhause? Zu welchen Adeligen gehört dieses Schwein? Zu denen in England? Das war vermutlich am ehesten der Fall, denn wieso sollte ein adeliger Vampir, aus Australien, oder Afrika kommen? Er sah noch nicht einmal afrikanisch oder australisch aus, obwohl das heutzutage nicht mehr allzu viel heißen musste. Mein letzter Gedanke, galt dem seltsamen, würzigen Geschmack, an meinem Fangzahn, den ich genüsslich ableckte. Danach wurde alles schwarz.

 

- - - - -

 

Als ich wieder erwachte, lag ich nicht mehr in einem Auto, sondern in einem kleinen kahlen Raum. Es gab genau zwei Dinge in diesem Raum, abgesehen von mir selbst. Das eine war ein Bett, in dem ich gut eingewickelt lag und ein Kleiderkasten. Orientierungslos richtete ich mich auf und griff mir an die Stirn. Sie war blutverkrustet und mein Puls pochte darunter, als würde er heraus wollen. Oder hatte ich einfach Kopfschmerzen? Seit zwei Jahren hatte ich schon keine Kopfschmerzen mehr gehabt. Mein Schlag musste fester, als gedacht gewesen sein, wenn mir immer noch der Kopf davon schwirrte.
Mit nackten Füßen stemmte ich mich auf dem kalten Holzboden hoch und stützte mich an der Wand ab, als das Zimmer bedrohlich zu wanken begann. Das lag aber nicht an mir, oder? So hart konnte mich der Schlag dann doch nicht getroffen haben. Abermals bewegte sich das Zimmer und ich landete mit einem Aufschrei im Bett. „Was soll das?“ Fauchte ich und kam wieder auf die Beine. Nein, dieses Schwanken lag eindeutig nicht an mir.
Als das Schwanken wieder ruhiger wurde, arbeitete ich mich, zitternd, zur einzigen Türe vor, die ich entdecken konnte. Sie führte, direkt neben dem Ende meines Bettes, in einen Raum, in dem ein nackter Mann stand. Nun, ja. Beinahe nackt. Ein Handtuch, war fest um seinen Körper gewickelt und mit einem zweiten rubbelte er sein blondes Haar trocken.
„Oh, du bist ja bereits wach.“ Stellte der Vampir lächelnd fest und entblößte ungeniert seine makellosen weißen Fangzähne. Abermals schrie ich auf und warf die Türe hinter mir wieder zu. Was soll das? Wiederholte ich Gedanken und suchte nach einer weiteren Türe. Zu meiner Überraschung, fand ich sogar eine. Sie lag versteckt hinter dem Kasten, als würde man nicht wollen, dass ich sie benutze.
„Scheiß drauf.“ Ich schob den massiven Kasten mühelos zur Seite und öffnete sie. Abermals stand ein Vampir vor mir, doch dieses Mal stand er, angezogen, in einem Gang und blickte mich, voller Hass, an. Auf seiner Stirn hatte sich ein gewaltiger Bluterguss gesammelt und an seiner Wange, war ein tiefer Schnitt, als hätte ihn etwas Spitzes erwischt. Es sah sogar noch frisch aus. War das etwa der Vampir der... „Der Schraubstock!“ Erinnerte ich mich und fasste mir an den Hinterkopf. Vermutlich hatte ich ebenfalls einen dunklen Bluterguss unter meinen zerzausten Haaren. Noch einmal warf ich die Türe zu, nur mit dem Unterschied, dass ich dieses Mal den Kasten davor schob, sodass sie wieder dahinter verschwand. Sollte er sich für den unfairen >Schubs< doch noch revanchieren wollen, würde ihn diese Barrikade nicht wirklich aufhalten. Trotzdem fühlte ich mich sicherer, mit einem fünfzig Kilo Schrank, zwischen uns.
Was mache ich denn jetzt? Einen verärgerten Vampir angreifen? Oder einen Nackten?
Zweifelnd blickte ich wieder zum Kasten. Weder noch? Beides schien nicht wirklich eine Option zu sein. Nicht, dass ich etwas gegen nackte, heiße Männer hatte, doch alles musste ich nun wirklich nicht erleben. Aber den anderen Vampir anzugreifen, schien mir auch nicht gerade sicher zu sein, da ich schon im ersten Kampf, frisch genährt, keine Chance gegen ihn gehabt hatte.
Dann würde es wohl der nackte Vampir werden. Resigniert seufzte ich und klopfte an die Türe, die offenbar zu einem Badezimmer führte. „Bist du noch da drinnen?“
„Ja, du kannst ruhig hinein kommen, ich bin angezogen.“
Erleichtert das zu hören, öffnete ich die Türe und erstarrte. So viel zu angezogen! „Du bist nicht angezogen!“ Schimpfte ich und betrachtete seine, noch vom Wasser glänzende Brust. Als ich bemerkte, was genau ich da anstarrte, wandte ich den Blick zum Boden. Nun, ja. Wenigstens trug er eine Hose!
„Doch, ich trage eine Hose, das reicht doch, wenn ein kleines Mädchen anwesend ist, oder?“ Empört blickte ich ihn nun doch wieder an und sah dann erst, sein amüsiertes Lächeln. Machte er sich etwa lustig über mich?
„Wer seid ihr? Und wo bringt ihr mich hin?“ Verlangte ich, mit strenger Stimme zu erfahren. Zum Streiten blieb später noch Zeit.
„Ich bin Louis. Ich bin einer der obersten Wächter unseres Königs Michellé. Zumindest bei Missionen.“
Michellé? Das war doch der Prinz, oder? Wieso jetzt plötzlich König? „Ich dachte, dieser Witzbold ist ein Prinz und kein König.“
„Unsere Mutter ist derzeit in einem tiefen Schlaf. Für Vampire ihres Alters, ist es wichtig, einige Perioden zu schlafen, um stark zu bleiben. In dieser Zeit bezeichnen wir diesen... so genannten Witzbold... als unseren König.“ Erklärte er und schmunzelte über die Bezeichnung.
Kopfschüttelnd ignorierte ich die Tatsache, dass es keinen Sinn ergab, abwechselnd König und Prinz zu sein, aber was wusste ich denn schon von Vampiren? Daher stellte ich weitere Fragen. „Wo sind wir? Und wieso bin ich eine Gefangene? Ich will nichts mit euch zu tun haben!“ Ich fühlte mich, als müsste ich dies von Anfang an klar stellen.
„Ja, mein König erzählte mir bereits von eurer Auseinandersetzung. Außerdem verzeiht er dir, da du noch ein Kind bist, dass nicht weißt, wo sein Platz ist.“
Fauchend drohte ich ihm mit der Faust. „Ich bin neunzehn!“
„Aber erst ein zweijähriger Vampir, daher bist du ein Baby in unserer Welt.“
„Eine Welt, von der ich kein Teil sein möchte!“ Schrie ich ihn an.
„Aber jetzt gehörst du dazu, egal wie du es drehst oder wendest. Seit deinem ersten Schluck, gehörst du zu uns.“
Also soll es meine Schuld sein? „Das verfluchte Dreckschwein, das mich gebissen und einfach zum Sterben zurückgelassen hat, ist schuld an alldem. Nicht ich! Er hätte mich doch einfach aufklären können, oder?“ Oder töten...
Louis senkte den Kopf und nickte beinahe entschuldigend. „Ich weiß. Doch, als du dich verwandelt hast, war er schon längst wieder in Frankreich und an eine Überfahrtgenehmigung zu kommen, um an England vorbei zu kommen, ist so gut wie unmöglich. Unsere Königreiche stehen beinahe im Krieg, und ohne guten Grund dürfen wir nicht einmal eine Zehe in das englische Gewässer setzen.“
„Das ist mir egal. Ich will wieder nach Hause! Jetzt!“ Sollen sie sich eben an die Kehle gehen und sich gegenseitig umbringen. Mir doch egal!
Hinter mir erklang das Scharren von Holz über Holz. Im nächsten Moment stand der bösartige Vampir in dem Zimmer, in dem ich erwacht bin, und starrte mich herablassend an. „Louis, wir sollen nicht mit ihr sprechen. König Michellé will das beim Abendessen erledigen.“ Schimpfte er mit seinem Kollegen, welcher genervt seufzte.
„Hör nicht auf Gerard, er ist ein Miesepeter.“ Dafür wurde der Blick des >Miesepters< noch dunkler.
Demonstrativ wandte ich mich von dem Schraubstock wieder ab und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. „Ich will weder mit einem so genannten zeitweiligen König sprechen, noch mit meinem Erschaffer.“
Louis lachte begeistert. „Isles, du bist lustig. Michellé und dein Erschaffer sind ein und derselbe Vampir.“
Erschrocken musterte ich ihn. „Was?“ Das konnte doch nicht wahr sein. Mein Erschaffer war der König selbst? Prinz? Teilweise König? Wie sollte man ihn denn nennen? Das alles ergab überhaupt keinen Sinn. Fragend blickte ich zum Schraubstock, doch dieser lehnte sich gelangweilt, hinter mir an den Türrahmen, und betrachtete seine Fingernägel.
„Freu dich doch, zusammen mit deinen Fähigkeiten, kannst du in wenigen Jahren sogar eine Prinzessin sein!“ Verkündete er begeistert. Also für mich klang das keinesfalls >toll<.
„Als ob mich das interessieren würde.“ Meinte ich vollkommen ernst. „Ich bin doch kein Zirkustier, welches man nach belieben dressieren kann und in ein hübsches Röckchen steckt.“
„Da hat sie nicht ganz unrecht, Louis. Sie ist viel zu hässlich, um ein Vampir für die Ewigkeit sein zu dürfen.“ Hatte ich das eben richtig verstanden? Nun, ja ich bin vielleicht kein Supermodel mit langen Beinen, perfekten Maßen und sicherem Auftreten, doch... Ach! Über was rege ich mich hier überhaupt auf?
Das Einzige, was der Schraubstock von mir bekam, war ein wütender Blick, der seinem, beinahe gleich kam. „Siehst du. Lasst mich einfach gehen. Ich will nichts mit euch zu tun haben und ihr ganz bestimmt genauso wenig mit mir.“ Auch, wenn mir die Worte des Schraubstocks nicht gefielen, so wusste ich wenigstens jetzt, dass es Leute gab, die genauso wenig, wie ich wollten, dass ich blieb.
„Ach, hör doch nicht auf Gerard. Egal was er sagt, es ist nur Mist. Aus dir kann man bestimmt etwas machen, wir haben wahre Künstler, die aus dir beinahe eine Skulptur machen könnten, wenn sie wollten.“
„Ja... genau mit solchen Worten bekommt man Mädchen rum.“ Meinte ich sarkastisch und fauchte genervt. „Ich gehe nicht nach Frankreich! Ich kann noch nicht einmal die Sprache.“ Beharrte ich weiterhin. Selbst, wenn es mein Leben kostet, ich werde keinen Fuß auf Frankreich stellen.
„Das wird schon. Du wirst schon sehen. Vampire lernen unglaublich schnell, egal ob Sprache oder Kampfsport. Das ist alles nur eine...“
„Also ich bin mit meinem Isländisch mehr als zufrieden.“ Wieso sollte ich noch andere Sprachen lernen? Das ist Unsinn. Okay, Kampfsport zu lernen, klang interessant, doch dafür musste ich nicht unbedingt nach Übersee. Ich konnte mir wesentlich geeignetere Orte für diesen Zweck vorstellen.
„Louis lass es. Sie ist das Problem des Königs, nicht unseres. Jetzt beeilt euch endlich, ich wollte eigentlich auch Duschen, bevor wir essen.“ Mit einem Handwink deutete Gerard, der Schraubstock, uns hinaus zu bewegen, doch gegen besseren Wissens, weigerte ich mich. „Ich bewege mich nirgendwo hin, außer nach...“ Erschrocken stieß ich einen Schrei aus, als der Schraubstock sich einfach hinunter beugte und mich über seine Schulter warf. „Was soll das? Lass mich sofort hinunter! Du Dreckschwein, fass mich nicht an. Du miese kleine Ratte! Ich werde dich...“ Unsanft ließ er mich auf das einzige Bett im Raum fallen, jedoch war es nicht dasselbe, in dem ich erwacht bin, sondern das, was eindeutig den beiden Männern gehörte, und warf die Türe zum Badezimmer, hinter sich zu, als würde ich ihm eben nicht gerade drohen. Was war nur los mit diesem... „Hohler Schraubstock!“ Rief ich ihm nach und schlang meine Arme um meine Knie, als könnte ich somit die Peinlichkeit aus meinen Gedanken vertreiben. Er behandelte mich, wie ein kleines, aufsässiges Kind. Aber das bin ich nicht. Ich bin ganz gut alleine zurechtgekommen und das seit zwei Jahren!
„Ich kann mich nur noch einmal für ihn entschuldigen. Er ist... eigen. Aber dafür ein hervorragender Wächter. Sobald wir vom Schiff sind, wirst du nichts mehr mit ihm zu tun haben, keine Sorge. Er ist Michellés persönlicher Wächter, normalerweise verlässt er keine Sekunde seine Seite, deshalb ist er auch so wütend, im Moment.“ Versuchte, Louis seinen Kollegen zu rechtfertigen, doch das war mir im Grunde vollkommen egal. Trotzdem beruhigte es mich, zu wissen, Gerard nicht mehr sehen zu müssen.
„Toll... Ein Lichtblick am schwarzen Horizont.“ Meine Stimme triefte vor Ironie. „Und was ist die nächste Überraschung? Ein Babykätzchen?“
„Isles, jetzt sei doch nicht so abwertend. Hattest du denn bisher keine Probleme damit ein Vampir zu sein?“ Es war eine rhetorische Frage und traf einen wunden Punkt. Natürlich bin ich unglücklich gewesen. „Hast du dir etwa nicht gewünscht, dass dich jemand aufklärt, für dich da ist und dir alles lehrt? Du musstest doch bestimmt alles selbst herausfinden, das stelle ich mir schrecklich vor.“ Auch das stimmte. Anfänglich hatte ich gebettelt, dass mein Erschaffer zurückkam, doch bereits nach wenigen Monaten, war von dieser Verzweiflung, nur noch Hass zurückgeblieben.
„Ja...“ Gab ich zu, denn zu lügen hätte nichts gebracht. „Aber wie man sieht, habe ich bisher sogar die Wölfe überlebt, obwohl ich bis vor wenigen Tagen nicht einmal wusste, dass sie existieren.“
Überrascht sah mich Louis an und nahm neben mir auf dem Bett platz. „Wirklich? Das wusstest du nicht?“ Hinter der Türe ging die Dusche an und ließ mich zusammen zucken. Stimmt... Gerard war trotz allem noch immer auf der anderen Seite dieser Türe. Und stinkwütend!
„Nein, ich habe es erst wenige Stunden, bevor mich Michellé fand, erfahren. Mein Chef, Njal, fand es zufällig heraus und hat mich aufgeklärt.“ Danach tauchte Michellé auf und ruinierte seine Bar. Okay... eigentlich habe ich sie ruiniert, aber das ist nicht der springende Punkt!
„Und er hat dich nicht gleich getötet?“
Ich schüttelte den Kopf. „Er ist...“ in mich verliebt? Nein, ich konnte Njal nicht an solche Monster verraten. „...mein bester Freund und wir sind, wie Geschwister.“ Log ich daher, obwohl es mir nicht allzu falsch erschien, da ich ihn eigentlich wie einen Bruder gesehen hatte. „Natürlich war er schockiert und dachte, ich wäre ein... Agent, oder schlimmeres. Aber er glaubte mir, als ich ihm die Wahrheit erzählte.“
„Als wir dich geholt haben, hast du von ihm getrunken. Wieso?“
„Um stärker zu sein, für diesen Kampf. Ich wollte ihn unter allen Umständen beschützen.“ Jedoch, dass mich ein Schraubstock überwältigen würde, damit hatte ich natürlich nicht gerechnet.
„Stimmt, du hast dich ganz gut geschlagen. Mich hast du mit deinem Angriff überrascht und Gerard... Sagen wir, bisher hatte er noch nie ernsthafte Verletzungen, geschweige denn eine Beule.“ Seine Stimme klang sogar belustigt und ein wohliges Gefühl breitete sich in mir aus. Louis schien, im Gegensatz zu den anderen beiden Vampiren, die ich bisher kennen gelernt habe, recht nett zu sein.
„Kann ich dich etwas fragen?“ Louis nickte, begeistert darüber, das ich aufgehört hatte zu toben. „Wieso hat er mich zurückgelassen? Wieso habe ich das überlebt? Ich habe mich... so...“
„Verlassen gefühlt? Das wollte Michellé bestimmt nicht.“ Schwor mir Louis und wagte es sogar, eine Hand auf mein Knie zu legen, um mich zu trösten.
„Aber wieso dann?“
„Das wirst du ihn schon selbst fragen müssen. Ich bin nur ein Wächter, Isles. Ich habe nicht das Recht, meine Befehle, oder die Launen meines Herrschers zu hinterfragen.“ Da hatte er wohl auch recht. Dann blieb mir wohl nichts anderes übrig, als mit meinem Erschaffer zu Abend zu essen. Was es wohl geben würde? Fingerfood? Foot to go? Innerlich lachte ich über meine eigene Fantasie und vergrub meinen Kopf zwischen meinen Armen.
„Du hast recht, tut mir leid.“ Entschuldigte ich mich aufrichtig. Was wohl die Zukunft für mich bringen würde? Würde ich, als ein willenloser Wächter enden? Als verwöhnte Prinzessin, oder würde man sich meiner einfach entledigen, als wäre ich ein lästiger Hund, den man am Wegesrand aussetzte?
„Du kannst jetzt ins Bad. In dem anderen Zimmer hast du angemessene Kleidung, mit denen du dich sehen lassen kannst.“ Erklang die kalte Stimme von Gerard und ich fühlte, wie sich die Matratze wieder anhob, sobald Louis aufstand und zu seinem eigenen Kleiderkasten ging, um sich ein Shirt über zu ziehen.
„Komm, ich zeige dir, was angemessen ist.“ Ich sprang vom Bett und beachtete den Schraubstock mit keinem Blick, als ich lautstark die Türe hinter mir zuwarf und Louis zu dem anderen Kleiderkasten folgte. „Hier, ich denke, das sollte gehen.“ Es war ein einfach gehaltener Anzug für Frauen. So etwas, hatte ich ja noch nie getragen. In einem schlichten Grau gehalten, so wie einem Gummiband für meine Haare.
Damit wurde ich ins Badezimmer geschickt, während ein Vampir vor der einen, der andere vor der anderen Türe stand. Langsam kam ich mir wirklich, wie ein entführtes Opfer vor.
Kopfschüttelnd entledigte ich mich meiner Nachtkleidung und ließ das heiße Wasser über meinen Körper laufen. Das stetige Prasseln des starken Duschstrahls auf meiner Haut, begann bereits nach kurzer Zeit zu schmerzen und meine Haut begann sich unangenehm zu röten, was wiederum meinen Hunger auslöste. Eilig stellte ich auf eine normale Temperatur zurück und wusch mir die Haare, mit dem einzigen Mittel, das ich finden konnte. Willkürlich erinnerte mich der Geruch an die beiden Männer, die eben noch hier drinnen gewesen waren, und ich fasste mir an die Stirn. Als hätte in meinem Haus nie ein Mann geduscht, oder gebadet. Jedoch waren zwei, sehr gutaussehende, Fremde etwas gänzlich anderes, als mein eigener Vater.
Sofort stellte ich das Shampoo unberührt zurück und spülte meine Haare nur mit klarem Wasser aus, bevor ich mich abtrocknete und an dem Föhn bediente. Auch wenn ich mein Haar dieses Mal sogar etwas glatt bekam, musste ich sie enttäuscht nach oben binden, wobei ich jedoch einige Strähnen locker herausfallen ließ, da ich mich nicht strickt, nach ihrer Vorstellung kleiden wollte. Wenn ich jetzt schon damit anfing, auf das zu hören, was sie von mir verlangen, wie würde ich dann in ein paar Stunden sein, wenn Michellé etwas von mir verlangte.
Michellé mein Erschaffer! Ich hatte endlich meinen Erschaffer getroffen! Das wurde mir mit einem Schlag bewusst und trieb mir Tränen in die Augen. Mein Erschaffer, ein kaltherziger König, dem mein Schicksal kein bisschen interessiert hatte. Ja! Genau das ist er. Ein Monster. Ein Entführer! Ein Mörder! Er hatte versucht, mich zu ermorden, dieses Schwein!
Immer mehr Erinnerungen brachten mich dazu, mich aufzuregen, und ich löste meinen Zopf wieder. Nein! So einfach, würde ich es ihnen nicht machen. Vielleicht nahm ich seine Kleidung an, aber nur, weil ich musste, nicht weil ich wollte. Meine Haare konnte er jedoch nicht kontrollieren. Die kontrollierte nicht einmal ich an meinen besten Tagen. Sie taten immer, auf meinem Kopf, was sie wollten, doch meist sah es recht akzeptabel aus.
Mit erhobenen Kopf und frischer Wut im Bauch, strich ich meine Haare zu beiden Seiten meines Gesichtes zurecht, sodass sie zumindest im Moment gut aussahen und überprüfte, ob mein Anzug auch richtig saß. Er war etwas eng geschnitten und engte mich um den Bauch ein, doch dieses Problem hatte ich, durch meine breiten Hüften leider bei jeder Hose. Wirklich jede einzelne, musste ich, um eine Größe größer nehmen, damit sie mir dort passten. Nicht, dass ich übermäßig dick wäre, besonders nicht mehr, seit meiner Blutdiät, trotzdem schienen meine breiten Hüften noch nichts von meinem plötzlich gekommenen Magerwahn Wind bekommen zu haben, was leicht deprimierend war.
Aber egal! Mit dem weiten Jackett bemerkte man es nicht und ich sah sogar irgendwie einer Geschäftsfrau ähnlich. Nun, ja. Einer sehr jungen Geschäftsfrau. Mein siebzehnjähriges Gesicht hatte nämlich genauso wenig von meiner Veränderung mit bekommen, wie meine Hüfte. Das Einzige, was sich auffällig verändert hatte, war mein strenger Blick, der früher einmal dunkel und verführerisch gewesen war. Heute ist nichts mehr, als Zorn und Abneigung in ihnen zu erkennen.
„Bist du fertig?“ Gerard trat ein, ohne zu klopfen, dafür fauchte ich ihn an. „Du sollst doch deine Haare hochbinden.“ Schimpfte er und deutete auf eben diese.
Wie gewünscht griff ich zu dem eben benannten Ring, den ich absolut nicht noch einmal in meinen Haaren haben konnte, und ließ ihn auseinanderreißen. „Ups. Der ist wohl nicht mehr gut. Dann muss ich sie wohl offenlassen.“ Ich lächelte erheitert zu ihm auf, doch das machte Gerard nur noch wütender.
„Das hier war keine Bitte. Es war ein Befehl.“ Fauchte der Vampir und riss mir das Haarband aus den Fingern, als könne er es noch retten.
„Oh! Wann bist du denn zu meinem Vater, oder Vorgesetzten mutiert?“
Dafür kassierte ich einen Blick, der mich ganz offensichtlich direkt in die Hölle verwünschte, bevor das Haarband im Mistkübel landete. „Hör gut zu, denn ich werde kein weiteres Mal mit dir sprechen.“ Mit erhobenen Zeigefinger deutete er auf mich und ich bleckte die Reißzähne. „Mich beeindruckt weder dein Sturkopf, noch deine Vergangenheit. Ich bin einzig und alleine, für meinen Herren verantwortlich und wenn du denkst, du könntest ihm trotzen, indem du nicht das tust, was er befielt, werde ich ohne Gnade, über dich richten. Du könntest zweihundert Jahre, oder älter sein. Es ist mir vollkommen egal. Für mich zählt nur, dass mein Herr zufrieden ist. Und das ist er nicht, wenn du nicht das tust, was er dir befielt. Daher nimm deine Haare zurück, denn er möchte dein Gesicht sehen, um sich zu notieren, was er alles an dir ändern muss.“
An mir ändern? Als ob ich mich ändern lassen würde!
Mit rauschendem Mantel wollte Gerard aus dem kleinen Badezimmer verschwinden, doch ich packte ihn am Oberarm, und riss ihn, mit überraschender Kraft, zurück. „Was soll das heißen? Mich verändern? Nur, weil ich nicht die >perfekte< Tochter bin, wie es sich dieser Thronpfurzer wünscht? Es ist mir egal! Es ist mir seit, beinahe zwei Jahren, so etwas von Scheiß egal, was dieser Kerl sich gedacht hat. Ob er sich um mich kümmern hätte sollen, oder nicht. Ich habe mit alldem abgeschlossen und habe ein...“
„Ja, ja. Ich weiß schon. Dein perfektes Leben, unter den Wölfen. Ihn magst du vielleicht beeindruckt haben, aber mich beeindruckt so etwas kein bisschen. Ich habe Jahrzehnte dafür trainiert, um sein oberster Wächter zu sein. Ich habe mir hart meine Stellung erarbeitet und nur, weil du das Glück mit dem Schöpflöffel gegessen hast, werde ich mich noch lange nicht geschlagen geben! Ich bin der Beste! Ich war immer der Beste, als Neugeborener und noch heute. Niemand kann mich überbieten! Niemals!“ Das Gesicht des Schraubstocks war nur Zentimeter von meinem entfernt, während er mich anschrie und ich mit einem Mal Begriff, weshalb er so zu mir war.
Nicht nur, dass ich ihn beinahe besiegt hätte, nein ich war auch noch ganz offensichtlich eine Konkurrenz für ihn. Ich weiß zwar nicht, wie lange er schon in der Obhut des Königs gestanden hatte, doch offenbar schien ihm sein Ansehen und die dazu gehörige Aufmerksamkeit, mehr als wichtig zu sein, und nun da sich die Aufmerksamkeit seines geliebten Königs langsam auf mich richtete, wurde er... eifersüchtig? Konnte das sein?
„Also bist du nur eifersüchtig?“ Fragte ich erstaunt und traf offensichtlich direkt ins Schwarze. „Du bist eifersüchtig, weil du denkst ich, könnte dir dein Ansehen oder sonst etwas stehlen? Du bist doch irre. Nur, falls du es nicht bemerkt haben solltest: Ich.bin.nicht.freiwillig.hier!“ Erinnerte ich Gerard und schubste ihn von mir.
„Ob freiwillig oder nicht. Du wirst jetzt sein liebstes Projekt werden. Das werde ich versuchen zu verhindern!“ Sein liebstes Projekt. Das verstand ich nicht. Was sollte das bedeuten? Würde der König etwa Tests bei mir machen? Mich foltern, um zu sehen, was ich wirklich weiß, oder wie weit meine Talente gingen?
„Alles in Ordnung?“ Louis trat an meine Seite und blickte mich besorgt an.
„Ja, natürlich.“ Antwortete ich wahrheitsgemäß. Jetzt, wo ich wusste, was mich erwartete, wusste ich auch, dass ich die erste Chance ergreifen musste, um hier fortzukommen. Ich hatte nämlich absolut keine Lust dazu, als Versuchstier zu enden.
Nun war ich es, die sich abwandte. Ich verließ stampfend das Badezimmer und ließ mich, dank der mangelnden Auswahl meiner Möglichkeiten, mit verschränkten Armen auf das Bett sinken. Manchmal hatte ich wirklich das Gefühl, als wäre selbst mein Gemütszustand im alter von siebzehn stehen geblieben. Ein Vampir zu sein, hatte eindeutig viel zu viele Nachteile!

 

- - - - -

 

„Was war den los?“ Fragte Louis und nahm neben mir platz.
„Nichts, wir sind nur aneinandergeraten, wie wohl zu erwarten gewesen ist.“ Besser Gerard und ich machten früher unsere Standpunkte klar, als später.
„Das habe ich gehört, aber normalerweise, würde dich Gerard einfach von Board werfen. Er ist nicht gerade ein Mann vieler Worte, sonder eher der Taten.“ Erklärte mir der wesentlich freundlichere, blonde Vampir.
„Das ist mir so etwas von egal!“ Schimpfte ich. „Selbst wenn er ein verschwiegener Priester wäre, würde es mich nicht die Bohne interessieren. Das Einzige, was mich interessiert ist diesem... >König von Vampirhausen< zu erklären, dass ich sein dummes Spiel nicht mitspielen werde.“ Louis schien von keinem einzigen spöttischen Wort beleidigt oder zornig zu werden, im Gegenteil. Er amüsierte sich köstlich und das machte mich wütender. „Jetzt hör endlich auf zu lachen! Ich meine das vollkommen ernst! Ich hasse dieses Mistschwein. Er hat versucht, mich zu töten!“
Louis Lachen verklang und zurückblieb nur ein sanftes Lächeln mit Traurigkeit in Augen. „Isles... Das solltest du vielleicht wissen, bevor du deinen Macher triffst. Du weißt doch bestimmt, dass... man nicht einfach so ein Vampir wird, oder? Es ist ein Virus, mit dem man sich anstecken kann.“ Ich nickte. So viel hatte ich auch schon bemerkt. „Aber dieser Virus wird mit einem Biss an einen Lebenden übertragen. Jedoch im lebenden Körper, kann dieser Virus überhaupt nicht lange überleben. Höchstens ein, oder zwei Stunden, danach wird er von den weißen Blutkörperchen ausgelöscht.“ Gut... das war neu!
Unter seinem erwartenden Blick spürte ich deutlich, dass er mir damit eigentlich etwas mitteilen wollte. „Was meinst du?“
„Nun, ja. Es gibt genau zwei Viren, die einen mutieren lassen. Der Vampirismus und die Lykantrophie. Beides kann vererbt werden, was natürlich bei Wölfen wesentlich wahrscheinlicher ist, als bei uns Vampiren. Natürlich kann der Werwolf-Virus nur in einem lebenden und starken Körper überleben, wodurch manche Babys, bereits im Mutterleib sterben, weil sie einfach zu schwach für diesen Virus sind. Gebissene können auch davon sterben, wenn sie zu alt, oder zu krank sind. Bei Vampiren ist es genau das Gegenteil. Der Virus schlägt erst an wenn...“ Louis verstummte und hoffte, dass ich es bereits selbst verstanden hätte, doch das hatte ich nicht. Nein! Ich hatte es keinesfalls verstanden, denn das, was er andeutete, war einfach unmöglich. So konnte es nicht passiert sein! Niemals!
„Nein! Ich weiß nicht, was du andeuten willst, aber es war bestimmt nicht so. Ich habe es überlebt. Ich lebe immer noch!“ Beharrte ich stur.
„Isles, natürlich lebst du jetzt wieder, aber das liegt rein an diesem Virus. Dein Alterungsprozess hat mit deinem letzten, richtigen Herzschlag abgebrochen. Deinen Sinnen und Muskeln ist keine Grenze mehr gesetzt und das Einzige, was dein Körper nicht mehr kann, ist Blut zu erzeugen, wodurch du eine Vielzahl an weißen Blutkörperchen in dir hast, die deinen schnellen Heilungsprozess erklären. Zudem braucht dein Körper deine Organe wie Nieren, Leber und Magen nicht mehr. Sogar die Lunge könntest du entbehren, doch wenn du etwas riechen möchtest, dann brauchst du diese leider dennoch.“
„Also... bin ich ein Zombie und kein Vampir.“ Stellte ich fest und fühlte mich sofort wieder klein und unendlich schwer. Unnötige Organe, Bluttransfusionen, Mutationen? Was kam als Nächstes? Ach, ja! Das Wichtigste. Unendliches Leben!
„Nein, du bist kein Zombie, dafür müsstest du einen unstillbaren Hunger haben und würdest vor dich hin verwesen.“ Louis lächelte wieder schwach und streichelte mir über den Kopf, als könnte dies, all meine Probleme in Luft auf lösen. Trotzdem fühlte es sich irgendwie... beruhigend an.
„Also, hat er mich doch ermordet?“
„Ja.“ Gab Louis ehrlich zu. „Aber eigentlich hättest du dich überhaupt nicht verwandeln sollen. Es gibt, beinahe, keine Frau, die sich unter solchen Umständen verwandeln kann.“
„Also ist der Virus auch noch sexistisch?“ Fragte ich leicht irritiert. „Nein! Natürlich nicht, es liegt in den Genen. Der unterschied zwischen dem X und dem Y Chromosom ist zu groß, oder... was weiß ich denn. Ich war in diesem Entwicklungsfach eine Niete. Du müsstest Michellé oder Gerard fragen.“
Ja, na klar, weil ich ja ansonsten keine Fragen und Anliegen hatte. Aber dafür konnte eigentlich Louis nichts. Andererseits, könnte er mich auch einfach gehen lassen, doch würde dadurch auch sein eigenes Leben riskieren.
„Langsam denke ich darüber nach, doch ein Zombie zu werden.“ Gab ich zu und brachte Louis wieder zum Lachen.
„Ja, das könnte natürlich sehr viele Charakter erklären.“ Scherzte Louis und brachte schlussendlich sogar mich zum Schmunzeln. Wie zum Geier konnte es nur jemand schaffen, so herzlich und doch eine Bestie zu sein?
„Kann ich dich noch etwas fragen?“
Louis nickte. „Solange ich eine Antwort weiß, werde ich jede Frage beantworten.“ Versprach er.
„Bin ich... dann die einzige Frau dort?“ Louis wusste sofort, von was ich sprach. „Nein, natürlich nicht. Jedoch sind wir Männer, weit in der Überzahl.“ Das klang nicht gerade vielversprechend. „Aber ich bin mir sicher, du wirst dich mit jeder Frau dort anfreunden. Sie halten alle stark zusammen und sind beinahe, wie Schwestern. Es gibt nichts, was sie sich nicht sagen.“
Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete ich Louis und sein strahlendes Gesicht. Seine freundliche Art wirkte keinesfalls aufgesetzt, oder erzwungen, sondern natürlich. Einen Louis, ohne strahlendes Lächeln, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Dadurch jedoch, schien er geradezu das Gegenteil von Gerard zu sein. Während Louis versuchte, sich mit mir anzufreunden, damit ich blieb, wollte der Schraubstock genau das Gegenteil. Er hasst mich. Wieso? Ich verstand es nicht richtig, doch ich freute mich bereits jetzt darauf meinen... Erschaffer danach zu fragen.
„Louis. Wir gehen.“ Befahl Gerard und rauschte durch das Zimmer, als wäre ich überhaupt nicht existent. Er öffnete die Türe und ging voran, während Louis mir schnaubend deutete ebenfalls aufzustehen. Lächelnd ging ich zwischen den beiden Vampiren her.
Louis und Michelle mochten mich vielleicht in ihrem >Team< haben wollen, doch Gerard nicht und genau das würde ich ausnutzen. Vielleicht würde ich dadurch das von dem Schraubstock bekommen, was ich wollte. Meine Freiheit!
Die beiden führten mich durch einen kurzen Gang, der kaum breit genug für entgegenkommende Personen war, ein Stockwerk in die Höhe, wo mir strahlender Luxus empfing. In dem einen Moment hatte ich mich noch wie in einem U-Boot gefühlt, doch hier... es glich beinahe einer Luxusjacht. Mit offenen Mund starrte ich die pompösen Malerei und Statuen an, welche aus den verschiedensten Jahrhunderten zu stammen schienen. Hier oben ruckelte und wackelte überhaupt nichts, fast so, als wäre ich von einem Segelboot einige Etage höher, in ein teures Rundreiseschiff gewandert.
Durch mein permanentes Glotzen, den anders konnte ich meine Überraschung, so wie Ehrfurcht nicht beschreiben, lief ich direkt in einen harten Körper, der plötzlich vor mir erschien. Nun, ja weniger plötzlich erscheinen, als mehr, einfach stehen blieb.
Verlegen blickte ich zu Gerard hoch, der nicht besonders erfreut über meine Achtlosigkeit zu sein schien, und murmelte ein leises „Entschuldige.“ Bevor ich mich zusammen nahm und versuchte den prunkvollen Reichtum, den jeder Zentimeter dieses Schiffes geradezu zu schreien schien, zu ignorieren. „Pass gefälligst auf!“
Drohte mir der Schraubstock fauchend. „Oh, der Schraubstock spricht doch noch mit mir?“ Fragte ich sarkastisch, woraufhin sich der Schraubstock wieder abwandte und geräuschvoll an die dicke Stahltüre klopfte.

V. Isles Skylander, die entführte Tochter

Der Schraubstock wartete drei Sekunden, dann trat er ein. Sofort umfing mich der unverkennbare Geruch von Blut und regte meine Zähne an, sich bemerkbar zu machen.
„Oh, da seid ihr ja endlich. Setzt euch.“ Befahl König Michellé und Louis schob mich auf den Platz neben dem König, während sich Gerard auf, dessen linke Seite nieder ließ. Danach verschwand Louis aus der Türe, wobei er mir jedoch einen aufmunternden Blick zuwarf. Leider reichte dies keinesfalls aus, um meine Nervosität zu beruhigen.
Jetzt saß ich hier, alleine, mit meinem Erschaffer und dem anderen Vampir, den ich mindestens genauso wenig leiden konnte, wie den anderen.
„Und, Isles? Hast du dich bereits mit Louis angefreundet?“
Von dem Schraubstock begann er nicht einmal. Was für ein Glück für mich. „Ich weiß nicht. Unter dem Stockholm Syndrom leide ich zumindest noch lange nicht.“ Bemerkte ich kühl und entlockte meinem Erschaffer damit ein amüsiertes Lächeln.
„Dieses Syndrom würde jedoch voraussetzen, dass man dich entführt hat. Wir bringen dich doch lediglich nach Hause.“
Ich deutete hinter mich, da ich nicht genau wusste, in welche Richtung wir überhaupt fuhren. „Dann müssen wir aber eine hundertachtzig Grad Wendung machen. Mein Haus liegt in entgegengesetzter Richtung.“
Immer mehr, unsicher werdend, unter dem Blick von Michellé, versuchte ich meinen Blick auf die helle Raumgestaltung zu lenken, was mich jedoch nur noch mehr einschüchterte. Wieso bin ich überhaupt hier?
„Das tut mir leid, dass du es so siehst. Dein Eigentliches zuhause wartet jedoch in Frankreich auf dich. An diesem Punkt jedoch möchte ich noch einmal hinzufügen, wie leid es mir tut, dass ich dich alleine habe aufwachsen lassen.“
>Aufwachsen<
Darunter verstand ich offenbar etwas gänzlich anderes, als er. „Sir! Das Essen wird gebracht.“ Der König nickte und eine breite Türe öffnete sich, wodurch drei menschliche Diener, mit drei großen Kannen kamen. Sie schnitten sich, ohne mit der Wimper zu zucken, die Hauptschlagader am Arm auf und ließen die Kannen voll von ihrem Blut werden, bevor sie von drei weiteren menschlichen Dienern aufgefangen und außerhalb unserer Sichtweite gebracht wurden.
Das gesamte Szenario betrachtete ich, mit mehr, als nur Argwohn. Wieso taten sie das? Hatten sie denn... natürlich hatten sie keinen eigenen Willen. Ihnen war es aufgezwungen worden, dies zu tun und sich selbst zu opfern, damit wir von ihnen trinken konnten.
„Bitte. Bedien dich.“ Bat der König der europäischen Vampire und deutete auf den einzigen Krug, der von einem Mann befüllt worden war.
Er selbst griff nach dem Krug, der von einer jungen Asiatin befüllt worden war und goss sich großzügig in einen gläsernen Kelch ein.
Gerard griff seinerseits nach dem übrigen Krug, der von einer Brünetten befüllt worden war und nippte lediglich daran. Kam das denn niemanden, außer mir, seltsam vor?
„Möchtest du etwa keine Europäer?“ Europäer? Es war eher so, dass ich es nicht mochte, jemanden dazu zu zwingen, sich selbst die Ader durchzuschneiden, damit ich, oder andere satt wurden.
„Nein... daran liegt es nicht.“ Gab ich zu, doch ließ den Kelch weiterhin unberührt und den Krug voll. Niemand konnte mich dazu zwingen, jemandes Blut, das dermaßen erzwungen worden war, zu trinken.
„Möchtest du etwas anderes? Leider haben wir auf dem Schiff nicht sonderlich viel Auswahl, aber sobald wir einmal im Schloss sind, sind deine Bitten zu erfüllen mein höchstes Wohl.“ Der König lächelte mich an, wie ein Vater seine dreijährige, verwöhnte Tochter anlächelte, wenn er sie besänftigen wollte. Schnell blickte ich vom König fort, bevor er meinen Zorn, in meinen Augen erkennen konnte, doch traf dabei leider Gerards Blick, der wesentlich unfreundlich war.
„Das wird nicht nötig sein. Ich besorge mir selbst mein Essen.“ Antwortete ich knapp. „Jedoch möchte ich jetzt nicht weiter von irgendwelchen erzwungenen Opfern sprechen.“ Meinte ich kühl und hob meinen Kopf, um selbstsicherer zu wirken, als dass ich es eigentlich war. „Lieber möchte ich über das Ereignis von vor zwei Jahren sprechen. Was ist da passiert?“ Wieso hast du mich zurückgelassen? Wieso musste ich alles selbst lernen? Wieso hat der Virus mich wiederbelebt? Wieso? Wieso? Wieso? Alle Fragen wollten gleichzeitig aus meinem Mund, doch ich zwang mich erst einmal seine Version der Geschichte zu hören. Vielleicht war es ganz simpel. Vielleicht ein Irrtum? Vielleicht... Vielleicht übertrieb ich auch einfach?
Die Verzweiflung legte sich, wie ein eiserner Vorhang um mein Herz, während Michellé zum Erzählen begann. „Ich war vor zwei Jahren auf Island, um Jungwölfe zu fangen.“ Wie er es sagte, klang es, als hatte er sie in einem Wald fangen wollen, nicht einer Mutter aus den Armen reißen! „Wir hatten bereits fünf neue Wölfe, als mich ein Elternteil erwischte. Er war schneller, als ich es einem vermenschlichten Werwolf zugetraut hätte und bekam einen Biss ab.“ Nachdenklich verschränkte Michellé seine Arme um seinen bereits geleerten Kelch und sah aus, als würde er noch einmal die gesamte Geschichte durchleben. „Gerard tötete ihn für mich, doch zur Sicherheit, da mir der Biss zu gefährlich vorkam, bin ich in die nächste Stadt gegangen, um zu essen.“ Als würde der König einfach eine Bar besuchen und sich einen Burger bestellen... Zumindest hatte ich dieses Bild vor Augen, als er von dieser schrecklichen Nacht, wie von einem spaßigen Ausflug erzählte. „Ich sah dich mit deinen Freundinnen nach Hause gehen, da ergriff ich die Chance und fing mir das schwächste und betrunkenste Mädchen.“ Das war dann wohl ich. „Ich trank dich beinahe leer, nahm dir deinen Schal ab und zog deine Jacke halb aus, damit es so aussah, als hättest du versucht zu erfrieren und es auch geschafft.“ So mehr oder weniger! „Einige Tage später, fühlte ich dann diesen Zug, zu einem neugeborenen Vampir, den jeder Erschaffer fühlt. Zuerst war ich erschrocken.“ Gab er zu. „Aber dann erinnerte ich mich daran, dass es nur ein betrunkenes Mädchen aus Island sein konnte, daher war es mir gleich, denn bis ich nach Island gekommen wäre, hätten dich die Wölfe längst zerfleischt.“ Oder auch nicht... „Jedenfalls beschloss ich vor ein paar Wochen, dass ich zurückkäme, um dich zu holen. Anfänglich dachte ich sogar, dass tatsächlich ein Wolf dich verstecken würde, doch dass du so offen, als Barkeeperin gearbeitet hast, das überraschte mich noch mehr. Und deine Fähigkeiten, die keinesfalls, denen eines Neugeborenen gleichen...“ Michellé ließ den Satz offen stehen und blickte mich stolz an. „Ich bin mir sehr sicher, dass du eine hervorragende Wächterin sein wirst.“ Zumindest in ein paar Jahrzehnten, wenn ich ein paar tausend Menschen auf dem Gewissen hatte und so blutrünstig geworden war, wie er.
Also war er gekommen, um mich zu seinem Wachhund zu machen? Wie schmeichelhaft. Jedoch zu einer Prinzessin oder sonst etwas, würde ich mich noch weniger machen lassen. „Ich verstehe.“ Gab ich auf seine Geschichte zurück. Also keine plausiblen Ausreden? Keine Tränen. Keine Ausflüchte. Die reine und nicht gerade versüßte, Wahrheit.
In diesem Moment verspürte ich doch den Drang, etwas zu trinken, jedoch wurde dieser Drang nicht von meinen Gelüsten ausgelöst, sondern von meinen bitteren Gefühlen. Ich bin nicht mehr, als ein positives Ergebnis, einer unerwünschten Nacht. Er wollte mich sterben lassen. Ich bin ihm egal! Diese Gedanken schwirrten, wie ein Echo durch eine endlose Höhle, die ich leider mein Gedächtnis nennen musste. „Und jetzt? Wie stellst du dir das vor? Das ich einfach den Hass der letzten beiden Jahre vergesse und so tue, als wäre alles in Ordnung? Ich wurde entführt, verwandelt, meine Freunde wurden verletzt und getötet. Meine Eltern haben mich für verrückt gehalten!“ Nun, ja nicht nur sie. Ich mich selbst genauso.
„So etwas dachte ich mir schon, aber wie dir bestimmt bereits meine Wächter erklärt haben, hege ich keinesfalls die Absicht, dich wieder zurückzubringen. Du bist auf dieser kleinen Insel keinesfalls erwünscht, außerdem bist du meine Tochter und daher habe ich die Pflicht, wie jeder Vater, ob genetisch oder nicht, mich um dich zu kümmern.“
„Ich habe die letzten zwei Jahre auch gut ohne einen... Vampirvater überlebt.“ Fauchte ich.
„Ja, das sieht man. Du bist ungepflegt, hast keine Manieren und lange überleben wirst du auch nicht. Kurz gesagt... Du wärst eine Schande in meiner Erblinie, darum muss ich mich um dich kümmern, damit du entweder ungesehen verschwindest, oder dir einen ehrenvollen Ruf erarbeitest, so wie Gerard.“
Gerard? War er etwa deshalb so eifersüchtig? Ist er, wie ich, etwa ein Produkt des Zufalls gewesen? „Was heißt das?“
„Dass Gerard der Bruder ist, den ich dir vorstellen wollte. Einer der wenigen, meiner Nachkommen, die überleben durften.“ Gerard? Mein Bruder! Also, Vampirbruder eigentlich. Aber im Grunde wollte ich überhaupt nichts von alldem sein!
„Das heißt, wenn ein Vampir nicht den Vorstellungen seines Vaters genügt, dann wird er einfach entsorgt?“
König Michellé nickte. „Ja.“ Meinte er schlicht. „Wieso mit unvollkommenen Vampiren herum schlagen, wenn es, doch eine unendliche Anzahl an geeigneteren gibt?“ Wenn das nur bei den Menschen auch so einfach wäre. Jedoch waren Vampire doch nichts anderes. Sie sind Menschen. Oder waren es zumindest... irgendwann einmal.
„Dann sollte man mich wohl so schnell, wie möglich entsorgen. Nicht nur Gerard will nicht, dass ich hier bin und die Aufmerksamkeit seines Königs stehle...“ Dafür kassierte ich einen, geradezu tödlichen, Blick, der mich vermutlich in der Hölle schmoren lassen sollte „...sondern ich möchte das genauso wenig. Töte mich lieber, so wie du es von Anfang an geplant hattest, ansonsten wirst du früher oder später deinen Kopf am eisigen Meeresgrund wiederfinden.“
Von einem Moment auf den anderen, kicherte Michellé belustigt, während Gerard, wie so oft, genau das Gegenteil tat. Mit einem Satz sprang er über den Tisch hinweg, riss mich vom Stuhl und ich landete hart mit dem Kopf gegen die eiserne Mauer. Zumindest wusste ich jetzt, aus was die Wand bestand. Auch, wenn ich mich das nie gefragt hatte.
Gerards Hand lag fest um meine Kehle geschlossen, während ein langgezogenes Knurren seinen Hals verließ. „Niemand! Niemand droht dem König ungestraft!“ Kam es unmenschlich aus seinem Mund, doch ich hatte nicht einen Funken Angst übrig. Nicht ihm gegenüber.
„Ich habe nicht gedroht, ich habe einen Schwur ausgesprochen!“ Fauchte ich aus rauer Kehle zurück, wodurch ich ihn nur dazu brachte, seine Hand noch fester um meinen Hals zu schließen. Ich wusste, dass Gerard mir nichts antun würde. Nichts Körperliches zumindest, solange es nicht sein geliebter König befahl.
„Gerard, lass es gut sein. Sie ist noch ein kleines Kind. Nach ihrer Ausbildung wird sie die Welt anders sehen. Danach wird sie, wie du, betteln meine Aufmerksamkeit zu bekommen.“
Dadurch, dass ich Gerard so nahe war, fühlte ich den Schmerz, den ihn bei diesen abfälligen Worten seines Königs durchstach, als wäre es mein Eigener. Hatte das eben wirklich der König zu seinem besten Wächter gesagt? Seinem begabtesten Sohn?
Für einen Moment sah ich die Enttäuschung in Gerards Augen, bevor er sich wieder zusammennahm und seine Entschlossenheit zurückkehrte. Deshalb also, war Gerard so eifersüchtig. Ich bin ein weiblicher Vampir, die Tochter des Königs und im Kampf konnte ich, irgendwann einmal, eine ernsthafte Konkurrenz für ihn werden. Das war wohl der Moment, in dem sich mein Hass auf ihn, in Mitleid verwandelte, Mitleid das ich niemals würde ändern können.
Auch Gerard versuchte lediglich, seinen Platz in dieser Welt zu behalten, so wie ich versuchte, einen zu finden. Wie konnte ich mich denn dann über ihn lustig machen, oder auf ihn herabschauen, wenn er doch einfach nur ein Wesen war, das anerkannt werden wollte? Was wusste ich denn schon von ihm? Das er mich nicht ausstehen konnte. Das ist alles.
Aber was ihn dazu getrieben hatte, seinen Macher so sehr zu verfallen, davon hatte ich keine Ahnung. Vielleicht war es, wie bei mir die Verwandlung. Etwas, dass seine gesamte Welt umgestellt hat? Vielleicht steckte mehr dahinter. Vielleicht weniger? Das wusste wohl nur er alleine.
Langsam senkte sich seine Hand von meinem Hals und ich biss mir entschlossen auf die Unterlippe, um ihm jetzt kein nettes Wort zu schenken. Er würde mich nur noch mehr dafür hassen.
„Entschuldigt, Sir.“ Gerard wandte sich von mir, mit demütig gesenkten Kopf, ab und wartete ab.
Der König wandte sich uns zu, doch hatte nur einen kalten Blick für Gerard übrig. Überhaupt war mir aufgefallen, dass er ihn bisher kein Einziges mal angesehen hatte. Ob zwischen ihnen die Luft dünn war? „Isles. Weiß du, wieso wir Vampire noch höher, als die Götter selbst auf der Nahrungskette stehen?“ Das fand ich persönlich nun etwas übertrieben, doch schüttelte artig den Kopf. „Weil wir anpassungsfähige Kreaturen, dank unserer menschlichen Abstammung sind. Sie dir einmal Gerard ganz genau an.“
Verwirrt tat ich, wie geheißen, doch sah nur sein verbissenes Profil.
„Gerard! Sieh gefälligst Isles an, wenn ich es befehle.“ Schnaubend wandte er sich, ohne zu protestieren, mir zu und sein vernichtender Blick traf mich regelrecht, wie ein Schlag. Seine dunkelgrünen Augen, schienen mich erstechen zu wollen, insofern er die Fähigkeit dazu besessen hätten.
„Was siehst du Isles? Was siehst du, wenn du Gerard ansiehst?“
Ich hatte keine Ahnung, was Michellé von mir hören wollte, daher nannte ich das Offensichtlichste. „Ich sehe einen... Mann.“ Gerard verdrehte die Augen, doch da er Michelle den Rücken zugekehrt hatte, sah dieser es zum Glück nicht. „Also... ich schätze ihn auf... Mitte zwanzig?“ Zumindest bevor er verwandelt worden war. „Und er ist groß, definitiv ein geübter Kämpfer,“
König Michellé nickte anerkennend. „Gut, wie würdest du ihn persönlich beschreiben, nachdem du ihn nun kennen gelernt hast?“
Das war einfach. Schmunzelnd öffnete ich den Mund, doch räusperte mich schnell, bevor mir ein dummes Kommentar herausrutschen konnte. „Ich persönlich?“ Fragte ich zur Sicherheit noch einmal nach und der König nickte. „Gerard... scheint ein recht stolzer Mann zu sein. Ein Mann, der seine Ziele ganz klar vor Augen hat und mit aller Kraft darauf hinarbeitet, egal was es kostet. Zudem ist ganz klar, dass er mich nicht leiden kann. Bei den Gründen bin ich mir jedoch noch unsicher.“ Scherzte ich. „Welche Gründe denkst du, könnte er haben?“ Hakte der König sofort nach.
Na, toll. „Es ist lediglich eine Theorie, doch... ich denke, es ist eine Rivalität, die ich nicht kenne, oder einfach noch nicht verstehen kann. Ich weiß, dass er verärgert ist, da ich ihm ernsthaft geschadet und sogar seinen Partner ausgeschaltet habe. Vielleicht ist er auch wütend, dass ich meine Hand gegen seinen Schutzbefohlenen erhoben habe.“ Riet ich weiter. Jedoch fiel mir auf, dass der große Bluterguss an seiner Stirn bereits zu verblassen schien, durch das hinzugenommene Blut, doch der feine Schnitt an seiner Wange war noch immer, mehr als deutlich, zu sehen. „Aber ich weiß, dass Gerard auf eine verdrehte Art und Weise eifersüchtig ist. Das wieso, ist mir noch unklar, aber...“ Gerard blickte mich nicht länger an, sondern sah zwischen uns auf den Boden, als würde ihm die schöne Fußbodenarbeit erst jetzt auffallen und er müsse sie ganz dringend bewundernd.
„Aber?“ Fragte der König abermals nach.
„Aber ich weiß, dass ich keine Konkurrenz für ihn sein möchte. Ich will mich nicht unwissend in etwas hinein schubsen lassen, was mir am Arsch vorbei geht. Vielleicht finde ich ja meinen Frieden, wenn ich verstehe, wie es wirklich ist ein Vampir in einer richtigen Familie zu sein, in einem Clan, oder einem Königreich.“ Gerard sah mich wieder an und mein Kopf drehte sich plötzlich ein wenig, als das Szenario unseres Kampfes auf einen Schlag wiederkam. „Aber bis dahin, will ich keinen Feind haben. Weder habe ich darum Gebeten, hierher zu kommen, noch werde ich mich jemals kampflos in etwas verwickeln lassen, was mich im Grunde überhaupt nichts angeht. So bin ich nicht. So war ich niemals.“ Beharrte ich und fühlte mich dabei, als würde sich etwas in mir geändert haben. Wieso sagte ich das überhaupt alles?
„Sehr gut. Jetzt nehmt bitte wieder Platz.“ Irritiert blickte ich zu meinen Platz, so wie meinen, bisher unberührten Kelch. Dorthin soll ich zurück? An die Seite eines Königs? Gegenüber meines... Vampirbruders?
Wieso? Wieso sollte ich diesen Platz einnehmen wollen? Man hatte mich sterben lassen wollen. Man hatte mich nicht in dieser Welt haben wollen. Also wo ist mein Platz? „Nicht hier!“ Meine Stimme erklang in einem tiefen Knurren durch den pompös eingerichteten Raum und ließ den König, so wie Gerard gleichzeitig erstarren.
„Was hast du gesagt, mein Kind?“ Erkundigte sich der König und erhob sich aus seinem Stuhl.
„Ich sagte... mein Platz. Er ist nicht hier.“ Damit deutete ich auf den Stuhl, den ich wieder besetzten sollte.
„Und, erklärst du mir dann, wo er ist?“
Wo er ist? Das wusste ich selbst nicht. Man hatte mich nicht gewollt. Eigentlich sollte diese eine Nacht, kurz vor Weihnachten, mein Tod sein. Trotzdem stand ich hier und das, obwohl man mich danach den Werwölfen zum Fraß vorgeworfen hatte. Also zu was machte mich das? Einem... Waisenkind? Ich bin neunzehn Jahre alt. Vielleicht bin ich nicht, ein Mädchen das bereits viel erlebt hat, um die Welt reiste, oder anfing, eine Familie zu gründen. Aber ich bin eben auch kein Mensch mehr. Egal, wie lange ich es mir noch einreden wollte, ich bin es nicht. Nicht, seit der Nacht vor zwei Jahren. Es hatte mich verändert. Michellé hat mich wortwörtlich verändert.
Mit einem Knurren, das nicht einmal mehr ansatzweise menschlich klang, ertönte meine Stimme so tief durch den Raum, dass selbst ich dachte, es sei die einer Fremden. Einer Person die hinter mir stand und die Fäden zog. Aber Louis erschrockener Gesichtsausdruck, als er in den Raum gestürmt kam, sagte mir, dass ich hier das Monster bin. „Mein Platz wird dort sein, wo dein blutiger, abgetrennter Kopf auf den Boden fällt und die Erde von deinem Elend erlöst.“

 

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Meine Füße trugen mich mit sicheren Schritten aus dem Zimmer, an Louis vorbei, der nicht wusste, was er tun sollte und ein Stockwerk hinab in das Zimmer, in dem ich, nachdem ich mein Bewusstsein verloren hatte, wieder erwacht war. Wie gerne würde ich jetzt wieder schlafen können. Selbst, wenn es nur ein traumloser, schwarzer Schlaf gewesen war. Das war mir egal. Ich wollte nur, dass meine Zeit einfach dahin schwand, wie die, eines normalen Menschen... Dass sie verschwand, an mir vorbei glitt, als wäre sie nichts Wert, denn das war sie auch nicht. Nicht mehr für mich. Nicht mehr für meine Ohren. Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen.
Zitternd legte ich meine Hand auf die Stelle unter, der mein Herz saß, und atmete ein letztes Mal ein. Ich wollte das nicht mehr. Ich gehöre nicht auf die Insel, auf welcher ich groß geworden bin. Ich gehöre nicht mehr unter die Menschen, die ich immer geliebt habe.
Ich gehöre aber auch nicht unter die Vampire, von denen ich nun ein Teil sein soll. Das ganze Blut, die leeren Worte und die mangelnden Zukunftsperspektiven schienen für mich kein bisschen reizbar zu sein, genauso wenig, wie mich ewig, vom Leben anderer zu ernähren. Früher oder später würde ich wieder töten. Ob mit Absicht, oder ohne? Das ist egal, denn Mord ist Mord. Und für so etwas bin ich nicht gemacht. In einer geheimen Gesellschaft leben? Das klang einfach nur verrückt.
Daher habe ich mich schon von Anfang an gefragt. Wie löscht man einen Vampir aus? Ausbluten ginge schwer, da dann die Instinkte übernehmen. Meine inneren Organe brauche ich alle nicht, bis auf mein Gehirn, so wie mein Herz. Jedoch, um mir das Gehirn aus einem Eisenkopf, mit bloßen Händen herauszureißen, fehlte mir die Kraft. Doch das Herz... das war einfach zu erreichen. Es wurde zwar ebenfalls von Knochen umhüllt, doch war von unten her, frei zugänglich. Da musste ich lediglich durch festes Gewebe und Fleisch hindurch. Nichts, was ich nicht schaffen könnte mit ausreichend Wille.
Traurigerweise war dieser nun da. Mein Wille zum Serben... oder eher, mich endgültig auszulöschen. Er ist gekommen und nahm mir jegliche Angst. Den Schmerz, als sich meine Nägel durch glatte Haut bohrten, verblasste unter den Erinnerungen, was ich bereits alles angestellt hatte, um mein Leben weiter zu verlängern. Ich verstand es nämlich nicht. Wieso lebe ich immer noch? Ich versuche, die Welt zu retten? Unsinn. Ich versuche nur, mein Gewissen jeden Tag zu bereinigen, indem ich den Patienten in ihrem Alltag half, nachdem, oder bevor ich sie bestahl.
Meine Finger bohrten sich bereits hinauf in mein Zwerchfell, vorbei an meiner Milz und schnitten vorsichtig, in das weiche Gewebe, dass meinen Brustkorb von meinem Bauchraum teilte. Nur noch wenige Zentimeter und meine Hand würde vollkommen in meinem Körper verschwinden. Nur einige Zentimeter mehr und...
Ein fester Griff umfasste meinen Körper und hinter mir schlug eine Türe zu.
Ich stand, zum Bett gerichtet, daher konnte ich nicht sehen, wer es war, doch ich roch es. Bereits bei der ersten Berührung und dem erschrockenen Einsaugen der Luft an meinem Ohr, spürte ich, dass ich es nicht schaffen konnte. Er würde es nicht zulassen. Mit einem eisernen Griff zog er meine blutverschmierte Hand aus meinem Bauch heraus und drückte die wild blutende Wunde zu. Ich hatte es beinahe geschafft. Mein Zwerchfell wurde bereits von meinen Nägeln zerstoßen, trotzdem war ich noch viel zu weit, von meinem eigentlichen Ziel entfernt gewesen.
„Wieso? Wieso lässt du es mich nicht machen?“ Dicke Tränen liefen meine Wangen hinab und meine Stimme war ein einziges Schluchzen. Es hatte keinen Sinn. Ich bin zu langsam gewesen. Mein Wille war wohl noch nicht stark genug. Ich bin einfach nicht stark genug! Genau das ist es. Es musste jemand anderes für mich tun. Jemand, der mich hasst. Jemand, der mir ohne einen Sinn für Gnade dabei helfen würde.
Die Hand an meinem Bauch, wurde weggezogen und er fluchte übertrieben hinter mir. „Du hast etwas verletzt.“ Schimpfte er, doch es war mir egal.
„Mach bitte weiter. Ich kann es nicht alleine!“ Bettelte ich und wischte mir mit der, nicht blutigen, Hand über das Gesicht, was es vermutlich nur schlimmer machte.
„Egoistin.“ Knurrte er an meinem Ohr.
Es wäre doch so einfach für ihn. Ich kümmere ihn doch einen Dreck. Also wieso tat er es nicht? „Ich kann das hier nicht. Ich kann auch nicht zurück. Ich... will kein Monster sein.“ Die Worte glitten wie flüssiges Gold aus meinem Mund und trafen ihn eindeutig.
Gerard drehte mich herum und hob mein Kinn an, damit ich ihm in seine smaragdgrünen Augen blicken konnte. „Wir sind alle Monster, Isles. Nicht nur du. Viele von uns haben wesentlich schlimmere Dinge, als du getan. Finde dich einfach mit deinem Schicksal ab, dann muss ich nicht ständig deinen Retter spielen.“ Seine Worte klangen streng, doch ich hörte nur >blah, blah<. Aus seinem Mund kam nur Unsinn, den ich nicht hören wollte.
„Ich möchte nicht gerettet werden.“ Murrte ich und zischte kurz daraufhin vor Schmerzen, als er seine Finger in meine Wundöffnung schob, um zu ertasten wie sehr ich mich innerlich verletzt hatte.
„Du bist eine Idiotin. Einfach zu versuchen, dich selbst zu töten. Mach es, wie jeder andere und lass dich von einem Felsen zerquetschen, das ist sicherer.“ Etwas sanfter, als zuvor, zog er seine Hand wieder hervor und drückte die Wunde erneut zu.
„Zerquetschen? Das funktioniert?“ Interessiert blickte ich wieder zu ihm auf. Vielleicht wenn ich...
Gerard schnippte mir mit dem Finger gegen die Stirn. Es tat zwar nicht weh, dennoch war es unangenehm. „Autsch!“ Schimpfte ich und warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
„Hör endlich auf, einen solchen Unsinn von dir zu geben und nähr dich lieber, bevor du zu einer Bedrohung wirst.“
Interessiert hob ich die Augenbrauen. „Tötest du mich dann?“
Gerard sah nicht so aus, als würde er mich ernst nehmen, denn er legte, dieses Mal die blutverschmierte, Hand unter mein Kinn und knurrte ungeduldig. „Das steht außerhalb meiner Möglichkeiten.“ War das Einzige, was er sagte, bevor er unsanft meinen Mund mit dem Daumen aufdrückte und mir mein eigenes Blut auf die Zähne schmierte.
Sofort setzte mein natürlicher Drang zum Trinken ein und meine Zähne trieften, vor Ungeduld, ihre Kräfte unter Beweis zu setzen. Unsanft ersetzte Gerard nun seinen Daumen mit seinem Handgelenk und ritzte sich die Haut an meinen Zähnen auf. Sofort schmeckte ich die süße seines Fleisches, bis tief hinab in meine Kehle rinnen. Es lief, wie von selbst, in meine Mundhöhle und erfreute meinen Gaumen an einer ungewohnten, sinnlichen Geschmacksfreude, die ich mit keinem Gericht der Welt vergleichen könnte. Kein Gewürz, kein Obst, nicht einmal das warme, frisch gezapfte Blut von Menschen kam dem nahe, was ich dabei fühlte, als ich, mit gierigen Zügen, aus Gerards Vene trank. Wieso kannte ich diesen Geschmack nicht? Es fühlte sich irgendwie würzig an, doch gleichzeitig schien es eine unbekannte, ganz eigene Würze zu besitzen, eine Würze, die nichts anderes besaß. Ich wusste instinktiv, dass nur er sie hatte und das ich niemals wieder, etwas annähernd so Intensives schmecken würde.
„Isles... hör bitte auf.“ Bei Gerards schwachen Stimme hörte ich sofort auf und zog meine, tief versenkten Fangzähne aus seinem Handgelenk heraus.
„En-Entschuldige.“ Ich betrachtete, unsicher den tiefen Biss an seinem Arm. „Ich wollte nicht... Ich...“ Begann ich, doch wusste nicht recht, wie ich ausdrücken sollte, dass ich mich benommen hatte, als würde ich das Erste mal von jemandem trinken. Selbst mir war es irgendwie peinlich.
„Es sieht schlimmer aus, als es ist, nur... sag bitte niemandem etwas hiervon.“ Hiervon? Meinte er etwa, dass er mir sein Blut überlassen hatte? Als könnte ich jemals ein einziges Wort über diese Peinlichkeit verlieren. Nickend stimmte ich zu und Gerard ließ seinen Arm unbeachtet an seine Seite sinken und sein Griff an meinem Rücken wurde lockerer. Beinahe, als hätte ich jetzt die Erlaubnis, mich von ihm zurückzuziehen, doch das Einzige, an was ich denken konnte, war die erfüllende Würze in meinem Mund.
„Du...“ Begann ich, doch was sollte ich sagen? >Du schmeckst vorzüglich<? Im schlimmsten Fall, würde Gerard mir das ewig vorhalten.
„Frag bitte nicht nach. Ich kann es dir jetzt nicht erklären.“ Was nicht erklären? Das wollte ich unbedingt fragen, doch etwas in seinem Blick hinderte mich daran, daher nickte ich noch einmal und lächelte leicht. Vielleicht gab es doch die eine oder andere Sache, für die es sich lohnte, noch etwas länger zu leben.
„Willst du dich immer noch umbringen, oder kann ich meine Wunde versorgen gehen?“ Das Gerard immer noch so klar vor mir stand, als hätte ich ihm eben gerade nicht viel zu viel Blut abgenommen, bewunderte ich unwillkürlich und ärgerte mich etwas darüber. Wieso überschlugen sich meine Bedürfnisse geradezu, nach wenigen Stunden, oder Blutverlust und er blieb so ruhig, als wäre er gerade eben erst in den Raum gekommen.
„Nein. Ich denke... diesen Punkt habe ich eben abgehakt.“ Gab ich zu und konnte einfach nicht aufhören mit der Zunge nach noch einem letzten Tropfen von seinem Blut in meiner Mundhöhle zu suchen und ihn gierig anzustarren. Am liebsten würde ich ihn auf das Bett packen, das Shirt herunter reißen und meine Fangzähne ganz tief in sein zartes Fleisch bohren.
„Gut, dann schicke ich jetzt Louis zu dir hinein...“ Gerard blickte an mir herab und wirkte nicht besonders begeistert von dem blutigen Fetzen an meinem Oberkörper, der einmal ein stilvoller Anzug gewesen war. ...„und du solltest dich lieber umziehen, bevor er unangenehme Fragen stellt.“
Sofort ging ich zum Kleiderkasten und holte mir frische Kleidung heraus. Gerard hatte recht. Trotzdem nagte in mir die Frage aller Fragen. Was war das? Wieso schmeckte er so ungeahnt köstlich? Was steckt hinter Gerards Fassade?
Mit dumpfen Schritten verließ Gerard das Zimmer und ich schloss mich selbst im Bad ein. Das konnte vielleicht doch noch ein interessanter Ausflug werden.

VI.Gerard Tobonneau, der Gezeichnete

„Geh in zwei Minuten hinein. Sie braucht kurz Zeit für sich.“ Schuf ich Louis an und ging den Flur hinunter in den, extra für Vampire gestalteten, Trainingsraum. Achtlos ließ ich mein Shirt auf den Boden fallen und wechselte meine lange Hose gegen eine dehnbare, kurze Stoffhose. Mit gezielten Schlägen und passablen Tritten, zerfetzte ich eine Attrappe nach der anderen. Dabei sah ich ständig den Kopf von nur einer Person. Denn genau die, wollte ich auf diese Weise Schmerzen zufügen.
Wie konnte sie es überhaupt wagen unserem König, mit solcher Abscheu in die Augen, anzusehen? Und dann auch noch ihr loses Mundwerk! Jemand wie sie ist viel zu menschlich, um ein Vampir zu sein. Sie ist schwach. Ein Tritt zertrümmerte einen Arm der Attrappe. Sie ist verweichlicht. Mit einem Schlag zerschnitt ich dessen Oberkörper. „Sie ist... der Teufel!“ Mit meiner Faust zertrümmerte ich den Rest der Attrappe, sodass etliche Splitter wild durch die Luft flogen.
Verschwitzt und schwer atmend, betrachtete ich das Werk, das ich eben angerichtet hatte, und fluchte über mich selbst. Verdammt. Wieso ließ ich mich dazu nur hinreißen. Bestimmt wird mir mein König wieder einen Vortrag halten, wenn er davon Wind bekommt.
Gequält fasste ich mir an die Stirn, deren Schwellung und Bluterguss endlich verschwunden war. Trotzdem konnte es sein, dass sie ein spezieller Vampir war, wie ich. Durch unserer beider Adern floss immerhin nun das Blut eines Königs, jedoch verstand ich nicht, wieso wir sie anlügen mussten. Michellé hatte sie doch nicht aus einem Zufall erschaffen, so dumm ist er nicht. Oder so jung.
Michellé hatte im selben Moment gewusst, dass sie überleben würde, sobald er ihr Blut gekostet hatte. Isles war nicht einfach ein Opfer, eines dummen Zufalls gewesen, sondern ein Feldprojekt.
Natürlich wussten davon nur mein König und ich. Nicht einmal Mutter wusste von alldem. Das Projekt hatte lange vor ihrem Schlaf begonnen, jedoch so richtig gestartet hatte Michellé erst, nachdem sie sich, vor achthundert Jahren, zur Ruhe gelegt hatte. Was Mutter nicht wusste, das konnte sie auch nicht bestrafen. So sagte es Michellé immer.
Ich war selbst ein einfaches Feldprojekt. Ein Neugeborener, der sich nur vom Blut der Wölfe genährt hatte und bisher kaum menschliches trank. Für mich schmeckte es auch nach überhaupt nichts. Dafür empfand, ich das der Werwölfe, umso köstlicher. Jedoch nur das der >richtigen Werwölfe<, nicht das des Abklatsches, das heutzutage auf dieser mickrigen kalten Insel lebt und die nicht einmal davon ahnen, was ihre wahren Formen für Mächte enthalten konnten. Wir jedoch, besaßen in der Villa solche Werwölfe. Reinrassige, blutrünstige, Wölfe die keine menschliche Form mehr annehmen konnten. Schon alleine der Gedanke an sie, ließ mir das Wasser im Mund zusammen laufen. Wie könnte es denn auch nicht? Leider hatte jedoch nun Isles mein Blut gekostet und in ihrem Blick konnte ich sehen, dass sie etwas wusste. Nun, ja. Vermutlich weniger wusste, als mehr ahnte. Ob Michellé plante, sie eines Tages einzuweihen? Sie wirkte nämlich nicht, wie ein dummes kleines Mädchen, das mit sich spielen ließ, jedoch war König Michellé, nicht die Art von Person, die sich von solchen Kleinigkeiten aufhalten ließ. Wenn unser König etwas wollte, dann bekam er das auch. Immerhin ist er unser König. Oder mehr noch, ein verwöhnter Prinz, der sich gerne einen Spaß erlaubte.
So traurig es auch klang, doch in unserem Reich der Vampire, ging es nicht um den Reichtum, das Ansehen oder gar um den Besitz. Nein, es ging lediglich, um die Kraft. Je stärker der einzelne Vampir war, umso mehr Macht demonstrierte er. Zwar gab es unter uns keine Hackordnung, wie bei den Wölfen, die immer nur dem stärksten Wolf folgten, doch es ähnelte diesem Prinzip.
Je älter ein Vampir wurde, umso stärker war er auch. Also ein Fünfjähriger würde immer stärker, als ein drei Jahre Jüngerer sein, doch schwächer, als ein jeder Älterer. Jedoch hatte jeder Macher, egal in welchem Alter, eine gewisse Kontrolle über sein >Kind<. Egal wie alt, oder selbst wenn es durch beeinflussende Mittel stärker werden würde, als sein Erschaffer selbst, so besaß er immer noch die Macht über dieses. Es ähnelte stark der Gedankenkontrolle, wie die, die wir bei unseren Blutspendern einsetzen, damit sie friedlich bei uns leben.
Trotzdem ging es viel tiefer. Es war, wie ein Band, das man niemals durchbrechen konnte. Ein Band, das es sogar unmöglich machte, dass das Kind seinen Erschaffer umbringen konnte. Vermutlich war es so etwas, wie eine... natürliche Absicherung. So wie Mutter nicht von ihrem ältesten Sohn Michellé umgebracht werden konnte, konnten Isles und ich König Michellé nicht umbringen. Außer, er ließe es zu. Jedoch schloss es nicht nur einen Mord aus, sondern der Erschaffer konnte sogar seinen Sprössling zu Dinge zwingen, die er nicht machen würde.
Genauso hatte mich Michellé unter Kontrolle. Obwohl ich durch meine andere Ernährung kräftiger war, als er selbst, durch sein hohes Alter, doch noch lange nicht an unsere Mutter heranreichte, schaffte ich es nicht, mich von ihm zu lösen, geschweige denn, das Band zu ihm zu überwinden. Am liebsten würde ich ihm, für seine kranken Experimente und seine Kaltherzigkeit, das Herz herausreißen, doch das ging leider nicht. Gegen meinen Willen, fühle ich mich, als müsse ich ihn vor allem beschützen, selbst, wenn er kein Wort von sich gab. Ich bin sein Sklave. Der Sklave der seine Drecksarbeit erledigt und dennoch bisher sein größter Stolz war.
Sein größter Stolz? Jetzt war das wohl Isles. Ihr Blut an meinen Fingern, das bereits getrocknet war, konnte ich nun ganz einfach von meiner Haut rubbeln, doch trotzdem blieb das warme Gefühl, als sich ihr zartes, empfindliches Fleisch darum geschlossen hatte. Diese dumme Kuh hatte sich doch tatsächlich versucht, selbst zu töten, doch dann hätte mich mein König häuten lassen, dafür dass ich es nicht verhindert hatte. Und ja... häuten war nicht gerade, eine besonders schöne Sache. Nicht, als Vampir, der unfähig war, zu sterben, durch etwas so Banales. Alles wächst bei uns nach. Selbst wenn man einen Vampir köpft, kann er dennoch wieder anwachsen. Das einzige, was einen Vampir wirklich umbringt, ist, wenn man ihm das Herz heraus reißt. Ohne das Herz wurde kein Blut mehr durch den Körper gepumpt und ohne Blut konnten wir nicht leben.
Viele Wissenschaftler hatten in den Jahrhunderten versucht, eine Alternative zu finden, doch keine war akzeptabel genug, um sie eine längere Zeit zu benutzen. Nun war Isles der letzte Versuch. Sie, oder keiner. Ihr Blut soll eines Tages das Medikament der Vampire werden. Der Ersatz, sodass wir nicht mehr von den Menschen abhängig waren, die wir so stark versuchten auszuschließen, wie nur möglich. Nur ob das auf Dauer auch funktionierte? Wer konnte das schon sagen?
„Was ist so interessant an deiner Hand, dass du sie geschlagene fünf Minuten anstarrst?“ Louis Stimme ließ mich herumfahren. Wieso hatte ich ihn nicht gehört? War ich etwa so sehr in Gedanken versunken gewesen? Ich antwortete ihm lediglich mit Schweigen und wandte mich wieder den Trümmern zu, die ich hinterlassen hatte.
„Gerard, wenn du ein Eifersuchtsproblem hast, nur weil du jetzt nicht mehr das einzige überlebende Kind unseres Königs bist...“
„Halt den Mund!“ Fauchte ich wütend. „Du hast keine Ahnung!“ Und das stimmte. Louis hatte nicht einmal den Hauch einer Ahnung. Er wusste nichts, von den Projekten, oder den Versuchen. Er wusste nichts, von den Opfern und Trümmern, die ich in meinen letzten dreihundert Jahren bereits fortgeschafft hatte. Beinahe niemand hatte auch nur den Hauch einer Ahnung, was für ein Teufel unser König ist.
Trotz seines gepflegten und eleganten äußeren, schlummerte tief in ihm die Seele des Satans höchst persönlich. Egal ob Kinder, oder alte Leute. Jeder konnte das Ziel seiner Gier werden.
Unbeachtet ließ ich die Trümmer, so wie meinen derzeitigen Partner hinter mir und lief zurück in das Zimmer, das wir uns derzeit teilen mussten, um mir frische Kleidung zu holen. Kurz danach lief ich ein Stockwerk höher und öffnete die Türe, um hinaus sehen zu können. Der Duft des salzigen Atlantischen Ozeans, empfing mich wie ein kalter Mantel. Dadurch, dass wir Januar hatten und wir uns auch noch mitten im Meer befanden, war es eisig, als ich meinen Mantel fester um mich zuzog und hinaus auf den dunklen Ozean starrte. Die dicken Wolken, welche einen Schneesturm versprachen, verhinderten, dass ich den Mond, oder gar die Sterne ausmachen konnte, doch das war mir egal. Alles was ich wollte, war einfach diese herrliche Stille zu genießen, die Einsamkeit und das sanfte Ziehen an meiner Wange, als würde mich die oberflächliche Wunde daran erinnern wollen, weshalb ich eigentlich hier stand. „Dumme Isles...“ Flüsterte ich gegen den Fahrtwind und strich über die einfach nicht verheilen wollende Wunde. Was hatte sie mir da nur wieder angetan?
Manchmal übernahmen unsere Instinkte, als Vampire, die Kontrolle über uns und wir taten Dinge, die wir nicht verstanden. Auch Isles hatte so etwas gemacht. Sie hatte ein Zeichen gesetzt. Ein Zeichen, gut für alle anderen sichtbar und deutlich verständlich, doch sie hatte keine Ahnung, was es hieß. Doch das war auch gut so. Solange sie kein Zeichen trug, wusste niemand, das sie es getan hatte, abgesehen von Louis und unserem König natürlich. Louis war zwar bewusstlos gewesen, doch trotzdem hatte er eins und eins zusammen gezählt. Wie konnte sie mir so etwas nur antun? Diese Göre!
Trotzdem empfand ich es, als beeindruckend, dass sie trotz allem, was nun über sie zusammen fiel, immer noch diesen dunklen, sturen Ausdruck im Gesicht trug. Eigentlich glich es einem Wunder, dass sie sich nicht zittern unter dem Bett versteckte. Nun, ja. Das war auch besser so, denn somit musste ich mir dieses Mädchengeheul nicht anhören. Glück für mich. Mehr oder weniger...
In der Ferne erregte ein kurzes Aufleuchten eines gelben Lichtes meine Aufmerksamkeit. Kurz darauf ertönte ein Rauschen hinter mir. „Hoheit. Wir haben Sichtkontakt. Wir legen in minus einer Stunde an.“ Abermals rauschte es und der Ton war wieder aus. Also bedeutete dies, dass wir uns, unserem Land näherten. Und Land bedeutete für mich, endlich von diesem Plagegeist in meinem Kopf befreit zu werden, während ich mich um wichtigere Dinge kümmern würde.
Tatsächlich legten wir in weniger, als einer Stunde an und ich verließ das Schiff an der Seite meines Königs. Isles würde erst kurz nach uns, mit den Blutspendern und Louis zusammen aussteigen, was ich durchaus begrüßte. Dies sollte nämlich die letzte unserer Begegnungen sein, bevor ich ihren Körper für Michelles Test auseinandernehmen konnte. Nur noch wenige Jahre. Sagte ich mir. Nur noch wenige Jahre und dann würden wir wissen, ob Isles das ganze Risiko Wert gewesen ist und ihr Blut unsere Erlösung von der Plage Mensch sein könnte!
Mit einem zufriedenen Lächeln, betrat ich den Boden Frankreichs und spürte abermals ein ziehen in meiner Wange, nur mit dem Unterschied, dass ich es dieses Mal gekonnt ignorierte.

VII. Isles Skylander, Vorsicht! Bissig!

Meine ersten Schritte von Board des Schiffes, waren etwas wackelig. Nicht etwa, da ich nervös wurde, nein es lag eher an der Tatsache, dass jemand die Treppe nicht richtig befestigt hatte und ich beinahe, zusammen mit Louis, ins Wasser gefallen wäre.
Er nahm es mit Humor, ich weniger. Um auf meine alten >Hausmittelchen< zurückzugreifen, hatte ich meinen altbewährten >bösen Blick< aufgesetzt, seit mich Gerard umziehen geschickt hatte. Nun trug ich, wie die beiden Vampire, ebenfalls ein schwarzes Top und eine schwarze Hose. Nun unterschied mich beinahe überhaupt nichts mehr, von den Vampiren, bei denen ich leben sollte. Zumindest so viel ich bisher über sie wusste. Und das war bedauerlicherweise nicht viel.
Wie denn auch? Die ganze Zeit, drehten sich meine Gedanken einzig und alleine nur um Gerards Geheimnis. Noch nie hatte ich so Köstliches und vor allem intensiv schmeckendes Blut gekostet. Immer noch leckte ich über die Innenseite meiner Zähne und knabberte ungeduldig auf meiner Unterlippe herum, in der Hoffnung noch einen winzigen Rest zu finden. War das etwa so, wenn man von einem anderen Vampir trank? Oder lag das an etwas anderem? Ich war seitdem so neugierig, dass ich mehrmals frustriert geschnaubt hatte und mir Louis neugierige Blicke zuwarf.
Aber jetzt, war mein Gedanken ganz plötzlich, jedoch zu meiner Freude, vollkommen von Gerard hinfort gelockt worden. Er verschwand, wie seine bloße Existenz, einfach aus meinen Gedanken und staunend betrachtete ich, das mir gänzlich fremde Land. Es war mein erster Schritt. Mein erster Schritt, den ich jemals auf das Festland gesetzt hatte, da ich in England, einer Insel, geboren worden bin und und auf Island, einer Insel, aufwuchs. Traurigerweise fühlte ich absolut keinen Unterschied. Nichts ließ mich erkennen, inwiefern sich eine Insel vom Festland unterschied, abgesehen von der Größe, doch die konnte ich aus meiner Position nicht wirklich erkennen.
„Und, wie findest du Frankreich?“ Louis Stimme erklang direkt neben mir und brachte mich wieder zu den Tatsachen zurück. Ich bin am Festland, als Vampir, unter Vampiren.
Eine Entführung, das war es gewesen. Keiner hatte auch nur einen Gedanken daran verschwendet, auf mich gut einzureden und mich zu überreden, einen Ausflug zu wagen. Andererseits verstand ich es auch. Island lag unter der Kontrolle von den englischen Vampiren. Sie sind es, die den Werwölfen dort dieses Friedensangebot hinterbrachten, wodurch sie sich über Generationen zu, kaum etwas fähigen, Menschen zurückentwickelten. Von Louis wusste ich, dass sie keine Verwandlung mehr besaßen. Nur wenige, und nur sehr starke, schafften es sich Ohren eines Wolfes, oder dessen Krallen wachsen zu lassen. Mehr jedoch nicht, behauptete er und ich beließ es dabei. Die Frau von der Toilette hatte nämlich deutlich mehr getan, als bloß die Ohren aufgestellt, doch ich würde nichts sagen, was das Interesse der anderen Vampire doch noch auf Island lenken könnte.
Nun, gut, knurren konnten alle recht gut, wie ich von Njal wusste.
Njal! Plötzlich fehlte er mir. Wie lange ich wohl auf diesem Schiff gewesen bin? Jetzt war es kurz vor Tagesanbruch und ich wusste, dass wir die ganze Nacht gefahren sind. Aber vor meiner Bewusstlosigkeit hatte ich kein Zeitgefühl, wie viel vergangen sein könnte.
„Schmutzig.“ Antwortete ich gedankenverloren auf Louis Frage. Njal, würde ich wohl niemals wieder sehen. Mein erster Freund, mein erster Werwolf und vor allem... der Erste, der mich akzeptierte und aufklärte. Ein trauriger Zufall, dass sich der König der Vampire genau in diesem Moment entschloss, mich zu sich zu holen. Den Sinn dahinter verstand ich noch nicht, doch meine Hoffnung bestand darin, dass ich alles verstehen würde, sobald ich die Spezies Vampir verstand.
„Ja, ich weiß, hier am Kai ist es nicht gerade gepflegt, aber sobald wir am Schloss sind, sieht gleich alles ganz anders aus.“ Versprach er und deutete auf eine schwarze Limousine.
Mit offenen Mund starrte ich das lange Auto an und fragte mich, wieso es überhaupt noch hier stand. Es wirkte so fehl am Platz, wie ein... Vampir unter Werwölfen. Schmunzelnd stieg ich in das dunkle Gefährt und setzte mich ungefähr in die Mitte des Autos, da ich es so spannend fand, dass man sich darin so frei bewegen konnte.
„Das Auto gefällt dir, aber dass du in einem Anwesen leben sollst, gefällt dir nicht?“ Ich zuckte mit den Schultern. Louis sprach da etwas sehr Spezielles an. Welche Frau träumte nicht, von einem süßen Typen in einer Limousine abgeholt zu werden? Zur Hochzeit, oder zur Abschlussfeier?
„Nun, ja. Das Auto sehe ich und liebe solche Luxusschlitten. Jedoch alle Häuser, die über zweihundert Quadratmeter hinaus gehen und deren Einwohner ich doch überhaupt nicht kenne, überfordern mich.“ Gab ich zu und brachte ihn hell zum Lachen.
„Keine Sorge, unsere Mädels werden dich schon herum führen, sodass du bald jeden Winkel kennst, als wäre es dein eigenes Haus.“
Die Mädels? Was das wohl für Frauen waren? Nun, ja sie lebten bestimmt mit viel zu vielen Männern zusammen und wenn, nur ein paar so wie Gerard...
Die Erinnerung an ihn, ließ meinen Hunger ankurbeln. Ich bin doch ein Idiot. Ganz dringend musste ich etwas an meiner Denkweise ändern, denn wenn ich einmal an diesen dummen Vampir dachte, während eben mein Hunger begann... dann wusste ich nicht, ob ich mich beherrschen könnte und ihm nicht um den Hals falle... oder eher an die Kehle ging. Leider war er der Einzige, der mich aufklären konnte, insofern ich nicht vor hatte, mich endgültig zu blamieren.
„Du hattest gestern nichts zu trinken. Hier, ist etwas bereitgestellt, wenn du möchtest.“ In einer gläsernen, dicken Karaffe, befand sich eine rote Flüssigkeit und jeder hätte spontan angenommen, dass sich Wein darin befand. Jedoch wussten alle Vampire es besser.
Mühsam zog ich meine Zähne zurück und tippte einige Sekunden, ungeduldig auf die weichen Ledersitze. Irgendwann musste ich es ja tun... „Okay, aber bloß ein Glas!“ Verdammte, schwache Willenskraft! Fluchte ich innerlich, nahm ein verziertes Glas entgegen und stürzte den Inhalt, ohne jegliches Zögern hinunter.
„Es wundert mich generell, dass du so lange durchgehalten hast, ohne trinken. Du bist bemerkenswert, für ein Baby.“
Wütend warf ich ihm über den Rand des Glases einen, beinahe, tödlichen Blick zu. „Gib mir lieber noch etwas, bevor ich dir an die Kehle gehe.“ Fauchte ich zornig, doch Louis lachte bloß begeistert, als wäre ich eine alte Freundin von ihm, deren Wutausbrüche man nicht ernst nehmen durfte.
„Hier, bitte schön.“ Dieses Mal trank ich langsamer, denn mittlerweile fühlte ich mich wieder schlecht bei dem Gedanken, wem wohl dieses Blut gehören mochte. Einem Kind? Einem, wie eine Kuh gehaltenen, Erwachsenen?
„Außerdem solltest du andere Vampire wirklich nicht gegen ihren Willen beißen.“
Ich atmete tief durch, bevor ich die dazugehörige Frage stellte. „Wieso nicht?“
„So etwas tun höchstens Paare, wenn sie darauf abzielen, ein Kind zu bekommen.“ Gerade noch so, schaffte ich es, das Blut in meinem Mund zu behalten. „W-Wie bitte?“ Fragte ich schockiert nach.
„Das lernst du später noch alles.“ Schwor Louis mir. „Versprich mir nur, keinem Vampir deine Fangzähne ins Fleisch zu bohren, wenn du nicht für immer mit ihm zusammen bleiben möchtest.“
Meine Augen konnten kaum größer werden und mein Durst war ebenfalls verklungen. War ich etwa jetzt mit Gerard... auf eine verdrehte Art und Weise, zusammen? Nein! Louis übertrieb doch schamlos. „Sehr witzig, Louis. Fast hätte ich es dir abgekauft.“
Seufzend stellte ich das Glas wieder weg und verschränkte meine Beine übereinander, so wie meine Arme vor dem Brustkorb.
„Nein, nein, ma princesse. Ich meine es ernst.“
„Nenn mich ja nicht Prinzessin!“ Fauchte ich wieder wütend werdend.
Louis überging meinen Einwand einfach. „Du wirst es schon sehen. Das nächste Mal, wenn du Gerard siehst, wird er die kleine Wunde in seinem Gesicht immer noch haben.“
Schwer schluckte ich. Aber was bedeutete das jetzt?

VIII. Gerard Tobonneau, der Frauenschreck

Die Limousine, welche zuerst losgefahren war und den König beinhaltete, hielt nach einer Stunde und vierzig Minuten, vor dem Regierungsgebäude, der Vampire an, welche sich in Bordeaux, der wirtschaftlich engagiertesten Stadt in Frankreich befand. Der Fahrer glitt in einem gemächlichen Tempo, um das Auto herum und öffnete dem Vampirkönig die Autotüre. Durch die abgedunkelten Fenster konnte ich erkennen, wie sich einige Touristen, so wie ansässige, nach dem Auto umwandten und einige stießen sogar ein tiefes Seufzen aus, als sie König Michellé sahen. Für Frauen wirkte er, mehr als nur anziehend, doch das beruhte auf Gegenseitigkeit. Michellé ernährte sich ausschließlich von jungen Frauen, wobei ich zugegebener Maßen keinerlei Unterschied herausschmecken konnte.
„Gerard, fahr zum Schloss und achte darauf, dass Isles ihre Ausbildung ohne Umschweife beginnt.“
Ich wollte eigentlich meinem Herren und König folgen, doch er blockierte mir absichtlich den Weg, sodass ich nicht aussteigen konnte. „Wenn das Euer Befehl ist?“ Fragte ich, in der Hoffnung, dass er es sich noch einmal anders überlege.
„Wir sind in Frankreich, Gerard. Kümmere dich besser gründlich um meine Bedürfnisse.“ Warnte der blauäugige Vampir mich und winkte dem Fahrer, die Türe zu schließen. Artig schloss dieser ihn wieder und ich blickte meinem König hinterher, wie er von einer vampirischen Garde, welche immer hier stationiert war und als Bodyguards arbeiteten, umzingelt wurden. Mit gebürtigen Abstand, geleiteten sie ihren König in das Gebäude.
Schnaubend streckte ich mich auf den Ledersitzen aus, bis mir ein anderer Gedanke kam. „Lass den Motor abgeschaltet und warte hier auf unseren König.“ Befahl ich in einer normalen Lautstärke, doch wusste, mein Fahrer hatte mich gehört. Er startete gar nicht erst.
So schnell, dass ich für das menschliche Auge unsichtbar war, sprang ich durch die Deckenöffnung hinaus und sprintete los. Ich wusste Louis und Isles waren gut zehn Minuten nach Michellé und mir losgefahren, was bedeutete, sie waren gerade erst in Bordeaux angekommen. So schnell, dass aller höchstens das vampirische Auge mir folgen konnte, lief ich zwischen den Fahrtrichtungen, entlang, um nicht zufällig einen Menschen umzulaufen. In weniger, als einer Minute, hatte ich die schwarze Limousine entdeckt und zu meinem Glück, stand sie gerade vor einer roten Ampel. Der Fahrer sah mich offenbar kommen, denn das Dachfenster wurde für mich geöffnet.
Noch im Lauf, sprang ich los, entledigte mich meines Mantels und fiel, mit den Füßen voran, direkt in das Auto hinein. Dabei wackelte es kaum, doch ein heller Aufschrei, den ich eigentlich hätte erwarten sollen, ließ mich zur Seite stolpern und auf Louis fallen.
„Uf! Was ist denn mit dir los?“ Fragte Louis völlig überrascht. Zwar hatte er vermutlich geahnt, dass jemand durch das Dachfenster zusteigt, doch ganz offensichtlich, hatten wir beide nicht damit gerechnet, dass ich auf ihm landen würde.
„Heilige Scheiße! Bist durch das...“ Isles Augen wurden groß und sie blickte hinauf zu der Öffnung, durch die kein Mensch gekommen wäre. Zumindest nicht im Sprung und bei dieser Geschwindigkeit. Ich dachte eigentlich, dass sie wieder schreien und toben würde, stattdessen strahlte sie mich begeistert an. „Ich will das auch machen!“
Für einen Moment vergaß ich ganz, wer Isles eigentlich war, und grinste stolz zurück.
„Dafür musst du wohl noch etwas älter werden.“ Es sollte keine Beleidigung sein, sondern eine einfache Tatsache. Wir Vampire wurden mit den Jahren und dem Training schneller. Isles war bloß zwei Jahre alt und besaß nicht einmal den Funken eines Trainings.
Sofort wurde ich schonungslos von ihrem dunklen, stechenden Blick, taxiert. „Ich bin neunzehn!“ Fauchte sie mich an, ließ sich auf ihren Sitz zurückplumpsen und verschränkte ihre Arme, so wie Beine übereinander. In ihrer zu großen Joggingkleidung sah sie dabei geradezu, wie ein bockiger Teenager aus, der heute Abend nicht ausgehen durfte. Toll! Und mit so etwas, musste ich mich herumplagen.
Verdammter Tyrann von König!
„Wieso bist du überhaupt hier? Sonst weichst du nicht einmal zum Scheißen von König Michellés Seite.“
Ein harter Schlag, traf Louis im Magen und er krümmte sich vor Schmerzen, doch lachte. „Pass, auf was du sagst, Louis.“ Eigentlich war Louis sogar älter, als ich, was auch seine natürliche Kraft erklärte, trotzdem war ich der Stärkere, dank dem Blut der wilden Werwölfe. „König Michellé schickt mich. Ich muss mich um die Ausbildung von >ihr< kümmern.“ Während ich sprach, sah ich das bockige kleine Miststück nicht einmal mehr an. Ich würde mich ja doch bloß wieder ärgern.
„Was? Wieso du, Gerard?“
Ich zuckte bloß mit den Schultern, doch in Wahrheit wusste ich es natürlich. Weil Isles ein Projekt ist. Ein Projekt, das Ärger versprach und ich, selbst gegen meinen Willen, um jeden Preis zu beschützen hatte.
„Ich will keine Ausbildung!“ Fauchte das Miststück von der anderen Seite des Wagens. Ist sie etwa noch weiter zurückgewichen? Von hier aus, konnte ich sogar ihre ausgefahrenen Zähne sehen. Dummes Miststück!
„Der König sagte, du musst sie machen, also wirst du es auch tun.“
Isles fletschte bedrohlich die Zähne, doch mich beeindruckte das kein Stück, nicht mit ihrem alter. „Ich werde nichts gegen meinen Willen tun!“
Sie meinte wohl, nicht schon wieder. Ganz offensichtlich hatte sie nicht bemerkt, dass Michellé ihr bereits beim gemeinsamen Dinner, seinen Willen aufgezwungen hatte, als sie mich beschreiben musste. Zwar kannte ich Michellés Pläne hinter dieser Beeinflussung, oder weshalb ich plötzlich den Babysitter spielen sollte noch nicht, doch eines wusste ich... das bedeutete nichts Gutes.
„Ach, sei nicht so, ma prinzesse.“ Säuselte Louis und ich bezweifelte keine Sekunde, dass Isles ihm bereits das Gesicht, für diesen Kosenamen zerfetzt hätte, wenn es nicht Louis gewesen wäre, der sie so nannte. „Denk darüber nach, du kannst ein so begnadeter Kämpfer, wie ich werden, oder so stark und schnell, wie Gerard.“
He! Wenn dann, bin ich ein begnadeter Kämpfer, nicht er! Ich schwieg jedoch.
Isles stürzte die Lippen, als sie nachdachte, dann knabberte sie darauf herum. Ihre Fangzähne waren wieder eingezogen, offenbar war sie zu abgelenkt, um hungrig zu sein. Ob sie überhaupt schon etwas gegessen hatte, abgesehen von mir? Ich sah mich um und erblickte zwei benutzte Gläser. Ein Glück! Trotzdem sah ich das wartende Übel bereits vor mir. Ich schätzte das Miststück so ein, dass wenn sie etwas wissen wollte, es auch erfuhr.
„Da könntest du eigentlich recht haben.“ Hinter ihrem Schmunzeln sah ich schon Rachepläne aufgehen.
„Louis, hör damit auf, ihr Dinge einzureden. Sie stellt ja doch bloß Unsinn an.“ Warnte ich meinen Partner.
„Ich stelle nie Unsinn an!“ Fauchte das Miststück. Von wegen! Isles ist der personifizierte Unsinn!
„Alleine schon, dich mit dem König anzulegen und mehrfach zu bedrohen, ist Unsinn!“ Belehrte ich sie eines Besseren. Wie konnte so ein Blick, bloß noch dunkler werden?
„Er hat es verdient, dieser egoistische, missratene Hur...“ Sie wusste ja überhaupt nicht, wie nahe sie der Wahrheit auf der Spur war, bloß dass sie hinterhältig, tyrannisch und intrigant vergaß. Trotzdem musste ich sie zum Schweigen bringen. Je eher, sie es lernte, umso besser für meinen Seelenfrieden.
Fauchend katapultierte ich mich nach vorne und wollte sie um die Kehle packen, um sie zum Schweigen zu bringen, doch Isles wich geschickter aus, als dass sie aussah. Ich knallte unsanft gegen die Rückenlehne und konnte gerade noch ihre Beine erwischen, bevor sie sich zu Louis hinüber robbte. „Hiergeblieben, du lästiges Miststück!“ Mit einem Ruck, der ihr beinahe die Hose kostete, zog ich sie unter mich und hockte mich auf ihre Schenkel.
„Wie hast du mich gerade genannt!“ Die kleine Furie holte aus, wobei ihre Haare ihr die Sicht versperrten, trotzdem zielte sie, wie ein Ass. Gerade noch so, entkam ich einem verdammt harten Hieb und presste ihren Arm auf den Bauch.
„Ich nannte dich, ein lästiges Miststück!“ Wiederholte ich gereizt, denn eigentlich würde ich mich auf so ein Wortgefecht überhaupt nicht einlassen.
„Verwöhnter Bock!“ Fauchte sie mir entgegen und versuchte sich, aus meinem viel stärkeren Griff zu währen. „Missratener Bastard!“ Schimpfte sie gekonnt weiter.
„Wenn du deine Zunge behalten willst, beherrscht du dich besser auf der Stelle!“ Warnte ich, so ruhig es mir möglich war.
„Du solltest auf Gerard hören.“ Unterstützt Louis mich endlich, doch hatte dabei das fetteste Lächeln im Gesicht, dass ich jemals bei ihm gesehen hatte. „Wenn er ruhig wird, dann ist er kurz davor, jemandem den Kopf abzureißen.“
Isles pustete ihre Haare aus dem Gesicht und funkelte nun auch Louis mit dem zerstörerischsten Blick an, den ich jemals bei einer Frau gesehen hatte. Ihre dunklen Augen schworen geradezu, dass dieses Mädchen ärger bringen würde! „Du könntest mir ruhig helfen, ich werde hier gerade von einem dreihundert Tonner zerdrückt!“
Jetzt nannte sie mich auch noch fett? Dieses Mädchen würde so etwas von...
„Gerard, geh von ihr herunter! Du bist der Ältere, also sei auch der Klügere, oder hast du vor, sie heute noch zum Abendessen zu verspeisen?“
Ich erkannte die Andeutung, in seiner scheinbar völlig harmlosen Frage und fauchte nun ebenfalls Louis an. Im nächsten Moment wich der, ansonsten so stolze Kämpfer, zur anderen Seite der Limousine zurück und wirkte leicht nervös. „Seht mich nicht beide gleichzeitig so an! Da bekommt man ja Platzangst!“
Isles blickte zu mir hoch und ich sah im selben Moment zu ihr. Vermutlich hatte Louis recht. Wenn einer von uns jemanden wütend anfunkelte, konnte man sich auf etwas gefasst machen. Jedoch, wenn man die beiden Blicke bündelte, konnte ich mir vorstellen, wie schnell man sich ins eigene Höschen machen möchte.

 

- - - - -

 

Ergeben seufzte ich, immerhin wollte ich nicht alleine mit dem Miststück im Auto bleiben, falls Louis die Flucht ergriff. Besser er blieb als Streitschlichter. „Während der restlichen Fahrt hältst du die Klappe.“ Mahnte ich die Zweijährige.
„Während der restlichen Fahrt, steckst du am besten deinen Kopf unter die Autoreifen!“ Fauchte sie beleidigt zurück. Was war bloß ihr Problem? Musste sie mir das alles so schwer machen? Dann sollte ich wohl mal besser, andere Seiten aufziehen.
Grob packte ich sie an den Haaren und zog sie unter meinem Hintern hervor. Sofort sah sie ihre Chance, um endlich von mir wegzukommen, doch ich drehte sie herum, sodass sie mich wieder ansehen musste, und parkte ihre breite Hüfte über mir. Selbst saß ich nun bequem auf den Ledersitzen und musste zugeben, dass die Aussicht dadurch nicht gerade schlechter wurde.
„Lass mich los, du verlauster Abschaum, oder ich zerfetz dir das Gesicht!“ Drohte die schwache Furie weiter.
Um sie endlich zu bändigen, verdrehte ich ihr beide Arme auf den Rücken, was Isles nun vollkommen kampfunfähig machte und in ihrem Blick erkannte ich, wie sehr sie diese Pose hasste. Ihre großen Brüste drängten sich, gegen ihren Willen, gegen meine jahrhundertelang trainierte Brust und ihr Schritt lag direkt über meinem. Oh, wie sehr diese Furie diese Position hasste! Beinahe musste ich mit der Angst zu tun bekommen. Zumindest wenn ich sie jetzt losließe.
„Wenn du nicht bald hörst, werde ich deinem kleinen weiblichen Körper Dinge antun, die dich wünschen lassen werden, dass dein Kopf unter einem dieser Reifen liegt.“
Ich drängte sie noch fester gegen mich, sodass ich schon Angst hatte, ihre weiche Oberweite zu zerquetschen, doch so konnte ich wenigstens, mit meinen stumpferen Vorderzähnen, über ihr Kinn streichen. „Du bist ein Vampir, genauso wie ich. Das bedeutet, egal was ich mit dir anstelle, egal was ich in dich rein stecke und dich zu zerreißen drohe, es wird niemals passieren. Jetzt kannst du nicht mehr sterben und ich bin...“ Zart fuhr ich hinab zu ihrem Hals, woraufhin sie wieder versuchte, sich zu entwinden, dieses Mal jedoch wesentlich ängstlicher. „...nicht gerade der nette Typ. Ich bin viel mehr der Typ, der jeden einzelnen Tropfen genießen wird, wenn er endlich die Gelegenheit dazu haben wird!“ Meine Stimme wurde immer leiser und Rauer, bei jedem Wort und es fiel mir immer schwerer, bei ihrem köstlichen Duft, nicht die Kontrolle über meine Zähne zu verlieren. So jung war ich schon wirklich sehr, sehr lange nicht mehr. Jemand in meinem Alter verlor nicht mehr die Kontrolle über seine Fangzähne! Niemals!
Da Isles endlich ruhig wurde, ihre Atmung hektisch ging und sie endlich eingesehen zu haben schien, dass sie haushoch verloren hatte, ließ ich langsam und vor allem, vorsichtig, ihre Arme los.
Bloß zögerlich löste sie diese, doch bewegte sich nicht weg von mir. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie bei der ersten Gelegenheit ihre Chance ergreifen würde, doch Isles blieb ruhig. Für meinen Geschmack, trotz ihrer hektischen Atmung, viel zu ruhig.
Langsam blickte ich wieder auf, in ihr halb abgewandtes Gesicht und erkannte, dass sie um Kontrolle kämpfte. Beeindruckend und das in diesem Alter.
Langsam, etwas zu langsam, sodass es regelrecht erzwungen wirkte, fuhren Isles Zähne zurück in ihren Oberkiefer und sie wagte es endlich, mich, schwer schluckend, anzusehen. Immer noch saß sie auf mir, doch allmählich hatte ich das Gefühl, mich bedroht fühlen zu müssen. Ihr Blick traf meinen und ich erkannte einen gewissen Funken darin. Hatte ihr das etwa gerade gefallen? Nein! Das konnte ich mir nicht vorstellen.
Plötzlich lächelte sie tatsächlich ein süffisantes Lächeln und schob ihre Hüfte von meiner herunter, sodass sie nun auf meinen Knien hockte. Ihre Hände stützte sie auf meinen Oberschenkel ab und kam meiner Nase, mit ihrer eigenen bedrohlich nahe. Ja, jetzt sollte ich mich eigentlich fürchten! Aber bestimmt nicht vor einer Zweijährigen!
„Reiß mal lieber nicht dein Maul zu weit auf, Goldfisch. Ansonsten beginnen noch Vögel darin zu nisten, weil du deine Nase so hoch wie ein Baum trägst.“ Ich fauchte sie an und meine Zähne brachen hervor. Eine kleine Lektion konnte wohl kaum schaden. „Deine >netten< Versprechungen in Ehren, aber du kannst mir überhaupt nichts, Lakai des Königs.“ Ihr Grinsen wurde noch größer und ihr Blick wanderte hinab zu meinen ausgefahrenen Zähnen, als würden diese sie ablenken.
„Was garantiert dir das? Ich soll dich bloß am Leben halten, aber unter bestimmten Umständen, kann auch das eine Qual sein.“ Erinnerte ich Isles und sie riss ihren Anblick von meinen spitzen Fängen los.
„Ohne dein Gehirn mit seinem hässlichen Diadem am Kopf, helfen dir weder deine Muskeln, noch deine armseligen Drohungen!“ In einem bestimmten Punkt hatte sie recht. Fasse ich sie an, war eine ordentliche Strafe vorprogrammiert. Aber sie einfach, ohne Konsequenzen wüten zu lassen, konnte ich auch nicht. Der Ruf, welchen unsere Familie Tobonneau seit Jahrtausenden besaß, würde mit ihrem losen Mundwerk schnell einmal ins Wanken geraten.
„Das war keine Drohung, poussin.“ Mit einem Ruck drehte ich ihren Kopf herum, sodass ihr Genick brach und sie sackte auf mir zusammen. Erleichtert seufzte ich.
„Musste das sein, Gerard?“ Schimpfte Louis, während ich meine verspannte Nasenwurzel massierte.
„Das fragst du auch noch? Hast du ihr nicht zugehört?“ Murrte ich zurück. Wenigstens musste ich jetzt nicht mehr auf Isländisch sprechen, wo sie endlich ausgeschaltet war.
„Es geht mir weniger, um ihre pubertären Nerven, als darum, dass du doch dafür sorgen sollst, dass sie mit ihrem Training beginnt. Jetzt ist sie die nächsten Stunden außer Gefecht und danach, mehr als nur stinkwütend. Sie wird wieder zur Furie werden, Gerard.“ Tadelte er, mit hochgezogenen Brauen.
Ich ließ meine Arme sacken und bemerkte erst da, dass sie doch noch immer auf mir lag. Sanft legte ich meine Arme um sie und rückte sie zurecht, sodass sie bequem, mit ihrem Kopf, auf meinem Schoß schlief und ihre Beine ausgestreckt auf der Ledergarnitur ruhten. So ruhig würde sie vermutlich nie wieder neben mir liegen.
„Bis nach Toulouse haben wir noch zweieinhalb Stunden und danach noch drei weitere, in denen sie schlafen wird. Glaube mir... so ist es besser, Louis.“ Das Miststück raubt einem den letzten Nerv! Ohne den Funken von Gnade in ihren dunklen, beinahe seelenlosen Augen.
„Du und deine kurzen Geduldsfäden. Irgendwann bringen die dich noch in Teufels Küche.“ Ich und kurze Geduldsfäden? Wer ist es denn, die mich ständig attackieren muss und meint Gott und die Welt, dreht sich um sie? Wütend funkelte ich Louis an, woraufhin er beschwichtigend die Arme hob. „Schon gut, schon gut. Ist deine Sache. Aber komm dich später nicht ausweinen, wenn sie dir in den Arsch tritt.“
Darauf erwiderte ich überhaupt nichts mehr. Das war es mir bei weitem nicht Wert.

 

- - - - -

 

Nach etwas weniger, als zweieinhalb Stunden, kamen wir im Schloss der Vampire an. Menschen hatten hier keinen Zugang und die Fenster besaßen eine spezielle Verglasung, sodass man nicht zufällig durch diese irgendetwas Ungewöhnliches sah. Dafür dass wir am Rande von Toulouse unseren Hauptsitz hatten, war es recht lebhaft und so gut, wie der gesamte südöstliche Vampirstamm hatte hier seinen Sitz. In Europa gab es genau zwei Clans. Die Tobonneau, welche von Frankreich, bis Spanien und Italien regieren.
Und die Redvers, deren Sitz lag direkt in London und zog sich über das Meer, bis nach Deutschland. Vor gut über tausend Jahren, gehörte einer unserer Familien noch das gesamte, heutige, Europa, doch irgendwann hat sich dieser starke Clan, in zwei geteilt. Jetzt regieren wir bloß noch über einen Teil, doch der Tobonneau Clan hatte sich für den Fortschritt zurückgezogen und die freien Länder, waren seitdem Freiwild. Alles was darauf geschah, war die eigene Schuld und man behelligte besser nicht die Könige.
Louis schuf ich an, die immer noch >tote< Isles zu tragen, während ich die hohen Stufen, des Schlosses hinauf stieg. Er folgte mir, im selben Tempo, doch hielt einen größeren Abstand, als hätte er Angst, ich könnte abermals auf das Miststück losgehen. Dabei war sie es doch, die mich immer bis ans Äußerste reizte!
Schnaubend konzentrierte ich mich auf den Weg. Das Tor des Einganges, stand rund um die Uhr offen, doch das störte nicht. Der Eingang war vielleicht groß und pompös gehalten, doch das wahre Schauspiel fand eher in den hinteren, so wie dem Keller statt.
„Wo sollen wir sie hinbringen?“ Fragte Louis und blickte die Stockwerke hinauf, als würde er überlegen, welche Zimmer frei wären.
„Louis! Mein Herz!“ Eine der schönsten Frauen im gesamten Schloss erschien im dritten Stockwerk, am Geländer und winkte ihrem Mann hinunter. Strahlend erwiderte Louis ihren Blick und schickte ihr einen Kuss nach oben, denn er hatte keine Hand frei. Meiner Meinung nach, hätte er sich das Miststück auch einfach über die Schulter werfen, oder hinter sich herziehen können. Ich hätte keine Einwände gehabt.
„Ihr seid spät!“ Schimpfte Manon über Louis und mich.
„Ich wusste ja gar nicht, dass wir verabredet waren, mein Herz.“ Säuselte Louis frisch verliebt, als wären die beiden nicht bereits seit etwas weniger, als sechshundert Jahren zusammen.
„Waren wir auch nicht, Schatz. Aber wir haben unsere neue Freundin bereits gestern erwartet und wollten heute schon etwas mit ihr unternehmen.“ Die schwarzhaarige kam langsam die Treppe hinunter, als wäre sie ein normaler Mensch, doch während sie hinunter kam, schlossen sich ihr sechs weitere Frauen an. Jede von ihnen war schöner, als die andere, was bei uns Vampiren typisch war. Immerhin brachte der Virus, bis zu einem gewissen Grad, bloß das Beste in uns zum Vorschein.
Louis hatte seine Manon vor sechs Jahrhunderten in einer Ausstellung getroffen. Ihr damaliger Mann, hatte sie dazu gezwungen mitzukommen, um Geld für seine Forschungen zu erlangen. Damals war sie schon hübsch zum Ansehen gewesen, für einen Menschen. Jetzt lag sie, auf ihre eigene Weise, gleichauf, mit den anderen sechs Damen. Louis hatte sie damals entführt, woraufhin sie den gutmütigen Idioten gleiche einmal vier Stockwerke hinunter geworfen hat. Als er dann am Eingang, ganz gelassen auf sie gewartet hatte, war sie erst einmal in Ohnmacht gefallen.
Bloß Louis und Manon wussten, was danach geschehen ist, doch seit damals sind sie beinahe unzertrennbar und hatten bereits drei Jungvampire gemeinsam. Alles drei Jungs, was nicht verwunderlich war.
„Das Miststück kommt erst einmal zum Training, sie ist nicht gesittet genug, um euch bereits folgen zu dürfen.“ Widersprach ich Manon, deren Fußtritte selbst von mir bewundert wurden. Zwar nicht wirklich damenhaft, doch effektiv, wenn ich ehrlich sein durfte. Natürlich würde ich so etwas niemals laut zugeben.
„Ach, papperlapapp! Gerard, sei nicht so streng. Von wollüstigen Neandertaler entführt zu werden, ist in keinem Jahrhundert leicht zu verkraften.“ Dabei zwinkerte sie ihrem Mann belustigt zu. Bis heute war dies ein konstanter Scherz zwischen den beiden.
„Wir sind weder Neandertaler, noch ansatzweise wollüstig.“ Wie kam diese Frau bloß immer auf solchen Unsinn? „Der König hat...“
Francesca, eine von unseren beiden Spanierinnen unterbrach mich. „Der König hier. Der König da.“ Äffte sie gelangweilt. „Hast du auch noch andere Platten, Gerard?“
Fauchend wandte ich mich an Louis und schnappte ihm, die immer noch tote Isles weg. „Sie kommt zum Training!“ Entschied ich stur. Wenn sie nicht irgendwelche Fortschritte machte, bis unser König wieder zurück war, würde es mir an den Kragen gehen.
Plötzlich standen drei Blondinen vor mir und bleckten die Zähne. Cloé, Isabelle und Aurora blockierten mir den Weg, welcher in den Keller hinab führte. „Frauen! Aus dem Weg!“ Fauchte ich in einem tiefen Basston.
Sie blickten sich einen Moment forschend an, doch Aurora, unsere einzige Italienerin wich zuerst. „Mit Gerard lege ich mich wirklich nicht an, wenn er diesen Tonfall einsetzt.“ Bemerkte sie lediglich und verschwand wieder hinauf in eines der oberen Stockwerke.
Die beiden Blondinen folgten ihr, einen Moment später taten es ihnen die beiden brünetten nach. Bloß Manon blieb stehen. Sie war älter als ich, doppelt so alt, trotzdem überstiegen meine Kräfte ihre bei weitem. „Wir sehen uns später.“ Diese kalten Worte waren an mich gerichtet, immerhin war ich alles andere, als beliebt, bei diesen Hennen, doch Louis bekam einen langen, zärtlichen Kuss, den ich mir aber unter keinen Umständen ansehen wollte. Stattdessen lief ich sieben Stockwerke hinab.
„Gerard?“ Fragte ein Mann, der größer und breiter war, als ich. Soviel ich wusste, ist er gut zweitausend Jahre alt und so sah er auch aus. Kurz geschnittenes, etwas löchriges Haar saß auf seinem Kopf, seine graublauen Augen erstachen einem regelrecht unter seiner finsteren Miene und seine Lippen waren so gut wie immer, nicht mehr als dünne Striche. Soviel ich wusste, warb dieser Vampir seit über einem Jahrtausend um Francesca, doch bisher hat sie nicht eine Sekunde nachgegeben. Die beiden waren eher der Typ Vampir, der sich gegenseitig die Kehle herausriss, bei einem Streit.
„Ich brauche etwas Werwolfblut.“ Sagte ich lediglich.
Der Mann, der sogar noch weniger gesprächig, als ich selbst war, reichte mir eine Flasche, doch ich deutete ihm, mir gleich drei zu geben. Kopfschüttelnd reichte er mir diese. Eigentlich trank ich bloß einmal die Woche Werwolfblut und mein Körper nahm es auch sehr gut an. Es machte mich stärker, schneller und ich heilte fast augenblicklich, nachdem ich es konsumiert hatte.
Jetzt musste ich erst einmal Isles dazu bringen, auch davon zu trinken. Das konnte etwas... anstrengend werden. „Wer ist das?“ Ich blickte auf die Schenkel, welche schlaff auf meiner Schulter ruhten.
„Ein Neuzugang.“
„Jung?“
„Ja.“ Damit ging ich wieder hinauf und überließ Beliov seiner Pflicht. Hier im untersten Stockwerk, gab es kaum Licht, da es die wilden Werwölfe nicht mehr gewohnt waren und schrecklich darunter leiden würden. In weniger als zwei Sekunden, war ich wieder einige Stockwerke höher, im Reich der Jungvampire.
Jedes Stockwerk wurde, mittels einer dicken Stahltüre von der anderen gesichert. Dank moderner Elektronik, musste man ein Passwort eingeben, so wie seinen Handabdruck scannen lassen, um von einem der unteren Stockwerke, in das nächste zu kommen.
Im dritten Untergeschoss sah es, im Gegensatz zu den untersten vier Kellergeschossen, recht human aus. Die Wände besaßen eine Farbe, von der man Blut leicht abspritzen konnte, mit einem Schlauch und selbst die Böden waren, verfließt, was es hier etwas kälter machte, als in allen anderen Stockwerken.
„Oh, ein Neuzugang?“ Erklang es aus mehreren Mündern, während ich durch die Gassen, der Neulinge glitt. In einem ruhigen Tempo, um die temperamentvollen Monster nicht zu reizen, visierte ich eines der hintersten Zimmer an und legte dort Isles auf eines der noch freien Betten ab. Das konnte ja jetzt lustig werden. Dachte ich mir, während ich die Türe hinter mir abschloss, damit sie nicht gleich ausbüxen konnte.

IX. Isles Skylander, Leidenschaft in Frankreich

„Nimm deine Pfoten weg, Chloé.“
„Ich will doch nur kosten!“ Verteidigte sich, die eben angesprochene.
„Das gehört aber Isles, wenn sie aufwacht.“ Schimpfte eine dritte Stimme. Alle drei schienen weiblich zu sein, wenn ich mich jetzt nicht irrte.
„Zwei Flaschen? Das glaube ich eher weniger, Schwesterherz.“ Das war wieder Cloé, welche gerade herumzulaufen schien. Vermutlich, um sich das nicht abnehmen zu lassen, was sie mir angeblich gestohlen hatte.
„Cloé! Ich warne dich!“ Es war eine vierte, recht harsche Stimme, doch war ich mir sicher, sie gehörte einer Frau.
„Ach, kommt schon! Wir bekommen immer so wenig Werwolfblut. Das sollten wir uns aufteilen? Eine Flasche! Versprochen!“ Daraufhin erklang ein Aufschrei und etwas ging zu Bruch.
„Sehr gut gemacht, Lucie! Jetzt ist die Lampe kaputt. Sie war mein Liebling!“
Chloé schien aufzugeben, denn danach sprach die Erste wieder. „Das hast du davon, jetzt gib her. Danke!“
Das Bett, auf dem ich zweifellos lag, senkte sich und jemand berührte mich am Arm „Bist du schon wach?“
Langsam blickte ich auf und eine schwarzhaarige, wirklich viel zu hübsche Frau, lächelte mich mit einem so friedlichen Lächeln an, dass ich sofort zurücklächelte. „Jetzt schon.“ Gab ich zu. Ich setzte mich auf und fand sieben Frauen in einem fürchterlich altmodisch eingerichteten Zimmer wieder. Drei von ihnen waren Blond, drei brünett, bloß diejenige, welche neben mir saß und mir ein Glas mit Blut hinhielt, besaß eine tiefe schwarze Haarfarbe. Ich fragte mich, ob man von Natur aus, so dunkles Haar haben konnte, oder ob die Frau etwas nachgeholfen hatte?
Jede einzelne von ihnen besaß sehr helle Haut, ähnlich wie die meine, wobei der Farbton, je nach Sättigung etwas variierte. Ein Detail, das wohl bloß einem Vampir auffallen konnte. „Trink erst einmal. So ein Bruch, verbraucht viel Energie. Mein Name ist Manon.“
Bruch? Oh! Dieser verdammte... „Genau denselben Blick habe ich auch immer, wenn ich an Gerard denke.“ Kicherte eine Blondine und bekam vorwurfsvolle Blicke zugeworfen.
„Aurora!“ Schimpfte diejenige, welche Chloé sein musste. Aurora streckte ihr die Zunge heraus, woraufhin sich die beiden Freundinnen verschwörerisch anlächelten. Sie schienen netter zu sein, als die Vampire, die ich bisher getroffen hatte.
„Wo bin ich?“ Fragte ich, während ich am zweitbesten Blut nippte, das ich jemals getrunken hatte. Eilig stürzte ich es hinunter und blickte mich nach der zweiten Flasche um, welche irgendwann einmal erwähnt worden war. Ich fand eine auf dem Nachttisch, griff danach und schraubte sie mit zittrigen Händen auf.
„Im Schloss der Vampire, in Toulous.“ Erklärte Manon, die Schwarzhaarige.
„Toulous? Immer noch in Frankreich?“ Fragte ich und setzte sofort die Flasche wieder an.
„Natürlich.“ Grinste Aurora stolz. „Eines der schönsten und romantischsten Länder, weltweit.“ Als wäre sie stolz auf ihr Land, legte sie die Hand aufs Herz und wirkte verträumt.
Enttäuscht verzog ich das Gesicht. „Verdammt.“
„Wolltest du etwa wo anders hin?“ Fragte nun eine brünette, deren Haare zu einem bauchlangen Zopf geflochten war und mit einer stoischen Miene auf mich herabblickte.
„Ja, am liebsten... nach >Weit, Weit Weg<.“ Niemand schien meine Anspielung zu verstehen, doch das hatte ich überhaupt nicht erwartet. Keine der Frauen, wirkte wie jemand, der etwas für Kinderfilme übrig hatte. Jede von ihnen schien Mitte dreißig, oder etwas jünger zu sein, während ihre Ausstrahlung mir verriet, das keine hier, vermutlich, jünger als vierhundert Jahre sein konnte. „Wo ist überhaupt der Schraubstock... Gerard?“ Ergänzte ich, als die Frauen sich fragend anblickten.
Sofort breitete sich bei jeder von ihnen ein belustigtes Lächeln aus. „Wir haben ihn ausgetrickst.“ Meinte eine Blondine, die es sich auf dem brusthohen Kleiderschrank bequem gemacht hatte. „Ich habe ihn ausgetrickst, Isabelle!“ Korrigierte Chloé und hüpfte zu mir aufs Bett. „Glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich großen Ärger bekomme, wenn er mich findet.“
„Dann ist es wohl besser, er tut es nicht, sonst sind wir alle dran!“ Kicherte Manon, woraufhin Chloé ihr die Zunge herausstreckte.
„Wir haben dich gekidnappt.“ Aurora warf ihr langes, glattes Haar zurück und zwinkerte mir verschwörerisch zu, als hätten sie mich gerettet. Vermutlich hatten sie das auch. „Und es war auch meine Idee.“
„Für die ich wieder herhalten muss, er hat mich ja gesehen, wie ich Unruhe unter den Jungen gestiftet habe.“
„Hast du meine Söhne eigentlich dort unten gesehen?“
Chloé tätschelte Manon die Hand. „Sie sind nicht im dritten Stock, das weißt du doch, ma puce.“
Die Flasche war leer, trotzdem hatte ich Lust auf mehr. „Vampire bekommen Kinder?“ Die Frage rutschte mir einfach so heraus.
„Natürlich, ma puce.“ Antwortete Isabelle. „Es dauert lange und man muss dafür in eine Art Schlaf gleiten, mit seinem Partner, doch es geht.“
Eine Art Schlaf? Klang ja nicht gerade aufregend. Vermutlich sollte ich es überhaupt nicht genauer wissen. „Egal... Wieso genau, habt ihr mich gekidnappt?“
„Wolltest du etwa länger bei dem steifen Gerard bleiben?“ Fragte Aurora mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Nein!“ Gab ich zurück. Ehrlich gesagt, war ich mehr als froh, ihn nicht sehen zu müssen. Vor allem für ihn war es sicherer, solange er meinen Fängen nicht zu nahe kam. Ich hatte große Lust, ihm eine Abreibung zu verpassen. Er hat mir das Genick gebrochen! Gerard hat mir doch ernsthaft... einfach den Kopf umgedreht! Alleine dafür wollte ich an die Decke gehen, doch die Frauen schienen fürchterlich nett zu sein, sie sprachen sogar auf Isländisch mit mir. Außer ein paar einzelne Wörter.
„Na siehst du. Wir Frauen müssen doch zusammen halten.“ Jeder wechselte einen verschwörerischen Blick und nun musste ich auch wieder lächeln. Ja, die Mädels hier, waren wirklich eine Klasse für sich.
„Manon?“ Ich erkannte Louis Stimme, wie er etwas auf Französisch plapperte, doch mehr, als Namen verstand ich nicht. Meiner fiel sogar. „Oh, je!“ Manon flitzte zur Türe, vermutlich um Louis abzuhalten, hereinzukommen, doch zu spät. Und er wirkte auf keinen Fall begeistert.
Ich konnte schwören, ihn >Was zum Teufel< sagen zu hören, bevor er in eine wilde Schimpftirade fiel, wobei die Namen >Gerard< und >Michellé< fielen. Manon schien sich zu verteidigen und legte sogar ihre Arme um Louis Nacken, woraufhin er sich allmählich beruhigte.
Plötzlich wechselte er auf Isländisch. „Bringt jetzt lieber Isles zurück, dann fällt eure Strafe weniger streng aus.“
„Ich will aber nicht zu Gerard!“ Fauchte ich auf.
Louis blickte mich entschuldigend an. „Ich weiß, aber er hat einen Auftrag, den er erledigen muss, bevor der König zurückkommt. Du wirst ebenfalls darunter leiden, wenn du keine ordentlichen Fortschritte machst, das sollte meine Frau eigentlich wissen und nicht einfach irgendjemanden kidnappen!“ Der letzte Teil galt Manon, die beleidigt dreinsah. Das war seine Frau? Die beiden wirkten, wie das absolute Traumpaar. Gingen solche Traumpaar-Beziehungen nicht eigentlich immer in die Brüche und waren lediglich Werbezwecke unter Stars?
„Ich habe sie nicht entführt, das war Chloé.“
Chloé kam aus dem Bett hoch, wobei ich ihr folgte, und diese deutete auf Aurora. „Aber es war ihre Idee.“
Aurora, welche galant wie eine richtige Dame, auf einem sehr altmodischen Stuhl saß, als gehöre sie genau dorthin, winkte ab. „Ach, was. Das war doch eine Kleinigkeit.“ Aurora schien einfach, nur Stolz auf das geschehene zu sein, wofür Louis sie auch gleich wieder beschimpfte, auf Französisch natürlich.
„Gib uns noch ein paar Stunden mit ihr, bitte mon coseur.“
Louis schüttelte entschieden den Kopf. „Es tut mir leid, Manon. Aber damit seid ihr sieben wirklich zu weit gegangen. Und jetzt los.“
Manon deutete den Frauen, auch mir, dass wir gehen würden, um uns unserem Schicksal zu ergeben. Chloé legte mir ihren Arm um die Schulter, als wäre ich jetzt schon ihre neue beste Freundin. „Keine Sorge, ich nehme... fast die ganze Schuld auf mich.“
Dafür kassierte sie einen verärgerten Seitenblick, von Aurora, was mich zum Lachen brachte. Die Frauen wurden mir mit jeder Sekunde sympathischer.
„Du wirst schon sehen, so schlecht ist es hier nicht. Zumindest wenn man den dummen Männern ausweichen kann.“ Das war die groß gebaute Amazone, mit dem langen Zopf. Francesca. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich von den Frauen umzingelt war und wir in einer Art Formation gingen. Und ich war im Mittelpunkt. Sie beschützten mich!
„Du nicht, Manon!“ Manon wollte uns hinaus, aus dem Schlafzimmer folgen, doch Louis schlang seine Arme um ihre Taille. „Du musst noch deine Strafe aussitzen, schon vergessen?“ Zärtlich knabberte er an ihrem Hals, woraufhin die Frau verlegen kicherte.
Kurzerhand schloss sie die Türe, doch winkte uns noch davor und wir waren alleine in deren Wohnung. Aurora, welche an der Spitze ging, führte uns aus dem Raum, hinaus auf einen Flur und sperrte ab, vermutlich damit die beiden Liebenden nicht gestört wurden. Vielleicht war mein erster Eindruck von den Vampiren doch falsch gewesen?
„Isles!“ Mein Name erklang durch den gesamten Flur und so tief, dass ich schon dachte, der Donner selbst hätte ihn ausgespuckt. Schockiert blickten wir sieben auf einen Gerard, der außer sich war, vor Wut. „Beweg dich sofort hier her und wehe ich muss dich holen kommen!“ Drohte er und deutete vor seine Füße.
Ich wollte schon einen Schritt zurückgehen, weg von Gerard, doch stieß dabei gegen Francesca. „So wütend habe ich ihn noch nie gesehen.“ Flüsterte die riesige Frau hinter mir.
„Oh, oh. Ich glaube, wir haben den Pittbull etwas zu sehr gereizt.“ Kam es von Isabelle. Offenbar stand ich wieder einmal alleine da. Vor Gerard half auch eine Gruppe Frauen nichts, die sich alle einzeln, älter als Gerard anfühlten.
„Seid froh, dass ich nicht jede Einzelne von euch, den Werwölfe vorwerfen darf!“ Fauchte Gerard und kam nun tatsächlich auf uns zu, sodass die gesamte Gruppe kuschte. Nun ja, alle sechs Frauen, außer mir. Ich wusste nicht, was in mir vorging, doch sobald Gerard in der Nähe war, reagierte ich nicht gerade vorhersehbar.
Ich brach aus der Gruppe aus und lief direkt auf Gerard zu. Er blieb stehen und schien abwarten zu wollen, was ich vor hatte. Direkt vor ihm blieb ich schlitternd stehen und Gerard breitete die Arme aus, als würde ich jede Sekunde versuchen, um ihn herumzulaufen.
„Was denn? Du wolltest doch, dass ich zu dir komme, oder?“ Fragte ich, doch konnte mir ein breites Grinsen nicht verkneifen.
„Ich traue dir aber nicht.“ Gab er wahrheitsgemäß zu und schien nach mir greifen zu wollen.
„Ist wohl auch besser so.“ Ich täuschte links an, doch Gerard war verdammt schnell. Jedoch anstatt rechts an ihm vorbeizulaufen, oder zu versuchen ihm in die andere Richtung zu entkommen, tat ich wieder etwas vollkommen Unvorhersehbares. Ich beugte mich ihm entgegen und presste meine Lippen auf seine. Ins Taumeln geraten, schien Gerard für einen Moment nicht zu wissen, was er tun sollte. Ich küsste ihn, unverblümt auf den Mund, während hinter uns, mehrere Frauen die Luft zischend einzogen. Völlig perplex, stand Gerard da, die Arme immer noch seitlich ausgestreckt und schien nicht zu wissen, ob er meinen Kuss erwidern sollte, oder vielleicht sogar schlimmeres tun? Ich jedoch, ließ keine unnötige Zeit verstreichen, riss seine Hose mit der Kraft eines Vampires auf, woraufhin sie zu Boden glitt. „Verdammtes...“ Und weg war ich.
Lachend lief ich den Gang hinunter, schneller als das ich jemals gelaufen war, während Gerard nach seiner Hose angelte, um zu retten, was am oberen Saum, der die Hose hielt, noch zu retten war. Leider gar nichts. Mit einem Sprung setzte ich über das Geländer hinweg, doch merkte zu spät, dass ich mich mindestens im dritten Stock befinden musste. „Oh Scheiße!“ Mit einem Aufschrei versuchte ich noch, das Geländer zu erwischen, doch bin ich definitiv zu weit gesprungen, um noch einmal einen Rückzieher machen zu können.
Während das laute Gelächter aus dem dritten Stock plötzlich leiser wurde, zog die Erdanziehungskraft mich ohne Gnade zu Boden, wo ich mit einem lauten Krach aufkam. Oh, je. Der Marmor war wohl dahin. Er splitterte unter meinem Aufprall, doch ich hielt mich nicht damit auf, sondern rannte einfach weiter. Direkt in eine Wand von Vampire hinein. „Nein! Lasst mich los!“ Fauchte ich, schlug so stark ich konnte, und sah sogar, wie Blut spritzte. Irgendjemanden musste ich echt gut getroffen haben.
Ich schlug wie eine Furie um mich, eine gefühlte Stunde, dann war ich auf den Boden genagelt und fünf Hände hielten mich nieder. Zwei meine Arme, zwei meine Beine und einer drückte meinen Kopf auf den Boden. Verfluchten Schweine!
Ich hörte mehrere auf mich einreden, doch verstand kein Wort. Stattdessen spuckte ich den Arschlöchern wüste Beschimpfungen entgegen, bis plötzlich zwei große schwarze Schuhe vor mir erschienen.
So schlagartig, wie es still wurde, ahnte ich, wer es sein musste. „Wenn du so einen Scheiß noch einmal versuchst, reiß ich dir den Kopf ab und stell ihn auf eine der Säulen!“ Ich fauchte Gerards Füße an, denn mehr konnte ich nicht von ihm sehen.
Er fauchte einen Befehl, woraufhin ich losgelassen wurde. Langsam kam ich auf, denn ein jedes Körperteil von mir schmerzte. Eine Hand schloss sich, wie aus dem Nichts um meine Kehle und hob mich auf Armhöhe, hoch. „Wehe du wagst es!“ Mahnte Gerard und funkelte mich mit wütenden Augen und ausgefahrenen Zähnen an.
Kurz tauschte er sich mit den umstehenden Vampiren aus, woraufhin sie ihre Formation auflösten, erst dann, stellte er mich auf den Boden zurück. Erleichtert rieb ich meinen Hals. „Spielverderber.“
Grob packte Gerard mich am Oberarm und zog mich mit sich mit. Geschlagen folgte ich ihm, denn mein Hunger meldete sich umso stärker wieder. Auch meine Fangzähne waren ausgefahren und ich musste mich zusammenreißen, ihm nicht gleich hier, vor allen Leuten, an die Kehle zu gehen.
„Hast du deine Flaschen noch?“ Ich zuckte mit den Schultern. Zumindest mit einer, die andere befand sich in einem festen Schraubstock gefangen. „Ja, eine geht direkt neben mir.“
Gerard würdigte mich nicht einmal mit einem Blick, sondern verdrehte bloß die Augen. „Die Blutflaschen? Hast du deine beiden noch?“
„Ich habe vorhin eine getrunken, die war richtig gut.“ Gab ich zu.
„Und die zweite?“ Hakte er sofort nach. „Mehr hatte ich nicht.“ Log ich, denn ich wusste, dass die Mädels sie untereinander aufgeteilt haben mussten, oder es noch tun würden.
Schnaufend hielt Gerard inne und blickte sich suchend um. Erst jetzt bemerkte ich, dass er mit der anderen Hand seine Hose am Saum hielt. Ich grinste begeistert.
„Egal, ich besorge dir später eine Neue, erst einmal musst du lernen.“
Mit einem viel zu festen Ruck, zog er mich neben sich her. „Aua! Was soll ich denn lernen? Ohne Blut in meinem linken Arm herumzulaufen?“ Fauchte ich ihn wieder gereizt an.
Jetzt kassierte ich doch einen Seitenblick, welcher vermutlich meinen Kopf sprengen sollte. „Nein, du sollst endlich französisch lernen.“

 

- - - - -

 

Mehrere Stockwerke tiefer, hielt Gerard an. Er hatte mich durch die Reihen, einiger in weiße Zellen gesperrter Jungvampire gezogen. Alle davon waren gut zwei Jahre älter, zumindest sagte, dass Gerard, wobei ich wesentlich besser aussah, als sie.
Ihre Haut besaß einen ungesunden Grauton, ihre Pupillen waren erweitert, dank der geringen Beleuchtung hier unten und jeder einzelne, wirkte wie ein Drogenabhängiger, der gerade versuchte, Abstinent zu leben. „Ach du... Scheiße...“ Flüsterte ich vor mich hin und konnte einfach nicht die Augen von ihnen abwenden.
Gerard war mit mir stehen geblieben und entließ sogar endlich meinen Arm aus seinem Eisengriff.
„Das sind Jungvampire, keiner von ihnen ist älter als vier Jahre. Mit fünf werden sie versetzt, ein Stockwerk höher, wenn sie ihren Durst endlich kontrollieren können und lernen, alles was sie in ihrem neuen Leben benötigen.“
Ich spürte, wie plötzlich meine Beine weich wurden. So hätte ich enden sollen? Genau so, grau, verbraucht und zitternd, wollte mich König Michellé einfach auf einer kleinen Insel zurücklassen. Er hätte zugelassen, dass ich meine Familie und Freunde nicht bloß psychisch von mir stoße, sondern sie aussauge, zerstöre und wie einen Haufen Dreck in meinem Keller verscharrte.
„Isles?“
Ich fühlte, wie mir das Blut, welches ich gerade eben noch getrunken hatte, und noch nicht in meinen Organismus übergegangen war, hochkam und hielt mir die Hand vor den Mund. „Mist...“ Würgend stieß ich mich von Gerard ab, um ihn nicht zu treffen, doch er hob mich geschickt in seine Arme. Von einem Moment auf den andere, befanden wir uns außerhalb dieses Raumes und dann geschah es. Es überkam mich einfach, alles was ich gerade noch getrunken hatte, flüchtete geradezu vor mir.
„Ich habe noch nie einen Vampir brechen gesehen.“ Bemerkte Gerard mehr fasziniert, als besorgt, während er mein Haar hinter dem Nacken zusammen hielt und ich gut einen Liter Blut auf den steinernen Treppen vergoss.
„Nicht lustig!“ Fluchte ich, bevor mich die nächste Welle packte und ich mich übergab. Immer noch spukten die Bilder von meinen Verstümmelten, zerfleischten und blutleeren Freunden, so wie meiner Familie durch meinen Kopf. Nein, sogar die gesamte Insel färbte sich blutrot und ich stand mittendrin. Ich! Das untote Monster von Island, das alle bloß für einen Zweck missbraucht. Um seinen unendlichen Durst zu stillen!
Schwindlig geworden, taumelte ich auf dem Absatz, doch Gerard hielt mich fest, sodass ich langsam zu Boden sank und mich dort erschöpft an die Wand lehnen konnte. „Sieh mich an, Isles!“ Befahl Gerard und hob mein Kinn, sodass er das Blut um mein Kiefer herum, wegwischen konnte.
„Was ist passiert?“
„Ich bin... Ich bin ein Monster.“ Antwortete ich schlicht und fühlte bereits blutrote Tränen aufkommen, während mein Körper zitterte.
„Nein, Isles. Michellé ist ein Monster. Du bist bloß ein dummes Miststück.“ Überrascht hob ich meine Brauen und begann zu lachen. Gerard konnte ja doch aufheiternd sein, wenn er es versuchte.
Kopfschüttelnd wischte er noch einige Reste von meinem Hals, dann hob er mich erneut hoch. Wäre mir nicht so verdammt schwindlig, würde ich bestimmt protestieren. „Komm, du brauchst erst einmal ein Bad und vor allem... Blut.“
„Aber...“ Begann ich und deutete auf das Blut, welches bereits begann ein Stockwerk tiefer zu laufen.
„Das wischt schon irgendjemand auf.“ Natürlich würde das irgendjemand tun. Immerhin sind wir im Haus von Vampiren, da war Blut nicht gerade etwas Ungewöhnliches.

 

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Etwas Warmes, was sich zuerst um meine Beine schlang, dann um meinen Hintern und langsam über meine Haut, höher kroch, weckte mich. Dass ich die Besinnung verloren hatte, wusste ich überhaupt nicht, erst als sie plötzlich endete. Langsam glitt diese Wärme zwischen meine Schenkel, höher über meinen Bauch und bis zur Brust. Seufzend atmete ich wohlriechende Kräuter ein, bevor ich bemerkte, dass der Geruch Gerard ähnelte. „Ger-Gerard?“
„Was denn?“ Seine Stimme erklang direkt neben meinem Ohr. Vor Schreck fuhr ich hoch und stieß dabei mit dem Kopf gegen eine Eisenwand, oder etwas ähnliches Festes.
„Au! Wieso immer mein Kopf?“ Beschwerte ich mich und spürte, wie sich zwei Hände von mir lösten und eine wabernde Flüssigkeit meinen Körper umschlossen hatte.
„Die bessere Frage ist doch, weshalb du immer auf mein Gesicht losgehen musst!“ Fauchte Gerard und da erkannte ich erst, dass er leidend neben mir auf dem gefliesten Boden kniete, während ich mich in einer Badewanne befand.
„Muss wohl an der Zusammenstellung liegen. Wen lässt so ein Gesicht nicht aggressiv werden?“ Scherzte ich und massierte meine aufkommende Beule am Kopf. Fauchend wandte sich Gerard ab und kam mit einem Sprung, wieder auf die Beine. Den Fleck an seiner Wange sah ich dabei jedoch sehr deutlich. Eisenschädel sollten sich eindeutig nicht zweimal in kürzester Zeit treffen.
„Wasch dich, dann komm raus.“ Erneut erkannte ich, dass ich ja in einer Badewanne saß und blickte schockiert an mir herab. Ich trug noch meine Sportunterwäsche, doch meine blutverschmierte Kleidung, lag mitten im weißen Badezimmer. Jedoch nicht nur meines. Generell sah das Badezimmer aus, als würde irgendein Mann einfach hinein kommen, seine Wäsche irgendwo hinpfeffern um sich zu waschen und dann wieder gehen.
Mit einem flauen Gefühl im Magen kam ich auf die Beine und stellte die Dusche an. Baden hasste ich aus irgendeinem Grund, bereits seit ich noch ein Mensch gewesen bin. Genüsslich seufzte ich, während das warme Wasser, über meine Haut hinab glitt und entledigte mich meiner Unterwäsche. Was ist überhaupt vorhin passiert? Wieso sind all diese Jungvampire in Einzelhaft gesperrt? Weiße Gittertüren verhinderten, dass sie hinaus konnten, und erlaubten einem gleichzeitig, hineinzusehen. Einige saßen müde, beinahe schon verzweifelt in ihren Ecken. Kein einziges Bett war angerührt und der Geruch von Blut lag mehr als deutlich in der Luft. Alles in allem wirkte es, wie in einer altmodischen Irrenanstalt, bloß mit Ketten an den Wänden und vollen Blutbeuteln, in einem gläsernen Kühlregal am Ende des Flures.
Ob ich hätte auch so enden sollen, wenn ich kein Werwolfblut damals getrunken hätte? Wenn sie mich schon früher geholt hätten... würde ich jetzt, zusammen mit diesen anderen dort drinnen sitzen? Ich!
Zitternd, trotz des Dampfes im Bad, kam ich aus der Wanne und angelte nach einem gefalteten Badetuch, welches ich in einem schmalen Regal finden konnte. „Gerard?“ Fragte ich, unsicher ob er mich hören würde.
„Ja?“ Kam es hinter der einzigen Türe im Raum, als Antwort.
Geschickt wickelte ich das Handtuch um meinen Oberkörper und es reichte mir bis zu den Knien. Zufrieden trat ich nach draußen, in ein ebenso chaotisches Zimmer und fand Gerard vor, wie er eben ein frisches Shirt überzog. Für einen Augenblick beobachtete ich, wie das Shirt tiefer glitt, über seinen muskulösen Rücken hinab und sich perfekt an die neue Hose schmiegte. Okay, für einen Moment konnte ich schwören, diesen Körper heiß gefunden zu finden. Zumindest solange, bis er sich umdrehte und ich abermals erkannte, dass es Gerards war. Enttäuscht schnaubte ich.
„Du warst flott.“
Ich nickte etwas verlegen und wusste nicht recht, was ich noch an meinem Körper verdecken sollte. Bloß gehüllt in ein Handtuch, wollte ich mich nicht Gerard zeigen. Das war mir... unangenehm. „Wenigstens stinke ich jetzt nicht mehr.“ Versuchte ich, meine eigene Spannung zu lösen.
Gerard zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Na, toll. Noch eine Blondine.“
Ich sah mich fragend um, denn ich verstand nicht, was er meinte. Plötzlich erkannte ich, dass ich ja von Natur aus blond war, doch dank ewigen Kindheitsspott, hatte ich meine Eltern überredet, dass ich sie färben durfte. Mit einem schockierten Aufschrei betrachtete ich die Spitzen meiner Haare. „W-Was ist mit meinen Haaren passiert?“ Als könne ich jetzt noch irgendetwas verdecken, versuchte ich sie vor Gerard zu verbergen.
„Das liegt an dem Mittel, das ich in das Shampoo gegeben habe. Ich habe bezweifelt, dass du es dir freiwillig herauswachsen lassen würdest.“
Natürlich nicht! „Wie kommst du überhaupt auf diese vollkommen beschissene Idee?“ Schrie ich ihn an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein, oder? Der Tag wurde immer schlimmer.
„Das ist die Strafe, für den Kuss und meine Hose.“ Warnte Gerard und ich bemerkte jetzt auch die zerrissene Hose, auf seinem Bett. Für einen Moment musste ich über meine Genialität grinsen, doch dann erinnerte ich mich an meine Haare.
„Das sind aber meine Haare! Das ist... das ist Körperverletzung! Ich zeige dich an!“ Zornentbrannt deutete ich auf ihn, doch Gerard schien sich daran kein bisschen zu stören.
„Du und welches Gericht? Du verstehst ja nicht einmal unsere Sprache.“
Ich fauchte und das Bedürfnis, ihm an die Kehle zu gehen, wurde stärker. Irgendwann... drohte ich ihm innerlich. Irgendwann werde ich stark genug sein und ihn leiden lassen! „Ich wünschte im Moment wirklich, ich wäre stark genug, um dir die Kehle herauszureißen!“
Gerard setzte sich auf das Bett und klopfte neben sich. „Wenn du nicht bald etwas trinkst, denn das letzte hast du ja eindeutig nicht vertragen, dann wirst du nicht einmal mehr dazu in der Lage sein, ein anständiges Wort herauszubekommen.“
„Als ob ich euer... Gebräu trinken würde! Das eine läuft aus willenlosen Menschen, das andere bringt mich zum Erbrechen. Wer weiß, was es das Nächste mit mir anstellt?“ Vermutlich etwas viel Schlimmeres, als das ich mir vorstellen konnte! Vielleicht würde ich ja doch noch zu so einem Blut abhängigen Junkie werden?
„Meines hast du vertragen, also bekommst du es jetzt auch wieder.“
Angeekelt verzog ich das Gesicht. „Danke, aber ich will nicht mit dir zusammen sein.“
Auch Gerard wirkte nicht gerade begeistert von dieser Vorstellung. „Wie kommst du denn darauf?“
„Louis hat so etwas angedeutet, im Auto. Er sagte, dass bloß Paare einander Blut geben.“ Wenn sie ein Kind wollten, fügte ich jedoch nicht hinzu. Das war einfach zu schräg. Besonders nach dem überaus verstörenden Anblick, von Jungvampiren.
Seufzend nickte Gerard. „Das stimmt schon. Vampire binden sich normalerweise bloß einmal in ihrem Leben und dann gibt es keine andere Person für sie.“
„So wie Louis und Manon?“ Fragte ich interessiert.
„Ja. Auch Isabelle, Lucie und Marta haben ihre Partner hier bereits gefunden. Andere Frauen, haben ihren Gefährten in anderen Clans gefunden, daher wurden sie, mit einem kleinen Geldaustausch an diese hergegeben.“ Das klang ja wirklich sehr makaber.
„Was soll das denn heißen? Habt ihr sie etwa verkauft?“
Gerard nickte, als wäre dies vollkommen normal. „Wir Männer können nicht unseren Clan wechseln, bloß die Frauen dürfen es, wenn sie ihren Partner gefunden haben. Um die Frau jedoch zu bekommen, muss der Clanleiter, oder König eine beträchtliche Summe zahlen, so zu sagen, als Ablösung. Früher war es Vieh, das man dafür eingetauscht hat, Metalle, Edelsteine, oder Gold. Heute ist es eben normales Geld, oder eher Goldbarren, die man eintauscht.“
Da klappte mir doch der Mund auf. „Aber wir sind doch nicht... so...“
Abwehrend hielt er die Arme in die Luft. „Der König bewahre! Bloß nicht.“ Sehr charmant. „Du bist noch ein Jungvampir, daher bin ich mir sicher, dass du die Markierung nicht mit Absicht gesetzt hast.“ Er deutete auf seine Wange, wo die kleine Schnittwunde immer noch gut zu sehen war. Offenbar wollte sie nicht heilen.
„Ich habe das gemacht?“ Nicht dass ich ihm nicht bereits schwerwiegendere Verletzungen zugefügt hätte, aber eine Markierung? Ich setzte mich neben Gerard auf das Bett. „Wie funktioniert das? Wieso heilt es nicht.“
Gerard legte seinen Kopf zur Seite, sodass ich die große, vor langer Zeit, verheilte Narbe an seinem Hals sehen konnte. „Es ist ein Zeichen, Isles. Es bedeutet, dass du an jemanden gebunden wurdest. Solche Wunden heilen ziemlich schlecht, oder werden, wie bei einem Verwandlungsbiss, zu einer immer deutlichen Narbe.“
Ich griff an meinen eigenen Nacken, wo sich eine ähnliche Spur befand. „So wie ein Macher, seine... Kinder... bindet?“
Wieder nickte er. „Bloß, dass sich zwei Vampire dabei aneinanderbinden und somit zeigen, dass sie ein Paar sind. Kein anderer wagt es dann, sich an diese Person heranzumachen.“
„Aber was ist mit der an deinem Handgelenk?“ Ich hatte ihn ja dort auch gebissen, doch diese war völlig verheilt. Gerard hielt seinen Arm hoch, sodass wir beide den bereits verheilten Biss sehen konnten. „Er ist geheilt.“
„Natürlich, er war doch für eine Nahrungsaufnahme. Es hat nichts mit einer Bindung zu tun.“
„Das heißt dann..“ Ich grinste breit. „...du gehörst mir und musst alles tun, was ich sage?“ Fragte ich hoffnungsvoll.
Er seufzte genervt. „Natürlich nicht, ich gehöre bloß dem König. Der Schnitt bedeutet überhaupt nichts, weder für dich, noch für mich. Er wird jetzt einfach da sein und mir den letzten Nerv rauben, wenn ich erklären muss, dass er ein Versehen ist.“ Erleichtert seufzte ich, doch merkte, dass meine Zähne mich dabei unangenehm stachen. „Du solltest endlich trinken, bevor du wieder überschnappst.“
Langsam glaubte ich wirklich, dass das die Ruhe vor dem Sturm war. „Ich hasse es, ein Teenager zu sein.“ Sagte ich ausweichend.
„Wie meinst du das?“
Ich deutete auf mich selbst. „Diese ständigen Gefühlswechsel. In einem Moment möchte ich dein Gesicht einschlagen, im anderen wüte ich wie eine Furie.“
Ein belustigtes Schnauben erklang neben mir, welches definitiv von Gerard gekommen war. „Du lebst ab jetzt im Körper eines Teenagers. Fang besser an, dich daran zu gewöhnen, denn aus dieser Nummer wirst du nicht mehr hinauskommen.“
Kurz lächelten wir uns an. Für einen sehr ungläubigen Moment.
Eilig wandte ich den Blick ab und auch Gerard schien sein Handgelenk jetzt auch ziemlich interessant zu finden. „Hier, aber sieh zu, dass du die letzte Bissspur genau erwischt.“
Gegen meinen Willen griff ich nach seinem entblößten Handgelenk, doch bewahrte so viel Würde, dass ich noch einmal nachfragte. „Wieso eigentlich?“
„Weil du durstig bist!“ Erinnerte mich Gerard, als ob ich das nicht selbst wüsste.
„Nein!“ Fauchte ich wieder verärgert. „Wieso habe ich das süße Blut vorhin nicht vertragen, aber bei deinem...“ Ich schloss eilig den Mund, denn es gab Dinge, die wollte ich einfach nicht sagen. Schon im Auto, als er mich an sich gepresst hatte und seine Zähne auf meiner Haut... Mensch! So sehr hatte ich noch nie nach irgendetwas gegiert und in diesem Moment wollte ich wirklich, mehr als alles andere, dass er zubiss. Und jetzt wollte ich eigentlich nichts lieber, als selbst wieder zuzubeißen. Verdammt... viel zu freakig!
„Das war reines Werwolfblut, aus höchster Qualität. Ich weiß nicht wieso du es nicht vertragen hast, aber wenn es bereits unter meines gemischt ist, dann wirst du des vertragen. Vermutlich war es einfach zu...“
Angewidert schob ich Gerards Arm weg. „Was? Das war Werwolfblut? Du meinst die Werwölfe, deren Menschlichkeit ihr genommen habt, die ihr in einem dunklen Keller haltet, wie Vieh und aberntet, wie Kühe?“
Gerard nickte... schon wieder. Langsam hasste ich dieses Nicken echt! „Und das hast du MIR zum Trinken gegeben!“ Schrie ich aufgebracht. Wie konnte er mir das antun? Was konnte mir dieses Schwein nicht noch alles antun, bevor ich endlich von meinem Elend erlöst wurde?
„Schrei mich nicht so an!“ Fauchte Gerard. Ich sprang auf und stolzierte zur nächsten Türe, die ich fand. „Ach! Lass mich doch in Ruhe scheiß Bastard! Wenn ich noch eine Sekunde länger hierbleibe, dann vergiftet ihr mich ja bloß noch mehr!“
Natürlich kam ich nicht weit, aber wenigstens hatte ich es versucht. „Du bleibst schön hier, solange du kurz vor einem Zusammenbruch stehst.“
Grob wurde ich an der Hüfte gepackt, doch konnte mich nicht großartig wehren, ohne etwas Wichtiges zu verlieren. Das derzeit wichtigste, was es in meinem Leben gab. Das Badetuch! „Lass mich los! Ich will dein ekelhaftes Blut nicht!“ Schrie ich. Völlig sinnlos.
„Als ob es für mich so viel besser ist! Immerhin muss ich ein nerviges Miststück an meine Ader lassen.“ Fauchte Gerard, bemüht ruhig zu bleiben, und warf mich einfach auf das Bett.
Kreischen versuchte ich mich, ihm zu entwinden, doch ich hatte keine Chance. „Du wagst es nicht!“ Fauchte ich mit Entsetzen in den Augen. Hatte er es doch gewagt, mein Badetuch festzuhalten! Gerard spielte definitiv nicht mit koscheren Karten!
„Ich werde es wagen, wenn du nicht sofort deine kleinen Fangzähne in...“ Er verstummte und merkte wohl selbst, wie dämlich er sich anhörte. Grummelnd kam er auf das Bett und setzte sich doch gar auf mich drauf. Mit seinen, viel zu vielen, Tonnen, hockte er sich auf meinen Bauch und hielt mich alleine damit an Ort und Stelle fest.
„Ich hasse dich!“ Fluchte ich und biss meine Zähne zwanghaft aufeinander, als er sein Gelenk an meine Lippen legte. Immerhin konnte er mich nicht >dazu< zwingen! Trotzig blickte ich Gerard entgegen.
„Isles!“ Da er meine Arme unter seinen Knien vergraben hatte, konnte ich nicht einmal seine Hand wegschlagen. Im Grunde war ich, wieder einmal, so gut, wie wehrlos. Demonstrativ wandte ich den Kopf ab und betrachtete die plötzlich recht interessant gewordenen Bettpfosten. „Du willst es ja nicht anders!“
Grob riss Gerard mein Kinn herum, sodass ich zu ihm aufblickte und drückte ohne Hemmungen, seinen Zeigefinger und Daumen, links und rechts, in meine Backen. Als ich den Druck auf mein Kiefer nicht mehr aushielt, schrie ich auf. Kurzerhand lag wieder sein Gelenk auf meinen Lippen, doch ich hielt mit aller Kraft meine Fänge zurück. Gott verdammt! Das fühlte sich an, als würden sie sich mit jeder Sekunde, weiter hinauf in die Nasengegend bohren. Und das tat, verdammt noch einmal, mehr weh, als Gerards Finger in meinem Kiefer!
„Hör endlich auf dich zu wehren, Isles!“ Schrie Gerard mich an.
Ich hatte zwar das Bedürfnis, ihn mit aller Kraft zu beißen und gar noch ein schönes Stück dabei herauszureißen, doch wollte ich nicht riskieren, seinem Befehl dabei zufällig auch noch nachzukommen. „Störrisches Weib! Daran bist du jetzt aber selbst schuld!“
Wieder zog er sein Gelenk weg und ich wollte schon erleichtert seufzen, als Gerards Gesicht, direkt auf meines zukam. Selbst völlig perplex, beobachtete ich, wie Gerard meine Arme, dank der Gewichtsverlagerung freigab, doch ich wurde völlig willenlos.
Schon alleine, Gerards Gesicht auf mich zukommen zu sehen, zu spüren wie sein warmer Atem, über meine Lippen strich und sich, von einem Moment auf den anderen, mit meinem eigenen vermischte, ließ mich jegliche Kontrolle verlieren. So hauchzart, dass ich schon dachte, es bloß zu träumen, glitt seine Zunge in meinen, noch immer gewaltsam, geöffneten Mund. Mein erster Gedanke war, dass er die Situation auskosten wollte, doch wussten es meine Instinkte, wie immer, besser. Er lockte meine Fänge heraus, auf die einzige Möglichkeit, die noch blieb.
Zärtlich glitt seine Zunge über meine hinweg, welche völlig fertig war, da sie nicht wusste, was sie tun sollte, daher ließ ich es einfach über mich ergehen. Gegen meinen Willen genoss ich das Gefühl, als Gerards Geschmack sich mit meinem vermischte, mich daran erinnerte, wie würzig sein Blut geschmeckt hatte, und ließ mich unerwartet seufzen. Beschämt deswegen, schlug ich auf seinen Rücken, bloß um mich eine Sekunde später an ihn zu krallen, als seine Zunge genießerisch über meine obere Zahnreihe strich.
Keuchend wandt ich mich unter ihm, doch nicht, weil ich noch wegwollte. Als Gerard dann auch noch seine Fangzähne ausfuhr und sich in die Zunge ritzte, hielt mich überhaupt nichts mehr. Mit einem Stöhnen, von dem ich wusste, es später bereuen zu würden, leckte ich über die hauchfeine Wunde, die sich bereits wieder zu schließen drohte und zog ihn wieder zu mir hinab, als er es wagte, sich von mir zu entfernen. Er wollte doch, dass ich von ihm trank, oder? Dann würde ich ihm einmal diesen Wunsch erfüllen! Unsanft landete Gerards Kiefer gegen meines, als ich seinen Kopf mit einem viel zu starken Ruck wieder hinunter zog, doch das hielt mich nicht davon ab, meine Zunge, tastend, nach seiner suchen zu lassen. Das Erste was ich jedoch fand, waren seine weißen Fänge, daher leckte ich zärtlich um sie herum und fühlte, wie seine Atmung sich ebenfalls veränderte. Zur Strafe, mir gar ein Stöhnen entlockt zu haben, schloss ich meine Lippen um seinen rechten Fangzahn und saugte daran, bis ich die bittere Flüssigkeit schmeckte, welche normalerweise bloß während des Beißens ausgestoßen wurde, um seine Opfer ruhig zu stellen. Und da hörte ich es! Er stöhnte doch tatsächlich, so wie ich bloß einen Augenblick davor.
Unsanft riss Gerard plötzlich an meinen Haaren, doch nicht, um mich loszuwerden, sonder ergriff sie am Scheitel, um wieder die Kontrolle zurückzuerlangen. Seine Zunge fand erneut ihren Weg zu meiner und ich schnappte nach dem würzigen, noch immer heraus sickernden Blut, nach dem es mich seit gestern gierte. Gierig saugte ich daran, als wäre seine Zunge ein Stück Eis, dass ich bloß mit genug Willenskraft zum Schmelzen bringen würde.

X. Gerard Tobonneau, am Ende mit seinen Nerven

Es kostete mich meine gesamte Selbstkontrolle und meine volle Willenskraft, um dieser kleinen Furie meine Zunge zu entziehen. Ich hatte sie bloß mit einem tropfen Blut in ihrem Mund dazu bringen wollen ihre Fänge auszufahren, doch niemals hätte ich damit gerechnet, dass es sich so herrlich anfühlen würde.
Isles nasses, blondes Haar, lag in alle Richtungen verstreut, beinahe wie Sonnenstrahlen, gingen sie von ihr aus und ich verstand noch weniger, weshalb sie sich diese gefärbt hatte. Als sie meine Zunge noch einmal fester in ihren Mund saugte, entstand völlig gegen meinen Willen das Bild, wie sie an etwas anderem dermaßen saugte, doch ich vernichtete es, mit dem Höllenfeuer meiner Wut.
Grob riss ich fester an ihrem Ansatz, woraufhin sie endlich meine Zunge freigab und schmerzhaft stöhnte, doch anstatt diese Chance zu nutzen, um von ihr wegzukommen, wickelte ich meine Zunge um ihre, noch immer unsichere. Lockte sie zu einem heißeren Spiel, das keiner von uns beiden gewann.
Ich konnte es nicht fassen, wie lange Isles es durchgehalten hatte. Sah ihre Kontrolle in manchen Situationen schwach aus, so machte sie es in den wirklich Wichtigen mit eisernem Durchhaltevermögen wieder wett. Eigentlich hatte ich gedacht, es würde reichen ihre schwache Muskulatur, hinter der oberen Zahnreihe zu massieren, doch tatsächlich musste ich mir erst die Zunge anritzen, bevor sie endlich hervorbrachen. Und dann waren da plötzlich ihre Hände. Ihre viel, viel zu starken. Entweder Isles wurde mit jeder Stunde, die sie hier verbrachte stärker, oder ich selbst hatte ein Problem, von dem ich noch nichts wusste.
Langsam ließ ich meine Hand über ihre Seite hinab gleiten, und fühlte mehr, als dass ich hörte, als sie abermals seufzte. Langsam, damit sie sich an meine Bewegung anpassen konnte, schloss ich meine Lippen, bloß um einen Moment später wieder mit ihrer geschickten kleinen Zunge zu spielen. Isles verstand wirklich schnell, wie sie reagieren musste, während ich...
Oh scheiße! Was tu ich denn da?
So schnell, dass Isles überhaupt nicht mitbekam, was gerade vor sich ging, riss ich meine Lippen von ihren und presste stattdessen mein Handgelenk darauf. Da leider das Gift, welches in unseren Fangzähnen schlummerte, wie bei Schlangen, bei uns Vampiren gegenseitig nicht funktionierte, zischte ich schmerzhaft, als ich mein Handgelenk an ihren Fängen aufspießte. Sofort fiel die kleine Furie in einen Rausch und klammerte sich mit beiden Händen an meinen Unterarm. Mist verdammter, wann hatte ich die denn freigelassen? Und wieso schmerzte mein Rücken, als hätten sich eben noch Reißnägel hineingebohrt?
Während Isles trank und sie trank wirklich viel zu gierig, leckte ich über meine Fänge, woraufhin sie sich einzogen. Jedoch zurück blieb ein Geschmack, der mich stark an das kleine Miststück erinnerte und zu allem Überfluss eine gewisse Würze besaß, die ich überhaupt nicht kannte. Was ist das?

 

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Frustriert vergrub ich mein Gesicht zwischen den Kopfpolstern und ignorierte die Geräusche im Hintergrund, meines Zimmers. „Und es ist dir wirklich egal?“ Fragte Isels, während sie, vermutlich immer noch, in ihrem Handtuch gewickelt, vor meinem Kleiderkasten stand. Gespielt müde von dem Blutverlust, denn es hatte ewig gedauert, bis ich endlich ihren hartnäckigen Fängen entkommen war, wagte ich es nicht, aufzusehen denn ich wusste nicht, was ich sehen würde, oder in meinem eigenen Gesicht abspielte, wenn ich das jetzt wagte.

„Nimm dir, was du willst.“ Murrte ich einfach.
Nachdem ich meine Hand endlich frei bekommen hatte und sie sauber geleckt, schickte ich Isles zu meinem Kleiderkasten, den sie mehr als euphorisch entgegen sprintete. Sie wollte wohl genauso schnell von mir weg, wie ich sie loshaben wollte. Mist verdammter, was ist da bloß passiert? Und wieso zum Teufel wollten meine Fänge nicht verschwinden? Immer noch lag der Geruch von dem kleinen Miststück in meinem Bett und dass ich meine Nase, zwangsweise, darin vergraben musste, machte es nicht gerade besser, daher hielt ich meine Lungen von der Arbeit ab. Ich brauchte keinen Sauerstoff... Nie, nie wieder!
Doch verdammt, ich wollte ja noch telefonieren! Eilig griff ich nach meinem Handy und wählte die Nummer drei, wo ich Louis gespeichert hatte. Nach dem dritten Klingeln hob er ab, was bedeutete, dass er gerade beschäftigt gewesen war. Mir aber so etwas von scheißegal!
„Gerade wirklich sehr ungünstig, Gerard!“ Fauchte Louis, der Einzige, der es wagte, sich bei mir so zu melden, durch den Hörer.
„Beweg deinen verdammten Arsch zu meinem Zimmer, du musst Isles abholen.“
Für einen Moment herrschte Schweigen. „Wieso ist Isles in >deinem< Zimmer, Gerard?“ Fragte der blonde Sonnenschein, mit einem mahnenden Unterton, den er eigentlich bloß für seine Frau übrig hatte, wenn sie wieder einmal zu weit ging, oder für andere, ihm untergebene Vampire.
Ich fauchte wütend. „Beweg dich einfach und das so schnell du kannst, verdammt! Ist es so schwer einem Befehl...“ Es klopfte an der Türe und gleichzeitig in der Leitung, bevor Louis auflegte. Na wenigstens etwas.
Ich setzte mich auf und drehte mich um, sodass ich gerade noch sah, wie >meine< schwarze Boxershort über Isles Hintern hochrutschte und diesen Anblick für immer verbarg. Polster! Polster! Weiche Polster. Polster mit Satinüberzug. Schöne, bequeme Polster...
Fluchend auf Russisch, denn das würde sie mit Sicherheit nicht verstehen, vergrub ich erneut meinen Kopf in den Polstern. „Brauchst du etwas Gerard? Ich habe zu viel genommen, oder?“
Eilig deutete ich ihr still zu sein. „Louis ist vor der Türe und du verlierst verdammt noch einmal keinen einzigen Ton darüber.“ Ich hob mein Handgelenk und funkelte die zweijährige Furie wütend an.
Ihr nasses blondes Haar hing ihr über die Schulter und durchnässte langsam ihr... mein Shirt, wodurch es an den Schultern begann, langsam anliegender zu werden. Obwohl ihr mein Shirt bis über die Hüfte, zu den Knien reichte, hatte ich trotzdem dieses verdammte Bild von einem weißen Hintern und der schwarzen Boxer vor meinem Auge. Was stimmte bloß nicht mehr mit mir? Irgendetwas schien kaputt gegangen zu sein.
„Also brauchst du nichts?“ Fragte sie, während sie rückwärts zur Türe ging. Ich winkte sie einfach bloß weg und hörte einen Moment später, wie die Türe lautstark ins Schloss fiel. Verdammte Scheiße, ich baue hier nichts anderes, als Mist.
Wie sollte ich denn da noch, mit ihr trainieren? Das war doch Michellés Befehl gewesen. Und ich sein treuer Untergebener.
Plötzlich dämmerte mir, was helfen könnte. Gegen meinen Willen, wählte ich die Eins und wappnete mich schon einmal, für eine mehr als grausame Strafe.

XI. Isles Skylander, die ebenfalls Gezeichnete

„Würde ich Gerard nicht kennen, würde das hier wirklich sehr seltsam auf mich wirken.“ Louis deutete meinen Körper hinauf und hinunter, wodurch ich mir noch dämlicher, als bisher vorkam.
Natürlich sah >das< unglaublich falsch aus. Obwohl >das< war ja eigentlich auch passiert, oder? Oder zumindest >so etwas< Ähnliches. Verdammt noch eins, ich habe mich Gerard... ja was eigentlich? An seiner Zunge herum gesaugt, als wäre sie ein Süßer, verbotener Lolly, und ich ein kleines Kind das ihn bekommen hatte?
„Wa-Was? Er hat doch nicht wirklich irgendetwas getan, oder?“ Schnell wurde Louis verunsichert.
„Nein! Der Himmel bewahre!“ Stieß ich, wirklich sehr überzeugend gelogen, hervor. Ja, Verleumdung war jetzt das Einzige, was noch helfen würde! Verleumdung und Verdrängung! Schönere Worte hatte ich in meinem Leben noch nicht gehört. Zumindest im Moment noch...
„Also, was ist dann passiert? Du wirkst... gehetzt.“
Okay, Verleumdung und Verdrängung! Hier kommt es. Ich zwang mich zu einem beschwichtigenden Lächeln. „Nichts Louis, ich habe bloß das Blut, was er mir gegeben hat nicht vertragen. Danach hat er mich in die Wanne gesteckt und mir etwas von sich zum Anziehen gebracht. Nichts Tragisches.“
Schmerzhaft verzog ich das Gesicht, als ich etwas, auf meiner Oberlippe brennen, fühlte.
Louis schien es nicht zu bemerken, als ich mir dorthin griff, um zu tasten, was genau dermaßen brannte. „Puh, ein Glück. Glaub mir, für Gerard würde es alles andere, als gut ausgehen, wenn er dir zu nahe treten würde, glaube mir. Ich weiß, wovon ich rede...“
Louis redete einfach weiter, während ich den Tropfen Blut, auf meinem Zeigefinger betrachtete. Er hatte doch nicht... Eilig zuckte meine Zunge, die immer noch, zum Teufel mit ihm, nach Gerard schmeckte. Hätte ich nicht geduscht und damit eine plausible Erklärung, würde jeder ihn an mir riechen können und wissen, dass wir... irgendetwas... getan hatten.
Überrascht stellte ich fest, dass sich eine hauchfeine Schnittwunde, an meiner Lippe befand. Abermals strich ich mit der Zunge darüber, denn eigentlich sollte sie wieder verheilt sein, denn unsere Knutscherei war bereits zehn Minuten her. Wieso ging sie also nicht weg?
Oh verdammt! Eine Wunde, die nicht verheilt... nachdem ich mit Gerard herum gemacht habe? So etwas konnte nichts Gutes bedeuten!
„Isles?“ Ich blickte zu Louis auf und musterte ihn fragend an. Um ehrlich zu sein, hatte ich ihm überhaupt nicht mehr zugehört. „Ich habe gefragt, ob es in Ordnung für dich ist, wenn du zu mir und Manon kommst.“
Ich nickte, denn sagen wollte ich nichts, oder konnte ich eher nicht, denn ich kaute nun auf meiner Oberlippe herum. Dafür würde der Mistkerl leiden!
Zurück im dritten Stock schloss Louis die Türe auf und ließ mich hinein. Er deutete mir, auf einer der luxuriösen Sofas platz zu nehmen, was ich auch tat. „Entschuldige mich, ich muss bloß Manon losmachen.“
Losmachen? Mit großen Augen sah ich Louis hinterher, wie er in das Schlafzimmer verschwand und daraufhin von einer wütenden Manon zusammen geschrien wurde. Ich verstand, dank der fremden Sprache kein Wort, aber ich konnte mir vorstellen, dass sie sehr sauer auf ihn war!
Zehn Minuten später, stand sie frisch geduscht vor mir und versuchte nicht verlegen auszusehen. „Oh, du hattest deine Haare gefärbt?“ Eilig wickelte ich meine Haare zusammen und stopfte sie in mein... Gerards Shirt, als würde das irgendetwas bringen.
„Ich bin nicht blond.“ Meinte ich lediglich. Ich hasste es, wenn man sich über meine Haarfarbe lustig machte und wünschte mir ernsthaft wieder ein neues Färbemittel her.
„Aber es steht dir viel besser.“
Ich verzog das Gesicht, bloß um daraufhin wieder diesen verdammt nervigen Schmerz in meiner Oberlippe zu spüren. Gerard musste mich tatsächlich mit seinen Fängen erwischt haben, ohne es zu merken. Ehrlich gesagt wunderte es mich, nach dieser wilden Knutscherei, nicht gänzlich zerschnitten zu sein. „Ah!“ Fluchend ließ ich mich, der länge nach, auf das Sofa fallen und vergrub mein Gesicht, von dem ich Angst hatte, das es mich verraten würde. Dieser Typ machte mich einfach wahnsinnig!
„Alles in Ordnung? Habe ich etwas Falsches gesagt? Magst du deine Haarfarbe etwa nicht?“ Manon setzte sich neben mich auf das Sofa und berührte sanft meine Schulter.
Meine Haare! Immer noch saß mir der Schauder im Rücken, als er sie gepackt und dann... „Ich hasse mein Leben!“ Fluchte ich so laut, dass Manon mich auch hören konnte.
„Was ist denn passiert, ma puce? Hast du noch viel ärger gehabt, nach deiner Attacke auf Gerard?“ Sie hatte bereits davon gehört?
Oh Gott, verdammt! Ich hatte ihn auch noch zuerst geküsst! Doch bloß, um ihn zu überraschen und diesen Moment schamlos zu nutzen. „Ich geh nie wieder in seine Nähe!“ Schwor ich mehr mir selbst, als Manon.
„Ma, puce! Wenn ich ehrlich sein darf, bin ich überrascht, dass du noch lebst, oder zumindest gehen kannst. Noch nie in den letzten dreihundert Jahren, hat sich auch nur ein einziger Vampir getraut, was du Gerard angetan hast. Und zu unser aller Überraschung lebst du sogar noch. Du ahnst gar nicht, wie du damit in unsere Geschichte eingegangen bist.“
Manon lachte bereits über die Erinnerung und ich musste mit einstimmen. Manchmal überraschte ich mich doch selbst am meisten! „Stell dir vor...“ Lachte ich und musste mir bereits den Bauch halten. „...er wäre mir ohne Hose hinterhergelaufen!“ Sie lachte noch lauter und griff nach einem Taschentuch, um sich blutrote Lachtränen wegzuwischen.
„Was ist denn so lustig?“ Fragte Louis, der nun ebenfalls frisch geduscht aus dem Schlafzimmer kam und uns beide kugelnd vor Lachen, auf dem Sofa vorfand.
„Gerard.“ Erklärte Manon, was natürlich absolut gar nichts erklärte, zumindest für ihn.
„Ihr Frauen.“ Tadelte Louis und ließ sich mit einem Schmunzeln auf einen freien Stuhl sinken.
Nachdem wir uns einigermaßen gefangen hatten, weihten wir Louis ein, woraufhin es noch eine weitere halbe Stunde dauerte, bis wir uns wieder beruhigten.
Irgendwie schaffte es Louis sogar, mich dazu zu überreden, etwas französisch zu lernen. Außerdem erzählten mir die beiden etwas über den Aufbau des Clans. Oder in diesem Fall eher, über den Aufbau des Schlosses. Ganz unten, im siebten Stockwerk wurden die Blutmenschen, so wie die wilden Werwölfe gehalten. Im sechsten Stock, gab es Blutlagerungen, so wie Schlafquartiere, für die willenlose Menschen, die bei Festen, als Freiwild durch die Mengen schritten und für jeden eine offene Ader besaßen. Im fünften, vierten und dritten, saßen die Jungvampire, in ihren verschiedenen Verwandlungsstufen. Im zweiten und ersten, fand man Trainingsräume, so wie alle Arten von Fern- und Nahkampfwaffen. Mich überraschte es, dass Vampire so etwas überhaupt benötigten. Mit ihrer Schnelligkeit und ihrer Kraft, schien es beinahe schon überflüssig.
„Aber stell dir vor, zwei gleichstarke kämpfen gegeneinander, können niemals müde werden und ihre Wunden heilen ständig. Da kann so eine Waffe, einen erheblichen Vorteil einbringen.“ Erklärte Manon ganz sachlich. Eigentlich klang das sogar recht logisch. Auch konnte es einem Schwächeren zum Vorteil verhelfen, eine Waffe bei sich zu tragen, um den Machtausgleich herzustellen. Vielleicht konnte mir so eine Waffe selbst einen Vorteil in einem Kampf gegen Gerard bringen?
„Jetzt lenk sie nicht ab, Manon. Sie soll doch lernen.“ Schimpfte Louis, überraschend streng mit seiner Frau, wofür er einen ebenso überraschenden Fußtritt kassierte. Mit hochgezogenen Augenbrauen wandte ich mich wieder dem Vokabelbuch zu, während die beiden meine Aussprache korrigierten. Langsam verlor ich das Zeitgefühl darüber, wie lange wir hier saßen, doch es fühlte sich an, als würde sie einfach verfliegen. Ohne einen Schlafrhythmus zu besitzen, musste ich mich nach meinem Hunger richten und da er sich wieder meldete, musste beinahe ein Tag vergangen sein und ich verstand französisch fast so gut, wie Isländisch. Das Gehirn eines Vampirs zu besitzen, überraschte mich immer wieder.
„Ich schreibe Gerard, er kümmert sich darum.“ Meinte Louis, als ich ihm von meinem aufkommenden Durst erzählte. „Wieso Gerard? Ich würde viel lieber selbst jagen.“ Bat ich.
Louis schüttelte betroffen den Kopf. „Tut mir leid, Liebes. Der König hat eindeutig befohlen, dass sich alleine Gerard um deine Ernährung kümmert.“
Enttäuscht stürzte ich die Lippen, doch winkte ihm, weiter zu machen. Kurz tippte er auf dem Handy herum, bekam eine Nachricht, tippte wieder und so weiter. Nachdenklich kaute ich derweilen auf meiner Schnittwunde herum. Sie war immer noch nicht verheilt und langsam überrumpelte mich das Bedürfnis, mit Gerard darüber zu sprechen. Oder... vielleicht sogar mit Louis? Immerhin musste er es ja wissen. „Louis, darf ich dich fragen, ob du Manon gezeichnet hast, oder trete ich euch damit zu nahe?“ Fragte ich in den Raum hinein. Manon schien überrascht von der Frage zu sein, doch Louis antwortete, ohne vom Handy aufzusehen.
„Natürlich darfst du fragen. Die meisten tragen ihre Zeichen irgendwo auf den Händen, oder am Hals, wenn sie bereits Kinder haben. Ich trage meines an einer Stelle, die du vermutlich eher weniger sehen willst.“
Dankend lehnte ich ab. Das wollte ich nun wirklich nicht.
„Also ist das Zeichen tatsächlich von dir? Wieso hast du Gerard für dich markiert?“
Überrascht blickte ich zu Manon auf, welche neugierig vom Kamin wegging, in welchem sie eben noch herumgestochert hatte und sah mich forschend an.
„Ich habe... das... Ähm...“ Stotterte ich zusammen. Zum Glück unterbrach ein Klopfen an der Türe mich. Ich atmete erleichtert durch. „Das ich Gerard.“ Erklärte Louis und Manon öffnete für diesen.
„Wo ist sie?“ Fragte Gerard, ohne Begrüßung, ohne Einladung und kam direkt auf mich zu, als er mich auf dem Wohnzimmerboden erblickte, wie ich umzingelt von Büchern saß und mein Gesicht hinter einem derer versteckte. Leider bemerkte ich zu spät, dass ich es verkehrt herum las. Peinlich! „Komm mit ins Badezimmer.“ Das Buch flog auf den Tisch, wo es zerknittert liegen blieb und im nächsten Moment, wurde ich auf die Beine gerissen.
„He! Ich kann auch selbst gehen, außerdem wäre... Huch!“
Ohne Gnade zog Gerard mich einfach durch den Raum, hinein in das Schlafzimmer und dort schloss er uns, im angrenzenden, Badezimmer ein. Woher wusste er überhaupt, dass es dort war? „Du kennst dich ja recht gut aus.“ Bemerkte ich, während Gerard eine Flasche mit roter Flüssigkeit vor mir hinhielt.
„Jedes Zimmer in diesem Stock ist genau gleich aufgebaut.“ Erklärte er, ohne mich dabei anzusehen.
„Deines sah aber etwas anders aus.“ Wesentlich Chaotischer. Wie konnte so ein Kontrollfreak bloß so chaotisch sein?
„Es ist auch in einem anderen Stockwerk.“ Daran war wieder etwas dran.
Na, gut wenn er mich nicht ernstnehmen, oder gar ansehen wollte, musste ich andere Geschütze auffahren. Gerard öffnete einen der Schränke des Badezimmers und schien etwas zu suchen, als ich auf das Thema kam, was mich derzeit am meisten interessierte. „Du hast mich markiert!“
Gerard fand, was er gesucht hatte, doch als er sich mit großen, schockierten Augen zu mir umwandte, zersprang es doch glatt in seine Einzelteile, da er zu fest zugriff. Klirrend ging das Glas zu Boden.
„I-Ich habe...“ Forschend musterte er mein Gesicht, ohne seine blutende Hand zu beachten. Wieso auch? Sie heilte ohnehin sofort wieder.
„Ja, du hast.“ Und er konnte sich nicht einmal auf das Alter herausreden!
„Nein! Ich habe das ganz bestimmt nicht getan!“ Fauchte Gerard und schien sich sicher zu sein, dass ich ihn bloß verarschte. Leider nein. Ich kam auf Gerard zu und stellte mich wenige Zentimeter vor ihn hin. „Hier!“ Ich deutete auf meine Lippe, woraufhin er schockiert die Luft einsog.
„Scheiße...“ Und was für eine!

XII. Gerard Tobonneau, im letzten Untergeschoss

Nein! Das habe ich definitiv nicht getan. Nicht in eintausend Jahren. So dumm bin ich doch nicht. Ich bin ein, über dreihundert Jahre alter, gefürchteter Vampir, der dank Werwolfblut der besten Qualität, schneller, stärker und erfolgreicher ist, als so ziemlich jeder andere Vampir. Hauptsächlich bin ich ein stoischer, engstirniger Wächter des Königs, so wie sein Dienstmädchen für alles! Meine Tage bestehen darin die Missgeschicke, oder Experimente meines Königs aufzuräumen. Nicht darin eine Zweijährige, die alleine dem König gehört, zu markieren.
„Ich bin so gut wie tot!“ Fluchte ich und raufte meine Haare. Wann ist das bloß passiert? Wieso... wieso geht dieser verdammte Strich nicht einfach weg? Das ist doch...
„Gerard?“ Isles kam vor mir in die Hocke, sodass sie mit mir wieder gleichauf war und stützte sich auf meinen Knien ab. Immer noch trug sie meine Sachen und verdammt! Seit wann roch dieses Mädchen bloß so gut? So würzig und... was ist das noch für ein Geruch? So unterschwellig und...
„Hör auf, an mir zu schnuppern!“ Mahnte das wohl bekannte Miststück und schlug mir doch glatt gegen die Stirn! Murrend funkelte ich sie an. „Was ist denn überhaupt los? Du hast doch selbst gesagt, es bedeutet nichts. Weder für mich, noch für dich.“
Erwartend, als ob sie unbedingt hören wollte, dass das alles wirklich nichts bedeutet, blickte sie mich mit ihren dunkelbraunen Augen an.
Ohne es zu bemerken, streckte ich meine Hand aus und berührte ihre Oberlippe. Für einen Moment verzog sie das Gesicht, doch bloß wegen des Schmerzes und ohne vor mir zurückzuweichen. „Nein tut es nicht, Isles.“
Erleichtert seufzte sie. „Wieso geht es dann nicht weg?“ Schwer schluckend zwang ich meine Hand dazu aufzuhören sie anzufassen und griff lieber zur vollen Flasche.
„Das wird es, wenn du getrunken hast.“ Ich deutete ihr, sich umzudrehen und sie setzte sich vor die Badewanne, auf deren Rand ich saß. Ohne zu zögern, biss sie in mein Handgelenk und ich strich derweilen, ihr viel zu helles Haar zurück, als es vor fiel und drohte sich abermals zu verfärben, doch dieses Mal, wäre es ein unbestreitbares dunkles Rot.
Seufzend grub sie ihre spitzen Fänge noch tiefer in mein Fleisch, was mir einen leisen Schmerzenslaut entlockte. Verdammt konnte dieses Miststück brutal werden! Als ob ich das nicht bereits vorher gewusst hätte!
Nach sechs tiefen Schlucken riss sie sich selbst von meinem Arm los, welcher bereits fürchterlich schmerzte und seufzte selig. „Oh Gott! Das ist so gut!“ Mit einem beinahe schon beglückten Gesichtsausdruck lehnte sie sich gegen meine Knie und leckte sich über die Lippen, um auch noch das vergossene Blut nicht zu vergeuden.
Dezent abgelenkt von diesem Albtraum von Frau, beobachtete ich ihre Zunge, wie sie über ihren Mund leckte und ihre Zähne ebenfalls reinigte. „Dein Blut, Gerard.“
Es dauerte etwas, bis ich verstand, auf was Isles hinaus wollte, doch dann war es schon zu spät. Dicke Tropfen kamen auf dem Boden auf und ich fluchte leise vor mich hin.
Eilig leckte ich meine Wunde sauber, woraufhin sie sich artig verschloss, und bemerkte bloß am Rande, dass Isles den Boden für mich übernahm. „Wieso schmeckt dein Blut eigentlich so... anders?“
Sie sah mich nicht an, doch ich konnte mir gut vorstellen, dass ihr die Frage nicht leicht gefallen war. „Es schmeckt nicht anders, als das eines jeden Vampirs.“ Antwortete ich kühl, doch wahrheitsgemäß. Wie kam sie überhaupt auf diesen Gedanken. Blut von Vampiren schmeckt lahm und nach beinahe gar nichts, außer Eisen. Es war zumindest nichts, was ich gerne auf meiner Speisekarte hätte, doch erfüllte seinen Zweck, wenn es wirklich nötig war. Und im Bett konnte es ebenfalls einen reizvollen Nebeneffekt haben.
Ungläubig blickte sie zu mir auf. „Verarsch mich nicht, ich meine das ernst Gerard. Menschenblut, schmeckt gut. Das Blut der gequälten Werwölfe überraschend lecker, aber deines...“ Sie ließ den Satz ausgesprochen, doch ihre Zähne sagten schon alles, was ich wissen musste. Ich war offensichtlich ihr Lieblingsgetränk. Na wenn das nicht einmal ein Kompliment war.
„Da bildest du dir etwas ein.“ Eilig stürzte ich meine Flasche mit Menschenblut hinunter, um nicht selbst gleich wieder hungrig zu werden. „Wasch dir das Gesicht, bevor du zu Louis und Manon zurückgehst.“
Eilig blickte sich Isles in den Spiegel, doch bevor sie merken konnte, dass sie dort überhaupt nichts hatte, befand ich mich schon wieder im Wohnzimmer. Louis und Manon blickten mich, offenkundig verwirrt, an. „Ich beauftrage euch beide nun, Isles zu beaufsichtigen und ihr das Nötigste zu lernen. Ich habe eine andere Mission. Meldet euch aber, wenn sie wieder Durst bekommt.“
Einstimmig nickte das Paar, denn es kannte seinen Stand, doch bevor sie etwas sagen konnten, lief ich aus dem Raum, aus der Wohnung und so weit von Isles weg, wie es im Moment ging.
Und das war nun mal das siebente Untergeschoss.
„Gerard.“ Wurde ich von Beliov begrüßt, der eben blutverschmierte Handschuhe abstreifte und nebenbei seine, ebenfalls blutige Axt, abwischte.
„Beliov.“ Grüßte ich zurück. Gespräche mit ihm fand ich immer so erfrischend, denn sie fielen kurz und auf das nötigste beschränkt aus. „Futter?“ Ich deutete auf die beiden Menschenbeine, welche offenbar einmal einem Spender gehört haben mussten.
Beliov nickte und deutete auf eine dicke Stahltüre. „Junge.“ Dahinter befanden sich die Werwölfe, zumindest der Zugang zu den Werwölfen, doch den Schlüssel dafür, besaß ausschließlich Beliov, oder einer seiner beiden Arbeitskollegen hier unten.
„Viele?“
„Drei von sieben.“ Er deutete auf die vier toten Jungwölfe, welche zwischen einer Verwandlung von Wolf und Mensch steckten. Daneben stand ein weiterer Käfig mit jauchzenden drei Wolfswelpen, die dringend etwas zum Trinken benötigten. In diesem Fall Milch.
„Hilfe?“ Fragte ich. Beliov schüttelte den Kopf und rammte die Axt in einen Baumstumpf. Das einzige Holz hier unten. „Der Doc?“
Wieder nickte Beliov bloß in eine Richtung. Ich drängte mich an ihm vorbei, warf den toten Wolfswelpen nicht einmal einen zweiten Blick zu und trat ein, in das Menschenlager. Tausende von ihnen, in jeglichen Alter, Geschlecht und Nation, fein säuberlich sortiert, hingen dort. Ich wusste, Isles würde aus der Haut fahren, doch überraschenderweise, ließ mich der Gedanke schmunzeln.
Ich verließ die Halle, durch einen Seitenausgang, welcher direkt in ein... eher seltsam eingerichtetes Labor führte. Abgesehen von einem elektrischen Stuhl, fand man hier so gut wie alles. Verschiedene Seitenräume vollgestellt mit Regalen voller Dokumentationen der letzten Jahrtausende, Särge in verschiedenen Farben, Ausführungen und Größen. Gegenstände, zur Folter, Zellen in welchen, sogar noch alte Skelette lagen, teils wölfisch, teils menschlich, oder eher vampirischer Natur machten das Bild zu einem perfekten Gruselfilmset. Ansonsten gab es von verschiedenen medizinischen und wissenschaftlichen Geräten, des einundzwanzigsten Jahrhunderts und wesentlich älter, alles. Einige blinkten, an anderen waren Ketten befestigt, getrocknetes Blut aus hunderten von Jahren verzierte nicht bloß die Böden und trotzdem gab es noch genug Platz, für weitere Sachen hier unten. Scharfe Dinge, spitze Dinge, giftige Tierchen in verschieden großen Terrarien und die rotgelbe Beleuchtung half nicht gerade dabei aus, sich hier unten wohl zu fühlen. Nicht das man das in einem teils Folterkeller, teils Wissenschaftslabor tun sollte.
„Da ist jemand.“ Erklang die alte kratzige Stimme, vor der es mich selbst nach dreihundert Jahren noch grauste. „Ich habe es gehört, Earl.“
„Ich wollte es ja bloß gesagt haben.“ Erwiderte der Zwilling.
„Und ich habe es gehört.“
„Du könntest dich ruhig einmal bedanken dafür.“
Ich folgte den völlig verrückt gewordenen Stimmen und fand die beiden, an den Köpfen zusammen gewachsenen siamesischen Zwillinge vor einem weit geöffneten Wolfskadaver wieder. Angeekelt wandte ich den Blick ab. Ich trank ja gerne ihr Blut, oder tötete sie, wenn nötig, aber mehr brauchte ich wirklich nicht von ihnen zu sehen!
„Oh, es ist der feine Sir Gerard.“ Ich verdrehte die Augen.
„Das hätte ich dir auch sagen können, Ernand.“
„Hast du aber nicht, Earl.“ Fauchte der linke zurück und schlug seinem Zwilling spontan eine Spritze in die Brust. Alles in allem waren die beiden vollkommen Vampir. Zwei Beine, zwei Arme, jeweils ein Gesicht mit dessen Eigenmerkmalen und eigenständig funktionierenden Organen. Das einzige, was die beiden verband, waren ihre Köpfe, womit jeder von ihnen zwar nur ein Ohr besaß, doch insgesamt hörten sie alles perfekt. Eigentlich hätten die beiden sterben sollen, doch Michellé hat damals die beiden vor dem unvermeidlichen Schicksal gerettet. Damals eben, als Monster, Dämonen und der Teufel noch >in< gewesen ist. Die beiden konnten bereits mit zwei Jahren perfekt sprechen, konnten kaum, bis keine Empathie zeigen, außer sich selbst gegenüber und waren auch in vielen anderen Dingen herausragend. Michellé zog die beiden auf, versteckt in einem Keller, wo Mutter sie nicht finden konnte, und verwandelte die beiden, sobald sie die Reife erreicht hatten. Von mir aus hätte er sie damals ruhig sterben lassen können, obwohl die beiden überraschend intelligent waren. Auf ihre verdrehte Art und Weise.
„Du sagtest ja, du hast ihn kommen gehört.“
„Gehört ja, aber nicht gesehen. Außerdem, was hast du mir gespritzt?“
„Bloß ein kleines Sedativum.“
„Idiot! Wieso?“ Schrie Earl empört.
Mühsam vermied ich es, mir auf die Stirn zu schlagen, und unterbrach die beiden Herren. Jeder von ihnen, gehüllt in einen typisch weißen Kittel, der mittlerweile mehr graubraun glich, wandte sich mir zu. Nun, ja nicht alles an ihnen war so, wie es sein sollte. Eines ihre beiden mittleren Augen, waren ab einem bestimmten Alter zusammen gewachsen, daher hatte man es entfernt, bevor sie sich entzündete. Jetzt blieb jedem ein Auge, an der richtigen Stelle und eines davon, saß in der Mitte, doch wirkte etwas glasig. Sie behaupteten einmal, dadurch Geister sehen zu können, was ich bloß noch schrecklicher fand. Ob sie sich bloß einen Scherz erlaubten, oder nicht, wusste bis heute niemand. „Kontrolle! Was habt ihr für mich?“
Der einen Hälfte, der beiden Männer, versagte der Arm, als er ihn zum Gruß heben wollte und er stieß ein enttäuschtes „Oh...“ aus. Gott! Ich will hier raus!
Der Zweite, Lachte hämisch. „Es funktioniert wohl. Brauchst du ein Sedativum, das Vampire teilweise lääääh...“ Jetzt versagte der anderen Hälfte, Ernand das Gesicht, woraufhin er in dem Wort >lähmt< festsaß. Und ich dachte schon, ich hätte alles Schreckliche gesehen, was es zum sehen gab. Aber einem an den Kopf zusammen gewachsenen Menschen, dem das Gesicht in einer fürchterlich ungünstigen Stellung versagte, toppte so gut wie alles!
Mühsam behielt ich die Kontrolle und versuchte, nicht etwas Ungünstiges von mir zu geben. Ich wusste ja, wie schnell Earl und Ernand eingeschnappt sein konnten. Und wie lange! Einmal haben sie fünf Jahre lang, meine Existenz konsequent verleumdet, wobei ich mir den Arsch hatte aufreißen müssen, um sie wieder zu besänftigen. Mit den richtigen Spielereien hatte ich sie aber meiner treuen Freundschaft versichert. Immerhin war ich einer der wenigen, die ihnen nicht offen sagten, wie hässlich, oder gestört sie waren.
„Gut, ein Mittel, das euch beide lähmt, sieht witzig aus.“ Log ich gekonnt und ohne mein Gesicht zu verziehen. „Aber ihr wisst, was der König will?“
„Dort drüben, die rote Flüssigkeit.“ Auf einem gläsernen Regal fand ich einige Tuben, Spritzen, Kanüle und Gläschen mit Flaschen vor. Aber welche war die Richtige? Hier existierte wirklich viel rot. Zu viel!
„Wo?“ Fragte ich dezent gereizt.
„Zweite Zeile von unten.“ Ah! Zufrieden schnappte ich es. „Ein wenig davon in die Suppe und sie wird es löffeln, wie ein Schokoei.“
Ich mied es, mir dies bildlich vorzustellen, nahm einen Taser aus meiner Tasche und legte es an die Stelle, von wo ich eben noch das Fläschchen genommen hatte. „Danke Gerard!“ Brüllte mir der eine, nicht im Gesicht gelähmte Bruder nach. Ich konnte mir traurigerweise vorstellen, dass die beiden nun die nächsten Stunden einander damit nerven würden.

XIII. Isles Skylander, ist nicht zum Modeln geboren

„Wieso muss ich das können?“
„Weil es jeder kann, Schätzchen.“ Französisch gemeistert. Nun war der nächste Punk auf der Tagesordnung: Die Bewegung.
Mühsam balancierte ich den dicken Atlas auf meinem Kopf und bewegte mich zwischen dem Schlafzimmer und der Eingangstüre hin und her. Bisher hatte ich es doch gar auf vier Runden geschafft. Jedoch keine Einzelne davon, so wie es Manon vorstellte. „Keine Sorge, Schätzchen. Das ist alles bloß eine Frage der Übung. Am besten du konzentrierst dich auf etwas anderes.“
Noch einmal ratterte ich ihr alle Hauptstädte der europäischen Länder herunter. Währenddessen lief ich einmal mehr gegen den Wohnzimmertisch und verlor den Atlas, erneut.
„Pass auf, Manon kann eine richtige Diva werden, wenn eine Frau nicht richtig geht.“ Zum gefühlten hundertsten Mal schlug Manon ihren Mann, der lediglich dumm kicherte. Wie konnte man bloß so lange verheiratet, oder in diesem Fall in einer Bindung sein, ohne irgendwann einmal die Nase voll zu haben?
Kurzerhand entschied ich, tatsächlich danach zu fragen. „Wie lange seit ihr bereits zusammen?“
Manon antwortete. „Seit sechshundert Jahren.“ Dabei warf sich das Paar einen verliebten Blick zu, als hätte sie sechs Wochen gesagt, nicht sechs Jahrhunderte. Irgendwie war das süß.
„Wie habt ihr euch kennen gelernt?“
Beide kicherten belustigt. „Bitte, darf ich das erzählen?“ Bat Louis.
„Nein! Du machst dich bloß wieder lustig über mich!“ Schimpfte Manon streng.
„Ach komm schon. Es war so romantisch.“ Louis hatte nicht vor aufzugeben und er hatte ein bemerkenswertes Talent, sich bei seiner Frau durchzusetzen.
„Das war nicht romantisch! Du hast mich beinahe zu Tode erschreckt!“ Fauchte sie verärgert. „Oh! Gut gemacht Isles! Du hast eine Strecke geschafft.“ Überrascht blickte ich hinter mich. Ich hatte es tatsächlich geschafft! Da fiel mir auch abermals der Atlas hinunter.
„Gleich noch einmal von vorne!“ Die Augen verdrehend, hörte ich auf Louis und spazierte erneut über den imaginären Laufsteg. Eines steht fest, ein Model würde ich niemals werden. Das war einfach viel zu anstrengend!
„Na gut, erzähl du eben, aber wehe du sagst etwas Falsches!“ Manon gab nach und kuschelte sich in die Arme ihres Angebeteten.
„Na, gut. Es war vor gut sechshundert Jahren. Ich wurde vom König gesandt, um einem berühmten Künstler ein Gemälde abzukaufen, damals hat so ein Gemälde ja noch ewig gedauert. Grottenschlecht diese...“
Manon boxte ihn in den Magen, woraufhin sie einen liebevollen Kuss auf die Schläfe erhielt. „Na, gut. Wie gesagt, ich sollte ein Gemälde kaufen, es hängt zwar jetzt im Schlafzimmer unseres Königs, aber was soll man machen?“
Manon grinste Louis durch. „Wenn er nur wüsste, was das arme Bild damals durchmachen musste.“
Louis lachte mit seiner Frau und umarmte sie fester. Es wirkte fast, als würden die beiden in diese Zeit zurückfallen und ich lauschte ihnen hingebungsvoll.

XIV. Louis Tobonneau, in Italien

Der sechste Tag in Folge. Schon wieder musste ich mit meinem Pferd durch diese vermoderten, feuchten Gassen von Italien reiten. Ich hasste es, hier zu sein, aber wenn es ein Befehl des Königs war, dann widersetzte man sich nicht. Niemals! Selbst wenn man die Renaissance, egal in zu welcher Zeit, alles andere als mochte, vor allem dank der Kirche, welche unserem Clan, dessen Sitz sich in Frankreich befand, nicht gerade zugetan war. Wäre der exzentrische Künstler ein Vampir gewesen, hätte mein König es bereits vor sechs Tagen mit nehmen können.
Erschöpft von dem stundenlangen Reiten, sprang ich vom Pferd und begnügte mich mit einem einfachen Gasthaus. Ich lockte mir eine Hure hinter eine Hausecke, erfrischte mich ein wenig, nach einem eiligen Liebesspiel, dann nahm ich auch bereits mein Zimmer in Bezug. Das einzige Gute, in jedem Zeitalter? Die willigen Frauen. Herrlich! Auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollten, oder leugneten. Sie wollten mich. Das konnte ich mit einem einzigen Blick erkennen.
„Sir Tobonneau. Sie sind früh heute.“ Ich grinste dem bärtigen Barmann frech an.
„Oh, nicht für jedermann war es zu früh heute.“ Verschmilzt, grinste der Mann zurück und schenkte mir einen großen Krug Bier ein. Dankbar nahm ich es mit auf das Zimmer, wo ich es in meinen Nachttopf leerte und unter mein Bett schob, wie bereits die Tage davor.
Eigentlich hielt ich nicht viel von der Einsamkeit. Ich liebte es, die gespielt unschuldigen und vor allem unwissenden Damen, in meinem Bett zu wissen, ihnen die süßesten Laute zu entlocken oder mich einfach verwöhnen zu lassen. So konnte man sich die Ewigkeit gefallen lassen. So und nicht anders! Niemals, das hatte ich mir selbst vor langer Zeit geschworen. Keine Frau würde mich jemals sesshaft machen, denn mein Herz, oder eher meine Hose, war groß genug für alle. Also gab es auch keinen Grund, geizig zu werden. Zumindest dachte ich eine lange Zeit so.
Der nächste Tag brach herein und meine schweren Schritte führten mich noch, bevor die Sonne den Hahn weckte, durch die Stadt. Vor dem Haus des Künstlers blieb ich stehen und klopfte so laut, dass selbst ein Nachbar missmutig seine Meinung kundgab.
Es dauerte etwas, doch der Künstler öffnete, gehüllt in nicht mehr, als ein Laken. „Ist es fertig?“
Müde rieb er sich die Augen und gähnte ausgiebig. „Er soll warten, wie jeder andere auch.“ Der Künstler wollte bereits die Türe schließen, doch ich hielt ihn auf. So ein kleiner schwächlicher Mensch, würde mir bestimmt nicht den Zorn meines Königs auf den Hals jagen! Grob packte ich den Ignoranten an seinem Kragen und schob ihn in sein Haus zurück.
„Wo ist das Gemälde?“ Murrte ich zornig. Ich hatte nicht vor, noch einen verdammten Tag länger in diesem Land zu bleiben. Ich wollte zurück nach Frankreich! Heute noch!
„Schon gut, schon gut. Es liegt in meinem Atelier.“
„Dann ziehen Sie sich etwas an, sonst werde ich Sie nackt durch die Gassen schubsen!“ Was ich bemerken konnte, sah der Mann nicht so schlecht aus, also würde es die Damenwelt ganz bestimmt nicht stören. Aber ihn hoffentlich.
„Ich bin gleich wieder zurück.“ Versprach er, während ich mich im Haus umsah. Was fand unser König bloß an so einem unzuverlässigen Menschen? Er hatte genug andere Gespiele. Wieso also, ein Mensch?
„Gut, gehen wir. Es ist bloß die Straße hinunter.“
Genervt seufzend, folgte ich dem selbst ernannten Künstler, die Straße hinab. Er führte mich in ein Zweistöckiges, recht instabil wirkendes Gebäude, bestimmt hatte er es mit einem Spottpreis erhalten. „Hier ist es.“ Der untere Raum, war nicht mehr, als ein Raum. Es gab einige niedere Tische, mit denen man einfach durch den Raum laufen konnte, Farbeimer, leere Gemälde, bemalte, zerrissene. Sogar Skizzen auf Papier lagen überall herum. Es stimmte also? Künstler waren nicht gerade ordentlich.
„Was ist das denn für ein Lärm hier unten?“ Regelrecht fauchend, kam eine Frau, bloß gehüllt in ein Nachthemd die einzige, versperrte Treppe hinunter und funkelte den Künstler wütend an. Angetan von ihrer Schönheit, kam ich sofort auf sie zu und begrüßte sie. Jedenfalls wollte ich das, doch sie schritt mit erhobenen Haupt, einfach an mir vorbei. „Ich sagte dir doch, du sollst nicht vor neun hier erscheinen. Was soll denn dieser Lärm, was ist, wenn mein Mann aufwacht? Dann jagt er dich doch noch aus dem Haus!“ Wütend schlug sie den Künstler mit ihrem Kerzenhalter, den sie überraschenderweise mit sich herumtrug. Wieso tat sie so etwas?
„Verzeih, Schwesterherz. Aber der Mann hat es eilig. Wir sind auch schon weg. Versprochen!“
Noch einmal drohte sie ihrem Bruder mit dem Kerzenhalter, welcher zusammenzuckte, als wäre er es gewohnt, dass sie ihn regelmäßig einsetzte. „Brüder!“ Schimpfte sie, wollte zurück die Treppe hoch, doch schien mich endlich zu bemerken. Für einen Moment, der mir unglaublich lange vorkam, ließ sie ihren Blick über mich gleiten. „Ich hoffe doch, seine Kinderei ist diese morgendliche Störung wert!“ Fauchte sie nun auch mich, mit wohl geformten Lippen an. Diese Frau war alles andere, als ein Morgenmensch.
Schmunzeln ließ ich meinen französischen Akzent herauskommen. „Mon ange.“ Ich verbeugte mich und küsste ihren Handrücken, ganz galant, wie ich nun einmal liebend gerne zu Frauen war. „Was für ein bezauberndes Wesen.“ Meinte ich zu ihrem Bruder, welcher stark überrascht von meinem plötzlich auftretenden Akzent zu sein schien. „Mein Name ist Sir Louis Tobonneau...“
Sie entzog mir ihre Hand und wischte sie an ihrem Nachtkleid an. „Bevor sie nicht >Graf< oder >König< als Titel tragen, sehe ich keinen Grund, morgens so zu tun, als wäre ich freundlich.“ Mit diesen überraschend französischen Worten stampfte sie die Treppe hoch, zurück in das Bett ihres Mannes.
„Was für eine Frau.“ Meinte ich auf Französisch und folgte ihren Weg, die Treppe hoch mit den Augen, bis sie leise die Türe hinter sich geschlossen und sogar >verschlossen< hatte. Wäre ich dieser nur einmal früher begegnet. „Darf ich den Namen dieser reizenden Frau wissen?“
„Das ist Manon, meine Halbschwester. Sie ist aus Frankreich und vor wenigen Monaten zu meinem Geldgeber gezogen, somit konnte ich diese Räumlichkeiten behalten.“ Was? Er hatte seine Schwester verkauft, um einen so hässlichen Raum behalten zu können? Aus unerfindlichen Gründen, plötzlich wütend geworden, stach ich meine Fänge in den Hals dieses Egoisten und saugte ihn beinahe gänzlich leer. Fluchend ermahnte ich mich, ihn nicht jetzt zu töten, denn dann wüsste die ganze Stadt Bescheid, dass bloß ich es gewesen sein könnte. Mit mir war er eben, recht deutlich zum letzten Mal gesehen worden. So eine Schande!

 

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Es dauerte zwei Tage, bis ich Manon wieder traf. Sie ging auf dem Markt einkaufen und sprach gerade mit einer Verkäuferin, über den baldigen Verkauf der Bilder, ihres Bruders. Ich lauschte überraschend gerne ihrer Stimme. Auch wenn sie zuhause war, saß ich auf ihrem Dach, hörte zu, wie sie versucht höflich, mit ihrem Mann sprach und ihn unter vorgespielter Migräne, oder Erschöpfung vom Bett verwies. Lange konnte sie dieses Spiel ja nicht mehr spielen. So viel war sicher. Aber ich konnte es ihr nicht verübeln. Der Mann... nun, ja. So attraktiv Geld auch sein mochte, Frauen mit Würde, taten nicht unbedingt alles dafür und so eine edle Dame war Manon mit Sicherheit.
Auf einer Nachmittagsgala verkaufte der Künstler seine Sachen, an andere, reiche Ignoranten. Manon spielte perfekt, die adrette, höfliche Frau, eines Mannes mit viel Geld. Mit erhobenen Kopf, schritt sie durch die Menschen, grüßte höflich und spielte jede Andeutung, ihr Bruder sei etwas eigen, gezielt herunter. Jedoch ihre geballten Fäuste und ihre knirschenden Zähne, hörte niemand.
„Probieren Sie es hiermit.“ Ich reichte Manon etwas zum Trinken. „Dann haben Ihre makellosen Zähne für einige Minuten Pause und können sich entspannen, bevor sie noch zerbersten.“
Etwas verlegen, nahm sie das Getränk, dankbar an. „Wie war noch gleich Ihr Name?“ Fragte sie nach, doch schien an etwas in der Ferne mehr Interesse zu haben.
„Sir Tobonneau.“ Erklärte ich ruhig, doch hoffte, sie würde mich bald wieder ansehen. Ich mochte dieses verlegene Lächeln und konnte mir vorstellen, dass sie es bloß selten zeigte.
„Ein Franzose. Bewegen Sie sich hier in Italien nicht auf glatten Eis, >Sir<?“
Ich zuckte abweisend mit den Schultern. „Solange ich meinen Herren dienen kann, ist mir kein Weg zu steinig und kein Geschäft, zu riskant.“
„Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden?“ Überrascht bekam ich das spendierte Getränk wieder zurück und folgte ihrem Blick, zu ihrem Bruder. Er war über eine Frau gebeugt, deren Busen beinahe heraus sprang und schien sie sogleich hier am Nachmittag, auf einem Fest bespringen zu wollen.
„Künstler! Also wirklich...“ Fluchte ich leise, denn nicht einmal ich sank so tief. Dem Nächsten drückte ich die Getränke in die Hand und folgte Manon durch die Menge, zu ihrem Bruder.
„Was soll das? Reiß dich sofort zusammen, oder mein Mann wird dich doch noch vor die Haustüre...“
„Ich kümmere mich um Ihren Bruder. Keine Sorge.“ Sanft schob ich Manon weg, von ihrem störrischen Bruder und hievte ihn mir einfach über die Schulter. „Wo darf ich Ihr Paket abliefern?“
Offenbar hatte sie mir nicht zugetraut, einen so großen Mann, wie ihren Bruder, mir einfach über die Schultern werfen zu können, doch für einen Vampir, war das gar nichts. Sichtlich dankbar, deutete sie mir, mit zu kommen, während ich ihr auffällig, unauffällig folgte. Egal wie sehr ich mich bemühte, die meisten Leute glotzten und belächelten diese arme Frau, für so einen nichtsnutzigen Künstlerbruder.
Manon führte mich zurück zu sich nach Hause. Im Untergeschoss stand, in einer Ecke eine Bank, die mir bisher nicht aufgefallen war, und ich warf ihren stinkenden Bruder einfach darauf.
Seufzend hielt sich Manon die Hände vor ihr hübsches Gesicht, um ihre traurigen Augen zu verbergen. „Oh, mon ange. Weinen Sie doch nicht.“ Ohne auf eine Erlaubnis zu warten, zog ich die hübsche, verkaufte Französin in meine Arme und wiegte sie sanft, sodass ihre Tränen erst richtig aufkamen.
Gemeinsam setzten wir uns auf die unterste Treppenstufe, wo sie mir von ihrem Kummer und Leid erzählte. Sie weinte, fluchte wie furchtbar sie ihren Bruder fand, doch dass sie ihn trotz allem liebte. Das war der Moment, in dem mir klar wurde, egal, wie sehr sie ihn hasste. Es würde sie viel schlimmer treffen, wenn er plötzlich starb. Noch am selben Abend kaufte ich sämtliche Bilder von diesem Künstler, zu einem viel zu hohen Preis, wodurch er schnell an Ansehen gewann, doch Manon selbst war damit nicht geholfen. Ich erwischte ihren Mann, nach Abschluss des Geschäftes dabei, dass er seine Frau bedrängte, sie solle ihm endlich Kinder schenken, denn bloß deshalb hatte er sich eine >lüsterne Französin< besorgt.
Verkleidet mit einer Maske brach ich noch in derselben Stunde, in das Haus ein, entführte Manon und brachte sie an einem Ort, von dem ich wusste, er ist verlassen und man würde sie hier nicht suchen. Irgendwann gegen Mitternacht erwachte Manon und funkelte mich so wütend an, als hätte ich ihr gerade ihre Unschuld gestohlen, oder Ähnliches.
„Sie! Sie haben mich entführt!“ Beschwichtigend versuchte ich, es Manon zu erklären. Ihr zu sagen, dass ich sie doch bloß von ihrem Ehemann beschützen wollte, doch dafür trat sie mich so fest, dass ich glatt vom Geländer, vier Stockwerke hinab stürzte. So hatte ich mir das geplante romantische Essen, unter dem Sternenhimmel aber nicht vorgestellt!
Geschickt kam ich auf dem Boden auf und wartete vor dem Eingang auf Manon. Wie zu erwarten, da ich sie nicht gefesselt hatte, oder Ähnliches, kam sie wenige Minuten später unten an und schrie sich die Seele aus dem Leib, ehe sie in Ohnmacht fiel. Immerhin... wie viele gutaussehende Männer, wie ich, überlebten schon so einen Stoß, oder gar so einen Tritt von einer solch einmaligen Frau?

XV. Isles Skylander, beim Shoppen

„Danach klärte mich Louis auf. Er erzählte mir von den Vampiren, von ihrem fortschrittlichen Denken, dem ewigen Leben und den unglaublichen Stärken. Auch von dem Drang nach Blut und das ich die ersten Jahre in Gefangenschaft leben müsste, da es zu gefährlich wäre, mich mitten in Frankreich einfach auf die Straßen zu lassen, mit dem ersten Blutrausch. Aber ich willigte ein. Wie könnte man einen so hartnäckigen Mann schon abweisen?“
Gerührt von ihrer Geschichte und beeindruckt von Manons Vergangenheit, saß ich da und himmelte die beiden an. Louis hätte, trotz seines Charakters, alles für diese Frau getan und Manon war ihm zuliebe ein Vampir geworden. Ich konnte ein langgezogenes „Oh!“ Nicht verhindern. Dafür waren die beiden einfach zu süß!
Ach, wieso konnte ich so etwas nicht haben? Oh, ja! Fast vergessen, ich bin ja ein blutgieriger Vampir, die an der Vene ihres Unsterblichen-Bruders hing. Mehr oder weniger, zumindest.
„Aber ist es nicht seltsam, dass er dein Erschaffer ist? Er könnte dir doch einfach befehlen, was er möchte und du müsstest es tun.“ Ich wollte Louis natürlich nichts unterstellen, doch ich konnte mir nicht vorstellen, in einer Partnerschaft einen so mächtigen Mann zu haben. Er konnte ihr quasi alles aufzwingen. Alles!
Manon hob arrogant ihr Kinn. „Das soll er einmal versuchen, dann drehe ich ihm den Kopf um und schicke ihn zu den einjährigen!“
Louis hob beschwichtigend die Hände und redete beruhigend auf seine Frau ein. Natürlich würde er so etwas niemals tun. Dafür liebte er sie viel zu sehr. Das konnte niemand bestreiten.
„Na gut, wie es aussieht, wird das heute mit deinem Gang nichts mehr. Vielleicht benötigst du einfach die richtige Kleidung dafür.“ Ich blickte auf das alte Shirt, von Gerard und seine Boxershort. Ja... vielleicht täte frische Kleidung tatsächlich gut.
„Ich bleibe hier, wenn es euch Mädels nicht stört?“ Fragte Louis, wofür er einen liebevollen Kuss bekam.
„Wir hätten dich ohnehin nicht mitgenommen.“ Mit einem Klaps auf Manons Hintern, schickte er uns aus dem Zimmer und sie hakte sich bei mir ein.
„Wo gehen wir denn hin?“ Ich war barfuß und meine Schritte tapsten deutlich über den schönen, weißen Marmorboden. Dass er überraschend warm war, fiel mir erst jetzt auf.
„Zu Marta.“ Erklärte Manon. „Sie hat eine groß Kleidersammlung, sie liebt Kleidung. Ich glaube, es gibt nichts, das sie jemals weggeworfen hätte.“ Grinste sie und ich fühlte mich erleichtert, nicht >so< draußen auf den Straßen von Toulous herumlaufen zu müssen.
„Und sie würde mir etwas überlassen?“ Fragte ich überrascht.
„Natürlich, wieso nicht? Du bist eine Tobonneau Frau. Wir teilen alles... bis auf unsere Männer.“ Spöttisch zwinkerte sie mir zu, doch ich fühlte mich keineswegs wohl bei dem Gedanken, als ein Familienmitglied bezeichnet zu werden. Es war... irgendwie schräg. Ich hatte seit einer ganzen Weile schon keine Familie mehr. Sie sind gestorben, kurz bevor sie mich haben fallen lassen können. Bloß weil ich ihnen ein großes Geheimnis hatte verschweigen müssen und nicht mehr >ganz normal< gewesen bin. Das alles ist alleine die Schuld meines Erschaffers. Er hat nicht bloß mein Leben auf dem Gewissen, sondern auch das, derjeniger, welche durch meine Fänge hatten sterben müssen. So eine große Schuld beglich man nicht einfach, indem man die Arme öffnet und laut sagt >Willkommen in der Familie<.
„Isles, wo läufst du hin?“ Nachdenklich wandte ich mich Manon zu, welche eben an eine Türe geklopft hatte, während ich einfach weiter lief. Entschuldigend kam ich zurück und ein recht dürrer Mann, mit etwas blutunterlaufenen Augen, blickte uns ratlos an.
„Manon, wer ist deine neue Freundin?“ Fragte er, doch ließ uns, ohne zu zögern, ein.
„Das ist Isles, sie ist ein zweijähriger Vampir.“ Vor Staunen klappte ihm doch glatt der Mund auf.
„Deine Scherze waren auch schon einmal besser.“ Trotzdem schien der Vampir vorsichtiger geworden zu sein.
„Das ist kein Scherz, Martin.“ Belehrte Manon ihn völlig unberührt, während ihre Augen suchend durch die Räumlichkeiten strich. Gerard hatte recht behalten, wir befanden uns immer noch im dritten Stock, bloß waren wir den Gang weiter nach hinten gegangen und dann links abgebogen. Das Schloss war tatsächlich größer, als ich gedacht hatte und ohne meine neue Freundin, würde ich mich hier heillos verlaufen. Obwohl... den Ausgang hatte ich überraschend schnell gefunden, oder es war einfach bloß ein Glückstreffer gewesen?
„Ah! Marta, da bist du ja. Dass du dich immer verstecken musst du kleines Ding, du.“
Marta, welche ich von vorhin noch kannte, oder eher von gestern, wenn mich meine Zeitrechnung nicht ganz täuschte, stand in einem begehbaren Kleiderschrank, welcher eher wie ein zusätzliches Zimmer aussah, und verschwand beinahe gänzlich zwischen einer langen Reihe von Kleiderständer.
„Werd ja nicht frech, du dumme Kuh, oder ich schlage dich!“ Mahnte Marta, doch begrüßte ihre Freundin mit Wangenküssen. „Ah! Isles...“ Sie erstarrte und blickte mit hochgezogenen Augenbrauen meine Kleidung an. „Ich seh schon, was ihr von mir wollt, Kinder.“
Seufzend, als würden wir ihr eine richtige Qual bereiten, trottete die Frau tiefer in ihr Labyrinth aus Seide, Wolle und Glitzer. „Manon hat nicht übertrieben, du hast wirklich viel Kleidung... Oh mein Gott! Ist es das, was ich denke?“ Ich zog an einem Ärmel von einem Kleid, das aus den fünfziger Jahren stammen musste. „Das ist so retro!“ Schwärmte ich und wollte es am liebsten für mich selbst nehmen.
Früher, bevor ich zum Vampir gemacht worden war, hatte ich mich viel für die Kleidungsstile aus verschiedenen Zeitalter interessiert. Das frühe zwanzigste Jahrhundert hatte es mir dabei am meisten angetan. Ja, ja! Schande über mich.
„Vergiss es Liebes, das bekommst du bloß für eine Mottoparty.“ Grinste Manon über einen Stapel Hosen hinweg. Das war wie Shopping in verschiedenen Zeitaltern und auch noch alle vereint, in einem Raum! Quietschend machte ich mich über einen neuen Fund her. Meine Eltern waren nie sonderlich reich gewesen. Manchmal reichte es gerade so, dass wir unser Haus bezahlen konnten und Rechnungen. Aber es hatte mich nie gestört, ich war glücklich gewesen. Trotzdem wäre ich viel lieber eines von diesen tussigen Mädchen gewesen, die mit ihren Freundinnen teuer Shoppen geht und genauso überteuerten Kaffee trank, bloß um >cool< zu sein. Nicht dass so etwas auf einer Insel wie Island funktioniert hätte, aber in meiner Fantasie, war ich immer die am besten gekleidete.
„Isles, komm hier her. Ich habe die perfekte Hose für dich.“ Ich folgte, Manons ruf, was mir leicht fiel, denn sie streckte einen Arm über einen kopfhohen Kasten, sodass ich sie sehen konnte.
Kurzerhand drückte sie mir eine schwarze Lederhose in die Hand. „Bitte, zieh sie an. Du wirst so heiß darin aussehen!“ Bettelte Manon.
„Oh, netter griff! Sie ist tatsächlich wie für dich gemacht.“
Hilfesuchend kramte ich zwischen den anderen Hosen. „Hier sind doch auch ganz schöne Hosen. Wie wäre es vielleicht...“
Marta schlug mir auf die Finger und schob mich weg. „Nein, nein. Wenn du Kleidung willst, nimmst du, was ich dir aussuche, denn wenn ich sage, dass es zu dir passt... dann ist es alleine für dich gemacht.“ Nachdrücklich drückte sie mir die Hose in die Hand.
Schnaufend nahm ich sie ihr ab und warf sie über meine Schulter. Mal sehen, vielleicht konnte ich sie >zufällig< irgendwo verschwinden lassen.

XVI. Gerard Tobonneau, der Lakai des Königs

Ungestüm klopfte ich an die Türe der Wohnung, in welcher Louis mit seiner Frau lebte. Nach dem zweiten Mal öffnete Louis genervt die Türe, doch lächelte freudig, als er mich sah. „Gerard! Wenn...“ Ohne auf die Begrüßung zu warten, trat ich in seine Wohnung ein und mein Blick schweifte, suchend nach Isles, durch den Raum.
„Wo ist >sie<?“ fragte ich, beinahe fauchend.
„Das hätte ich dir bereits...“ Unter meinem Blick gab er nach. „Sie sind bei Marta.“ Erklärte er, vielsagend.
Seufzend rieb ich mir die Nasenwurzel. „Wie lange schon?“
Louis deutete mir platz zu nehmen. „Drei Stunden, zirka. Was ist denn los?“
Anstatt mich zu setzen, ging ich zur Türe zurück. „Der König will sie sehen.“
Louis nickte mir aufmunternd zu. „Keine Sorge, wir haben gut für sie gesorgt.“ Schwor er und ich lief, bloß ein wenig, erleichtert wieder hinaus auf den Flur.
Etwas langsamer, als bisher, denn ich mochte Marta und ihrem Gefährten nicht, ging ich den Flur nach hinten, doch sah Manon bereits, mit zwei Tüten, den Flur hinunter kommen. Neben ihr Isles.
Isles entdeckte mich als Erstes und stockte instinktiv. Sie wusste wohl, dass wenn ich in der Nähe war, nichts Gutes auf sie warten konnte. „Ich will noch nichts trinken.“ Fauchte sie und ihre, bisher glücklich erhöhten Mundwinkel, sanken und machten ihren dunklen Blick deutlicher.
„Deshalb bin ich nicht hier.“ Betont langsam, ließ ich meinen Blick über ihr, endlich Gezähmtes, Haar tiefer gleiten. Hinweg, über die dunkle Lederjacke, welche sie über einem recht adretten, weiß und grau karierten Kleid trug. Weit ließ mich mein Blick jedoch nicht kommen, denn so anständig es auch oben wirkte, war es unten unanständig kurz. Der Rocksaum ging gerade einmal bis unter ihrem Hintern und ihre langen Beine steckten in dunklen Boots, mit spitzen Absätzen. Ich hasste dieses klappernde Geräusch!
„Weswegen dann?“ Wütend fixierte sie mich mit ihrem Blick, offenbar störte ich im Moment gewaltig, doch das war mir egal. Ich hatte Wichtigeres zu tun.
In einer viel zu hohen Geschwindigkeit, lief ich auf Isles zu und packte sie am Oberarm, bevor sie wieder auf irgendwelche dummen Ideen kam. „Manon, nimm ihre Taschen, wir werden erwartet.“
Manon nahm artig die Taschen. „Moment! Wieso? Welcher Termin?“ Fragte das blonde Miststück und wehrte sich gegen meinen Griff.
„Schon gut, Isles du wirst alles hervorragend meistern. Denk einfach daran, gerade zu gehen, bewahre deine Haltung und rede bloß, wenn du etwas gefragt wirst.“ Mahnte Manon, richtete noch einmal ihre Haare und betrachtete Isles Gesamtbild. Zufrieden nickte sie.
Erneut richtete sich Isles Blick auf mich. Dieses Mal fuchsteufelswild. „Warte... du bringst mich doch nicht zum König, oder?“ Fragte sie fauchend, doch kannte die Antwort längst.
„Sollte er jemals befehlen, dich in einen Vulkan zu werfen, würde ich sogar das tun.“ Dankbar nickte ich Manon zu, welche ihrer neuen Freundin noch einmal Glück wünschte, dann zog ich auch schon Isles hinter mir her. Und zum Teufel! Sie machte es mir nicht gerade einfach.
Störrisch stemmte sie sich gegen meinen Griff und schrie mich an, was ich doch für ein gewissenloses Monster sei. Dabei kannte sie noch nicht einmal Michellés wahres Gesicht. „Gerard! Wieso hörst du unbedingt auf dieses Aas? Soll er doch seinen knochigen Hintern in irgendeiner...“
Am Rande des Wahnsinns, denn diese Frau schaffte es immer irgendwie mich wütend zu machen, holte ich aus und ließ meine Rückhand auf ihr Gesicht zu schnellen. Es würde zwar mir ebenfalls weh tun, doch vielleicht lernte sie dann endlich einmal, ihr vorlautes Maul zu halten! Langsam hatte ich es wirklich satt!
Doch, anstatt ihr Gesicht zu treffen, verharrte meine Hand bloß Millimeter vor ihrer Wange. Entsetzt sah sie von mir, zu der erstarrten Hand. Unfähig etwas zu sagen, denn ich wusste beim besten Willen nicht was, starrte ich sie einfach an, bis sie das Schweigen für mich brach.
„Wolltest du mich eben schlagen?“ Fragte sie, offen schockiert.
Wollte? Ja. Konnte? Nein... Aber wieso? Ich wollte sie ernsthaft schlagen. Niemand durfte ungestraft, so wie sie, über den König sprechen. Nicht einmal seine eigene Bluttochter. Aber meine Hand versagte, ohne meine Zustimmung, ihren Dienst. Das... Das war einfach nicht möglich! Ich bin die rechte Hand des Königs. Sein engster Vertrauter, sein Sklave, sein Sohn, sein Henker, sein Dienstmädchen, für die Schweinerei, welche er gerne einmal nach einem Fest zurückließ.
So wurde ich gemacht, erzogen und gedrillt. Anders kannte ich es überhaupt nicht, denn es ist meine Pflicht, dem König treu zu dienen und seinen Namen zu verteidigen.
„Gerard?“ Isles schob meine Hand zur Seite, doch mein Körper verweigerte immer noch seinen Dienst, während mein Kopf wie verrückt arbeitete.
Langsam wurde Isles Blick weicher und ich schaffte es, endlich schwer zu schlucken. „Was ist passiert? Gerard?“ Ihre Hand wanderte höher, zu meiner Wange und schlug etwas fester darauf, als wäre ich zu tief in meinen Gedanken versunken. Vielleicht war ich ja genau das? Gefangen in meinen eigenen Gedanken, unfähig die Situation zu verstehen, denn so etwas habe ich noch nie erlebt.
Ich habe so viele Knochen gebrochen, dass ich sie nicht mehr zählte, so viele Herzen zwischen meinen Fingern zerquetscht, zerstochen und Körper ausbluten lassen. In Namen meines Herren habe ich misshandelt, vergewaltigt und verstümmelt.
Aber jetzt konnte ich das nicht mehr.
Wieso?
Weil ich, ohne das ich es absichtlich getan habe, meine Priorität änderte?

 

- - - - -

 

Es dauerte noch eine weitere, recht schweigsame Minuten, bis sich mein Körper an den ersten Schock gewöhnt hatte. Langsam kam ich wieder zu mir und verdrängte, recht gekonnt, die Erkenntnis, dass ich nicht länger meinen König liebte. Zumindest nicht mehr so, wie bisher. Einerseits fühlte es sich wie eine große Erleichterung an, denn jetzt gab es noch einen anderen Sinn in meinem Leben, als der Lakai des Königs zu sein. Trotzdem wollte ich es nicht. Von einer Bindung in die nächste zu fallen... Offenbar sollte es mein Schicksal sein, als der Lakai von irgendjemanden zu existieren.
„Langsam tut dein Griff wirklich weh!“ Beschwerte sich Isles, denn ich zog sie weiterhin hinter mir her, hinauf in den vierten Stock, welches man bloß auf Anordnung betreten durfte. Abgesehen von mir natürlich. Mir gehörte sogar ein Teil dieses Stockwerkes, welches ich jedoch niemals nutzte. Zumindest sehr lange nicht mehr.
Ich schwieg, denn ich hatte nichts darauf zu erwidern. „Ignorierst du mich jetzt?“ Fauchte sie neben mir.
Konnte sie denn wirklich niemals schweigen? Es waren doch bloß noch wenige Meter! „Gerard! Du könntest mir zumindest erklären, was vorhin passiert ist?“ Als ich sie hatte schlagen wollen, es aber nicht gekonnt habe? Danke, auf diese Erklärung verzichtete ich dann doch besser.
„Halt einfach den Mund, wenn wir beim König sind, sonst muss ich dir noch andere Knochen brechen... Knochen die nicht so leicht heilen!“ Fauchte ich vor mich hin, woraufhin sie tatsächlich still wurde. Ein wahres Wunder!
Endlich im vierten Stock angekommen, öffnete ich, mittels eines zwölfstelligen Sicherheitscodes die Türe zum obersten Geschoss. Ein Wächter, welcher beinahe immer dort stand, beachtete mich kaum, sondern ließ uns einfach passieren. Was nun folgte, war ein verdammt verwirrendes System aus Gängen, welche etwaige Angreifer für einige wertvolle Sekunden oder Minuten aufhalten sollen. Ich jedoch kannte klarerweise den Weg, während Isles eher verwirrt zu sein schien.
„Das ist ja der reinste Irrgarten.“ Murmelte sie, womit sie recht, hatte. Doch selbst dieser einfache Irrgarten, war geprägt von exotischen Pflanzen, welche unter großen Mühe die Wände für sich erobert hatten und daher unsere Gerüche perfekt verdeckten. Manche dieser Pflanzen, zumindest wenn man aus Versehen zu nahe an sie herankam, konnten einen Vampir erhebliche Sinneseinschränkungen aufbürden. Noch so ein tolles Spielzeug, von den beiden siamesischen Zwillingen. Die beiden hatten schon gute Ideen, dafür dass sie so... verrückt waren.
„Hier lebt der König? Wirklich?“ Ich bog in den rechten hinteren Flügel ein, zumindest wusste ich, dass er es war, denn ich kannte sämtliche Grundrisse des Gebäudes, bevor sie restlos verbrannt wurden.
„Natürlich, sonst würde ich mich hier nicht mit dir abgeben.“ Nach der nächsten Biegung fanden wir stramme Säulen und große Gemälde, mit denen König Michellé recht gerne prahlte. Gemälde waren so etwas, wie ein langjähriges Laster von ihm. Eines, dem er niemals müde wurde.
„Ich dachte mir schon, dass das bisherige zu Pflanzenreich für den Thronpfurzer ist.“ Grinsend gab ich auch den Code für diese Türe ein und trat, zusammen mit Isles, ein.
„Steh aufrecht und versuch... versuch wirklich nett zu sein. Er kann dein Leben auf eine qualvolle Ewigkeit verlängern, oder dich sofort töten. Verstanden?“ Mahnend blickte ich dem Miststück in die Augen, was sie jedoch bloß mit einem Schnauben quittierte. Seufzend probierte ich es anders. „Oder muss ich erst Manon ins Spiel bringen?“
Entsetzt wandte sie mir nun doch wieder ihren Blick zu. „Du bluffst. Sie ist auch deine Freundin, oder zumindest die Frau deines Freundes. Das würdest du ihnen nicht antun.“ Isles schien entschlossen zu sein, die Zügel in der Hand zu halten.
Falsch gedacht.
Bedrohlich reduzierte ich unsere Entfernung auf ein Minimum, ohne sie jedoch zu berühren. „Du schätzt mich falsch ein, Isles. Ich habe hier keine Freunde, bloß Fußvolk, das man ersetzen kann.“ So ernst, dass ich es mir beinahe selbst abkaufte, denn immerhin hatte ich drei Jahrhunderte Übung in meinem Lügengespinst, erwiderte ich ihren sturen Blick, bis er einknickte.
Verunsichert trat Isles zurück und blickte sich um. Gut so, Mädchen. Diese Spielregeln hättest du ruhig früher verstehen können. Dachte ich und deutete ihr, mir zu folgen.
Ihre klappernden Schritte, folgten mir, denn ab hier hatte sie ohnehin keinen Ausweg mehr. Wer sich einmal hier drinnen befand, saß in der Falle. Insofern man es so weit schaffte. „Was will er überhaupt von mir?“
„Dich kennenlernen, natürlich. Du bist eine der wenigen Vampire, die seinen Biss überlebt haben und zu allem Überfluss, eine Frau.“
„Was heißt hier zum >Überfluss<?“ Mann, diese Frau konnte wütend werden! Wieso dachte sich Michellé überhaupt, dass Isles in ihrem Alter eine gute Wahl wäre? Mit ihr hatte er doch bloß Ärger... oder eher ich. War sie etwa tatsächlich meine persönliche Strafe? Karma hatte einen grausamen Sinn für Humor. Aber ich konnte nicht abstreiten, dass ich sie verdient hatte. Für die Schandtaten meines bisherigen Lebens...
„Wir sind jetzt da, halt dich daran, was dir Manon gelernt hat.“ Ich zweifelte nicht daran, dass unsere Vampirfrauen wussten, wie man sich verhielt und es gerne an ihre Nachfolger, oder Freundinnen weitergaben.
„Wie ich einen Atlas auf meinen Fuß fallen lasse? Danke, davon habe ich genug.“ Sie murrte es bloß, beinahe unverständlich, doch mit großer Mühe konnte ich sie versehen. Was hatte das mit einem Atlas zu tun?

 

- - - - -

 

„Majestät? Ich habe Isles dabei.“ Ich schob einen Vorhang zur Seite, noch bevor der König auf die Idee kommen konnte, etwas darauf zu erwidern, und fiel direkt auf die Knie, sobald meine Fußsohlen den roten Teppich erreichten, und zog Isles direkt neben mich. Unelegant, wie zu erwarten, kam sie auf dem Boden auf. Trotzdem blieb sie schweigend neben mir knien.
„Ah! Sehr gut. Du hast entschieden, wieder deine Naturhaarfarbe zu wählen. Das steht dir viel besser.“ Ich hörte König Michellés Schritte langsam auf uns zukommen, doch wagte es noch nicht meinen Kopf zu heben.
Neben mir hörte ich Isles schnauben, doch drückte ihr Handgelenk fester, woraufhin sie eisern schwieg. Dann hatte meine Drohung also tatsächlich etwas genützt. Ein Glück.
„Komm auf, meine Tochter.“ Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Michellé seine Hand an Isles Wange legt und sie zurückzuckte. Sie wollte es ganz offensichtlich nicht, von ihm berührt zu werden. Das war auch gut so. So nett war dieses Monster nämlich keinesfalls, wie er immer tat. „Ich habe etwas für dich zum Trinken. Hast du Durst?“ Nach einem unsicheren Blick zu mir folgte Isles dem König, doch ging dabei, als hätte man ihr einen Stock in den Allerwertesten gesteckt.
„Danke, ich hatte erst vor kurzem etwas.“ Lehnte Isles ab.
„Gut, dann bleibt mehr für mich. Komm, setz dich zu mir, Liebes.“ Schon der zweite Fehler. Man lehnte niemals etwas ab, das einem der König anbot! Niemals! Dieses Miststück konnte wirklich überhaupt nichts richtig machen!
„Eigentlich schade, denn ich hätte gerne jemanden mit dir geteilt. So zu sagen, um unser Bündnis zu feiern. Was hättest du gerne? Ich bevorzuge ja weibliche, recht junge Spender.“
Abweisend verschränkte Isles ihre Arme vor dem Oberkörper. „Hierbei teilt sich wohl unser Geschmack.“ Ich ahnte schon Schlimmes...
Gefährlich ruhig, ließ sich Michellé auf eine breite Bank sinken, auf welcher ich schon mehrere Stunden in den letzten Jahrhunderten verbracht hatte und schlug ein Bein über das andere, während sich Isles im Empfangsraum umsah. Dabei wich sie dem Anblick des Königs mehr als geschickt aus.
„Ich bevorzuge es, kein Blut zu trinken. Leider blieb mir jedoch niemals die Wahl dazu.“
König Michellé setzte einen mitleidigen Blick auf. „Ich weiß, mein Kind. Ich habe dir leider keine Wahl lassen können. Du kennst ja nun die Wahrheit.“ Bis heute verstand ich nicht, wieso dieser Mann so perfekt lügen konnte.
„Es entschuldigt überhaupt nichts, die ganze Situation macht es bloß noch schlimmer. Du hast mich.... Du hast mich benutzt und wie ein leeres Stück Dreck zurückgelassen, damit ich meine Familie und Freunde auffresse und von Werwölfen getötet werde.“ Erwartete sie wirklich Mitleid? Wenn man einmal von König Michellé auserwählt wurde, dann konnte man sich darauf gefasst machen, dass das größte Leid, bloß so etwas wie ein kleiner Lichtschimmer sein konnte. Entweder passte sich Isles sofort ihrem neuen Leben an und unterwarf sich in treuer Demut... oder sie würde sich wünschen, es getan zu haben.
„Oh, Herzchen. Komm zu mir. Setz dich.“ Stur blieb Isles stehen und fixierte unser aller König, mit einem wütenden Blick, als er, lockend mit süßen Worten, neben sich auf die Couch klopfte. „Lass dich von mir trösten, Isles. Ich wollte dir doch niemals irgendetwas Böses. Das musst du wissen.“ Noch einmal klopfte er auffordernd, doch Isles blieb, wie so oft, stur. Das war dann wohl ihre letzte Chance auf den einfachen Weg.
„Danke, ich verzichte auf deine Nähe... Väterchen.“ Fauchte die kleine Furie, was mich unerwartet stolz machte. Leider meinen König, umso wütender, obwohl man es ihm kein bisschen ansah.
„Gerard, komm du doch zu mir.“ Leichtfüßig erhob ich mich aus meiner knienden Haltung und stellte mich direkt neben die Couch. „Mein Guter, Gerard. Du bist doch der Liebste meiner Söhne, nicht wahr?“
Viel eher der Letzte, der noch lebte, da ich lernte, mich anzupassen. „Und Euch immer treu ergeben, Herr.“ Ich fiel wieder auf die Knie, was meinem König ein süffisantes Lächeln entlockte.
„Weißt du, Isles. Auf Gerard habe ich kein einziges Mal einen Zwang angewandt.“ Ich spürte ihren fragenden Blick geradezu in meinem Rücken. „Noch kein einziges Mal, in dreihundert Jahren, hat sich Gerard auch nur einem Wort von mir widersetzt. Er sprach niemals zurück und fällt selbst wegen einer Nichtigkeit vor mir auf die Knie. Man könnte sagen... er ist der Einzige, der weiß, wie man sich mir gegenüber benimmt.“ Kurz lachte Michellé, über einen scheinbaren Witz, den bloß er verstand. „So viele Kinder hatte ich nun schon in den letzten viertausend Jahren. Ich war kurzzeitig ein Pharao, Heerführer, Kaiser, König und vieles mehr. Man könnte sagen, ich habe mein Leben voll ausgekostet und das, so oft ich wollte. Aber Gerard....“ Michellé rückte näher zu mir und legte seine Hand sanft auf meinen Hinterkopf. „...ist wie der Hund, den ich niemals wollte, aber einfach bekommen habe. Er hat für mich gemordet, vergewaltigt, Blut vergossen und mehrfach Verrat begangen.“
Langsam senkte sich Michellés Körper und er gab mir einen scheinbar väterlichen Kuss auf den Kopf. Obwohl es mich ekelte, blieb ich ruhig und gelassen. Wie schon Jahrhunderte davor. Gehörig. Loyal. Ich denke, bei niemand anderen würde es König Mischellé mehr Spaß machen, ihn zu töten, sobald ich ihm in den Rücken fiele.
„Ja, ich habe schon bemerkt, dass er dein Lakai ist. Und ich finde es einfach widerlich! Niemand sollte sich vor jemanden dermaßen erniedrigen.“ Das sagte sie jetzt noch...
„Isles. Setz dich neben mich.“ Ich spürte den Blutbefehl direkt über mich hinweg gleiten und Isles bewegte sich, gänzlich gegen ihren Willen, auf den König zu.
„W-Was passiert hier? Nein! Ich will nicht!“ Fauchend versuchte sie sich, gegen den Befehl zu stemmen, doch ihre Beine weigerten sich ihr zu gehorchen und strichen einfach an mir vorbei. Kurzerhand saß sie direkt neben dem König und er legte ihr liebevoll den Arm um die Taille.
„Na siehst du, Herzchen. Es geht doch.“ Säuselte er zufrieden, während Isles wütend fauchte.
„Fass mich nicht an, du widerliches Schwein!“
Der König lachte bloß, denn für ihn war es offiziell. Auch für mich, denn ich wusste, was nun geschehen würde. Isles weigerte sich, sich zu ergeben und ihrem Schicksal zu beugen. Sie weigerte sich außerdem, ihm ihre Treue zu schwören, also würde er es nicht, wie bei den meisten anderen Vampiren, mit seiner vorgespielten Freundlichkeit belassen, sondern direkt sein.
„Keine Sorge, das werde ich schon nicht. Aber als Strafe, damit du deinen zukünftigen Platz kennen lernst, wirst du zusehen, was Gerard jetzt tut.“
Gegen ihren Willen legte sich ihr viel zu dunkler Blick auf mich und jagte mir einen kleinen Schauder über den Rücken. Sie hatte Angst, wusste nicht, was passieren würde, und wollte es vermutlich auch niemals erfahren. Wer konnte es ihr schon verübeln?
„Ich will, dass du keine Sekunde verpasst, während dir klar wird, welche Stellung du beziehen wirst, mein Teuerste.“ Liebevoll küsste Michellé Isles auf die Wange, welche versuchte zurückzuzucken, doch es nicht konnte. Michellé hatte ihren Willen in seinen blutigen Fängen gefangen.
„Was soll das? Was für eine Stellung?“ Fragte sie panisch, denn das Einzige, was sie noch konnte, war zu sprechen. Und das war im Moment am wenigsten hilfreich.
„Deine zukünftige Stellung, als meine Frau, natürlich.“ Kichernd wandte sich Michellé mir zu und klopfte auf seinen Oberschenkel. „Komm zu mir, Gerard. Lern deiner kleinen, unerfahrenen Schwester ein wenig.“
Als ob ich das nicht bereits versucht hätte, aber ich wusste, dass wir beide damit verschiedene Dinge meinten. Auf den Knien rutschte ich näher an den König heran, welcher bereits die Beine spreizte, damit ich besseren Zugang, zu seiner Hose hatte. „Was wird das jetzt? Gerard?“ Langsam schien Isles tatsächlich zu verstehen, was los war.
Ohne noch einen Blick auf sie zu riskieren, öffnete ich den protzigen goldenen Gürtel und zog die reinweiße Hose des Königs hinunter, sodass sie sich zu seinen Füßen sammelte. Wie üblich trug er keine Unterhose, weshalb mir seine stattlichen achtzehn Zentimeter bereits erfreut entgegen winkten.
„Zur Hölle mit euch! Das will ich wirklich nicht sehen!“
Absichtlich langsam, denn ich wusste, mein König mochte das, senkte ich meinen Kopf und strich mit der Zunge langsam seinen Schaft von der Wurzel bis zur Spitze hinauf.
„Bitte! Gerard, hör auf!“
Als ich oben ankam, zeichnete ich mit meiner feuchten Zunge, kleine Kreise und entlockte meinem König ein zufriedenes Seufzen.
„Ich will das nicht sehen, Gerard! Hör auf!“
Mit leicht schabenden Zähnen, saugte ich sein bestes Stück zwischen meinen Lippen ein und ließ meine Zunge geübt darüber wandern.
„Gerard... bitte...“
Mein Herz wurde schwerer, als ich ihr Schluchzen hörte, doch ich hörte nicht auf. Stattdessen sog ich ihn tiefer in meine Kehle und befeuchtete ihn, so gut es ging.
„Bettel ruhig lauter, Isles. Das fühlt sich so gut an!“ Stöhnte König Michellé und krallte sich lustvoll in die Polster der Couch, als ich seine beiden hoch funktionellen Bälle massierte.
„Gott... ich will das nicht sehen... nein...“
So gut es ging, blendete ich ihre ängstlichen Laute aus und widmete mich voll und ganz meinem Herren. Sachte massierte ich, leckte und saugte aus voller Kraft, bis Michellé meinen Kopf grob von sich wegschob.
„Nicht so schnell, Gerard. Das Finale gehört ganz deiner Schwester.“
Ich hörte, wie Isles erschrocken die Luft einsog und sich ihre Stimme vor Ablehnung überschlug. Der König erhob sich ungeniert und ließ seine Hose, so wie mich, unbeachtet zurück, während er sich ganz seiner kleinen Prinzessin zuwandte. Erwartend reckte er ihr seine ganze Pracht entgegen, wobei Isles Blick, immer noch erzwungen auf mir lag. Das machte alles nicht gerade einfacher für mich.
„Verschwinde mit dem dreckigen Ding. Ich will kein einziges Teil von dir in meiner Nähe haben!“ Schrie die blonde Furie und fuhr sogar ihre Reißzähne aus. Nicht das es ihr etwas genützt hätte, doch ich bewunderte sie, schwach, dafür.
„Komm schon Isles. Deine letzte Chance. Öffne deinen Mund freiwillig für mich, oder ich werde dich dazu zwingen.“
Die Furie fauchte wütend. „Vorher reiße ich ihn dir ab!“
Ich kam auf die Beine und sammelte die Hose des Königs auf, während Michellé Isles befahl den Mund für ihn zu öffnen.
„Noch lange nicht so gut wie dein Bruder, aber es wird reichen.“ Kicherte Michellé, ganz der Tyrann und Widerling, der er auch war und rammte sich selbst hart in ihre Kehle, während ich so tat, als würde das Falten der Hose meine volle Aufmerksamkeit gebrauchen und schloss meine Augen, da ich keinen einzigen Augenblick mehr ertragen konnte.
Verfluchter Scheißkerl!
In diesem Moment wusste ich wirklich nicht, wen ich mehr hasste. Den Tyrannen, oder mich selbst?

XVII. Isles Skylander, mon chaton

Ich spuckte erneut auf dem Boden aus, während Gerard, gewünschten, Abstand hielt. Zwar konnte ich, zu meinem Glück nichts mehr, außer Blut selbst schmecken, trotzdem widerte es mich an, wie warm diese ekelerregende Flüssigkeit meinen Rachen hinab gelaufen war. Zum gefühlten hundertsten Mal, da die Wärme einfach nicht vergehen wollte, spuckte ich auf den Boden, obwohl ich überhaupt keine Flüssigkeit mehr übrig hatte, die gespuckt werden konnte. „Ach!“ Fauchte ich. „Blut kann ich erbrechen, aber diesen Scheiß nicht!“ Zornig schlug ich gegen die kahlbraune Wand, neben einer exotischen roten Pflanze ein, doch erreichte nichts, außer Schmerzen in meinem Gelenk.
Unerwartet stand Gerard neben mir, welcher bisher weit hinter mir gegangen war und umfasste sanft mein Gelenk. Widerwillig ließ ich ihn abtasten, ob ich mir etwas gebrochen hatte, doch viel lieber hätte ich etwas >erbrochen<. „Wie kannst du bloß so... wie kannst du dich bloß so selbst erniedrigen?“ Fragte ich ungläubig.
Gerard schnaubte. „Ich habe nichts getan, was eine Frau nicht für ihren Freund, oder Mann ebenfalls tun würde.“
Genervt verdrehte ich die Augen. Er wusste doch, was ich meinte. Zur Hölle mit ihm! Stärker als nötig, umfasste ich Gerards Arm, damit er mich ansah. „Im ernst! Wieso lässt du dich so behandeln Gerard? Bist du etwa in dieses Drecksschwein verliebt, oder so?“
In seinen Augen konnte ich deutlich sehen, wie unsinnig er diesen Gedanken fand und er schnaufte dazu. „Natürlich nicht.“ Mit einem Ruck entzog er mir seinen Arm wieder und ging weiter durch das Labyrinth, als befänden wir uns in einem botanischen Garten, im freien, nicht in einem Labyrinth, in einem Schloss, im obersten Stockwerk!
„Was ist es dann? Hat er etwas gegen dich in der Hand? Erpresst er dich, Gerard?“ Da Gerard gerade langsam genug ging, dass ich neben ihm her laufen musste, griff ich erneut nach seinen Arm, doch bloß, um an ihm dran bleiben zu können. Ich wusste, wie schnell sich dieser Mann bewegen konnte und mich damit locker hier im Irrgarten zurücklassen, wenn er es wollte. Ich fände hier bestimmt nicht mehr hinaus.
„Das braucht er nicht. Er ist mein König.“
„Ein Scheiß!“ Fauchte ich wütend. Wieso log er mich an? Wieso würde Gerard sonst das königliche Hündchen spielen? Oh, nein! Dieses Bild, das sich bildete! Ekelhaft! „Wieso bittest du niemande um Hilfe? Niemand wird sich so etwas von einem König gefallen lassen. Sie werden dir alle helfen. Bestimmt!“
Gerard lachte abweisend. „Als ob. Bevor du noch das Wort >Aufstand< fertig sprechen könntest, würde Michellé dich am Rückgrat in den Eingang hängen, als Abschreckung für alle anderen.“
„Und... und was ist mit dieser schlafenden Königin? Mutter... oder wie nennt ihr sie?“
Gerard blieb so abrupt stehen, dass ich ihm glatt in die Arme fiel. „Denk nicht einmal daran, Kücken! Sie hat den Werwolfkrieg selbst angeführt! Sie hat tausende Werwölfe abgeschlachtet, verarbeitet und ihren Monstern zum Fraß vorgeworfen. Es gibt bloß eines, das sie mehr hasst, als Werwölfe selbst und das sind Vampire, welche deren Blut trinken! Nach Michellé würde sie mit dir weitermachen. Mit mir. Danach mit Louis, Manon, allen Männern und Frauen hier im Clan, deren Lippen bloß einen einzigen Tropfen Werwolfblut berührt haben und danach in Frankreich aufräumen. Glaube mir, ich habe sie nicht persönlich erlebt, doch die Doc Zwillinge, haben mir alles über diese furchtbare Hexe erzählt. Sie hat die katholische Kirche zur Hexenverbrennung aufgehetzt. Kriege gestartet, einfach bloß aus Langeweile. Dörfer niedergebrannt, weil ein Werwolf seine Pfote hinein gesetzt hat. Diese Frau... ist der Teufel selbst!“
Gerards Gesicht war meinem beim Sprechen so nahegekommen, dass ich seinen heißen Atem ganz deutlich im Gesicht spürte und mein brennender Hals, machte diese Begegnung nicht gerade einfacher. „Dann könnten wir wohl Schwestern sein, denn ich werde nicht eher ruhen, bis ich dieses Schwein an seinen Eiern aufgehängt habe!“ Das war ein eiserner Schwur!
Sich einem Mann hinzugeben, ihm anzubieten verschiedene Dinge für ihn zu tun, oder sich von ihm geben zu lassen, war eine ganz andere Sache, als die, welche Michellé mit Gerard, oder mir abgezogen hatte. Plötzlich gefiel mir der Gedanke, jemandem die Haut abzuziehen ein ganzes Stück besser! Aber dabei würde ich es ganz bestimmt nicht belassen!
Überraschen, zauberte sich ein breites Lächeln auf Gerards Lippen und er legte seine Stirn an meine. „Kücken... kein Teufel der Welt, könnte es mit einer Furie aufnehmen. Nicht einmal, wenn er so alt ist, wie die Welt selbst.“ Eine einzelne Träne erschien in Gerards Augenwinkel und lief unbemerkt über seinen markanten Wangenknochen.
Seufzend, da mir nichts anderes, als Kapitulation übrig blieb, zumindest fürs Erste, legte ich meine Hand auf seine Wange und entfernte die blutige Träne.
„Das war so ziemlich, das schlechteste Kompliment, das ich jemals gehört habe.“
Für einen kurzen, fast schmerzhaften Moment, erwiderte Gerard noch meinen Blick, dann zog er sich, völlig gefasst, zurück. „Hinter der Biegung sind meine Gemächer. Ich zeige dir meinen Rückzugsort.“ Während Gerard sprach, ging er einfach weiter und ich eilte ihm hinterher. Im ernst... Was hatte Michellé bloß gegen Gerard in der Hand? Niemand halbwegs vernünftige Mensch, würde sich einem solchen König hingeben. Wenn Gerard nicht in den Tyrannen verliebt war, was ich ihm wirklich glaubte, dann musste es irgendetwas anderes, Schwerwiegenderes sein.

 

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„Es ist etwas staubig. Ich war... schon lange nicht hier.“ Gerard schaltete die Deckenbeleuchtung ein und verriegelte die dicke Türe hinter uns beiden. Der Raum, in dem ich mich jetzt befand, unterschied sich kaum zu dem, in welchem ich eben noch missbraucht worden war. Nun, ja. Bis auf die dicke Staubschicht, welche sich so gut wie... überall, befand.
Seufzend griff ich in ein Spinnennetz, welches ebenfalls bereits völlig verstaubt war und hielt es Gerard unter die Nase. „Wie lange ist >schon lange<?“
Mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht deuten konnte, nahm er mir die Weben ab und ließ sie einfach auf den Boden fallen. „Einige Jahrzehnte.“ Gab er zu und machte sich daran, saubere Flächen zu schaffen. Ich sah zwar nicht, wie er sich bewegte, doch staunte dafür umso mehr, als plötzlich Oberflächen von ihrem grauen Mantel befreit waren und Gerard einen Staubsauger anschleppte.
Irgendwie... gefiel... mir der Gedanke an einen putzenden Gerard. Besonders, da er ja generell unordentlich zu sein scheint. In seinem Zimmer hatte ich die wenigen geraden, unbenutzten Flächen, so wie Lampenschirme, oder Absätze nicht wirklich beachtet, doch konnte schwören, dass er diese genauso vernachlässigte, wie diesen Raum.
„Wieso grinst du? Ich dachte, du fühlst dich schlecht, bis wütend, oder willst jemanden an seinen Eiern aufhängen?“ Dank meines guten Gehörs, verstand ich Gerard über das Getöse seines uralten Staubsaugers hinweg. Der musste einige Jahre auf dem Buckel haben, er schien nicht einmal so etwas wie einen Beutel zu besitzen. Zumindest erkannte ich nicht wo.
„Ein putzender Gerard. Irgendwie witzig.“
Gerard hielt an und zog beide Augenbrauen hoch, bevor er einfach weiter putzte. Die Bank, welche zum Glück kein bisschen der glich, auf welcher ich eben noch gesessen hatte, saugte er zuerst ab, sodass ich mich setzen konnte. Natürlich war ich nicht müde, das konnte ich überhaupt nicht mehr sein, aber trotzdem fühlte ich mich erschöpft. Vor allem angewidert, doch auch erschöpft. Ich wollte unbedingt wissen, was mit Gerard los war. Nein, ich musste es wissen, denn es ließ mir einfach keine Ruhe. So gefasst und monoton, wie Gerard gewirkt hatte, während er an Michellé herum spielte, machte mich regelrecht wahnsinnig. Und dann dieser furchtbar penetrante Gedanke, dass ich nicht sehen wollte, wie Gerard eine andere Frau... oder wie in diesem Fall, einen anderen Mann anfasste, verwirrte mich bloß noch mehr. Ich hatte das wirklich nicht sehen wollen. Dieses... Bild! Der stolz, sture und scheinbar unnahbare Gerard, der mir so gut die kalte Schulter zeigen konnte, als wäre sie tatsächlich aus kaltem Stahl, oder so würzig, erfrischend schmeckte, wie nichts anderes auf der Welt... wie er da kniete... vor dem König und... sich so herabließ!
Ich sah die erste Träne, als sie auf meine nackten Schenkel fiel, noch bevor ich überhaupt bemerkte, dass ich weinte, und zog frustriert auf. Wieso weinte ich denn jetzt? Wieso fühlte ich mich so hintergangen, verraten und... vor allem einsam?
Augenblicklich wurde meine Einsamkeit fortgewischt, als Gerard leise neben mich sank und meinen Kopf an seinen Brustkorb zog. „Es ist vorbei, poussin.“ Flüsterte er leise an meiner Schläfe, auf Isländisch. Ich musste zugeben, dass ich mich in dieser Sprache viel wohler fühlte, als mit französisch. Vermutlich, da ich mit ihr aufgewachsen bin, sie als einen Teil von mir empfand.
„Nenn mich nicht Kücken.“ Schimpfte ich, boxte ihm sanft in den Bauch, doch ließ meine Hand auf diesem dann liegen.
„Mon chaton?“ Fragte er leise und zog mich näher an sich, was ich bloß begrüßte. Sein Geruch blendete den unerwünschten Geruch, von König Michellé gekonnt aus.
„Auch nicht >mein Kätzchen<. Das macht es nicht wirklich besser!“ Ehrlich gesagt, fühlte ich mich verlegen dadurch. Wenn er mich Kücken nannte, dann war das verletzten, oder herabwertend. Aber Kätzchen...
„Doch, mir gefällt Kätzchen. Vielleicht darf ich ja, irgendwann einmal, mit ansehen, wie das kleine Kätzchen den großen Gockel rupft?“
Ja, der Gedanke gefiel mir tatsächlich. Eigentlich würde ich nichts lieber tun, als diesen aufgeplusterten Gockel den Hals abzuschlagen und seine Innereien an die Wölfe zu verfüttern.
„Ich dachte, die Markierung bedeutet nichts?“ Fragte ich aus einer Laune heraus. Immerhin bin ich nicht seine Freundin, also benötigte ich auch keinen Kosenamen. Wir waren nicht einmal ansatzweise so etwas wie >Freunde<. Trotzdem fühlte sich seine Umarmung gut an, fast schon vertraut.
Wie lange kannte ich diesen Vampir nun schon? Vier Tage? In diesem Moment, in diesem Raum, fühlte es sich so an, als spiele dies überhaupt keine Rolle mehr. Weder Zeiten, noch weniger Personen.
„Wer ist es, mit dem er dich erpresst?“
„Es gibt nichts, mit dem ich erpresst werde, chaton.“ Wiederholte Gerard, doch ich wollte es ihm nicht glauben. „Er hat mich erschaffen, mir über die erste Zeit hinweg geholfen und er ist mein König. Ich bin ihm zum Dienst verpflichtet. Egal, was er von mir verlangt.“
Grummelnd blickte ich zu Gerard auf. „Aber du kannst ihn nicht einmal leiden!“
„Besitz, muss seinen Besitzer nicht lieben, um ihm zu gehören.“ Belehrte er mich, doch ich verstand es nicht.
„Du bist kein >Besitz<. Du bist ein Mensch... oder warst es zumindest einmal. Mit einer Familie, Freunden, einer Freundin, oder Frau, vermutlich. Aber dann hat er dich zum Vampir gemacht...“
„Spinn dir nichts zusammen. Du hast keine Ahnung von meiner Vergangenheit, auch nicht darüber, was ich bereits für meinen König, oder ohne seines Wissens getan habe.“
Da hatte er recht. „Ich weiß, aber...“
Schon wieder unterbrach er mich. „Trink jetzt lieber und lass uns nicht weiter über politischen Unsinn sprechen. Dafür interessiere ich mich nicht.“
Seufzend gab ich auf. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! So etwas Störrisches! Wollte er die Wahrheit nicht sehen, oder war er von seiner Vergangenheit und den Lügen schon so sehr vernebelt, dass er es einfach nicht mehr sehen konnte?
Gerard hielt mir sein Handgelenk unter den Mund, doch ich wollte noch nicht trinken. Nicht so... nicht wenn ich so wütend auf ihn war! „Was denn noch?“ Fragte er fauchend.
„Sind wir beide die einzigen beiden, die Michellé verwandelt hat?“
„Die einzigen beiden, die derzeit leben, wieso?“ Das >wieso< klang beinahe vorwurfsvoll. Dabei heckte ich nicht einmal etwas aus. Ehrlich nicht!
„Wieso sind die anderen gestorben?“
„Es gab viele, die neben Michellé gedient haben. Ich weiß nicht viel von ihnen, aber ich denke, dass er sie getötet hat, um die Macht über deren Kinder zu bekommen. Stirbt ein Erschaffer, wechselt die Macht auf denjenigen, der ihn selbst erschaffen hat.“
„Also hätte ich jemanden erschaffen, müsste mich Michellé erst töten, bevor er diese Person kontrollieren kann?“ Fragte ich interessiert nach. Gerard nickte bestätigend. Klingt einleuchtend, wenn er der König bleiben möchte. „Aber er hat es immer dezent gestaltet. So, als wäre es ein Unfall gewesen, Hochverrat, oder irgendetwas anderes.“
Klingt nach dem Michellé, den ich eben erlebt hatte. Wah! Dieses Bild. Frustriert nahm ich Gerards Handgelenk und biss vorsichtig hinein. Meine Fangzähne bohrten sich sofort durch die weiche Haut und ritzten, gekonnt dank meiner Ausbildung, die Vene ein, aus welcher ich erneut trank. Seufzend genoss ich den Geschmack, seines warmen, würzigen Blutes, wie es über meine Kehle, hinab lief und mir neue Energie schenkte. Das war es, was ich eben gebraucht hatte. Das ist es, nach was ich mich sehnte, seit ich es das erste Mal gekostet hatte.
Dieses Blut würde mich sogar in meine Träume verfolgen, wenn ich überhaupt noch welche hätte. Seufzend biss ich etwas Fester zu, damit das Blut etwas schneller floss. Jedoch nicht lange. „Nicht schon wieder!“ Fluchte Gerard und entfernte sehr grob meine Fänge aus seinem Unterarm.
Ich wollte mehr. Viel mehr! Aber ich wusste, ich durfte ihm nicht zu viel nehmen, da es ihn wahnsinnig machen würde. Und schlussendlich hätten wir einen tollwütigen Gerard, welcher durch die Gänge lief und unschuldige Blutspender über den Haufen lief... im besten Fall.
„Entschuldige. Aber ich glaube, es gibt nichts auf der Welt, das annähernd besser schmeckt als...“ du. Oh verdammt, was sagte ich denn da? Oder eher, wollte ich sagen?
„Unsinn, Vampirblut schmeckt so fade, wie menschliche Nahrungsmittel.“
Entsetzt blickte ich zu Gerard auf. „Dein ernst? Weißt du eigentlich wie gut d-dein Blut schmeckt?“ Böser Wortschatz! Ich würde >du< sofort daraus löschen müssen, bevor es noch peinlich für mich wurde. Obwohl, jemandem zu sagen, dass sein Blut unglaublich gut schmeckt, machte es auch nicht unbedingt besser.
„Es schmeckt fade.“ Meinte er schlicht, immerhin musste er es ja wissen. Aber konnte es wirklich sein, dass das eigene Blut für einen langweilig schmeckt?
Als Selbsttest biss ich mir in den Finger und leckte einen einzelnen Tropfen ab. Vermutlich hätte ich genauso gut Zitronensaft trinken, oder Kaugummi essen können. Es schmeckte schlicht und einfach nach überhaupt nichts. „Du hast recht.“ Stimmte ich, überrascht, zu.
Kopfschüttelnd zog Gerard meine Hand, in dessen Fingerspitze ich eben noch gebissen hatte, zu sich. „Darf ich?“ Fragte er höflich, im Gegensatz zu mir, die immer zubiss, bevor sie etwas sagte. „Äh...“ Begann ich und wollte bejahen, doch Gerards Handy läutete. Er ließ meinen Arm los und zog das Handy aus seiner Hosentasche. Da ich immer noch an seinem Brustkorb lehnte, konnte ich mitlesen, was ihn offenbar überhaupt nicht zu stören schien. Nach einem Moment wusste ich auch weshalb, ich konnte die Sprache darauf nicht einmal einschätzen. Es musste etwas zwischen Hieroglyphen und unaussprechlich sein. Ich konnte nicht einmal das erste Wort aussprechen. „Hrzä? Herse? Hirse?“ Fragte ich, in der Hoffnung Gerard wieder zum Lachen zu bringen, doch als ich zu ihm aufsah, konnte ich nicht mehr, als einen entsetzen Blick erkennen.
„Verdammte Scheiße, trifft es eher.“ Murmelte, der so unerschütterliche, dreihundert Jahre alte, Vampir.

XVIII. Gerard Tobonneau, filterlos

Die Nachricht, in Altgriechisch, schockierte mich mehr, als alles andere auf der Welt. Es war bloß ein einziges, ziemlich langes Wort und es bedeutete so viel, wie >erzwungener Schlaf<. Nichts, das man sich wünschte. Gerade nicht als Vampir!
Lautlos glitt ich durch das große Zimmer, von einer Ecke in die andere, und überlege fieberhaft, was ich bloß tun konnte. Ich wollte Isles keinen erzwungenen Schlaf antun. Nicht nachdem sie gerade erst das wahre Gesicht meines Königs gesehen hatte.
Wieso musste er so grausam zu ihr sein? Natürlich war mir klar, dass Isles erst zwei Jahre alt ist. Das ist nichts im Vergleich zu meinem alter, oder gar dem des Königs. Jetzt wollte er sie auch noch in einen zweijährigen, erzwungenen Schlaf schicken? Zwei Jahre! Was das alles mit einem Vampirkörper anstellte... einfach schrecklich!
Zwei Jahre nichts trinken zu können, trieb einem sämtliches Blut aus, man mumifizierte in seinem eigenen Körper, halb bei Bewusstsein, halb in einer Art Dämmerschlaf, welche der eigene Geist herbeiführte, um nicht verrückt zu werden. Die Venen verengen sich, da kein Blut mehr durch sie fließt, das Gehirn vertrocknet, das Herz verkrampft sich, bis es stillsteht und man verliert auch noch das restliche Körperfett, welches man noch aus seinem menschlichen Leben mit sich herumschleppte.
Man könnte es auch den Magerwahn eines verzweifelten Vampirs nennen, wenn es nicht so eine grausame, schmerzhafte Angelegenheit wäre. Aber Isles?
Mein Blick wanderte zu ihr, der blonden Furie, welche sich von dem Sofa erhob und langsam, mit ihren langen Beinen auf mich zukam. Wieso mussten die Frauen ihr auch unbedingt so ein kurzes Kleid anziehen? „Gerard?“
In meinem bisherigen Leben hatte ich mich weder für Mann, noch für Frau interessiert. Natürlich hatte ich Sex gehabt, mich ausprobiert und das ewige Leben auf die eine und andere Weise ausgekostet. Ich war mit meinem König häufig im Bett, habe Blutspender ausgenutzt, viele nach dem Liebesspiel getötet, da ich sie einfach nicht mehr sehen wollte, oder viel eher den Beweis meiner Schande auslöschen. Aber das, was ich jetzt empfand, war vollkommen neu.
Sorge um eine einzelne Person, ein erdrückender Beschützerinstinkt und ein Gefühl in meinem Brustkorb, das ich so niemals empfunden hatte. Nicht einmal wenn ich weitere dreihundert Jahre darüber nachdachte, könnte ich erraten, was genau es bedeuten solle.
„Wir müssen hinunter, in den Keller.“ Ich ging an Isles vorbei, welche mir verwirrt hinterher sah und griff nach meiner Jacke, welche ich dort hingelegt hatte. Als ich sie über streifte, fühlte ich etwas Schweres, gegen meinen Brustkorb schlagen. „Oh, ja. Das ist für dich.“
Ich warf über meine Schulter das Fläschchen, direkt auf Isles zu, welche es geschickt fing. „Wenn man einer Frau etwas schenkt, dann sollten es zumindest Blumen sein, oder Schokolade.“ Belehrte sie mich fauchend.
Ich wandte mich um. Wie kam sie denn auf diesen Gedanken? Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete sie die etwas zähflüssige rote Soße darin. „Igitt!“ Bemerkte sie und entlockte mir ein belustigtes Schnauben.
„Du sollst es nicht ansehen, sondern trinken.“ Murrte ich belustigt.
„Das trinke ich sicher nicht. Was ist das überhaupt?“
„Etwas wodurch dein Magen bestimmtes Blut besser verträgt.“ Zumindest in Zukunft, wenn sie wieder erwacht. „Deines vertrage ich doch. Das reicht.“ Wieder bekam ich dieses seltsame Gefühl in meinem Brustkorb und wünschte mich in einen anderen Körper.
„Nein tut es nicht. Ich kann nicht so viel Werwolfblut trinken, wie du solltest.“
Isles reichte mir das kleine Fläschchen zurück. „Dann hier bitte. Wenn es helfen sollte Werwolfblut zu vertragen, dann nimm es selbst.“
Seufzend nahm ich es entgegen und schraubte den Deckel auf. Zu meiner Überraschung kam eine kleine rote Wolke heraus. Jetzt verzog auch ich angeekelt das Gesicht. „Diese beiden...“ Fluchte ich. Sie wollten es mir wirklich nicht einfach machen!
„Na komm, Gerard. Es ist ja >sooo< lecker!“ Säuselte Isles, offensichtlich vergnügt über meinen Ekel. Na gut... wenn es nicht anders ging. Ich setzte die seltsam warme Flüssigkeit an und nahm einen kleinen Schluck, sodass das Fläschchen bloß noch halbvoll war. Zum Glück schmeckte es fade. Was hatte ich auch anderes erwartet? Alles bis auf Blut konnte unfassbar sauer, bitter, oder zuckersüß sein. Wir würden es nicht schmecken.
„Hier, du bist dran.“ Auffordernd hielt ich Isles die dunkle Flüssigkeit hin.
„Nein danke.“ Sie verschränkte ihre Arme vor dem Oberkörper und wandte sich sogar von mir ab. Dieses störrische Weib!
Murrend stürzte ich den Rest der Flüssigkeit in meinen Mund und warf das leere Fläschchen unbeachtet auf den Boden. Verwirrt blickte sie dem Fläschchen hinterher. Ich nutzte diese eine Sekunde der Verwirrung und schlang einen Arm um sie, sodass sie nicht wegkonnte.
„Oh nein! Für heute hatte ich wirklich genug suspekte Flüssigkeiten in meinem Mund!“ Fauchte sie mich an und stemmte sich gegen meinen Brustkorb, doch ich gab nicht nach. Ich hatte immerhin nicht vor, den Rest meines Lebens mit dieser Furie zu streiten.
Mit der zweiten Hand fasste ich in ihren Nacken und beobachtete, wie sie sich versteifte. Okay, vielleicht war es auch bloß ein eigennütziger Vorwand, um die Situation auszunutzen? Aber das würde ich niemals vor ihr zugeben. Grob presste ich meine Lippen auf ihre woraufhin Isles ihre Lippen, ohne zu zögern, für mich öffnete. Zufrieden fand meine Zunge ihre, welche mich sofort zu einem Spiel herausforderte, während sie nicht einmal die dunkle Flüssigkeit bemerkte, die ich ihr einflößte. Ich selbst bemerkte es nicht einmal mehr, denn das Gefühl war einfach zu köstlich. Diese gleichzeitige Süße und Würze machte mich regelrecht süchtig, als ich ihren Körper enger an meinen zog und die kleine Furie sich kein bisschen beschwerte.
So sollte es auch sein, meiner Meinung nach. Sie sollte kein einziges Stück von einem anderen Mann, in ihrem Mund, oder an gar anderen Stellen haben. Das würde ich niemals wieder zulassen! Vorher würde ich jeden Einzelnen aufhängen, oder Schlimmeres.
Erneut fühlte ich ihre Finger an meinem Rücken, wie sie sich an mich klammerte und hochzog, sodass sie besser an meine Lippen heran kam. Seufzend zog ich einen Kuss extra in die Länge und erlaubte es mir, zu genießen, wie sie sich diesem hinterher reckte.
Plötzlich brach der Kuss ab und Isles stand einen großen Schritt von mir entfernt. Fluchend hielt sie ihre Hand vor die Lippen. „Du hast mich ausgetrickst!“
Ja das hatte ich. Und ich bereute es kein Stück. Süffisant grinste ich ihr hinterher, als sie stampfend zur Türe ging. Mein Herz fühlte sich an, als wolle es aus meiner Brust ausbrechen und mein Blick glitt sehnsüchtig über den Körper hinab, welcher eben noch an meinem gehangen hatte. Nein, ich bereute es wirklich keine einzige Sekunde.
„Wo willst du hin?“
„Weg von dir, bevor du mir Gott weiß, was andrehst!“ Fauchte Isles und stürmte blindlings in das Labyrinth.
„Das habe ich doch gerade eben, oder?“ Ich konnte mein zufriedenes Lächeln immer noch nicht kontrollieren, doch achtete darauf, dass Isles nicht den falschen Weg wählte und sich heillos verlief.
„Sprich mich nicht an!“ Fauchte sie so laut, dass ich zu gerne geglaubt hätte, dass es ihr nicht gefallen hatte.
Seufzend hielt ich den Mund, bis wir aus dem Labyrinth draußen war, dann musste ich Isles wieder am Arm packen. „Was tust du? Ich sagte doch, du sollst mich in Ruhe lassen, oder?“
Einige Blicke von passierenden Vampiren, fixierten Isles mit einem durchdringenden Blick. Bestimmt hatten sie alle, die Nachricht längst erhalten. „Es ist aber besser, wenn du bei mir bleibst, oder willst du bewusstlos geschlagen werden?“
Fragend blieb sie stehen. „Was soll das denn schon wieder bedeuten?“
„Das eine Amtsrichtung gegen dich erhoben wurde.“ Der verständnislose Blick, sagte mir alles, was ich wissen musste. „Du hast dich gegen den König aufgelehnt, ihn zurückgewiesen und ihn bedroht. Natürlich zieht das, Konsequenzen nach sich.“
Entsetzen, Unglaube, Fassungslosigkeit, Angst. Das Schlimmste daran war jedoch, dass ich ihr nicht helfen konnte, es nicht durfte. Mich würde der König, ohne zu zögern, einfach hinrichten.
„W-was bedeutet das... für mich?“
„Die Nachricht, welche ich vorhin bekommen habe. Ich muss dich leider in den Keller sperren, Isles.“
Sofort wehrte sie sich, völlig erfolglos, gegen mich. „Oh nein! Das wagst du nicht! Ich werde mich nicht von einem Arschloch...“ Genervt hielt ich ihren Mund zu und zog sie mit mir, hinab in das Erdgeschoss.
Viele nickten mir anerkennend zu. Immerhin hatten die wenigsten Lust darauf, jemanden im Keller festzubinden und austrocknen zu lassen. Ich ebenfalls nicht, doch es musste geschehen.
„Gerard!“
Widerwillig hielt ich an. Louis eilte auf uns zu, doch wandte sich direkt an Isles. „Was ist denn passiert, Schätzchen?“ Fragte er besorgt. Bevor die Furie auf die Idee kam, alles heraus zu posaunen, hielt ich ihren Mund weiterhin zu und sprach statt ihrer. „Sie war vorlaut, hat den König bedroht und ihre Treue verweigert. Jetzt hat er beauftragt sie zu bestrafen, bevor sie noch auf dümmere Gedanken kommt.“ Erzählte ich kurz und vollkommen ernst. Dafür trat sie mir zwar fest auf die Füße, auch noch mit ihren verdammten Stöckel, doch ich biss die Zähne zusammen. Dummes Weibsstück!
„Bestimmt können wir das irgendwie klären. Kannst du nicht für sie bürgen?“ Hoffnungsvoll blickte er mich an, doch ich erwiderte seinen Blick kalt.
„Nein, natürlich nicht. Ich war dabei und habe alles genau gesehen. Ihr habt sie nicht in den Griff bekommen, jetzt erhält sie ihre rechtmäßige Strafe.“
„Gerard...“
„Louis, lass gut sein.“ Manon erschien hinter ihrem Mann und küsste ihn flüchtig auf die Wange. „Mädchen, was machst du denn für Sach... Gerard, lass sie doch sprechen.“
Mit einem leisen Knurren zog ich die blonde Furie enger an mich. „Damit sie noch mehr ärger bekommt? Besser ich nähe ihren Mund endgültig zu.“ Wenn die zweijährige Folter nicht reichen sollte, würde er sie entsorgen. So wie alle anderen, vor ihr, auch.
„Du bist viel zu streng.“ Mahnte Manon, aber es war mir egal.
„Wir müssen hinunter.“ Gab ich lediglich zurück, zog Isles neben mich her, welche sich immer stärker zu wehren versuchte. Als ich vor der stählernen Türe zum Keller hin, ankam, erkannte ich ein kleines Problem. Ich hatte keine Hand frei. „Louis...“
„Vergiss es. Dringender Termin und so.“ Damit wandte er sich ab und lief in Höchstgeschwindigkeit die Treppen hoch. Mein Blick glitt zu Manon, welche sich außerhalb meiner Reichweite hinstellte und wartete. Abwartend grinste sie mich an.
„Dafür werde ich euch beide, später, bestrafen.“ Fauchte ich, zog Isles vor mich, sodass ich ihren Mund zuhalten konnte und sie gleichzeitig gegen die Wand drängte. Jetzt konnte sie, hoffentlich, überhaupt nicht mehr aushecken.
„Du könntest es dir auch einfacher machen.“ Meinte Manon spöttisch. Sie meinte eher schwieriger. Wenn Isles das öffentlich wiedergab, was sie dem König an den Kopf geworfen hatte, an originellen Beschimpfungen, bevor ich sie aus dem Zimmer bekommen hatte, würde man ihr auch noch andere Sachen, viel schlimmere hinterher sagen können.
Eilig tippte ich den Code ein, ließ meine Hand scannen und flog regelrecht mit ihr in den Zugang, zum ersten Untergeschoss. „Wieso hast du so gelogen?“ Fauchte Isles mich an, sobald sich die Türe hinter uns geschlossen hatte und ich sie losließ.
„Du hast den König beschimpft, bedroht und ihm nicht deine Treue geschworen. Ich habe also nicht gelogen.“
Sie ließ sich jedoch nicht beirren. „Du weißt, wovon ich rede. Er hat mich missbraucht! Dieses Schwein sollte mehr, als bloß leiden!“
Die Augen verdrehend, zog ich sie den Flur hinein, weg von den Trainingsräumen und vorbei an der altmodischen Schatzkammer, in welche sich unsere Waffen befanden. „Dieses Schwein, ist dein König und dein Erschaffer. Du wirst tun müssen, was er befielt und lernen wo ab nun dein Platz ist.“ Frustriert, was ich bloß nachempfinden konnte, schlug sie auf meinen Arm ein, mit dem ich sie mühelos hielt.
„Mein Platz ist, wo ich es wähle! Stell dir vor, es gibt Gesetze die das...“
„Nein!“ Schrie ich wütend auf. Wollte sie es denn nicht verstehen? Grob schubste ich Isles in einen schalldichten Raum hinein, welcher vollkommen abgeschirmt war. „Es gibt keine Gesetze, die dich beschützen, verdammt. Du bist kein Mensch mehr Isles!“ Es tat so gut endlich meine Stimme, freien Lauf zu lassen. Immer dieses verbissene Schweigen... die Lügen... ich hasste es! „Du bist ein Vampir, wie ich, wie Manon und hunderttausend andere! Jetzt sind die einzigen Gesetze, die für dich gelten die des Königs. Sein Wort ist dein Wille! Sein Wunsch, dein Befehl! Will er, dass du dein Höschen für ihn verbrennst und deine Beine spreizt, dann wirst du genau das tun! Will er, dass du für ihn vom neunzigtausendsten Stockwerk springst, dann fragst du höchstens >wie oft<! Oder will er, dass du deine Familie für ihn abschlachtest, dann tust du das mit einem Lächeln im Gesicht!“ Dicke rote Tränen liefen ihre Wangen hinab, aber ich endete nicht. Ich konnte jetzt nicht aufhören, nicht bevor sie endlich die Wahrheit einsah. „Du kannst entweder, als seine persönliche Hure, mit dem Titel eines Lakaien, oder Prinzessin am Leben bleiben und halbwegs human deine Freizeit gestalten, oder dein Protest wird noch in derselben Sekunde, ohne Gnade im nächsten Erdloch begraben. Du hast ja keine Ahnung, wie viele Seelen hier schon begraben liegen.“ Ich deutete auf die dicken Wände. „Wie viele Schreie, oder Bitten diese Wände bereits gehört haben, doch ignoriert wurden. Stemmst du die Steine heraus, ist das gesamte Erdreich blutrot, Isles!“
Sie war bereits so weit zurückgewichen, dass sie in diesem kleinen Raum, gegen die einzige Liegefläche stieß, die es hier gab. Verziert mit dicken Stahlketten, welche sie unmöglich sprengen konnte. „Willkommen in der Hölle, Kätzchen!“ Fauchte ich und stützte mich neben ihrem Körper, auf der kalten Steinoberfläche ab. „Von hier gibt es kein Entkommen, hier wirst du deine Seele verlieren, alle Werte, alles was dich ausmacht. Er wird dich brechen, wie ein Stück Holz, dich fallen lassen und extra noch auf dich spucken. Mehr bist du ihm nicht Wert, Isles. Du bist nicht mehr, als ein hübsches, zartes Kätzchen...“ Ich wickelte eine Strähne um meinen Finger und zog sie näher an mich, um meine Worte deutlicher zu gestalten. „...das genauso, wie alle anderen Hennen in diesem Nest, seinen Platz Wort- und Ranglos finden muss, oder einfach aussortiert wird.“
Die Angst war deutlich in ihr Gesicht geschrieben und ich erkannte, dass ich sie endlich erreicht hatte. Aber wie würde sie darauf reagieren?

XIX. Isles Skylander, weggesperrt

„D-Du...“ Begann ich stotternd und zitterte sogar leicht am gesamten Körper. Gerards Körper war fest an meinen gepresst und sein Gesicht bloß, bedrohliche, wenige Zentimeter von meinem eigenen entfernt, während er gefährlich, fauchend, vor sich hinstarrte. Leider direkt mich an!
Er hatte recht. Ich bin kein Mensch mehr, wie so viele vor mir, hatte ich überhaupt keine Wahl gehabt, doch das sollte nicht heißen, dass ich mich meinem Schicksal ergeben musste. Ich konnte kämpfen, mich abwenden, oder im besten Fall, versuchen den König umzubringen, auch wenn mich mein eigenes Blut daran hinderte. Für Gerard benötigte Michellé jedoch nicht einmal diese Fesseln. Gerard fiel auf die Knie, sprang, wenn sein König es ihm befahl, oder machte Männchen, bloß für ein kleines bisschen Aufmerksamkeit.
„Du hast dich vielleicht mit deinem Schicksal abgefunden, Gerard. Aber ich werde das bestimmt nicht! Niemals!“ Wie konnte er das bloß zulassen? Bloß weil er nun beinahe unsterblich ist, heißt das doch noch lange nicht, dass er seine Menschlichkeit dafür aufgeben muss.
„Man kann seinem Schicksal nicht entkommen, egal was man versucht.“ Wie aufs Stichwort kribbelte mein hauchfeiner Schnitt, an meiner Lippe und mein Blick zuckte zu seiner, noch immer nicht, verheilten Schnittwunde an der Wange.
„Also hat diese Markierung doch eine Bedeutung.“ Stellte ich kalt fest. Egal was er sagte, aus irgendeinem unergründlichen Sinn, hatten wir uns aneinandergebunden. Das Schicksal hatte schon schräge Witze auf Lager. Noch bevor ich seinen Namen wusste, hatte ich unterbewusst entschieden, dass Gerard mir gehört. Und jetzt, wo ich es kein Stück akzeptieren wollte, konnte ich nicht anders, als weiche Füße zu bekommen, wenn ich daran dachte, wie leidenschaftlich Gerard mich geküsst hatte. Mehrfach!
„Ein kleiner Rat für die Zukunft. Wenn das Schicksal dir etwas aufbürdet, dann achte auf die Betonung.“ Fragend zog ich eine Augenbraue hoch. Wie bitte? „Die Betonung, macht die Fesseln aus, verstanden?“ Ich nickte, doch musste zugeben, dass ich es nicht tat. Welche Betonung? Was?
Zufrieden ging Gerard bis zum Eingang zurück und nahm ein Seidentuch, das etwas mehr als zwei Meter messen musste und schüttelte es auf. In diesem Raum befand sich nicht mehr, als ein kleiner flacher Tisch, welcher mir gerade einmal bis zur Kniekehle reichte, auf dem ich nun saß und ein Tisch, auf welchem sich ein grauer, flacher Polster und das lange Seidentuch befanden. „Zieh dich aus, wenn du nicht unnötige Schmerzen haben möchtest.“
„Wovon?“ Von einem Polster und einem Seidentuch?
„Die Austrocknung wird alles andere, als einfach für dich werden, Isles.“ Ermahnte Gerard mich streng.
„Oh, du meinst die Strafe? Ich soll doch nicht etwa hier unten bleiben?“ Fragte ich schockiert, als mir dämmerte, dass ich hier in diesem vier mal vier Meter großen Raum bleiben musste. „Doch, du wirst zu einem Schlaf gezwungen.“ Gerard legte den flachen Polster zum einen Ende des Tisches und das weißrosa Seidentuch daneben hin. „Du bist noch zu jung, um freiwillig einen Schlaf anzutreten, daher ist es die perfekte Bestrafung. Deine Muskulatur wird in den nächsten Monaten austrocknen, dein Gehirn sich selbst zerfressen, die Adern vertrocknen, dein Herz sich verkrampfen, bis es dich endlich erlöst und stillsteht. Jede einzelne Sekunde, wird sich anfühlen, nachdem dein erster Bluthunger verschwunden ist, als würden Glassplitter unter deiner Haut laufen, jede Berührung wird zu heiß, oder kalt sein und dein Wille bricht nach und nach, bis dein Selbstschutz endlich zulässt, dass du in Träume fliehen darfst. Es kann Wochen, oder auch Monate dauern. Da du erst getrunken hast, vermutlich Monate.“
Das klang unfassbar schrecklich! „Aber ich dachte, er hätte mich vorhin bereits bestraft?“ Gegen seinen eigenen Willen benutzt zu werden, war nicht gerade etwas, das man sich als >schön< vorstellen konnte.
„Er ist ein, kein zu unterschätzender, Tyrann, kein billiger Richter.“ Gerard griff nach meiner Jacke und streifte sie über meine Schultern ab. Ich ließ ihn machen.
„Aber... ich kann doch nicht einfach hier unten bleiben und warten....“
Zum Fußende legte er meine Jacke und strich mein Haar nach vorne, um den Zipp hinten zu erreichen. „Ich werde dich unterstützen, keine Sorge.“ Seine Stimme war bloß ein Flüstern, an meinem Ohr, doch beruhigte es mich ungemein. Ich würde wenigstens nicht alleine bleiben. „Wie willst du das machen? Mich heimlich mit Blut versorgen?“ Daran glaubte ich nicht. Dafür war Gerard zu sehr, ein treuer Lakai.
„Das Leben steckt selbst nach tausend Jahren noch voller Überraschungen, Isles.“ Er öffnete den kleinen Hacken in meinem Nacken und zog den Zipp, bis zur Mitte meines Rückens hinab. „Manchmal ist es besser, heimliche Verbündete zu haben, die man hasst, als dem Sohn des Teufels alleine ausgeliefert zu sein.“
Langsam zog er mir das Kleid von den Schultern, wobei ich seine Finger deutlich über meine Arme streifen, spürte. Von mir aus könnte er das den ganzen Tag machen! „Ich hasse dich doch nicht, Gerard. Ich verstehe bloß nicht, wie du dich so versklaven lassen konntest, dass du sogar denkst, dass der König gerechtfertigt urteilt.“ Ich sprang auf, damit Gerard mir das Kleid über den Hintern ziehen konnte und zitterte dabei. Es war wirklich kalt hier drinnen.
„Denkst du wirklich, dass du meine Gedanken lesen kannst, Isles?“ Er sprach mich auf Bauchhöhe an, was das Zittern meines Körpers nicht gerade besser machte. Jedoch war mir schlagartig nicht mehr kalt, sondern ich fühlte mich sogar etwas wohl dabei, so schutzlos, vor ihm zu stehen. Ich brauchte Gerard nicht zu fürchten. Zumindest klammerte ich mich an diesen Funken Hoffnung.
Mit den Händen versuchte ich das zu bedecken, was ging. Recht erfolglos. „Du wirkst zumindest kalt und gelassen, auf alles, was Michellé befielt.“ Und er tat es, ohne zu zögern. Schon wieder hatte ich dieses Bild vor Augen! Als er einfach auf die Knie für den König ging und noch nicht einmal selbst etwas als Belohnung erhielt. Am liebsten würde ich diese Erinnerung auslöschen, doch wusste, sie würde niemals vergehen.
„Das ist Jahrhunderte lange Übung. Ich bin gebrochen, da waren noch nicht einmal deine Urgroßeltern auf der Welt.“ Gerard hatte mein Kleid und mein Höschen zusammen gelegt und bettete es nun am anderen Ende des Tisches. Oder eher, meines Bettes.
„Du bist viel zu selbstgefällig, um gebrochen zu sein.“ Fauchte ich wütend über seine dumme Lüge. Als würde ich ihm so etwas noch abkaufen.
Erneut legte Gerard seine Arme um mich, dieses Mal, um den Verschluss meines BHs zu öffnen, und ich kuschelte mich bereitwillig, an seine warme Brust. Zum Teufel mit meinem verräterischen Körper! Sanft drückte er mich an sich, was mir ein zufriedenes Seufzen entlockte, bevor seine Hände höher wanderten und meine Träger langsam abstreiften. Ich nahm für einen Moment Abstand, damit auch dieser zu Boden fallen konnte, dann drückte ich mich wieder an Gerard. Er sagte nichts darüber, sondern legte einfach seine Arme um mich. Mein Kopf ruhte seiner Schulter und meine Nase stieß, gleichauf, an sein Kinn. Um so bloß einige Stunden länger zu bleiben, hätte ich wohl so gut wie alles getan. Obwohl sollte das hier nicht eine Strafe werden?
„Du solltest dich endlich hinlegen. Dann kann ich die Heizung anschalten.“ Bloß widerwillig ließ ich ihn los, wobei sich Gerard geradezu freudig von mir abwandte und zur Wand lief. Hinter einem Stein lag ein Schalter, welchen er betätigte und das Licht ging aus. Es gab bloß noch eines, an der Unterseite des Bettes, welches nur noch einen dünnen Schleier warf und etwas in den Wänden, erwachte surrend zum Leben. Ich hoffte auf die Heizung.
Während er sich abwandte, wickelte ich das Seidentuch, so gut es ging, um meinen Oberkörper. „Wird es... sehr schlimm?“ Ich kannte ja die Antwort, aber ich wollte noch ein kleines Bisschen mehr Hoffnung.
„Ich zeige dir eine Atemübung. Sie wird vielleicht nichts nützen, aber... wenigstens ist es irgendetwas.“
Gerard kam zurück und schüttelte den Kopf, über meinen kläglichen Versuch, mich zu verdecken. „Es gibt nichts, dass du verstecken müsstest, Isles. Jetzt leg dich endlich hin.“
Beleidigt ließ ich mir das Tuch abnehmen, da er es extra so hielt, dass er nichts, außer meinen Kopf sehen konnte. Der Tisch war bereits überraschend warm und ich legte mich beinahe bereitwillig darauf. Gerard breitete das Seidentuch großzügig über mir aus, wodurch es auf allen drei Seiten den Boden berührte, trotzdem weniger verdeckte, als gewünscht. Es passte sich perfekt meinem Körper an, zeichnete jede Rundung und jede Beuge wieder, was mir alles andere als behagte. Da könnte ich doch gleich nackt hier liegen, was nützte dieses Tuch überhaupt?
„Hast du keine andere Decke?“ Fragte ich bettelnd. Mit einem Schmunzeln ließ er den Blick über meinen Körper gleiten und stellte sich direkt hinter meinen Kopf. „Alles andere würde dir bloß unnötige Schmerzen verursachen.“
Grummelnd versuchte ich, das Tuch in mehr Falten zu strampeln, immerhin hatte ich keine Lust so die nächsten zwei Jahre zu verbringen, doch Gerard legte seine Hände auf meine Schultern, was sich ungewohnt angenehm anfühlte. Fast schon so, wie in seinen Armen zu liegen. Das hatte sich auch herrlich angefühlt.
„Lass das jetzt!“ Schimpfte er und strich nebenbei meine Haare glatt zur Seite. „Jede Falte und jedes Haar auf deiner Haut, wird dir fürchterlich weh tun.“ Mahnte er. „Deine Haut wird überreizt sein und du wirst selbst wegen dem kleinsten Windhauch zum Schrein anfangen, also vermeide es zu Atmen. Riechen musst du hier unten ohnehin nichts.“
„Wirst du mich denn besuchen?“ Fragte ich hoffnungsvoll.
„Nein, ich darf nicht. Niemand darf hinein kommen, bevor nicht deine Frist abgelaufen ist.“
Enttäuscht stieß ich die Luft aus und schauderte, als Gerards Hand, meine hinab glitt. „Was machst du?“
„Dich festketten.“ Tatsächlich fühlte ich neben meinen Armen, kalte Ketten, welche er streng um meine Handgelenke band. Jetzt konnte sich auch diese kaum noch bewegen. „Sehr romantisch.“ Fauchte ich wütend. Angekettet zu sein, wollte ich mindestens genauso wenig, wie nackt hier unten zu liegen. Wenigstens war es schön warm. Ein geringer Lichtblick. Wenn es nicht Gerard gewesen wäre, der mich hier hinunter gebracht hat, würde ich mich mit Händen und Füßen wehren. Aber ich wusste, gegen ihn hatte ich keine Chance. Und weit kommen würde ich auch nicht, dank der dicken Türen, welche nicht einmal alte Vampire hindurch ließen. Außerdem, wo sollte ich dann hinlaufen? Der nächst älteste würde mich abfangen und wieder hinunter tragen.
„Das ist auch nicht ihr Zweck.“ Murrte Gerard und band auch mein zweites Handgelenk fest. „Jetzt entspanne dich.“
Ich atmete tief ein und wieder aus. „Halt die Luft an, damit deine Lungen die Arbeit einstellen.“ Gesagt getan. Es dauerte drei Minuten, bis ich es endlich schaffte, nicht noch einmal, einfach aus Gewohnheit, Luft zu hohlen.
„Woher kannst du das?“ Natürlich musste ich beim Sprechen atmen und hörte, wie Gerard genervt schnaubte.
„Isles!“ Ich unterdrückte ein freches Lächeln und ließ mich weiter von ihm massieren. Verdammt, das fühlte sich viel zu gut an. Und ich akzeptierte es auch noch ganz einfach? „Ich habe es von Louis gelernt. Er hat die Königin zur Ruhe begleitet und später, als ich Michellés Lakai wurde, mir beigebracht. Falls ich es einmal gebrauchen sollte.“ Seine Hände glitten zu meinen Schläfen und massierten dort weiter. „Manchmal kann es bis zu Tagen andauern, bis man in einen Ruhezustand gleitet. Bis dahin werde ich hierbleiben, in Ordnung?“ Falls es überhaupt geschah, doch das sagte er nicht laut.
Ich nickte kurz, da ich nicht riskieren wollte, dass er früher ging, bloß weil ich schon wieder nicht hörte. „Gut, dann konzentriere dich auf deinen Herzschlag.“ Ich tat wie geheißen, doch bemerkte rasch, dass es viel zu schnell ging. Nicht das es mich überraschte, aber es war irgendwie unangenehm, da ich wusste, Gerard konnte es hören. „Lass es langsamer Schlagen, du bist zu nervös.“ Wie witzig! Und wessen schuld war das?

XX. Gerard Tobonneau, verleitet von Leidenschaft

Sieben Stunden später, stand ich noch immer hinter Isles, welche mehr genervt und hungrig dalag, anstatt sich endlich zu entspannen. Ich wusste ja, dass es für Isles bei weitem noch nicht möglich war, in so einen Schlaf zu gleiten, nicht einmal hundertjährige, oder gar ich, mit meinen, mehr als dreihundert Jahren, wusste, ob ich es bereits schaffen könnte. Trotzdem blieb ich bei ihr. Vielleicht versuchte, ich auch bloß es hinauszuzögern. Ich wollte sie nicht alleine lassen, sondern bei ihr bleiben. Zumindest so lange, bis ihr Körper anfangen würde, meine Berührungen, als unangenehm zu empfinden. Vielleicht nutzte ich die Situation auch etwas zu sehr aus, massierte über ihren Kopf, ihren Hals die Schultern und ihre Arme. Sie sagte nichts dagegen, sondern schien es sogar nach sieben Stunden noch immer zu genießen, während ich ihr immer wieder, irgendetwas erzählte.
Wie ich darauf gekommen war, ihr von meinen Eltern zu erzählen, wusste ich überhaupt nicht mehr. Es hatte sich einfach ergeben und gefiel mir. Wie sie dalag... so ruhig, mit wild schlagendem Herzen, wann immer ich über eine empfindlichere Stelle strich. Es klang absurd, aber ich würde am liebsten die nächsten Tage damit weitermachen. Hin und wieder kicherte sie, oder verzog mitleidig ihre hübschen Lippen, doch sagte, wie von mir befohlen, nichts mehr. Isles hörte mir einfach zu. Genoss es scheinbar sogar.
Als ich auf meiner Armbanduhr bemerkte, dass bereits zehn Stunden um waren, hörte ich für einen Moment damit auf, sie zu massieren. Ich wollte, dass sie wieder einmal ihre Augen öffnete und mir, egal welchen Blick zuwarf. Aber sie tat es nicht. Sie lag einfach da, vollkommen in der Zeit erstarrt, ohne Atmung, bloß mit einem nervös schlagenden Herzen, das nun etwas Ruhiger wurde, nachdem ich mit dem massieren endete.
„Isles?“ Fragte ich in den stillen Raum hinein. Sie rührte sich aber nicht.
Hatte sie es etwa geschafft? Ist sie in den Schlaf geglitten? Nein! Bestimmt nicht. Vielleicht wollte sie mich bloß ärgern, oder hatte es satt, dass ich ständig redete? Sanft legte ich meine Finger unter ihr Kinn und kitzelte sie leicht. Isles rührte sich nicht. „Du hast es geschafft, oder?“ Fragte ich nun mehr mich selbst, als sie. Aber... Sie ist erst zwei Jahre alt. Ein kleines Baby noch! Ein Kücken! Wie konnte das möglich sein?
Vielleicht würde sie ihr Schauspiel, welches überraschend gut war, Aufgeben, wenn ich etwas Überraschendes tat? Ich beugte mich hinab und leckte sanft über ihre Halsschlagader hinweg. Ihr Herzschlag, ging wie eine Rakete in die Höhe, doch rühren tat sie sich immer noch nicht. „Ich glaube dir nicht, dass du schläfst, Kätzchen. Du willst nur, dass ich endlich verschwinde, oder?“ Ich beugte mich abermals hinab und strich sanft mit meinen Lippen über die eben befeuchtete Stelle. Wieder rührte sich bloß ihr Puls, was meine Reißzähne freudig lockte. Gott! Dieser Geruch!
Tief atmete ich ein und schabte vorsichtig mit meinen Zähnen über ihre empfindliche Haut. Ich hörte zwar ein Wimmern, doch bekam keine Schimpftirade, oder Schlimmeres.
Sie musste es tatsächlich geschafft haben. Isles... ist in einen Schlaf übergegangen! Ich hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. „Das ist mein Kätzchen.“ Damit würde sie die zwei Jahre einfach verschlafen, ohne zu leiden. Es fühlte sich an, als würde meine Brust gleich, zu platzen drohen, so stolz war ich über diesen Gedanken. Oder viel mehr erleichtert?
Trotzdem hatte ich nun diesen verführerischen Duft in meiner Nase und Isles Kopf sackte ebenfalls zur Seite, sodass ihr Hals auffordernd frei lag. Oh, nein! Das konnte sie mir doch nicht antun! Meine Zähne brachen vor und ich fluchte vor mich hin. So etwas ist mir, seit meinen ersten Jahren nicht mehr passiert!
Na, gut... wenn sie es nicht anders wollte, würde ich eben von ihr kosten. Jetzt war bloß noch die Frage, wo? Nicht an ihrem Hals, oder an einer anderen sichtbaren Stelle. Frustriert schob ich das Laken zur Seite und befreite einen ihrer Arme von dieser dämlichen Kette. Das konnte doch nicht wahr sein! Mein einziger Gedanke war bloß noch ihr würzig und zugleich süß, duftendes Blut! Wie konnte man bloß so unfassbar gut riechen? Und sich noch zu allem Überfluss so anbieten, wie Isles es tat? Ob sie sich wohl anderen auch so anbieten... Fauchend vertrieb ich diesen eifersüchtigen Gedanken.
Nein! Das würde ich nicht zulassen! Niemand außer mir sollte sie so sehen, oder gar fühlen, wie ich. Der Laken glitt wie von selbst von ihrem Körper, bis bloß noch ihre Zehenspitzen bedeckt blieben, und enthüllte ihren zarten, weisen Körper. Von selbst glitten meine Finger, tastend über ihren Bauch, zogen eine Spur in kleinen Kreisen über die makellose Haut und entlockten ihr noch so einen süßen Laut. Zufrieden hauchte ich einen Kuss, in das Tal zwischen ihre Brüste, wodurch sie erschauderte. Jedoch anstatt mich wegzustoßen, denn das könnte sie mit ihrer, nun freiliegenden Hand, legte sie diese stattdessen auf meinen Hinterkopf und fasste in mein Haar. Angespornt von meinem Trieb und ihrer eigenen, unbewussten Einladung, knabberte ich ihren Brustkorb hinab, zu ihrem Bauchnabel und ließ meine linke Hand, über ihre weichen Brüste streifen.
Ich bemerkte, wie sie sich meiner Hand entgegen wandt und tat ihr den Gefallen, sie weitgreifender zu massieren. Wäre sie wach, würde sie das immer noch zulassen? Würde sie mir jemals erlauben, sie auf diese Weise anzufassen, wenn sie wach wäre? Sehnlich wünschte ich es mir. Bloß ein Wort von ihr und ich würde alles tun, bloß, um noch eine Minute oder mehr auskosten zu dürfen. Vielleicht sogar, wenn sie es erwiderte? Mist! Der Gedanke war nicht gerade hilfreich, meine Hände in akzeptablen Regionen zu lassen. Nicht dass ihre Brüste >akzeptabel zum Berühren< wären. Sie waren bereits eine Tabuzone! Eine recht strickte, doch wenn sie sie mir schon so anbot... Herzhaft biss ich, ohne sie zu verletzen, in ihren Bauch und wurde von ihrer Hand tiefer gedrängt. Oh, nein Furie! Das war alles andere, als eine gute Idee! Ich hatte doch ursprünglich einen anderen Plan, oder nicht? Irgendetwas wollte ich doch, abgesehen davon ihre weiche Haut zu kosten und... Oh, genau! Ihr Blut!
Sanft schob ich ihre Hand wieder in meinen Nacken und rückte höher, knapp unter ihre linke Brust, wo ihr gut behütetes Herz freudig klopfte. Schmunzelnd gab ich ihr einen Kuss auf diese Stelle, während ich grob in ihre Brust kniff.
Fauchend krallte sie ihre Nägel in meinen Nacken, was wirklich weh tat, doch mich bloß zum Lachen brachte. Mist, jetzt wünschte ich wirklich, sie würde aufwachen und irgendetwas zu dem allem hier sagen. Selbst, wenn sie mich als ein Dreckschwein bezeichnen würde und mich zum Teufel jagt. Bloß für einen Blick, der mir bestätigte, wie sehr sie das gerade genoss, würde ich mich selbst fortjagen. Noch einmal kniff ich sie, wobei ihr Fauchen zu einem Stöhnen wurde, was mir fast sogar noch besser gefiel.
Zu ihrem ansonst so lockenden Duft mischte sich ein weiterer, den ich bereits von Frauen kannte, doch mich bisher nie sonderlich interessierte. Jetzt jedoch, bannte er meine gesamte Aufmerksamkeit. Mein Blick glitt hinweg über die knochige Erhöhung ihrer Hüfte, woher dieser Geruch kam. Ich tat hier wirklich nichts, was ich tun sollte! Ich wollte doch bloß einen kurzen Biss riskieren und dann... verschwinden. Was zum Teufel also ritt mich, hierzubleiben, und meine Finger, unendlich langsam, tiefer wandern zu lassen, als wäre dieser Körper der perfekte Spielplatz für mich? Das alles war doch wirklich nicht mehr rational!
Gegen jegliche Vernunft konnte ich plötzlich bloß noch pulsierende Adern sehen, rot glitten sie in verschiedenen Stärken, durch ihren hübschen Körper, direkt unter ihrer Haut und tiefer, wo sie doch so leicht zu erreichen waren. Sogar ihr nervöses Herz sah ich. Obwohl ich diesen Blick überhaupt nicht mehr benötigte, kam er in mir auf, wie bei einem unerfahren Jungvampir und ließ mich jegliche Vernunft vergessen. Vielleicht lag es ja auch daran, dass ich bereits über zwölf Stunden nichts mehr getrunken hatte und Isles nahm auch noch etwas von mir! Das war also ihre eigene Schuld!
Ihr Bein glitt erwartend in die Höhe und ich erfüllte bereitwillig ihren Wunsch. Tastend bewegte ich meine Hand zwischen ihre weichen Schenkel und setzte meine Zähne genau über ihrem Herzen an. „...bitte...“ Hörte ich bloß noch, bevor einer meiner Finger in ihrer heißen Mitte verschwand und meine Zähne sich zwischen ihren Rippen hindurch bohrten und mir leckeres, süßes Blut in den Mund schoss, das gleichzeitig auch würzig schmeckte. Eigentlich sollte man meinen, es sei eine ekelhafte Mischung, doch es war... exotisch, lecker. Krampfend schlossen sich ihre Muskeln, um meinen Finger und ihr Blut hetzte regelrecht in meinen Mund. Gierig trank ich einige, tiefe Schlucke, während Isles durch meinen Finger kam. Erst, als auch ihr letzter Schub beendet war, ließ ich von ihr ab, zog meinen Finger hervor und leckte ihre, sich bereits schließende Wunde sauber.
Zum Teufel mit Werwolfblut. Ich wollte nie wieder irgendetwas anderes, außer ihrem. Lächelnd küsste ich meine kleine Furie. „So sollte sich ein Blutaustausch zwischen Vampiren anfühlen, Kätzchen.“ Ihre Hand war bereits schlaff zur Seite gefallen und in ihrem Gesicht lag ein zufriedenes Lächeln. Isles musste einfach wunderbar träumen.
„Träum schön, Kätzchen.“ Flüsterte ich in ihr Ohr, nachdem ich sie wieder zugedeckt hatte, und küsste sie abermals auf die Wange. Jetzt wusste ich wenigstens, wieso Isles so sehr an meinem Arm hing, wenn sie mein Blut trank. Es schmeckte einfach herrlich. Nun wunderte es mich wirklich nicht mehr, dass sie Werwolfblut als >gut< bezeichnete. Dieser Geschmack... der hatte schon etwas für sich. Ob sie für jeden so schmeckte? Ich hoffte es nicht, denn teilen wollte ich >das< ganz bestimmt nicht.
Ich wandte mich zum Gehen, damit sie die nächsten zwei Jahre ihre Ruhe von mir hatte, doch da fiel mir ein seltsamer Blutgeruch auf. Neugierig ließ ich mich zu Isles zurückführen. Sachte hob ich die Seidendecke auf, um zu sehen, ob ich etwa etwas vergessen hatte, doch konnte auf Anhieb nichts erkennen. Keine Blutspur, nichts. Ich ging um sie herum, hob immer wieder das Tuch an, vielleicht war ja etwas auf den Boden getropft? Wieder nichts. Als ich jedoch konzentriert auf den Tisch, mit den Fingern tippte, bemerkte ich, dass dieser Geruch ebenso an mir hing. Überrascht betrachtete ich meine Hände und erkannte, dass ich unter einem Nagel etwas getrocknetes Blut hatte. Wo kam das denn her? Doch nicht etwa... Hatte ich sie verletzt? Dabei trug ich niemals lange Nägel, um ehrlich zu sein, kaute ich sie sogar ab.
Ein, hoffentlich, letztes Mal schob ich das Seidentuch, an ihrer Hüfte hoch und drückte sanft ihre Beine auseinander. Es war bloß ein dünnes Rinnsal, das seinen Weg gefunden hatte, trotzdem war der Duft unverkennbar. Es war ihr Blut.
Aber wieso? Ich konnte sie schlecht dort unten verletzt haben, oder... Isles steckte doch in einem siebzehnjährigen Körper... konnte es etwa sein...
Jetzt war es offiziell. Ich bin der dümmste Lakai aller Zeiten! „Scheiße.“ Fluchte ich. Und was tat ich jetzt? Ihr alles beichten? Vermutlich konnte ich mich dann zum Teufel scheren, wenn ich das nicht jetzt schon konnte. Noch immer war mir nicht klar, ob sie mich mochte, einfach wegen meines Blutes, oder hasste, doch in ihrer Nähe wollte, wegen meines Blutes. Ergab das überhaupt Sinn? Ich bin der Lakai... nein der Schoßhund des Königs. Jemand den sie fürchten, oder viel eher ehren sollte, als ihr Vorbild.
Doch was tat ich? Ich lieferte mich dem König als perfektes Opfer aus, da ich nicht anders konnte, als dieser Frau zu verfallen. Einem Kücken! Einer kleinen Furie. Aber einer wirklich schönen Furie. Mit verlockend würzigem Blut. Ich wusste, es war das Dümmste, was ich jetzt noch tun konnte, abgesehen davon, ihr im Schlaf Blut abzuzapfen, trotzdem tat ich es. Ich beugte mich hinab und leckte auch diese Stelle frei von Blut.
Vermutlich war das, dass Schrecklichste, was ich jemals getan hatte, oder das Niveauloseste. Einen zweijährigen Vampir belästigen, der so zu sagen, im Koma lag. Trotzdem konnte ich nicht anders, als so dämlich zu grinsen, als würde ich auf Wolken schweben. Das würde definitiv der Schönste Tod aller Zeiten sein, wenn davon irgendjemand erfuhr!

Vor langer Zeit...

„Setz dich zu mir, Sohn.“ Artig folgte ich ihrem indirekten Befehl, durchquerte mit leisen, beinahe lautlosen Schritten, die kleine Kapelle unseres Dorfes und nahm neben ihr, auf den Knien gestützt platz.
„Für was betest du Mutter?“ Fragte ich unschuldig. Die bessere Frage wäre doch, für welche Schandtaten sie nicht betete.
„Für das übliche, Kind. Du solltest das auch tun, deiner Seele wird es wohl kaum schaden.“ Ich wusste, worauf sie anspielte, doch ignorierte ihren Tadel.
„Natürlich, Mutter.“ Erwiderte ich, wie der artige Sohn, welchen ich nun einmal gut und gerne spielte. Langsam faltete ich meine Hände vor meinem Gesicht und beugte mein Gesicht, mit geschlossenen Augen. „Vater, bitte erhöre mich...“ Sprach ich laut aus, doch den Rest, dachte ich bloß. Zumindest wenn es irgendetwas gäbe, dass ich bereuen würde.
Nach zehn Minuten deutete ich ein Kreuz über meinen Körper an. „Amen.“ Damit stand ich auf und wandte mich zum Gehen.
„Wenn du es nicht ernst nimmst, dann betrete diese Kapelle nicht, Sohn.“ Sie kannte mich einfach zu gut. Irgendwie gruselig, besonders da ich generell ein unvorhersehbares Kind gewesen bin. So wie meine Mutter der unvorhersehbare Teufel ist. Gehüllt in wunderschöne, kräftigen blonden Haar, einem faltenfreien Gesicht und umringt, beschützt und angebetet, von fünfundfünfzig stattlichen jungen Männern.
„Ist das ein Befehl?“
„Nein, bloß ein gut gemeinter Rat für deine jämmerliche Seele.“
Schnaufend ging ich weiter, den Mittelgang hinab, zur zweiflügeligen Türe, wobei immer bloß eine geöffnet war. Hinter mir verschloss ich die Türe und nickte zwei von Mutters Wächtern zu. Ich kannte ihre Namen nicht, oder ihr Alter und ihre Herkunft. Sie waren jünger als ich, was nicht gerade verwunderlich ist. Vor zweihundert Jahren tötete Mutter alle ihre Lakaien, weil sie meinte, mich beschützen zu müssen. Sie behauptete, wenn jemand, älter als ich sei, dann hätte diese Person auch Macht über mich. Das wollte sie nicht für mich. Natürlich erwähnte sie dabei sich selbst mit keinem einzigen Wort. Weshalb auch? Sie ist >Mutter< der älteste und gefährlichste Vampir, der jemals gelebt hatte. Sie hat Dinge erlebt, von denen wir noch nicht einmal träumten. Manche sagten ihr sogar nach, dass sie älter sei, als das menschliche Geschlecht selbst und den Ursprung der Werwölfe kenne.
So etwas war Unsinn. Ich wusste, dass sie nicht so alt sein konnte, so alt wie die Tiere es selbst einmal gewesen sind, denn das würde voraussetzen, dass man sie nicht besiegen konnte. Noch nicht...
Meine übernatürlich schnellen Schritte, lenkte ich tief in die dunklen Wälder hinein. Tiefer, als dass es für Vampire gesund war, und die meisten hielten sich auch an diese Grenzen. Sie benutzten menschliche Wege, bewegten sich unter ihnen, gaben sich für eine der ihren aus und benutzten ihre langsam voranschreitende Technik, ihren Glauben.
Ich jedoch hatte keinerlei solche Interessen. Mich interessierte es nicht, was sie erfanden, mich interessierte es auch nicht, was sie dachten gezähmt oder bezwungen zu haben. Ich wollte dann doch lieber hier draußen herumrennen. Der Ort, an dem ich mich nicht verstellen musste, einer, an dem ich laufen konnte, so schnell ich wollte und fangen, was auch immer ich wollte. Meistens tötete ich es nicht. Ich fing mir etwas, dann ließ ich es einige Meter weiter wieder frei. Verwirrt und vor allem verängstigt brechen die Tiere plötzlich zusammen, oder ich erwischte einen Jäger und sauge ihn restlos leer. Deren Herzen riss ich mit einem guten Ruck heraus und nahm es mit. So konnten sie sich nicht aus Zufall verwandeln.
Meine Mutter sagte immer, ich bräuchte keine Söhne. Ihre würden mich beschützen. Einmal hatte ich es probiert. Ich biss jemanden und ließ ihn sterben, doch... er verwandelte sich nicht. Das ergab keinen Sinn. Ich verstand damals nicht, wieso er sich nicht verwandelt hatte, sondern einfach starb. Aber mit Mutter sprach ich niemals darüber. Niemals!
„Was tust du denn im Baum?“ Ich hörte eine weibliche Stimme, gut verborgen in einem Gebüsch kichern.
„Du hast es verscheucht!“ Die Eule stieß sich von ihrem Ast ab, als sie die Frau aus dem Gebüsch hörte und flog außerhalb meiner Reichweite.
„Ich sagte dir doch, du sollst meine Bewohner nicht so erschrecken.“ Tadelte sie, doch immer noch erheitert.
Seufzend ließ ich mich vom Baum fallen und landete gewandter als eine Katze, auf meinen Beinen. „Aber es macht so viel Spaß.“ Ich schenkte dem Gebüsch, hinter welchem gelbe Augen glühten, ein verschmitztes Lächeln. Ich wusste, ich bekam jede Frau mit einem solchen Lächeln herum. Besonders sie.
Langsam bewegte sich das Gebüsch, teilte sich zwischen zwei Ästen und ließ eine nackte, dreckige Frau hervortreten. Ihre langen weißen Haare, gingen ihr bereits bis zu den Kniekehlen und ihre immer wolfsartigen Augen verrieten, dass es sich bei dieser Schönheit um etwas wesentlich Gefährlicheres, als einen Menschen handelte. „Du bist unverbesserlich.“ Mit einer strengen Miene betrachtete sie meine neue Kleidung. „Und wieder einmal neu gekleidet. Wie lange warst du schon nicht hier?“
„Wir waren zweihundert Jahre in einem anderen Gebiet, weit entfernt aus diesen Wäldern. Meine Mutter hat neue Vampire erschaffen, jüngere als ich. Um mich zu beschützen.“
Die weiße Wölfin trat näher und senkte ihre Nase an meine Brust. „Du hast schon lange nichts getrunken.“ Stellte sie überrascht fest.
Ich streckte meine Arme aus und drückte sie fest an mich. „Du magst es ja nicht. Also zügle ich mich.“
Verwirrt blickte sie zu mir hoch und legte den Kopf schräg. „Aber dadurch wirst du schwächer.“ Ihre Arme hingen unbeweglich neben ihr hinab und ihr Kopf bewegte sich neugierig, wie der eines Wolfes. Dabei wirkte sie so unschuldig, verletzlich. Fast wie ein Tier, doch mit einer gefährlichen Intelligenz in den Augen. Eine Intelligenz welcher ich seit Jahren verfallen bin.
„Lieber werde ich schwächer, als dich zu verärgern, liebste Wölfin.“
Nun zauberte sich endlich, das so lange ersehnte Lächeln auf ihre Lippen. Sie streckte sich wenige Zentimeter, denn wir waren beinahe gleichgroß und legte ihre Lippen auf meine. Für einen Moment ließen wir uns in diesen süßen, unschuldigen Kuss fallen und mir entlockte es ein zufriedenes Seufzen. „Immer muss man sich Sorgen um dich machen.“ Schimpfte sie halbherzig und bettete ihr Gesicht an meiner Schulter.
Ich strich sanft über einige neue Narben auf ihrem Körper. So ein Satz, ausgerechnet von ihr...

XXI. Louis Tobonneau, der Freund mit dem offenen Ohr

Grummelnd lief er an unserem Gang, im dritten Stock vorbei, wobei sein Blick irgendwo tief in seinem Inneren gerichtet war. Neugierig folgte ich ihm, denn ich wollte wissen, was schon wieder los war. So sah ich ihn bereits seit Monaten herumlaufen. Plötzlich war er da, wirkte orientierungslos und verschwand einen Augenblick später.
Wohin?
Das wusste niemand. Fast niemand bekam ihn mehr zum Gesicht, denn er wirkte gehetzt und stark beschäftigt. König Michellé hatte seit über zwei Monaten das Anwesen verlassen. Ohne Gerard, ohne mich. Dafür hatte er dreißig seiner besten Männer mitgenommen und den Rest von uns abgestellt, wir sollen auf das Schloss aufpassen. Gesagt getan, wir passten auf. Zumindest der Großteil von uns.
Ich bog um eine Ecke, von der ich wusste, es ist eine Sackgasse von leerstehenden Wohnungen. Dort würden in ein, oder zwei Jahren die neuen Vampire einziehen und sich unserem Alltag anpassen.
„Gerard...“ Ein Windstoß wischte an mir vorbei und ich wusste, er ist fort. Bloß wohin?
So schnell, wie es bloß ein Vampir sein konnte, lief ich den Gang zurück und sah gerade noch einen Schemen vom Geländer springen. Dann war er vollkommen verschwunden. „Verdammt!“ Fluchte ich. Das konnte doch nicht wahr sein. Wohin verschwand er bloß immer? Schon seit einem halben Jahr wirkte er etwas verloren und zeitweise regelrecht nervös. Seit nun unser König fort war, verschwand auch Gerard.
Genervt schritt ich in einem angemessenen Tempo die Treppen hinab, in das Erdgeschoss und bog auf den Keller zu. Mit einem langen Code öffnete ich die Türe und wiederholte dies bei jedem weiteren Stockwerk, bis ich ganz unten ankam. Von einem ehemaligen Wikinger wurde ich empfangen und er hielt mir bereits nach dem Eintreten ein kleines Fläschchen entgegen.
„Danke, ich bin wegen meiner Frau hier.“ Erklärte ich, denn dass war mein ursprünglicher Plan gewesen, noch ehe ich Gerard entdeckt hatte. Der Wikinger reichte mir zusätzlich eine große Flasche mit Menschenblut. Ich bedankte mich und ging zurück nach oben. Als ich die oberste und letzte Türe öffnete, sprang ein Schatten an mir vorbei. Hätte ich nicht auffällig grüne Augen bemerkt, hätte ich den Übeltäter glatt abgefangen und dafür ausgeschimpft, dass man nicht einfach ohne Erlaubnis hier durchlaufen durfte, wenn jemand anderes gerade das Tor passierte. Doch ich wusste, zu wem diese unnatürlichen Augen gehörten.
Seufzend schloss ich die Türe wieder und sah mich um. Zur nächsten Türe schien er nicht gelaufen zu sein, also bog ich in den einzigen Gang ein, welchen es von hier aus gab. Danach teilte er sich zwar mehrfach, doch ahnte ich, dass er zu den Trainingsräumen gegangen sein musste. Wohin auch sonst?
Langsam klapperte ich Raum für Raum ab, denn wir hatten hier unten einige. Zu meiner Enttäuschung fand ich ihn jedoch nicht. Nachdenklich drehte ich mich im Kreis, als ich den Blutkühlschrank, für die jüngsten Vampire vorfand. Sie trainierten ihre ersten hundert Jahre hier und durften nicht tiefer hinab. Es waren diejenigen, welche aus dem Kücken-alter heraußen waren und sich halbwegs frei bewegen durften. Er stand halboffen, daher schloss ich ihn rasch, bevor irgendetwas darin schlecht wurde.
Ernsthaft neugierig geworden, ging ich den Weg zurück und schob die dicke Stahltüre auf, welche in einen recht kahlen Teil des Kellers führte. Waren die Gänge der Trainingsräume und der, zur Waffenkammer modern ausgestattet, hell dekoriert und teilweise hightech ausgerüstet, so wirkte dieser Teil des Kellers, wie aus dem Mittelalter. Kahle Wände, Öllampen an den Wänden und es stank nach Feuchtigkeit. Ergeben schritt ich auch durch diese schalldichten Gänge, bis ich eine Türe vorfand, welche offenbar geschlossen sein sollte. Ein rotes >X< markierte, dass sie verschlossen sein muss, da sich jemand darin befand. Aber sie stand überraschend offen.
Oh, je. So etwas konnte nichts Gutes bedeuten! Lautlos stellte ich meine beiden Flaschen ab und schlich zur Türe. Es war unwahrscheinlich, dass sich der Gefangene noch darin befand, doch ich musste auf Nummer sichergehen, bevor ich Alarm schlage. Vielleicht hatte es einfach jemand vergessen zu korrigieren? Nein, so dumm war hier doch niemand.
Langsam schielte ich um die Ecke. Aus dem Raum drang sehr schwaches blauweises Licht, sodass man kaum mehr als Schatten erkennen konnte. Ich ballte meine Hände zu Fäuste und trat ebenso lautlos ein, wie ich mich angeschlichen hatte. Innerhalb einer Sekunde hatte ich einen Überblick über den Raum. Es befanden sich zwei Leute darin. Einer dieser Körper lag völlig unbeweglich auf dem steinernen Altar und der zweite, saß mit angezogenen Beinen am Kopfende und starrte scheinbar die gegenüberliegende Wand an.
Angestrengt versuchte ich, die Situation zu begreifen, doch wollte sie einfach nicht in meinen Kopf hinein. Ich befand mich in dem Kellerabteil im ersten Untergeschoss, in welchem sich Mutter zur Ruhe gelegt hatte. Natürlich wusste niemand in welchem Raum, außer Michellé selbst, bloß er kannte den Code dafür. Die anderen alle, von denen, so weit ich wusste, lediglich sechs belegt waren, fand man für gewöhnlich leer an. Zumindest seit einigen Jahrzehnten. Sie alle waren schalldicht, nicht größer als sechzehn Quadratmeter und die perfekten Gefängniszellen. Wir jedoch benutzten sie heute bloß noch um Jungvampire, welche sich nicht zügeln lassen wollen zu bestrafen. Sie mussten hier unten liegen, ohne Blut, alleine und mit unendlichen Schmerzen, meist für ein bis zwei Jahre.
Isles hatte man genauso bestraft, was ich wirklich sehr bedauerte. Sie ist nun einmal ein Teenager. Zumindest gefangen im Körper eines Teenagers, eines recht temperamentvollen, wie ich zugeben musste. Ich mochte sie, sie erinnerte mich mit ihrer Leidenschaft daran, wie ich früher gewesen bin, bevor Manon es schaffte, mich zu zügeln. Bloß dass sie nicht ein Herz nach dem anderen brach und sich je nach Laune durch Betten schläft. Um ehrlich zu sein, hatte ich in den letzten Tagen recht viele Ähnlichkeiten zu mir gefunden. Es überraschte mich etwas, doch eher positiv. Selbst ihre Haare besaßen denselben Farbton und waren genauso lockig, wie meine, wenn ich sie zu lange wachsen ließ. Ich hatte vor vielen Jahrhunderten eine Phase, da trug ich sie fast hüftlang mit einigen schönen Zöpfen verziert. Irgendwann jedoch, sah ich ein, dass es mich zu feminin machte, was damals nicht ganz so geschätzt wurde wie heute. Ich fragte mich, ob es wohl Manon gefallen könnte? Das hätte schon etwas wenn meine blonden Haare zärtlich über ihre feuchte Haut... Stopp! Falsches Thema!
„Louis?“ Gerard war so schnell auf den Beinen, dass nicht einmal ich seine Bewegung sehen konnte.
„Was tust du hier?“ Und vor allem weshalb wandte sich Isles nicht vor Schmerzen? Aber zu dieser Frage würde ich später kommen.
„Ich...“ Begann Gerard, doch brach ab. Sein Blick sank betrübt hinab zu Isles, welche vollkommen regungslos, von einem Seidentuch verhüllt, auf dem Altar lag. „Ich glaube, ich habe sie an mich gebunden.“ Gerard sprach so überraschend leise und verletzlich, dass ich für eine Sekunde dachte, ich hätte mich vertan. Das konnte doch unmöglich Gerard sein.
Dieser, überraschend gleichgültige, Miesepeter, der selbst einige tausendjährige überholt hatte. So viel ich wusste, hatte er hundert Intrigen für König Michellé gesponnen, diente ihm als loyaler Diener und tat wirklich alles, was unser König befahl. Er hinterfragte es nicht. Michellé sagt, er soll springen und Gerard fragte höchstens >von wo<. Danach verschwand er und kehrte nicht eher heim, bevor er seine Mission nicht erfüllt hatte. Egal wie viel Schaden er selbst dabei erleidet. Gerard tat es.
Aber jetzt? Wer zur Mutter, ist diese Person? „Gerard? Bist das wirklich du?“ Ich schloss die Türe hinter mir, für den Fall, dass mir jemand gefolgt sein sollte.
Seufzend lehnte sich Gerard über Isles Kopf und legte seine Stirn auf ihre. „Ich habe großen Mist gebaut, Louis. Dafür wird der König nun endlich meinen Kopf bekommen.“
Verständnislos trat ich auf den leblosen Körper zu und entfernte das Seidentuch von Isles Gesicht. Sie schlief. Ganz ruhig lag sie da, ohne Atmung, ohne jegliche Regung. „Sie... Isles schläft?“ Ich konnte nicht fassen, dass ich dies über eine Zweijährige sagte! Das ist in jedem Sinne unmöglich.
Gerard nickte im schwachen Licht. „Ich habe ihr die Übung gezeigt, die du mir beibrachtest. Und... jetzt schläft sie.“
Ungläubig strichen meine Finger, sanft über Isles Wange. Sie rührte sich kein bisschen und sah aus, als würde sie jeden Moment aufspringen und laut „Voll verarscht!“ Schreien. Bitte! Lass das jetzt geschehen!
Ich wartete einen Moment, doch nichts geschah. „D-Du behauptest Isles, eine zweijährige Vampirin >schläft<? Und du Idiot hast sie gezeichnet?“ Mein Blick zuckte zu der feinen Vertiefung an Gerards Wange. „Zum König! Du hast deine Frau gefun...“ Unfassbar schnell, packte Gerard mich am Kragen und presste mich so fest gegen die Wand, dass sie eigentlich hätte nachgeben müssen. Wütend fixierte mich der mächtige Wächter mit seinem alles durchforschenden, grünen Blick. Zwei Sekunden, dann ließ er mich auch wieder los.
„Sie ist nicht... Es ist nicht so!“ Fauchte er überraschend aufgewühlt und kehrte zu Isles zurück.
Eigentlich hätte es mir klar sein müssen. Isles hatte Gerard in dem Moment gezeichnet, bevor er sie bewusstlos hatte schlagen können. Nun, ja im Sinne davon, dass er ihren Schädel teilweise zertrümmert hatte, damit sie im Grunde starb. Jedoch nicht lange, ihr Körper heilte einige Stunden später wieder und die beiden begannen sofort damit, sich zu streiten.
Ich verstand, dass Gerard wütend auf Isles war. Sie hatte ihn, ohne zu wissen, was sie tat, gezeichnet. Im selben Moment, in dem sie sich das erste Mal gesehen hatten. Dabei gehörte Isles ja König Michellé, sie ist seine Tochter, erschaffen aus seinem Blut, genauso wie Gerard. So einen Verrat, blieb niemals ohne Konsequenzen. Eigentlich hatte ich gedacht, dass Michellé einfach über Isles Dummheit hinweg sehen würde, denn sie wusste ja nicht, was sie da tat. Aber Gerard? Der dreihundert Jahre junge und tausend Jahre starke Vampir? Er wusste vermutlich mehr, als die meisten von uns.
„Wie konntest du nur so dumm sein?“ Fragte ich, da mir langsam die Konsequenzen von alldem klar wurden. Isles ist ein Kücken, noch keine sieben Jahre alt und doch beherrscht sie sich, was Blut angeht, mehr als wir alle anderen. Nun, ja fast alle.
Gerard strich zärtlich über Isles Lippe. „Ich habe sie gezeichnet, als wir uns geküsst haben.“
Nun klappte mir endgültig der Mund auf. „Du hast was getan?“ Schrie ich ihn an.
Gerard seufzte schon wieder und schlug sich an die Stirn. „Ich habe das bloß getan, damit sie ihre verdammten Zähne ausfährt und endlich trinkt! Ich wollte doch nicht... Niemals hätte ich gedacht, dass es sich so verdammt gut anfühlen würde und sie hat dann auch noch... diese Sache mit meiner Zunge...“ Fauchend schlug er sich abermals, woraufhin ich nicht anders konnte, als dämlich zu grinsen. Diesen Miesepeter hatte es so etwas von erwischt!
„Louis! Ich verstehe das einfach nicht. Wieso? Dass sie mich aus Versehen gezeichnet hat, ist ja... halbwegs in Ordnung. Sie ist ein Kücken, eine kleine Furie und hat einfach einen Fehler gemacht. Aber ich?“
Mit einem der unelegantesten Fälle, die ich jemals gesehen hatte, landete Gerards Hintern auf dem Boden und er lehnte sich gegen die Wand des Gefängnisses. Kurz sammelte ich mich, denn wenn ich ihm jetzt sagte, dass er verliebt ist, verlor ich mit Sicherheit das eine oder andere Körperteil. Und das wollte ich meiner Manon nicht antun. Langsam ging ich auf meinen langjährigen Freund zu, welcher meine Freundschaft eigentlich niemals sichtlich erwidert hatte, doch ich wusste, er fühlte sich wohl bei mir. Vorsichtig setzte ich mich neben ihn und lehnte mich, wie Gerard, an die Wand. Gut, wie erklärte man nun einem potenziell, Geisteskranken, dass seine Gefühle ganz normal waren?
„Wirst du es König Michellé sagen?“ Natürlich würde er es irgendwann müssen. Spätestens wenn Isles wieder wach war, würden die beiden sich selbst nichts mehr vormachen können. Und meine Manon erst! Sie und die Frauen würden ein richtiges Fass darüber aufmachen. Der allseits begehrte Gerard, vergeben? Mein Freund tat mir jetzt bereits leid, denn ich wusste, wie lange sich unsere Frauen die Schnäbel über so etwas zerreißen konnten.
„Ich muss es. Wenn er es zufällig erfährt, dann... vielleicht wenn ich es ihm gestehe und ihm sage, dass ich es aus Versehen passiert ist, wird er mich nicht töten.“
Ich winkte abweisend. „Ach, was. König Michellé würde doch niemals seinen besten und stärksten Wächter töten.“
Gerard lachte humorlos. „Der König wird ein Exempel an mir statuieren. Sie gehört ihm, schon vergessen?“
Ich hob überrascht die Augen. „Was meinst du damit?“
Er blickte mir hilflos in die Augen. „Isles soll seine Frau werden. Daher hat er sie erschaffen. Ich habe kein Recht auf sie.“
Zum zweiten Mal innerhalb einer viertel Stunde klappte mir der Mund auf. Gerard saß so richtig in der Scheiße!

XXII. Gerard Tobonneau, der offensichtliche Idiot

Louis schwieg eine ganze Weile, während er neben mir saß und scheinbar das eben gehörte, verdaute. Mir war nicht klar gewesen, dass Louis dies nicht wusste, aber dass es ihn so sehr traf, überraschte mich. „Was denkst du?“ Es war vermutlich das erste Mal in meinen ganzen dreihundert Jahren, dass ich diese Frage stellte. Und dann ausgerechnet Louis?
„Ich denke gerade daran, was ich getan hätte, wenn mein König Manon zuerst gefunden hätte und für sich beansprucht. Ich glaube, ich läge schon lange unter der Erde.“
Ich schnaufte. Das ist doch etwas völlig anderes, alleine schon, das Manon niemals des Königs Geschmack erreichen konnte. Sie war dafür etwas zu alt, in Menschenjahren. „Das ist etwas völlig anderes, Manon ist erstens zu alt für Michellé, zweitens dunkelhaarig. Das mag er beides nicht.“
Ich bin fünfundzwanzig und alleine gewesen. Daher hatte er mich genommen. Mein ganzes Leben habe ich schwer gearbeitet, mich regelrecht zerrissen, um meine gebrechliche Familie, am Leben zu erhalten. Selbst mit neun jungen Jahren bin ich schon lange als Dieb bekannt gewesen. Michellé erlöste mich aus diesem Elend und ich wurde zu seinem besten und stärksten Krieger.
„Beleidigst du eben meine Frau?“ Versuchte Louis zu scherzen, doch ich wandte einfach das Gesicht ab. Mein Blick glitt zurück, zu der wieder verhüllten Isles.
„Isles Markierung, kann sie als alte Narbe vertuschen.“ Lenkte ich das Thema zurück. „Meine Markierung können wir als Unfall unter den Tisch kehren, aber... was den Rest angeht, weiß ich nicht weiter.“
„Dieses Band verändert uns alle, Gerard. Dagegen wirst du nichts tun können. Sieh doch mich an! Ich habe keine Frau von der Bettkante gestoßen, ich habe alles verführt, das nicht bei drei auf dem Baum war.“ Ich nickte zustimmend, denn davon hatte ich schon des Öfteren, seit ich ein Vampir bin, gehört. Selbst heute sind die Frauen in unserem Clan noch enttäuscht, dass er sich gebunden hat. „Meine Manon hat damals mehr als einmal einen Kampf begonnen, da die anderen meinten, sie könnte mich ruhig weiterhin teilen.“ Ja, das konnte ich mir bei Manon wirklich gut vorstellen! Wenn bloß eine Frau ihn länger als zwei Sekunden ansieht, wird sie, ähnlich wie Isles zur Furie. Nun, ja eher zu einem Todesengel, als zu einer Furie.
Wir saßen schweigend nebeneinander und hingen abermals unseren Gedanken hinterher. „Und wenn du Michellé eine zweite Isles besorgst? Ein Mädchen das ihr recht ähnlichsieht und sie ihm im Austausch zu Isles anbietest?“
Meine Beine bewegten sich von selbst auf den leblosen Körper zu, wie schon die letzten Monate zuvor. Immer wieder fand ich mich von selbst hier wieder, als wäre sie ein Magnet, der mich immer und immer wieder zu sich holte. „Es gibt keine >Zweite<.“ fauchte ich, schob das Seidentuch zur Seite und bewunderte abermals ihr hübsches Gesicht. Wie konnte man einen Menschen, zu dem man sich so sehr hingezogen fühlte, dermaßen verachten?
Isles bedroht mein Leben. Sie ist meine große wunde Stelle, etwas das ich dringend auslöschen musste, um wie die Jahre zuvor, zu überleben. Aber gleichzeitig wollte ich nichts lieber, als sie zu packen und so weit wegzulaufen, wie es uns die Erde erlaubte. Das konnte doch nicht wahr sein, oder? Durften überhaupt solche Gefühle existieren? Das war bei weitem nicht fair!
„Wirst du mit ihr weggehen?“ Natürlich ging Louis zu aller erst, davon aus.
„Ich sollte sie töten. Sie bedroht mein Leben, meine gesamte Existenz und meinen Ruf!“ Fauchte ich wütend, wobei ich eher frustriert war. „Es ginge ganz einfach und ich... könnte es irgendjemanden in die Schuhe schieben.“ Ich legte meine Hand an ihre zarte Wange. „Aber wenn ich meine Hand erheben möchte, sträubt sich einfach alles in mir davor. Ich kann sie körperlich einfach nicht verletzen, Louis.“
„Willst du sie denn tot sehen?“ Langsam schüttelte ich den Kopf.
„Ich hasse mich schon dafür, dass ich zugelassen habe, das Michellé sie anfasst...“ Vor Scharm hatte ich sogar meinen gesamten Körper abgewandt, denn ich konnte diesen Anblick, wie er sie gegen ihren Willen benutzte, einfach nicht ertragen. Vorher würde ich für immer auf meinen Knien blieben und tun, was nötig war, um Isles Körper vor ihm zu schützen.
„Wenn du zulässt das Michellé sie für sich beansprucht, dann wirst du die nächsten tausend Jahre zusehen müssen, wie er sie anfasst, oder sogar noch schlimmeres mit ihr tut.“
Fauchend wandte ich mich Louis zu, welcher noch immer auf dem unbequemen Boden saß. Er hatte recht. Ich musste etwas tun. Flucht ist keine langfristige Lösung. Ich will leben, ganz normal wie schon bevor, doch ohne dass sie jemand anfasst. Vielleicht, wenn ich sie wegbringe und irgendwo verstecke? Immerhin schläft sie und bloß Blut kann sie wecken. Wenn ich sie in einem Grab verstecke? Tief unter der Erde, wo das Band von Michellé zu ihr, nicht funktioniert und sie geschützt liegt? Dort konnte man sie unmöglich >zufällig< finden.
Aber was wäre... der König benötigte bloß ein einziges Wort, um mich dazu zu zwingen ihren Standort auszumachen. Ein Wort und alles wäre vorbei. Nein, das war auch keine Lösung, außerdem würde Isles mir dafür den Kopf abreißen, wenn ich sie tausend Jahre, irgendwo schlafen ließe.
„Ich weiß... aber weglaufen ist keine dauerhafte Lösung, auch nicht sie in ihrer jetzigen Starre zu verstecken, irgendwann würde Michellé mich dazu zwingen ihren Standort zu verraten. Aber sie von ihm fernhalten, kann ich auch nicht.“
„Mehr Möglichkeiten gibt es aber nicht, wenn du mit ihr zusammen sein möchtest.“ Ich verzog angeekelt das Gesicht. „Ich? Eine Frau? Du spinnst ja, eher bitte ich Michellé darum, mich im Eingang an meinem Rückgrad aufzuhängen.“
Louis kicherte hinter mir. „Verzeih.“ Sagte er lediglich, doch ich hatte so das Gefühl, dass Louis es überhaupt nicht leidtat.
„Du bist Michellés engster Vertrauter. Niemand von uns allen, kommt so nahe, wie du an ihn heran. Also was würdest du tun, um Isles vor Michellé zu schützen. Oder generell, wie würdest du jemanden vor Michellé beschützen?“
„Ihn töten.“ Antwortete ich kurz angebunden. Das ist die einzige Möglichkeit, um jemanden vor diesem tyrannischen Abschaum zu beschützen.
„Oder ihn hinter den Kulissen verstecken.“ Schlug Louis plötzlich vor.
Hellhörig wandte ich mich zu meinem alten Partner um. „Wie meinst du das?“
„Wenn du willst, dass du deinen Stand nicht verlierst und dazu auch noch euer beides Leben beschützen willst, dann kannst du nichts anderes tun, außer du selbst zu sein und Michellé das zu geben, was er möchte, oder?“
Dem König das zu geben was er möchte, würde bedeuten, ihm das zu geben, was zur Zeit ich am liebsten hätte. „Du hast recht, Louis! Ich muss bloß das Offensichtlichste tun. Wenn ich Isles dem König überlasse, werden natürlich auch meine Bedürfnisse verschwinden. Ich bin der Lakai des Königs, sein allseits bekannter Schoßhund, ohne Gefühle, ohne Gewissen. Irgendwie muss ich diese Rolle vergessen haben. Aber jetzt... jetzt werde ich das wieder tun, Louis! Hat Michellé Isles, dann ist er glücklich und ich kann weiterhin mein Leben, als treuer Wächter leben. Das würde von uns dreinen das Leben erleichtern, insofern Isles mitspielt, aber das schaffe ich schon...“ Wieso ich da nicht sofort darauf gekommen bin? Vermutlich hatte mich die Sache mit der Markierung dermaßen aus meinem gewohnten Gebiet geworfen, dass es einige Zeit dauerte, bis ich begriff, was eigentlich zählte. Ich bin ein Überlebender! Ich habe meine Familie überlebt, unter Michellés Hand und ich werde auch Isles überleben! „So einfach ist das.“ Vor Erleichterung konnte ich nicht anders, als an meine Brust zu greifen. Dann wird auch bald dieses Gefühl verschwinden. Was für ein Glück!
Hinter mir sah ich, wie Louis sich an die Stirn schlug und erschöpft den Kopf schüttelte. Was stimmte denn nicht?

XXIII. Isles Skylander, endlich erwacht

Etwas Warmes, fast schon Heißes, lief meine Kehle hinab, lockte mich aus meinem wundervollen Traum heraus, doch ich wollte noch überhaupt nicht erwachen. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich viel zu lange nicht mehr geschlafen und nun weckte man mich viel zu früh. Kennt ihr das? Ihr seid einen ganzen Tag wach und dann fallt ihr nach vierundzwanzig, oder mehr Stunden ins Bett? Dann sickert ihr weg, werdet überschwemmt von Träumen, doch plötzlich denkt sich irgend so ein Trampel, dass ihr genug geschlafen habt? Aber euer Körper weigert sich, aus dieser tiefen Schlafphase zu kommen?
Genauso fühlte ich mich gerade eben. Ich wollte nicht erwachen. Weigerte mich stur, doch die Flüssigkeit in meinem Hals drängte mich dazu. Es erstickte mich geradezu und ich öffnete erzwungen die Augen. Jedoch alles was ich sah, war schwarz. Nichts erinnerte mich an irgendetwas und für einen Moment dachte ich, doch noch zu träumen. Befand ich mich etwa in einem Kerker? Die Wände wirkten kalt und nicht gerade vertrauenerweckend. Aber ich hatte auch nicht das Gefühl, als sollten sie >Gemütlichkeit< vermitteln.
Langsam wanderte mein Blick tiefer, denn ich erkannte etwas in meinem Augenwinkel. Da... Befand sich da etwa ein Schlauch in meinem Mund? Schläfrig bewegte ich mein Kiefer und tatsächlich! Da befand sich etwas in meinem Mund. Langsam drückte ich ihn mit der Zunge weg, doch das kratzte bloß im Hals. Als ich meine Hand an meine Lippen legte, um den Schlauch zu entfernen, bekam ich das Gefühl, als müsste ich jeden Moment erbrechen.
„Nicht hinaus ziehen, Schätzchen.“ Eine weibliche Hand legte sich auf meine und drückte sie sanft zurück an meine Seite. „Gutes Mädchen. Wenn du so weiter machst, bist du bald sogar stärker, als Gerard und kannst ihm für mich in den Hintern treten.“ Aurora zwinkerte mir verschwörerisch zu und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. Ihre goldblonden Haare streiften dabei meine Stirn und kitzelten an meiner Nase. Überraschenderweise roch sie gut. Fast, als besäße sie eine Art Parfum, wenn ich mich nicht täuschte. „Marta hat mir auch etwas frisches zum Anziehen für dich gegeben und stell dir vor! Du hast deinen eigenen Bereich, beim König! Ich bin ja so neidisch!“
Nur schwerfällig konnte ich ihren Worten folgen, denn sie ergaben überhaupt keinen Sinn für mich. Wer ist Marta? Und welcher Bereich, bei wem? Mein Kopf fühlte sich an, als hätte man ihn in Watte gepackt, damit er nicht kaputt geht, oder ihn äußerliche Einflüsse stören. „Oh, es ist leer. Warte, ich befreie dich davon.“ Vorsichtig rückte sie meinen Kopf zurecht, sodass mein Hals gestreckt wurde, dann zog sie den Schlauch, vorsichtig aus meiner Kehle.
Hustend rieb ich meinen beleidigten Hals, als der verdammte Schlauch fort war. „Wovon redest du?“ Fragte ich, und entdeckte einen weiteren Beutel, nach dem es mich bereits gierte.
Aurora fing meinen Blick auf und reichte ihn mir, damit ich daraus trinken konnte. „Von deiner Schlafphase! Hallo! Du bist drei Jahre alt und...“
„Stopp! Wie lange habe ich geschlafen?“
Aurora warf ihr seidiges Haar über die Schulter. „Über ein Jahr, ungefähr.“
Nur ein Jahr? „Ich sollte, doch zwei schlafen.“ Nicht, dass ich mich beschweren würde, es überraschte mich lediglich. „Oh, ja. Wir haben in einer Woche ein Fest, da musst du präsent sein.“ Sie sagte es so begeistert, als wäre es eine große Party, oder Ähnliches.
„Welches Fest und wieso muss dabei sein?“ Ich war alles andere, als zum Feiern aufgelegt.
„Natürlich, weil du die Prinzessin bist... so mehr oder weniger.“ Jetzt schien sie nicht mehr so begeistert zu sein, doch wenigstens fühlte sich mein Kopf nicht mehr gedämpft an. „Willst du tauschen? Ich würde ohnehin nichts Lieber, als von hier zu verschwinden.“ Mein Blick wanderte suchend durch den Raum, doch das, oder eher denjenigen, den ich suchte, fand ich einfach nicht. Hier befanden sich ausschließlich Aurora und ich. Das tat weh... ein wenig zumindest. Auch wenn er es versprochen hatte, hier zu sein, wenn ich erwache, hätte mir doch klar sein sollen, dass er es nicht sein würde.
„Das habe ich auch am Anfang gesagt. Dann habe ich aber realisiert, dass ich unsterblich und wunderschön bin. Zudem wohne ich in einem Schloss! Was wünscht sich eine Frau mehr?“ Mit einem unglaublichen Augenaufschlag zwinkerte sie mir zu und ich musste kichern.
„Ich verstehe, was du meinst. Jetzt zu dem Thema mit dem Bereich? Was war das noch einmal?“ Mein zweiter >Drink< war leer und ich fühlte mich schon viel besser.
„Soweit ich weiß, hat Gerard seinen Bereich, oben beim König, räumen müssen. Um ehrlich zu sein, habe ich ihn ohnehin immer bloß bei uns in den ersten Geschossen gesehen, trotzdem...“
„Stopp! Wo ist Gerard?“
Aurora zuckte mit den Schultern. „Was weiß ich? Sehe ich etwa so aus, als würde es mich interessieren?“ Oh, oh. Da habe ich wohl einen Nerv getroffen. Führte sie etwa so etwas wie einen stillen Krieg gegen ihn? Oder war sie eifersüchtig, da Gerard trotz seines jungen Alters, eine solch hohe Stellung bezieht? Vermutlich sollte ich keine voreiligen Schlüsse ziehen. Immerhin ging es mich ja auch überhaupt nichts an.
„Auch wahr. Weißt du, wo ich ihn finden könnte?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, am besten fragst du Louis, wenn er zurück ist.“
Dankbar ließ ich mir von ihr in frische Kleidung helfen. Wenigstens bekam ich dieses Mal eine lange Hose und ein, zu meinem Leid, eher eng geschnittenes Shirt. „Wieso sucht eigentlich Martha unsere Sachen aus?“ Fragte ich etwas gereizt, da ich keine Unterwäsche finden konnte. Wie peinlich! „Und wo finde ich Unterwäsche?“ Fragte ich ebenso frustriert.
„Sie ist beinahe die Älteste. Und sie besitzt einen tollen Sinn für Mode, also hat unser König sie als unsere Schneiderin und Stylistin eingeteilt. Sie ist eine wahre Künstlerin!“ Erklärte mir Aurora und drehte sich im Kreis, um mir ihr Kleid zu demonstrieren, welches ihr wirklich fabelhaft stand. Sie sah darin sexy und adrett gleichzeitig aus, beinahe wie eine Prinzessin. „Und wer braucht schon Unterwäsche? Zu meiner Zeit trugen Frauen nie Unterwäsche.“ Winkte sie ab und schob ihren Träger etwas zur Seite, sodass ich erkennen konnte, dass sie ebenfalls nichts für ihre Brüste trug.
„Überhaupt keine?“ Fragte ich verblüfft.
„Für was denn? Du hast einen echt knackigen Hintern und wohl geformte Brüste. Welche Größe hast du überhaupt.“ Ohne zu fragen kam sie auf mich zu und tastete einfach meine Brüste ab, während sie auf eine Antwort wartete.
„K-Keine... Also... Das ist nicht wichtig, wir sollten... Ich muss mit Gerard sprechen.“ Hoffentlich fand ich bis dahin, zumindest etwas für >obenrum,< ansonsten würde ich bloß noch mit verschränkten Händen durch das Schloss laufen. Das Shirt war so anliegend, man sah wirklich jedes Detail! Peinlich!
„Oh, eine Schüchterne, wie niedlich. Na, komm.“ Aurora nahm meine Hand in ihre, was mich wesentlich weniger störte, als wenn sie meine Brüste abmaß, und zog mich mit sich aus dem Raum. Vor Erleichterung seufzte ich, als ich im Erdgeschoss ankam.

Der erste Packt

Drei Tage durchgehend auf einem Pferd zu sitzen, war nicht unbedingt die Art, welche ich unter >Vergnügen< verstand. „Sir, wollen Sie eine Pause?“
Natürlich konnte ich mich kaum beschweren, die Männer, welche alle älter waren, als ich selbst, könnten mich als >schwach< ansehen. „Natürlich nicht. Reitet schneller.“ Obwohl der Trab der strapazierten Tiere fürchterlich an meinen inneren Beinmuskeln rieb und einige meiner Vampirbrüder frustriert stöhnten, beschleunigten wir unser Tempo. Noch vor Tagesanbruch erreichten wir ein kleines Dorf, welches bereits aus seinem Schlummer erwachte.
Mehr als erleichtert, stieg ich ab und klammerte mich an den Rücken des Pferdes, damit meine, beinahe blutleeren Beine nicht sofort nachgaben. Es dauerte keine Minute und schon war ich wieder fit. Sechs meiner Vampirbrüder hatten sich im Wald versteckt, zusammen mit unseren fast aufgebrauchten Blutspendern. Gestern erst sind uns drei verstorben, somit blieben bloß noch fünf übrig. Mit ihnen konnten wir es kaum bis zum Wohnsitz meiner Mutter schaffen. Unser Weg hatte fast einen gesamten Mond gekostet, hätten wir keine menschlichen Spender dabei gehabt, wären wir natürlich um einiges schneller gewesen. Mit ihnen mussten wir uns jedoch ihrem Tempo anpassen.
„Seid ihr zum Handeln hier?“ Fragte ein alter, gebückter Wirt.
Ich nickte zwei meiner Wächter zu. Dieser Mensch sah gesund aus, auch wenn er vor Scheiße und Urin bloß so stank. Das taten sie jedoch alle. Von nebenan hörte ich, wie sich eine Frau rührte, offenbar war sie gerade mächtig am Werk. Na wenn das so ist... „Vergnügt euch mit dem Dorf, gegen Sonneuntergang brechen wir wieder auf.“
Natürlich hörten dies meine Vampirbrüder vor der Hütte genauso und schon Sekunden darauf, brach der erste Schrei los. „Lasst niemanden am Leben, außer er ist kräftig genug.“ Ich selbst ging hinter die Theke und stieß die alte, klapprige Türe auf. Ein recht gesittet wirkender Mann, ich vermutete, ihm musste ein Geschäft hier irgendwo in der Nähe gehören, zog seinen Schwanz erschrocken aus der Hure heraus und funkelte mich wütend an.
„Siehst du nicht dass ich beschäftigt...“ Gierig, denn dies war der erste Blutspender, seit Tagen, der nicht ganz so widerlich roch, stieß ich meine Fangzähne in seine Kehle, wodurch er an seinem eigenen Blut erstickte, während ich es genüsslich aussaugte. Schreiend sprang die Hure auf, welche dem Dicken von der Bar unheimlich ähnelte, schrie erschrocken, doch es bedurfte bloß einen Schlag und ihr Kopf schlug unsanft gegen die Wand. Benommen sank sie ins Bett zurück, in dem sie eben noch billige Stunden verbracht hatte.
Als ich mit ihm fertig war, nahm ich mir sie vor. Schreiend versuchte sie, vor mir zu fliehen, als sie erkannte, was ich mit ihr vorhatte, doch gegen mich hatte sie keine Chance. Nicht eine einzige.
Auf fiele Arten befriedigt, fand sich meine kleine Gruppe, mit knapp zwanzig Gefangenen ein. Alle ängstlich, halbwegs gesund und kräftig genug, um mehrere Tage zu überleben. „Sperrt sie ein, es geht weiter.“ Zwei Yak zogen einen Karren, in welchem unsere >Nahrung< gesperrt war. Sie wimmerten jämmerlich und bettelten einzelne meiner Soldaten um Gnade an, doch wurden kein einziges Mal erhört. Täglich starben welche, an Hunger, Kälte, oder eben am Blutverlust. Wenigstens schafften wir es nun nach Hause.
„Ihr seid Spät.“ Wurden wir einige Tage später, am Schloss meiner Mutter begrüßt. Vor Kurzem hat sie einen jungen Königssohn verführt, benutzt ihn als ihre Quelle und beschenkte uns mit Reichtum. Natürlich war ich mittlerweile zu alt, als dass sie mich als ihren Sohn ausgeben konnte, daher spielte ich die Rolle ihres Bruders. Liebevoll küsste ich sie auf beide Wangen.
„Der Weg war weit, Schwester. Aber wir haben viel Fell mitgebracht.“
Einer der Vamprikrieger, zog einen kleineren Karren, wo gut hundert Wolfsfälle darauf gebettet und geschützt vor der Witterung lagen.
„Oh, sehr hübsch.“ Jedes Einzelne besah sie sich genau, überprüfte welches vom wahren Wolf und welches aus einem Mischling bestand. Zum Schluss wirkte sie sehr begeistert. „Es gibt ein großes Mahl, mein Mann veranstaltet ein Fest zu unserem Ehren, da nun selbst die Bettler genug Felle besitzen.“
Ich verabschiedete mich damit, ein Bad nehmen zu wollen, doch eigentlich verschwand ich still und heimlich aus dem dritten Stock und lief direkt in den Wald hinein. Meine Mutter war zurzeit so stark in ihre Pflichten, als Königin eingesponnen, dass sie zu meinem Glück, komm noch ihr all sehendes Auge auf mich richtete.
Viele Kilometer lief ich in den Wald hinein. Ich weiß, als ein so junger Vampir, wie ich, mit kaum sechshundert Jahren, sollte ich mich nicht in die Wälder der Werwölfe wagen, doch ich konnte einfach nicht anders. Es zog mich schon immer dorthin. Ich liebte deren Freiheit, zu laufen, zu springen... zu jagen! Es gab fast nichts befreienderes, nachdem man so lange das Tempo eines jämmerlichen Menschen hatte benutzen müssen.
Da! Ein Wasserfall! Aus einem Grund, den ich noch nicht einmal nach über viertausend Jahren verstehen würde, fand ich mich auf einem großen Berg wieder. Die Geräusche des Wasserfalles, wie sich der Mond zwischen den Wellen brach und das Glitzern der Sterne über dem schwarz gefärbten Wasser, lockte mich geradezu zu sich. Mit einem Jubelschrei sprang ich hinab, schnellte durch die Wasseroberfläche und tauchte so tief, bis mir die Glieder schlotterten.
Lachend vor Freude, kam ich wieder nach oben, holte Luft um den entwichenen Druck auszugleichen, dann trieb ich bloß noch auf dem Rücken, bis mich die sanften Wellen, nach Stunden, oder waren es sogar endlos finstere Tage, welche es dauerte, ans Ufer trieben?
Eines hatte ich jedoch nicht Beachtete gehabt. Und zwar das Ufer. Weder hatte ich sie kommen gehört, noch roch ich sie. Sie roch wie der Wald, war dreckig von den Zehen bis zur Nasenspitze, doch ihr schneeweißes Haar, welches in Wellen über ihren gesamten Körper glitt, wirkte vollkommen rein.
Neugierig hob sie ihre Nase und witterte. Das war der Moment, in dem ich erkannte, dass dies keine >Frau< war. Nein, sie war viel mehr, viel gefährlicher und doch... so unschuldig.
„Du riechst wie ein Mensch, du siehst aus wie sie... aber du bist vollkommen anders. Was bist du?“
Immer noch fasziniert von ihrem Körper, wie er da am steinigen Ufer saß und mich mit schräg gelegten Kopf musterte, dachte ich überhaupt nicht daran, sie anzugreifen, bevor sie die Chance dazu bekam. „Du bist dreckig wie die Erde, riechst wieder Wald, aber hast Haar wie Schnee. Wer bist du?“ Fragte ich entgegen.
Ich konnte schwören, dass die Frau mit ihren Ohren wackelte, doch konnte es auch bloß eine nächtliche Täuschung gewesen sein.
Ihre gelben Augen musterten meinen Körper, dessen Kleidung vollkommen durchnässt anlag. „Man nennt mich Göttin. Ich bin die Gebieterin des Waldes, doch so ein Geschöpf kenne ich nicht.“ Sie legte ihren Kopf auf die andere Seite, wobei mir nun ihre zugespitzten Ohren auffielen. Sie musste wahrlich unfassbar reinrassig sein, wenn sie sogar in menschlicher Gestalt Züge eines Wolfes aufwies. Das war das erste Mal, dass ich so etwas gesehen habe.
Wenige Meter entfernt, ging ich in die Hocke, gefährlich nahe für jemand jungen wie mich, doch war das letzte, was ich fühlen konnte Furcht. „Du bist wahrlich eine Göttin.“ Stimmte ich zu. Vermutlich hatte sie diesen Namen von den Dorfbewohnern, oder fahrenden Händlern und Jägern erhalten. In ihrer wahren Gestalt musste sie riesig und wunderschön sein. Im Gegensatz zu dieser Gestalt, wo sie zart und unschuldig wirkte.
Sie saß im Schneidersitz, doch als sie sich vorbeugte, um noch einmal einen tiefen Atemzug zu nehmen, kam sie auf ihren Händen auf und bloß ihr Haar bedeckte noch ihren Körper. Spätestens jetzt sollte ich ihr das Gesicht zerfetzen, ihr die Kehle herausreißen, oder einen wichtigen Knochen zertrümmern, damit ich fliehen konnte. Aber das wollte ich nicht. Ich schämte mich alleine schon dafür, überhaupt darüber nachzudenken. „Ich bin ein Vampir. Dein größter Feind.“
Sie schmunzelte begeistert, als hätte ich ihr gerade gesagt, ich würde sie mit Reichtum überschütten. „Wie wunderbar. Ich habe so viele, welche sagen, sie sind meine Freunde, oder mein Rudel. Aber einen Feind habe ich noch nicht.“
Ich musste willkürlich kichern. „Einen Feind zu haben, ist nicht gerade etwas Gutes. Einen Feind muss man hassen und ihn töten wollen.“
Gelangweilt plumpste sie auf ihren Hintern und gähnte mit weit aufgerissenen Mund. Erstaunt sah ich ihr zu, denn noch nie in meinem Leben, hatte ich eine so ungesittete Frau gesehen. „Schade, ich dachte, das sei etwas Interessantes.“ Als wäre sie ein kleines Kind, rollte sie einfach zur Seite und kippte mit dem gesamten Körper in den Sand.
Ich dachte, sie hätte irgendetwas, daher lief ich sofort auf sie zu und legte meine Hände an ihre Schultern, doch sie streckte sich einfach nur, wie es ein Wolf tun würde. „Mir ist so langweilig Vampir. Unterhalte mich.“
Ungläubig schüttelte ich den Kopf, doch ließ mich ebenso in den Sand sinken. „Soll ich dir eine Geschichte erzählen?“
Sofort wieder neugierig geworden, hob sie ihren Kopf und strahlte regelrecht. „Ja! Bitte. Ich liebe Geschichten. Sonst erzählen mir bloß alte Leute welche, wenn sie im Kopf krank sind und nicht erkennen, dass ich Göttin bin.“
Jetzt erkannte ich erst, dass sie tatsächlich dachte, ihr Name sei Göttin. Trugen Werwölfe denn überhaupt Namen? Über so etwas hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht, doch in den nächsten Stunden, als ich ihr über meine Art erzählte, wie Vampire erschaffen wurden und das die Werwölfe unsere einzigen natürlichen Feinde sind, so wie die Menschen unsere Beute, dachte ich noch über viele hundert andere solcher banalen Dinge nach.
Ich erzählte ihr bis zum Morgen Geschichten, so wie sie es sich wünschte, während sie scheinbar gemütlich auf meinen Beinen lag, mit ihrem halben Oberkörper und gespannt lauschte. Nun, da sie mir so nahe war, konnte ich tatsächlich ihren eigenen, recht unterschwelligen Duft erkennen. Kein Wunder, dass wir nicht wussten, dass sie schon lange hier lebte. Sie bewegte sich geräuschlos, als ich wieder in den Fluss stieg, um mich zu waschen, denn mit ihrem Geruch an mir, konnte ich kaum vor meiner Mutter erscheinen. Ich bemerkte nicht einmal, dass sie verschwand, oder gar wohin. Keine Fußabdrücke, kein Geruch, nicht einmal das kleinste Geräusch verursachte Göttin. Fast so, als hätte ich sie mir bloß eingebildet. Hätte ich nicht ein einzelnes langes weißes Haar am Ufer gefunden, hätte ich mich wohl für verrückt erklärt.
Im Nachhinein betrachtet... musste ich wohl zugeben, dass ich selbst Schuld an dem Dilemma zwischen meiner Mutter und den Werwölfen bin. Zumindest wusste ich es ein paar tausend Jahre später, wesentlich besser.
„Kommst du wieder, wenn der Mond am höchsten steht?“
Erschrocken schrie ich zum ersten Mal, in meinem erwachsenen Leben auf. Ich konnte sie nicht sehen, noch schien ihre Stimme von irgendeiner Richtung zu kommen. Viel mehr hörte es sich an als... würde der Wald selbst mit mir sprechen. „Ich kann es versuchen, doch nicht versprechen.“
„Kommst du wieder mit neuen Geschichten?“ Fragte sie stattdessen.
Ich lächelte vor mich hin. „Lass dich überraschen.“ Für einen Moment fühlte es sich so an, als würde der Wald selbst, belustig schnaufen, mein blondes Haar wurde mir ins Gesicht gepeitscht, dann... war plötzlich alles vorbei. Ich wusste, sie ist fort, doch wohin?
Als ich zurückkam, war natürlich die Feier meiner Mutter vorbei. Ich hatte sie verpasst und für was? „Wie kannst du es wagen?“ Eine wütende Faust traf mich, noch bevor ich überhaupt aus dem Wald trat.
Erschrocken blickte ich vom Boden aus, in die dunklen Augen meiner wahren Mutter. „Wo warst du? Wieso siehst du aus, als hättest du die Nacht in einem dreckigen Fluss verbracht und wieso in zum Teufel noch eins, warst du nicht auf der Feier letzte Nacht?“
Ich kam wieder auf die Beine, log das blaue vom Himmel und kroch wortwörtlich vor ihr. Wenn sie wütend war, konnte sie einem mehr als bloß Angst machen. Ihre Schläge, welche brutaler waren, als von einem Bären attackiert zu werden, raubten mir nicht bloß den Atem, sie verhinderten, dass ich zum nächsten Mondaufgang hinaus in den Wald konnte. Meine Brüche benötigten Stunden, bis sie verheilt waren, da ich gerade so viel Blut erhielt, um nicht dem Wahnsinn zu verfallen. Es fühlte sich an, als würde ein halber Mondzyklus vergehen, bis ich endlich wieder aus meinem Zimmer kommen konnte.
Natürlich wurde gelogen, wie so oft in meinem Leben, das ich krank gewesen sei, vom vielen Reisen. Meine Mutter ließ mich keine Sekunde aus den Augen, genauso wenig wie ihre Kinder. Durch Blut erschaffen, folgten sie ihr überall hin, führten jeden Befehl aus und töteten sich lieber selbst, als auch nur einen Kratzer ihre weiße Haut berühren zu lassen.
Die Stunden, in denen ich nicht von meiner Mutter persönlich >bewacht< wurde, sie behauptete ja, sie wolle Zeit mit ihrem einzigen Sohn verbringen, diese verbrachte ich vor dem Fenster. Mein Blick glitt über die weiten Wälder hinab, welche sich auf der einen Seite befanden, der Rest des Schlosses war direkt aus einem Berg heraus gebaut und darunter lag eine der prächtigsten, so wie berüchtigten Städte.
An einem stürmischen Tag, an dem selbst die Vampirkinder meiner Mutter viel helfen mussten, unten in der Stadt, so wie im Schloss selbst, erhaschte ich einen Augenblick. Es war ein Flüchtiger, doch ich ergriff ihn und kletterte so schnell den steilen Berg hinauf, dass niemand, außer er ist selbst ein Vampir, mich sehen konnte. Mehr als einige Minuten hatte ich nicht, um von den Blicken meiner >Wächter< verschont zu sein, daher war ich motivierter genug. Der Nebel, welcher sich bereits niedergelegt hatte, bot mir ausreichend Schutz, um selbst an den Außenposten vorbei zu hetzen.
Ich wusste nicht genau weshalb. Vielleicht kam ich in eine rebellische Phase? Vielleicht aber auch, war ich das Machtwort meiner Mutter einfach leid? Wer wollte schon achthundert Jahre, unter der tyrannischen Macht seiner eigenen Mutter leben? Doch an diesem Tag entschied ich, die Flucht anzutreten. Meine Beine trugen mich verlässlich, auch wenn ich dabei riskierte, zu viel meiner noch verbliebenen Kraft aufzubrauchen. Ich lief, zumindest fühlte es sich an, wie viele Kilometer, bis ich zu einer heruntergekommenen Hütte kam. Deren Bewohner, eine alte Frau und ein jüngerer Mann, saßen sich gegenüber. Sie schien es nicht zu stören, im Nebel zu sitzen, und hörten mich überhaupt nicht kommen.
Zuerst stürzte ich mich auf den Jungen. Er war sofort tot. Danach nahm ich mir die Alte vor, welche offenbar in auf ihren Stuhl gefesselt war, nicht weglaufen konnte und in dicke Felle gewickelt war. Ich bezirzte sie, damit sie nichts fühlte, während sie starb. Dann setzte ich meine Hand an ihr Herz, doch wagte es nicht, es herauszureißen. Sie ist alt, wirklich überraschend alt, sie würde sich nicht mehr verwandeln. Der Junge jedoch, hatte gesund gewirkt. Jedoch schien er Probleme mit seinen Händen zu haben, denn er hatte vor seiner Großmutter, oder Mutter ständig herumgewedelt. Ihm riss ich es heraus, jedoch kratze ich dabei über seinen Brustkorb, damit es aussah, wie der Überfall eines Wolfes. Erst als ich seine Organe ausgeweidet hatte, damit mein Markenzeichen mit dem Herzen, nicht so sehr auffiel, erkannte ich meinen Fehler. Die ersten Anzeichen von Werwölfen, würde Mutter sofort erkennen und Göttin ist einer. Erschrocken blickte ich mich um. Vielleicht konnte ich sie irgendwo verscharren? Irgendwo, wo Menschen sie nicht finden würden? „Wieso hast du die beiden getötet?“
Erschrocken fuhr ich herum und da stand sie. Schneeweiß, gehüllt in ihr Haar, betrachtete sie mit zusammen gekniffenen Augen das Blutbad zu meinen Füßen. Schwer atmend, funkelte ich ebenso wütend zurück. „Das ist deine Schuld! Sie hat... Sie hat mich, als Strafe, beinahe aushungern lassen.“ Nicht dass sie es jemals tun würde, denn dazu liebt sie mich einfach zu sehr. „Ich musste die beiden töten, um mich am Leben zu erhalten.“
„Also sind Menschen... dein Wild? Du bist ihr Jäger?“
Fauchend entblößte ich meine Fangzähne. „Ich bin ihr Albtraum! Der Schatten der sie nachts verfolgt, sie quält und ängstigt, bis sie schreiend sterben!“ Ich schrie wild durch den Wald.
Wieso wollte sie es denn nicht verstehen? Sie ist ein Werwolf. Mein Feind! Sie müsste mich hassen, mich attackieren... mich erlegen. Ich fühlte heiße, blutrote Tränen über meine Wangen sickern und fiel erschöpft zu Boden. Nicht körperlich, sondern geistig. Mein Geist weigerte sich einfach, noch weiter zu machen, weiter zu gehen, denn das sollte ich, wenn ich nicht gefangen werden möchte.
„Das machen Vampire? Sie ängstigen und jagen Menschen?“
Ich schüttelte den Kopf. „Wir sind die Monster in den Schatten, Göttin. Wir sind dein schlimmster Feind und du solltest mich hassen, mich töten wollen. Das...“ Ich deutete auf die beiden Toten. „...ist nicht einmal der Anfang von den Gräueltaten, die ich begangen habe, die meine Sippe, meine Familie, begangen hat.“
Unendlich langsam, als wäre sie bloß ein feiner Windhauch, kam die Wölfin auf mich zu und beugte sich so tief zu mir herab, dass ihre weichen Haare über meine eigenen Schultern fielen. Mein Herz begann unnatürlich schnell zu schlagen, als würde es in eine Art Rausch geraten und plötzlich schien meine gesamte Welt bloß noch aus Schnee zu bestehen. Das Element, das ich am meisten zu fürchten hatte, denn es raubte mir, ohne dass ich etwas tun musste, meine Energie.
Unerwartet schnellte ihre Zunge hervor und sie leckte von meinem Kinn, bis unter mein Auge, die Linie auf, welche meine Blutträne hinterlassen hatte.
„Ich hasse die Stadt, Vampir. Wenn du also der Albtraum aller Menschen bist, würdest du sie für mich aus meinem Wald werfen?“
Mehr verblüfft, als schockiert, betrachtete ich ihr feines Gesicht. Überall, von ihrem Gesicht, bis zu ihren Zehen, zeichneten sich feine Narben ab. Manche schienen frischer zu sein, andere weniger.
„Wenn du mir versprichst, dass ich dich immer im Wald finden darf, wann immer ich kann, dann werde ich diese Stadt mit meinen eigenen Händen abtragen.“
Schmunzelnd legte Göttin ihren Kopf schräg. „Dafür bekomme ich jedes Mal eine Geschichte zu hören.“ Damit war unser erster Pakt beschlossen. Oder sollte man eher sagen, der erste packt zwischen Werwolf und Vampir?

XXIV. Isles Skylander, will frei sein

Während wir durch das Schloss schritten, schien Aurora kaum noch aufhören wollen zu sprechen. Aus einem Grund, den ich nicht ganz nachempfinden konnte, musste sie alles kommentieren, oder erklären. Jedoch unterbrach ich sie kein einziges Mal, denn dadurch lernte ich ein wenig das Schloss durch ihre Augen zu sehen. Anscheinend arbeiteten überhaupt nicht alle Vampire, des Königs, im Schloss, was mich überraschte. Viele übten normale Jobs aus, saßen in den Gerichten, Anwälte, oder führten großräumig bekannte Modelabel und die verschiedensten Lokale. Im Großen und Ganzen konnte man sagen, dass gesamte Land, also ganz Frankreich von den Tobonneau geführt wurde. Natürlich unter falschen Namen, falscher Identität und einem wahren Gespann aus Lügen.
„Das heißt, dann wohl, dass wir richtig gute Politiker sind.“
Aurora kicherte. „Das ist wahr, aber in die Politik der Menschen mischt sich ausschließlich Michellé ein. Er ist älter, als wir alle, bei weitem. Die ältesten unter uns sind gerade einmal zweitausend Jahre alt, doch sie sagen, Michellé fühle sich mindestens doppelt so alt an.“
Erstaunt klappte mir der Mund auf. Was musste man wohl mit viertausend Jahren schon alle gesehen und erlebt haben? Ob ich auch, irgendwann einmal, so alt werden könnte? Ich bezweifelte es stark. „Ich kann mir nicht vorstellen jemals so alt zu werden.“ Jammerte ich.
„Logisch, du bist ja auch erst drei Jahre alt.“ Kicherte Aurora, als wir in den zweiten Stock kamen.
„Ich bin neunzehn... Ich meine, zwanzig Jahre alt!“ Beschwerte ich mich halblaut. Ich hasste es, ständig als >Zweijährige< oder nun als >Dreijährige< bezeichnet zu werden. Das war irgendwie nicht richtig!
„Ach, mach dir nichts daraus. Spätestens, wenn du fünfzig Vampirjahre alt bist und noch immer aussiehst, wie siebzehn, akzeptierst du dein profitables Leben.“
Zweifelnd warf ich ihr einen Seitenblick zu, den sie jedoch nicht bemerkte, da sie jemanden grüßen musste. Liebevoll küsste sie den Vampir auf die Wange und sprach für einen Moment in einer Sprache mit ihm, welche ich nicht... noch nicht, konnte. Der Mann war größer, als Gerard und galt nun offiziell zu den größten Männern, die ich jemals gesehen habe. Verwandelt musste er mit knapp dreißig Jahren worden sein und sein tiefschwarzes Haar, hing ihm bis zur Mitte des Rückens. Auch seine Haut war dunkler, wenn auch nur wenig, als meine, worauf ich schloss, dass er eine dunklere Hautfarbe gehabt haben muss, als er noch ein Mensch gewesen war.
Als er seinen Kopf wandte und hinauf deutete, sah ich eine rotbraune Feder zwischen seinem teilweise geflochtenen Haar aufblitzen. „Gut, ich sage es ihr.“ Damit verschwand der recht stumme Indianer, beinahe als würde er sich in Luft auflösen.
„Der Arme. Er gibt einfach nicht auf.“
„Er ist Indianer, oder?“
Aurora nickte bestätigend. „Und seinem Volk bis heute treu ergeben, auch wenn es bereits seit Jahrhunderten ausgestorben ist. Er kommt aus Amerika und dient unserem König seit neunhundert Jahren. Keine Ahnung was genau seine Aufgabe ist, jedoch sieht man ihn selten hier oben. Nur, wenn er zu seiner Angebeteten möchte.“ Grinste sie und wackelte verwegen mit ihren dünn gezupften Augenbrauen.
„Wen meinst du?“ Wollte ich sofort, neugierig geworden, wissen.
„Natürlich unsere allseits geschätzte und noch immer ledige Spanierin.“
Ich dachte fieberhaft nach, wen sie meinen könnte? Doch die einzige welche definitiv eine Spanierin sein musste, war „Francesca?“ Fragte ich unsicher.
„Natürlich, wir haben ja bloß zwei. Sie und Martha.“
Ich hob die Hand. „Moment! Sind die beiden ein Paar?“
Mitleidig verzog Aurora ihre Lippen. „Nein, leider nicht. Beliov gehört nicht unbedingt zu den redseligsten Männern und wenn es um seine Zuneigung zu ihr geht, ist es so, als würde er gegen eine Stahlwand laufen. Francesca schimpft bloß über ihn und behauptet seit einhundert Jahren, dass es >nicht so sei, wie wir alle denken<, doch sind wir einmal ehrlich! Welcher männliche Vampir kauft sich schon von seinem Clan frei, lässt sich den bei weitem bescheidensten Job geben und das alles, bloß weil ihm gerade danach war? Sie will es einfach nur nicht sehen und dabei sagte ich ihr bereits mehr als einmal...“
„Halt, nicht so schnell Aurora. Mann kann sich von seinem Clan freikaufen?“ Gerard hatte mir doch erzählt, dass sich höchstens eine Weibliche freikaufen kann, wenn sie ihren Gefährten wo anders gefunden hat.
„Natürlich, wenn man seinen Gefährten wo anders gefunden hat. Jedoch muss das Band bereits bestehen und meist geht es dabei, um eine sehr hohe Summe, welche man sich von seinem Meister leiht und dann abarbeitet.“
„Davon habe ich gehört, ja. Aber das gilt auch für Männer?“
Aurora zuckte mit den Schultern. „Beliov hat, auch wenn er nicht danach aussieht, ein überraschend gutes Händchen für Geld. Wie er die Summe selbst aufgetrieben hat, weiß ich nicht. Jedenfalls hat er sich selbst an unseren König verkauft. Jedoch, da er noch kein Band zu ihr schließen konnte, muss er ganz unten arbeiten und das... ist in diesem Fall wortwörtlich zu nehmen.“
„Das bedeutet, ich könnte mich auch freikaufen? Also, mich selbstständig machen, oder...“
Aurora begann schallend zu lachen. Überrascht blieb ich stehen und blickte sie fragend an, während sie eine Träne aus dem Augenwinkel strich und sich den Bauch hielt, wobei ich mir bei diesem Lacher vorstellen konnte, dass jedem anderen die Ohren wehtaten. Zumindest war es in meinem Fall so. Diese Frau hatte ein... überraschendes Organ! „Du?“ Fragte sie, in einer Sprache, die ich nicht kannte, doch da sie auf mich zeigte und noch einmal auf Französisch und noch zwei Sprachen wiederholte, zumindest dachte ich dies, musste ich nicht nachfragen.
Etwas beleidigt verschränkte ich die Arme vor meinem viel zu entblößten Brustkorb. „Was ist denn daran so verkehrt?“ Wütend funkelte ich sie an, doch der Vampir bekam sich kaum noch ein.
„Du... Du... Du willst...“ Offensichtlich erkannte sie, langsam, dass ich überhaupt nicht Mitlachte und beruhigte sich... sehr, sehr langsam. „Oh, Schätzchen. Weißt du, was das letzte Mal passiert ist, als ein Vampir >selbstständig< wurde?“ Fragend zog ich meine Augenbrauen hoch, denn ich hatte ganz ehrlich keine Ahnung. „Das war 1939 und es gab weit über sechzig Millionen Tote. Er war... wirklich toll mit überraschenden Wendungen... aber auf eine solche Wiederholung haben eher die wenigsten Lust. Besonders, da Atomwaffen sogar uns schaden können. Und verstrahlt möchte ich wirklich nicht den Rest meines Lebens sein.“
Vor Schock klappte mir der Mund auf. Damit hätte ich ernsthaft niemals gerechnet.

XXV. Louis Tobonneau, der ratlose Freund

„Das wird nicht funktionieren.“ Wiederholte ich zum dritten und gefühlt dreißigsten Mal.
„Weshalb nicht? Ich habe seit zwanzig Jahren keine Frau mehr angesehen. Eine Woche und dann habe ich von >allen< genug.“ Ich verdrehte die Augen, denn wenn ich daran dachte, dass so etwas bei mir tatsächlich funktioniert hatte, zumindest vor sechs Jahrhunderten noch, so reichte heute keine mehr an meine Manon heran.
„Was hast du noch?“ Meine Beine hatte ich auf die Lehne meiner Couch gebettet, wofür mich meine Frau ausschimpfen würde, wenn sie es sähe. Zum Glück war sie in der Stadt, mit ihren Freundinnen, shoppen.
„Das Einzige was mir einfällt, ist sie zu meiden. Etwas anderes kann ich nicht tun.“
Nun setzte ich mich doch auf und blickte meinem herumtigernden Freund hinterher. „Ich sage es nur sehr ungern, besonders da ich Gefahr laufe, nun den Kopf abgeschlagen zu bekommen, doch du bist ein Idiot.“
Gerard blieb stehen und blickte mich durch seine hellgrünen, undurchdringbaren Augen an. „Ich hasse dich. Du bist so nützlich wie ein Stein.“
Seufzend ließ ich mich zurücksinken, als er seinen Weg abermals aufnahm. „Ich sage das bloß, als dein bester Freund, Gerard.“
„Wir sind keine Freunde.“ Bekam ich zurück, in einem solch monotonen Tonfall, dass ich wusste, er log. Wir sind seit Jahrhunderten Freunde, auch wenn er es nicht zugab. Ich hatte Gerard damals erst kennen gelernt, da war er gerade einmal zehn Jahre alt. Ohne allzu große Mühe hatte er damals zwei fünfzigjährige Vampire und einen Hundertzwanzigjährigen besiegt. Dabei kam er nicht einmal aus dem Atem. Sofort habe ich mich an seine kühle und abweisende Art gewöhnt, wobei andere ihm lediglich den nötigen Respekt zollten. Wir alle wussten, weshalb er so schnell so stark wurde, doch dank der Erziehung von >Mutter< hatten wir uns bloß langsam an den Gedanken mit den Wölfen gewöhnt. Zwar wusste ich, als persönlicher Wächter von Michelle, bereits länger von seinem Hobby, doch seine Mutter war ihm noch nie auf die Spur gekommen. Weshalb Mutter die Werwölfe so sehr hasste, wussten wir nicht, hatte uns auch nicht zu interessieren. Jedoch jeder der unser Land, oder generell Europa betrat, wurde auf der Stelle getötet.
Ihr Sohn wiederum, war das völlige Gegenteil. Zwar hatte er sich niemals interessiert an uns, oder an Frankreich gezeigt, doch als Mutter verkündete, sie wolle tausend Jahre schlafen, wachte er aus einer Art... Starre auf. Oder wie auch immer man dies nennen sollte. Ich wusste zwar nicht, weshalb sich Michellé so zurückgezogen hatte, doch dass er nun doch aktiv etwas unternahm, freute mich für ihn. Er schien... glücklicher geworden zu sein, besonders mit seinem Werwolf-Hobby.
„Doch das sind wir.“ Griff ich das Thema nach kurzem Schweigen auf. „Aber ihr habt euch markiert, du weißt, was das heißt...“
„Sie ist nicht meine Frau und wird es auch niemals sein! Bloß über meine kalte erstarrte Leiche!“ Fauchte Gerard so wütend, dass ich bereits Angst bekam, irgendetwas würde gleich splittern.
„Das wiederholst du seit Monaten, aber heute wurde sie erweckt. Du kannst ihr diese Tage vielleicht ausweichen, aber in wenigen Wochen ist der Vampirball. Spätestens dann wirst du ihr über den Weg laufen und ihr werdet euch ansehen, oder miteinander sprechen müssen. Es wird überhaupt nicht anders gehen, Gerard.“
Ich hörte ihn begeistert auflachen, was eher gruselig klang. Zumindest für mich, da ich Gerard niemals lachen gehört hatte. „Das ist es! Du bist wie immer ein Genie, Louis. Du siehst immer den einfachen Ausweg, welchen ich nicht sehe.“ Noch bevor ich mich aufsetzen und nach seiner >grandiosen< Idee fragen konnte, hörte ich die Haustüre zuknallen und ich war alleine in der Wohnung.
„Oh, Gerard...“ Murmelte ich den Raum. Wieso konnte er nicht wie wir alle anderen sein und seinem Schicksal einfach in die Augen sehen? Vor einer Markierung konnte ein Vampir nicht davon laufen. Beide waren, wie Magneten die sich ständig anzogen. Mit den Stunden und Tagen wurde diese Anziehung immer fester und anstrengender dem entgegenzuhalten. Dies ging so lange, bis beide Magneten durch Zufall zu nahe zueinander kamen, dann würden sie aufeinander krachen, wie zwei aufeinander zusteuernde Planeten.
Bloß ein einziges Mal, hatte Michellé mich nach Amerika geschickt, für diplomatische Verhandlungen. Dies war vor dreißig Jahren gewesen. Er dachte, da wir bereits so lange zusammen sind, müsste es ohne Probleme gehen, doch dann blieb ich ein Jahr lang fort, gegen meinen Willen. Bis Gerard mich fand... nun ja... Sagen wir, nachdem Manon und ich uns einen ganzen Monat in unsere Wohnung zurückgezogen hatten, kam einige Monate später unser erster Sohn zur Welt. Zwei weitere folgten in kurzer Folge darauf.
Vielleicht wurde es ja bald Zeit für einen Weiteren? Ich wusste ja, wie glücklich Manon diese Zeit machte, von der Schwangerschaft bis hin zur Geburt. Sie strahlte so einmalig, wie niemand sonst und ging völlig in ihrem Element auf. Ab einem bestimmten Alter jedoch, setzt auch bei Vampirkinder der Drang nach Blut ein und sie verhielten sich, wie frisch verwandelte. Alles in allem kamen sie ja auch völlig normal zur Welt. Eine Frau trug sie neun Monate unter ihrem Herzen, dann wuchsen sie zehn bis fünfzehn Jahre ebenfalls menschlich auf und besuchten Schulen. Aber zum Schluss... Sobald die Pubertät einsetzte, kam auch der erste Blutdurst. Man hatte dann bloß noch wenige Tage, bevor sie eingesperrt werden mussten, um niemanden zu schaden. Gegen so einen Blutdurst hatte nicht einmal ein Erschaffer viel zu sagen.

XXVI. Isles Skylander, die Nachbarin des Königs

Nun stand ich da. Unwissend was als Nächstes kam, oder gar, wie ich mich verhalten sollte. Unsicher blickte ich mich in dem völlig leeren Raum um. Gerard hatte wirklich >alles< ausgeräumt. Es hingen keine Bilder mehr an den Wänden, keine Stühle, keine Tische, nichts mehr. Nun, ja die Badezimmermöbel hatte er gelassen und natürlich den Staub. Gegen meinen Willen musste ich lächeln, als ich an seine eilige Aufräumaktion dachte. Da hatte er auch wirklich zu süß ausgesehen...
Halt! Stopp! Völlig falsche Richtung!
Aurora hatte versprochen, jeden Moment mit Möbelkatalogen zurück zu sein, daher dachte ich darüber nach, was ich wohl jetzt tun könnte? Es stand noch immer der alte Staubsauger, so wie Besen und Schaufel neben der Türe, als hätte er es zur Erinnerung dort hingestellt. Kurzerhand nahm ich den Besen und kehrte zu aller erst alle Ecken aus. Mit einem Handtuch, welches ebenfalls noch im Badezimmer gewesen war, wischte ich den Staub von allen Oberflächen und begann dann zu saugen, bis Aurora eintraf.
„Wow, das sieht ja gleich viel besser aus.“ Lobte sie und hinter ihr erschienen zwei andere Frauen. Chloé erkannte ich sofort, die blondhaarige fiel mir auch sofort um den Hals und küsste mich schwesterlich auf die Wange.
„Wie schön dass es dir gut geht. Und willkommen in unserem Blondinen Club.“ Überrascht stellte ich fest, dass tatsächlich die meisten hier Blondinen waren. Nur Manon besaß schwarze Haare und Lucie, eine zierliche Vampirin, so wie Martha und Francesca die beiden Spanierinnen waren brünett. Aurora, Isabelle eine eher Verschlossenere, Chloé und ich waren Blond. „Nun, ja so schlimm war es ja überhaupt nicht.“ Gab ich zu. Immerhin hatte ich einen... recht guten Lehrer gehabt, als ich eigentlich verhungern sollte.
„Stimmt, sie beherrscht bereits jetzt den Schlaf. Ich bin neidisch.“ Murmelte Aurora und ließ einen Stapel Magazine und Kataloge auf den Boden, direkt neben dem, bereits sauber gekehrten, Kamin fallen. Ein Stapel, der für eine Frau wie sie eigentlich zu schwer sein müsste, doch mit ihren Vampirkräften konnte sie wohl sogar eine ganze Bibliothek ohne große Mühe versetzen. Jedoch hoffte ich, dass so etwas niemals nötig sein müsste!
„Was? Wirklich?“ Stieß die ruhige Isabelle hervor. „Aber du bist doch erst drei Jahre alt.“
„Zwanzig Jahre!“ Korrigierte ich sie fauchend, doch beruhigte mich eilig wieder. „Es war Gerards Idee. Er hat mit mir Übungen gemacht, um zu testen, ob ich nicht vielleicht jetzt bereits zu einem Schlaf in der Lage sein könnte. Hätte es nicht geklappt, hätte es nicht viel Unterschied gemacht, doch... offensichtlich klappte es.“
Erstaunt lobten mich die beiden Blondinen, während es sich Aurora auf dem Boden, neben einem Katalog bequem machte und Zettelchen zur Markierung von Seiten, aus ihrer Rocktasche zog. „Los kommt jetzt. Tratschen könnt ihr auch, während ihr euch die Möbel anseht. Isles, du fang mit den Wandfarben an. Wie viele Räume hast du denn?“
In Gedanken zählte ich ab. Dieses Zimmer, ein Schlafzimmer, zwei weitere Zimmer und drei Badezimmer. „E-Einige.“ Vorhin hatte ich außerdem eine Treppe bemerkt, welche eine Etage höher führt, als wäre sie ein Trum oder so etwas. Das musste ich später ebenfalls inspizieren. „Sechs soweit ich weiß und ich habe eine Treppe gefunden, welche höher führt, das muss ich mir später noch ansehen.“
„Was? Noch eine Etage? Geh gleich nachsehen, oder willst du, dass unsere ganzen Forschungen umsonst sind? Isabelle sieh dir die anderen an und messe sie ab.“ Zwischen den Katalogen zog Aurora einen Block, Maßband und einen Stift hervor. Wie der Blitz verschwand Isabelle, zweifelsohne um die Wände zu messen.
Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal und suchte die Treppe auf, welche recht gut versteckt, lag direkt zwischen einigen Bücherregalen. Sie waren ebenfalls staubig und ich fragte mich, ob Gerard hier überhaupt irgendetwas gelagert gehabt hatte?
Kopfschüttelnd lief ich die endlosen Treppen hinauf, bis ich zu so einer Art Turmspitze kam. Es war nicht so, dass ich plötzlich am Ende des Schlosses ankam, sondern vielmehr, an einem der Enden. Eher einem der beiden Kürzeren. Vom anderen, wesentlich größeren Turm, trennte mich gut das gesamte Schloss, trotzdem gab es eine sichtbare, einfach Verbindung zwischen ihnen und dies war das Labyrinth. Hoch oben, umgeben von vier dicken Wänden und trotzdem offen gehalten, dank langer Fenster, so wie zwei Balkone konnte ich draußen stehen und doch war ich von jeglichem Wetter geschützt. „Wow!“ Stieß ich begeistert hervor und blickte hinab auf Frankreich. Eigentlich bloß auf einen kleinen Teil, doch trotzdem sah ich unfassbar weit, besonders da der Himmel vollkommen klar war.
„Isles!“ Erschrocken über die wohl bekannte Stimme, drehte ich mich herum, bis ich den König, auf der anderen Seite des Schlosses, auf einem von zwei Türmen erkannte. Sie waren so gelegen, dass man nicht auf ihnen landen konnte, selbst abseilen wurde schwierig, dank der gezackten Dachrinnen, auf welchen man sich leicht aufspießen konnte und dem steilen, grauen Dach.
Über die Entfernung hinweg, konnte ich ihn trotzdem hören, besonders wenn ich mich auf ihn konzentrierte, wie gerade eben. „Du hast dich ja recht schnell erholt.“
Ich sog tief die Luft ein und überlegte, ob ich darauf eigentlich etwas erwidern sollte? Jedoch erlöste Michellé mich, indem er das Thema wechselte. „Gefällt dir deine neue Unterkunft?“
„Sie gehört Gerard.“ Verbesserte ich ihn sofort. Oder viel eher >sie gehörte ihm<.
„Gerard ist nie hier oben, ich dachte, für eine Prinzessin, wäre so eine komfortable Unterkunft besser geeignet, als unten beim gemeinen Volk zu leben.“ Süffisant reckte Michellé seinen Körper durch, bevor er sich auf den Sims niederließ. Um sein Gleichgewicht musste er sich, zu meinem bedauern, keine Sorgen machen. Überheblich grinste er über die, mir viel zu gering vorkommende Distanz, zu und schien mich zu bewundern. Zumindest fühlte es sich so an und ich fand es einfach widerlich.
„Ihr seid doch selbst bloß ein Prinz.“ Erwiderte ich in der Hoffnung, nichts falsch verstanden zu haben. Michellés Mutter ist hier die Königin, doch hat ihren Titel derweilen an ihn abgegeben, solange sie schlief. „Das macht mich bloß zur >Gegen-ihren-Willen-verwandelten-Tochter des Prinzen und nicht mehr.“
Michellé lachte, als hätte ich eben einen Witz gemacht. „Das ist aber ein recht eigenwilliger Titel. Hm... wie wäre es, wenn du mich heiratest. Ganz offiziell und du wirst selbst zur Gebieterin über dieses Land. Über ganz Frankreich, bis hinüber nach Spanien und Italien. Damit würden doch viele deine Träume erfüllt werden können, oder?“
Ich verschränkte meine Arme vor dem Brustkorb. Als ob ich jemals jemanden wie ihn heiraten würde. Alleine der Gedanke daran, ließ meinen Magen rebellieren. Zumindest ließe es ihn, insofern er noch irgendwelche Regungen von sich geben würde. „Das wird >niemals< passieren. Eher lasse ich mich bei lebendigen Leibe an einen Felsen fesseln, für den Rest meines erbärmlichen Lebens, als dass ich Euch das Jawort gäbe!“ Ich fauchte die Worte so wütend, da des Königs Lächeln bloß größer wurde. Um ihm nicht über diese Distanz an die Kehle zu gehen, machte ich kehrt und wollte mich erst beruhigen, bevor ich irgendetwas tat. Denn eines war sicher... ich musste hier ganz dringend weg! So weit wie möglich und so bald wie möglich.
„Entscheidungen lassen sich rasch ändern, meine Liebste.“ Hörte ich noch, bevor ich die dicke Stahltüre hinter mir ins Schloss warf und einen neuen Code, für dessen Öffnung eingab. Einen, auf den der König niemals kommen würde. Hoffentlich!

Der Untergang eines Königreichs

Nach dem Bündnis zu Göttin kehrte ich an den Hof zurück und stellte mich gekonnt meiner Mutter. Jedoch nicht, ohne dabei eine recht passable Blutspur zu hinterlassen. Göttin wollte nicht, dass die Menschen ihren Wald weiterhin betraten. Sie mochte sie interessant finden und sprach recht gerne mit ihnen, insofern sie diese nicht gleich auffraß, wie zum Beispiel Jäger, doch diese Stadt... sie war einfach zu groß in ihren Augen. Ein Schandfleck inmitten ihres Reiches. Die Wölfin hasste die Gerüche nach Abfall und Kot, welcher immer in ihren Wald geweht wurde. Jäger verscheuchten das Wild, welches ansonsten immer natürlich hier lebte und Straßen verhinderten, dass sie ungesehen herumlaufen konnte.
Auch wenn Göttin die Ehrfurcht und die Geschichten, welche sich um sie rangen, mehr als genoss, brauchte sie es jedoch nicht, dass Mann, oder Frau ihr auf die Schliche käme. Sie soll ein Mysterium bleiben, etwas dass man nicht in Worte fassen konnte, etwas Geheimnisvolles und Aufregendes. Sie liebte es, wenn Kinder sich Mutproben stellten, sich nachts in den Wald schlichen und sie diese erschrecken durfte. Auch respektierte sie die stoischen Alten, welche zuerst verblüfft, dann angenehm überrascht waren. Immer wieder veränderten sich die Legenden über sie, bis sie einmal eine blutrünstige, drei Mann hohe Kreatur, danach eher eine zierliche, recht redselige Wölfin war.
In meinen Augen war sie weder das eine noch das andere. Göttin war viel mehr, eine stille Beobachterin, wie ein Kind, dass den Waldameisen bei den täglichen Arbeiten zusah und sie abwechselnd unterstützt, oder sie vom Weg abbrachte. Jedoch lag in ihrer Naivität weder etwas Kindliches, noch Weibisches. Nichts, dass ich in Worte fassen konnte, denn mit jeder ihrer Bewegung symbolisierte sie Gefahr und das Geschenk des Jagens, während ihre Augen Neugierde und Geduld aufwiesen. Eigenschaften, welche sich nicht richtig ergänzten, doch trotzdem perfekt in ihr vereint lagen.
„Was in aller Welt hast du getan, Vlad?“ Schrie Mutter mich an und betrachtete meine blutgetränkte Kleidung. „Mich gelangweilt, Mutter.“ Erwiderte ich gespielt stolz und bleckte meine Fangzähne, woraufhin zwei versklavte Frauen vor Schreck in Ohnmacht fielen.
Ohne auf die Ohnmächtigen zu achten, lief Mutter auf mich zu, als wolle sie mich in Grund und Boden stampfen, doch blieb sie bloß Zentimeter vor mir stehen und fixierte ihren Blick mit meinem. Da ich ihrem Leib entsprungen bin, kann sie mir ihre Kontrolle nicht aufzwingen, doch ich bin ihr Sohn und ihr zum wahren Wort gezwungen. „Was soll das? Was denkst du dir eigentlich? Hast du eine Ahnung, wie wir das wieder Geradebiegen sollen? Sie werden uns fürchten.“
Ich verringerte unsere Entfernung und blickte ihr Ernst ins Gesicht. „Dann sollen sie doch!“ Fauchte ich bösartig. „Sie sollten uns doch auch fürchten und nicht zu uns aufsehen, Mutter. Wir sind ihnen bei Weitem überlegen, ihnen und ihren Steinschleudern.“
Nun fauchte meine Mutter ebenfalls. „Und wie stellst du dir das vor? Sollen wir sie uns versklaven? Uns zu Tode langweilen?“
Ich schnaubte abweisend. „Natürlich nicht! Ich habe keine Lust mehr auf dieses ganze >heimelige< Spiel, Mutter. Ich habe es satt und möchte wieder zu meiner alten, blutrünstigen Natur zurückkehren. Wir können sie in Angst und Schrecken versetzen. Ihnen ihren Willen rauben, ihre Familie Abschlachten und sie selbst vor dem kleinsten Windhauch wimmern lassen! Wir sind Bestien, Mutter. Wie du selten müde wirst es so lieblich auszudrücken.“
Nun war es meine Mutter, welche schnaubte und sich von mir abwandte. „Du? Du willst plötzlich zu einer Bestie werden, Vlad? Du, mein erbärmlicher Sohn, welcher bloß Werwölfe tötet, wenn sie ihn bedrohen? Woher dieser plötzliche Sinneswandel?“
„Reine Langeweile, geliebte Mutter. Ich bin es einfach leid geworden und möchte mich an der Stadt austoben.“
„Liebste Königin? Was ist hier los?“
Der König erschien überraschend in der vordersten Halle des Schlosses und betrachtete mein blutüberzogenes Gesicht, so wie meine herunter gekomme Kleidung. Wie der Blitz eilte ich an die Seite des Königs und packte ihn im Nacken, sodass er vor Schmerzen zu Boden ging. „Ja, liebste >Königin<! Was ist hier nur los?“ Süffisant lächelte ich meine Mutter an, im Wissen zu weit zu gehen und mein Glück herauszufordern. „Erkläre dich deinem schändlich schwachen Mann. Sag ihm wieso ich, dein Sohn, blutüberströmt bin.“
Ich roch die Angst über den üblichen ekelerregenden Schweißgeruch des Königs hinwegsteigen, doch das spornte mich bloß noch mehr an. „Sohn?“ Fragte der König, als er Luft zum Atmen fand.
„Entscheide dich Mutter. Was ist er dir Wert? Willst du wirklich deine Härte, welche du deinen Wächtern symbolisierst untergraben? Ist etwa dieser Mensch deine Schwäche geworden?“
Der unsichere Blick glitt von mir, hinab zum gutaussehenden König, wegen welchem sie sich auf dieses >König und Königin< Spiel eingelassen hatte. Nach und nach erschienen mehr ihrer Kinder. Alles Vampire und männlich, sammelten sich, da sie das Blut riechen und die Aufregung spüren konnten.
„Sag es ihnen Mutter. Bist du etwa doch das brave Hausmütterchen? Wirst du ihn verwandeln, ihn zu einem von uns machen? Wird er mein neuer Vater sein?“ Süffisant, wie ich noch nie mit ihr gesprochen hatte, dröhnte meine Stimme über alle hinweg und viele begannen bereits zu grinsen, als würde dieses Schauspiel sie belustigen. In jedem anderen Moment würden mich diese Wachen für meine Unverfrorenheit zusammenschlagen, doch nicht jetzt. Sie sahen es wohl selbst, wie Mutter schwächer geworden ist. Hier in der Stadt, an der Seite eines verführerischen Königs, welcher bislang als gütig und gebildet beschrieben worden war.
Langsam, fast schon bedrohlich, zumindest für diejenigen, welche sie besser kannten, kam sie näher und glitt vor dem König, anmutig auf den Boden. Fast schon traurig ließ sie ihren Blick über die ansehnliche Gestalt des Königs schweifen, welchem sie in den letzten sieben Jahren noch kein Kind hatte schenken können. Trotzdem schien er sie weiterhin zu lieben, vermutlich da sie ihn beeinflusste. „Liebster König. Ich denke, deine Zeit der Macht ist nun vorüber.“ Noch bevor dem König klar wurde, was nun geschah, verbiss sich die Königin der Vampire in seinem Hals. Ich tat es ihr gleich und gemeinsam tranken wir den jämmerlichen König leer. Aber nicht bloß wir ließen unseren Durst nun endlich erlöschen, nein auch die anderen Vampire verbissen sich an den nächstbesten, was sie fanden. Manche suchten sich diejenigen, welche sie bevorzugten. Junge Kinder, Erwachsene, besondere Haarfarben, oder andere körperliche Vorzüge. Schon nach zwei Jahren, lag das gesamte Königreich leergefegt vor unseren Füßen, unser Hunger noch größer, als jemals zuvor, doch trotzdem hatte ich meinen Teil der Abmachung eingehalten.
„Und nun, mein Sohn? Dürstet es dich bereits wieder nach deiner üblichen Langeweile?“ Fragte die Mutter aller Vampire, während ihr Blick trübe über das Schloss fegte. Einige Vampire schleppten, teils bewusstlose, teils noch schreiende Blutbeutel hinter sich her und sperrten sie in einem der Karren ein, wo sie bald ihren wohl verdienten tot finden würden.
„Nein, ich denke, er kann noch etwas auf mich warten. Vielleicht schlagen wir uns etwas nach Süden durch? Dort soll es Sand wie Meere geben und soviel ich weiß, gibt es dort einen Vampirclan, welcher seine Menschen als Sklaven hält. Sie bauen hohe sandfarbene Häuser für ihn und seine Familie und diese bekommen dort kaum etwas zu essen, oder ahnen gar, wer diese Leute überhaupt sind, welche sie versklavt haben.“
Meine Mutter überlegte nicht lange und lächelte mir verschwörerisch zu. „Wir gehen bei Nachtanbruch los.“
Natürlich hatten alle es gehört und jubelten begeistert. Auch sie freuten sich, wenn sie anderen Vampiren begegneten, immerhin wollen auch wir unsere Geschichten und Erfahrungen mit gleichgestellten austauschen. „Ich gehe noch etwas laufen, vielleicht stoße ich noch auf den einen, oder anderen Flüchtling.“
Meine Mutter glaubte dies zwar nicht, doch mir reichte diese Ausrede, um fortzukönnen. Schneller als der Wind selbst, fegte ich durch das Unterholz, lief einen Berg hoch und sprang, ohne darüber nachzudenken, seinen hohen Wasserfall hinab. Mit einem harten Aufprall, welcher eigentlich meine Beine brechen müsste, landete ich auf der Wasseroberfläche, atmete aus und wartete, bis das Wasser mich dorthin spülte, wo es wollte. Jedoch anstatt dem Wasser, umfingen mich zarte Arme, in welchem die Kraft eines ganzen Erdrutsches lag.
„Sie sind alle fort.“ Kicherte Göttin an meinem Ohr und ihre Haare schlangen sich wie wilde, selbstständige Algen um meinen Körper. Durch das Wasser waren sie einmal nicht flauschig und dicht, sondern schmiegten sich an ihrem perfekten Körper an.
„Wie ich es dir versprochen habe, Göttin.“ Erwiderte ich stolz und reckte mein Kinn, was sie jedoch nicht sehen konnte, da sie ihr Gesicht an meinem Hinterkopf vergraben hatte und nun tief meinen Duft einatmete.
„Die Gerüche haben sich auch verbessert und bald wird auch der Geruch nach totem Fleisch vergangen sein. Das hast du gut gemacht, auch wenn es lange gedauert hat.“
„Ich konnte schlecht eine ganze Stadt in wenigen Tagen auslöschen, oder übersiedeln.“ Erklärte ich, als wäre dies selbstverständlich. „Es war eine Seuche, welche sie alle dahin gerafft hat.“
„Eine aufregende Seuche.“ Kicherte sie und schlang ihre Beine um mich, sodass ich mich aufrichten musste. Zwar erreichte ich den Boden des Sees noch nicht, doch das benötigte ich auch nicht. Ich veränderte einfach meine Atmung, sodass mein Schwerpunkt, auf meinen Füßen lag. Dies konnte ich einige Stunden ertragen, auch bei dieser Kälte des Sees.
Ihr nackter Körper hing nun an mir und tauchte unter meinem Arm nach vorne, sodass sie auf meinem Bauch saß und ihr Haar wie ein Schleier um uns beide lag. Sie sah... unbeschreiblich aus. Und meine Hände, welche über ihren Körper wanderten, wollten überhaupt nicht damit aufhören, diesen zu erkunden, auch wenn sich unter dieser vernarbten Haut ein Wolf befand.
„Ich finde es beeindruckend, dass du mit deinem Körper einen jeden Mann, egal ob Vampir, oder Mensch dermaßen um den Verstand bringen kannst, obwohl er dich eigentlich verabscheuen müsste.“
Ihr Kopf legte sich schräg und ihre freie Hand fingerte an den Bändern meines Oberteils. „Menschen sagen immer, ich sei typisch für eine Göttin. Falls dir dies weiterhelfen sollte.“
Ich lachte ein heiteres Lachen, welches ich die letzten beiden Jahre lediglich vorgetäuscht hatte und dies mit sichtlichen Erfolg. „Du bist alles andere, als eine typische Göttin. Du bist... so viel mehr und unbegreiflich, selbst für mich.“
Überrascht fand ich meine Lippen auf ihren wieder, was ihr einen gehörigen Schrecken entlockte, doch als sie begriff, was ich tat und sich sichtlich wohl damit fühlte, erwiderte sie meinen Kuss und gierte selbst nach mehr davon, so wie ich es eigentlich bloß bei Blut tat. Konnte man etwa, selbst als Vampir, nach etwas gieren, das keine blutrote Färbung besaß?

XXVII. Isles Skylander, hat ein Date mit dem König

Der dritte Tag nach meinem >Erwachen< war eingebrochen. Ich hatte mich bisher recht erfolgreich in meinem Zimmern eingeschlossen, bloß Manon kam, um mir etwas zu trinken zu bringen, was sie von Louis und dieser von Gerard selbst erhalten hatte. Kopfschüttelnd, darüber dass Gerard seinen dicken Hintern nicht selbst hier her bewegte, ließ ich Manon ein, welche erleichtert feststellte, dass endlich meine Wohnzimmermöbel angekommen waren. „Sie sind wirklich hübsch.“ Stellte sie fest. Das Ausmalen hat keine zwei Stunden gedauert, wir waren ja auch acht Frauen, welche sich über die langen Mauern hergemacht hatten. Eigentlich verbrachte ich keine Zeit in einem meiner Gästezimmern, oder meinem Schlafzimmer, sondern lediglich hier, im >Wohnzimmer< so wie ich es nannte und ansonsten oben auf dem Turm, von welchem ich noch nichts erzählt hatte. Weshalb auch? Aurora würde bloß noch dort sitzen wollen, doch ich beanspruchte es als meinen Rückzugsort.
Dank einiger Vorhänge, welche ich dort aufhängen hatte können, musste ich Michllés Türme lediglich sehen, wenn ich mich nach Süden wandte. Aber ich hatte ja noch den Westen, mit einem herrlichen Sonnenuntergang und den kühlen Norden.
An meinen Fingernägeln kauend, setzte ich mich auf den Boden, direkt vor das Sofa und begann wieder mit meinen Spanischkünsten. Ich musste jetzt schon zugeben, ich hasste Sprachen! Ich mochte sie nicht einmal, als Mensch, wo sie mir noch unendlich schwergefallen sind, sie mir zu merken. Jetzt jedoch, wo ich jedes Wort aufnahm und abspeicherte, als wäre es meine Geburtssprache, mochte ich es noch weniger. Es waren so unendlich viele! Und ich sollte Italienisch, Spanisch und selbstverständlich Französisch, bis zum Vampirball perfekt beherrschen, wobei Manon immer wieder ihre Beherrschung verlor.
„Erde an meine kleine Isles!“ Rief sie aus und winkte mit ihren ringbesetzten Fingern, welche sich immer aus verschiedenen, passend zu ihrer Kleidung zusammensetzten, vor meiner Nase herum. Zwinkernd richtete ich meine Aufmerksamkeit auf sie und verbannte meine Gedanken an Gerard hinter ein dickes Vorhängeschloss. „Wenn du so weiter machst, bekommen wir beide ärger, Liebes.“
Ich seufzte resigniert. „Entschuldige. Meine... Gedanken...“ Erklärte ich recht vage.
„Deine Gedanken gehören selbstverständlich bloß dir alleine, Liebes. Aber wenn du sie teilen möchtest, um dich besser zu fühlen... jetzt, wäre ich hier.“ Schlug sie vor und glitt elegant neben mich auf den Boden, worauf ich sofort neidisch wurde, denn ich sank immer wie ein Sack Kartoffeln auf den flauschigen Teppich. „Was bedrückt dich?“ Fragte sie erneut, als ich mit mir selbst rang.
Konnte ich ihr es denn erzählen? Vielleicht wusste sie ja bereits irgendetwas, von Louis, immerhin hatte dieser gesehen, wie ich Gerard markiert habe. Nun, ja weniger gesehen, sondern es eher später von alleine zusammengesetzt. Schmunzelnd dachte ich an diese dumme Aktion und fasste an meine eigene Markierung, welche mir in diesem Moment unnatürlich schwer vorkam. Andere sahen sie nicht, sie war so feind und direkt auf meiner Lippe, dass sie, wenn sie trocken waren, einfach wie eine kleine Rille aussah. Nichts, dass ich nicht bereits seit meinem menschlichen Leben gehabt, oder erworben haben könnte.
„Ich habe einen Turm.“ Ich wollte mich Manon doch eigentlich anvertrauen, doch... schaffte es einfach nicht. „Von ihm aus, kann ich nach Westen, Norden und Süden blicken. Im Süden sind die Türme des Königs, wo er mich fast immer... mit diesem widerlichen Lächeln erwartet. Nun hängen Vorhänge dort, welche, wenn der Wind nicht zu stark geht, meinen Blick verbergen und ich sehe dann dem Sonnenuntergang zu, oder blicke in Richtung Norden. Denkst du, ich kann den Blick nach Süden vermauern?“
Manon verdrehte, beinahe hörbar, die Augen. „Natürlich nicht, Isles! Das wäre respektlos dem König gegenüber. Soviel ich von Louis weiß, will er dich irgendwann einmal...“ Ein heftiges Klopfen unterbrach ihre Rede, doch ich ahnte schon, wohin ihre Worte hatten führen wollen. Der Prinz, oder eher derzeitige König, wollte mich, als seine Königin. Ekelerregend dieser Gedanke.
Stöhnend, obwohl es mir keine Mühe bereitete, öffnete ich die Türe, wie immer mit einem kleinen Herzrasen, denn, auch wenn ich jedes Mal enttäuscht wurde, erwartete ich aus irgendeinem Grund, jemand anderen...
Zwar stand dieses Mal, tatsächlich ein männlicher Vampir vor mir, doch bei weitem nicht so breit, oder dunkelhaarig, wie jemand anderes. „Liebste, Isles. Ich dachte, wir könnten etwas im Garten spazieren.“ Mit einem Lächeln, welches keinen Zweifel zuließ, dass dies ein Befehl, verpackt in einer schleimigen Einladung, war, streckte er seine Hand nach meinen Haaren aus, welche ich zur Zeit immer offen trug.
Noch am selben Tag waren Spiegel für mich geliefert worden. Eigentlich war es bereits spät in der Nacht, doch für Vampire spielte so etwas keine Rolle. Kurzerhand hingen sie überall, wo später keine Möbel stehen würden, und ich stellte schockiert fest, dass meine ansonsten schulterlangen Haare, ein ganzes Stück gewachsen waren. Jedoch stand es mir, noch überraschender, gut. Mir gefiel es, wie sie über meinen Rücken streichelten, oder sich an meinen Armen ringelten. Auch der neue Schwung, welchen sie bekommen haben, faszinierte mich.
Ich trat einen Schritt zurück, was er fälschlicherweise, als Einladung einsah. „Oh! Wunderschöne Manon!“ Begrüßte er seine Untergebene.
Sie kniete demütig vor ihm nieder. „König Michellé.“ Begrüßte sie ihn, wobei ihre Nase bloß noch Zentimeter vom Boden entfernt war. So begrüßte man einen König, wenn man ihn in seinen Hallen antraf? Da musste ich ja wie eine überhebliche Schnepfe wirken. Lange blieb jedoch Michellés Blick nicht auf meiner bisher vertrauenswürdigen Freundin liegen. Stattdessen fixierte er gänzlich mich, mit seinen hellblauen Augen. Sie wirkten fast, wie vom Himmel gefischt und vergessen sie zurückzugeben. Auch sonst sah der König wunderschön aus, das musste ich zugeben. Er wirkte nicht, wie ein breiter Kämpfer, oder athletischer Tänzer, sondern aristokratisch, mit einer spitz zulaufenden Nase, den gefühlvollen Augen, harten Wangenknochen und seinen fein geschwungenen Lippen. Ich konnte davon ausgehen, dass er eher der Herzensbrecher war, anstatt der zukünftige Ehemann von irgendeiner naiven Schönheit aus gutem Hause. „Es regnet draußen, ich bezweifle...“ Begann ich, denn dies war der Grund, weshalb ich heute noch nicht oben gesessen bin, um den Ausblick und die Tauben zu bewundern.
„Es hat aufgehört zu regnen und ist wunderschön draußen, mit den vielen Tropfen, welche glänzen, wie Edelsteine.“ Wie gut, dass ich mir daraus nichts machte.
„Ich muss noch lernen, mit Manon.“ Deutete ich auf meine, immer noch kniende Freundin.
„Das kannst du auf später, oder morgen verschieben, der König geht immer vor.“
„Nicht wenn ich doch diese... Sprachen auswendig können muss.“ Widersprach ich, woraufhin der König so nahe auf mich zutrat, dass ich dank eines dämlichen Regals, nicht mehr zurückweichen konnte.
„Liebste Isles, sieh mir in die Augen.“ Gegen meinen Willen tat ich es und begegneten seinem tiefen Blau. Für einen Moment schauderte ich, doch nicht aus Angst, sondern vor Ehrfurcht. Es schien, als würden sich Jahrtausende hinter diesem hellen Blick abspielen, tausende Leben, welche begonnen, so wie genommen worden waren. „Es ist ein interessantes Wetter, also wirst du mit mir hinunter kommen.“
Wie konnte ich schon zu diesem Wetter nein sagen? „Du hast recht, der Garten muss wirklich herrlich sein.“ Gestand ich ein und riskierte sogar ein klägliches Lächeln. Mehr als zufrieden, deutete er in meine Räumlichkeiten. „Zieh dir lieber etwas Wetterfesteres an, ansonsten wirst du ganz nass. Triff mich später unten am Hinterausgang. Manon beschreibt dir den Weg.“
Damit ging der König und ich schloss die Türe hinter ihm. Sofort sprang Manon auf die Beine. „Ein Date mit dem König, so etwas sieht, oder hat man auch nicht alle Tage. Komm!“
Date? Moment, was ist gerade passiert?

 

- - - - -

 

Eine halbe Stunde später, stand ich in einer langen Hose und einer bequemen Bluse vor meinem Spiegel und traute meinen Augen kaum. Ich sah endlich einmal aus, wie ich auch wirklich war. Und damit meinte ich nicht, meine drei Vampirjahre! Mit der Kleidung und vor allem, meinen etwas gealterten Augen, wirkte ich viel erwachsener, als es mein Körper offensichtlich zugeben wollte. „Du siehst wunderschön aus, Schätzchen.“ Liebevoll hauchte Manon einen Kuss auf mein Haar und lächelte mich wie eine stolze Mutter an. Da kam mir ein Gedanke.
„Du hast drei Söhne, nicht wahr?“
Sie nickte. „Ja, Louis und ich haben sich zwar lange Zeit gelassen, doch... irgendwann kam es dann über uns.“ Grinste sie so stolz, wie es bloß eine Mutter konnte.
„Bekommen Vampire auch weibliche Nachkommen?“ Bisher hörte ich immer bloß von Söhnen. Der derzeitige König, ist männlich, alle, bis auf acht des großen Tobonneau Clans, bestehen aus kräftigen und klugen Männern. Das konnte schlecht normal sein, oder?
„Bisher kam es kein einziges Mal vor, aber Vampire bekommen ausgesprochen selten und bloß mit ihrem rechtmäßigen Partner ein Kind. Leider... kommt man dabei selten auf Pärchen und diese sind auch noch langlebig, was ihnen unendlich viel Zeit lässt, diesen äußerst heiklen Schritt zu gehen.“
Heikel also? Man übernahm eine große Verantwortung für ein Kind, das war mir klar, aber wie war dies dann bei Vampiren? „Wieso ist das heikel?“
„Sie kommen ganz normal auf die Welt, als Menschen.“ Erklärte sie seelenruhig und strich mein widerspenstiges Haar zurecht, bis sie ihr gefielen. „Sie atmen, benötigen neben Blut auch Nahrung und haben ganz natürliche Launen. Aber sobald sie in die Pubertät kommen, mit dreizehn, vierzehn, beginnen sie sich recht rasch zu ändern. Sie attackieren jedes menschliche Wesens, da sie absolut keine Kontrolle haben. Es dauert dann abermals sieben bis zehn Jahre, bis sich dies gelegt hat und sie wieder friedlich unter uns leben können.“
„Also ziehen Vampire ihre Kinder zweimal groß?“
Manon lachte. „So könnte man es nennen, ja.“ Noch einmal sprühte sie mir geruchloses Haarspray um den Kopf. „Jetzt musst du aber los, zu deinem Date.“
„Es ist kein Date!“ Schimpfte ich ärgerlich und wünschte, sie würde aufhören, dieses erzwungene Treffen so zu nennen.
Manon grinste und schubste mich regelrecht aus dem Badezimmer. „Jetzt Abmarsch junge Dame.“ Sie führte mich noch bis vor den Ausgang, dann verabschiedete sie sich von mir und befahl mir, zum gefühlten hundertsten Mal, mich ordentlich zu benehmen.
Stöhnend schlenderte ich aus dem Gang und verließ das Schloss, zum Ersten Mal seit eineinhalb Jahren, wie mir in diesem Moment bewusst wurde. Tief atmete ich den Geruch von der frisch gewaschenen Welt ein und ließ ihn mit einem lauten Seufzen wieder los. Es gab vermutlich nichts Schöneres, was ich in diesen Tagen hätte tun können. Okay, ich war unter Umständen schon draußen, jedoch immer unter der Überdachung, meines Trums, das war einfach nicht dasselbe. Jetzt, hier in einem farbenprächtigen Garten zu stehen, selbst dessen Bäume bereits in einem kräftigen Orange strahlten, ließ einen Energieschub durch meinen Körper gleiten, wie ich ihn bisher nie gefühlt hatte.
Warm, schienen die hellen Sonnenstrahlen auf mein Gesicht, jedoch lediglich einzelne, denn der Großteil des Himmels war noch immer von dicken Wolken verhangen. Genüsslich schloss ich meine Augen und streckte beide Arme, zur Seite, aus. Sanft wehte der Wind über meine freiliegende Haut, über meine, etwas weitere Bluse und meine, in flachen, halb offenen Schuhen, steckende Beine.
Ich konnte überhaupt nicht sagen, wie sehr ich dies vermisst hatte. Im nördlichen Island gibt es zwar warme Sommer, doch waren sie bei weitem nicht mit dem Klima vom westlichen Europa zu vergleichen. Ich wünschte, ich hätte den Sommer miterleben können, so blieb mir nichts, als der frühe, milde Herbst, welcher mich jedoch auch nicht besonders enttäuschte.
Ich senkte meinen Kopf wieder, welchen ich in Richtung des Himmels gereckt hatte und blickte ganz plötzlich den smaragdgrünen Augen von Gerard entgegen. Bloß Zentimeter stand er von mir entfernt, sodass sein warmer Atem über mein Gesicht streichelte, wie eine liebevolle Berührung. Überrascht, besonders von dem Aufschwung in meinem Brustkorb, blinzelte ich, doch verschwunden war der kurze Tagtraum. Eine Illusion. Das war alles gewesen. Ich hatte ihn mir bloß eingebildet, wie er da vor mir stand, mit nassem Haar und anliegenden Shirt. Ja, so würde er wohl nun aussehen, wenn er tatsächlich hier gewesen wäre.
„Isles!“ Erschrocken zuckte ich zusammen und verdrängte meinen, viel zu realistischen, Tagtraum. Verdrängte ihn, in den hintersten Teil meines Gedächtnisses und wappnete mich dem Treffen mit dem Teufel. „Steh doch nicht hier so herum, komm mit, in den Garten. Ich zeige dir alles.“
Gehörig glitt ich die flachen Treppen hinab und hielt einen gut sichtbaren Abstand, zum König. Manche würden es als >respektvoll< bezeichnen. Ich als >notwendigen Mindestabstand<. „Trotz des Regens dieses Vormittages, ist es herrlich warm.“ Stellte ich rein sachlich fest. Eine Konversation mit mir, war dieser aufgesetzte König bei weitem nicht wert.
„So ist es hier häufiger. Schade das du den Sommer nicht erleben konntest. Er war richtig heiß und hat die Menschen auf trab gehalten.“ Als wäre dies eine Konversation zwischen Freunden, lachte er heiter.
So schnell war ich jedoch bei Weitem nicht herum zubekommen. „Am Winter ist jedoch auch nicht viel auszusetzen. Er ist erfrischender und wunderschön.“
Natürlich musste er wieder einmal einer Meinung mit mir sein. „Ja, die Landschaft meines Schlossgartens sieht selbst im weißen Wintermantel beeindruckend schön aus. Besonders zu Weihnachten, wenn alles festlich geschmückt ist.“
Im ernst! Ausgerechnet >er< kam mir mit Weihnachten? Er! Derjenige, welche mein Weihnachten vollkommen versaut hat! Ignorant!
Für einen Moment schwieg ich und wir gingen bloß nebeneinander her, als würde er auf eine Reaktion von mir warten. Miese Ratte! Fauchend wandte ich mich dem König zu. „Ich hatte kein Weihnachten mehr seit drei Jahren. Das erste wurde mir von dir genommen, kurz vor dem Zweiten, starben meine Eltern und das dritte habe ich verpasst, da ich verschleppt wurde. Vielen Dank auch.“
König Michellé ließ sich von meinem Wutanfall nicht beeindrucken, sondern strahlte über das gesamte Gesicht. „Es ist vielleicht etwas früh, aber es wäre doch keine schlechte Idee Weihnachten vorzuziehen, oder?“ Fragend erwiderte ich den Blick des Königs. „Das wäre doch wunderbar und überraschend, für jeden. Du hättest endlich einmal wieder ein richtiges Weihnachten, dieses Mal mit all deinen Freundinnen und natürlich meiner Wenigkeit. Zudem könnte ich aus dem Vampirball einen atemberaubenden Winterball zaubern. Ich stelle es mir schon richtig vor, wie silberne Schneeflocken vom Himmel hängen, falscher Schnee am Boden, eine festlich geschmückter Tannenbaum...“ Immer weiter zählte der König auf, völlig eingenommen von seiner >fantastischen< Idee. Um ehrlich zu sein, wünschte ich tatsächlich, so etwas einmal in meinem Leben sehen zu können, auch wenn wir erst September haben, aber dies hätte auch seinen eigenen Charme. Trotzdem wollte ich so etwas lieber zuhause erleben. Mit meinem einzigen Freund Njal. Auch wenn ich mich dann vor Mistelzweigen fernhalten müsste.
Abwehrend verschränkte ich die Arme vor dem Oberkörper. „Lieber ein Maskenball.“ Dann muss ich sein verräterisches Gesicht nicht sehen. Das Letzte dachte ich besser, immerhin hatte mir Manon geraten, mich anständig zu benehmen. Was auch immer dies bedeuten sollte.
„Ein Maskenball? Das hatten wir seit zweihundert Jahren nicht mehr! Eine wundervolle Idee, meine Liebste.“ Ich hob meine Augenbrauen, als er mir diesen Kosenamen aufschwatzte, und stellte überrascht fest, dass meine Hand an seinem Unterarm eingehakt war. Überrascht wollte ich mich von ihm lösen, doch der König erlaubte es mir nicht. Er war einfach viel zu stark, noch viel stärker, als Gerard selbst und dieser war bereits ein Kaliber für sich.
Wann ist das überhaupt passiert? Gerade eben ging ich noch fast eineinhalb Meter vom König entfernt, doch jetzt gingen wir praktisch Schulter an Schulter. Was ist hier bloß los? Ist das irgendein Trick von ihm? Manipulierte er mich etwa? Nein, das hätte ich ja bemerkt, so wie vor meinem Schlaf, als er mich zwang... nun, ja nichts zu tun, das ich jemals freiwillig getan hätte. Andererseits... es hatte mich Gerard näher gebracht. Zumindest bildete ich mir dies ein und jetzt... jetzt ist er fort und ließ mich mit diesem... diesem Monster alleine! Ich wollte am Liebsten in Tränen ausbrechen!

 

- - - - -

 

Zurück in meinem Zimmer zündete ich den Kamin an und warf kurzerhand meine Kleidung hinein. Nackt stand ich da, schwer atmend, obwohl ich das überhaupt nicht musste, sondern einfach bloß aus Zorn tat. Er hatte es tatsächlich gewagt! Dieser widerliche Mistkerl von König hatte es gewagt, mich zu berühren. Immer noch fühlte ich die Stellen, an denen er mich berührt und geführt hatte. Seine Stimme, glockenhell lachend, fast schon verzaubernd, neben meinem Ohr und sein schelmisches Lächeln vor meinen Augen. Widerlich! Einfach... Abstoßend! Ja, genau das war es! Abstoßend!
Wie er seine Hand um meine Taille gelegt hatte, oder meine Finger flüchtig berührte, als dürfe er dies. Immer mit diesem aufgesetzten Lächeln im Gesicht, das ihm jeder abkaufte, selbst die beiden japanischen Vampire, welche bloß auf der Durchreise einen kurzen Handel hatten abschließen wollen. Er hatte... Michellé hatte dies ganz eindeutig geplant. Wollte mich vorführen, als die zukünftige Frau an seiner Seite und was tat ich? Ich lächelte höflich! Ich! Konnte man sich das vorstellen?
Im Moment wollte ich ihm einfach bloß an die Kehle gehen, sie herausreißen und an den nächstbesten verfüttern. Am besten direkt an Gerard, der mich im Stich gelassen hat. Gerard hat es... er hat es versprochen, da zu sein, oder? Hatte ich mir dies bloß eingebildet? War das alles bloß ein Hirngespinst gewesen? Seine Küsse, die kurzen Momente, in denen wir völlig alleine waren und er mich ansah, als wäre ich die Einzige auf dieser verfluchten Erde? Und sein Blut... Ich mochte überhaupt nicht daran denken, wie gut es geschmeckt hatte, fast so gut wie seine Lippen sich auf meiner Haut angefühlt hatten, wie wohl ich mich in seiner Nähe fühlte...
Halt! Stopp! Nicht schon wieder! Da waren sie wieder, diese... Gedanken! Das bin doch nicht ich. Weder die Isles, welche neben dem König artig lächelte, noch die Isles, welche... irgendetwas für so einen, daher gelaufenen, Proleten empfindet!
Ich nicht! Nein!
Ich bin Isles, diejenige, welche außer Kontrolle ist, die ihre Eltern verloren hat, sich alleine durchschlägt und so wesentlich besser vorankommt. Ich habe... gelernt, studiert. Was ist mit meinem Traum Ärztin zu werden, bloß passiert? Wann genau hatte ich das Vergessen und sitze lieber wie ein artiges Mädchen >zuhause< und lernte alle Sprachen dieser Welt?
„Waaaaah!“ Mein Schrei hallte, wie ein wütendes Beben durch den Raum. Ich schrie so laut und lange, dass sämtliche Spiegel im Raum brachen und vermutlich auch in den Nebenräumen. Mit einem Mal explodierte etwas, das sich nach meinen Nerven anfühlte, doch als ich mich umwandte, lag einfach alles in Trümmer. Nicht bloß meine Spiegel, welche sich nun auf Scherbenhaufen sammelten, nein auch die Bänke, die neuen Regale und sogar ein Teil der Decke war gesprungen.
Entsetzt sah ich mich um. War das... gerade eben... Was ist passiert?
Plötzlich fühlte ich etwas Warmes meine Lippe hinab, in meinen etwas geöffneten Mund laufen. Hektisch griff ich an die Stelle, von der ich dachte, sie käme und stellte fest, dass es tatsächlich Gerards Markierung war, die blutete. Bloß ein paar Tropfen, kaum der Rede wert... aber sie tat es. Ich leckte darüber und die Wunde hörte auch schon wieder auf, doch sie hatte es getan. Sie hatte geblutet.
„Scheiße...“ Fluchte ich und ging in die Hocke, während das Futter der Bänke und gepolsterten Stühle um mich herum auf den Boden schwebten. „Scheiße! Scheiße! Scheiße!“ Fluchte ich und wünschte mir, einfach von einem der seltsamen Pflanzen dort draußen im Labyrinth gefressen zu werden. Insofern Solche dabei sein sollten.
Es fühlte sich an, als würden Stunden vergehen, während ich da nackt auf dem nun dreckigen Boden saß und einfach bloß die Scherben des nächsten Spiegels betrachtete. Was mir da entgegenblickte, war keinesfalls die Isles, die ich kannte. Diese Isles, die ich nun sah, besaß keine braunen Haare mehr, so wie früher. Haare die sie begonnen hatte zu lieben, da dieses verdammte Blond ihr nichts, als Spott eingebracht hatte. Als Kind war ich noch fast weißblond gewesen. Alle spotteten über mich, dass ich ein Albino sei, ein dummes Mädchen, denn blond bedeutet dumm zu sein. Aber ich hatte mich niemals dumm gefühlt. Mit zehn, als ich zum gefühlt Hundertsten mal weinend heimgekommen bin, hat mir meine Mutter erlaubt, in der Schule eine Perücke zu tragen. Davor besprach sie es zwar mit den Lehrern, damit diese sich nicht wunderten, doch von da an, wurde es besser. Mit dreizehn begann ich sie dann zu färben, regelmäßig, da der Ansatz immer viel zu schnell wieder hervorkam und irgendwann... vergaßen alle, dass ich ja eigentlich blond bin. Ich wurde normal aufgenommen, oder vielleicht lag es auch einfach daran, dass die anderen älter wurden und es nicht mehr so eng sahen.
Heute waren meine Haare etwas dunkler. Nicht mehr dieses verdammte weißblond aus meiner Kindheit. Nein. Heute ist es ein ganz >normales< blond, was auch immer man darunter verstehen wollte. Und wessen schuld ist das? Natürlich Gerards... Er hatte mir dieses dumme Mittel untergejubelt, was die falsche Haarfarbe entfernt.
Ein Klopfen riss mich aus meinem Selbstmitleid und ich sprang auf. Dieses Mal hatte ich wieder, viel Stärker die Hoffnung, dass es Gerard sei. Langsam machte es mich wahnsinnig, aber... ich konnte es auch nicht ändern. Er musste es sein, damit ich meinen Frust an ihm auslassen konnte. Vielleicht ein... kleiner Kampf? Ja, das wäre gut.
Mit blutroten Tränen auf meinen Wangen riss ich die Türe auf, ohne daran zu denken, dass ich ja noch immer nackt war und... blickte sanften blauen Augen entgegen. Nicht so hellblaue, wie die des Königs, nein diese hatten etwas Ruhiges, Väterliches... „Ger...“ Begann ich und blickte an Louis vorbei, doch er blickte mich lediglich bedauernd an und hielt mir eine halb gefüllte Flasche mit einer roten Flüssigkeit hin.
„Er sagte, ich soll es dir bringen, so schnell ich kann.“ Entsetzt blickte ich auf die Flasche und nahm sie entgegen. Für meine >Fütterung< wie ich sie spaßhalber genannt hatte, war es noch zu früh, doch als ich bemerkte, dass die Flüssigkeit Körperwärme besitzt und nicht erst aufgewärmt werden musste, wusste ich, von wem sie stammte. „Sag ihm, er ist ein...“ Ich fluchte auf Isländisch wie ein Fischer, dann schlug ich so stark die Türe zu, dass ich das Gefühl bekam, als würde sie eigentlich herausbrechen müssen, oder durch den Türrahmen hindurch, dann öffnete ich die Flasche und sog genießerisch den vertrauten Geruch ein. „Ich hasse dich!“ Sagte ich irrationalerweise zum Blut und stürzte es daraufhin hinunter, als wäre ich am Verdursten in der Wüste gelandet und dies, wäre die erste Flüssigkeit seit einem ganzen verfluchten Tag.

Mischel

„Vlad?“ Nun war es sieben Jahre her, seit ich mein Herz das erste Mal verloren hatte. Und das an eine Werwölfin.
„Göttin.“ Quietschend fiel sie mir um den Hals und küsste mich so überschwänglich, sodass ich doch glatt mein Gleichgewicht verlor und unsanft auf dem Boden landete.
Lachend schob ich sie von mir, um sie betrachten zu können. Sieben Jahre war ich fort gewesen, doch Göttin ist, wie ich, in der Zeit stehen geblieben, und sah einfach atemberaubend aus. „Du zerbrichst noch mein Geschenk.“ Lachte ich, was sie sichtlich wenig interessierte, stattdessen küssten wir uns noch einmal, und noch einmal, und noch einmal. Ginge es nach mir, würde ich überhaupt nie mehr damit aufhören.
Eilig warf ich das Geschenk außerhalb unserer Reichweite, zu einem Dornenbusch, wo ich es später wiederholen würde, und verbrachte die nächsten Stunden damit, über meine Reise zu erzählen, während wir noch anderen, wichtigeren und bisher vernachlässigten Dingen nachgingen.
Erst als Göttin zufrieden, doch sehr erschöpft in den Schlaf fiel, bekam ich eine Atempause, welche ich nutzte, um ihre herrliche Gestalt zu bewundern. Seufzend schloss ich sie in meine Arme, küsste ihren lieblichen Nacken und vergrub mein Gesicht in ihrem Haar. Zwar konnte ich nicht schlafen, oder so erschöpft sein, wie sie, doch im Moment kam mir dies bloß zugute. So verpasste ich nicht, wie sie sich streckte, hin und wieder ihre Krallen ausfuhr, oder sie wieder in ihren Händen versteckte, konnte zusehen, wie sich, obwohl kein Lüftchen ging, ihre Haare von selbst bewegten und überhäufte meine Liebe mit Küssen, wofür ich jedes Mal ein zufriedenes, verschlafenes Lächeln bekam.
Erst als die Sonne hoch am Himmel stand, wieder einmal, erwachte sie und ich wartete bereits, mit einem kleinen Lederbeutel, vor ihrer Nase. Gähnend streckte sich die Wölfin und schmunzelte glücklich, als sie das Geschenk entgegennahm. „Was ist es?“ Fragte sie und drehte es im Kreis, als wäre der Lederbeutel das Geschenk.
Ich kicherte. „Öffne es, dann siehst du es.“
„Öffnen?“ Fragte sie verblüfft und entdeckte eine dünn geflochtene Schnur.
„Hier?“
Ich half ihr, da sie sich als recht ungeschickt herausstellte, und ließ, eine fast schon goldene Muschel in ihre Hand fallen. „Sie ist aus dem Meer.“ Erklärte ich ihr. „Man nennt es eine Muschel. Sie besteht aus zwei Hälften.“
Eine weitere plumpste heraus, doch diese fiel in meine Hand. „Eine Muschel?“ Wiederholte sie fasziniert.
„Sie kommt bloß in Meeren vor, welche ständig in Bewegung sind. Ich war viel im Meer, bin mit Fischen und Walen geschwommen. Es ist... herrlich dort. Zwar gibt es dort wenig Bäume, aber es würde mir gefallen einmal ein paar Tage mit dir dort zu verbringen.“
Überglücklich blickte sie zu mir hoch. „Sie sind wunderschön, danke Vlad.“ Ich küsste sie, während ich ihr die Muschel um den Nacken legte und die, von mir selbst gefertigten, Schnüre hinter ihrem Haar schloss. „Ich habe es extra so geflochten, dass du dich mit der Schnur gemeinsam verwandeln kannst. Ich denke, sie sollte sich ausgehen, wenn nicht, dann mache ich dir eine Größere. Leider weiß ich nicht, wie groß...“
Göttin hielt mir mit einem Finger auf meinen Lippen den Mund zu und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Sie passt perfekt, Liebster.“ Schwor sie und ich seufzte erleichtert.
„Sie hat mir beim Tauchen in die Augen gestochen. Zuerst dachte ich, ich sähe eines deiner wunderbaren Augen... aber dann erkannte ich, dass dies Unsinn ist. Kurzerhand nahm ich sie mit und ließ mir zeigen, wie ich sie öffne. Solche Muscheln ergänzen sich bloß mit ihrer zweiten Hälfte. Jede ist einzigartig und kann niemals vertauscht werden.“ Ich legte die zweite Hälfte an ihren Hals, damit sie sah, was ich meinte. „Sie gehören zusammen, nur sie beide.“
Nun legte mir Göttin auch meine um den Hals, als wären dies Ringe, welche unsere Beziehung verfestigte und nicht einfach bloß Muscheln aus dem Meer. „Muschel.“ Wiederholte die Wölfin völlig fasziniert.
Zärtlich strich ich über ihr Schlüsselbein, woraufhin sie schauderte. „Darf ich dich um etwas bitten?“ Fragte ich stark verunsichert und wagte es nicht, ihr in die Augen zu sehen.
„Worum denn?“ Forderte sie mich auf und beugte sich zu mir, um meinen Hals zu küssen.
„Ich... Ich habe mir... überlegt...“ Stotterte ich zusammen. Auf den gesamten Weg hierher, auch wenn ich dafür meine Wachen hatte abschütteln müssen, waren mir einfach nicht die richtigen Worte eingefallen. „Vielleicht... darf ich dich... anders nennen?“
Göttin legte ihren Kopf zurück auf den trockenen Boden des Hochsommers und legte den Kopf schräg. „Einen neuen Namen?“
Ich zuckte unsicher mit den Schultern und tat, als wäre dies nichts Besonderes, doch in Wahrheit starb ich hier gerade tausend qualvolle Tode. „Nun, ja... >Göttin< wurde dir von den Menschen gegeben, also dieser Name. Sie bezeichnen dich damit als die Göttin des Waldes, was du auch zweifelsohne bist. Aber... ich möchte... dich nicht... wie jeder andere anreden...“
Ich hörte Göttin kichern und blickte sie überrascht an. Was war denn daran jetzt wieder lustig? Am liebsten würde ich im Erdboden versinken. Ich! Der wahre und einzige Sohn der >Mutter< aller Vampire. „Du bist noch viel süßer, wenn du schüchtern wirst.“
Nun musste auch ich lächeln, denn sie hatte recht. Ich benahm mich lächerlich. „Jetzt werde ja nicht frech, kleines Wölfchen!“ Kurzerhand kitzelte ich sie und wir kugelten eine Weile lachend über den Boden, so lange bis sich unsere Lippen von selbst fanden und meine Muschel direkt gegen ihre schlug.
Langsam wurden wir wieder ruhiger und sahen uns einfach an. „Wie würdest du mich denn nennen wollen, Liebster?“
Ich umfasste ihren Teil der Muschel und hauchte einen Kuss darauf, was ihr für einen Moment den Atem raubte. „Ich habe viel mit dem Namen gespielt und... dachte an... Mischel?“ Fragend blickte ich sie an. Ob sie dies nicht... zu lächerlich fand?
Für einen Sekundenbruchteil sah es so aus, als würde meiner Wölfin das Herz aufgehen. „Er ist perfekt, Vlad.“
„Und einzigartig, so wie du, Liebste.“

XXVIII. Lous Tobonneau, der Liebhaber

„Ich finde es aber zauberhaft von ihm.“ Erwiderte die Liebe meines Lebens leicht beleidigt.
„Jemanden einen Kristallleuchter zu schenken, der gut fünfzehntausend gekostet hat, ist keinesfalls >zauberhaft<.“ Belehrte ich sie streng, woraufhin sie seufzte. Eigentlich sollte es mir ja egal sein, besonders Manon machte sich normalerweise überhaupt nichts aus solchen Tratsch, doch langsam viel mir auf, wie sehr die Frauen für unseren König schwärmten. Vielleicht lag es ja daran, dass sie dachten, er wäre in Isles verliebt und sahen ihn endlich etwas mehr, als >Mann< als bloß >den König< an. Trotzdem nervte es mich.
„Du weißt doch, jede Frau, hat einen einzigartigen Geschmack.“
Ich zog sie zu mir hinunter, wobei ihr langes Haar, über meinen Oberkörper streichelte. Seufzend küsste ich sie und genoss es, wie ihre Strähnen, einzeln über meine Haut kitzelten. Zumindest, so lange, bis sie sich wieder zurückzog und mir damit deutlich machte, dass dieses Thema noch lange nicht abgehakt war. Stöhnend ergab ich mich meinem besonders grausamen Schicksal. „Außerdem verbringen die beiden, beinahe jeden Tag zusammen. Der König gibt sich große Mühe, um ihr Herz zu gewinnen.“ Bloß dass er es niemals bekommen würde! Das war unmöglich, selbst für unseren Herrscher.
„Liebste! Mein Herz! Du kennst doch Isles, nicht wahr? Du weißt, wie sie ist und ich bezweifle, dass sie in den nächsten Wochen, von ihrem ungestümen Charakter, zu einer anschmiegsamen Prinzessin wird.“
Manon winkte ab. „Papperlapapp. Du bist ein Mann, du weißt nicht, was wir Frauen alles schaffen, wenn wir es nur wollen. Besonders in herzensdingen.“
Ich schmunzelte und rollte mich auf den Bauch, wodurch ich in den Genuss kam, ihre Waden direkt vor meinem Gesicht zu haben. Zärtlich ließ ich meine Finger über ihre zarte Haut wandern. „Nachdem du unter allen Vampiren, die du dir aussuchen hast können, ausgerechnet den zügellosesten gezähmt hast? Ich denke... ich habe eine vage Vorstellung.“ Liebevoll hauchte ich ihr einen Kuss auf das Knie und ließ meine Finger, sehr langsam, weiter wandern.
„Du bist immer noch zügellos, mein Liebster.“ Erklärte sie kichernd und streichelte über mein blondbraunes Haar. „Immerhin versuche ich mich hier, mit dir zu unterhalten, aber du bringst mich, wieder einmal dazu, deinen Gelüsten nachzugeben.“
Nun, ja an meiner Freude an Sex hat sich recht wenig geändert, selbst nicht nach sechshundert Jahren. Aber seit diesen besonderen sechshundert Jahren praktiziere ich es ausschließlich mit einer Frau. Eine Frau, die sich manchmal sogar beschwerte, dass ich zu oft Lust bekam. „Was soll ich denn machen, bei so einer verführerischen Schönheit, vor mir?“ Ich biss sie sanft in die Innenseite ihres Schenkels und wurde vom herrlichen Duft, ihrer Lust begrüßt.
„Dir am besten eine weitere Frau suchen, sonst zerbreche ich irgendwann einmal wegen dir.“ Keuchend stemmte sie sich gegen meine bereits wirkenden Versuche sie ebenfalls zu etwas... eher schweißtreibenden Dingen, zu bewegen.
„Keine Sorge, mein Herz. Ich habe schon vor Jahrhunderten, nach unserem ersten Mal, dafür gesorgt, dass du immer...“ Ich küsste ihre Hüfte. „... und immer...“ Und weiter ihren Bauch hinauf, den ich immer weiter aufdeckte. „...und immer wieder...“ Mit einer einfachen Handbewegung zerriss ich ihr Höschen, was mir später ärger einhandeln würde, aber in den nächsten Stunden, höchste Lust! „...nichts lieber tust, als unter mir zu zerbrechen... und zu heilen... und wieder zu brechen...“ Das reichte schon. Gierig zog meine, einzige, Liebe mich an sich und hielt mir willig ihr zartes Fleisch entgegen. Nur zu gerne kam ich ihrem Drängen entgegen, bis sie schreiend um eine Pause bettelte, oder ich mich vor schmerzen krümmte. Dann dauerte es immer bloß ein paar Minuten, bevor wir geheilt waren und von vorne begannen.
Unersättlich! So bezeichnete sie mich häufig. Auch wenn es Manon niemals vor ihren Freundinnen zugeben würde. Sie brauchte dies, genauso wie ich. Meine süße, scheinbar Unschuldige, Frau...
Hektisches Klopfen entlockte mir ein frustriertes Stöhnen. „Egal wer es ist, verschwinde, oder ich bringe dich um!“ Schrie ich so laut, dass man mich von draußen, selbst ohne Vampirgehör und trotz der Schallwand, wahrnahm. Jedoch ohne mit meinem wilden Tun zu enden, was mir eine Verfluchung von Seiten, meiner Frau einbrachte. Ich würde bestimmt nicht enden, während meine Frau kurz vor einem Höhenflug war! So weit sollte es noch kommen! Dann würde ich mich nie wieder vor ihr sehen lassen können!
Abermals erklang dieses nervige Klopfen, sodass ich dachte, jeden Moment würde die Türe durchbrechen. „Was?“ Brüllte ich zornig.
„Himmel noch eins, geh doch hin!“ Fluchte Manon zornig.
Ich blickte auf, in ihre anbetungswürdigen Augen. „Entschuldige dafür, meine Geliebte, aber ich gehe nicht, ehe ich nicht hier unten fertig bin.“ Eigentlich ließ ich mir immer Zeit, was sie durchaus zu schätzen wusste und dabei mehr als genoss, doch dieses Mal, trieb uns beide die Eile und ich schwor mir, dies später wieder gut zu machen. Nach wenigen Sekunden kam sie mit einem heftigen Aufschrei und Zuckungen, welche selbst mir wehtaten und überließ sie, stolz, ihrer Überempfindlichkeit und hoffte, dies ist es auch wirklich Wert gewesen! Mit einem zornigen Ruck öffnete ich die Türe und starrte einem verärgerten Gerard entgegen. „Wehe! Wehe, das ist kein wirklich guter Grund!“ Fauchte ich wütend über die unnötige Verkürzung meiner besonderen Zeit mit meiner Frau.
Gerard wirkte über meinen Wutausbruch ernsthaft überrascht. Nun, ja es gab auch recht wenig, was mich wirklich zur Weißglut trieb. „Du musst ihr das hier bringen. Sofort.“ Kurzerhand hielt ich eine warme Flasche, mit roter Flüssigkeit darin.
Dafür? Bloß wegen so einer dummen Flasche hatte er mich dazu gebracht... Wütend warf ich sie ihm regelrecht an den Kopf. „Heute nicht! Bring es ihr selbst und wehe dir, du störst uns noch einmal bei dieser Sache!“ Damit warf ich die Türe zu und bereute es auch sofort wieder. Vielleicht ist es ja etwas Ernstes, mit Isles? Immerhin konnte Gerard spüren, wenn besonderes Leid sie packte, dank der Schnittwunde in seinem Gesicht, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Auch ich konnte es fühlen, so wie in diesem Moment, wo sich Manon von meiner Arbeit erholte. Alleine ein Blick ins völlig durchwühlte Schlafzimmer, sagte mir, dass sie es durchaus zu schätzen gewusst hat, was ich da eben getan hatte. Auch wenn ich sie nicht davor warnen konnte. Zumindest nicht explizit genug.
„Ich werde dich umbringen!“ Stöhnte sie mit zitterndem Körper und tat sich sogar schwer beim Sprechen. Schmunzelnd ließ ich meinen Blick über ihren herrlichen Körper gleiten, doch wagte es nicht sie jetzt zu berühren.
„Möchtest du etwas zu trinken?“ Fragte ich fast schon schnurrend und bekam einen vernichtenden Blick.
„Richte am besten gleich zwei Flaschen her.“ Drohte sie und bekam langsam wieder genug Kraft zusammen, um sich aufzurichten. Traurigerweise, konnte ich nicht einmal sagen, dass ich mich vor ihrer Rache fürchten würde...

XXIX. Gerard Tobonneau, Irrational und Dumm

Gerade noch so, fing ich die Plastikflasche ab und blickte sichtlich überrascht, die geschlossene Türe an. Was ist denn in Louis gefahren? Hatte er etwa streit mit seiner Liebsten gehabt und ihn an mir ausgelassen? Nun, ja ich zweifelte bei weitem nicht, dass mir eine lange, ausschweifende Erklärung erspart bleiben würde, daher machte ich mich selbst auf den Weg, hinauf in die Suite. Als ich oben ankam, wollte ich zu aller erst, meinen eigenen Code eingeben, doch wusste, dass sie ihn bereits geändert hatte. Ihn sogar haben musste, denn sie kannte meinen ja überhaupt nicht und ich hatte in der Suite sämtliche Codes, für sie, zurückgesetzt.
Vorsichtig stellte ich die Flasche vor der Türe ab und klopfte lediglich rasch, bevor ich auch schon um die nächste Ecke lief, bevor ich ihr begegnen konnte. Leider vergebens, denn damit rannte ich direkt in mein Verderben. Mehr, oder weniger...
„G-Gerard?“ Sichtbar überrascht, verkrampften sich ihre, zur Abwehr, ausgestreckten Arme und klammerten sich in mein, ehemalig sauber Gebügeltes, Hemd.
Auch ich war überrascht. Nicht sie zu sehen, sondern vielmehr, ihr direkt in die Arme gerannt zu sein. Wortwörtlich! Als würde eine andere Macht meine Hand steuern, konnte ich beobachten, wie sie, völlig gegen meinen Willen, an ihrer Wange entlang strich, wohin sich eine eigensinnige Locke verirrt hatte. Gegen jede Vernunft... legte Isles ihre Wange in meine Hand und bekam einen regelrecht, seligen Gesichtsausdruck.
„Isles...“ Seufzte ich glücklich, endlich, nach Monaten ihren Namen auszusprechen, und fühlte, wie mein gesamter Körper, sich mit einem Mal entspannte. Sämtliche Hektik und Vorsicht, war auf ein Mal verschwunden und ich fühlte mich erschöpft. Erschöpft vom Weglaufen, vor ihr. „Ich...“ Ich stockte, denn ich wusste plötzlich nichts mehr zu sagen. Da war nichts, dass ich ihr sagen musste, denn sie musste es doch ohnehin schon wissen, nicht wahr? Wieso ich mich von ihr fernhielt, weshalb ich mein Versprechen nicht hatte halten können...
„Gerard...“ Flüsterte sie leise und legte ihre Stirn an mein Brustbein. Meine Finger strichen durch ihr nun seidiges Haar. Sie sah so gut aus. Plötzlich nach viel mehr... Vampir.
Ihre verkrampften Finger lockerten sich und streichelten ebenso sanft, über meinen Brustkorb, welcher vor Schreck erstarrt war und ich bemerkte, wie sie meinem kräftigen, doch rasch schlagenden, Herzen lauschte. „Bist du wirklich hier?“ Fragte sie plötzlich im Flüsterton.
Ja, natürlich bin ich hier. Wo könnte ich schlecht anders sein? Oder eher, >ich sollte überhaupt nicht hier sein<. Räuspernd schob ich sie von mir und schüttelte unsere unabstreitbare Anziehung ab. „Ich habe...“ Ja, was habe ich? Weshalb bin ich gekommen? Ihr dunkler Blick landete auf meinem, wieder einmal und raubte mir beinahe erneut die Sinne. Ich hatte nichts gegen ihre wilde und jähzornige Natur, doch an diese... schwelgerische Natur von ihr, könnte ich mich ebenfalls gewöhnen.
Abermals riss ich mich los, dieses Mal einfacher und deutete auf die Flasche hinter mir, welche an der Türe lehnte. „Trink, sonst wird es kalt.“
Damit verschwand ich in der höchsten Geschwindigkeit, welche ich aufbieten konnte, hinaus aus dem Labyrinth. Leider konnte ich, dank meines furchtbar guten Gehörs, noch immer ihre Stimme wahrnehmen, welche mir hinterherrief. Und zwar sehr wütend. „Nein! Du bleibst gefälligst hier! Gerard!“ Ich konnte mir sehr schlecht ein glückliches Lächeln verbieten, als ich zwei Etagen tiefer lief. Zu Louis konnte ich nicht, der war mit seiner Geliebten beschäftigt. „Gerard!“ Brüllte Isles vom obersten Stockwerk hinab. Verdammt, sie wurde langsam schneller.
Eilig überlegte ich, bei wem ich, unerwartet, Sicherheit suchen konnte. Weder Louis und noch weniger mein eigenes Zimmer kam in Frage. Hoch zum König wollte und konnte ich ohnehin nicht mehr. Was blieb mir also dann?
Ich entdeckte eine Türe, welche ich kannte, sie gehörte einer Frau, welche ich weder mochte, und noch weniger schätzte. Sie wäre... eigentlich das ideale Versteck, oder nicht?
„Wo bist du, verdammt? Ich reiß dir...“ Verdammt, sie war bereits so nahe?
Hektisch klopfte ich an die Türe, welche genervt aufgerissen wurde. Ein blonder Haarschopf blickte mir erbost entgegen. „Was suchst du hier?“ Fauchte sie mich an und musterte mich, als wäre ich ein Schandfleck in ihrem Türrahmen. Natürlich konnte ich es ihr nicht verübeln. Sie ist eitel, eine ehemalige Prinzessin, welche sich rasch mit Mutter angefreundet hatte und die Chance erhielt, sich als Vampir zu beweisen. Sie hatte bisher niemals jemanden gefunden, den sie hätte Markieren können, wofür ich sie in diesem Moment wirklich beneidete.
„Weshalb würde ich wohl, an deinem freien Tag, an die Türe klopfen?“ Stellte ich ihr als Gegenfrage, woraufhin sie mich skeptisch beäugte.
„Bisher hast du mich nicht einmal von der Seite betrachtet...“ Schnippisch, wie immer, in meiner Gegenwart, schien sie mich mit ihrem Blick erdolchen zu wollen. Eine verschmähte Frau, ärgerte man bloß selten mit Elan. Daher entschied ich, das zu tun, was ich in diesem Moment, als den besten Ausweg ansah.
„Das beste hebt man sich immer zum Schluss auf, schon vergessen?“ Unterbrach ich sie mit einer rauen Stimme, welche ihr einen Schauder über den Rücken jagte. Langsam beugte ich mich hinab, wobei sie keinen Millimeter fortrückte, daher nahm ich dies in die Hand. Ich brauchte bloß meine Hände, um ihren Körper schließen, schon zog sich die selbst ernannte Prinzessin, meinen Körper hinauf. Ich warf die Türe ins Schloss und gab mich einem Schicksal hin, welches ich bereits seit dreihundert Jahren vor mich hingeschoben hatte.
Weshalb auch nicht? Eine jede Frau war gut genug, für mein hart pochendes, beste Stück, solange es blonde Haare besaß und ich mir in der beständigen Dunkelheit ihres Schlafzimmers, vorstellen konnte, es wäre... jemand anderes.

XXX. Isles Skylander, ist dem König verfallen

Ich schälte mich in ein enges Cocktailkleid, welches Martha an meinem Rücken richtig verschnürte. „Rot steht dir verboten gut, Liebes.“ Lobte sie und strich meine offenen Haare, über meinen beinah gänzlich entblößten Rücken. Mittlerweile kitzelten sie an meinen Schultern, was ich manchmal noch recht ungewohnt fand. „Ich sehe in dem Kleid aus, wie Aurora.“ Beschwerte ich mich. Martha hatte meine Haare geglättet und mich in ein enges Kleid geschnürt. Rot war zwar nicht Auroras Farbe, trotzdem konnte ich gewisse Ähnlichkeiten feststellen, abgesehen davon, dass mein Haar deutlich heller war und ihres mit Strähnen durchzogen.
„Trotzdem teilt ihr weder denselben Modegeschmack noch dieselben Farben.“ Besserte Martha mich aus, während ich Lipgloss auf meinen Lippen verteilte, welcher bestimmt nach dem Theater wieder abgegangen sein würde.
„Zum Glück.“ Grinste ich breit und betrachtete mich im Spiegel. Ich war definitiv ein Blickfang und würde an der Seite meines Königs bestimmt noch mehr auffallen.
Tatsächlich dauerte das Theaterstück über fünf Stunden und war auf Spanisch. Zum Glück hatte mir Martha, zusätzlich, ein Wörterbuch zugesteckt, welches ich, während des Theaters, verschlungen hatte. Somit verstand ich zumindest einen gewissen Teil. Michellé bot an, mir das zu übersetzen, was ich noch nicht verstand, oder nicht ganz klar war, was ich bloß zögerlich annahm. An einem kniffligen Satz schaltete er sich selbst ein, legte seine Finger in mein Buch und erklärte mir, wie man es richtig aussprach oder wie man die Redewendung sonst noch verstehen konnte. Danach kam ich erst so richtig in Fahrt, doch Michellé schien meine Neugierde eher mit Humor zu nehmen.
Irgendwann, vermutlich dauerte es über eine Stunde, bemerkte ich, wie ich in Michelles Armen lag, sein Arm um meine Schultern gelegt und seine Hand, auf meinen beiden, über meinem Buch. Erschrocken, da ich mich nicht erinnerte, wie es überhaupt so weit gekommen war, entschuldigte ich mich, meine Beine vertreten zu müssen. Immerhin dauerte das Stück nicht mehr lange. Zumindest bis zur ersten Pause hin.
Stöhnend kühlte ich meinen, eher metaphorisch, erhitzten Kopf mit etwas kaltem Wasser, besserte meinen Lipgloss aus und kam gerade Michellé entgegen, welcher die Loge verließ. Überrascht fand ich mich in seinen Armen wieder, als er mich herzlich begrüßte.
Zum Ende des Theaters hin, fuhren wir mit derselben Limousine zurück, mit welcher wir gekommen sind und Michelle genehmigte sich eine junge, recht benebelt wirkende Frau. Ich begnügte mich derweilen mit einer abgefüllten Flasche, doch goss mir das Blut in einen Becher.
Lachend, über einen Witz, den Michellé gemacht hatte, stieg ich vor dem Schloss der Vampire aus und wurde, zusammen mit dem König, in das Anwesen eskortiert. Hinter uns wurde die, vermutlich Tote, ausgeladen und fortgebracht, doch darauf achtete ich überhaupt nicht, denn ich amüsierte mich so gut, dass ich dies völlig ausblendete.
Mit einem tiefen, glücklichen Seufzen, schloss ich die Türe hinter Michellé, nachdem er mich in mein >zuhause< begleitet hatte, und schälte mich aus dem Kleid. Zeitgleich, dämmerte mir etwas. Er hatte das Mädchen leer getrunken, oder nicht? Kopfschüttelnd versuchte ich zu verstehen, was mich großartig daran störte. Ich trank genauso Blut, nur eben aus der Flasche. Das war... nun, ja fast, dasselbe. Trotzdem hallte dieser Gedanke, an das tote Mädchen immer noch in mir nach, als ich Aurora schrieb, wie es gelaufen ist.
Mittlerweile besaß ich ein Handy, einen Laptop, einen großen Fernseher und das wichtigste! Internet! Lachend tratschte ich mit Aurora, als wären wir alte Freundinnen, was ich fast schon erleichternd fand. Wer hätte gedacht, dass ich mit den Frauen hier, so gut klarkommen würde? Ich! Miesepeter Nummer eins! Aber weshalb auch nicht? Wir teilen ein, Unsterbliches, Schicksal. Und bald schon... würde ich ihre Herrin sein müssen, oder nicht? Bevor ich den Gedanken vertiefen konnte, klopfte es an der Türe. Gekleidet in Sporthosen und einem Trainingsshirt, öffnete ich und blickte, recht überrascht, Francesca entgegen.
„Hi!“ Begrüßte ich die mürrische Spanierin höflich. Misstrauisch beäugte sie mich, sah sich dann einen Moment unsicher im Gang um und deutete mir dann, sie einzulassen.
„Hallo, Isles. Bist du alleine?“
Ich nickte, obwohl dies eher recht selten vorkam. „Klar, komm hinein.“ Wir setzten uns nicht in die kuschelige Ecke, in der wir Frauen immer quatschten, sondern auf das Sofa, auf welchem ich normalerweise immer fernsah.
„Erwartest du in nächster Zeit jemanden?“ Fragte sie, sichtlich nervös.
„Nicht das ich wüsste, aber ihr kommt immer, wann ihr gerade Lust habt. Also, verlass dich nicht zu sehr darauf.“ Scherzte ich, woraufhin sie mein Lächeln, schwach, erwiderte.
„Es geht... um dich.“ Begann Francesca.
Um mich? Okay... jetzt bin ich neugierig. „Was ist denn?“ Fragte ich.
„Fühlst du dich... irgendwie seltsam? Ich meine, in letzter Zeit, ist viel um dich herum geschehen. In wenigen Tagen ist der Vampirball, wo um deine Hand angehalten werden wird und... nun, ja. Du lebst als eine richtige Prinzessin hier.“ Francesca deutete auf mein >zuhause<.
„Gut erkannt, Watson.“ Lobte ich, dezent sarkastisch.
„Entschuldige die Frage, aber h-hast du... hast du von dem Mädchen heute in der Limousine getrunken?“
Ich verzog angewidert das Gesicht. „Natürlich nicht!“ Fauchte ich wütend. „Ich würde niemals einen Menschen so schaden.... Äh... Ich, habe eine Flasche angeboten bekommen.“ Erklärte ich und schüttelte kurz meinen Kopf. Was sollte diese Frage denn überhaupt?
„Okay, schon in Ordnung. I-Ich habe nur gefragt, da du ja vorwiegend Werwolfblut bekommst und dachte, dass dir reines Menschenblut vielleicht weniger bekommen würde.“
Ich lachte erheitert. „Was? Nein, Unsinn! Ich habe ja auch auf Island von Menschen getrunken. Geschadet hat mir das auch nie.“ Eine ungewohnte Schwere legte sich auf meinen Brustkorb. Dieses Thema sollte mich doch eigentlich überhaupt nicht erheitern, oder? So etwas, dass sich wie Watte anfühlte, umhüllte diese Empfindung, daher schüttelte ich sie ab und verschob dessen Rätsel auf später.
„Trinkst du denn Werwolfblut?“ Fragte ich interessiert, als Francesca, nichts anderes tat, als zu nicken und nachdenklich an ihren Fingernägel zu zupfen.
„Ich? Nein, ich wollte das es nie.“ Wich sie aus und schaffte lediglich ein bedrücktes Lächeln. Okay, irgendetwas wollte sie doch, nicht wahr? Dabei ging es um alles andere, als um dieses verdammte Blut. Woher kam denn jetzt diese Wut, so plötzlich?
„Was ist los Francesca? Hier geht es doch nicht um Blut, oder? Weshalb bist du hier?“
Unbehaglich sah sie sich im Zimmer um, als wäre es plötzlich doch recht interessant. „Na, gut. Aber... versprich mir, nichts den anderen Frauen zu sagen, ja?“
Beschwichtigend legte ich meine Hänge auf ihre. „Versprochen. Ich werde ihnen nichts sagen. Nicht einmal, dass du heute hier warst, ja?“
Sichtlich Gefasster, blickte mir Francesca entgegen. „I-Ich denke... Michellé manipuliert dich.“
Erschrocken sog ich die Luft ein. Das war doch ein Witz, oder? Lachend winkte ich ab. „Ach, was! Der König benutzt doch seine Fähigkeit nicht gegen uns. Das würde er niemals tun, wir gehorchen ihm doch auch so und zollen ihm den nötigen Respekt.“ Verteidigte ich den König, doch hatte dabei einen ekelhaften Beigeschmack im Mund.
„Hör mich erst an, bevor du meine Worte abtust, ja?“ Ich nickte entschieden, ihr zuzuhören. Vertrauen verdiente man bei manchen Personen bloß, wenn man vorher ihnen das eigene geschenkt hatte. „Du kennst Beliov, nicht wahr?“
„Der größte Mensch auf dieser Welt, der zugleich unsterblich ist und ein Indianer, mit einem russischen Namen? Jap, den habe ich einmal gesehen.“ Meinte ich sarkastisch und bekam ein verlegenes Lächeln.
„Ja, er ist schon... eine Faszination für sich, nicht wahr.“ Schmunzelte Francesca und ich erinnerte mich, dass Aurora doch gesagt hatte, dass die Liebe bloß auf Einseitigkeit beruhte, oder doch nicht?
„Zumindest ist er nicht die Art Mann, mit der ich mich anlegen würde.“ Und he! Das kam von der Frau, welche sich Gerard Tobonneau, den Henker des Königs sich zum Feind gemacht hatte. Mehr, oder weniger zumindest...
„Nein, das möchte man wirklich nicht. Aber... ich denke, es ist Michellé, der mich von Beliov fernhält.“ Jetzt überraschte sie mich noch mehr.
„Wie meinst du das?“ Fragte ich verblüfft.
„Seit ich Beliov das erste Mal getroffen habe, bin ich fasziniert von ihm. Seine Bewegungen, seine intensiven, alles wissenden Augen, die starken Muskeln... Er ist eben ein Traum von Mann, zumindest für mich. Doch, als er ans Schloss kam, nur für mich, konnte ich... alleine wenn ich ihn sehe, kommt mir das Grauen. Ausgerechnet er! Ein Außenseiter, der denkt, er wäre etwas besseres und kann sich nehmen, was er will.“ Okay, da passte das eine nicht zum anderen. Zuerst klang sie, als würde sie über ihn schwärmen, dann wiederum ekelte sie sich vor ihm? Hasste ihn womöglich. „Trotzdem bekomme ich ihn nicht aus meinen Gedanken, aus meinen Träumen. Er ist einfach überall, ständig nehme ich seinen Geruch wahr, wenn er in der Nähe war, oder bilde mir seine Stimme ein. Sobald er aber vor mir steht, frage ich mich jedoch, wieso? Was ist an dem denn besonders? Er ist nichts Weiter, als ein eingebildeter Idiot, der die falsche Wahl getroffen hat, oder vielleicht sogar spioniert. Außerdem tut er immer so, als würde er über allen und jedem stehen. So einen Mann brauche ich nicht an meiner Seite!“ Fauchte sie beinahe schon wütend, wobei ihre ersten Worte noch beinahe zärtlich ausgesprochen waren.
Okaaay... irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht! „D-Du klingst etwas unentschlossen.“ Stellte ich fest.
Hilfesuchend glitt ihr Blick zu mir zurück. „Isles. Das war Michellé. Ich weiß das, denn ich liebe Beliov so sehr, dass ich manchmal einfach nur schreien und weinen möchte, aber wenn er dann vor mir steht... könnte ich ihn an die Wand schmettern.“
Ich dachte automatisch an Gerard. „Diese Überreaktion lösen wohl einige Personen bei uns aus.“ Erklärte ich monoton.
„Nein, so bin ich überhaupt nicht, Isles. Verstehst du es denn wirklich nicht?“ Ich hob die Augenbrauen, denn ich hatte absolut keine Ahnung, auf was sie hinaus wollte. „Du hasst es, wenn andere von Blutspendern trinken, nicht wahr?“
Ich verzog angewidert das Gesicht. „Natürlich tue ich das! Es ist nicht nötig, Menschen derart zu missbrauchen! Es ist... einfach ekelhaft und brutal!“ Fauchte ich wütend. Alleine schon der Gedanke daran, dass jemand einen Menschen aussaugte... einfach aus Spaß? Widerlich!
„Und jetzt denk daran, was Michellé heute im Auto getan hat. Das junge Mädchen, das er leer getrunken hat.“ Plötzlich kam mir die Übelkeit hoch. Er hatte....
Im nächsten Moment fühlte ich mich etwas benebelt, als wäre dies bloß eine ferne Erinnerung.
„Das hat er doch bloß getan, weil er durst hatte. Wie sollten sich Vampire denn sonst, deiner Meinung nach...“ Da fiel der Groschen. Oder viel mehr, das Stroh aus meinem Kopf. Die Berührungen, die Küsschen, das Gekuschel, mein ständiges >brav sein<. Nun ekelte ich mich von mir selbst.
„Igitt! Ich hab mit Michellé gekuschelt.“ In diesem Moment, wollte ich nichts lieber, als aus meiner eigenen Haut heraus!

 

- - - - -

 

Ich? Mich! Am liebsten würde ich aus meiner Haut fahren, meine Fänge in dieses missgestaltete Arschloch schieben... Igitt! Da kam ein ganz ekelhaftes Bild in mir hoch. Nein, das war definitiv die falsche Beschreibung für ihn!
„Isles?“ Aurora schubste mich, mit einem dicken Grinsen im Gesicht, hinein.
Zwinkernd riss ich mich aus meiner Wut los, zog meine Fangzähne ein und versuchte meinen innerlichen Wutausbruch zu vertuschen. „J-Ja?“
„Hast du mir zugehört?“ Fragte sie, fast schon vorwurfsvoll.
Zugehört? Irgendetwas über >fantastisch<... Konnte also bloß etwas mit ihrer Kleidung zutun haben. „Du hast etwas Fantastisches gekauft?“ Fragte ich, in der Hoffnung damit richtig zu liegen. Meistens stimmte es ja auch. Diese Frau interessierte sich für nichts, außer Schmuck, Kleidung und, wie anders zu erwarten, dem neuesten Klatsch.
„Ach, Quatsch! Das ist tausend mal besser!“ Quietschte sie und fiel mir regelrecht um den Hals. Okay, sie tat es wortwörtlich und mein erster Instinkt war es, diese Umarmung zu erwidern, doch etwas hielt mich zurück. Und zwar, mein Wahres ich. Ich täte so etwas niemals! Bloß diese hinterhältige, manipulierte Isles tat so etwas!
„Bitte, verzeih mir. Ich stehe heute neben mir. Würdest du es mir noch einmal erzählen?“ Bat ich.
„Ich habe ja noch nicht einmal begonnen, denn eigentlich wollte ich dich etwas raten lassen, aber ich kann einfach nicht mehr warten.“ Begeistert klatschte sie in die Hände und strahlte mich an, als wäre sie die Sonne selbst. „Gerard war vor zwei Nächten bei mir.“
Missmutig verzog ich das Gesicht. „Und wann kommst du zum guten Teil?“ Fragte ich völlig gelassen.
Als wäre ihr gerade eben erst, etwas klar geworden, machte sie eine seltsame Bewegung. „Oh, das konntest du ja noch überhaupt nicht wissen. Ich stehe... puh, ich denke schon immer, auf Gerard.“
Von selbst fuhren sich meine Fangzähne aus, ohne jeglichen Anreiz und ich versuchte, verlegen, dies zu verbergen. „Mhm...“ Murrte ich und deutete ihr weiterzuerzählen.
„Gerard ist ja praktisch der Prinz, denn Michellé, unser König hat ihn erschaffen.“ Was für eine Leuchte! „Daher wollte ich immer schon, dass wir zusammen kommen. Früher, bevor Mutter mich wandelte, war ich selbst Prinzessin, doch bloß von einem unbedeutenden kleinen Landstrich. Jedenfalls habe ich bereits zweihundert Jahre, an diesen Miesepeter verschwendet und dachte schon, er würde sich überhaupt nicht für Frauen interessieren und es daher akzeptiert. Aber vorgestern... Er war so himmlisch! Dieser Mann hat den Körper eines Gottes und wie er sich angefühlt hat, als seine...“
Gedanklich hielt ich meine Ohren zu, denn das wollte ich überhaupt nicht hören. Gerard! Mein... Äh... >Der< Gerard, den ich kannte, würde doch niemals mit Aurora... Sie war nicht einmal sein Typ!
Nun, ja ich wusste ja überhaupt nichts über seinen Typ, aber trotzdem... Gerard schien nicht die Art Mann zu sein, welcher sich mit einer Prinzessin einließ. Besonders nicht >dieser< Prinzessin. I-Ich meine... Ausgerechnet Gerard? Wieso sollte er zu Aurora ins Bett kuschen, wenn er doch...
Meine aufkeimende Wut, wandelte sich von einem Moment auf den anderen, in richtigen Frust. Was passierte hier bloß? Wieso saß Aurora in meinem Zimmer und erzählte mir ausgiebig von der losgelösten Leidenschaft des Mannes, der mich markiert hatte? Weshalb ist er zu ihr ins Bett gestiegen, wenn er doch ganz offensichtlich, weder an den Frauen hier, noch an mir interessiert ist? Mit all seinen leeren Versprechungen und dem Fehlen seiner Anwesenheit?
Also wieso...
„Isles? W-Wieso weinst du?“
Erschrocken zog ich meine Nägel, aus meinem Fleisch heraus und wischte eilig meine blutigen Tränen fort, welche sich, ohne ersichtlichen Grund, gelöst hatten. Nein! Verdammt, noch einmal! Ich hatte nicht vor Tränen zu vergießen. Dies war völlig unangebracht. Bloß weil wir uns... vielleicht ein, oder zweimal geküsst haben? Das war doch bloß... Zweckmäßig gewesen! Genau, nicht mehr!
Oder ist Gerard etwa die Art Mann, die mit Frauen spielten? >Mit der einen turtel ich heute und mit der anderen habe ich am nächsten Tag Sex<? Ist das etwa irgendeine Art, perverses Vorspiel für ihn? Oder macht er sich einfach einen Spaß daraus, dass Frauen ihre Gedanken an ihn verschwendeten?
Bestimmt wollte er bloß angehimmelt werden, als Gott und Prinz, der er nun einmal war! „Entschuldigst du mich einen Moment? Ich muss jemanden umbringen gehen.“
Noch bevor Aurora etwas erwidern konnte, verschwand ich aus dem Zimmer und fand mich bloß einen Augenblick später, vor dem Zugang, zu den unteren Geschossen wieder. Wie habe ich denn... Kopfschüttelnd verschob ich diese Frage, wie ich mich in nur einem Augenblick hierher hatte bewegen können, auf später und öffnete die Türe. Vom Innenbereich war sie, wie eine zweiflügelige Türe, ganz einfach zu öffnen. Von der anderen jedoch, benötigte man einen zwölfstelligen Zahlencode, welcher regelmäßig erneuert wurde. Mit einem Vampirgehirn war es jedoch möglich, sich diesen ganz einfach zu merken.
Mit einem Sprung katapultierte ich mich über das mühsam verzierte, weiße Geländer darüber und ließ mich drei Stockwerke Tiefer fallen. Im ersten Obergeschoss fing ich mich ab, was mir jedoch mein Schultergelenk nicht wirklich dankte. Auch ein Vampir, welcher vor Schreck einige Akten fallen ließ. Sofort kam ich ihm zur Hilfe. „Entschuldige, bitte. Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Sprach ich auf Französisch. Mittlerweile saß mir diese Sprache, wie Isländisch, bloß dass ich mich zu meiner Heimatsprache wesentlich verbundener fühlte.
„Schon gut. Danke für deine Hilfe und wenn du nächstes Mal tiefer musst...“ Er deutete auf die Treppen einige Meter weiter. „... benutz doch besser die dort.“ Wir grinsten uns einen Moment an und ich entschuldigte mich, verlegen ein weiteres Mal. Verdammt war das peinlich! Wieso sprang ich auch die Stockwerke hinab?
Oh, ja! Da war ja jemand, der mir Rechenschaft schuldete! Sehr viel Rechenschaft! Mit Aurora zu schlafen! Der spinnt doch dieser... überhebliche... miese...
„Gerard!“ Fauchte ich laut, durch die Türe und klopfte hörbar. Vermutlich dachten sogar seine beiden Nachbarn, ich würde bei ihnen klopfen. „Öffne die Türe, oder ich trete sie ein!“ Schwor ich wütend. Eine Weile wartete ich, ungeduldig, dass sich irgendetwas rührte. „Ich gebe dir noch eine Minute, dann zertrümmere ich dein ganzes Zimmer!“ Fauchte ich fuchsteufelswild und klopfte durchgehend an die Türe, in der Hoffnung ihn so richtig damit zu nerven. Insofern er sich überhaupt in seiner Wohnung befand, doch das spielte für mich im Moment eher weniger eine Rolle. Ich wollte irgendetwas zerstörren... am besten ihn, aber wenn es etwas >von< ihm sein könnte, würde ich mich auch damit zufriedengeben.
„Gerard! Dreißig Sekunden!“ Ich unterbrach mein hektisches und lautes Klopfen, bloß dafür und vor allem, um mir Blut von den Knöcheln zu lecken, dann machte ich mit der Handfläche weiter.
Vampirkräfte hatten schon etwas für sich. Besonders, wenn es sich um stabile Eichentüren handelte, welche mit Stahl verstärkt worden waren, damit sie nicht wegen jeden kleinen Wutausbruch auseinanderbrachen. „Fünfzehn Sekunden und ich trete diese Türe, direkt in deinen verkommenen Arsch hinein!“
Meine Zähne fuhren bereits wieder aus, so losgelöst war ich. Immer noch saß dieses Bild... Scheiße! Das war mindestens so ekelhaft wie zu sehen, dass er wirklich >jeden< Befehl des Königs befolgt. Was hatte der König wohl noch alles von ihm verlangt, außer das er ihm einen bläst? Hatten sie etwa schon Betten miteinander geteilt? Hat Gerard Michellé geschworen, immer alles zu tun, was >sein König< befiehlt? Oder ist er vor ihm im Dreck gekrochen, bloß um ein bisschen Aufmerksamkeit zu erhaschen?
Und wie war es mit Aurora gewesen? Wollte er sie sich für etwas Spezielles aufheben? Hat er sie zappeln lassen, bloß um später mehr >Spaß< mit ihr zu haben, und wie ernst war, zum Teufel noch eins, dieser >Spaß<?
Eins...
Fluchend schlug ich ein letztes Mal, mit meiner bereits völlig blutverschmierten Hand, gegen die Türe, wodurch eine Druckstelle, mit dem Durchmesser, meiner Hand, entstand. Wieder fühlte ich rote Tränen über meine Wangen laufen und ließ dies auch zu. Gerard war nicht da. Sonst hätte er bereits aufgemacht.
Und meine Wut war... nicht unbedingt verraucht, doch nicht mehr so stark vertreten, wie zuvor. „Mieses Arschloch. I-Ich hasse dich...“ Fauchte ich durch die Türe und zog zwanghaft meine Zähne zurück. Wieso tat er mir das an?
Nein... wieso tat ich das? Gerard hatte doch wohl klargestellt, woran er interessiert ist, nicht wahr? Und er ist ein Prinz, der eine selbsternannte Prinzessin verdient, welche... anders ist, als ich. Weder aufbrausend, noch... jemand mit meinem Charakter.
„Verflucht... Ich würde dich jetzt am liebsten einfach töten, du mieser Bastard!“ Flüsterte ich zu der Türe. Oder eher für mich selbst, denn um ehrlich zu sein, wollte ich wieder einmal mich selbst töten. Oder zumindest meinen Kopf, da ich ständig so dumme Dinge tat. Und ohne Kopf... konnte man bekanntlich überhaupt nichts mehr tun.
Fast schon erleichtert seufzte ich, als sich unerwartet Arme um mich schlossen. Wärme breitete sich in mir aus, so froh war ich, dass ich doch noch...
„Michellé?“ Fragte ich irritiert, als ich den Geruch erkannte.
„Oh, Prinzessin... Niemand wird mehr meine kleine Göttin zum Weinen bringen.“ Sanft drehte er mich herum und strich zärtlich mein Blut aus dem Gesicht. „Ich werde alles dafür tun, dass du keine blutige Träne mehr vergießen wirst. Und ich werde jedem die Organe herausreißen, nacheinander, damit sie sehen, wem sie Respekt zu zollen haben...“ Er schien noch weitersprechen zu wollen, doch dazu ließ ich es nicht mehr kommen.
Ich hatte es so satt! Wieso musste ich immer mit dem Kopf durch die Wand, wenn es doch einen so einfachen Weg, direkt vor mir gab? Außerdem... schaden würde es mir ja nicht. Weder im Ansehen, noch in Gefühlsdingen.
Mir war bewusst, dass wir Zeugen hatten, doch das interessierte mich nicht mehr. Ich streckte mich empor, zum König und hauchte ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. Erstaunt blickte er mich an, als hätte er dies niemals von mir erwartet, doch dann beugte er sich, fast schon erleichtert zu mir herab und küsste mich seinerseits. So sollte es sein. So und nicht anders. Dafür bin ich wiedergeboren worden. Für die bisher kalte Seite des Königs, um sie ein wenig besser zu machen...

 

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Lächelnd streckte ich mich auf dem Sofa aus. Nach unserer eher... peinlichen, öffentlichen Knutscherei, hatten sich Michellé und ich, recht verlegen, zurückgezogen. Es dauerte keine halbe Stunde, da schrieben mir die Frauen, wie sehr sie sich für uns beide freuten und auch Michellé belächelte die Nachrichten. „Ich dachte ja nicht, dass du mir nachgeben würdest.“ Flüsterte er in mein Ohr und streichelte zärtlich meinen Oberarm.
„Das tue ich auch nicht.“ Meinte ich abweisend, doch konnte mir ein verräterisches Lächeln nicht verwehren.
„Isles, du bist so erstaunlich. Das wusste ich schon immer. Ich bin so stolz auf dich, mein Meisterwerk, dass ich es nicht einmal in Worte fassen kann.“ Auch wenn mir diese Aussage irgendwie nicht behagte, konnte ich nichts anderes tun, als verlegen zu Michellé auf zulächeln. Wieso hatte ich mich überhaupt so gewehrt? Okay... vielleicht hatte er die eine, oder andere Sache getan, aber doch bloß aus einem guten Zweck. Michellé wollte immer nur das Beste für mich. Das hatte er mir geschworen.
„Du bist so wunderschön, Liebste.“ Seufzte er verträumt und beugte sich, für einen langen Kuss zu mir hinab. Ich kam ihm entgegen und erwiderte diesen freudig. Leider beendete er ihn viel zu schnell, weil sein Handy vibrierte. Da meine Schulter darauf lag, spürte ich es ebenfalls.
„Ich muss jetzt gehen, die letzten Vorbereitungen treffen. Stört es dich, wenn wir uns erst morgen Abend, auf dem Maskenball sehen?“ Ich schüttelte den Kopf und richtete mich auf, damit er aufstehen konnte.
„Die Pflichten eines Königs, gehen nun einmal vor. Selbst wenn es sich um eine Party handelt.“
Mit einem dankbaren Lächeln lehnte er sich zu mir und küsste mich auf die Wange. „Du bist so wunderbar erfrischend, kleine Göttin.“ Ich wurde wieder verlegen und blickte dem König hinterher, wie er ganz normal, hinaus ging. Warum hatte ich ihn bloß für eiskalt und einen Mörder gehalten? Bloß weil es mir dieser dumme hohlköpfige Vampir gesagt hatte? Was wusste dieser schon. Vielleicht hatte Michellé ja mit diesem Schraubstock gespielt, was ihm bloß gerecht geschah.
Süffisant dachte ich an diese alte Bezeichnung. Schraubstock... ja, das war mein erster Eindruck von ihm gewesen. Der Typ, den ich nicht hatte leiden können, doch zufällig markiert habe. Wie war es bloß zu diesen... Moment gekommen?
Um mich von diesem längst überflüssigen Gedanken loszumachen, schrieb ich, im Gruppenchat der Mädels, eine Nachricht, wer gerne mit mir Shoppen gehen würde. Eine Stunde später... war ich so gut wie belagert von Kostümen, welche mir womöglich stehen würden. Immerhin werde ich die Haupttraktion dieses Balles sein. Nun, ja abgesehen vom König selbst.
„Wieso bist du denn vorhin so schnell abgehauen?“ Vorhin? Das musste gut sechs Stunden her sein.
„Ich hatte bloß etwas zu regeln. Etwas... das sich jetzt erledigt hat. Für immer.“ Schmunzelnd sah ich Aurora an, welche jedoch ganz offensichtlich kein Wort verstand. Wer konnte es ihr denn auch übel nehmen? Sie spielte ja nicht so verrückt, wie ich es tat.
Impulsiv, gefühlsorientiert, jähzornig. Das sind die Charakterzüge, welche mich, seit ich ein Vampir bin, ständig begleiten. Nein... das war nicht ganz richtig. Eigentlich... erst seit ich von den Vampiren entführt worden bin. Vorher... war ich einfach ein ganz Normales, eingeschüchtertes und leicht paranoides Vampirmädchen gewesen.
Ich hatte mich vor mir selbst geekelt, vor meiner Gier nach Blut. Zudem hatte ich Angst, dass irgendjemand entdecken könnte, wer, oder eher, was ich bin. Und dann landete mein gut behütetes Geheimnis, recht unerwartet, bei einem, in mich verliebten, Werwolf. Vielleicht hätte ich mich ja doch besser auf Njal einlassen sollen. Wie es ihm überhaupt ging? Zwei Jahre ist es nun fast her, seit ich bei ihm gewesen bin, dabei hatte ich... wie viele Tage, aktiv, im Vampirschloss verbracht? Fünf? Höchstens! Nach meinem Schlaf schien es nicht besser geworden zu sein. Morgen... werde ich verlobt sein.
Und in ein paar Wochen, oder Monaten... werde ich die dreijährige Vampirfrau des Königs sein. Hatte man so etwas Absurdes schon einmal gehört? Njal würde sich schlapp lachen, wenn ich ihm das erzähle und mir vermutlich nicht ein einziges Wort glauben.
„Frankreich an Isles! Schläfst du seit neuersten sogar im Stehen?“
Blinzelnd wandte ich mich an Martha, welche ein giftgrünes Glitzerkleid vor mich hielt. Offenbar sollten die Teile, welche Aurora gerade für sie hielten das Outfit einer Fee ergeben. Oder etwas anderem.... schrecklich... blinkelnden.
„Himmel! Das ziehe ich nicht an!“ Fauchte ich.
„Aber es ist so schön knapp und ist sehr figurbetont!“ Meinte Martha und versuchte, dieses Ungetüm an mich anzulegen.
„Vergiss es! Vorher gehe ich ins Kloster!“ Fauchte ich und lief vor dem Kleid davon. „Komm, schon. Lass es mich wenigstens an dir probieren. Bitte!“ Bettelte Martha, welche sich in den Kopf gesetzt hatte, mich in Glitzer zu hüllen.
„Überschütte mich doch gleich mit Blut, dann haben wir es hinter uns.“ Ich flüchtete hinter Francesca, welche über ein goldenes Kostüm die Nase rümpfte, doch es nicht kommentierte. Nun, ja... Ich glaube der Anblick und dessen abgedrehte Federn sprachen alleine vom Anblick her, für sich.
„Blut...“ Säuselte Martha plötzlich und grinste breit, als wäre ihr eben eine unheimliche Idee gekommen. Rasch drückte sie Francesca das giftgrüne Kleid in die Hand und verschwand zwischen den verschiedenen Kleidersäcken, welche noch nicht ausgepackt worden waren.
Skeptisch blickten Aurora und ich ihr hinterher, während Isabelle das giftgrüne Outfit noch einmal genauer unter die Lupe nahm. „Seht euch das mal an!“ Kicherte Chloé mit einem leicht verrückten Lächeln und hielt irgendetwas hoch, was wir jedoch alle überhaupt nicht mehr beachteten.
„Das ist es...“ Staunte ich, überrascht über mich selbst.
„Gott... wäre rot bloß meine Farbe!“ Kommentierte Aurora völlig überflüssig.
„Uuund?“ Grinste Martha ganz stolz. Und ganz ehrlich, das konnte sie auch sein. In diesem Kleid würde ich nicht bloß elegant, sondern auch auffällig und extravagant zugleich sein.
„Das ist es so etwas von...“ Gab ich, abermals, zu. Dieses und kein anderes, würde ich zu dem Ball anziehen.

Mütterliche Lektionen

„Was suchst du, Sohn?“ Fragte meine Mutter, welche neben mir auf einem jungen Schimmel ritt. Er spürte offenbar, dass wir nicht ganz >ungefährliche< Menschen waren, denn er scheute ein wenig, unter ihrer strengen Stimme.
„Ich dacht, etwas gehört zu haben.“ Antwortete ich wahrheitsgemäß. Seit einigen Tagen bereits, fühlte ich mich verfolgt. Schon seit ich Göttin am Ufer unseres Flusses zurückgelassen hatte. Ob sie mir folgte? Wenn sie es tat, zeigte sie sich mir, bloß mir, um mir Gewissheit zu geben. Vor einiger Zeit ist sie uns durch die Wüste gefolgt, bis hinab ans Meer. Dort hatten wir einige Tage und Nächte zusammen in Einsamkeit verbracht. Mischel hatte es genossen, dort zu sein. Das Meer roch und fühlte sich ganz anders an, erklärte sie mir einmal, als die Wälder und Flüsse aus unserer Heimat. Jedoch lange konnte sie nicht bleiben. Auch ich nicht. So trennten sich unsere Wege wieder, bloß um uns fast hundert Jahre später wieder zu begegnen. So ging es häufig. Sie besuchte mich, oder ich sie. Wir sind ein Paar, welches selbstverständlich stritt, sich vermisste und sich neckte.
Fast eintausend Jahre lang ging das nun so. Oder war es mehr? Die Zeit schien, bloß an uns vorbei zu fliegen. Die Menschen veränderten sich. Jedoch nicht, wie erwartet. Sie erfanden Dinge, wirklich gute und überraschend nützliche. Clans, welche sich gebildet hatten, fanden wir in neuen Konstellationen wieder. Einige stärker als jemals zuvor, andere beinahe aufgelöst und zerstört, da sie sich nicht anpassten.
Die Städte wuchsen. Die Krankheiten forderten ihren Tribut und unsere Jagdgründe gingen weit über das Land, hinein in den Osten. Auch am Meer fand man von Zeit zur Zeit, die eine oder andere Beute. Länder, welche sich ganz eigenständig entwickelt hatten, auf großen Inseln, tauchten plötzlich auf und der Fortschritt, wuchs aus seinen Kinderschuhen. Das alles konnte ich beobachten. Einerseits machte es mir Angst, denn ich wusste nicht, wie Göttin darüber dachte. Bisher schien es sie niemals groß zu interessieren. Andererseits faszinierte mich dieser Fortschritt. Die hohen Gebilde welche nun die Städte besser beschützten oder besonders die Tatsache, wie rasch man Gerüchte verbreiten konnte, da die Distanzen zu den Dörfern und Städten ebenso rasch geringer geworden waren. Kriege, brachen viel schneller aus, als jemals zuvor. Handel, wurde mehr betrieben, den je. Und besonders wir Vampire, bekamen die eine oder andere Überraschung ab.
Seit Neuersten ging sogar das Gerücht um, dass es so eine Art >Vampirjäger< gebe. Jemanden, der die Clans aufscheuchte, ihre Sinne vernebelte und Gift in ihre Beute mischte. Mutter und ich hielten dies für Unfug, zumindest so lange, bis ein Teil meiner Brüder daran glauben musste. Selbst eine der wenigen Schwestern, welche wir gefunden hatten, überlebte das Gift nicht, egal was wir versuchten. Natürlich wollten wir dadurch ebenfalls wissen, wie viel an diesem Gerücht dran war. Einer unserer Männer, offenbarte sein wahres Gesicht und säte ein Gerücht, mittels Gehirnwäsche. Kurz darauf... verschwand er. Ein weiterer probierte es und noch einer. Alle verschwanden, bis wir fünfzehn Wächter verloren.
Wütend köderte meine Mutter nun selbst nach dem Unruhestifter. Wie sich herausstellte... handelte es sich überraschend um einen Vampir, welcher Jagd auf seinesgleichen machte. Gelangweilt ließ sie ihn vierteilen und vergrub seine fünf Körperteile an fünf, weit voneinander entfernten Orten. Ob er jemals gefunden worden war, wusste ich zweitausend Jahre später, immer noch nicht. Jedoch hatte es mich weder damals, noch heute interessiert.
Gelangweilt sah ich Mutter hinterher, wie sie ein Rudel Wölfe, alleine mit ihren Händen tötete und völlig in Blut getränkt wiederkam. Süffisant und Stolz auf sich selbst, blickte sie mich an, doch ich ließ lediglich von meiner morgendlichen Beute ab und widmete mich meiner Körperpflege. Zwar war das Wasser eiskalt, doch da ich eben erst getrunken hatte, verbrauchte dies nicht besonders viel Energie.
„Wieso tötest du eigentlich keine Werwölfe mehr, mein liebster Sohn?“ Überrumpelt von dieser Frage, sah ich mich zu ihr um.
„Wieso sollte ich? Die Menschen breiten ihre Gebiete immer weiter aus, wodurch den Werwölfen immer weniger bleibt. Selbst die normalen Wölfe beginnen sich vor dem Mensch zu fürchten. Bald werden die Menschen alle Wälder mit ihren Feldern übernommen haben und dann ist es auch mit denen vorbei.“ Prophezeite ich, obwohl ich mir dessen nicht sicher sein konnte. Vielleicht würden die Werwölfe ja auch Rebellieren uns sich offenbaren? Dann würde ein offizieller Krieg zwischen uns ausbrechen. Etwas das ich keinesfalls so weit kommen lassen würde. Nicht, wenn meine Geliebte Michel dann zwischen die Fronten geraten könnte... oder noch schlimmer, in die Fänge meiner Mutter!
„Du hast recht. Vielleicht sollten wir uns überlegen, unseren fixen Platz unter den Menschen zu bekommen?“ Schlug sie vor und stieg samt ihrer Kleidung in das kalte Flusswasser.
„Eine ausgezeichnete Idee. Am besten, wir suchen uns einen Platz, mit einem wichtigen Titel. Einen Ort, welcher Potenzial hat, selbst in eintausend Jahren noch zu stehen.“
„Du hast eine Menge Fantasie, für so einen jungen Vampir.“ Grinste meine Mutter, vermutlich stolz. Konnte sie denn Stolz sein, auf jemanden, der nicht sie selbst war?
„Ich mache mir eben Gedanken, Mutter. Das ist nicht wirklich verwerflich, nicht wahr?“
„Natürlich nicht, du kommst eben nach mir, das kannst du nicht abstreiten.“ Liebevoll gab sie mir einen Kuss auf die Wange, bloß um mir einen Moment später, ihre Finger in die Kehle zu rammen. „Aber das schlechte Lügen, hast du definitiv von deinem Vater. Das ist auch der Grund, weshalb er deine Geburt niemals erleben hat können.“ Hilfesuchend wandte ich mich an unsere Wächter, doch das hatte ohnehin keinen Sinn. Niemand, nicht einmal ich, stellte sich meiner Mutter in den Weg. Gurgelnd versuchte ich mich aus ihrem, übertrieben festen, Griff zu befreien. „Ich denke, du benötigst einen klaren Kopf, mein Sohn. Damit du wieder zu dir selbst finden kannst!“ Ich fühlte wie sie ihre zweite Hand, in meinen Nacken legte und versuchte zu betteln, dies nicht zu tun. Jedoch hatte es keinen Sinn. Sie brach meinen Schädel entzwei, als wäre es eine Kokosnuss.

I. Der Maskenball der Tobonneau, Isles trifft neue Leute

Und so brach der besondere Tag herein. Schon am frühen Morgen, als ich mit Chloé und Aurora, welche sich ständig zankten, spazieren ging im Garten, trafen wir auf den einen, oder anderen, Neuankömmling. Jeder Vampir reiste mit großem Gepäck. Niemand trug weniger, als fünf Koffer pro Person und unter ihnen, waren sogar die einen, oder anderen Kinder. Bisher hatte ich noch überhaupt keine Kinder gesehen, doch wirkten sie schüchtern, oder gesittet, wie normale Menschen. Auch ihren eigenen Blutgeruch konnte ich wahrnehmen, wobei ich zugeben musste, dass ich die Idee sogar irgendwie niedlich fand. Nicht, dass ich jemals ein Kind, oder gar mehrere, wie Manon haben möchte, doch wenn ich sie so sah... fand ich den Gedanken doch überraschend entzückend. Zumindest aus der Ferne, wo man keine Windel zu wechseln hatte, oder Tränen trocknen musste. Dort ist es sicher und man durfte sich das Schwärmen noch erlauben. Jedoch Näher als zwanzig Schritte, wollte ich dann doch nicht an sie heran.
„Isles?“ Fast schon ertappt, zuckte ich zusammen, als Louis seine Hand um meinen Rücken legte und mir einen Kuss auf die Wange hauchte. „Habe ich dich erschreckt?“
„Du bist ja auch verdammt leise.“ Tadelte ich lächelnd, doch freute mich, ihn nach langer Zeit einmal wieder zu sehen. Bisher stand meine Flasche mit Mischblut immer pünktlich, zweimal täglich, vor meiner Haustüre.
„Verzeih mir, Schätzchen. Das wollte ich wirklich nicht.“ Entschuldigte er sich, doch ich hatte es bereits wieder vergessen.
„Wie geht es dir? Was hast du die letzten Tage getrieben? Ich habe dich überhaupt nicht zu Gesicht bekommen.“ Schimpfte ich gespielt beleidigt und rümpfte die Nase.
„Teilweise war ich mit Gerard unterwegs. Wir hatten... einiges zu erledigen. Viele... Störenfriede aus den Weg räumen und so etwas, verstehst du?“
Ich nickte. „Du Armer! Wenn du mit Gerard unterwegs sein hast müssen, verzeihe ich dir alles. Mit ihm bist du ohnehin gestraft genug.“
Louis schien nicht wirklich zu wissen, was er darauf erwidern sollte, doch schmunzelte schwach. „I-Ich bin eigentlich hier, um dich zu warnen, Isles...“ Er deutete mir, mich etwas von den Mädchen zu entfernen, welche sich gerade um die Farbe eines Lippenstiftes stritten. Wie konnten diese beiden bloß, so enge Freundinnen sein? Nun, ja ich kam ebenfalls mit Aurora aus, was ich niemals gedacht hätte.
„Was ist denn los?“ Fragte ich besorgt, unter dem dichten Dach, einer riesigen Fichte.
„Es geht um Gerard...“ Sofort unterbrach ich ihn.
„Schon gut, meine Wut auf ihn ist verraucht und ich weiß auch bereits, dass ich Seite an Seite mit ihm stehen werden muss.“ Also alles kein Problem, solange wir uns weder ansprechen, noch berühren müssten.
„Nein, das meinte ich nicht. Obwohl, ja das könnte ein noch weit größeres Problem sein.“
Fragend hob ich eine Augenbraue. „Wovon sprichst du?“
„Du weißt ja, dass der König dich beeinflussen kann. Deine Gedanken manipulieren, deine Erinnerungen nehmen und... dich sogar, als seine Marionette benutzen.“ Ja, das hatte ich mehr schlecht als recht festgestellt. Aber ich wusste ja nun, dass es bloß ein Erziehungsversuch gewesen ist. Um meinen Widerwillen zu brechen. Nichts Schlimmes, also.
„Das habe ich bei einer unguten Gelegenheit feststellen müssen, ja.“ Stimmte ich verwirrt zu. Worauf wollte er nur hinaus?
„Aber auch ein Erschaffer, hat nicht über alles Kontrolle. Somit... kann er nicht veranlassen, dass ein Mal verschwindet. Er kann höchstens verhindern, dass es überhaupt entsteht, aber kann es nicht mehr nehmen, verstehst du das?“
Ich nickte, dieses mal etwas verunsichert. „Womöglich. Also, ja... Natürlich verstehe ich was du sagst, aber nicht was du damit meinst.“ Louis zielte auf eine Bank im Park an, wo sich noch niemand befand, und wir nahmen darauf platz.
Liebevoll nahm Louis meine Hände in seine und blickte mich ernst an. „Isles, ich weiß, dass du Gerard markiert hast. Genauso weiß ich, dass er dich längst genauso markiert hat.“
Erschrocken sog ich die Luft ein und meine Hand zuckte zu der leichten Hautvertiefung, welche einfach nicht wegging, doch zu einigen Gelegenheiten zu allem Überfluss, etwas zog. „A-Aber wir sind nicht... wie du und Manon, oder andere. D-Das war ein Versehen und... es bedeutet überhaupt nichts. Weder für ihn und noch weniger für mich.“ Stellte ich richtig, da ich ahnte, dass er auf dumme Gedanken kommen könnte. Woher wusste er dies überhaupt?
„Isles, Gerard denkt... seit ich ihn kenne, lediglich ans Überleben. Hat er dir denn überhaupt einmal, irgendetwas von sich erzählt? Woher er kommt?“ Ich schüttelte den Kopf. „Was mit ihm passiert ist?“ Ich schüttelte erneut den Kopf. „Oder wie er sechs Tode überlebt hat?“
Nun blickte ich Louis überrascht an. „Wie kann man...“
Mahnend hob Louis seine Hand. „Das ist seine Geschichte, sie hat hier nun nichts zu suchen, aber ich kann dir sagen, dass Gerard, das was er tun muss und das, was er damit dir antut, keineswegs kalt lässt. Als... Als du im Schlaf lagst... war er jede freie Minute, in deinem Raum. Hast du das gewusst?“
Erschrocken griff ich mir unter die linke Brust. „D-Dann war...“ Fragend blickte Louis mich an, doch das konnte ich ihm wirklich nicht sagen. Außerdem... wieso sollte Gerard von mir trinken, während ich schlafe? Und dann auch noch an eine solch... eher pikante Stelle? Dafür müsste er ja... „Drecksschwein!“ Fluchte ich leise, doch selbstverständlich hörte Louis dies.
„Was hat er denn schon wieder getan?“ Grinste mein über eintausend Jahre alter Freund, doch ich winkte beherzt ab.
„V-Vergiss das einfach. Es hat nichts zu bedeuten. Das Einzige was zählt, ist Michellé. Er ist... meine Zukunft und egal was Gerard getan hat...“ Oder nicht getan, was sogar etwas mehr schmerzte „...bedeutet mir nichts mehr. Ich habe es... vielleicht noch nicht überwunden, aber bin am besten Weg dorthin. Der König hat mich erwählt. Für ihn bin ich etwas Besonderes und eines Tages, werde ich stark sein, viel stärker, als Gerard es sich vorstellen kann, oder selbst einmal sein wird.“ Das war mein Traum. Ich werde die starke Frau des Königs sein. Etwas Besonderes. Die Beste überhaupt!
„Isles...“ Begann Louis, doch brach ab. Mit einem tiefen Seufzen entließ er meine linke Hand, aus seinem sanften Griff. „Sei einfach nicht kopflos, ja? Erinnere dich an meinen Rat, wenn es nötig ist. Der König macht einen großen Fehler zu denken, er könnte am Schicksal irgendetwas rütteln. Was zusammen gehört, findet seinen Weg, selbst durch unzählige Leichen hindurch.“
Für einen Moment streichelte er liebevoll meine Wange, dann erhob er sich und ging. Was zusammen gehört? Was bedeutet das?

 

- - - - -

 

Chloé bestand darauf, mein Haar zu machen. Etwas, zu dem ich nicht nein sagte, denn auch wenn sie ihre kurz trug, hatte sie immer kunstvolle Frisuren.
„Bist du bereit, für das Kleid?“ Fragte Martha, welche bereits in einem wundervollem champagnerfarben Kleid steckte, welches hervorragend zu ihrer Haut passte und ihre dunklen Augen, fast schon exotisch hervorstechen ließ.
„Viel lieber hätte ich es bereits hinter mir.“ Schmunzelte ich und nahm das in Weiß gehüllte Kleid entgegen. Sorgfältig hakte ich den Kleiderbügel am Rand meines Kastens ein und öffnete den Zipp, woraufhin mir drei verschiedene Materialien entgegenkamen. Zuerst zog ich den blutroten Chiffonstoff über meine Beine, welcher so dünn war, dass man sie, bis kurz vor meine Hüfte, gehüllt in Rot betrachten konnte. Bei einer größeren Frau, welche lange Beine trug, würde es vielleicht sogar etwas anbetungswürdiger aussehen, doch das war mir egal. Dies war mein Kleid. Meines und dies würde ich niemals jemand anderen überlassen.
Als Nächstes, kam ein eng anliegendes Leder, an meinen Oberkörper, welches meine Brüste in eine unangenehme Position drückte und hinten verschnürt wurde. Kunstvolle Spitze war mühsam hinein gearbeitet worden, sodass es in meinem Rücken aussah, als säße mir ein dunkler Wolf im Rücken. Zwar nicht detailgetreu, doch mittels feiner Linien angedeutet.
„Es fehlt noch etwas.“ Meinte Aurora, welche noch einige meiner Strähnen zurechtzupfte. Chloé hatte meine Haare nach hinten gezwirbelt und sie zusammen gesteckt. Einige Strähnen hingen noch frei über den engen Zopf hinaus, doch trotzdem fühlte ich mich, wie in ein Geschenk verpackt. Okay, vielleicht überlegte ich mir das mit dem Kleid noch einmal?
„Was willst du denn da noch verbessern?“ Fragte Martha schnippisch.
„Vielleicht eine Kette, ihr Hals liegt so frei.“ Schlug Chloé ihrerseits vor und kurz darauf, bekam ich noch einen Halsschmuck, welcher in einem Rotgold um meinen Nacken hing. Wenn man genauer hinsah, konnte man sogar in einer fein geschwungenen Schrift >Tobonneau< lesen. Darüber musste ich schmunzeln, denn es kam mir viel mehr, wie ein Halsband vor, als eine einfache Kette, zur Zierde.
An meine Hände kamen noch Armbänder, die mit einem dünnen Stoff verbunden waren. Geschickt wickelten ihn mir die Frauen über den Arm, hinter dem Nacken vorbei und hefteten das zweite Ende, an mein anderes Handgelenk.
„Das passt.“ Stellte Aurora zufrieden vor und reichte mir die dazugehörige Maske. Es war eine Fledermaus, welche in mein Haar gesteckt wurde und damit den oberen Teil meines Gesichtes verdeckte. Ich fand es ironisch, das Symbol für die Werwölfe im Rücken zu tragen und das für Vampire im Gesicht... Das hatte etwas.
„Gehen wir?“ Francesca hatte sich in dunklen Violetttönen gehüllt und an ihrem Rücken, blickten prächtige Federn über ihre Schultern. So zu sagen, trug jede von uns Frauen, eine andere Farbe. Ich rot, Manon war in ein sanftes Meerblau gehüllt, Francesca in Violett, Aurora, selbstverständlich in einem Auffälligen und knappen pink, Isabelle in dem glitzergrünen Monster, wobei es ihr unglaublich gut stand, Martha in einem sanften champagnerfarben, was ich persönlich, als weiß zählte. Die nicht gerade gesprächige Lucie trafen wir in den offenen Fluren in einem kräftigen Gelb und orange, wodurch sie ungemein auffiel. Außerdem hatte sie eine bedrohlich lange Schleppe, ich fragte mich, wie sie das aushalten würde? Und natürlich unsere quirlige Chloé zeigte sich in einem Aufwändigen, aufbauschten schwarz und braun. Ihr Kleid unterschied sich alleine schon dadurch, dass es nicht auffällig von der Farbe gewählt war, sondern vom Schnitt. Es hatte eher etwas Altertümliches, als etwas >Karneval vergleichbares<.
„Frauen... ihr seid mit abstand die schönsten auf der ganzen Erde!“ Begrüßte uns Louis, doch hatte bloß Augen für seine Frau. „Bis auf eine Ausnahme, welche alle anderen toppt.“ Schmunzelte er und ließ seinen Blick lange über ihren Körper gleiten.
Manon ließ es sich scheinbar gefallen... zumindest solange, bis Chloé lästerte und Manon daraufhin ihren Mann in seine Schranken wies. „Hör auf hier herumzustehen und Frauen anzuschmachten, als würdest du den ganzen Tag keine sehen. Geh jetzt! Abmarsch, du hast Arbeit zu tun!“ Fauchte sie und scheuchte ihn fort. Jedoch stahl er ihr noch einen liebevollen Kuss, bevor sie ihre Maske schützend vor ihr Gesicht ziehen konnte. „Männer!“ Schimpfte sie und tat so, als wäre sie genervt von ihrem Mann. Ich fand es süß. Bald würde ich, hoffentlich, auch so jemanden haben. Jemanden... der mich genauso verehrt.
Kichernd, und mit unseren bunten Masken im Gesicht, erreichten wir das Erdgeschoss. Von hier aus, kam man in zwei große Säle. Der eine war mit Bänken, Kelchen und Karaffen ausgestattet. Außerdem sah ich Menschen, verschiedener Herkunft und Alters, durch dir Vampirmengen schreiten. Sie wirkten etwas betäubt, doch ich ignorierte sie und suchte ein bekanntes Gesicht. Nicht dass dies auf einem >Maskenball< einfach war.
Prunkvolle, aufwändig bestickte, bunte Federn, viel nackte Haut und vieles mehr gab es hier zu sehen. Fasziniert, betrachtete ich die verschiedenen Künstler, die auf einem dünnen Drahtseil, gut zehn Meter in der Luft balancierten. Einige Gruppenverkleidungen waren recht witzig anzusehen, denn es wirkte dabei, beinahe wie in einem Zirkus, sogar ein Feuerspeier, stand draußen auf der langen Terrasse, wo sich ebenfalls Gruppierungen gefunden hatten. Es mussten über siebentausend Vampire hier, auf drei Säle und einer Terrasse aufgeteilt sein, wenn nicht mehr. Dabei hatte ich noch nicht einmal alle des Tobonneau Clans gesehen, oder eher erkannt. Nicht dass ich viele kennen würde...
„Sieh mal, Francesca! Dort ist dein Verehrer.“ Grinste Chloé und deutete auf Beliov, der sich nicht verkleidet hatte, sondern als Sicherheitschef fungierte. Als hätte er unsere Blicke bemerkt, wandte er sich uns zu und fixierte dabei, ganz offen Francesca. Nase rümpfend wandte sie sich ab und verschwand in die Menge. Auch Aurora war in den letzten paar Minuten verschwunden, genauso wie Lucie und Isabelle.
„Wo sind denn Lucie und Isabelle?“ Fragte ich interessiert, Chloé.
„Vermutlich Frischfleisch suchen.“ Grinste sie, verschmilzt und zwinkerte mir zu.
„Und Aurora?“
„Auf der Suche nach ihrem Traumprinzen... Nicht das ich ihr glauben würde, dass dieser Arsch wirklich bei ihr war. Vermutlich hatte sie bloß einen feuchten Traum und bildet sich ein, dass es so gewesen ist.“
Ich lachte laut auf. Das würde so einiges erklären, ja. „Vampire träumen doch nicht.“
Chloé legte ihren Arm um mich und kuschelte sich an mich. „Oh, doch! Heiße Fantasien haben wir doch alle einmal.“ Kichernd tuschelten wir weiter, während Manon ihren eigenen Traumprinzen in einer Ecke erblickte, wie er als Security fungierte. Sie entschuldigte sich und stahl sich einige Minuten zu ihm, bis er sie wieder zu uns zurückschickte.
Auch Lucie erschien wieder in unserer Gruppe, mit einer Frau, die ich nicht kannte. „Schönen Abend, die Damen.“ Begrüßte sie und lächelnd, mit grell gefärbten Lippen und gehüllt in einem orangenen Abendkleid, welches einigermaßen zu ihrem seitlichen Hut passte. Ein dünner Schleier lag über ihre linke Gesichtshälfte und war offenbar mit ihrer langen Lockenpracht verbunden.
„Patricia Foxrar.“ Stellte sie sich vor.
„Foxrar ist ein Clan aus dem südlichen Nordamerika. Wir sind schon seit Jahrzehnten miteinander befreundet.“ Erklärte Lucie, als wir alle etwas ratlos dastanden.
Manon übernahm das Reden für uns. „Wie schön, dich willkommen zu heißen. Wie gefällt dir denn bisher der Maskenball?“ Fragte sie und stellte uns, während des Gespräches nach und nach vor. Nach einiger Zeit, traf auch ihr Mann zu uns, doch verabschiedete sich recht rasch wieder, da er Durst bekam. Oder vielleicht waren es ihm auch bloß viel zu viele Frauen hier. Kichernd schlossen wir uns ebenfalls noch anderen Gruppen an.
Allen Anschein, gab es bloß bei uns Europäern so etwas wie >Könige<. Die englischen und die Französischen. Überall anders jedoch, bis auf die kälteren Regionen, versteht sich, gab es ausschließlich Clans. Bis vor ein paar Jahrhunderten gab es noch einen König in Afrika, doch dieser wurde recht rasch abgesetzt und sein Gefolge splitterte sich in Clans auf. Es gab über hundert, die sich ganz offiziell registriert hatten, in einem ganz eigenem, von Vampiren, geführten System. Noch gab es einzelne >Gruppierungen,< die sich nicht an das System halten wollten, doch auf Europa traf dies kein bisschen zu.
Die meisten Clans, nahmen recht klassische Clannamen an, welche auch schon fast banal klangen, wie eben Foxrar oder Lionsgate, Crowwing, Shamensway und Elefantteeth. Andere wieder, benutzten eigen erfundene Namen oder gar bedeutende und weltweit bekannte Namen, bloß um sich einen Spaß zu erlauben. Manchmal änderten Clans völlig aus einer Laune heraus, ihre Namen, wobei man im Moment versuchte, dies endlich aus der Welt zu schaffen.
Somit gab es weit über dreihundert Clans, manche beherbergten bloß fünfzig Männer, andere wiederum gut über tausende, so wie im Königreich Tobonneau. Neben den >englischen< Vampiren galten wir zu einem der größten >Clans<, weltweit.
In Amerika war dies jedoch schwieriger. Zu große Gruppierungen fielen dort einfach viel zu leicht auf, besonders wenn diese >Gruppierungen< auf Menschenhandel und besonders, dessen Blut angewiesen war. „Oh, seht mal!“ Ein Komiker gab sich die Ehre im Erdbeersalon. Da alle Vampire, zumindest die anwesenden älteren, bereits alle Sprachen gelernt und abgespeichert hatten, sprach dieser auf Französisch, um die Gastgeber zu ehren. Er machte Witze auf die Kosten, eines jedes Clans, was ihm abwechselnd, je nach Opfer einige >Buh< Rufe einbrachte, oder einstimmigen Jubel.
Irgendwann jedoch, hatte auch ich genug davon. Nun dauerten seine Witze, welche ich ohnehin bloß selten verstand, beinahe über drei Stunden und mein Ohr... litt höllische Qualen. Stöhnend verließ ich den Salon, über die einzige Terrasse und trug in der Hand einen Kelch mit Blut. Als ich ihn geleert hatte, wurde er sofort mitgenommen und ich gefragt, ob ich noch etwas wünschte. Ich bedankte mich und schickte den jungen Vampir, höflich, fort.
Mittlerweile musste es weit nach Mitternacht sein, doch der Abend schien noch in seinen Kinderschuhen zu stecken. Immerhin würde das Fest gut zwei Tage dauern, zumindest bis die ersten wieder abreisen würden.
Unerwartet erschien ein Kelch in meiner Hand. Mit einem erfreuten Lächeln nahm ich ihn entgegen und lächelte hoch, zu dem Mann, von dem ich annahm, er würde mich mit seiner Anwesenheit beehren, doch stattdessen, glitt ein heißer Schauer meine Wirbelsäule hinab, als eine warme Hand sich zwischen meine Schulterblätter legten. Seltsam irgendwie, dass mein Körper die Person erkannte, noch bevor ich sie ansah.
Mein Lächeln erfror, als ich unter einer schwarzem Maske hellgrüne Augen entdeckte. „Trink das. Aber stell nichts... >allzu< Dummes an.“ Die Stimme strich leise an meinem Ohr vorbei und mein Puls raste in ungewohnte Höhen.
„Ger...“ Begann ich, doch ein Finger fand sich genauso schnell auf meinen Lippen wieder. Mit einem Nicken deutete er auf den silbernen Kelch in meiner Hand. Ich schnupperte neugierig daran, doch konnte nichts wahrnehmen, als seinen eigenen Geruch. Es ist sein Blut!
Sofort fuhren meine Reißzähne aus und mein Blick verstärkte sich. Wie lange hatte ich es schon nicht mehr gekostet? Meine Kehle brannte alleine von dem Geruch, als hätte ich seit Jahren nichts mehr getrunken. Dabei müsste ich doch satt sein! Wie konnte... Wieso sein Blut?
Ich blickte auf, doch stand alleine im Gang. Mein Blick glitt zurück zu der roten Flüssigkeit und meine Zähe stachen unsanft in mein Fleisch. Nun hielt mich nichts mehr!

II. Der Maskenball der Tobonneau, Gerard und Beliov

Meine Zähne verharrten Zentimeter vor meinem Opfer. Langsam zogen sie sich wieder zurück und mein Kopf wich ebenfalls der unberührten Halsschlagader. Was tat ich denn da?
Nein! Die bessere Frage: Was tat Isles da? Sie küsste den König unverblümt mitten in einem Gang und er erwiderte dies, als würde ihm nichts größere Freude bereiten. Doch ich kannte diesen Blick. Viel zu gut. Und viel zu oft hatte ich ihn selbst gesehen. Es bedeutete, dass sein Plan exakt so verlief, wie er es wollte!
Frustriert stieß ich den lebenden Spender von mir. Ohne meinen Halt landete er unsanft auf dem Boden und Beliov blickte mich mit hochgezogenen Augenbrauen verwirrt an.
„Ach, halt den Mund!“ Stieß ich wütend hervor, doch der alte Vampir hatte noch nicht einmal die Anstalt gemacht, seinen Mund zu öffnen. „Ich weiß es ja selbst nicht.“ Murrte ich und ließ mich auf einen freien Stuhl fallen, während er dem Menschen auf die Beine half und zurück in seine Zelle setzte.
„Isles.“ Stellte Beliov kalt fest.
„Es ist nicht ihretwegen.“ Es ist die Schuld dieses... >miesen Schweines<. Wie Isles es so nett formuliert hatte.
„Dann musst du dem entgegenwirken.“ Verblüfft blickte ich zu Beliov auf, welcher nun mir gegenüber Platz nahm.
„Was meinst du?“ Hakte ich nach. Es kam selten vor, dass er so viel sprach.
„Er manipuliert deine Freundin. Dem musst du entgegenwirken. Ausschließlich du kannst es.“
Ich wandte mein Gesicht ab und schnaufte abfällig. „Sie ist nicht meine Freundin.“
„Noch nicht.“
„Niemals! Ich kann sie nicht ausstehen.“ Fauchte ich wütend geworden.
Plötzlich lächelte Beliov und wirkte noch ein paar, tausende Jahre älter, als er es ohnehin bereits war. „Du kennst den Grund, weshalb ich hierher kam?“
„Du hast dir die falsche Braut ausgesucht.“ Erwiderte ich. Jeder wusste, dass die stoische Spanierin nicht einmal ansatzweise dasselbe empfand, wie Beliov.
„Könnte man als Außenstehender annehmen.“ Jetzt wurde ich doch neugierig. „Ich traf Francesca, lange bevor Mutter in ihren Schlaf sank. Mir war sofort klar, dass es bloß sie ist und keine andere Frau. Zwar hatte ich bereits zwei Kinder, doch beide sind im ewigen Krieg der Clans verstorben, genauso wie deren Mütter, also wie man sieht... ich hatte niemals viel Glück, was die Liebe anging. Ich wollte lediglich Nachkommen, um mich zur Ruhe zu legen. Als ich sie jedoch traf... Es änderte einfach alles und ich war das Leben plötzlich nicht mehr leid.“
So viel hatte ich Beliov noch niemals reden gehört. Ich fühlte mich geehrt. „Als ich mich von meinem Clan losgekauft hatte und zu Francesca kam, war sie zuerst sehr erfreut. Aber ein paar Stunden später... sie war wie ausgewechselt. Ihre heitere Art war einfach fort und zurück blieb nichts, außer diese kalte, abschätzige Person, wann immer sie mich erblickte, oder wusste, dass ich mich in der Nähe befand. Ich denke... die Erklärung, warum, liegt offen auf der Hand.“
Ich nickte. Ja, das war wirklich sehr offensichtlich.
Meine Erinnerungen schwammen zurück zu dem Moment, als mir dieser einzigartige Körper, einfach so in die Hände fiel. Für einige Sekunden, des vollkommenen Friedens, schmiegte sie sich an meine Brust, klammerte sich an mein Hemd und atmete genüsslich meinen Duft ein.
Nun, ja zumindest hatte ich an diesem Moment festgehalten, bis ich endlich von Aurora loskam. Das dieses Miststück es auch noch Isles hatte erzählen müssen! Meine arme Türe! Als ich sie beinahe zertrümmert vorfand, erkannte ich alleine am Geruch, wer es getan hatte und wusste, ohne viel nachzudenken, auch weshalb.
„Wieso bist du dir so sicher, dass sie dir nicht einfach etwas vorgespielt hat?“
„Es ist ihr Körper. Ihr Geruch. Michellé kann sie mich hassen lassen, aber ihr Körper reagiert trotz allem, auf mich. Das können sie beide nicht verhindern. Es ist das Schicksal, Gerard. Ein Geschenk der Ahnen, oder woran auch immer du glauben möchtest.“
Ihr Körper? Reagierte Isles Körper auch auf meinen? Offensichtlich, ja. „Aber zwischen Isles und mir ist nicht dasselbe, wie zwischen dir und Francesca.“
Ein wissendes Lächeln legte sich über Beliovs Lippen. „Du bist der Lakai des Königs, Gerard. Sein treuer Diener, seit dreihundert Jahren. Und doch... bringt dich ein kleines, erst drei Jahre altes Mädchen dazu, das alles über Board zu werfen?“
Ich setzte auf eine Erwiderung an, doch versagte in voller Länge. Ja, ich kenne Treue. Ich kenne Opferbereitschaft, Gehorsam und wusste jeden Befehl so zu befolgen, wie es meinem König gefiel. Aber >Liebe<? So etwas gab es niemals in meinem Leben. Weder wenn ich auf den dreckigen Straßen meiner Heimatstadt nieder geprügelt wurde, noch als ich mir mein Bein brach, woraufhin mein Vater mich einfach zurückließ. Den Gesetzlosen zum Fraß vorgeworfen, damit er davon kam... Konnte man diesen Mann überhaupt Vater nennen? Ich kenne meine richtigen Eltern ja noch nicht einmal. Somit war dieser Mann lediglich mein Lehrmeister, oder derjenige, der mir für ein paar kleine Aufgaben meinerseits, zu Essen gab.
„Gerard, etwas Einfacheres... Willst du, dass Isles >ja< sagt, wenn Michellé ihr morgen den Antrag macht, vor allen anderen Vampiren? Willst du, dass sie seine Kinder austrägt?“ Meine Reißzähne fuhren aus, doch dieses Mal aus Zorn. „Könntest du es ertragen, wenn Isles Kinder, Michellé >Vater< nennen?“
Vorher gefror die Hölle zu, in welcher ich, seit meiner Geburt leben musste! Mit einem dumpfen Aufschlag zersplitterte der Jahrhundert alte Steintisch, als wäre er aus morschem Holz.
„Dann hilf mir, unsere Frauen aus der Illusion zu befreien, welche der König gegen ihren Willen erschaffen hat.“
„Wie?“ Fauchte ich so leise, dass ich ihm auch einfach die Kehle hätte durchschneiden können und niemand hätte etwas bemerkt. Nicht in den nächsten Stunden.
„Die Docs und ich, arbeiten seit langen an einem Serum. Sie wollen fort von hier. Ihr eigenes Leben führen, doch der König würde sie niemals gehen lassen.“
„Was muss ich tun?“
Beliovs Lächeln, welches er bei meiner letzten Frage aufgesetzt hatte, erlosch und der alte stumme Indianer kehrte zurück.

III. Der Maskenball der Tobonneau, Isles ist wieder bei Verstand

„Ah!“ Seufzte ich lautstark, als auch der letzte Tropfen in meiner Kehle verschwunden war. Würzig lullte der Geschmack mich ein, ließ mich sämtliche Anspannung verlieren und hinterließ den Drang nach mehr in mir. Mehr von diesem edlen Tropfen und mehr nach dem dazugehörigen Körper.
Wieso stand ich überhaupt hier?
Den silbernen Kelch in meiner Hand betrachtend, drehte ich ihn im Kreis, als hoffte ich auf eine geheime Nachricht.
„Liebste! Du siehst... Du bist, mit abstand das schönste Wesen dieser Erde!“ Erschrocken drehte ich mich zu Michellé um. In seiner Kleidung hätte ich ihn beinahe nicht erkannt. Als hätte er sich auf mich abgestimmt, trug er schwarze Leinenkleidung, geprägt von roten Edelsteinen und eingewobenen Mustern, welche sich über seinen ganzen Körper wandt. Sein dunkelblondes Haar, war glatt nach hinten frisiert und über seinem Gesicht trug er eine passende Wolfsmaske.
„Äh...“ Begann ich. „Danke?“
Moment... ist das ein Maskenball? Laute Musik ertönte aus allen Richtungen und als ich an mir hinab blickte, erkannte ich das schönste Kleid, das ich jemals gesehen hatte.
„Ist alles in Ordnung mit dir, liebste Isles?“
Michellé kam näher, doch ich wich einen genauso großen Schritt vor ihm zurück. Etwas begann in meinem Kopf zu rattern, so als würde sich ein Teil an das Nächste fügen, doch noch war das Muster noch nicht ganz klar.
„Isles? Fühlst du dich nicht gut?“
Unfassbar schnell, kam Michellé an meine Seite, umfasste mein Kinn, sodass ich zu ihm hochblickte und dann... war alles wieder da. Ein leises Grummeln konnte ich mir nicht verwehren, doch als sich meine Zähne, aus purer Wut, ausfuhren, riss ich das Ruder herum.
„Du hast mich erschreckt.“ Sagte ich lediglich und zwang mich zu einem Lächeln. Vermutlich wurde es zu selbstgefällig, denn Michellés Blick wurde etwas unsicher.
„Möchtest du dich vielleicht ein wenig zurückziehen? Oder etwas zu trinken? Du musst Hunger haben.“
Sanft schob ich den König von mir. „Bitte, verzeih mir. Ich habe mich etwas verlaufen, während ich jemand gesucht habe.“
Sofort wurde sein Lächeln wieder aufrichtiger. „Wen denn? Ich kann dir bestimmt helfen.“
Fast schon abartig böse, glitt ein Name über meine Lippen, den ich nun aus den Geschichtsbüchern radieren würde. „Aurora.“
„Sie ist noch im Erdbeersalon.“
Kurz überdachte ich meine Möglichkeiten. Aurora hatte mit Gerard geschlafen! Am selben Abend, als ich ihm wütend hinterhergelaufen bin. Zwar konnte ich ihn nicht finden und wusste zu der Zeit nicht, wieso es mir plötzlich wieder egal geworden war, doch heute wusste ich es.
Jetzt wusste ich alles wieder!
Jede einzelne Manipulation in meinem Kopf hatte sich gelöst, wie ein stark verworrener Knoten aus hundert verschiedenen Schnüren. Plötzlich waren diese Knoten jedoch verschwunden und jede einzelne Schnur stramm gespannt und einfach nachzuverfolgen. Dafür würden sie alle so etwas von leiden! Jeder Einzelne! Und mit Aurora fing ich an. Stück... für Stück... und ich würde es genießen, so wie sie es genossen hatte, Gerard anzufassen!
„Wärst du so liebenswürdig und würdest sie zu mir schicken? Es ist sehr wichtig. Wir müssen... noch ein paar Details für später durch gehen. Immerhin ist sie meine beste Freundin...“
Ich bekam unvermittelt einen Kuss auf die Wange, vor dem ich beinahe davon sprang. Igitt! Doch ich blieb ruhig stehen und zwang mich zu einem Lächeln. „Für dich würde ich doch alles tun, Isles. Einen Moment.“
Der König verschwand in den Salon und ich drehte mich um, um einen passenden Ort zu finden, einen abgelegenen, an den man ihre Schreie nicht hören würde können.
Als ich zum Eingang kam, an dem sich einige Vampire versammelt hatten und ruhig miteinander plauderten, kam mir ein Ort in den Sinn, der wie geschaffen für meine aufkommenden Ideen war.
„Isles?“ Ertönte Auroras Stimme in der Nähe.
„Hier!“ Rief ich, als sie mich noch nicht erblickte. Mit einem freundschaftlichen Lächeln kam sie auf mich zu.
„Schätzchen! Dein baldiger Mann hat mich geschickt. Du wolltest irgendetwas?“
Ich nickte und deutete auf das große stählerne Tor, das nicht einmal ein Vampir aus seinen Angeln reißen konnte.
„Das muss unter vier Augen geschehen... ich bin nur so...“ Ich fächerte mit den Händen vor meinem Gesicht, als wäre ich aufgeregt. Dabei war ich viel eher... erzürnt.
Sie schien sofort irgendetwas zu ahnen, jedoch nicht das, was ihr bevorstand. Schmunzelnd zog sie mich an sich. „Ich verstehe dich, Schätzchen. Komm, wir...“
„Warte!“ Aurora schien mich in eines oder oberen Zimmer führen zu wollen, damit wir ein privates Gespräch führen können, doch ich nickte zur Stahltüre. „Lass uns dorthin gehen. Es ist näher.“ Bevor sie etwas erwidern konnte, zog ich sie dorthin und tippten den Code ein.
Geräuschlos schwang das Tor wenige Zentimeter auf und wir zwängten uns hinein, ehe wir sie auch wieder fest verriegelten. Mehrere Bolzen fuhren ein und wir waren schalldicht gefangen. „Also, Schätzchen. Was bedrückt dich? Bist du nervös?“
Ich begann die Treppen hinab zu gehen, Aurora an meiner Seite. „Weißt du... die letzten Tage, erscheinen mir beinahe... wie ein Traum.“ Begann ich langsam.
„Keine Sorge, dein wahrer Traum geht heute Nacht noch in Erfüllung.“ Grinste sie, während ich die nächste Türe öffnete.
Ich erinnerte mich jetzt auch wieder, dass ich vor kurzen einmal, mit dem König selbst hier unten gewesen bin. Ganz tief unten! Zirka sieben Stockwerke tief, doch er hatte es mich vergessen lassen. Zumindest bis jetzt. „Ja, das wird er ganz bestimmt. Heute noch.“ Schmunzelte ich zurück.
Als wir einen Moment schwiegen und ich das Passwort für die dritte Türe eingab, wurde Aurora ganz offensichtlich misstrauisch. „W-Was machen wir denn eigentlich hier unten? Und seit wann besitzt du die Codes?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Es gibt sehr vieles, dass ich in den letzten beiden Wochen verloren habe. Darunter leider auch meinen Verstand.“ Kicherte ich in der Vorfreude auf das, was ich unten vorfinden würde.
„Wovon sprichst du?“ Ich packte Auroras Arm fester, als sie versuchte ihn von mir zu befreien.
„Ich habe mich... dazu herabgelassen den König zu küssen! Ich! Verstehst du das?“
Ihre Augen wurden mit einem Mal ganz groß und ihrem hübschen Gesicht wich die Farbe etwas mehr. „I-Isles...“
„Noch nie in meinem Leben, habe ich so sehr gehasst. Okay, ich habe es gehasst ein Vampir zu sein.“ Aurora wehrte sich gegen meinen Griff, welcher ihr bereits das Blut hinab rinnen ließ. „Ich habe es außerdem gehasst, dass ich von meiner Insel entführt wurde und Gerard ebenso.“
„Isles! Lass mich sofort los! Du tust mir weh.“ Fauchte die ältere Blondine.
„Aber ich habe begonnen Manon zu mögen und Louis.“ Sie waren beide beinahe wie ein Elternersatz für mich, sorgten sich um mich, so wie ich mich um sie. „Und weißt du was? Irgendwie mag ich sogar diesen egoistischen Schraubstock, selbst wenn er mich in den Wahnsinn treibt.“
„Gerard?“ Hauchte Aurora kaum hörbar.
„Genau!“ Stimmte ich zu und öffnete mit dem Code des Königs, ebenfalls das siebente und somit letzte Tor.
„Du hasst Gerard!“ Belehrte Aurora mich. „Ich weiß, dass du Michellé liebst, auch wenn es dir anfänglich grausam vorkam, was er dir angetan hat...“
Mit einem harten Schlag, der sie mitten im Gesicht traf und ihre Nase zertrümmerte, brachte ich sie zum Schweigen. „Dieses miese Schwein, hat mir alles genommen! Meine Eltern! Mein menschliches Leben! Meine Ernährung! Meine Freunde! Meine Heimat!“ Ich schrie so laut, dass ich sogar das Knurren der Werwölfe bereits hinter den Steinwänden vernahm.
Windend vor Schmerz, lag Aurora auf dem Boden und jammerte.
„Und weißt du was? Ich fand es plötzlich überhaupt nicht mehr schlimm!“ Frustriert warf ich meine Arme in die Luft. „Und ich verstand nicht wieso? Jeden Tag hat er mir meinen Verstand genommen. Stück für Stück! Und dann... dachte ich wirklich, ich liebe dieses arrogante, ekelhafte Monster. Aber soll ich dir etwas sagen?“ Aurora kam langsam auf die Beine und versuchte währenddessen vor mir zurückzuweichen. „Ich scheiß darauf!“ Unsanft packte ich ein Büschel ihrer Haare und riss sie herum, sodass sie mir Auge in Auge stand. „Denn du hast Gerard angefasst, du widerliche Schlampe!“
Meine Reißzähne fuhren aus, doch bevor ich sie beißen konnte, stieß sie mich von sich. Hart flog ich gegen die Steinmauer, welche erzitterte. „Er ist zu mir gekommen!“ Schrie sie mich an und spuckte Blut zur Seite.
„Und du konntest deine dürren Beinchen nicht geschlossen halten!“ Fauchte ich zurück.
„Gerard und ich haben eine Verbindung, schon seit Jahrhunderten. Aber so etwas kannst du nicht verstehen, du bist noch ein kleines Kind.“
In ihren Augen musste es stimmen, ja. Ich bin noch ein Kind. Zwanzig, unerfahrene Jahre alt. „Bedanke dich dafür bei Michellé.“ Ich rappelte mich hoch und putzte Staub von meinem Kleid. „Er hat Gerard zu mir gebracht. Und wir haben eine besondere Verbindung, die du niemals haben wirst!“ Ich deutete auf meine Lippe und zeigte ihr den feinen Strich, welchen er mir zugefügt hatte.
„Nein!“ Stieß Aurora ungläubig hervor. „Das ist nicht von >ihm<!“
Ich grinste bösartig. „Um wie viel willst du wetten?“
„Dann wäre er niemals mit mir ins Bett gegangen!“ Fauchte Aurora.
„Er hat sich bloß dazu herabgelassen, um mich von sich zu stoßen. Damit der König das bekommt, was er will, Schätzchen. Du...“ Ich blickte abschätzig auf sie herab. „..bist nicht mehr, als ein Mittel zum Zweck!“
Damit war es zu Ende. Zumindest unser Verbale Auseinandersetzung. Mit einem wütenden Aufschrei, warf sich Aurora auf mich, rammte mir ihre Faust in den Magen und ich meinen Ellenbogen in ihr Gesicht. Unsanft riss sie an meinen Haaren, ich zerfetzte ihr den Oberarm und verbiss mich in ihr Bein, als sie versuchte, mein eigenes zu brechen.
Mit einem Aufschrei, in welche die Wölfe einstimmten, ließ Aurora von mir ab und hielt sich die blutenden Wunden. Ich ergriff die Chance, packte ihre volle Haarpracht und ihr ehemalig schönes Gesicht, landete so hart gegen den Stein, dass er beinahe durchbrach.
Erneut packte ich sie, doch dieses Mal, an den Beinen, hob Auroras Körper hoch, als wäre es eine Puppe und schleuderte sie mit all meiner Wut, gegen die, einst, stabile Mauer, hinter welcher Werwölfe angekettet waren. Zertrümmert landete dieser zwischen Schutt.
„Oh-oh!“
Ich drehte mich erschrocken um und blickte verblüfft in vier gleiche Augen. „Wer seid ihr denn?“ Fragte ich und erkannte erst jetzt, dass ich zwar zwei Gesichtern, doch bloß einem Körper entgegen starrte. Siamesische Zwillinge? Als Vampire? Das musste so ziemlich gegen jedes Naturgesetz verstoßen, wenn man von der Existenz der Vampire selbst, absah.
„Das... sollten wir lieber oben klären. Beweg dich!“ Die vier Beine der zwei Köpfe, setzten sich eilig in Bewegung und eine Hand, öffnete das Tor. „Los jetzt, bevor dich die Werwölfe erwischen!“
Wer... Erschrocken drehte ich mich um und erkannte einen vierbeinigen, hauptsächlich kahlen Körper, der sich aus dem Schutt erhob, den beinahe toten Vampir erblickte und sich knurrend darüber her machte. Plötzlich schubste diesen ein hellerer Wolf, mit hunderten von Bissmalen darauf und wollte selbst ein Stück vom Kuchen... äh Vampir. „Ach du scheiße!“
Noch nie in meinem Leben hatte ich einen Werwolf gesehen. Ihr Körper wirkte gebückt, als hätten sie ihr ganzes Leben in einem zu niedrigen Käfig verbracht. Ihre endlos langen Arme, streiften, wie bei einem Orang-Utan, auf dem Boden und so gut wie jeder, nicht pelzige Körperstelle, war voller Narbengewebe. Narbengewebe, über Narbengewebe und getrocknetem Blut.
„Los jetzt!“ Zischte der rechte Kopf der Zwillinge. Mich hielt nichts mehr hier unten und ich rannte den beiden nach. Genau in dem Moment, als etwas schwer gegen das Tor flog, rastete es ein.
„Das war Glück, Earl.“
„Das war verrückt!“ Stieß der Zweite hervor. Wesentlich weniger begeistert, als sein Bruder.
„Wer seid ihr?“ Erschrocken zuckte ich zusammen, als ein erneuter Körper gegen das Tor flog. Und noch einer, und noch einer.
„Wir sind Doc. Ebenfalls Vampire.“ Earl hielt mir seine Hand hin.
„Isles.“ Erwiderte ich.
Beide grinsten sich plötzlich an. „Die berühmte Isles!“
„Unserer Retterin sei Dank!“ Echoten die Beide, verbeugten sich und erhoben sich rasch wieder, als das Tor zu Beben begann.
„Okay... Nett euch kennen zu lernen. Jetzt weg hier!“ Ich schubste die beiden die Treppe hinauf und öffnete die nächste Türe. Rasch wurde sie wieder geschlossen und wir liefen zur Nächsten. Da trafen mehrere, schwere Körper, hintereinander die sechste Türe, während wir die fünfte öffneten. „Das wird knapp.“ Stellte ich fest.
Earl blickte zu seinem Bruder. „Ernand, das ist doch die Situation, von der wir gesprochen haben, oder?“ Fragte der rechte Kopf.
„Ja, definitiv der Ideale Zeitpunkt, Bruder.“ Sie lächelten sich an, schwangen sich hoch zur nächsten Türe und öffneten sie geschwind. „Du verschließt sie und wir öffnen sie.“
Das klang doch mal nach einem Plan! Ich nickte und die beiden liefen bereits wieder eine weiter, während ich diese lautstark schloss.
Als wir oben, bei der Letzten ankamen, hielt ich sie zurück. „Stopp! I-Ich weiß, es wird euch nicht gefallen, aber diese Türe werde ich nicht verriegeln.“ Durch diese würden nicht einmal die Werwölfe kommen, egal wie viele sie sind. Die Brüder lächelten ein strahlendes Lächeln, welches ihre Fangzähne entblößte. „Davon gehen wir auch aus, Mädchen. Und jetzt rette besser deinen Liebhaber, bevor wir noch in Zeitdruck kommen.“
Was?

IV. Der Maskenball der Tobonneau, Gerards Fluchtplan

„Das wird niemals klappen!“ Stöhnte ich und zappelte nervös herum.
„Während Isles ihm die Szene macht, können die Docs sie rauslassen. Keine Sorge, das klappt schon.“ Beruhigte Beliov mich, doch dabei hatte ich reichlich wenig Zuversicht.
Seufzend sah ich mich im großen Silbersalon, nach Isles um, bei der das Getränk doch längst wirken sollte.
Leider berechneten wir nicht alles ein. Und zwar, dass Michellé ausgerechnet jetzt, den Raum verlassen musste und auf Isles, mitten im Flur traf. „Verdammt!“ Fluchte ich. „Ich kümmere mich darum.“ Beliov nickte mir zu und verschwand zu seiner eigenen Aufgabe. Es wurde Zeit, dass die Werwölfe frei gelassen wurden.
„Kö...“ Ich verstummte, als ich Isles, fast schon süffisantes Lächeln erblickte. Verdammt, es war zu spät und die beiden befanden sich nicht im Salon!
Moment... was passiert denn... Erschrocken sah ich Michellé hinterher, wie er in den Erdbeersalon verschwand, während Isles in die entgegengesetzte Richtung davon ging. Was stimmte denn nicht? Wieso hat das Serum nicht funktioniert? Normalerweise müsste sich Isles nun an alles erinnern und doch... „Mist!“ Fluchte ich und wich gerade noch rechtzeitig, Aurora aus, welche Isles folgte. Okay, hier stimmte etwas definitiv nicht.
Die beiden Frauen verschwanden, wie es Freundinnen eben so taten, Arm in Arm, doch überraschenderweise hinter der dicken Stahltüre. Beliov warf mir, über den Raum hinweg, einen fragenden Blick zu. Ich zuckte mit den Schultern. Etwas lief hier fürchterlich schief!
>Wir müssen den Plan ändern!< Schrieb ich Beliov, auf dem Handy.
>Ja< Kam in seiner typischen Manier zurück.
>Ideen?<
>Nein<
Seufzend sah ich mich um. Das konnte doch nicht wahr sein! Für was klügelt man einen Masterplan aus, wenn dann das Serum nicht funktioniert?
>Warte dort, ich sehe nach F.<
Natürlich hatte Beliov auch Francesca das Serum untergejubelt, doch bisher waren wir dermaßen von unserem Plan eingenommen gewesen, sodass er noch nicht hatte überprüfen können, ob es wenigstens bei seiner Angebeteten funktionierte.
Aber ehrlich... was jetzt? Wenn sich Isles nicht erinnert, hatte der Plan, die Werwölfe loszulassen, nicht wirklich viel Sinn. Ohne ihren, vorhersehbaren und vor allem, nachvollziehbaren Wutausbruch, der alle abgelenkt hätte, wären die Vampire mehr auf der Hut und würden die Werwölfe abfangen, bevor sie jemanden aus der höheren Gesellschaft erreichen. Jetzt musste ich irgendwie anderes Unfrieden stiften, doch nicht, solange sich Isles unmittelbar im Schussfeld befand.
Trotzdem ließ mich der Gedanke nicht los. Was hat Isles mit Aurora zu schaffen? Irgendwie verletzte es mich, dass die beiden so enge Freundinnen geworden sind, obwohl ich mit der arroganten Nervensäge hatte schlafen müssen. Verflucht, ich hasste mich sogar selbst dafür und die ganze Zeit über... hatte ich an nichts anderes, als Isles gedacht.
Wieso funktionierte dieses verdammte Serum nicht? Wieso zur Hölle noch einmal, musste sie Aurora mögen und sich von diesem Monster in den Bann ziehen lassen? Das war... So hatte unsere gemeinsame Flucht nicht aussehen sollen. Isles Rettung!
Fluchend drehte ich mich um, da Isles und Aurora noch immer nicht zurückkamen und ich das Warten leid war. Vielleicht hatte das alles ja überhaupt keinen Sinn mehr? Vermutlich war es sogar Isles Schicksal, an der Seite des barbarischen Königs mächtig zu werden? Seine... Frau zu sein...
„Scheiße! Scheiße! Scheiße!“
Bei dem Klang dieser Stimme kam ich sofort wieder in den großen Gang zurück. Da stand sie! Völlig zerrissene Kleidung, hing an ihrem Körper, Angst stand in ihrem Gesicht und an mehreren Stellen blutete Isles. Sie sah aus, als wäre sie gerade aus einem Kampf gekommen.
Hinter Isles ragten zwei Köpfe auf, die zusammen gewachsen waren und blickten sich unsicher um. „Earl? Ernand?“ Rief ich über das lauter werdende Stimmengewirr hinweg. Die Zwillinge blickten mich erfreut an.
„Welch Glück! Du hast dir eine recht imposante Freundin gesucht.“ Grinste Earl, gewohnt frech.
Sein Bruder jedoch schnippte ihm gegen die Stirn. „Sie kommen hoch, Aurora ist tot und wir machen uns jetzt aus dem Staub, solange die Kacke am Dampfen ist.“
„Was ist hier los?“ So schnell sie konnten, verschwanden die siamesischen Zwillinge, durch das, noch, unbewachte Haupttor. Irritiert blickte ich auf das kleine Fläschchen in meiner Hand und steckte es in meine Hosentasche. „Was soll das bedeuten, Aurora ist tot?“ Fragte ich mehr mich selbst und erwartete daher keine Antwort.
Besonders keine so Kaltherzige. „Die Schlampe hat das bekommen, was sie verdient.“ Ich blickte in die kalten, dunklen Augen von Isles, doch sie wandte ihren unberührt ab und fixierte eine Stimme, die ganze Zeit versuchte herauszufinden, was los ist. „Und dieser Bastard ist der nächste!“ Schwor sie fauchend. Ich folgte ihrem Blick zu Michellé, der sie bisher nicht entdeckt hat.
Jedoch lenkte, abermals, ein dumpfes Geräusch, meine Aufmerksamkeit auf das, was hinter Isles geschah. Mist! Die Werwölfe! „Weg hier, sofort!“ Zischte ich, schnappte mir Isles und hob sie auf meine Arme. Später würden sich alle das Maul zerreißen, doch jetzt... waren sie erst einmal beschäftigt. Mit knurren und schnaufenden Lauten, welche sie sich in den Jahrzehnten angewöhnt hatten, stürzten die wütenden Werwölfe hervor, als hätten sie ganz plötzlich Energie erhalten.
„Lass mich sofort runter!“ Fauchte Isles und machte es mir schwerer als nötig, sie in einer hohen Geschwindigkeit fortzubringen.
„Das geht nicht!“ Zischte ich wütend und rannte einige Stockwerke hoch.
„Ich bring dieses miese Schwein um! Das habe ich geschworen!“ Ich bekam ihre Finger durch mein Gesicht gezogen, woraufhin ich meine Maske verlor. Nicht dass diese großartig meine Identität vor ihr gewahrt hätte!
Plötzlich erstarrte sie und ihr kaltherziger Blick wurde um einiges wärmer. „Gerard!“ Ich kam ins Stolpern, als Isles unerwartet ihre Arme um meinen Nacken schlang und ihr Gesicht an meinem Hals vergrub. Für einen Augenblick hatte ich Angst, sie würde meine wehrlose Situation ausnutzen, doch das tat sie nicht. Ihre spitzen Fangzähne fuhren nicht in meine Kehle, sondern ein Kuss landete auf meiner Wange. „D-Da waren Werwölfe!“ Schluchzte sie plötzlich.
Nun verstand auch ich es. Isles mochte die Werwölfe, sie selbst ist mit ihnen um sich herum aufgewachsen, doch wusste bis vor kurzem nichts von deren Existenz. Jedoch konnte man die zahmen Werwölfe, welche sich unter die Menschen gemischt haben, kein bisschen mit den wilden dort unten vergleichen. Fast blind, unterentwickelt, teilweise sogar deformiert, existieren sie dort, bloß um Blut zu spenden und sich fortzupflanzen. Häufig fraßen sie ihre eigenen Junge, noch während sie diese heraus pressten... Wie gesagt diese beiden waren kein bisschen zu vergleichen.
„Sie sehen schrecklich aus! Diese... Narben... so viele Narben!“ Stieß sie hervor und würgte mich regelrecht.
Isles ist überraschend stark geworden. Sehr stark! Hätte sie diese Stärke besessen, als wir sie geholt haben, wäre es vielleicht sogar etwas Übler für Louis und mich ausgegangen.
Liebevoll verstärkte ich meinen Griff. „Ich weiß, Isles... Ich weiß. Sie sind aber nicht mehr mit denen von Island zu vergleichen. Klar?“
Sie nickte, schwach, aber sie nickte.
Ich lief weiter, hinauf in ihre Suite. Hier oben würden keine Werwölfe hinkommen. So weit wird es leider nicht kommen, denn das würde bedeuten, dass es der König nicht geschafft hat. Ein Ding der Unmöglichkeit.
„Isles, dein Passwort.“ Kurz blickte sie auf, mit rot verschmierten Gesicht, tippte den Code ein und die Türe ließ sich öffnen.
Hier drinnen hatte sich viel verändert. Unzählige Spiegel hingen so gut wie an jedem freien Platz, dort wo sich keine Möbel befanden. Wer brauchte so viele Möbel? Fast das ganze Bücherregal war leer, lediglich ein paar DVD´s lagen umgeworfen darin. Jedoch gab es einen riesigen Plasmafernseher, welchen ich, als völlig sinnlos einstufte. Und... ist das eine kristallene Deckenleuchte? In dem niedrigen Raum?
„Lässt du mich hinunter.“
„Nein!“ Entschied ich mit einem fauchen und visierte das Badezimmer an.
„Gerard...“
„Nein!“ Wiederholte ich strenger.
Im Badezimmer setzte ich Isles dann doch ab, aber bloß, um Handtücher zu suchen, während sie ihre Arme vor dem Brustkorb verschränkte und sichtlich auf irgendetwas wartete. Ihr ganzes Gesicht leuchtete dabei in einem satten Rotton, dadurch das sie geweint hatte und um ihren Mund herum waren ebenfalls noch Reste von jemandem zu erkennen. Etwas sagte mir, dass diese Blutreste nicht von einem Spender kamen.
„Wer waren die siamesischen Zwillinge?“
Ich fand die Tücher in einer niedrigen Lade, warf sie neben die Abwasch und wandte mich wieder Isles zu. „Wissenschaftler die seit über tausend Jahren dort unten, versteckt vor Mutter und den meisten anderen Vampiren, leben. Wenige wissen über sie bescheid. Darunter ich. Mit ihnen habe ich die Flucht geplant, welche du gründlich vergeigt hast.“
Sie schien etwas erwidern zu wollen, doch da ich mit einem kleinen Ruck, das rote Kleid von ihrem Körper zog, kam lediglich ein überraschter Ausruf aus ihrem Mund. „Du musst duschen, du stinkst nach Werwölfen!“ Ich hob sie geschickt in die Dusche und schaltete das Wasser an, welche immer perfekt temperiert heraus sprudelte.
„Ich kann mich auch selbst duschen, weißt du!“ Fauchte sie mich an und schob meine Hände weg. Natürlich >konnte< sie sich selbst duschen, doch >musste< es nicht, wenn ich doch da war.
„Nein, kannst du nicht!“ Entschied ich für sie, denn ich wollte nicht gehen. Besonders nicht, wenn das Wasser in einer Art Braunton ihren Körper hinab lief.
„Du bist gebissen worden?“ Fragte ich überrascht und drehte ihren Körper zur Seite.
Erneut erntete ich Abneigung. „Das ist kein Biss, nur gekratzt! Jetzt geh endlich hinaus!“ Gekratzt! Aurora... sie muss das gewesen sein. Dann war also das Blut an ihrem Mund... Ich lehnte mich vor, packte ihren Unterkiefer gegen ihren Willen und leckte ihr Kinn aufwärts, bis ich an ihre Lippe stieß. Sofort wurde Isles starr und ihre Finger krallten sich in meine Unterarme, welche sie eben noch hatte wegschieben wollen.
Angeekelt spuckte ich aus. „Igitt! Du hast Aurora gebissen!“ Fauchte ich wütend. Wie konnte sie bloß jemand so billigen beißen? Ausgerechnet... Aurora!
Isles Augen wurden wieder einige Nuancen dunkler und schienen mich regelrecht in Flammen aufgehen lassen zu wollen. „Eifersüchtig? Weil nicht nur du ihr an der Wäsche warst?“
Mit einem Schnauben tat ich diese Unterstellung ab. „Ich bin bestimmt nicht wegen einer Schlampe eifersüchtig!“ Gröber als nötig, hielt ich ihr widerspenstiges Gesicht in den Strahl des Wassers, damit endlich das ekelhafte Vampirblut von ihrem Mund verschwand.
Mit einem >Pfff< spuckte sie das Wasser wieder aus. „Was soll der Scheiß?“
„Hast du Aurora getötet?“
„Was interessiert es dich?“
„Ich muss es wissen!“
Sie fauchte wütend. „Ich habe ihr Gesicht zerschmettert und die Wölfe haben den Rest mit deiner Flamme gemacht!“
Plötzlich schien es, als würde sich ein Schalter in mir umlegen und mir ging ein Licht auf. Isles hat sich erinnert! Sie hat sich wirklich sofort erinnert, nachdem sie mein Blut, gemischt mit dem Serum getrunken hat! „Du hast sie aus Eifersucht getötet!“ Stellte ich fest. Als sich ihre Augen vor Überraschung weiteten, begann ich zu lachen. Deshalb ist sie mit Aurora also verschwunden! Weil sie sich daran erinnerte, dass ich mit ihr geschlafen habe...
Ich stand bereits halb in der Dusche, daher machte es keinen Unterschied mehr, dass ich auch mit dem zweiten Bein hinein stieg und nebenbei meine Stiefel weg kickte. Mit einem leisen >Klick< schloss sich die Duschtüre und Isles presste sich hektisch an den Fliesen, hinter sich.
„Was ist daran so witzig?“ Fauchte sie, als sie merkte, dass sie in der Falle saß und ich nicht vorhatte allzu schnell wieder zu verschwinden.
„Es... passt bloß so gut zu dir. Werwölfe und Menschen bemitleidest du, weil du sie zum Überleben benötigst. Aber wenn mir ein Vampir an die Wäsche geht, tötest du sie ohne Rücksicht?“
Isles Atem stoppte, als schien ihr das eben erst, ebenfalls klar zu werden. „I-Ich war nicht eifersüchtig! Nicht auf diese überhebliche Schnepfe!“ Ich fing Isles Hände ab, die mich, wieder einmal, wegstoßen wollte und legte sie mir um den Nacken.
„Das hast du auch überhaupt nicht nötig.“ Bestätigte ich ihr und ließ meine Hände über ihre Schultern tiefer gleiten.
„Wegen jemanden wie dir, werde ich ganz und gar nicht eifersüchtig!“ Isles Stimme bebte, als ich sie an meinen, bereits völlig durchnässten, Körper zog, und sie schluckte schwer.
„Das würde ich auch niemals erwarten, Isles.“
„Das wärst du mir auch nicht wert. Ich kann dich nicht einmal ausstehen.“
Ich grinste und legte meine Stirn an ihre. „Das beruht auf Gegenseitigkeit.“
Ihr herrlicher Körper, schmiegte sich perfekt an meinen an und ich schloss die Augen, um diesen göttlichen Augenblick für einen Moment zu genießen. Isles... in meinen Armen. Nackt! Es gab nur eines, dass das alles toppen könnte, doch dafür müssten wir, aneinander gekuschelt, in einem Bett, weitab von all dem Chaos leben.
Plötzlich stieß ihre kleine Nase gegen meine und sie streifte mit ihren Lippen über meine. Nun war es mein Atem, der stockte und ich schloss sie in eine noch festere Umarmung. Als sie dann endlich ihre Lippen auf meine legten, ließ ich ihr nicht viel Zeit, sich wieder zurückzuziehen, sondern leckte mit meiner Zunge über ihren Mund, welchen sie, wie die letzten Male, bloß zu gerne für mich öffnete.
Ich seufzte tief, als ihr einzigartiger Geschmack, mich erfüllte und daran erinnerte, wie sie zwischen ihren Beinen geschmeckt hatte...
Mit einem tiefen Stöhnen hob ich sie hoch und Isles schlang ihre langen Beine um meine Hüfte. Ich musste zugeben... diese kleine Furie hatte mich vollkommen unter Kontrolle. Niemals, weder als Mensch, noch seit ich ein Vampir bin, hatte ich mein Leben so gerne hergegeben, wie heute, für dieses eifersüchtige Weib!
„Gerard...“ Und wie sie meinen Namen stöhnte! Noch nie hatte ich etwas Schöneres gehört! Außer vielleicht dieses leise Wimmern was sie von sich gab, wenn meine Zunge in ihrer heißen Mitte verschwand. Wie würde sie erst klingen, wenn ich etwas anderes in ihr versenkte?
„Gerard...“ Wiederholte sie, doch dieses Mal Drängender. Widerwillig ließ ich von ihr ab. „Deine Kleidung.“
Kleidung? Es dauerte einen langen Moment, bis mein Hirn wieder funktionstüchtig genug war, um ihren Worten einen Sinn zu verleihen. Ah! Kleidung! Ich blickte an mir hinab und stöhnte, denn der Anblick wie sich Isles an meinen Körper klammerte und presste, war genauso schön, wie das Gefühl, sie an mir zu spüren.
„Ist ohnehin zu spät.“ Murrte ich und besetzte ihre wundervollen Lippen wieder, während meine Finger, nach einer viel zu langen Zeit, ihre Brüste fanden.
Plötzlich lachte sie. Irritiert von dem wirklich unpassenden Laut, löste ich mich erneut von ihr. „Ich meinte, du sollst sie ausziehen, weil sie mich stört!“
Isles dunklen Augen leuchteten vor Belustigung und Zuneigung. Wie könnte ich diesen Wunsch also ausschlagen?
Langsam löste sie sich von mir und half mir aus dem Oberteil meiner Kleidung. Als jedoch ihre Händen dann, fast schon andächtig, über meinen Oberkörper glitten, wurde mir bewusst, dass ich mich vielleicht nicht zu schnell ausziehen sollte. Bisher hatte Isles ja keine größere Erfahrung mit Männern, wie ich hatte, aus Versehen, feststellen müssen. Zwar wusste ich nicht, inwiefern sich das auf ihre anderen Erfahrungen, über das Küssen hinaus, auswirkte, doch würde ich alles dafür geben, um es zu erfahren.
„Küss nie wieder den König, verstanden!“ Hoffentlich ist sie mit ihm noch nicht weiter gegangen, sonst würde dies nicht gut für meine geistige Gesundheit aussehen.
„Vorher friert die Hölle zu! Ich werde dieses Schwein bloß noch anfassen, um sein kaltes Herz aus seiner Brust zu reißen!“
So krank es klang, doch es gab kaum etwas Schöneres, dass Isles sagen könnte. Ich zog ihr Gesicht hoch, um sie zärtlich zu küssen. Mit einem Seufzen breitete sich ein zufriedenes Lächeln auf ihren Lippen aus. „Davon gehe ich aus und irgendwann erfülle ich dir diesen Wunsch!“ Ein Schwur.

V. Der Maskenball der Tobonneau, Isles ist nie eifersüchtig!

Ich und eifersüchtig, auf Aurora? Konnte man sich das denn vorstellen? Bloß weil er ein bisschen mit ihr herum gemacht hat. Okay, sie hatten etwas miteinander, doch... ich? Eifersüchtig? Okay... ein bisschen... vielleicht... Aber das gebe ich doch vor Gerard nicht zu, sonst bildet er sich noch Schlimmeres ein!
Meine Finger streichelten andächtig über seinen perfekt geformten Körper und zeichneten vereinzelte, doch längst verheilten Narben nach. Von wo er die wohl bekommen hat? Eine saß sogar so tief, dass ich seinen Hosenbund etwas zur Seite schieben musste, um das Bissmal richtig zu erkennen.
„Du musst mir das nicht schwören. Ich weiß, wie du zum König stehst.“ Murmelte ich leise und wollte seinem durchdringenden Blick nicht mehr begegnen.
Gerard lehnte sich vor und legte seine Lippen zärtlich an mein Ohr. „Nicht mehr.“ Hauchte er leise und knabberte an ihm.
„Was meinst du?“ Ich seufzte, als er seine Küsse auf meinen Hals ausweitete. Plötzlich endete er und entfernte sich so weit, dass wir uns wieder in die Augen sahen.
„Isles...“ Begann er völlig ernst, während mein Hirn versuchte, seine Arbeit wieder aufzunehmen. „Meine kleine Furie...“ Zärtlich strich sein Daumen über meine Lippe. Um die ernste Situation, welche er erschuf, wieder zu zerstören, biss ich ihn in den Daumen.
Er lachte leise und küsste meine Nase. „Du Dummkopf, das heute war eine Rettungsmission. Beliov, die Docs und ich, hatten vor heute, ein für alle mal, zu verschwinden. Aber nein!“ Gerard verdrehte die Augen, doch wirkte keinesfalls wütend. „Du musst natürlich wieder deinen eigenen Kopf durchsetzen.“
Ich schmunzelte, bevor mir klar wurde, was er da sagte. „D-Du wolltest mit mir weglaufen?“
Mit einem zärtlichen Lächeln nickte der große, unnahbare Krieger. Der treue Lakai des Königs selbst. „Bis in die Antarktis, wenn es sein muss, Isles. Oder in die Hölle, was uns beide eben zuerst erwischt.“
Ich lachte und küsste seinen Daumen. „Dummer Schraubstock!“
„Glaubst du mir etwa nicht?“ Plötzlich schien es Gerard völlig ernst zu sein, daher wurde auch ich es wieder.
„Du bist die rechte Hand des Königs. Sein treuerster Diener, der weggesehen hat, als er... du weißt schon...“ Natürlich erinnerte sich Gerard.
„Das war auch der Tag, an dem meine Treue zu ihm starb. Dieser Gerard bin ich nicht mehr, seit ich dich in den Schlaf bringen musste, Isles.“ Sein Blick senkte sich für einen Moment, dann ging er plötzlich auf die Knie. „Ich schwöre es dir! Isles Skylander. Ich sage hiermit der Treue zu meinem einstigen König ab, denn es gibt nur eine einzige Person, die meine Prioritäten nun völlig auf den Kopf gestellt hat.“
Liebevoll blickte er auf zu mir, bevor er meinem Bauch einen kurzen Kuss gab. „Du könntest... so viel mehr haben. Wieso bist du nicht alleine weggelaufen, du Idiot. Du hattest die Chance!“
Gerard schlang seine Arme um mich und sein Kopf betete sich auf meinem Bauch. „Ohne dich gibt es diese Art von Freiheit nicht für mich. Das wurde mir klar, während du ein Jahr im Schlaf verbracht hast.“
Der Vampir wandte mir seinen Blick nicht mehr zu, daher streichelte ich ihm liebevoll über das nasse, dunkle Haar. Was gebe ich jetzt bloß für ein Bett, in welches ich mich mit ihm kuscheln könnte! Einfach bloß kuscheln und seine Nähe, seine Küsse, genießen!
Ohne mich gab es keine richtige Freiheit für ihn, oder mich? Wir hatten uns gegenseitig markiert, doch wir mögen uns nicht einmal? Gab es denn für diese Situation ein Wort? Etwas, dass diese... bizarre Anziehung benennen konnte?
„Wieso warst du dann nicht da, als ich aufgewacht bin, so wie du es versprochen hast?“ Das lag mir schon die ganze Zeit auf der Seele, doch... hatte ich auch irgendwie Angst vor der Antwort.
„Es... war zu diesem Zeitpunkt besser so.“ Gerade als ich dachte, wir hätten uns doch angenähert, hielt er sein Versprechen nicht. Das hatte mich enttäuscht und im gleichen Maße verletzt.
„Das glaube ich dir nicht.“
Er seufzte tief und legte sein Kinn auf meinen Bauch, um zu mir aufzusehen. Dass er dabei meine Brüste recht gut im Blick zu haben schien, ließ mich innerlich schmunzeln. „Ich habe mir eingeredet, dass es besser ist, wenn der König dich bekommt und ich mich zurückhalte. Aber... Beliov hat mir den Kopf gewaschen. Weder in den nächsten Monaten, noch weniger in den nächsten Jahren, könnte ich es ertragen, wenn du seine Kinder austrägst, sein Bett teilst und seine Launen aushalten müsstest.“
Erschrocken erstarrte ich. „Du warst also auch eifersüchtig?“
Verschmilzt, grinste Gerard zu mir hoch. „Ich dachte, du wärst nicht eifersüchtig gewesen.“
Ertappt biss ich mir auf die Lippe. „Das kann man doch nicht als >eifersüchtig< bezeichnen.“ Lehnte ich ab. Jemandem das Gesicht zu zerschmettern und Werwölfen zum Fraß vorzuwerfen... war vielleicht eine >Art der Überreaktion<... eine >kleine< Art der Überreaktion.
„Also... würde es dir nichts ausmachen, wenn ich noch einmal eine Frau anfasse?“
„Wenn du nicht zu sehr an ihrem Leben hängst!“
Er grinste. „Aber du bist nicht eifersüchtig?“
„Nein!“ Beharrte ich stur. Wieso sollte ich auch?
Unverschämt kniff Gerard mich mit seinen Zähnen in den Bauch. Ich kicherte und schob sein Gesicht weg, als er begann mich mit seiner Zunge zu kitzeln. „Lass das!“ Fauchte ich, verlor mein Gleichgewicht und landete mit dem Hintern, vor ihm, auf dem nassen Boden.
„Ich könnte das die nächsten Jahrhunderte immer wieder machen.“ Grinste er frech, während er meinen Hals mit Küssen bedeckte.
Schmunzelnd vergrub ich meine Finger in seinem Haar. „Ich auch...“ Gab ich ganz leise zu.
Langsam zog sich Gerard wieder von mir zurück, doch bloß um meinen Hintern zu umfassen und hochzuheben. Kurzerhand saß ich erneut auf seiner Hüfte, während er mühelos aufstand und mich aus der Dusche trug. „Wo gehen wir denn hin?“
„Dich ins Bett bringen.“
„Deine Hose durchnässt aber meinen Boden! Zieh sie wenigstens vorher aus!“ Beschwerte ich mich, doch dachte nicht darüber nach, dass ich hier über die >Hose eines Mannes< sprach.
Gerard erstarrte und wirkte auf einmal zwiegespalten. „Bist du dir sicher, dass du willst, dass ich meine Hose ausziehe?“
Nun dachte ich doch noch einmal darüber nach, doch... „Wieso nicht? Bist du etwa zu schüchtern? Oder hast du Angst, dass ich dir etwas abschaue?“
Oh! Sein Blick versprach Rache! „Leg es am besten nicht darauf an, Isles.“
Langsam senkte ich meine Lippen und küsste ihn sanft. Während er einfach dastand, mich in seinen Armen hielt und seine Zunge süße Kunststücke in mit meiner vollführte, ließ ich meine rechte Hand, zwischen meinen Schenkeln hinab gleiten und öffnete seinen Knopf.
„Wenn ich hier schon nackt herum hänge, sollst du das auch.“ Flüsterte ich herausfordernd, doch womit ich nicht rechnete, was mir jedoch klar hätte sein sollen, war, dass bei Gerard überhaupt nichts >herumhing<. Erstaunt sog ich die Luft ein, als er seine Hose von den Beinen strampelte und sie unbeachtet, so wie jedes andere unserer Kleidungsstücke, einfach am Badezimmerboden zurückließ.

VI. Der Maskenball der Tobonneau, Gerard ist endlich zufrieden

Gerard:

 

 Im Badezimmer setzte ich Isles dann doch ab, aber bloß um Handtücher zu suchen, während sie ihre Arme vor dem Brustkorb verschränkte und sichtlich auf irgendetwas wartete. Ihr ganzes Gesicht leuchtete dabei in einem satten Rotton, dadurch das sie geweint hatte und um ihren Mund herum waren ebenfalls noch Reste von jemandem zu erkennen. Etwas sagte mir, dass diese Blutreste nicht von einem Spender kamen.
„Wer waren die siamesischen Zwillinge?“
Ich fand die Tücher in einer niedrigen Lade, warf sie neben die Abwasch und wandte mich wieder Isles zu. „Wissenschaftler die seit über tausend Jahren dort unten, versteckt vor Mutter und den meisten anderen Vampiren, leben. Wenige wissen über sie bescheid. Darunter ich. Mit ihnen habe ich die Flucht geplant, welche du gründlich vergeigt hast.“
Sie schien etwas erwidern zu wollen, doch da ich mit einem kleinen Ruck, das rote Kleid von ihrem Körper zog, kam lediglich ein überraschter Ausruf aus ihrem Mund. „Du musst duschen, du stinkst nach Werwölfen!“ Ich hob sie geschickt in die Dusche und schaltete das Wasser an, welche immer perfekt temperiert heraus sprudelte.
„Ich kann mich auch selbst duschen, weißt du!“ Fauchte sie mich an und schob meine Hände weg.
Natürlich >konnte< sie sich selbst duschen, doch >musste< es nicht, wenn ich doch da war. „Nein, kannst du nicht!“ Entschied ich für sie, denn ich wollte nicht gehen. Besonders nicht, wenn das Wasser in einer Art Braunton ihren Körper hinab lief. „Du bist gebissen worden?“ Fragte ich überrascht und drehte ihren Körper zur Seite.
Erneut erntete ich Abneigung. „Das ist kein Biss, nur gekratzt! Jetzt geh endlich hinaus!“ Gekratzt! Aurora... sie muss das gewesen sein. Dann war also das Blut an ihrem Mund... Ich lehnte mich vor, packte ihren Unterkiefer gegen ihren Willen und leckte ihr Kinn aufwärts, bis ich an ihre Lippe stieß. Sofort wurde Isles starr und ihre Finger krallten sich in meine Unterarme, welche sie eben noch hatte wegschieben wollen.
Angeekelt spuckte ich aus. „Igitt! Du hast Aurora gebissen!“ Fauchte ich wütend. Wie konnte sie bloß jemand so billigen beißen? Ausgerechnet... Aurora!
Isles Augen wurden wieder einige Nuancen dunkler und schienen mich regelrecht in Flammen aufgehen lassen zu wollen. „Eifersüchtig? Weil nicht nur du ihr an der Wäsche warst?“
Mit einem Schnauben tat ich diese Unterstellung ab. „Ich bin bestimmt nicht wegen einer Schlampe eifersüchtig!“ Gröber als nötig, hielt ich ihr widerspenstiges Gesicht in den Strahl des Wassers, damit endlich das ekelhafte Vampirblut von ihrem Mund verschwand.
Mit einem >Pfff< spuckte sie das Wasser wieder aus. „Was soll der Scheiß?“
„Hast du Aurora getötet?“
„Was interessiert es dich?“
„Ich muss es wissen!“
Sie fauchte wütend. „Ich habe ihr Gesicht zerschmettert und die Wölfe haben den Rest mit deiner Flamme gemacht!“
Plötzlich schien es, als würde sich ein Schalter in mir umlegen und mir ging ein Licht auf. Isles hat sich erinnert! Sie hat sich wirklich sofort erinnert, nachdem sie mein Blut, gemischt mit dem Serum getrunken hat! „Du hast sie aus Eifersucht getötet!“ Stellte ich fest. Als sich ihre Augen vor Überraschung weiteten, begann ich zu lachen. Deshalb ist sie mit Aurora also verschwunden! Weil sie sich daran erinnerte, dass ich mit ihr geschlafen habe...
Ich stand bereits halb in der Dusche, daher machte es keinen Unterschied mehr, dass ich auch mit dem zweiten Bein hinein stieg und nebenbei meine Stiefel weg kickte. Mit einem leisen >Klick< schloss sich die Duschtüre und Isles presste sich hektisch an den Fliesen, hinter sich.
„Was ist daran so witzig?“ Fauchte sie, als sie merkte, dass sie in der Falle saß und ich nicht vorhatte allzu schnell wieder zu verschwinden.
„Es... passt bloß so gut zu dir. Werwölfe und Menschen bemitleidest du, weil du sie zum Überleben benötigst. Aber wenn mir ein Vampir an die Wäsche geht, tötest du sie ohne Rücksicht?“
Isles Atem stoppte, als schien ihr das eben erst, ebenfalls klar zu werden. „I-Ich war nicht eifersüchtig! Nicht auf diese überhebliche Schnepfe!“ Ich fing Isles Hände ab, die mich, wieder einmal, wegstoßen wollte und legte sie mir um den Nacken.
„Das hast du auch überhaupt nicht nötig.“ Bestätigte ich ihr und ließ meine Hände über ihre Schultern tiefer gleiten.
„Wegen jemanden wie dir, werde ich ganz und gar nicht eifersüchtig!“ Isles Stimme bebte, als ich sie an meinen, bereits völlig durchnässten, Körper zog und sie schluckte schwer.
„Das würde ich auch niemals erwarten; Isles.“
„Das wärst du mir auch nicht wert. Ich kann dich nicht einmal ausstehen.“
Ich grinste und legte meine Stirn an ihre. „Das beruht auf Gegenseitigkeit.“
Ihr herrlicher Körper, schmiegte sich perfekt an meinen an und ich schloss die Augen, um diesen göttlichen Augenblick für einen Moment zu genießen. Isles... in meinen Armen. Nackt! Es gab nur eines, dass das alles toppen könnte, doch dafür müssten wir, aneinander gekuschelt, in einem Bett, weitab von all dem Chaos leben.
Plötzlich stieß ihre kleine Nase gegen meine und sie streifte mit ihren Lippen über meine. Nun war es mein Atem, der stockte und ich schloss sie in eine noch festere Umarmung. Als sie dann endlich ihre Lippen auf meine legten, ließ ich ihr nicht viel Zeit, sich wieder zurückzuziehen, sondern leckte mit meiner Zunge über ihren Mund, welchen sie, wie die letzten Male, bloß zu gerne für mich öffnete.
Ich seufzte tief, als ihr einzigartiger Geschmack, mich erfüllte und daran erinnerte, wie sie zwischen ihren Beinen geschmeckt hatte...
Mit einem tiefen Stöhnen, hob ich sie hoch und Isles schlang ihre langen Beine um meine Hüfte. Ich musste zugeben... diese kleine Furie hatte mich vollkommen unter Kontrolle. Niemals, weder als Mensch, noch seit ich ein Vampir bin, hatte ich mein Leben so gerne hergegeben, wie heute, für dieses eifersüchtige Weib!
„Gerard...“ Und wie sie meinen Namen stöhnte! Noch nie hatte ich etwas Schöneres gehört! Außer vielleicht dieses leise Wimmern was sie von sich gab, wenn meine Zunge in ihrer heißen Mitte verschwand. Wie würde sie erst klingen, wenn ich etwas anderes in ihr versenkte? „Gerard...“ Wiederholte sie, doch dieses mal Drängender. Widerwillig ließ ich von ihr ab. „Deine Kleidung.“
Kleidung? Es dauerte einen langen Moment, bis mein Hirn wieder funktionstüchtig genug war, um ihren Worten einen Sinn zu verleihen. Ah! Kleidung! Ich blickte an mir hinab und stöhnte, denn der Anblick wie sich Isles an meinen Körper klammerte und presste, war genauso schön, wie das Gefühl, sie an mir zu spüren.
„Ist ohnehin zu spät.“ Murrte ich und besetzt ihre wundervollen Lippen wieder, während meine Finger, nach einer viel zu langen Zeit, ihre Brüste fanden.
Plötzlich lachte sie. Irritiert von dem wirklich unpassenden Laut, löste ich mich erneut von ihr. „Ich meinte, du sollst sie ausziehen, weil sie mich stört!“
Isles dunklen Augen leuchteten vor Belustigung und Zuneigung. Wie könnte ich diesen Wunsch also ausschlagen?
Langsam löste sie sich von mir und half mir aus dem Oberteil meiner Kleidung. Als jedoch ihre Händen dann, fast schon andächtig, über meinen Oberkörper glitten, wurde mir bewusst, dass ich mich vielleicht nicht zu schnell ausziehen sollte. Bisher hatte Isles ja keine größere Erfahrung mit Männern, wie ich hatte, aus Versehen, feststellen müssen. Zwar wusste ich nicht, inwiefern sich das auf ihre anderen Erfahrungen, über das Küssen hinaus, auswirkte, doch würde ich alles dafür geben, um es zu erfahren.
„Küss nie wieder den König, verstanden!“ Hoffentlich ist sie mit ihm noch nicht weiter gegangen, sonst würde dies nicht gut für meine geistige Gesundheit aussehen.
„Vorher friert die Hölle zu! Ich werde dieses Schwein bloß noch anfassen, um sein kaltes Herz aus seiner Brust zu reißen!“
So krank es klang, doch es gab kaum etwas Schöneres, dass Isles sagen könnte. Ich zog ihr Gesicht hoch, um sie zärtlich zu küssen. Mit einem Seufzen breitete sich ein zufriedenes Lächeln auf ihren Lippen aus. „Davon gehe ich aus und irgendwann erfülle ich dir diesen Wunsch!“ Ein Schwur.

Die Wölfin & der Vampir?

Heiß lief es meine Kehle hinab. Durchtränkte nicht bloß meinen Körper, mit seinem köstlichen Saft. Nein. Auch meine Kleidung färbte sich in seiner herrlichen Farbe. „Jetzt ist es aber genug.“ Eine kühle Hand, welche einen Schauder über meinen Rücken jagte, lenkte meine Aufmerksamkeit, alleine mit ihrer Stimme auf sich.
Freudig blickte ich auf, in die wunderschönen gelben Augen, meiner Wölfin und fasste nach den weißen, langen Haaren, welche ihr Gesicht einrahmten. Als ich jedoch sah, wie schmutzig meine Hände waren, zog ich sie sofort zurück.
Der Körper eines leblosen Mannes, fiel aus meinen Armen, sein Blut hatte, während mein Kopf wieder klar wurde, den Boden und meine Hose durchtränkt. Nein! So konnte ich doch nicht meiner Göttin entgegentreten. Nicht so dreckig!
„Schon gut, Liebster. Beruhige dich.“ Liebevoll umfasste Göttin... Nein, nicht Göttin. Diese Namen trug sie nun nicht mehr. Ich hatte sie Mischel getauft, ähnlich klingend, wie die Muschel, welche immer noch um ihren Hals hing.
Ich tastete an meinen eigenen Hals, doch da war keine Muschel. Sie war fort. „Wo ist sie? Wo ist meine Muschel?“
Mischel setzte sich neben mich auf den Waldboden und zuckte lediglich mit ihren Schultern. „Sie muss abgegangen sein, als du deinen Kopf verloren hast.“
„M-Mein Kopf?“ Fragte ich verblüfft. „Wieso habe ich denn meinen Kopf verloren?“
Wieder zuckte sie mit ihren Schultern. „Ich weiß es nicht, mein Geliebter.“ Zärtlich strichen ihre Hänge über meinen Bart und schienen irgendetwas fortzuwischen. „Es hat sehr lange gedauert, bis ich deinen Körper gefunden habe. Deinen Kopf trage ich seit Jahren nun bei mir.“
Entsetzt riss ich die Augen auf. „Wie bitte? Mir hat jemand den Kopf abgetrennt und beide voneinander getrennt?“
Mischel nickte betrübt. „Deine Mutter hat deinen Kopf aufgespießt, als Zeichen für die andern Vampire, dass nicht einmal ihr eigenes Blut vor ihrer Strafe geschützt ist.“
Das... klang nach ihr. Aber wieso sollte sie das tun? „Wie lange war ich tot?“
„Fast zwanzig Jahre. Ist das schlimm?“
Ich schüttelte den Kopf und ließ meinen Blick über ihren herrlichen Körper schweifen. Jedoch verdeckten ihre Haare das meiste, doch das störte mich nicht. Ohne ihre langen Haare, wäre meine Mischel nicht diejenige, die ich über alles Liebe. „Solange du das Erste bist, was ich sehe, wenn ich nach dieser langen Zeit erwache...“
Berührt lehnte sie sich vor und küsste mich liebevoll auf den Mund. „Ich habe alles daran gesetzt, deinen Körper zu finden. Also entschuldige, dass du...“ Sie deutete um uns herum. „...an so einen Ort erwachen musstest.“
Geschwind stahl ich ihr noch einen Kuss. „Solange du hier bist, ist jeder Ort perfekt.“
Mit so viel Liebe in den Augen, dass ich am liebsten darin ertrinken würde streichelte sie über mein Gesicht und entfernte beiläufig noch etwas Dreck. „Trotzdem wäre es mir lieber, dir sauber gegenüber zu treten, wenn es dir nichts ausmacht.“
Ihr Blick schweifte an mir vorbei, zu einem Fluss, auf welchen ich sofort zulief. Mit meiner Kleidung sprang ich einfach hinein, sie musste ohnehin gewaschen werden. „Was ist mit dir, mein Engel. Möchtest du...“ Ich brachte den Satz nicht zu ende, als sich ihr zarter Körper, mühsam vom Boden erhob und ein dicker Bauch, unter ihrer Haarpracht hervorblickte. „W-Was... Wie?“ Mein Gehirn wollte dies noch nicht richtig verarbeiten. Ein Werwolf... schwanger? Von einem Vampir? Wie konnte das... Nein!
Beiläufig winkte Mischel ab. „Keine Sorge, in ein paar Monaten sind sie alt genug um sich selbst zu ernähren, dann kann ich wieder mit dir herumtollen.“ Versprach sie, mit einem Lächeln, dass keinen Zweifel zuließ. Dort drinnen schlummerte nicht mein Nachkomme... Und das warf mich mehr aus der Bahn, als jemals gedacht.
„Du bist schwanger?“ Fragte ich ungläubig. Als wäre dies nicht ohnehin offensichtlich!
„Ja, aber sie sind bald da.“
>Sie<? Die Mehrzahl? „Sie sind nicht... von mir?“
Langsam schüttelte sie den Kopf, doch meine Wölfin schien noch nicht zu verstehen, auf was ich hinaus wollte. „Natürlich nicht. Sonst müssten wir doch bereits eine kleine Armee an Halb-Vampir und Halb-Werwolf haben.“ Sie kicherte leicht und streichelte liebevoll ihren Bauch. „Sie sind von einem Alpha aus den südlichen Wäldern. Ich habe sie ihm zugesprochen, als eine Art, Friedensabkommen.“
Mischel sprach über die Welpen, als wären sie Tauschware oder Bestechungsgeld! „Friedensabkommen?“
„Ja. Sein Rudel bekämpft seit langer Zeit meines, da er meinte, ich wäre schwach. Danach habe ich seine Alphafrau getötet, was uns beinahe in einen richtigen Krieg gebracht hätte. Also schlug ich ihm vor, ihm neue Alphafrauen zu schenken.“ Sie deutete auf ihren Bauch. „Aber jetzt ist alles wieder gut.“
„Seit wir zusammen sind... wie viele Jungen hast du da bekommen?“ Wollte ich die Antwort überhaupt wissen?
„In den letzten eintausend Jahren? Bestimmt mehrere hundert, ansonsten könnte ich wohl kaum mein Rudel aufrecht erhalten.“
Vor Schock gaben meine Beine nach. Mehrere hundert... Also bin ich nicht ihr einziger Mann... Diese Offenbarung nahm mir den Wind aus den Segeln. Diese Wölfin hat mich all die Jahre als selbstverständlich erachtet? Während ich ausschließlich sie liebte... Verflucht, für sie hatte ich sogar meine eigene Mutter hintergangen! Immer und immer wieder!
„Stimmt etwas nicht, Vlad?“ Ihre naive Frage, brachte mich beinahe an den Rand des Wahnsinns. Oder lag es einfach am Blutmangel?
„Was soll denn nicht stimmen, Wölfin? Vielleicht, dass du mich in den letzten Jahrhunderten als selbstverständlich, oder gar als Spielzeug angesehen hast?“
Sie rümpfte überheblich ihre spitze Nase. „Natürlich habe ich dich als selbstverständlich angesehen. Es gibt niemanden...“
„Hörst du dir überhaupt selbst zu? Oder bist du doch das dämliche Tier, welches meine Mutter in euch allen sieht?“
Ein tiefes Grollen ließ den Boden unter mir beben. „Wie nennst du mich?“ Oh, da hatte ich wohl doch einen eitlen Punkt in der sonst so lieblichen Frau gefunden.
„Ein dummes Tier, das die Beine spreizt, wenn irgend ein Mann, oder Wolf kommt. Ich dachte, du stehst über so etwas? Ich dachte... ich wäre etwas Besonderes für dich, so wie du für mich. Aber... wie ich sehe, bist du nicht anders, als die anderen Hunde!“
Nein, so etwas brauchte ich wirklich nicht! Tränen stiegen in meinen Augen hoch, vor Enttäuschung und Schmerz. Ich hatte ihr wirklich alles gegeben! Meine Treue, meine Geheimnisse, meine... Liebe... Und sie nahm es, als selbstverständlich hin. Als wäre ich bloß einer ihrer Untertanen mit dem sie sich köstlich vergnügte.
„V-Vlad? Wo gehst du hin?“ Ich war aus dem Wasser gestapft und einfach losgegangen. In welche Richtung? Himmel, ich wusste ja noch nicht einmal, wo ich mich befand.
„Weg! Aber dieses Mal, für immer!“
„Wieso?“ Etwas langsamer, lief sie hinter mir her, da sie mit ihrem Bauch etwas eingeschränkter war.
Abrupt blieb ich stehen und funkelte sie kalt an. „Wenn du es nicht einmal weist... dann kann auch ich dir keine passende Erklärung liefern.“
Nun stiegen auch Tränen in ihren Augen auf. Ich sah sie, es war sogar das erste Mal, dass ich bei Mischel welche sah, doch... Meine Wut war einfach stärker. „Versuch ja nicht mich zu finden!“
Damit verschwand ich. Für immer.
Wie hatte ich mich bloß auf einen Hund einlassen können? Ja, mir war klar, dass diese Wölfin menschlicher war, als alle Werwölfe, die ich jemals getroffen hatte. Nicht dass ich mich mit sonderlich vielen unterhielt, doch... Bereits im ersten Moment wusste ich... sie ist etwas Besonderes. Einmalig, so wie sie wunderschön und stark ist. Unsterblich wie wir und unverderblich... Eine wahre Göttin auf Erden.
Wenigstens damit hatten die Menschen recht behalten, als sie ihr diesen Namen gaben...

XXXI. Isles Skylander, gefesselt

Schwerlich kam mein Körper wieder zu sich. Mit einem kratzenden Gefühl schoben sich meine Nackenwirbel, an ihren Platz zurück und meine Nerven verbanden sich, sodass mir der schreckliche Schmerz, in meinen Armen und meinen Knochen bewusst wurden.
„Du heilst bereits schneller. Herausragend.“ Lobte eine lockende Stimme, welche mich zum Fauchen brachte. „Na, na!“ Schimpfte der König und kam auf mich zu.
In welchem Raum ich mich befand, wusste ich nicht, doch der bissige Geruch nach Essig, stach mir in die Nase und an den meisten Teilen der Wände, hingen schwere Ketten. Definitiv dazu gemacht, um Vampire an Ort und Stelle zu halten. Überrascht stellte ich jedoch fest, dass sich ebenso ein säuberlich gerichtetes Bett befand. Ein Himmelbett, mit vielen Polstern und Seidenvorhängen. „W-Wo bin ich?“ Fragte ich überrascht. Die kahlen Wände mit den vielen Stahlketten schienen überhaupt nicht zu dem himmlischen Bett passen zu wollen.
„In einem meiner Nebenzimmer. Um ehrlich zu sein, ist es sogar mein aller Liebstes. Hübsch, nicht wahr?“ Scheinbar stolz auf sich selbst, lobte er sich selbst.
Argwöhnisch verzog ich das Gesicht und zerrte an den Ketten, welche meine Hände über meinem Kopf zusammen hielten. „Mach dir nicht die Mühe. Nicht einmal Gerard könnte sie zerbrechen.“
„Gerard? Was hast du mit ihm gemacht?“ Ich brüllte regelrecht und zerrte an den Ketten, fester als zuvor. Wenn er ihm auch nur ein Haar gekrümmt hat!
„Bisher? Nichts. Aber ich kann dir zuversichtlich versprechen, dass er nach dir dran kommt. Zuerst das Vergnügen, dann die Arbeit.“ Verschwörerisch zwinkerte der König mir zu.
Mittlerweile trug er überhaupt nicht mehr seinen fürchterlichen Anzug, sondern, wie so oft, eine helle Hose, ein weißes Hemd und einen protzigen Gürtel um seiner Hüfte. Langsam schritt der König zu einem silbernen Tisch, auf welchem ein helles Tuch lag. Mit einem Ruck zog er es weg und ich erkannte, woher dieser fürchterliche Gestank nach Essig her kam. Auf der Mitte des schmalen Tisches stand eine goldene Schüssel mit einer ähnlich gefärbten Flüssigkeit darin. Daneben zwei Objekte, die ich noch nicht erkannte.
Mit einer furchterregenden Gelassenheit streifte Michellé seine Ringe von den Fingern, welche er häufig trug und bettete sie, beinahe liebevoll, auf der einen Seite, des Tuches. „Weißt du... Trotz deinem Hübschen Gesichtes, dachte ich wirklich... es könnte tatsächlich etwas zwischen uns werden. Etwas Langfristiges.“
Wütend fauchte ich. „Vorher friert die Hölle zu!“
Schmunzelnd warf mir der König einen Seitenblick zu, als würden wir uns lediglich necken. „Ja, das weiß ich nun auch.“ Er seufzte tief und schüttelte langsam seinen Kopf. „Und das werde ich Gerard ewig vorhalten. Endlich wird eine Frau geboren, die meiner einstigen Geliebten, wie aus dem Gesicht geschnitten ist... und dann muss sie sich an meinen einzigen Abkömmling binden.“ Tadelnd warf er mir einen Blick zu, als wäre dies alles meine Schuld.
„Von wem sprichst du?“
„In meinem Leben habe ich bloß eine einzige Frau geliebt, musst du wissen. Eine Wölfin... Nein, das ist falsch. Es war >die< Wölfin! Die einzig Wahre und schöner, als die Sterne selbst.“ Plötzlich schien der König in seinen eigenen Gedanken zu versinken, was mir beinahe mehr Angst machte, als hier gefesselt herumzuhängen. Der König hat einen Werwolf geliebt?
„Sie nannten sie Göttin. Die Menschen gaben ihr einst diesen Namen. Und er passte überraschend gut zu ihr. Ich schätze, sie muss so alt, wie Mutter selbst gewesen sein. Aber leider naiv, verräterisch und...“ Resigniert seufzte er. „Jedenfalls war ihr Ende schmerzhaft und vermutlich sehr lange, so wie ich Mutter kenne.“
Überrascht blickte ich den König an. „Du hast deiner Mutter erlaubt, die Frau zu töten, die du behauptest geliebt zu haben?“
Ein kehliges Lachen erklang. „Sie war lediglich eine Hündin. Willig und leicht zu kontrollieren. Es war mein Fehler, mehr in ihr zu sehen. Und ihr eigener, meiner Familie zu nahe zu kommen.“
Deshalb die Wölfe im Keller! Sie sind vermutlich die Nachkommen dieser >Göttin< und er... erlaubte sich seinen Spaß auf deren Kosten? „Du bist abartig!“ Fauchte ich wütend.
Bestürzt griff sich Michellé ans Herz. „Das Traurige daran... Ich weiß das und es ist mir egal.“ Lachend wandte er sich wieder seinem verstellbaren Tisch zu und schob ihn etwas näher an mich heran. Sofort versuchte ich abzurücken, doch dank, den engen Ketten, schaffte ich nicht einmal einen Schritt weit. „Und jetzt auf zum spaßigen Teil!“
Begeistert rieb er sich seine Hände und nahm ein Paar Handschuhe, welche er sich über streifte. Jetzt erkannte ich auch die andere Sache, welche dort lag. Eine kurze Peitsche.
Scheiße!

XXXII. Gerard Tobonneau, am Boden fixiert

>Bleib dort< Verdammter...
Ein Ding der Unmöglichkeit für mich! Ich musste zu Isles. Sie retten von den bestialischen Fantasien dieses... Monsters! Aber nein! Ich saß hier, auf dem kalten Holzboden meines alten Zuhauses fest! „Wah!“ Ich schrie wuterfüllt auf und schmetterte meine Arme auf den Boden. Knackend gaben die Holzleisten unter meiner Angst nach und bohrten sich unsanft in mein Fleisch. Fluchend zupfte ich sie wieder heraus.
Das konnte es doch noch nicht sein! Nicht so... nicht nach all dieser Zeit! Ich habe doch... Da gab es noch so unendlich viel, dass ich Isles sagen musste, ihr beweisen, dass ich nicht der bin, für den ich mich ausgebe. Bestimmt denkt sie immer noch, dass ich der Schoßhund des Königs bin. Sein treuer Welpe, der springt, sobald der König einmal niest. So bin ich aber nicht! Und auch nicht der Typ Mann, der einmal mit jemanden schläft und diese Person dann seinem Schicksal überlässt...
Nun, ja mit Isles Reaktion konnte ich doch wirklich nicht rechnen! Dass sie Aurora gleich den Werwölfen vorwirft... Ehrlich! Wer würde so etwas erwarten?
Während Tränen über meine Wangen liefen, lachte ich. Wie gerne hätte ich das gesehen. Die dreijährige Isles, welche sich mit einer tausend Jahre alten Prinzessin anlegte? In ihr musste so viel mehr Kraft schlummern, als das sie bisher gezeigt hat. Vielleicht in einigen Jahren... mit etwas Übung, konnte sie dem König sogar die Stirn bieten? Oder hätten wir irgendwann, weit weg von Europa, vielleicht sogar unseren eigenen Clan? Denn eines war mir klar, hier wollte ich definitiv nicht bleiben! Nein, sie verdient etwas Besseres. Einen ruhigen Ort, an dem sie ausrasten konnte, wie sie wollte. Wo sie nicht eifersüchtig sein müsste... sich den Mann sucht, den sie verdient...
Kein König und auch keinen Sklaven. Vielleicht... jemanden der ihr ebenbürtig ist. Ihre Launen mit einem einfachen Lächeln abtut und sie mit einem Wort in andere Sphären katapultiert.
Fauchend riss ich noch fester am Holzboden, bis alles innerhalb meiner Reichweite in Trümmer lag. Verdammt! Nicht einmal das konnte ich ihr gönnen. Wann bin ich bloß so fixiert und besitzergreifend geworden?

XXXIII. Isles Skylander, findet ein neues Hobby

„Denk nicht einmal daran! Ich stehe nicht auf dieses Peitschen-Zeug!“ Fauchte ich, während der König die Spitzen der Peitsche, in die stinkende Flüssigkeit tauchte.
Plötzlich musste ich an Gerard und unsere letzten Stunden im Bett denken. Okay, ich gebe zu, ich mochte es tatsächlich, wenn er etwas rauer mit mir umging, seine Zähne in meine Haut warf und... andere Dinge.
Aber bei Peitschen war definitiv eine Grenze!
„Pech für dich. Ich liebe es, wenn meine Frauen schreien vor Schmerzen.“ Anzüglich zuckte er mit seinen Augenbrauen, holte aus und schlug mit weniger Kraft, als erwartet gegen meine Seite. Da ich mich halb herum drehte, um nicht in der empfindlichen Magengegend getroffen zu werden, zogen sich sieben Linien über meine Rippen, hinab zu meiner Hüfte. Für einen Moment wartete ich erstaunt, da der Schlag nicht so sehr schmerzte, wie erwartet, doch im nächsten Moment, schrie ich aus voller Kehle, da sich etwas in meine Haut brannte.
Wie Säure fraß sich die goldene Flüssigkeit auf der Peitsche, durch meine Haut und ätzte sich einen Weg in mein Fleisch.
„Oh, das hätte ich vielleicht erwähnen sollen. Essig ist wie Säure für unseren Körper.“ Erschrocken und von blutroten Tränen, verklärten Blick, sah ich in das begeisterte Gesicht, meines Erschaffers. „Es hinterlässt wirklich hässliche Narben. Aber macht so viel Spaß!“
Abermals traf mich ein Schlag, dieses Mal fester und öfter hintereinander. Beinahe erleichtert, stieß ich die Luft aus, als ich die Besinnung verlor.
Jedoch offenbar nicht lange. Ein verlockender Duft, erfüllte meine Nase und ich stürzte das Blut sofort hinunter, kaum dass es meine Lippen berührte. Heiß rann es meine Kehle hinab, heilte meine Wunden und linderte meinen Schmerz.
Ist es vorbei? „Bitte... Ich kann nicht mehr...“
„Wie war das? Ich habe dich nicht richtig verstanden.“ Spottete der König.
„Bitte! Hör auf.“
„Wieso sollte ich? Du hast dich an meinen liebsten Hund vergriffen.“ Liebsten Hund? Michellé sagte immer so etwas. Beinahe nie, nannte er Gerard seinen Sohn, oder treuen Kämpfer. Nein, immer spottete er über ihn. Machte sich über ihn lustig. Beachtete ihn des Öfteren sogar überhaupt nicht.
„Was? Magst du es etwa nicht, wenn ich so über deinen Freund rede?“
Ich fauchte wütend. „Er ist nicht mein Freund. Und nein! Ich hasse es, wenn du so herablassend über ihn sprichst! Du hast ihn erschaffen! Er ist dir immer treu ergeben gewesen!“
Der König winkte gelangweilt ab. „Solche findet man an jeder Ecke. Aber... dich, süße Isles.“ Unerwartet wirkte er enttäuscht und holte einfach erneut aus. Der Schlag traf mich unvorbereitet, quer über meinen Bauch hinweg und fester als die anderen davor.
Unter Qualen wandte ich mich, in der Hoffnung, dies wäre es jetzt endlich gewesen. Obwohl... Nein! Wenn er mit mir aufhört, wenn es dem König mit mir zu langweilig wurde... dann würde wohl oder viel mehr, übel, Gerard sein nächstes Opfer sein. „M-Mehr hast du nicht zu bieten? Ein bisschen sticheln und schon langweilt sich das Prinzesschen?“
Über die Schulter, meine Arme, an mehreren Stellen meiner Beine... Immer und immer wieder traf er mich. Ich wusste nicht, wie oft ich ohnmächtig wurde, wie oft mir der König Blut zur Heilung geben musste, doch diese Flüssigkeit... Niemals hätte ich erwartet, dass es etwas gab, dass mir solche Angst einflößen könnte.
Trotzdem stand ich immer wieder auf. Im übertragenen Sinne, natürlich, denn ich hing immer noch an meinen schmerzenden Armen, mit ausgerenkten Gelenken, welche wegen meiner Position nicht heilen konnten.
„Ich muss zugeben... du bist hartnäckig.“ Während ich gierig trank, erschreckte es mich, die Stimme des Königs so nahe an meinem Ohr zu wissen. „Die letzten Stunden habe ich mich wirklich gefragt, was jemanden veranlassen könnte, solche Qualen auf sich zu nehmen? Aber weißt du... ich glaube, ich weiß es jetzt. Obwohl, es hätte mir viel eher klar sein sollen.“
Ich verschloss meinen Mund vor dem Rest der Flasche und blickte in die kalt gewordenen Augen, des Königs. „Vielleicht bin ich ja doch der Typ für SM Spielchen.“
Schnaufend tat er dies ab. „Wohl kaum.“ Plötzlich zuckte er mit der Peitsche, jedoch ohne mich zu berühren, doch ich zuckte so stark zusammen, als hätte er mich abermals getroffen. „Das dachte ich mir schon. Du willst Zeit für deinen Freund schinden, nicht wahr?“
„Der wird schon längst seinen Arsch gerettet haben.“ Gerard ging es doch darum, nicht wahr? Das hatte doch Louis vor wenigen Tagen zu mir gesagt. Gerard ging es immer bloß um sein eigenes Überleben. Vielleicht auch heute? Jetzt, wo er wusste, er konnte mich unmöglich mit sich nehmen... Immerhin band den großen, stoischen Krieger nichts an mich. Außer vielleicht wirklich guter Sex.
Wie konnte ich in einem solchen Moment bloß daran denken? Wieso konnte ich überhaupt immer noch denken? Das Los ein Vampir zu sein? Jede Verletzung heilt, ich kann mir alles merken was ich einmal gehört, oder gelesen habe und so gut wie unsterblich bin ich auch noch. Zumindest solange es mein Erschaffer erlaubt!
„Das bezweifle ich, Isles. Du hast dich an ihn gebunden. Nur dachte ich, dass Gerard etwas mehr an seinem Leben hängt, anstatt sich ebenfalls an dich zu binden. Leider ist das eines der wenigen Dinge, die ich nicht kontrollieren, oder verblassen lassen kann. Nun, ja... Wenn einer der beiden stirbt, dann verblasst selbstverständlich dieses Band. Und keine Sorge... Das tut so richtig weh! Mehr, als ein paar Tropfen Essig! Man sagt, es raubt einem sogar den Verstand, aber gesehen habe ich das noch nie.“
Oh, oh! Langsam dämmerte mir, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde! „Gerard ist viel stärker, als du denkst. Mit dir wird er in einem fairen Kampf spielend fertig!“
Glucksend lachte der König. „Mit >fair< habe ich es nicht sonderlich.“ War ja klar! Was anderes konnte man von ihm wohl kaum erwarten!
„Hinterhältiger Dreckssack!“ Fauchte ich, nur um zeitgleich einen erneuten Schlag zu kassieren.
„Man hat mich schon schlimmer beschimpft.“ Mein Gesicht war bereits vor Blut verschmiert und tropfte zu meinen Füßen auf den Boden. Die kleine Pfütze dort, halb getrocknet, halb frisch, ließ mich ins straucheln kommen. Laut schreiend, gab mein Unterarm einen unguten Laut von sich und ich fühlte meine linke Hand überhaupt nicht mehr. Zumindest, was mein Gelenk anging. Der Schmerz in meiner Elle jedoch, war mehr als gut spürbar.
„Oh je, oh je! Scheint, als würden deine Knochen nicht mehr mitmachen.“ Auf dieses Mitleid konnte ich gut verzichten!
Ich fauchte wütend, als der König abermals auf mich zukam, doch er legte endlich seine kurze Peitsche ab und zog meine Arme etwas höher, sodass die Verletzungen endlich heilen konnte. Erlöst seufzte ich. „Faszinierend. Du wirst von Woche zu Woche stärker. Ich frage mich, wie es sich auf dich auswirken würde, wenn ich deine Nahrungsaufnahme lediglich auf pures Werwolfblut reduziert hätte?“ Nachdenklich betrachtete er meine heilenden Handgelenke und wischte beiläufig etwas Blut aus meinem Gesicht.
„Dann würde ich dich in kleine Teile zerhacken!“ Mit den Zähnen schnappte ich nach seinem Gesicht, doch natürlich wich er ohne große Mühe aus.
„Obwohl du das Gesicht von meiner Göttin hast, habt ihr völlig unterschiedliches Temperament.“ Tadelte er und ging einen kleinen Schritt zurück.
„Du hast auch ein hübsches Gesicht, doch weder etwas in der Hose, noch im Kopf!“ Der Schlag seiner Rückhand, auch wenn er mein Jochbein brach, trieb mir einen belustigten Laut aus dem Mund. Der Vergleich war doch wirklich herrlich, nicht wahr?
„Werde mal besser nicht übermütig. Ich frage mich... was braucht es, um dich bettelnd am Boden vorzufinden?“
Sofort sah ich Gerards, am Boden fixierten Körper vor mir. Ob er immer noch in dem kalten Zimmer, nackt hockte, wo ich ihn hatte zurücklassen müssen? Nicht dass ich großartig eine Wahl gehabt hätte.
„Würde es dir besser gehen, wenn ich Gerard vor deinen Augen foltere? Oder zu Dingen Zwinge, die dich ekeln würden? So etwas habe ich schon häufig getan und wirkte normalerweise Wunder bei meinen Opfern.“
Erschrocken riss ich die Augen auf. Wie viele mussten unter diesem Monster bereits gelitten haben? Menschen? Kinder? Vampire? Werwölfe? Hunderte? Tausende? Oder gar ganze Völker? Nein, auf diese Fragen wollte ich doch lieber keine Antworten.
Ich schluckte schwer.
„Was? Würdest du denn gerne deinen Freund sehen?“ Das liebliche Lächeln auf seinem Gesicht machte mich beinahe wahnsinnig.
„Spreche ich eine dir nicht bekannte Sprache?“ Fauchte ich, als mein Knochen wieder verheilt war. Fragend zog der König die Augenbrauen hoch, während ich meine Chancen abwog, ihm das Genick mit meinen frei hängenden Beinen, zu brechen. Das hatte ich bereits einmal im Fernsehen gesehen. Ob ich so etwas ebenfalls zustande bringe? „Gerard. Ist. Nicht. Mein. Freund.“ Ich spuckte die Worte geradezu aus und als Michellé genervt die Augen verdrehte, versuchte ich mein Glück. Mit einem Ruck packte ich meine Ketten fester, nun da das Gefühl in meine Hände zurückgekehrt war, hielt mich fest und zog meine Beine hoch. Einmal musste ich mich zwar gegen Michellés Brust abstoßen, doch erreichte ich doch tatsächlich mein Ziel!
Fast schon triumphierend, schaffte ich es, dass meine Beine seine Schultern erreichten. Mit einem Bein hackte ich mich an seinem Nacken ein, damit er nicht zurückweichen konnte, mit dem anderen stemmte ich mich mit aller, mir verbliebenen Kraft, gegen seine Wange.
Doch erreichte überhaupt nichts. Nicht einmal einen Millimeter bewegte sich sein verdammter Kopf, vom Bruch seines Genicks ganz zu schweigen. Stattdessen brachte ich mich lediglich in eine noch schlimmere Position. „N-Nein! Nein, nein, nein!“ Lachend behielt der König meine Beine um seine Schultern und genoss ganz offen, ohne jegliche Scheu, den Anblick. „Ich muss schon zugeben, liebste Isles. Du überrascht mich immer wieder. Und vor allem wie du...“
Plötzlich verstummte der König. Und sein Kopf verschwand ebenfalls, völlig spurlos. Zumindest schien mir dies in diesem einen Moment so. Gefolgt von einem wuterfüllten „Waaah!“ landete etwas krachend gegen eine Kette und fiel dumpf zu Boden.
Der schwarzhaarige Kopf drehte sich langsam zu mir um, während der Körper, welcher eben noch meine Beine gestützt hatten, einfach umkippten. Ungläubig blickte ich dem toten Körper hinterher.
„Du siehst furchtbar aus!“ Stellte Gerard, sehr galant, fest.
Das war der Moment, in dem ich mich nicht mehr halten konnte. Schwach von dem Schock, welchen ich gerade eben noch erlebt hatte, gaben meine Beine nach, oder vielleicht lag es auch ganz einfach an dem rutschigen Untergrund. Das Schütteln meines Körpers jedoch, lag einzig und alleine an meinem Lachen.
Kopfschüttelnd stützte Gerard meinen Körper und löste mit der freien Hand, meine Ketten. „Charmant, Gerard.“ Tadelte ich, immer noch lachend und fühlte neue Tränen an meinem Körper hinab rinnen.
„Nur weil wir Sex hatten, bedeutet das nicht, dass ich plötzlich nett zu dir bin.“
Erleichtert schlang ich meine Arme um seinen Hals und genoss es, wie es sich anfühlte, als er mich fest an sich zog. „Das würde ich auch niemals von dir verlangen, Klugscheißer.“
Liebevoll hauchte ich Gerard einen Kuss auf die Wange. „Geht es dir gut?“
Ich schüttelte den Kopf.
Er nickte, verstehend und deutete auf den geköpften Körper. „Wir müssen etwas tun, sonst wächst er einfach wieder zusammen.“
Vom Körper löste sich bereits eine Blutspur, auf direkten Weg, zum dazugehörigen Kopf. „So etwas kann er?“
Gerard lachte humorlos. „Er ist viele tausend Jahre alt, Isles. Wenn es etwas gibt, was er nicht kann, dann... bin ich überrascht.“
Mein Blick glitt zu dem Mal, auf seiner Wange und ich strich zärtlich mit den Fingerspitzen darüber. Mit einem wissenden Lächeln schmiegte sich Gerard in meine Hand. „Ein oder zwei Dinge stehen doch außerhalb seiner Gehaltsklasse.“
Gerard ging mit mir zum Kopf und stellte mich daneben ab, bevor er selbst nach diesem Griff. „Ideen, oder Anregungen?“
Zitternd fuhr ich mit den Fingern einige verbliebene Narben nach. „Die eine, oder andere... Nein! Ehrlich gesagt, habe ich bloß eine einzige Idee, die ich gerne ausprobieren möchte.“
Mein ganzer Körper bebte, während ich auf rutschigen Füßen, zurück zu dem silbernen Tisch schritt. „Isles...“ Begann Gerard und kam mir nach. „Was hast du vor?“
„Das Stück Scheiße so zu entstellen, wie er es bei mir gemacht hat!“ Fauchte ich wütend und griff nach der Schüssel mit Essig.
„Stopp! So schüttest du dich bloß selbst an.“ Ergeben stellte ich die Schüssel wieder ab und wartete, dass Gerard den abgetrennten Kopf auf das Bett legte. Die einzige Liegefläche hier in diesem Raum, vom Boden einmal abgesehen. „Gib es mir.“
„Aber ich überschütte ihn damit!“ Mit gebleckten Zähnen drohte ich, doch ein Blick in diese grünen, besorgten Augen, reichten um mir bewusst zu werden, dass ich nicht ganz bei mir war. Wie bereits gestern, oder war es vorgestern, als ich Auroras Gesicht zerschmettert habe?
„Isles, sieh mich an.“ Sanft umfasste Gerard mein Gesicht und wischte mit dem, ehemalig weißen Tuch, über mein blutverschmiertes Gesicht. „Liebling, er wird dich nicht mehr anfassen. Verstanden?“
Ich stützte mich an Gerards Unterarmen, als meine Beine so fest schlotterten, dass ich beinahe mein Gleichgewicht verlor. „Das ist der Schock.“ Stellte ich fest.
Liebevoll strich er mir über die Wange und das Haar. Ich musste schrecklich aussehen. Dreckig und stinkend, dank des Essigs, doch trotzdem lehnte Gerard sich, ohne zu zögern, vor und küsste mich leidenschaftlich.
Augenblicklich wurde mein Kopf leer und mein Körper schmiegte sich, völlig ohne Aufforderung, an seinen. Plötzlich zuckte ich zurück „Hast du mich gerade >Liebling< genannt?“
Gerard schnaufte lachend. „Da ist ja meine Isles wieder. Zickig und bösartig, wie sie gehört.“
Tatsächlich. Er hat recht. Meine Beine hatten während des innigen Kusses einfach aufgehört zu zittern und mein Kopf fühlte sich ebenfalls nicht mehr so schwer an. „Küss mich noch einmal.“ Keine Bitte, sondern eine Aufforderung.
Mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht deuteten konnte, küsste er mich so lange, bis meine Zähne hervortraten. Seine großen Hände strichen mehr fordernd, als vorsichtig, über meine tiefen Narben, die ich nun dank der Peitschenhiebe trug und zerquetschte mir dabei, beinahe die Brust.
„Genug, oder mehr?“ Meine Lippen hatten längst ihren Weg über seinen Mund hinaus gefunden, glitten zärtlich über seinen Hals und meine Zunge leckte neckend über seine Haut.
„Am liebsten gleich alles...“ Seufzte ich und hörte ihn stöhnen, als meine Zähne unsanft über eine weiche Stelle seines Halses streiften. Obwohl ich jetzt, in diesem Moment am liebsten unser Wiedersehen feiern würde, die Frage klären, wie er es geschafft hat sich zu befreien, und wieso er nicht ohne mich weggelaufen ist, hatte meine Wut doch einen Tick mehr zu sagen.
Ein letztes Mal kniff ich Gerard in seinen Hintern, bevor ich mich von ihm löste. „Okay... Jetzt geht es.“ Schwor ich, doch konnte die Leidenschaft so gut wie noch nie in seinem Blick erkennen. Sie ähnelte sehr stark meiner Eigenen zu ihm.
„Das heißt, wir rösten unseren König ein wenig an?“ Fragte er grinsend.
„Ist es krank, dass ich das antournend finde?“
Noch einmal küsste er mich, bevor er nach der Schüssel mit Essig griff. „Bloß, wenn wir es über seinem halb toten Körper treiben würden.“
Kichernd folgte ich Gerard zu dem verhassten Kopf. „Willst du es tun, oder darf ich?“
Vorsicht balancierte Gerard die Schüssel auf einer Hand, zog mich an sich, sodass mein Rücken an seiner Brust lag und hielt mir die Schüssel hin. „Wie wäre es, wenn wir ausnahmsweise einmal etwas gemeinsam machen?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Könnte sogar ein tolles Hobby abgeben, oder nicht?“
An meinem Hals spürte ich, wie er ein Lachen unterdrückte und mir stattdessen einen Kuss auf den Hals drückte. „Mir würde das niemals langweilig werden.“ Gab er zu. Ich legte meine Hände auf seine, wesentlich größeren und schmiegte mich an seinen Körper.
Okay, sogar ich fand mittlerweile, dass es krank ist, sich bei so etwas so gut zu fühlen. Nicht dass es Michellé nicht verdient hätte! Langsam kippten wir gemeinsam die Schüssel nach vorne und die Flüssigkeit fraß sich, mit einer unnatürlichen Geschwindigkeit, in sein Fleisch. Wenn das heilte... wollte ich ihm besser nicht mehr begegnen.

XXXIV. Louis Tobonneau, auf Schnitzeljagd

„Wie bitte?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte ich von Isles zu Gerard, welche vor meiner Zimmertüre standen. Manon war eine von den Frauen, die im Moment das Chaos, welches im Erdgeschoss vor einem Tag entstanden war, noch immer zu schlichten versuchte. Trotz all ihrer guten Kontakte schien dieser >Anschlag,< wie er bereits offiziell genannt wurde, zu einer regelrechten Katastrophe auszuarten.
„In ein paar Stunden. So... drei, oder vier. Es hat keine Eile.“ Schwor Isles und hob beschwichtigend die Arme.
„Ihr sagt, es gibt etwas, dass der König mit mir klären muss, aber es hat keine Eile und ich soll erst in drei, vier Stunden zu ihm hochgehen?“
Gerard reichte mir einen Zettel. „Das ist sein Zimmercode.“
„Und der für mein Zimmer. Ich hatte keine Zeit mehr, um ihn auszuschalten.“ Entschuldigend küsste Isles mich auf die Wange, doch wurde kurzerhand von Gerard von mir fortgerissen, bevor sie mich freundschaftlich umarmen konnte.
„Mach das ja nie wieder!“ Fauchte er wütend. Moment... Ist das etwa der Gerard, den ich kenne? Oder ein wirklich schlechter Klon?
„Du hast mir überhaupt nichts zu sagen, Holzkopf!“ Für einen Moment gaben sich die beiden ein, beinahe, tödliches Blickduell, bevor Gerard abschätzig nachgab.
„Was für mich gilt, gilt für dich ebenso. Klar!“ Keine Frage, sondern eine Feststellung. Irgendetwas lief zwischen den beiden überhaupt nicht so, wie gewohnt.
„Ist alles in Ordnung mit euch?“
„Ja!“ Murrten beide gleichzeitig, gleichviel gereizt.
„Ihr verhaltet euch aber seltsam... Oh Gott! Ihr habt miteinander geschlafen?“ Eigentlich sollte es bloß ein Scherz sein, doch auf die bedrückende Stille hinauf... „Was? Das war richtig? Es sollte bloß ein Scherz sein!“ Stieß ich schockiert hervor.
„Er hat eine Minderjährige verführt!“ Stichelte Isles und grinste dabei zu Gerard.
„Du bist bereits zwanzig!“ Antwortete er unberührt.
„Was? Jetzt auf einmal? Sonst beharrt ihr Vampire auch immer darauf, dass ich erst drei Jahre alt bin.“
Plötzlich lächelte Gerard und beugte sich ganz nahe an Isles Ohr herab. „Du verhältst dich aber kein bisschen, als wärst du drei.“ An ihren Augen erkannte ich, dass die beiden keinesfalls mehr über >das Alter< redeten und seufzte resigniert. Manche Dinge wollte ein Mann mit meinem Alter und meinen Erfahrungen wirklich nicht mehr wissen! Besonders wenn das angesprochene Mädchen, beinahe wie eine Tochter für einen war.
„Okay. Halt! Für was brauche ich die Passwörter?“
Gerard und Isles brachen ihren, wesentlich friedlicheren Blickkontakt ab. „Das wirst du selbst sehen.“ Plötzlich trat Gerard auf mich zu und reichte mir seine Hand. Verwirrt nahm ich sie entgegen. „Ich weiß noch nicht, wann wir uns wieder sehen, aber... Es war mir eine Ehre, Louis Tobonneau.“
Verblüfft blickte ich meinem alten Freund entgegen. „Ihr geht weg, so wie Beliov und Francesca?“
Gerard nickte. „Wenn sie entkommen sind, dann ja. Falls möglich, werden wir uns nun nicht mehr sehen und wir würden dich darum bitten, zu niemanden ein Wort zu sagen. Auch nicht zum König.“
Langsam dämmerte mir, dass es zwischen dem >Anschlag< und dem jetzigen Verschwinden der beiden eine Verbindung geben musste. „Pass auf mein kleines Mädchen auf, verstanden.“ Fauchte ich mahnend.
Gerard knurrte. „Sie ist nicht >dein Mädchen<.“
Schmunzelnd gab ich Gerards Hand frei. „Davon bin ich aus ausgegangen.“ Die beiden schienen sich irgendwie, auf eine Weise, die ich nicht nachvollziehen konnte, gefunden zu haben.
Isles nickte mir lediglich noch einmal zu, dann nahm Gerard sie, ohne einen Protest zu hören, auf seine Arme und lief einfach los. Etwas traurig blickte ich ihnen hinterher, wobei ich wusste, dass die beiden bereits außerhalb des Schlosses sein mussten.
Was fing ich bloß mit den beiden Passwörtern und diesem heimlichen Verschwinden an? Am besten besprach ich dies vorher mit meiner Frau.
Mit den Passwörtern in der Tasche schloss ich die Türe und lief ebenfalls hinab ins Erdgeschoss.
Unten fand ich sie in der Nähe des Einganges, wie sie sich mit einer Frau stritt, die ich nicht kannte. Langsam, sodass die beiden Frauen auf mich aufmerksam wurden, ohne ihre aufgestaute Wut auf mich zu entladen, näherte ich mich ihnen.
„Oh, Louis! Mein Retter!“ Manon fiel mir um den Hals und küsste mich liebevoll, als die wütende Asiatin einfach davon stapfte.
„Was ist denn los, Liebste?“ Fragte ich und streichelte liebevoll ihr dunkles Haar.
„Der Clanstreit. Er beginnt von vorne. Wer auch immer die Werwölfe hinaus gelassen hat, wollte einen Krieg provozieren.“ Oder eine Ablenkung, um zu entkommen... Aber das konnte ich schlecht laut in einem überfüllten Eingangsbereich sagen. „Du weißt mehr darüber?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Womöglich.“ Gab ich zu. „Aber um sicher zu sein, muss ich zum König gehen. Aber erst in ein paar Stunden. Komm, lass uns eine Pause einlegen.“
Erleichtert, eine gute Ausrede zu haben, folgte sie mir, zurück in unser Zimmer. „Wusstest du schon, dass Isles und Gerard miteinander geschlafen haben?“
Die Tür krachte polternd ins Schloss. „Wie bitte?“ Damit hatte ich meine Manon definitiv erschreckt.
Kichernd zog ich sie an mich. „Sie haben es gerade, mehr oder weniger zugegeben. Außerdem... sind sie zusammen abgehauen.“
Verblüfft zog sie ihre Augenbrauen hoch. „Wie bitte? Gerard und Isles? Bist du sicher?“
Ich nickte. „Sie haben sich verabschiedet vor ein paar Minuten.“
„Wo sind sie hin?“
„Das sagten sie nicht.“
Manon wurde bedrückter. „Denkst du, es wird ihnen gut gehen?“ Damit überraschte sie mich.
„Du bist nicht überrascht?“
Sie schüttelte ihren hübschen Kopf. „Nein. Aurora ist mit Isles vor dem Attentat im Keller verschwunden, zurück kam nur Isles und Auroras Körper wurde entstellt und zerstückelt in den Überresten der Käfige gefunden. Außerdem haben sie und Gerard dieses Band. Also, nein. Ich bin nicht überrascht.“
Womit sie recht hatte. Das waren doch recht große Zufälle. „Du meinst, die beiden haben gekämpft und Isles hat gewonnen?“ Fragte ich ungläubig.
Manon löste sich aus meinen Armen, um sich etwas zu trinken, zu holen. „Offensichtlich, oder nicht?“
„Isles ist... drei Jahre alt und Aurora eine ehemalige Prinzessin!“ So jemand ließ sich nicht von einem Neuling regelrecht hinrichten.
„Isles ist auch besonders, vergiss das nicht. Und einem eifersüchtigen Vampir kann sich so gut wie nichts entgegenstellen.“
Ich lachte. „Du musst es ja wissen.“ Kaum wurde Manon von ihrer Einzelhaft entlassen, sieben Jahre, nach ihrer Verwandlung, legte sie sich mit jeder Frau an, welche noch versuchte mich doch in ihr Bett zu locken. Bloß mit unwissenden Menschen hatte sie ein kleines bisschen Mitleid empfunden.
Für meine Meldung kassierte ich einen verdienten Schlag. Geschickt fing ich Manons Hand ab und führte ihre Fingerspitzen an meine Lippen „Verzeih mir, Liebste.“
Sie lächelte schwach und reichte mir die noch volle Flasche. Ich trank wenige Schlucke.
„Denkst du, ihnen wird es gut gehen? Weit werden sie ja nicht kommen, oder? Nach Asien oder in das englische Königreich können sie ja nun nicht mehr. Außerdem wird ihnen Michellé auf den Fersen sein, sobald er merkt, dass sie weg sind. Er ist jetzt eher auf der Hut und hat die Wachen an den Grenzen verstärkt. Niemand kommt jetzt mehr leicht hinein, oder hinaus.“
Ja, auch ich wurde eingeteilt. Morgen früh begann meine dreitägige Schicht. „Ich bin sicher, dass Gerard, solange die Wachen noch nichts ahnen, über sie befehligen kann.“
Sie stimmte zu und leerte die restliche Flasche. „Sahen sie wenigstens glücklich aus?“
Ich schnaufte abschätzig. „Sie haben sich gezankt und beleidigt. Was denkst du wohl?“
Manon lachte begeistert. „Dann sind sie also glücklich?“
„Bestimmt. Aber an unser Glück werden sie niemals heranreichen.“ Halbherzig versuchte Manon sich aus meinem, fester werdenden, Griff zu befreien, während meine freie Hand ihren Hosenknopf öffnete.
„Nicht jetzt, Louis! Ich muss gleich wieder hinunter.“
„Und ich habe drei Stunden zeit. Lass uns die nicht vergeuden!“
Vier Stunden später, ging ich wie gewünscht hinauf in das Apartment meines Königs. Wie gewohnt drückte ich einen Knopf, in der Nähe der Türe. Darüber befand sich eine Videokamera, so wie eine Sprechanlage. Jedoch rührte sich weder das eine noch das andere. Als sich nach fünf Minuten und erneutem Läuten nichts Tat, gab ich das Passwort ein. Die Türe schwang nach einem kleinen Piepsen auf und ich trat ein.
„Mein König?“ Rief ich in die Räumlichkeiten hinein, doch bekam keine Antwort.
Langsam, in der Hoffnung, nicht zu aufdringlich zu sein, ging ich durch einen langen Flur, in den Empfangsraum. Dort lag auf einem gläsernen Beistelltisch, ein Zettel, mit meinem Namen darauf.
„Die... Passwörter für die Türme?“ Fragte ich verblüfft in den leeren Raum hinein. Wieder erkannte ich Gerards Handschrift.
Ich durchsuchte einige Räumlichkeiten, bis ich eine Treppe fand und dieser hinauf folgte. Tatsächlich kam ich nach einem kleinen Marsch zu einer dicken Türe und gab auf dessen Seite, eines der beiden Passwörter ein. Das Erste war falsch, doch das Zweite passte. Nun konnte ich sie ganz einfach öffnen und fand... „König Michellé?“ Rief ich überrascht aus.
Ein Hacken war in den nackten Körper meines Königs gestochen worden und er hing, kopfüber, insofern er einen Kopf gehabt hätte. Erst als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass der Haken nicht irgendwo steckte... „Autsch!“ Fluchte ich. Das muss Isles Werk sein! Ohne Zweifel!
Vorsichtig zog ich den Haken aus den Weichteilen meines Königs und legte ihn auf dem Boden ab. Eilig erkundigte ich mich, ob sich sein Herz noch an der richtigen Stelle befand und seufzte erleichtert. Das wäre echt übel ausgegangen.
Kopfschüttelnd warf ich mir den kopflosen Körper über die Schulter und trug ihn hinunter, in eines der vorhin entdeckten Zimmer.
Was hatten sich die beiden da bloß eingehandelt? Der König würde ihnen Schlimmeres, als die Häutung selbst antun, wenn er sich daran erinnerte. Falls! Soweit ich wusste, verlor man nach dem Verlust seines Kopfes, sein Kurzzeitgedächtnis. Jetzt konnte ich nichts anderes mehr tun, als für meine beiden Freunde zu beten!
Als ich in den zweiten Turm hinauf stieg und den letzten verbliebenen Code einlöste, fand ich dort, auf einem Tisch, eine kleine Kiste, so wie ein Fläschchen. Darunter lag ein Brief von Gerard selbst geschrieben. „Was für ein Serum?“ Fragte ich und fühlte mich mittlerweile seltsam, ständig Selbstgespräche zu führen. Kopfschüttelnd verschloss ich den Brief und verstaute in, zusammen mit dem Fläschchen in meiner Anzugtasche. Als ich den Karton öffnete, stockte mir der Atem...
„Verdammte Scheiße!“ Ups... Isles hatte wohl doch ein wenig Einfluss auf mich gehabt!

I. Die Flucht vor Tobonneau, Isles am Rückweg nach Island

„An was denkst du?“ Flüsterte ich, so leise es ging, an Gerards Ohr.
„Ob wir sie ausschalten sollten, oder nicht.“ Flüsterte er ebenso leise zurück.
„Wir haben Stunden Vorsprung!“ Warf ich dem Holzkopf vor, woraufhin er mich einfach fallen ließ und ich mit dem Hintern, auf harten Beton traf.
„Du hast recht.“ Damit ging er, völlig in seinem Element, auf die Wachen des Schiffes zu, welches eigentlich dem König gehört. Das einzige, soweit ich wusste, dass dem Königreich Tobonneau persönlich gehört.
Er hätte mich ruhig auch etwas sanfter absetzen können, oder mich zumindest vorwarnen! Mit einem wütenden Ausdruck im Gesicht gab auch ich mich zu erkennen und folgte ihm. Nach meinem recht gut gelungenen Streich, mit des Königs Körper, haben wir uns in meine Räumlichkeiten zurückgezogen. Dort habe ich mich lediglich abgeduscht, umgezogen und dann sind wir auch bereits aufgebrochen.
„Sir!“ Die Vampirwächter nickten Gerard respektvoll zu. Ob sie erfreut, oder genervt von seiner Anwesenheit waren, konnte man kaum sagen, so regungslos wirkten sie.
„Ihr drei könnt nun nach Hause zurückkehren. Der König beordert einige zum Schutz des Schlosses zurück, während ich unterwegs bin.“
„Wohin, Sir?“ Fragte einer der Wächter prüfend.
„Natürlich Frieden stiften!“ Fauchte Gerard, als wäre das doch offensichtlich. „Los jetzt, bevor ich euch Beine mache!“
„Verstanden, Sir Gerard.“ Die drei verschwanden, als würden sie sich einfach in Luft auflösen.
„Siehst du? Völlig unkompliziert.“ Ich streckte dem, nun genervten, Vampir, die Zunge heraus und stieg eine eiserne Treppe, zum Schiff hinauf. Sofort empfingen mich der wohl bekannte Protz, die hellen Wände und die großen Gemälde. „Ich hasse das Schiff.“
Hinter mir polterte etwas und ich schreckte zusammen. Als ich mich umdrehte, hatte Gerard die Eisenvorrichtung einfach umgeworfen und schloss nun den einzigen Zugang zum Schiff. „Dann musst du eben laufen.“
Gerard legte seine Hand an meinen Rücken und zog mich kurzerhand mit sich, hinein in das Innere des Schiffes. „Zuerst sollten wir den Blutvorrat checken.“ Schlug ich vor. „Ja, ich weiß. Gehst du ganz hinunter und legst den fünften Schalter von rechts hinauf, bis etwas >Klick< macht?“
Ich nickte, doch blieb mitten in der Bewegung stehen. „Wo geht es >hinunter<?“
Gerard schnaufte belustigt und zeigte mir eine Geheimwand. Mit hochgezogenen Augenbrauen, tapste ich durch das Dunkle, bis ich keine Treppen mehr vor mir hatte und ein kleines Fenster, am Rand des Schiffes, mir Licht spendete. Diese schwachen Strahlen des Mondes, reichten meinen Sinnen. Ich fand mich rasch unten zurecht, umrundete einige Röhren und wich quiekenden Ratten aus.
„Igitt!“ Murrte ich angeekelt, während ich irgendein Gerät suchte, dass mehr als fünf Schalter haben sollte. „Schalter Nummer fünf? Wo bist du?“ Echote ich leise vor mich hin und versuchte auch an einigen Türen mein Glück.
„Was dauert denn da so lange?“ Gerard schlang plötzlich seine Arme um mich und biss mich strafend ins Ohr.
„Ich suche immer noch deinen blöden Schalter!“ Murrte ich beleidigt „Wie sieht es mit dem Blut aus?“
Seufzend, da ich mich nicht von ihm verführen ließ, zumindest fürs Erste, ließ er wieder von mir ab und deutete auf das Ende des Ganges. Na, toll! Das hätte er auch ruhig früher sagen können! Genervt ging ich darauf zu und zählte, beim näher kommen, von recht, bis fünf.
„Das mit dem Blut kann ich dir erst sagen, wenn du den Schalter betätigt hast. Er aktiviert den regelmäßigen Fluss.“
„Fluss?“ Fragte ich irritiert, während ich den Schalter packte und hochdrückte. Huch! Ein einfacher Mensch könnte den bestimmt nicht hochdrücken!
„Der Blutfluss. Zwar wird sich jeden Tag um die Menschen gekümmert, doch wir haben nicht die Zeit dafür.“
Es gab ein >Klick< und ich bereute es sofort. „Gerard!“ Als ich mich umdrehte, war er fort. „Gerard!“ Brüllte ich lauter, sodass er mich bestimmt im ganzen Schiff hören konnte, doch das Schiff gab einen kleinen Ruck von sich, als sich die Motoren einschalteten und ich lief den Weg zurück, hinauf um Gerard am besten gleich von Board zu werfen.
Ich lief durch das Schiff und fand ihn, mit einem nackten Menschen, am Steuer, vor dem Steuer. „Was habe ich da gerade getan, Gerard?“ Fauchte ich wütend.
„Keine Sorge, wir werden sie hier lassen. Du hast sie bloß von ihrem System abgeschlossen. Nichts Schlimmes also!“
Ich senkte meine drohend erhobene Hand und funkelte Gerard wütend an. „Versuch so etwas niemals wieder!“
Plötzlich lächelte er und schob mich einfach zwischen sich und, gefühlt, hundert Monitore. „Da vertraut mir wohl jemand zu sehr.“ Überrascht davon, seine Fangzähne an meinem Hals zu fühlen, sog ich die Luft ein.
Verdammter Mist! Das fühlte sich viel zu gut an!
„Du bist der Letzte, dem ich vertraue!“ Fauchte ich, doch sah meine Bestrafung mehr als ein. Gerard biss mich fester in den Hals, sodass einzelne Tropfen unter meiner Haut hervortraten und leckte sie weg.
„Weißt du, dass du eine schlechte Lügnerin bist?“
Ich grinste, was er zu meinem Glück nicht sehen konnte, während der nackte Mensch das Schiff aus dem Hafen lenkte. „Bekommt er wenigstens etwas zum Anziehen?“ Motzte ich, ohne eine Chance zu haben, dieses dämliche Grinsen aus meinem Gesicht zu bekommen.
„Wieso sollte er?“
„Es ist kalt!“
„Bald nicht mehr.“
Ich seufzte resigniert. „Okay, ich hole ihm etwas.“
Nur widerwillig ließ er mich gehen und ich lief hinunter in den prunkvollen Vampirbereich. Auf halben Weg, hinab zu dem Ort, an dem ich in diesem Schiff das erste Mal erwacht bin, hielt ich inne und grinste hinterhältig. Ich machte kehrt und suchte nach Michellés privaten Zimmer, was ich auch recht einfach fand. In seinem Kleiderkasten suchte ich etwas Passendes für den Menschen heraus und kam wieder zurück zu ihm. Gerard war bereits fort, daher gab ich ihm den Befehl, sich diese Kleidung anzuziehen. Vorsichtig stützte ich ihn, als ich bemerkte, dass er schwankte. „Sobald es unser Kurs zulässt, wirst du dir Nahrung hohlen, verstanden?“ Der Mensch nickte, als wäre er in Trance.
Kopfschüttelnd lief ich wieder hinunter in den Eingangsbereich und erkannte, dass Gerard gerade ein Rettungsboot, mit elf Leuten, mittels bloßer Hand hinunter ließ. Na wenn das nicht einmal sexy ist!
Räuspernd machte ich auf mich aufmerksam. „Ich habe ihnen befohlen, sich als Flüchtlinge auszugeben. Sie werden sich an nichts erinnern.“
„Du hättest sie wenigstens vorher einkleiden können!“ Schimpfte ich gerechtfertigt.
Aus einem Impuls heraus, schloss ich meine Hände um Gerards Bauch, während er das Boot sicher abließ, und kuschelte mich an seinen Rücken.
„Alles in Ordnung? Bereust du es schon?“ Fragte er sanft.
„Endlich von diesem...“ Ich räusperte mich. „Ich bereue es nur, Manon und Louis zurückzulassen.“
„Keine Angst, ich habe für die beiden gesorgt.“
Ich musste nicht das >wie< wissen, sondern vertraute Gerards Worten. Etwas, das ich wohl in den nächsten Jahren öfters tun werde, müssen. „Wohin geht es jetzt eigentlich?“
„Ich dachte, wir könnten einen Zwischenstopp in Island machen.“
Ich ließ von Gerard ab, sodass er sich umdrehen konnte. „A-Aber das führt ja über den Bereich des englischen Reiches. Findest du das...“
Sanft legte er mir einen Finger auf die Lippen. „Dafür habe ich bereits gesorgt, Isles. Mach dir keinen Kopf. Aber unsere Fahrt wird einige Tage dauern, was bedeutet, um nicht auszuticken, müssen uns in den Schlaf begeben.“
Demonstrativ schüttelte ich den Kopf. „Auf keinen Fall!“
Gerard seufzte tief, als hätte er so etwas bereits erwartet. „Es wird nicht so wie das letzte Mal sein. Versprochen!“ Rief er aus, als ich ihm einen vorwurfsvollen Blick schenkte.
„Also werde ich nicht wieder ein Jahr im Dreck schlafen und du mich dann einfach von irgend so einer daher gelaufenen...“ Lachend zog Gerard mich an sich, damit ich aufhörte zu schimpfen und küsste mich liebevoll.
„Mach dir nicht so einen Kopf, Isles.“ Tadelte er zwischen zwei Küssen und schob mich langsam rückwärts, zurück ins Innere des Schiffes.
„Idiot!“ Murrte ich, doch verstummte endgültig, als er mich einfach auf seine Hüften hob. Begeistert schlang ich meine Beine um seinen Rücken und hielt mich selbst auf ihm, damit er beide Hände frei hatte.
Stöhnend kam er plötzlich ins Stolpern und Schloss gerade so, die Sicherheitstüre hinter uns ab. „W-Warte...“ Bat er stockend, als meine Hand in seiner Hose verschwand.
Mein Rücken knallte gegen eine Wand und seine Hände fanden ihren Weg unter mein Shirt. Wie war das eben, mit >warten<?
Auf einmal zog er sich, mühsam wieder von mir zurück und blickte mich leidenschaftlich an. „Warte! Zu-Zuers das Arbeit... Äh... Die Arbeit, dann das Vergnügen!“
Grinsend zog ich meine Hand wieder hervor und hob beide ergeben in die Höhe. „Zufrieden?“ Fragte ich scherzend.
Er schüttelte den Kopf. „Kein bisschen!“
Erneut trafen seine Lippen auf meine und seine Hände fanden endlich meine Brüste. Seufzend lehnte ich meinen Kopf an die Wand hinter mir und genoss es, als sich sein Mund tiefer bewegte. Wieso durfte sich so etwas, ausgerechnet mit Gerard so gut anfühlen? Nicht, dass ich vorhatte mich zu beschweren, doch als ich wieder in sein Gesicht blickte, musste ich willkürlich, seine, von mir verursachte Narbe berühren. „Sie hat sich geschlossen!“ Stellte ich fest.
Es dauerte recht lange, bis Gerard endlich ein Wort hervorbrachte. „Was?“
Kichernd wiederholte ich meine wirren Gedanken. „Meine Markierung.“ Ich streichelte erneut sanft darüber und fühlte einen wirklich sehr dummen Impuls, diese Stelle Küssen zu wollen. Jedoch hielt ich mich zurück.
„Ist sie?“ Ich nickte. „Vermutlich, da wir nicht mehr dagegen ankämpfen.“
Klang logisch. Mehr oder weniger. „Gerard... es ist vielleicht nicht der beste Moment um das zu fragen, aber...“
„Nein! Sind wir nicht.“
Ich seufzte erleichtert. „Gut, dann wäre das geklärt.“
Er nickte und wir sahen uns einen, gefühlt, ewig dauernden Moment an. Nein, irgendwie war gar nichts geklärt. Weder zwischen uns, noch irgendetwas anderes. „Sieh mich nicht so an, sonst werde ich noch weich!“ Fluchte ich und zog Gerard wieder an mich.
Ich fühlte ein begeistertes Lächeln auf seinen Lippen und griff erneut zwischen meine Beine, um seinen Gürtel zu öffnen. Mit einem Rascheln glitt die Hose zu Boden und Gerard stieg heraus. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, dass wir uns im Esszimmer befanden, erst als mein Hintern auf etwas Kaltes traf, blickte ich von Gerards Hals auf. „He! Wo ist mein Rock?“ Ich sah mich um, doch konnte ihn nicht finden. Auch meine kurze Hose, welche ich als Höschen benutzt hatte, schien verschwunden zu sein. Oder zerrissen?
„Muss...“ Gerard sah hinter sich, doch winkte dann ab. „Der Rest deiner Hose muss bei meiner liegen und dein Rock ist einige Zeit davor gegangen. Vermutlich ist er bereits über Board.“
Ungläubig starrte ich ihn an, wie er da über mir ragte und mir erzählte, meine Kleidung, einfach zu kleinen Stofffetzen verarbeitet zu haben. „Und was ziehe ich später an?“
Ein lüsternes Lächeln erschien auf Gerards Lippen. „Am besten niemals wieder irgendetwas.“ Vorsichtiger, als würde er um meine Erlaubnis bitten, zog er an meinem Shirt. „Und zwar ab jetzt, Isles.“ So viel, zu seinem >Warte<.
„Dafür räche ich mich später noch!“ Schwor ich und hob die Arme. Fort war mein Shirt und Gerard kniete sich vor den Tisch.
„Sieh es als Wiedergutmachung, ja?“
„H-Ha!“ Nun, gut. Wieso eigentlich nicht?

II. Die Flucht vor Tobonneau, Gerard am Schwärmen

Mein Körper bebte zufrieden, als ich mich aus dem Bett erhob, eine abgefüllte Flasche Blut aus dem Kühlschrank holte und auf den Heizkörper abstellte. Auf halben Weg machte ich kehrt und nahm fünf weitere heraus und stellte alle sechs auf den ursprünglich geplanten Platz.
„Gute Idee! Ich bin am Verhungern.“
„Wir haben leider bloß gefrorene Sachen. Frischfleisch verweigerst du ja.“
Isles lachte ein heiteres Lachen. „Ja, ja. Spotte bloß über den einzigen, dir bekannten vegetarischen Vampir.“
Hellhörig zog ich eine Augenbraue hoch und verschränkte meine Arme vor der Brust. „Du bezeichnest dich als Vegetarier?“
Verlegen zuckte sie mit den Schultern. „Wie würdest du mich denn sonst bezeichnen?“
Hm... da gab es einiges! Aber >Vegetarier< stand definitiv nicht auf der Liste. „Darauf willst du vermutlich keine ehrliche Antwort.“
Ihre Nase zuckte für einen Moment, dann wandte sie das Gesicht ab. „Nein, vermutlich wirklich nicht.“ Als sie mich wieder ansah, lag Schalk in ihren dunklen Augen. In diesem Augenblick und in einigen, heimlich gehegten, davor schon, fragte ich mich erneut... wieso sie? Im ernst, ich könnte eine friedliche, liebenswürdige und höfliche Frau haben. Vielleicht auch eine wahre Kriegerin, etwas bissig und aufregend, aber doch... „Du gehörst verboten, Isles.“ Ich umfasste ihr Gesicht mit meinen Händen und zog sie für einen Kuss an mich.
Nach einem langen Moment zog sich ihre Zunge aus meinem Mund zurück und ich sehnte mich bereits, schon wieder, danach Dinge mit ihr zu tun, wie die letzten... Wer zählt das schon?
„Ach, und wer tritt dir dann in den Hintern? Oder...“ Ihre Finger streichelten sanft über meinen Hals. „...geht dir an die Kehle?“
Schmunzelnd lehnte ich mich zurück und genoss es, als sie ihre Arme um meinen Körper schlang und ihre Wange auf meinem Brustkorb ablegte. Sanft kitzelten einzelne Haarsträhnen über meine Haut und ihr Geruch beruhigte meine aufgekratzten Nerven. „Ich würde niemanden freiwillig an meine Kehle lassen.“ Murrte ich, doch wussten wir beide, dass dies eine glatte Lüge ist.
Isles seufzte tief, bevor sie damit begann, mit den Fingerspitzen kleine Zeichnungen über meine Haut zu malen. „Finde ich schade, denn dein Blut schmeckt überraschend lecker.“
Ich lachte halbherzig. „Ist das etwa deine Art einer Liebeserklärung?“
„An dein Blut? Ja!“
Wir lachten beide einen Moment und lauschten ausschließlich der Stille des Schiffes. Beinahe schien es, als hätte jemand, der gütig genug zu sein schien, die Zeit angehalten.
„Es ist so friedlich hier. Kaum zu glauben, dass wir uns auf einem Schiff befinden.“
„Auf den Weg in deine Heimat.“ Fügte ich hinzu.
„Denkst du wirklich, es ist eine gute Idee zu den Werwölfen zu gehen?“
Ich nickte bestimmt. „Natürlich. Du hast Freunde dort und der König wird nicht nach kommen können. Seine besten Männer braucht er für den aufkeimenden Krieg, daher kann er sich auch nicht leisten, uns Attentäter hinterher zu schicken.“
Isles blickte zu mir hoch, doch ich wich ihm aus. „In wie vielen Kriegen hast du bereits gekämpft?“
Ich zuckte mit den Schultern. In nicht so vielen wie Louis, oder andere. Aber dennoch genug. „In nicht so vielen, wie du denkst. Ich kenne hauptsächlich bloß Geschichten, der andere Männern. Besonders im zweiten Weltkrieg haben sie oftmals darüber diskutiert, wie langweilig diese Kriege mittlerweile werden. Früher ging man sich mit Schwertern und Geschick an die Kehle. Heute versteckt man sich hinter modernen Waffen und Bürokratie-Zeug.“
„Und was ist mit Atomwaffen? Habt ihr auch mit so etwas gekämpft.“
Ich zuckte mit den Schultern. Selbst wir Vampire sind überrascht gewesen, dass die Menschen so etwas einsetzten. „Unschuldig im Sinne der Anklage, Isles. Wir sind in diesem Sinne eher altmodisch.“
Sie lachte begeistert und rieb ihr Gesicht an meiner Brust. Ich senkte meinen Blick und streichelte ihr sanft über das hellblonde Haar. Vielleicht konnte ich deshalb kein nettes Hausmütterchen, oder eine wilde Meisterdiebin, als Frau haben? Beides wäre zu langweilig für mich. Monoton, oder irgendwann abgestanden. Aber eine unberechenbare Furie?
„Isles?“
„Hm?“ Sie blickte zu mir auf und hielt überrascht den Atem an. Mir ging es ähnlich. Schon im ersten Moment, als sie sich mit einem wilden Ausdruck in den Augen, blutverschmiert und auch noch überraschend koordiniert, an mir vorbei geschmuggelt hatte, um Louis außer Gefecht zu setzen, hatte ich mir bereits >WOW!< gedacht. Sie schien wirklich interessant zu sein. Doch leider war sie für meinen König noch viel interessanter.
Ich war eifersüchtig, da sie mir meine Stellung bereits mit jungen zwei Jahren streitig machte... und dann spielte sie auch noch das Unschuldslamm! Ihre vorlaute Stimme erhob sie gegen den mächtigsten Mann unter allen Vampiren. Die Fänge jederzeit zur Bearbeitung bereit, doch setzte sie genau diese, niemals gegen Menschen ein. Auch Werwölfen schien sie friedlich gesonnen und hatte sogar mit einem zusammen gelebt. Ich hatte es gerochen, in ihrem Haus. Dort stank es regelrecht nach diesem verdammten...
„Wieso knurrst du?“
Ich verschloss mein Gesicht. „Vampire knurren nicht!“ Belehrte ich sie. Wir fauchen lediglich! Das sollte sie doch am besten wissen.
„Nein, glaube mir, ich knurre ebenfalls und du tust es fast jedes Mal, wenn du dich über mich ärgerst, oder ich dich um den Verstand bringe.“
Plötzlich war es da wieder. Dieses >WOW!< Wie konnte es bloß sein, dass ein Teenagervampir, der lediglich drei Jahre alt ist, sich so... eben so wie Isles verhält? „Es ist lediglich etwas, das wie Knurren klingt, aber es ist kein Knurren. Bloß Hunde, wie Werwölfe knurren.“
Plötzlich streckte sie sich zu mir hinauf und küsste mich kurz. Viel zu kurz! „Ich ärgere dich ja bloß. Du Schraubstock.“ Wie ich sagte... unberechenbar! Perfekt für jemanden wie mich.
„Deine Freunde... in Island. Denkst du, sie kennen ein gutes Versteck für uns?“ Am besten ein Abgeschiedenes, das weit weg von allen ist und wo uns niemals jemand besucht.
„Ich habe bloß einen richtigen Freund und das ist Njal. Und ob er mich nach der Aktion, vor meiner Entführung überhaupt noch sehen möchte...“ Sie stöhne, als sie daran dachte. „Hoffentlich hat er mir den Tritt bereits verziehen, den er für diesen Kuss kassiert hat. Au!“
Meine Finger krallten sich in ihre Arme. „Welcher Kuss?“
Plötzlich wirkte sie wieder verärgert. „Keiner der dich etwas angeht. Und wie gesagt... ich habe ihn dafür getreten!“
„Aber er hat dich geküsst. Ein Werwolf!“
„Ein Mensch!“ Fauchte sie nun wütend. „Njal ist mein Chef und hat sich irrsinnigerweise in mich verliebt. Aber das habe ich aus der Welt geschafft!“
„Also ist Njal ein Mensch?“
Sie schüttelte den Kopf. „Aber ein >menschlicher< Werwolf!“
„Das ist doch dasselbe!“ Fauchte ich, nun ebenfalls wütend.
„Ha! Jetzt hast du es gesagt!“ Triumphierend schüttelte sie meine Arme ab.
Was soll ich gesagt haben? „Was?“
„Nichts, vergiss es. Aber wie vorhin erwähnt... Ich weiß nicht, ob er mich nicht lieber auf dem Grund des Meeres sehen möchte. Obwohl...“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, dafür ist er viel zu gutmütig.“ Also das genaue Gegenteil von mir. Ich kniff die Augen zusammen.
„Du willst also nicht zu deinem Ex gehen?“
Damit bekam ich sie auf hundertachtzig. „Gerard! Ich fasse es nicht, dass ich dieselbe, völlig sinnlose Diskussion abermals beginnen muss!“
Ich hob beide Augenbrauen. „Welche Diskussion denn?“ Hatte sie etwa eine ähnliche bereits einmal mit dieser Flohschleuder geführt? Ob sie zusammen waren, oder nicht?

III. Die Flucht vor Tobonneau, Isles kann nicht einschlafen

„Zuerst muss ich jedem, auch mir selbst immer und immer wieder erklären, dass zwischen dir und mir, nichts ist. Und jetzt muss ich mich vor dir rechtfertigen, dass zwischen mir und einem Werwolf nichts ist! Langsam werde ich verrückt, wenn...“
Abrupt fing Gerard meine Hand ab, als ich wütend damit herumfuchtelte und führte sie langsam an seine Lippen. Fast schon zärtlich hauchte er einen Kuss auf mein Gelenk, sodass mir knapp entging, welch besitzergreifende Geste dies doch eigentlich war. Zumindest während Gerard mich dabei anblickte, als wäre ich die schmackhafteste Beute seit über eintausend Jahren, die er jemals gesehen hat.
„Mehr wollte ich auch überhaupt nicht hören.“ Lächelte er plötzlich mit seinen ausgefahrenen Fangzähnen.
W-Wie bitte? War das etwa ein Trick gewesen? Missmutig schnaubte ich, wobei ich das wilde Klopfen meines Herzens, so gut wie möglich, ignorierte. Witzig, dass selbst bei der schwersten Arbeit, mein Herz nicht schneller schlägt. Auch nicht, wenn ich viel und rasch laufe, oder Adrenalin durch meinen Körper gepumpt wird in einem Schreckmoment. Aber wenn Gerard mich anfasst, küsst, oder einfach bloß so ansieht, wie in diesem Moment... da konnte ich schwören, fast schon wieder menschlich zu sein.
„Du widersprichst überhaupt nicht?“ Fragte er vorsichtig und entließ meine Hand aus seinem Griff.
„Wogegen denn?“ Ich hatte völlig den Faden verloren, dank seiner Aktion.
Gerards Lächeln wurde noch größer und ich wünschte mir, dass er immer so lächeln würde. Jedoch nicht für jeden, sondern ausschließlich für mich ganz alleine. Ein egoistischer Wunsch, nicht wahr?
Zärtlich umfasste er mein Kinn und zog mich für einen Kuss zu sich hinauf. Ich stellte mich regelrecht auf die Zehenspitzen, da Gerard mir offensichtlich nicht entgegenkommen wollte. Als ich ihn erwischte, bekam er lediglich rasch einen, bevor ich mich auch schon von ihm abwandte und nach einer Flasche griff.
Angeekelt verzog ich das Gesicht, als die kalte Flüssigkeit meinen Hals hinab lief. „Du solltest noch warten.“
Ich zuckte mit den Schultern und trank noch etwas von der teilweise aufgetauten Flüssigkeit, bis nichts mehr nach kam. „Ich bin so hungrig.“ Beschwerte ich mich. Diese sechs Flaschen würden bei unserem Verbrauch an Energie keinen weiteren Tag halten.
„Ich weiß, lange kommen wir damit nicht aus. Deshalb sagte ich doch, wir müssen in einen Schlaf gleiten.“
Abermals verzog ich das Gesicht. „Und ich habe dir gesagt, dass ich nicht schlafen werde.“
Gerard warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. „Dann müssen wir uns eben über unseren Steuermann her machen. Und wenn du nicht zufällig eine Nadel hier hast...“
Ich fauchte wütend. Unter keinen Umständen sauge ich einen Menschen aus! „Gut! Aber nur weil es sein muss!“
Zufrieden nickte Gerard und musterte mit hochgezogenen Augenbrauen das halb zerstörte Zimmer. „Wir sollten noch etwas aufräumen.“ Stellte er sachlich fest.
„Oder machen noch etwas mehr Unordnung?“ Scherzte ich. Gerard sagte nichts darauf, sondern wirkte, wie immer, einfach verschlossen. „Bist du etwa jetzt beleidigt? Weil es da noch einen Mann gibt, in meinem Leben.“
Schnaufend setzte sich der dreihundertjährige Vampir in Bewegung. „Du meinst wohl einen verwöhnte Haushund.“ Fauchte dieser abfällig.
Ich grinste und beobachtete, wie sich sein Körper, völlig geschmeidig und geräuschlos, durch das Zimmer bewegte. Kleidung lag am Boden, Holzsplitter und sogar Scherben von einer heruntergefallenen Vase machten das Zimmer unsicher. Trotzdem schritt mein Wächter durch das winzige Minenfeld, als wäre dies alltäglich. Oder würde es vielleicht irgendwann einmal sein?
„Schau mir nicht auf den Hintern, sondern beweg dich endlich.“
Ich gab ein abfälliges >Pft< von mir. „Als ob ich so etwas tun würde.“ Und ob ich das gerade eben getan hatte... Verflixter Gerard!
Vorsichtiger, als er selbst, folgte ich Gerard, welcher plötzlich stehen blieb und seine Arme um mich schlang. Abermals lag ich in seinen Armen und blickte in diese faszinierenden grasgrünen Augen. „Da gibt es einen Ort, den wir noch nicht entweiht haben.“
Interessiert zog ich eine Augenbraue hoch, als er in die Richtung einer verschlossenen Türe nickte. Ich vermutete das Badezimmer und meine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Ich dachte, du wolltest schon ins Bett, Gerard.“
Seine Hände umschlossen meine Pobacken und drängten mich an seinen Körper. „So müde bin ich noch nicht.“ Im nächsten Moment riss ich mich von ihm los und lief zum Badezimmer. Er gab mir einen winzigen Vorsprung, bevor er mir in die Badewanne folgte.
Gefühlte Jahre, später, kamen wir wieder in das immer noch durcheinandergebrachte Zimmer. Gerard sagte, er würde es rasch aufräumen, denn er bewegte sich ohnehin viel schneller als ich. Selbst machte ich mich über die letzten zweieinhalb Flaschen her, welche mir gehörten. Die Halbe und eine Volle, leerte ich gleich, die andere, behielt ich, für später.
Gerard behielt sich eineinhalb Flaschen und wir gingen hinunter, ins unterste Deck. „Mach derweilen die Betten, ich werde die Energieleistung hinunter schrauben und dem Menschen Anweisungen geben.“
Ich nickte und sah Gerard hinterher, wie er in eine völlig andere Richtung lief. Sofort waren wieder meine Zweifeln da. Würde ich erneut alleine erwachen? Hatte er vor, mich alleine zu lassen? Nicht nur jetzt, sondern auch, sobald wir Land unter den Füßen spüren? Immerhin haben wir uns zu nichts verpflichtet. Ja, er hat gesagt, ohne mich hätte er keine Freiheit, doch... Wie viel bedeuten diese Worte denn eigentlich?
Eine kühle Hand legte sich an meinen Nacken und entlockte mir damit, einen erschrockenen Aufschrei. „Du warst ganz in Gedanken, oder?“
Gerards Stimme beruhigte mich sofort wieder und ich kuschelte mich in seine ausgestreckten Arme. „Mach das nie wieder!“ Fauchte ich und vergrub mein Gesicht an seiner Brust.
„Verzeih mir...“ Flüsterte er leise an meinem Ohr und hauchte mir einen Kuss auf die Schläfe.
„Schon gut, ich bin ja selbst schuld, einfach so im Raum zu stehen, wie angewurzelt.“
Er lächelte mich zögerlich an und blickte sich dann um. Hier hatte sich im letzten Jahr nichts verändert. Dies war das Zimmer, in dem ich erwacht bin, in dem ich Gerards kalte Seite zu spüren bekommen hatte, und begann Louis zu mögen. Auch hier... war der Moment gekommen, an dem ich meinem Leben endlich ein Ende setzten wollte. Ein Moment, den Gerard mir gestohlen hatte.
„Es ist viel Zeit vergangen, nicht wahr?“ Fragte Gerard und drückte mich fester an sich, als wollte er nicht von Erinnerungen überschwemmt werden. „Noch nie ist mir ein Jahr so lange vorgekommen. Nicht einmal die dreihundert, welche ich vor dir gelebt habe.“
Ich versuchte, zu Gerard aufzublicken, doch dies ließ er nicht zu. Stattdessen bettete er nachdrücklich meinen Kopf an seiner Schulter. Schweigend hauchte ich ihm einen Kuss auf den Hals und lauschte seinem rasch schlagenden Herzen. Noch immer irritierte es mich etwas. Wie konnte ein Herz bloß auf alles monoton reagieren, immer im selben, langsamen Tempo, egal ob ich kurz vor dem Tod stand, oder mich freute? Und bei Gerard... Mein Puls ging in die Höhe, meine Haut kribbelte überall, wo er mich berührte und mein Körper wurde ganz heiß, als hätte ich Fieber, wenn ich nur daran dachte, dass wir nackt Arm in Arm standen. Mit Gerard fühlte ich mich so... menschlich.
„Wir sollten schlafen.“ Stellte Gerard nach mehreren Minuten, fast schon enttäuscht fest. „Wie lange sind wir denn bereist unterwegs?“ Fragte ich neugierig.
„Einen Tag sind wir bereits auf dem Wasser.“
„Und wie lange schlafen wir?“
Gerard zuckte mit einer Schulter. „Eine Woche, oder mehr. Der Mensch wird mich wecken und ich dich. In Ordnung?“
Ich nickte, zögernd.
„Nimmst du das Bett?“
Abermals nickte ich, doch machte keine Anstalt, mich auch zu bewegen. „Um dich hinzulegen, musst du mich schon loslassen.“ Ich hörte seine Belustigung in seiner Stimme, doch kuschelte ich mich bloß noch enger an seine Brust.
„Du kannst dich ja mit mir zusammen hinlegen.“ Scherzte ich und leckte zärtlich über seinen Hals.
„Oh, nein! Wenn wir schon wieder damit anfangen, verhungern wir noch, ehe wir in Island ankommen.“
Ich kicherte und ergab mich meinem Schicksal. „Aber lass die Türen offen, ja.“
Zwischen Gerards und meinem Zimmer, lag das Badezimmer, welches durch zwei Türen verbunden war.
Liebevoll hauchte er mir einen Kuss auf die Lippen. „Versprochen. Aber jetzt leg dich hin.“ Nachdrücklich schob Gerard mich zum Bett und ich legte mich hinein. Es war überhaupt nicht nötig gewesen, die Betten zu beziehen. Ich bettete meinen Kopf auf einem Polster und meine Beine, auf der am Ende, zusammengelegten, Decke. Mit einem tiefen Atemzug und einen kurzen, sehnsüchtigen Blick auf Gerard, schloss ich meine Augen und stieß die Luft ein letztes Mal aus.
„Du weißt noch, wie man in den Schlaf gleitet?“ Ich nickte zwar, doch trotzdem wiederholte Gerard die Worte. „Luft anhalten, entspannen und die Gedanken weichen lassen.“

 

- - - - -

 

Erstarrt, als wäre ich eine Leiche, lauschte ich Gerards Schritten, hörte wie sich das Bett leicht unter seinem Gewicht bewegte und quietschte, im Nebenraum und auch, wie er selbst tief einatmete und wieder aus.
So lag ich... vermutlich lange. Ich verlor jedes Zeitgefühl, dachte an verschiedene Sachen. Vor allem jedoch, an die letzten Wochen mit den Mädels. Es war vermutlich das erste Mal, dass ich mich, wie eines verhalten hatte. Wir waren shoppen gewesen, tuschelten, kicherten, schmachteten und genossen das Leben.
Zudem... bereute ich es sogar ein Kleines wenig, wie ich mich Aurora gegenüber verhalten hatte. Dass ich mich jemals wegen eines Mannes dermaßen psychotisch verhalten würde, hätte ich nicht gedacht. Oder dass es einen Mann auf dieser Welt gab, der wie eine Droge für mich war. Für meine Seele und meinen Körper. Gerard war schon etwas Besonderes. Kein Wunder, dass Aurora über Jahrhunderte auf ihn gewartet und danach so glücklich ausgesehen hatte.
Himmel, ich hasse dieses Weibsstück! Aber ich bemitleidete sie ebenfalls. Würde ich auch irgendwann einmal so enden? So bitter, arrogant und... wie Aurora eben? Sie schien auf alles und jeden herabzusehen, doch genauso sehr, wie sie jeden verabscheute, sehnte sie sich nach Nähe und Freundschaft.
In den letzten Jahren ist mein Freundeskreis auf ein Minimum geschrumpft, ich zog mich, bis auf die Arbeit, völlig zurück und... mir blieb lediglich Njal. Ohne mich zu bedrängen, hatte er mich für sich gewonnen, als Freund, auch wenn er eindeutig mehr gewollt hatte.
Fluchend setzte ich mich auf. Es hatte ja doch keinen Sinn. Wenn sich meine Gedanken dermaßen im Kreis drehten, würde ich absolut keine Ruhe und Entspannung finden. Nein, vorher musste ich mich erneut austoben und diese wenigen Minuten, der Erschöpfung ausnutzen.
Leise schlich ich über den Holzboden in einen gefliesten Bereich, dort hindurch, zu einem gleichfarbigen Holzboden, wie es ihn auch in meinem Zimmer gab. Gerard lag, mit seinen Armen unter dem Polster verschränkt, auf dem Bauch und schien tot zu sein. Mir jedoch stockte nicht vor Schreck der Atem. Nein, es war mehr vor Ehrfurcht und Bewunderung. Gerard sah einfach himmlisch aus. Wie sich seine Hautfarbe, fast schon rebellisch, von dem reinweiß abhob, auf dem er lag, sein dunkles Haar, wirkte fast wie Teer und damit noch dunkler als an jedem anderen Tag. Lautlos schlich ich noch näher, berührte zärtlich seinen unteren Rücken, mit meinen Handflächen und fuhr seinen Körperbau, hinauf, bis zu seinen Schultern.
„Du solltest Schlafen.“ Murrte Gerard kaum hörbar, doch sein Herzschlag hatte sich schon beschleunigt, als ich das Zimmer betrat.
Lächelnd kroch ich auf ihn drauf und setzt mich rittlings auf ihn. „Was hast du vor?“
Ich zuckte mit den Schultern, das wusste ich selbst noch nicht so genau. „Wieso liegst du auf dem Bauch?“
„So schlief ich als Mensch am liebsten, wenn ich einen sicheren Unterschlupf fand. Anders konnte ich kaum einschlafen.“
Neugierig geworden, ließ ich meine Hände über Gerards fast makellose Haut wandern. „Wie warst du so... als Mensch?“ Fragte ich, unsicher ob er überhaupt darüber sprechen wollte.
„Verängstigt. Ein Dieb. Ein Mörder. Eigentlich sogar ein Tollpatsch.“
Ich lachte laut auf. „Du? Ein Tollpatsch?“ Zog ich Gerard auf.
Er versuchte sich, aufzusetzen, doch ich drückte ihn sanft zurück. „Ich bin ständig irgendwo hinunter gefallen, oder bin erwischt worden. Wie würdest du das denn nennen?“
Beschwichtigend hauchte ich ihm einen Kuss zwischen die Schulterblätter und legte mich der Länge nach hin. Genüsslich streckte ich mich. „Erzähl weiter, bitte.“ Ich schloss meine Augen und lauschte einfach bloß Gerards Stimme.
„Geboren wurde ich in Paris. Wer meine Eltern sind, weiß ich nicht, denn ich wuchs, wie viele andere, in einem Waisenhaus auf. Ich hatte viele Freunde... wenn man diese Jungs so nennen konnte. Jedenfalls, fingen wir uns fast jeden Tag neuen Ärger ein und verpetzten einander, stritten und stahlen erneut irgendetwas. Manchmal... überließen wir unsere Freunde auch den Behörden und sie wurden, zur Abschreckung, in einen Kerker gesteckt. Wir überfielen Marktstände, plünderten Lagerhäuser, oder raubten aus Handtaschen.“ Das klang recht abenteuerlich, doch Gerard... als Kind? Irgendwie schien Gerard die Art Mann zu sein, welche nie ein Kind gewesen sein konnte.
„Als ich älter war, elf, oder so, stiegen wir in ein Herrenhaus ein, um teure Gegenstände mitzunehmen und auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Wir tauschten sie auch für Drogen ein und an die meisten Tage erinnerte ich mich deshalb auch kaum noch. Bis ich vierzehn wurde, sind die meisten Stunden verschwommen und unklar.“
„Was ist dann passiert?“
Gerard verfiel ins Schweigen, was mich aus meinem aufkeimenden Schlaf riss. „Du solltest wirklich nicht hier einschlafen. Du weißt, was passieren kann, wenn wir zeitgleich im Schlaf sind?“
Ich nickte. „Darüber mache ich mir keine Sorgen. Mit dir würde ich ohnehin niemals eine Familie gründen, du Kiffer.“
Lachend fiel ich von Gerards Rücken, als er sich zur Seite drehte und fand mich in seinen Armen wieder. „Noch ein Wort und ich schließe beide Türen!“ Drohte er murrend und ich reckte mich seinem Kuss entgegen.
Freudig streckte ich meine Arme nach oben aus, ließ meine Finger durch sein dunkles Haar gleiten und genoss das Gefühl, wie mein Körper sich perfekt an seinen anpasste. Bauch an Bauch, Bein geschlungen um Bein und Lippen an Lippen. So könnte ich gut und gerne die nächsten Jahrhunderte verbringen. „Mh!“ Kicherte ich, als Gerard sich auf mich rollte und meine Beine zärtlich auseinander drückte. Seine Küsse wanderten über meinen Hals, zu meinem Schlüsselbein und auch meine Hände, fanden ihren Weg, seinen herrlichen Rücken entlang. „Bleiben wir für immer auf dem Schiff!“ Bettelte ich und strich mit meinem Bein, seinem entlang.
„Liebend gerne.“ Stimmte Gerard zu und stieß sanft mit seiner Hüfte an mein Becken. Ich stöhnte zufrieden und rieb mich an seiner gesamten Länge, bevor er mühelos in mich glitt.
Dieses Mal waren wir wesentlich sanfter als die Dutzenden Male davor. Weder trieb Gerard mich, zur völligen Erschöpfung, noch ich ihn. Nein, im Gegenteil, wir ließen uns fast schon neckend lange Zeit, genossen es, wie wir schmeckten, rochen und sich anfühlten, bevor wir von neuem begannen, oder uns einfach bloß ansahen...

 

- - - - -

 

„Isles! Wach auf, wir sind da.“ Enttäuscht öffnete ich meine Augen und sah in die intensiv grünen von Gerard. Da? Was?
Ich sah mich um und erkannte, dass ich mich keinen Zentimeter bewegt hatte. Gerard war ebenfalls bereits angezogen und streichelte mir sanft über den Kopf, während ich noch meine Orientierung suchte. „Durst?“ Fragte er vorsichtig und hielt mir eine bereits erwärmte Flasche hin.
Dankbar nahm ich sie an und trank aus der Flasche, bis sie leer war. Während ich trankt, verschwanden langsam meine Erinnerungen an den intensiven Traum und zurück, blieb nichts weiter, als dieses unerklärbare Gefühl, Gerard plötzlich viel näher, als jemals zuvor zu sein.
„Was ist?“ Fragte er, als ich ihn eine geschlagene Minute einfach bloß anstarrte.
„Komm her.“ Befahl ich, zog ihn am Saum seines Shirts zu mir und küsste ihn einfach, solange, bis ich mir sicher war, irgendetwas bestätigt zu haben. Jedoch ergab dies nicht wirklich einen Sinn. Vermutlich waren dies bloß Nachempfindungen, an meinen Traum, oder eine Erinnerung, die ich hatte, bevor Gerard mich weckte.
„Ich habe dich auch vermisst.“ Grinste er zufrieden und leckte etwas Blut von meinem Kinn.
„Erinnerst du dich daran, was du geträumt hast?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich fühle mich bloß...“ Gerard sprach es nicht aus, doch ich wusste, was er meinte.
„Ja, mir geht es genauso.“
Liebevoll küsste er mich erneut, bevor er sich zurückzog und auf frische Kleidung für mich, deutete. Dankend nahm ich sie entgegen und war nun so gekleidet, wie er selbst. Eine schwarze Trainingshose und ein schwarzes T-Shirt.
„Mehr gibt es hier nicht. Außer du möchtest etwas vom König?“
Ich grinste. „Höchstens ein paar Winterstiefel und eine Jacke. Immerhin sind wir in Island, nicht wahr?“
Gerard verzog das Gesicht. „Auch wahr.“
Als ich aus dem Zimmer ging, blieb ich abrupt stehen. Verwirrt drehte ich mich zurück zu Gerard. „Kommst du nicht mit?“
Mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht wirklich deuten wollte, nahm er auf meinem Bett platz. „Ich werde nicht mitkommen.“
Vor Enttäuschung, wusste ich erst nicht, was ich sagen sollte, daher schwieg ich und blieb wie ein Idiot, der ich auch war, einfach in der Türe stehen.
„Ich... möchte schon. Aber ich kann nicht. Frankreich rutscht in einen neuen Krieg. Eigentlich dachte ich, es würde mich nicht stören, es, würde die anderen ablenken, doch... Louis... die anderen...“
Gerard hat alle zurückgelassen, in einem Chaos, das auf seinem Mist gewachsen ist. Oder eher auf meinem, doch von ihm geplant!
Mitleidig kam ich zurück ins Zimmer und sank vor ihm auf den Boden. Sofort lehnte er sich vor und legte seine Stirn gegen meine. „Gerard...“ Flüsterte ich, denn ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Ihm zu sagen, er soll zurückgehen, kam nicht in Frage, aber konnte ich egoistisch sein und Gerard verbieten zurückzufahren?
„Es tut mir unendlich leid, Isles. Ich weiß, ich habe es dir versprochen und ich dachte auch, dass es mir nichts ausmachen wird, dieses verhasste Königreich im Chaos zurückzulassen. Nach allem was... was er mir, dir und tausend anderen angetan hat... Ich dachte wirklich, es sei mir egal.“
Tröstend streichelte ich Gerards Wange. „Kannst du denn überhaupt zurück? Der König wird seine Wut an dir auslassen, wenn er sich erinnert.“
„Nein, das tut er nicht.“ Überrascht blickte ich Gerard an. „Michellé erinnert sich nicht, er denkt, dass du ihn enthauptet hast, mit deinen Beinen. Louis ist an seiner Seite und hat behauptet, mich hinter dir hergeschickt zu haben, um deine Taten zu bestrafen.“
Überhaupt nicht dumm diese Lüge, doch... das bedeutete dann, dass ich unmöglich würde zurückkehren können. „Kommst du denn wieder her?“ Fragte ich mit großen Augen.
„Natürlich!“ Gerard küsste mich bestätigend. „Natürlich komme ich wieder, aber vorher muss ich... das alles einfach klären, verstehst du das?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich verstehe nicht, wieso du in ein Königreich zurückkehren willst, das so... so verlogen ist und... zu diesem abartigen Mistkerl...“ Fauchte ich. „Aber...“ Sprach ich ruhiger weiter. „...ich verstehe, dass es dein Heimatland ist, dein Zuhause, deine Freunde. So wie Island, das meine ist.“
Gerard nickte, halb dankbar, halb zerrissen vor Schuldgefühlen.
„Ich verspreche dir, dass ich in einigen Monaten nachkommen werde!“
Schwach lächelnd nickte ich. „Das will ich auch hoffen, ansonsten muss ich zu dir kommen und das würde nicht gut enden.“
Er grinste genauso traurig, wie ich und wischte eine Träne von meiner Wange, von deren Existenz ich überhaupt nichts gewusst hatte. Wann habe ich denn zu Weinen begonnen?
„Nein, das würde es wirklich nicht. Aber du kannst auch nicht in Island bleiben. Du wirst weitergehen müssen, denn wenn es im Schloss ruhiger wird...“ Dann würde der König wieder hinter mir her sein, klar. „...wird es zu riskant für dich hier sein.“
„Wohin soll ich denn gehen?“ Fragte ich überrascht. Ich, alleine? Mehr Orte als Island kannte ich doch überhaupt nicht.
„Am Besten bleibst du in den kalten Regionen. Dorthin wird dir der König nicht folgen. Geh... Nach Grönland. Soviel ich weiß, gibt es dort Mischlingsgruppierungen.“
„Was sind Mischlingsgruppierungen?“ Fragte ich verwirrt.
„Vampire und Werwölfe, die zusammen leben.“
Ah! Davon hatte ich bereits gehört. „Davon habe ich schon gehört. Aber du wirst auch wirklich nach Grönland kommen?“ Unsicher blickte ich in diese herrlich, grasgrünen Augen.
Gerard legte seine Stirn erneut an meine, streichelte über meine Wange und stieß mit seiner Nase an meine. „Hast du schon verdrängt, dass wir beide Markierungen tragen? Es gibt nichts, dass mich von dir fernhalten könnte.“
Für einen Moment lächelte ich zu ihm auf, doch dieses Lächeln verging mir rasch wieder. „Es gab in den letzten eineinhalb Jahren genügend Gründe.“
Nun lächelte Gerard und stahl mir einen kurzen Kuss. „Ich glaube, die wird es immer geben. Das macht die Wiedersehensfreude umso größer.“
Ich lachte, dank seines dummen Scherzes nun doch wieder. „Wie lange wirst du denn fortbleiben?“
Sanft streichelte er mir über das wirre Haar. Vielleicht sollte ich das auch noch in Ordnung bringen, bevor ich mich in die kalte Welt dort draußen begab? „Wie gesagt, bloß ein paar Monate.“
„Wie viele?“ Wiederholte ich fordernd.
Gerard zückte sein Handy, das die ganze Zeit vibrierte. Kurz scrollte er durch seinen Gesprächsverlauf und seufzte schwer. „Vielleicht vier, oder fünf. Ich kann dir das wirklich nicht beantworten, Isles.“
Schweren Herzens stand ich auf und zog den kräftigen Vampir mit mir. „Okay, dann hilf mir zumindest, etwas Passendes für mich zu finden.“
Gerard verzog, sichtlich abgeneigt von diesem Gedanken, das Gesicht. Strafe muss sein.

IV. Die Flucht vor Tobonneau, Isles eigener Weg

„Ich sehe aus, wie eine Tussi, die sich zufällig im Land vertan hat.“ Ächzte ich abgeneigt von meiner üblen Kleiderwahl. Nun vermisste ich Martha einmal mehr. Sie könnte in Nullkommanichts aus diesem Desaster etwas fabelhaftes Zaubern.
„Etwas mehr Make-Up und etwas grellen Lippenstift...“ Begann Gerard und ich warf erbost einen schweren Gürtel nach ihm. „Entschuldige... Aber sei froh, dass es dir wenigstens passt.“
„Dauert deine Abwesenheit länger als fünf Monate, musst du die Kleidung des Königs auch einmal für mich tragen.“ Mahnend stieß ich mit dem Finger gegen sein Brustkorb, woraufhin ihm das Lachen verging.
„Nur über meine kalte Leiche.“
„Mit der Kälte kann ich leicht nachhelfen!“ Wir funkelten uns einen Moment an, bevor Gerard die Türe zum Deck öffnete. Mit einem dicken Grinsen, welches sich nicht länger verstecken ließ, folgte ich ihm hinaus in die Kälte. Nun verging mir das Lachen doch wieder. Auch, wenn ich den Geruch meiner Heimat unfassbar vermisst hatte... „Ich hasse diese Kälte!“ Beschwerte ich mich lautstark.
Gerard drehte sich zu mir um und zog meinen Schal fester. „Nur ein paar Kilometer, Isles. Dann bist du zuhause.“
Ich verzog das Gesicht. Falls es mein >Zuhause< überhaupt noch gab? Was ist wohl im letzten Jahr alles passiert? Was hat Njal wohl den anderen erzählt? Ob er viel Schlechtes über mich gesprochen hat? Sich über mich lustig machte?
„Hey! Sieh mich an!“ Gerard hob mein Kinn an und sah mir tief in die Augen. „Es sind bloß ein paar Monate. Nichts, was wir nicht bereits hinter uns hätten.“
Seufzend kuschelte ich mich unter seine Decke, welche er als Schutz vor der Kälte trug. „Versprich es mir noch einmal, Gerard.“
Er lehnte sich hinab zu meinem, von einer Mütze geschützten, Ohr und leckte sanft darüber. Ein heißer Schauder lief über meinen Körper und ich wünschte mich zurück in unsere stillen Stahlwände. „Ich komme dir in vier bis fünf Monaten hinterher, Isles. Versprochen.“
Zufrieden nickte ich und stahl mir noch einen langen Kuss. „Wehe du saugst jemanden zu Tode! Du weißt, ich bekomme so etwas heraus!“
Lachend winkte Gerard mir, als ich von Board sprang und geschickt auf einem Steg landete.
„Fünf Monate!“ Drohte ich lautstark.
Gerard ging in die Hocke, sodass die Decke nun seinen ganzen Körper verhüllte. Ich wusste, er würde nun dort sitzen bleiben, bis ich, außer Sichtweite war. Um ehrlich zu sein, fühlte sich dies sogar richtig gut an. Zu wissen, dass dort jemand saß, auf mich wartete und auf mich aufpasste... und dann auch noch jemand wie Gerard! Das hatte schon seinen eigenen Reiz. Es ließ mein Herz buchstäblich Höherschlagen, schneller!
Kurz bevor ich zwischen zwei Häuserreihen verschwand, drehte ich mich noch ein letztes Mal um und zog meine Haube tiefer in mein Gesicht.
Gerard saß noch immer an derselben Stelle. Kurz sah ich seine Hand auftauchen, wie er mir winkte, dann stand er auf und ging zurück unter Deck.
Mit schweren Herzen lief ich ins innere der Hafengemeinde Ölfus. Sie war nicht besonders groß, doch hier hatte ich viele Tage, zusammen mit meinen Eltern verbracht, damals, als... mein Leben noch normaler gewesen ist.
Als es auch noch zu allem Überfluss zu den niederen Temperaturen zu regnen begann, gab ich auf. Bevor ich von Board gegangen bin, hatte ich mir etwas Geld... geliehen, vom König. Wieso ließ überhaupt ein Vampir sein Geld in einem Safe liegen? Eigentlich sollte man meinen, sie wären klüger. Jeder Jungvampir knackte so einen kleinen Schranksafe mit zwei Fingern!
Rasch suchte ich Zuflucht in einer kleinen Pizzaria, namens Viking und suchte mir einen Tisch am Fenster. Von dort blickte ich hinaus auf ein weites Feld und einige vorbeifahrende Autos.
„Schönen Abend! Was darf ich Ihnen bringen?“
Unsicher blickte ich in die Karte. Nichts davon stand auf meinem >Diätspeiseplan<. „Ähm... Ehrlich gesagt, darf ich überhaupt nichts davon essen. Ich bin auf Diät!“ Welch Blitzgedanke während einer >Diät< in einer Pizzaria zu sitzen...
„Oh, die haben Sie doch überhaupt nicht nötig!“ Lachte die Frau heiter und höflich.
„Tja... Jetzt wissen Sie, wie ich dieses Gewicht halte.“ Grinste ich scherzend zurück, in der Hoffnung sie hätte Verständnis dafür.
„Gut zu wissen! Aber trotzdem muss ich Ihnen etwas bringen, ansonsten muss ich Sie in dieses furchtbare Wetter zurückzujagen.“
Alles! Bloß das nicht! Wenn mein Körper abkühlt, verbrauche ich zu schnell, zu viel meiner Energie, als hätte ich gekämpft, oder wäre sehr schwer verwundet gewesen. „Okay... Dann nehme ich ein Glas... Ähm... Einen schwarzen Kaffee, bitte.“
Die Frau nickte. „Verstehe, bin gleich wieder da.“ Erleichtert stieß ich die Luft aus und kuschelte mich enger an die Heizung. Wenigstens das wäre überstanden.
Nach weniger als einer halben Stunde und einer frisch gebrühten Tasse Kaffee , konnte ich wieder hinaus. Jedoch weit kam ich nicht, denn ich wusste nicht, was ich tun sollte. Nach Selloss würde es über fünf Stunden, zu Fuß, dauern. Und wer würde schon jemanden mitnehmen... nun, ja der gekleidet war, wie ich.
Egal wo ich hinkam, mit meiner hautengen Hose und dem auffallend weißen Mantel, besetzt mit Pelzkragen, sah sogar ich, meine Spiegelung, wie ein Idiot an.
„Hey! Süße!“ Ein Typ fuhr an mir vorbei und winkte mir aus dem Auto aus zu. Sein schmieriges Lächeln würde ich ihm bloß zu gerne aus dem Gesicht wischen, doch... Vielleicht war dieses ekelhafte Lächeln auch eine Chance, für mich. Hallo! Ich bin ein Vampir! Wenn nicht jetzt, wann dann wäre diese Tatsache nützlich?
„Hi!“ Grinste ich mit einem falschen süßen Lächeln zurück. Der Typ ist langsam neben mir her gefahren, doch jetzt hielt er an.
„Na, wohin des Weges?“
Mit schwingenden Hüften kam ich näher. Als ich direkt vor ihm stand, nahm ich seinen Blick in den Bann. „Du lässt mich jetzt einsteigen, drehst die Heizung ordentlich auf und wir fahren dorthin, wo ich es sage.“
Sofort trat ein benebelter Ausdruck in sein Gesicht und er nickte. Erleichtert sprang ich auf den Beifahrersitz, schnallte mich an und drehte am Radiosender herum.
„Wohin fahren wir denn?“
„Nach Hause.“ Ich verzog das Gesicht, aus Nervosität. „Zumindest hoffe ich, dass es noch da ist.“

 

- - - - -

 

„Du wolltest einfach spazieren fahren. Vergiss, dass du mich überhaupt gesehen hast.“
„Wen habe ich gesehen?“ Zufrieden stieg ich aus dem Wagen. Nun hatte meine Reise nicht fast eine halbe Nacht gedauert, sondern lediglich eine Stunde. Mein nächstes Problem war jedoch, dass... ich keinen Schlüssel für mein eigenes Haus hatte... Stöhnend blickte ich durch die Fenster hinein, doch verändert hatte sich überhaupt nichts. Weder die Einrichtung, noch... sonst irgendetwas. Zumindest wirkte es nicht bewohnt. Als ich läutete, tat sich ebenfalls nichts. Weder gingen Lichter an, oder irgendetwas anderes. Offenbar war der Strom abgestellt, denn die Außenbeleuchtung ging ebenfalls nicht an, als ich vor die Eingangstüre trat.
Oh, oh! Mein Blut! Wenn das bereits länger so war, mussten die Beutel bereits vor sich hin stinken... Na toll!
Okay, dann eben zu Plan A zurückkehren. Und zwar, Njal aufsuchen. Es war bereits nach elf, also befand er sich bestimmt in seiner Bar. Eigentlich wollte ich ihn ja als Erstes aufsuchen, doch... hatte ich viel zu großen Schiss. Ja! Ich weiß. Dass ich so große Angst vor jemanden haben könnte, überraschte selbst mich. Aber es wäre ja nicht so, als hätte ich Angst vor Njal selbst. Im Gegenteil, ich bin ihm dankbar. Trotzdem... im Nachhinein betrachtet, hatte ich vielleicht... ein bisschen überreagiert. Typisch >Ich< eben...
Mit beleidigter Miene ging ich einige Straßen entlang. Straßen, die ich bereits so oft gegangen bin und mich eigentlich bisher immer gefreut hatten. Ja, die Arbeit dort, hatte mir auf irgendeine Art und Weise Spaß gemacht. Vor langer Zeit...
Die Bar selbst hatte sich im letzten Jahr kein bisschen verändert. Nun, ja das Mauerwerk neben der Eingangstüre war definitiv neu... dank mir. Als sich ein lachendes Paar näherte, sprang ich automatisch in den Schatten.
Das hatte ich ganz verdrängt. Das hier ist eine Werwolfbar. Und ich... bin nun einmal ein Vampir. Nichts, das sich besonders gut vertrug, wie Michellé bereits einmal bewiesen hatte. Wegen diesem, egoistischen Hinterwäldler hatte doch erst alles begonnen! Wegen ihm bin ich ein Vampir und kein Mensch, wegen ihm kann ich mich in meiner Lieblingsbar nicht sehen lassen, wegen ihm... ist mein ganzes Leben... intensiver? Konnte man das so nennen?
„Hey!“ Dröhnte eine männliche Stimme aus der Gasse, in der ich stand. „Wieso lungerst du hinter meiner Bar herum?“
Als die Person weiter sprach, glitt mir ein eiskalter Schauder über den Rücken. Diese Stimme kannte ich... zu gut. Und diesen dominanten Unterton... welchen er jedoch niemals gewagt hatte, bei mir zu verwenden. Gut für ihn!
„Pass auf wie du mit mir Sprichst... Köter.“ Fauchte ich und drehte mich nach Njal um. Noch schien er mich nicht erkannt zu haben. Oder... vielleicht doch?
Während Njal bösartig knurrte, leuchteten seine Augen gelb auf. Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. Ups... den hatte ich so richtig verärgert!
„Schon wieder ein Vampir? Ihr schäbigen Blutsauger werdet es wohl nie lernen, was?“ Er stand noch immer unter der Beleuchtung seiner Hintertüre und schob sein langärmeliges Shirt über die Ellenbogen.
„Blutsauger? Pass auf, sonst passiert dir noch etwas Schrecklicheres, als dass ich dich auf meiner Treppe verbluten lasse!“ Fauchte ich und zog meine Mütze vom Kopf. Mit einem verlegenen Lächeln trat ich aus dem Schatten der Gasse.
„Is... Du siehst...“
„Wage es ja nicht! Die Kleidung ist geliehen und ich >Hasse< sie!“
Ungläubig blieb Njal der Mund offen stehen, als er mich anstarrte und... einfach dastand.
„Dein Mund wird noch so festfrieren, wenn du... Huch!“ Plötzlich lagen zwei starke Arme um meinem Körper und ich wurde durch den Kreis gewirbelt. Lachend strampelte ich mich frei. „Njal!“ Schimpfte ich erleichtert, dass er erfreut, wirkte, mich zu sehen.
„Isles! Ich... ich dachte wirklich, du kämst nie wieder!“ Erleichtert küsste er meine Wange. Das war der Moment, in dem er gegen die Wand flog.
„Igitt lass das!“
Lachend kam der Werwolf wieder auf die Beine und hatte seine üblichen dunkelbraunen Augen wieder. „W-was machst du überhaupt hier? Ich dachte, der Scheißkerl hätte dich bereits für seine Weltinvasion eingesponnen, oder was Vampire eben so tun.“
Skeptisch verzog ich das Gesicht. „Was denkst du denn, was Vampire in ihrer Freizeit tun?“
Njal zuckte unschuldig mit den, bereits vom Nieselregen nassen, Schultern. „Keine Ahnung, geweihten Boden meiden, Jungfrauen entführen, glitzern in der Sonne, in dunklen Höhlen hausen...“
Gespielt beleidigt schubste ich Njal, welcher lediglich breit grinste. „Oh und du läufst mit der Nase knapp über dem Boden und schnupperst an anderen Leuten Hintern?“
Angeekelt verzog er das Gesicht. „Natürlich bloß bei so heißen Schnitten wie dir.“
Kurzerhand fand ich mich in den Armen des Werwolfes wieder, was ich jedoch ausnahmsweise über mich ergehen ließ. Froh, doch auf keinen verärgerten Njal zu treffen, schloss ich ihn meinerseits in die Arme. „Ich habe dich vermisst!“ Seufzte ich.
„Ich dich auch, Kleines. Komm, du solltest endlich hinein, bevor du noch meine Gäste abzapfst.“ Dafür kassierte er einen Seitenhieb, doch lachte der Werwolf bloß. Nachdringlich schob er mich die Treppe hoch. „Ich komm gleich nach, muss nur schließen.“
„Was?“ Fragte ich überrascht. „Nein! Ich bin nach Sperrstunde auch noch da. Mach ruhig fertig.“ Winkte ich ab.
„Aber...“
„Ich bedien mich derweilen an deinem Kleiderkasten, ja?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, lief ich die Treppen hoch, in das typisch, unordentliche Zuhause von Njal. Dort schlüpfte ich aus den hohen Stiefeln und der dicken Jacke. Erleichtert seufzte ich. Sofort folgten der dicke Pullover und das enge Shirt. Zum Teufel mit diesem König! Hätte Njal meine Hosengröße, würde ich sogar die wechseln, doch leider, oder viel mehr zum Glück, war Njal breiter gebaut, als der König. Von Njal lieh ich mir einen langen Pullover, welcher mir bis zu den Knien reichte und öffnete mein blondes Haar. Was gäbe ich für Färbemittel!
Weit nach Mitternacht kam Njal die Treppe hoch, völlig ermüdet, doch als er mich sah, leuchteten seine Augen auf. „Blond steht dir.“ Stellte er fast sachlich fest, doch für meinen Geschmack, hing sein Blick etwas zu lange an mir. Unangenehm lange...
„Tja... war nicht meine Wahl. Mutter Natur wollte mich blond.“ Ich verdrehte die Augen. Ich hasse diese Haarfarbe!
„Sie... sieht wirklich toll an dir aus. So wie du. Ich glaube sogar, auch wenn es unmöglich ist, du bist noch schöner geworden.“
Verärgert kniff ich die Augen zusammen. „Njal! Was ich vor eineinhalb Jahren gesagt habe, meine ich auch heute noch! Klar?“
„Eineinhalb nur? Mir kam es vor, wie zehn.“ Seufzte der Werwolf und ließ sich erschöpft neben mir auf das alte Holzsofa fallen.
„Mir wie keine drei Wochen...“ Murrte ich leise.
„Was?“
„Nichts, vergiss es. Aber erzähl mal, was ist... mit meinem Haus?“
„Das gehört immer noch dir, aber ich habe Strom und Gas abgestellt.“
„Was?“ Fauchte ich. „Und mein Blutvorrat?“
Njal wurde leicht rot. „Den... habe ich unten in meinem Lager.“
Erneut kam ein ungläubiges „Was?“ aus meinem Mund.
„Frag nicht... Ich weiß, es ist dämlich, aber ich hatte immer das Gefühl, als würdest du... irgendwann einmal... zurückkommen.“
„Ich bin ein Vampir!“ Fauchte ich vielsagend und fuhr meine Fangzähne aus.
„Du weißt, dass mir das schon immer egal war, oder?“
Schweren Herzens, zog ich sie wieder ein und lächelte schwach. „Wenigstens einem von uns.“
„Wie war es denn? In Frankreich.“
Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern. „Nicht so dunkel und modrig, wie du vielleicht denkst.“
Jetzt lachte er wieder und streckte sich auf dem Sofa aus. Ungläubig starrte ich auf seinen Kopf hinab, welcher plötzlich auf meinem Schoß lag und sich genüsslich an mich kuschelte. „Erzähl weiter. Ich will alles hören.“
Ich sah ihm an, dass er keine fünf Minuten durchhalten würde, und streichelte ihm stattdessen über das weiche Haar. Wow... Das war ungewöhnlich... weich? Und so dicht! „Schlaf ein wenig. Wir haben morgen noch den ganzen Tag zeit, ja.“
Er nickte nur noch und fort war er. Jetzt sah ich auch die dicken Ringe unter seinen Augen, das lediglich teilweise rasierte Gesicht und die gebildeten Denkfalten auf seiner Stirn. Neugierig ließ ich meine Finger darüber gleiten.
Was ist bloß mit Njal die letzten eineinhalb Jahre passiert?

 

- - - - -

 

Früher, nachdem ich zum Vampir wurde und noch meine ersten Erfahrungen machte, dachte ich noch, es ist eben eine neue Angewohnheit von mir, mich in warmen Räumen wohler zu fühlen. Damals fiel es mir noch nicht auf, dass mein Hunger schneller zurückkehrt, wenn mein Körper versuchte, gegen die Kälte zu arbeiten.
Jetzt jedoch, wusste ich, dass es für mich notwendig war, mich in einem körperwarmen Raum aufzuhalten. Besonders wenn ich ohnehin bereits wieder Hunger bekam!
In Njals Küche hatte ich bereits ein kleines Frühstück für ihn. Von früher wusste ich noch, was er immer morgens aß. Eier und Speck. Zumindest roch er immer danach und auch jetzt fand ich nichts anderes im Kühlschrank. Außer einige Flaschen Bier... Sehr, sehr viele Flaschen. Und auch die kleinen Mistsäcke, welche kaum noch unter seine Spüle passten, waren voll davon. Hatte Njal etwa früher ebenfalls schon solche Probleme? Ich erinnerte mich nicht, dass er jemals getrunken hätte. Nicht dass es mich jemals großartig interessiert hätte, doch mit Alkohol in der Hand, außer zum Ausschenken, hatte ich ihn nie gesehen.
„Mm! Bleibst du für immer?“ Bat Njal vom Sofa aus und schmunzelte über die Lehne hinweg.
„Nur wenn du duschen gehst, Zähne putzt und... hier etwas aufräumst.“ Schimpfte ich und wedelte drohend mit dem Pfannenwender.
Enttäuscht verzog er das Gesicht. „Frauen! Immer nörgeln.“ Jedoch stand er artig auf und streifte seinen Pullover ab. Sofort fand ich die Eier, welche gemütlich brutzelten wieder viel interessanter und blendete aus, dass sich ein Werwolf hinter mir umzog. Igitt! So etwas musste ich wirklich nicht sehen!
„Du gaffst ja überhaupt nicht.“
Misstrauisch zog ich die Augenbrauen hoch. „Wieso sollte ich?“
„Hallo? Heißer Mann hier hinten.“
Mit einem genervten Gesichtsausdruck wandte ich mich nun doch um und betrachtete Njals nackten Oberkörper. Nicht einmal ansatzweise vergleichbar mit dem von Gerard... Stopp! Böse Gedanken! „Darf ich dich daran erinnern, dass mehr, als vier Fünftel aller Vampire Männer sind?“
Jetzt wirkte er enttäuscht. „Autsch!“ Damit ging er in ein anschließendes Zimmer, kurz darauf erklang rauschendes Wasser.
„Wie viele Eier und Speck willst du denn?“
„Ein Päckchen Speck und fünf Eier.“
Ich verzog das Gesicht. „Widerlich.“ Ich jedoch brauchte mich nicht beschweren, ich lebe immerhin von der Ader anderer Leute.
Als ich alles für Njal vorbereitet hatte, kam auch er wieder aus der Dusche und setzte sich, mit frischer Kleidung, an den Tisch. „So, jetzt erzähl mir von Frankreich.“ Schmatzend stopfte der Werwolf das Eiweiß in sich hinein.
„Isst du immer so?“ Fragte ich ungläubig. So etwas konnte doch nicht gesund sein.
„Nur nahe des Vollmondes.“ Antwortete er, als wäre dies selbstverständlich. Als ich ihn lediglich fragend anblickte, erklärte er sich. „Die wenigsten von uns >menschlichen Werwölfe< können noch ihre Gestalt wechseln. Manche verlieren ihre Kontrolle, wenn sie von Drogen und Alkohol beeinflusst sind.“ Das erinnerte mich stark an meine Enthüllungsnacht, als ich stundenlang durch den Schnee gestapft bin, um jemanden zu finden, den ich überhaupt nicht hatte finden können. Nicht bei Schnee und nicht wenn diese >Person< auf vier Pfoten mit dicken Pelz lief.
„Wieder andere, wie ich, können ihre Verwandlung mit Absicht herbeiführen. In Vollmondnächten fällt es uns jedoch noch viel leichter und unsere Sinne übernehmen uns ziemlich. Wir nehmen alles lauter, geruchsstärker und empfindlicher wahr.“
Oh! Das erklärt die wenigen Male, als ich ihn mit erhobener Nase erwischt hatte. Oder der Nase in meine Richtung gestreckt. „Du hast auch mich öfters beschnuppert, richtig?“
Njal wirkte plötzlich verlegen. „Ich wollte feststellen, ob du ein Mensch, oder Werwolf bist. Letzteres hätte es am einfachsten gemacht, dich für mich zu gewinnen.“
Ich verdrehte die Augen. „Und dann kam die böse, blutige Enthüllung.“
Njals Augen leuchteten belustigt auf. „Auch etwas, womit ich leben kann.“
Dafür schenkte ich ihm einen vernichteten Blick und wechselte das Thema. „Also... Frankreich war... eher ein Kurztripp.“
Njal warf die Stirn in Falten. „Jetzt bin ich erst recht neugierig.“
So erzählte ich ihm alles. Von meiner Fahrt nach Frankreich, meinen >Abenteuer< mit Michellé, den geschlossenen Freundschaften, der Manipulation, Gerards kurioser Rettungsaktion und meiner anschließender Flucht hierher. „Jetzt hatte ich geplant, erst einmal die Lage zu checken, wie es mit meinem Haus steht, wie es... dir geht und... dann geht es weiter nach Grönland.“
„Grönland? Wieso willst >du< denn dahin?“
„Weil Michellé mich dort nicht suchen wird.“
Er nickte, als sehe er die Logik dahinter ein. „Es wäre gefährlich, für ihn und seine Männer dir dorthin zu folgen. Die Mischlinge dort, sind... eigen und dulden es nicht, wenn jemand, der sich ihnen anschließen möchte, entführt wird. Man könnte sagen, sie sind recht... aufgeschlossen.“
„Ja, davon habe ich gehört. Deshalb will ich auch dorthin.“
Njal machte gerade den Abwasch. „Und wie willst du dorthin kommen?“
„Ich habe Geld von Michellé geklaut. Irgendjemand wird mich schon übersetzen.“ Hoffentlich würde es reichen!
„U-Und dieser Gerard... Er wird auch dorthin kommen?“
Ja, meinetwegen. Aber das konnte ich schlecht, laut sagen. „Ja, wird er.“
„Aber wenn der König doch überhaupt nicht hinter ihm her ist...“
„Er will dort genauso wenig bleiben, wie ich.“ Warf ich gereizt ein.
„Trotzdem, wäre für ihn nicht die Antarktis näher?“
„Njal!“ Fauchte ich wütend. „Was ist dein Problem? Mit mir hat er wenigstens jemanden, den er kennt, genauso wie ich jemanden haben werde! Außerdem haben wir viel durchgemacht, besonders Gerard selbst.“ Njal verzog beleidigt das Gesicht.
„Ich könnte ja mit dir mitkommen.“
Vor Überraschung ließ ich beinahe meinen Becher, gefüllt mit Blut fallen. „Was? Du?“
Okay, jetzt war er wirklich beleidigt. „Irgendein Problem damit?“
„Ja! Du... hast doch die Bar und... deine Mutter.“
Von einem Moment auf den anderen, wurde Njal ganz traurig. „Sie ist gestorben, kurz nachdem die Vampire dich geholt haben.“
Jetzt fühlte ich mich auch noch schuldig. „Tut mir leid, Njal. Das wusste ich nicht.“
Njal schaltete den Wasserhahn aus und wandte sich mir zu. „Es ist ja nicht deine Schuld, Isles. Nachdem dich die Vampire geholt haben, hatte ich diese... unsagbar dumme Idee, dich retten zu kommen. Auf halben Weg, einen Flug zu erwischen... ist meine Mutter in den Verkehr gekommen. Sie fuhr über eine Ampel, zweifellos, um mich von dem wahnsinnigen Vorhaben abzuhalten und... wurde von zwei Autos frontal erwischt.“
Oh scheiße! Von allem was möglich war, hätte ich das wirklich am wenigsten erwartet! „D-Du wolltest mir hinterher?“
Verlegen nickte Njal. Im nächsten Moment war wieder ein ernster Ausdruck in seinem Gesicht und er kam auf mich zu. „Isles, was ich sagte, meinte ich vollkommen ernst. Ich... habe mich in dich verliebt. Vor zwei Jahren bereits, als ich dich im Krankenhaus gefunden habe. Und an diesen Gefühlen hat sich seitdem nichts geändert!“
Oh, oh... Im Moment wäre mir ein Njal, der mich hasst, tausendmal lieber. „Njal... hör mal, ich...“
„Ich weiß, du hast viel durchgemacht. Das habe ich deutlich verstanden, auch dass... du und Gerard offenbar etwas für einander empfindet. Aber ich denke, das kam bloß daher, dass ihr unter demselben Monster gelitten habt...“
An dieser Stelle unterbrach ich ihn. „Njal, es ist nicht bloß das! Gerard und ich sind miteinander verbunden. Er ist... wie Vampire es nennen würde, >mein Mann<. Wir tragen jeweils die Markierung des anderen und... das ist etwas, was man mit keinem Mittel der Welt, ändern könnte.“
Demonstrativ schüttelte Njal den Kopf. „Das werden wir ja sehen. Er ist vielleicht ein Vampir, aber ich bin die wesentlich bessere Wahl für dich. Er könnte dir ja nicht einmal etwas bieten, dieser...“
„Pass auf, was du sagst! Und am besten erwähnst du vor Gerard nicht, dass du so für mich fühlst, nichts ist schlimmer, als ein eifersüchtiger Vampir!“ Wie ich nun zu gut wusste! Aurora hatte es ebenfalls auf... eine eher tödliche Art und Weise lernen müssen.
„Ich werde mir von niemandem den Mund verbieten lassen. Und wenn er dich wirklich lieben sollte, so wie ich, dann wird er selbst wissen, was besser für dich ist.“
Ich verschränkte die Arme vor dem Brustkorb. „Ein Werwolf ist also besser für mich, als ein Vampir?“
„Ein aggressiver, dem König ergebener Knecht? Ja, da bin ich die tausendmal bessere Wahl!“
Ich fasse es nicht, dass ich diese Diskussion führe! „Ich gehe alleine, irgendwo hin, wo niemand anderes hinkommt. Dann muss ich mich wenigstens nicht mit solchem Unsinn auseinandersetzen!“ Wütend polterte ich die Treppe hinab.
„Wo gehst du denn jetzt hin?“
„Etwas trinken!“
Ich hörte Njals Schritte hinter mir her eilen. „Aber dein Becher ist noch ganz voll!“
„Ich rede auch nicht von Blut!“ Hinter der Bar griff ich zum ersten Mal, seit meiner Entführung zu Tequila. Anstatt mir jedoch ein kleines Glas zu nehmen, schenkte ich den Inhalt in ein normalgroßes Glas.
„Okay, ich sehe es ein. Ich bin zu weit gegangen und hoffe, du kannst mir verzeihen.“
Über den Rand des Glases hinweg, fixierte ich Njal mit meinem Blick. „Das heißt, ich kann alleine fahren?“
An die Wand gelehnt und mit verschränkten Armen, fixierte er mich seinerseits mit dem Blick. „Nein! Ich habe dich eineinhalb Jahre lang verloren, noch einmal, lasse ich dich nicht gehen.“
Ich schnaubte und stürzte den goldenen Inhalt meines Lieblingsgetränkes hinunter, welches mich bisher immer hervorragend gewärmt hatte. „Ich hasse dich.“
Mit einem liebevollen Lächeln auf den Lippen, erwiderte er meine Worte. „Ich dich auch, Kleine.“

 

- - - - -

 

Ich blieb zwei Tage, versteckt in Njals Wohnung, bevor wir uns auf, zu meinem Haus machten. Es war noch immer auf meinen Namen überschrieben und Njal hatte die Raten weiter abgezahlt, jedoch von dem Erbe, welches er von seiner Mutter erhalten hatte. Viel war es zwar nicht, doch bisher ist es sich, zusammen mit seinem eigenen Verdienst, knapp ausgegangen.
Während ich, gegen meinen Willen, doch zu meiner eigenen Sicherheit, oben auf das Wochenende wartete, lauschte ich den Gesprächen der Werwölfe und Menschen. Viele zogen den >Miesepeter< auf, endlich wieder zu lächeln und gepflegter, als bisher zu wirken. Alle jedoch, waren sich einig, dass eine Frau dahinter steckt. Offizielle hatte Njal die Geschichte für mich erfunden, dass ich spontan ein Auslandsstudium erhalten habe. Jedoch wusste er nicht, wann ich zurückkommen würde und meine Miete hatte er ebenfalls übernommen, da ich ihm immer etwas schicken würde. Angeblich habe ich sogar, ein Studium in >Amerika< bekommen und zielte auf eine Karriere als Chirurgin ab! Das ich nicht lache...
Aber um auf den Punkt zu kommen... jeder wusste, dass ich das Mädchen war, dass ihren Alpha dermaßen hinunter gezogen hatte, und das Njal jetzt auf einmal, mit mir zusammen nach >Amerika< gehen möchte, erschütterte sie alle. Wenigstens ahnte niemand die schreckliche Wahrheit.
Und ja... ich bin nicht darum herum gekommen. Es ist so gut, wie unmöglich einen Werwolf abzuschütteln, wenn er sich einmal an einer fixen Idee festgebissen hatte! Ein Horror für mich. Aber länger, als fünf Monate würde Njal ohnehin nicht überleben. Sobald Gerard erfuhr, was der Werwolf für mich empfand und ich Njal nicht rechtzeitig von dieser irren Illusion abbrachte, konnte diese >Meinungsverschiedenheit< nicht anders, als blutig ausgehen.
„Hast du alles gepackt?“
Unglaublich, das ist echt wenig! Die Möbel konnte ich schlecht mitnehmen, genauso wie Deko und Familienbilder. Einige packte ich selbstverständlich ein, einfach bloß, um meine Erinnerungen zu wahren. Aber sonst? Bis auf Unterwäsche, Badeartikel und dicke Winterkleidung, war hier nichts, das ich mitnehmen könnte.
Njal hatte mir, woher auch immer, einige Scherzartikel aufgetrieben, in die ich echtes Blut abfüllte. Lange würde es zwar nicht halten, doch das war besser, als auf dem Schiff irgendjemanden anknabbern zu müssen. Somit war ich gewappnet, auch einen längeren Weg, hinter mich zu bringen. Zumindest wenn er nicht >zu< lange in >zu< eisigem Gebiet wäre.
„J-Ja. Irgendwie schon.“
„Irgendwie?“ Njal legte seinen Arm um mich und schob mich aus dem Haus. Nebenbei hob er meinen Koffer auf und lud ihn in sein Auto ein, denn meines hatte er verkauft, um das Geld für mein Haus zu verwenden.
„Nun, ja. Ich kann nicht glauben, dass ich wirklich, freiwillig, von hier weggehe!“
„Also, wenn du das als >freiwillig< bezeichnest, was verstehst du dann unter >notwendig<?“ Ich lächelte Njal an und stieg ins Auto.
Er folgte mir sofort und drehte die Heizung wieder hoch. „Du bist dir wirklich sicher?“
„Ich wollte schon immer einmal im Pelz durch den Schnee laufen.“ Scherzte er. Jedoch ahnte ich, dass dies bloß halb ein Scherz sein sollte. „Hast du auch so viele kahlen Stellen in deinem Pelz?“ Es war eine reine Interessensfrage.
„Du meinst, ob ich so aussehe, wie die Werwölfe, aus dem Kerker, die du mir beschrieben hast?“
Ich nickte. Njal schüttelte demonstrativ den Kopf und fuhr aus Selfloss, meiner Heimatstadt hinaus. „Nein, ich sehe, wie ein ganz normaler Wolf aus.“
„Also grau und weis, oder braun, oder schwarz, oder...“
„Stopp! Nein, welche Haarfarbe habe ich, Isles?“
„Die ist braun.“ Stellte ich fest.
„Menschliche Werwölfe, die sich noch in einen Werwolf verwandeln können, haben dieselbe Fellfarbe, wie ihre Haare. Es wäre doch absurd, wenn man braune Haare hat und grau wird, oder umgekehrt, nicht wahr?“
Ich verzog enttäuscht das Gesicht. „Das ist ja langweilig.“ Njal schaltete einen Gang hinunter und versuchte mich zu kitzeln.
Erfolglos. „Ich bin nicht mehr kitzelig, Idiot.“
Er kicherte kurz. „Okay, das habe ich nicht bedacht. Aber es freut mich einfach so, dass du ruhiger geworden bist.“
Ruhiger? Ich? Obwohl, Njal hat recht. Seit ich hier bin, bin ich kein einziges Mal irgendjemanden an die Kehle gegangen. Zwar zankten wir beide uns schon, doch es ist kein richtiges Streiten, wie bei Gerard und mir. Es ist... einfach Freundschaft und ohne Rivalität. Zufrieden lehnte ich mich im Sitz zurück. „Gewöhn dich bloß nicht daran.“
Abermals lachte Njal laut und heiter.
An einem Hafen setzten wir, zusammen mit einer gemischten Reisegruppe, nach Grönland über. „Ich habe mich einmal erkundigt. Angeblich lebt die Gruppe ziemlich zentral. Abgeschieden von allem was menschlich ist und weit entfernt, von allen Siedlungen.“
„Dachte ich mir bereits.“ War bloß logisch.
„Es gibt ein Dorf, am Rande eines Berges, an dem öfters Wölfe gesichtet wurden.“ Sprach Njal weiter. Wir warfen uns einen wissenden Blick zu. „Das heißt, du schnupperst an jedem Baum, bis wir eine passende Spur haben?“
Dafür kassierte ich einen verärgerten Blick, doch er ging nicht darauf ein. „Von einem... meiner Freunde, habe ich gehört, dass sie in einer geschützten Bergkette leben. Für... Leute, wie mich, sollte es eigentlich ein Leichtes sein, sie zu finden, da sie Spuren hinterlassen haben.“
Zwar verstand ich die meisten Sprachen hier auf dem Schiff nicht, da ich ausschließlich Französisch, Isländisch und ein wenig Spanisch konnte, doch wollten wir beide nicht riskieren, dass uns irgendjemand belauscht, wenn wir Wörter wie >Werwolf< benutzten. Damit konnte man leichter in Erinnerungen bleiben. „Denkst du, wir werden weit gehen müssen?“
„Du meinst, wegen deiner Versorgung?“ Ich nickte. „Darüber mach dir mal keinen Kopf, ich werde für dich sorgen.“
„Nein, wirst du nicht. Ich brauchte mindestens zweimal am Tag meine Spezialnahrung, das wirst du alleine nicht durchhalten.“
„Aber du hast doch auch noch einen Vorrat oder?“
Ich nickte. Ein wenig hatte ich mir ja mitnehmen können, doch viele Spaßartikel fand Njal ja leider nicht. Zumindest nicht genug, ohne dass es seltsam gewesen wäre, wenn ich hier mit einem Koffer voller >falschem< Blut herum liefe. „Damit komme ich über ein paar Tage, insofern mich die Kälte nicht zu sehr mitnimmt.“
Njal seufzte tief. „Dann werden wir uns alles einteilen müssen, wohl oder übel.“
Na, toll. Hoffentlich würde Gerard besser vorsorgen, als ich es tat. „Weißt du was... ich werde uns schon eine... raschere Möglichkeit finden, voran zu kommen.“ Misstrauisch beäugte Njal mich, doch sagte nichts dazu. Kluger Hund... Äh, Mann!

 

- - - - -

 

„Sie werden doch noch ein, oder zwei Hündchen für uns übrig haben. Kommen Sie schon. Denken Sie nach.“
Zu meinem Glück hatte ich einen Reiseveranstalter gefunden, welcher zwar gebrochenes Französisch sprach, doch es umso besser Verstand. Bei den ersten beiden, hatte Njal nachhelfen müssen und unterhielt sich mit denen in Englisch. Jedoch war das Ergebnis bei allen Dreien, bisher dasselbe. Alle Hunde waren vergeben. Schlitten hatten so gut wie alle noch übrig, doch irgendwie schienen wir eine tourisenhoch erwischt zu haben.
„Wie ich sagte. Alle vergeben. Es tut mir wirklich leid, für Sie.“ Genervt verdrehte ich die Augen.
Da schaltete sich Njal wieder ein, auf Englisch. „Na, gut. Hätten sie zumindest einen Schlitten frei?“
Nun warf ich Njal einen verständnislosen Blick zu. „Was willst du denn mit einem Schlitten erreichen? Insofern unsere Strecke nicht abwärts führt, nutzt uns der rein gar nichts.“
„Erstens, können wir unser Zeug darauf viel einfacher transportieren. Zweitens, habe ich eine Idee, wie wir auf weniger belebten Gebieten vorankommen können.“
Und damit kam er erst jetzt an? „Wieso kannst du das nicht bereits zwei Dörfer vorher sagen?“ Nun hatten wir gut einen ganzen Tag verplempert.
Njal lehnte sich über die Sessellehne, an der mein Rücken ruhte und schmiegte seine Wange an meinem Hinterkopf. „Vielleicht finde ich es einfach süß, wie du dich aufregst?“
Ich schnaufte abfällig. „Haben Sie einen Schlitten für uns?“
„Natürlich haben wir einen. Für zwei Personen?“
Ich nickte zustimmend.
„Und haben Sie ebenfalls einen Zuggurt für... größere Hunde?“
Der einheimische Reiseführer, dessen recht passabel laufendes Geschäft, ein Familienbetrieb zu sein scheint, deutete uns, ihm zu folgen. „Wie viel größer brauchen Sie es denn? Schäferhund?“
Als wir eintraten, hatte ich den Ladenbesitzer dazu bezirzt auf alle unsere Fragen zu antworten, als wären sie ganz normal. So betreute er uns nun auch, ohne es seltsam zu finden, was wir von ihm wollten. Njal schnaubte belustigt. „Größer!“
„Mastin?“
Njals Grinsen wurde ebenfalls größer. „Rechnen Sie besser mit Eisbär maßen.“
Selbst ich starrte Njal überrascht an. „Übertreibst du nicht etwas?“
„Isles, schon vergessen, dass ich aus Island bin?“
Ich schüttelte den Kopf. „Was hat das eine, mit dem anderen zu tun?“
„Meine Familie ist auf die Wikinger zurückzuführen, süße, unschuldige Isles.“ Seine Augen leuchteten bedrohlich auf und ein donnerndes Knurren, vibrierte durch meinen Körper, als er mit seinem Gesicht ganz nahe an meines kam.
Bitte lass es keine Anspielung auf Fenris sein! Betete ich innerlich und wappnete mich vor dem Unausweichlichen. Das wäre das Letzte, was mir jetzt noch fehlt.
Werwolf. In Ordnung konnte ich akzeptieren.
Vampire. Nervig, aber okay, mir blieb einfach nichts erspart.
Aber Göttergeschichten, die plötzlich real wurden? Da sprang ich dann doch lieber gleich vom Zug! Nicht dass mich dies töten würde...
„Ich kann Ihnen höchstens anbieten, zwei Zuggurte zusammen zu binden. Das sollte das Tier entlasten. Aber ich weiß nicht, wie weit Sie kommen würden, wenn ein Tier in Eisbärengröße Sie beide und das Gepäck schleppt.“
Njal veränderte seine Augenfarbe in eine, für Menschen gewöhnliche, und lächelte den Besitzer höflich an. „Die Ausdauer meines Tieres, spielt überhaupt keine Rolle.“
Bis zu dem anzüglichen Lächeln, was ich danach kassierte, bemerkte ich seine dumme Anspielung überhaupt nicht. Ich stöhnte und verdrehte erneut die Augen. „Njal! Bald gehe ich, freiwillig, nach Frankreich zurück, wenn du das nicht bald sein lässt!“
Enttäuscht verzog der Werwolf das Gesicht. „Du gibst mir nicht einmal eine Chance, Isles. Egal was ich mache, oder sage, du blockst mich mittels einer Stahltüre ab.“
Ich stapfte an ihm vorbei und ließ mir die kombinierten Gurte geben. „Oh, gut! Du hast es doch bemerkt. Dabei dachte ich schon, ich müsse dir mit einer Zeitung auf die Schnauze schlagen!“ Meine nächsten Sätze, galten alleine dem Menschen. „Wir Waren niemals hier, vergessen Sie, dass sie uns überhaupt gesehen haben. Der Schlitten, den Sie uns nun überlassen, den haben Sie versetzt, aber wissen nicht mehr, wohin. Die Gurte sind gerissen und Sie haben Sie vor einiger Zeit weggeschmissen.“ Benebelt nickte der Mann.
Ich riss mich von seinen Augen los und ging hinaus, in den Empfangsraum, wo unsere Koffer noch immer standen. Drei am Stück. Zwei von Njal, einer von mir selbst.
Scheinbar beleidigt, suchte sich Njal einen Schlitten mit einigen Fellen heraus, welche uns, oder viel mehr mich, warmhalten würden und stapelte die Koffern vorne hinauf. Nachdem sie festgebunden waren, zogen wir den langen Schlitten, bequem durch das kleine Dörfchen, doch wurden nicht beachtet.
Erst als wir einige Kilometer zwischen das Dorf und uns gebracht hatten, meinte Njal, dass es nun in Ordnung sei. „Und was hast du jetzt vor? Soll ich dich einfach einspannen, wie ein Rentier?“
„Ungefähr, ja. Aber zuerst... Ich glaube nicht, dass du jemals einen tierischen Werwolf gesehen hast, nicht wahr? Also... einen, der nicht vernarbt und blutig, gebeugt und schlecht behandelt worden ist?“
Ich schüttelte den Kopf. Wo denn auch? Als ich von Werwölfen erfuhr, und dass ich sogar auf ihrer Insel lebe, wurde ich noch am selben Tag entführt. „Muss ich... mich auf irgendetwas gefasst machen?“
Mit einem Hinterhältigen, oder war es viel mehr, ein stolzes Lächeln, zuckten seine Schultern. „Nun, ja. Erschrick... dich einfach nicht zu sehr.“ Misstrauisch nickte ich ihm zu. „Oh! Und ich kann nicht sprechen und würde mit meinen Krallen vermutlich die Gurte ruinieren, also musst du sie mir anlegen.“ Abermals nickte ich, doch dieses Mal, noch langsamer.
Unerwartet beugte sich Njal vor und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Ich schreckte zurück. „Damit du nicht vergisst, dass ich immer noch dasselbe Bewusstsein habe.“
Njal nahm Abstand und zog sich gut zehn Meter vor mir zurück. Neben dem vollgepackten Schlitten, auf welchen bloß noch für mich Platz war, zog er seine dicke Jacke aus, seinen Schal, die Haube, Handschuhe, Hose, Pullover, Unterwäsche und Schuhe. Nackt und völlig ohne Schamgefühl stand er vor mir, frierend und schüttelte sich, damit seine Glieder nicht steif froren. Stumm und neugierig beobachtete ich ihn. Natürlich spannte ich nicht. Njal zog mich nicht einmal ansatzweise so sehr an, wie Gerard es tat.
Seltsam bedrückt dachte ich an Gerard, während Njal sich zu konzentrieren schien. Wie lange würde es nun wirklich dauern, bis er kommt? Und vor allem... würden wir einfach dort weitermachen, wo wir aufgehört haben? Einfach miteinander schlafen, die Tage vertrödeln und weiter miteinander schlafen? Das erschien mir nicht gerade die Art von Beziehung, die ich mir in ferner Zukunft mit irgendjemanden einmal wünsche.
Aber was sollte sonst aus Gerard und mir werden? Ein Traumpaar? Eines das zusammen Kinder groß zieht, sich liebevoll neckt, ich mache den Haushalt und er geht auf die Jagd.... Äh Menschenjagd, um Blut für uns zu sammeln? Oder umgekehrt? Nein... So ein Bild von Gerard und mir erschien mir ungefähr so realistisch, wie plötzlich mit Njal eine Familie zu gründen! Vollkommen abwegig!
Erschrocken verzog ich das Gesicht angewidert, als ich etwas knacksen hörte. Sofort wusste ich, dass es Knochen sein musste. Als mein Blick zu Njal zurückglitt, aus meinen Gedanken hinaus, bemerkte ich, dass die Verwandlung längst begonnen hatte. Fell spross ihm aus jeder Pore und überzog seine menschliche Haut. Seine Gliedmaßen wurden länger, kräftiger, sein Kiefer wuchs zu einer feuchten, gefährlichen Schnauze nach vorne und sein Rücken knickte plötzlich ein, als er auf seine Hände fiel. Mit einem schmerzerfüllten Schrei, glitten auch seine Finger und Zehen in einen völlig neuen Gang, während spitze große Ohren auf seinem fellbedeckten Kopf auftauchten.
Innerhalb einer Minute stand ein riesengroßer dunkelbrauner Wolf vor mir und schüttelte sein Fell auf, da der Schnee sich langsam auf ihm fing. Fast schon tänzelnd, als würde sich der Wolf über sein neues Aussehen freuen, kreiste er verspielt umher und steckte seine Schnauze in den knietiefen Schnee, auf welchen wir warteten.
Perplex sah ich zu, wie der Wolf nieste und eine winzige Schneewehe auslöste. „N-Njal?“ Fragte ich ungläubig. Der Wolf selbst, war mindestens doppelt so groß wie ein Mensch selbst! Nein, das war kein bisschen eines dieser >Gestalten< die ich im Keller, tief unter, der Erde des Schlosses gesehen habe. Nicht einmal ansatzweise!
Mit heraus hängender Zunge >grinste< der Wolf mich stolz an. Offenbar ist es wirklich Njal! „Das ist so... schräg!“ Blutsaugen, Menschen als Blutspender missbrauchen, missgestaltete Werwölfe im Keller halten... wieso dann nicht auch zusehen, wie aus einem alten Freund, ein aberwitziges, verspieltes Tier wurde? „Meine ganze Welt ist schräg!“ Murrte ich, während ich, immer noch erschütterte, die Gurte aufhob, welche auf dem Boden lagen und misstrauisch den Wolf betrachtete.
Erwartend stellte er sich seitlich hin, damit ich ihm das Geschirr überwerfen konnte. „Würde ich das filmen und verkaufen, würde ich unfassbar reich werden, weißt du das eigentlich?“ Schnatterte ich weiter, doch kam keinen Zentimeter näher an das riesige Tier heran.
Ich konnte schwören, dass der Wolf die Augen verdrehte und dann von selbst auf mich zu trottete. Ein argwöhnischer Schauder glitt über meinen Körper. Neben diesem Ding wirkt sogar ein Eisbär klein! Wie konnte so etwas bloß aus einem... so einem Menschen kommen... werden?
Winselnd stupste Njal mich mit seiner feuchten Nase an, er wollte mich auffordern, ihn anzuspannen. „Du bist riesig!“ Stieß ich, immer noch ungläubig, hervor. Dafür leckte er mir über die Jacke, was ich wiederum ekelhaft fand. „Igitt! Spar dir das!“ Fauchte ich und riss mich aus meiner panischen Starre. „Einfach nur...“ Murmelte ich vor mich hin, während ich überlegte, wie ich diesen dämlichen Gurt anbringen sollte. „Vielleicht wenn ich ihn um den Hals gebe?“ Einen Teil des Gurtes, bekam ich locker um den buschigen Hals, doch dafür musste ich ziemlich nahe an Njal gefährlichen Kiefer heran.
„Unglaublich! Ein Wolf muss ja für dich, wie ein Kauspielzeug sein!“ Stellte ich fest. Der Wolf murrte ungemütlich, offenbar gefielen ihm meine Worte nicht. Nur woran lag dies?
„Du bist zu dick. Wir hätten doch drei nehmen sollen.“ Beschwerte ich mich, als ich den restlichen Gurt, nicht um seinen massigen Bauch herum bekam. Mein Blick fiel auf Njals Schal. „Das sollte eigentlich...“ Noch bevor Njal sich umdrehen konnte, band ich auch schon den Schal um die Enden des Gurtes und zog es fest. Der riesige Wolf gab ein gequältes „Ffft...“ von sich, als ich ihm aus Versehen, den Gurt etwas zu fest zusammen zog.
„Hoppla.“ Als ich mir sicher war, dass der Gurt saß, betrachtete ich mein, mehr Improvisiertes, als Fachgerechtes, Werk. Halten sollte es hoffentlich die nächsten Kilometer, zumindest insofern wir nicht vorhaben, irgendwo hinunter zu fallen, oder uns auf einen Baum zu hängen.
Winselnd stieß Njal mir gegen den Ellenbogen und hob ihn an. Eine Aufforderung, ihn zu streicheln. Irrsinnigerweise... ließ ich mir das nicht zweimal sagen. Sein Fell war so weich und dicht, dass ich nicht einmal seine Haut finden konnte, selbst wenn ich sie gesucht hätte. Einen solchen Wolf zu beißen, ist schier unmöglich, für einen Vampir wie mich. „Sind wir deshalb Feinde, Njal?“ Fragte ich leise, doch sein Ohr zuckte zu mir und ich wusste, er hatte es gehört. Sanft legte er seinen großen Kopf an meinen Bauch und rieb sich daran. Mit meiner Kraft konnte ich einem solchen Werwolf vielleicht einige Knochen brechen, oder ihn erwürgen, doch dafür müsste ich so nahe an ihn heran, dass es ein Leichtes für ihn wäre, mich mit seinen langen, gefährlichen Kiefer zu zerfleischen. Ich musste zugeben... Jetzt verstand ich, wieso Werwölfe und Vampire verfeindet waren. Ein Mensch hatte keine Chance, weder gegen einen Vampir, noch gegen einen Werwolf. Aber diese beiden übernatürlichen Wesen... sie waren der Untergang des jeweilig anderen.
Bedrückt von dem Gedanken, hier meinem Erzfeind gegenüber zu stehen, der eigentlich mein bester und einziger Freund ist, legte ich meinen Oberkörper über Njals Kopf und kraulte ihn überall, wo ich hinkam. Der Werwolf lies es sich genüsslich gefallen. „Gib es zu. Du stehst darauf.“ Grinste ich, als sein Schweif begeistert anfing zu zucken.
Fast unmerklich nickte der Wolf.
„Okay, genug jetzt!“ Entschied ich, als der Wolf auch noch anfing, auf meinen Stiefel zu sabbern. Ich schob mich weg von dem riesigen Plüschhund und verband die beiden Leinen, an welche man normalerweise Schlittenhunde in einer Reihe anband. In diesem Fall benötigte ich ohnehin bloß einen. Selbst ein Rudel Löwen würden einen großen Bogen um dieses Ungetüm machen.
Als ich den Wolf mit dem Schlitten verbunden hatte, bekam ich einen liebevollen Schubs, in Richtung des Schlittens. Fluchend sammelte ich Njals Kleidung ein und stopfte sie in einen Rucksack, bevor ich mich unter eine Felldecke kuschelte. Mehr konnte ich nun ohnehin nicht tun. Der Rest blieb an Njal hängen. Nun musste ich darauf vertrauen, dass er den richtigen Weg finden würde, eine Spur, die uns dorthin führt, wo wir hin müssen... Hoffentlich bevor mir das Blut ausgeht.

 

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Der Schlitten stoppte abrupt... erneut. Nun lief Njal bereits seit einem Tag durch den kniehohen Schnee, keuchte vor sich hin und schien mit der Zeit sogar immer langsamer voranzukommen. Gerade als ich meinen Kopf unter der warmen Decke hervor hob, kamen wir an einer Gebirgskette vorbei, mit einem guten Blick über das Tal. „Lass uns rasten, Njal!“ Ich sprach in normaler Lautstärke, denn trotz des eisigen Windes, konnte der Wolf mich perfekt verstehen.
Kurz blieb er stehen und blickte fragend zu mir zurück.
Ich deutete auf die Gebirgskette. „Dort werden wir bestimmt einen Unterschlupf finden.“ Sein Blick glitt zu der Gebirgskette. Sichtlich erschöpft schnaufte der Wolf und setzte sich wieder in Bewegung. Njal tat mir richtig leid. Ich verstand, dass er bereits erschöpft ist und der Hunger plagte ihn zusätzlich. In all der Eile hatte ich überhaupt nicht daran gedacht, dass der Werwolf, ob Mensch, oder Tier, trotzdem etwas zu Essen benötigte, im Gegensatz zu mir.
Ein paar Stunden später, fand Njal eine Höhle, in welche er den Schlitten zog. Schnaufend warf sich der große Wolf auf den eiskalten Stein und streckte alle viere von sich. „Kann ich irgendetwas für dich tun?“
Seine müden Beine ruhig haltend, schüttelte er den massigen Kopf.
„Es tut mir leid Njal. Du hättest zuhause bleiben sollen.“ Ich hockte mich neben seinen Kopf, nachdem ich den Schlitten in eine hintere Ecke gezogen hatte, und kraulte ihn hinter dem Ohr.
Winselnd legte er seinen Kopf auf meine Beine und schloss die Augen. Grinsend vergrub ich meine kalten Finger in sein warmes Fell und umarmte ihn sanft. Irgendwie seltsam... Einen gigantischen Wolf knuddle ich, aber wenn Njal mich anfasst, finde ich das unangenehm... Und das, obwohl beide ein und dieselbe Person waren.
Ich fühlte wie seine raue, schlabbrige Zunge über meine Wange glitt. „Entschuldige.“ Offenbar hatte ich ihn zu fest gedrückt, was ich wirklich nicht wollte. Aber es fühlte sich so wohlig warm an, mich an ihn zu kuscheln. Es lies mich sogar schon fast meine Sorge um Gerard vergessen.
„Hast du dich in Island eigentlich oft verwandelt?“
Er schüttelte den Kopf und legte den Kopf zurück auf meine Beine. Dieses Mal, lag er, mit dem Blick in meine Richtung, wobei seine Nase sanft gegen meinen Bauch stieß. „Würdest du lieber als Wolf herum laufen?“
Er nickte erneut.
„Bist du deshalb mitgekommen? Um laufen zu können? Um öfters den Wolf in dir, vor die Haustüre zu setzen?“
Dafür kassierte ich einen nicht sonderlich begeisterten Blick, doch nickte der Wolf erneut.
Hoffentlich würde ich in der Zuflucht nun ebenfalls ein wenig >Normalität< finden können. Unter den Menschen hatte ich mich verstellen müssen, alle belügen, denn sie hätten es niemals verstanden. In Frankreich wiederum hatte man von mir erwartet, etwas zu sein, dass ich einfach nicht bin, oder sein möchte.
Ich bemerkte die Rückverwandlung überhaupt nicht, bis plötzlich das Gewicht von meinen Beinen gewichen war und mir keine Wolfsaugen mehr entgegen starrten. Stattdessen kniete Njal vor mir und blickte mich mitfühlend an. „Willst du mir nicht erzählen, wieso du weglaufen möchtest?“
Fragend zog ich die Augenbrauen hoch. „Was meinst du?“ Immerhin habe ich ihm alles erzählt. Njal kannte, so gut wie, jedes Detail darüber, was mir in Frankreich passiert ist.
Er kam auf die Beine und eilte, nackt, zum Schlitten, um seine Kleidung zu holen. „Ich rede über Gerard. Wird er denn überhaupt nachkommen? Oder redest du dir das bloß ein?“
Wütend sprang ich auf die Beine. „Was soll das heißen? Natürlich wird er kommen! Er hat es mir versprochen!“ Ein Fauchen glitt zwischen meinen Zähnen hervor.
Njal hielt inne und blickte mich vorwurfsvoll an. „So wie er dir versprochen hat, nach deinem Schlaf da zu sein? Oder so wie er versprochen hat, mit dir gemeinsam nach Grönland zu gehen?“
Ich verschränkte beleidigt die Arme vor dem Oberkörper. „Er wird kommen, Njal. Gerard will nicht bei diesem Ignoranten von König bleiben.“ Ich wusste das hundertmal besser als Njal mit seiner dämlichen Vampir-Werwolf-Fehde.
„Wenn du es sagst... aber würde er dich lieben, hätte er dich niemals in einer solchen Lage zurückgelassen. Ich habe es zumindest nicht getan!“
Mein Herz machte einen Sprung, als wäre gerade eben eine kleine Bombe darin geplatzt. Meine Lage... Irgendwo in einer Eiswüste, die mir mein Leben kosten würde, ohne Njal.
„Ich... Ich schätze, dafür habe ich mich noch überhaupt nicht bedankt, oder?“
Njal zuckte lediglich mit seinen nackten Schultern. Bisher hatte er sich nicht mehr eingekleidet, als bis zur Unterhose. Trotzdem stand er in der windstillen Höhle und zeigte mir seinen blanken Rücken. „Ich hatte keine Wahl, Isles. Dir nach Frankreich zu folgen, hätte keinen Sinn gemacht. Noch am Hafen hätten sie mich entsorgt, ohne dass du jemals etwas davon erfahren hättest. Aber... jetzt? Diese Reise hier ist anders.“ Allen vorausgesetzt, dass ich diese Reise freiwillig bestritten habe.
Sanft legte ich meine Handfläche auf seiner Schulter ab. Erschrocken drehte Njal sich um und blickte mir mit all seiner Liebe für mich, in die Augen. Eine Liebe, die ich in diesem Maße unmöglich erwidern konnte.
Njal streckte ebenfalls seine Hand aus und strich mit seinen warmen Fingerspitzen, über meine unterkühlte Wange. „Vielleicht liegt es an deiner Natur, dass du es nicht sehen möchtest. Aber ich werde nicht aufgeben, selbst wenn es bedeutet, dass dieser Arsch dich einfach hier zurücklässt, in Scherben und ich das reparieren muss.“
„Er wird kommen...“ Brummte ich, immer noch davon überzeugt, recht behalten zu werden.
„Du weißt, dass du jederzeit zu mir kannst. Egal um was es sich handelt. Ich will nicht, dass du mir irgendetwas verschweigst, ja?“
Ich nickte stumm und entzog mich seiner liebevollen Hand. Diese habe ich nämlich nicht verdient. Eine ordentlich Werwölfin, die ihn so hingebungsvoll liebte, wie er selbst es tat, das verdiente er. Eine Frau, die ihm Kinder, eine Zukunft schenkt. Keine Eiswüste...
„Riechst du das?“ Njal hob seine Nase in die Höhe und ging zum Eingang der Höhle zurück. Ich folgte ihm und starrte hinaus in das reinweiß.
„Was denn?“
Njal legte den Kopf schräg und knurrte aus tiefer Kehle. „Ein Wolf...“
Tatsächlich! Weit entfernt, lediglich wenn er sich bewegt, konnte ich einen kleinen Schemen von weißem Fell ausmachen. „Ich sehe mir das genauer an.“
Ich hielt ihn nicht auf, denn ich wusste, dass Njal keinerlei Gefahr drohte. Weder vor natürlichen Wölfen, noch vor Eisbären. Er fiel auf seine Vorderfüße, welche im Kontakt mit dem Schnee, zu kräftigen Pranken verwandelt waren, strich mit seinem Hinterkörper an mir entlang und hüpfte mit seinem auffällig dunklen Fell, direkt in die nächste Schneewehe, um sich zu tarnen.

 

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Mit blutverschmierten Maul, tapste der riesige Wolf, so leise, wie es im knirschenden Schnee möglich war, wieder in die Höhle. Er war gut zwei Stunden fort gewesen. Derweilen hatte ich es mir unter der dicken Felldecke im Schlitten gemütlich gemacht. Wenn ich schon nicht schlafen konnte, dann musste ich mir anderswie, die Zeit vertreiben. Natürlich blieben mir nicht viele Optionen und nachdem ich den Gurt für den Wolf verbessert hatte, wollte ich ohnehin nichts lieber, als mich unter dicken, warmen Decken zu verkriechen.
„Vampire schlafen also doch?“ Fragte Njal, nachdem er sich seine Kleidung angezogen hatte, und nahm neben meinen Füßen, auf dem Schlitten platz.
„Nein, ich versuche mir, mit Tagträumen, die Zeit zu vertreiben.“ Antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Schade, ich dachte schon, ich müsste dich aus deinem Schlaf wach küssen.“
Ich schmunzelte belustigt. „Dafür bist du einige Wochen zu spät dran, mein Lieber. Gehen wir weiter... also du?“
Ich öffnete meine Augen und Njal nickte bestimmend. „Musst du noch etwas trinken?“ Um seinen Mund und sein Kinn, konnte ich noch verschmiertes Blut sehen, was mir ein heißes Gefühl im Hals bescherte. Sparen, Isles! Ermahnte ich mich selbst.
„Nein, ich bin soweit.“ Mühsam musste ich mich aus den dicken Decken hervor schälen, dann verstaute ich Njals Kleidung, gurtete das Untier von Wolf vor meinen Schlitten und machte es mir wieder bequem. „Los Rudolf!“ Rief ich, woraufhin mich ein beinahe tödlicher Seitenblick traf.
Rasch vergrub ich mich unter der Decke und der Wolf lief los. Anfänglich beobachtete ich noch die Umgebung, doch da mein Gesicht zu schnell auskühlte, musste ich mich doch wieder völlig unter der Decke verstecken. Njal lief derweilen fleißig in einem gemütlichen Trab. Stunden, einen Tag, eineinhalb... Unermüdlich lief er voran, mit dem Schlitten hinter sich herziehend, während ich mich langweilte und immer schuldiger fühlte.
Wie sollte bloß Gerard hierher finden? Ich selbst war mir ja nicht einmal sicher, wo wir uns befanden, oder wohin unsere Reise uns führen sollte? Vielleicht fänden wir beide ja hier den Tod? Nun, ja zumindest ich, denn Njal konnte zweifelsohne für sich selbst sorgen.
Obwohl die letzten Tage recht angenehm, ruhig verlaufen waren, zog, von einer Stunde auf die Nächste, ein eisiger Sturm auf. Da wir nirgendwo eine brauchbare Höhle fanden, bauten wir uns den Schlitten, zum Schutz vor dem stärksten Wind auf, spannten mehrere Decken, mehr provisorisch, als fachgerecht auf, um uns zu schützen. Der weiche Wolf diente mir dabei, im kalten Schnee als eine Art Wärmespender, auf dem ich es mir gerne gemütlich machte.
Gedankenverloren kraulte ich den übergroßen Hund, wobei mein Geist sich kein bisschen darauf konzentrieren konnte. Die ganze Zeit dachte ich bloß daran, dass Gerard nicht hier ist. Mit ihm sollte ich dieses Unwetter aussitzen, mit ihm durch den Schnee reisen, auch wenn so ein Wolfsschlitten uns definitiv schneller voranbrachte. Und ich dachte daran, was da zwischen uns gewesen ist. Vor der Gedankenkontrolle, danach... besonders an danach. Kaum trennten wir uns voneinander, klebten wir zusammen, wie frisch verschweißt. Selbst jetzt sehnte ich mich nach nichts mehr, als bei ihm zu sein. Seine Nähe zu spüren, seinen Geruch, seinen einzigartigen Geschmack... oder dieses eine Lächeln! Ich schmunzelte und seufzte verliebt. Verdammt... dieser Mann ging mir wirklich nicht aus dem Sinn. Dabei lag ich im Moment auf einem viel einfacher gestrickten, einem der mir die Welt zu Füßen legte, mich durch eine Eiswüste schleppte und mir, ohne zu zögern, mitteilte, wie er für mich empfand.
Ein lecken über meiner Hand, rüttelte mich regelrecht aus meinen Gedanken. „Ist es schon vorbei?“ Der Wolf legte fragend den Kopf schräg. Offenbar wusste er es selbst nicht, was logisch war im Anbetracht der Tatsache, dass ich auf ihm lag und er schlecht nachsehen konnte. Da es jedoch mucksmäuschenstill geworden ist, riskierte ich einen Blick. Jedoch musst ich mich erst einmal durch einen halben Meter Schnee plagen.
Erleichtert seufzend, richtete ich den Schlitten wieder auf, grub die Koffern wieder aus und befüllte ihn erneut. Der Wolf schälte sich ebenfalls aus dem Schnee und schüttelte seinen Plüsch aus. Lachend hielt ich meine Hand schützend vor mein Gesicht. „Hör auf damit!“
Der Wolf wackelte begeistert mit seinem Schweif und schien mich anzugrinsen. Zumindest verzog er seine Lefzen und schenkte mir einen äußerst dümmlichen Gesichtsausdruck.
Der Wolf warf seine Vorderbeine tiefer in den Schnee und reckte seinen Hintern verspielt in die Höhe. Offenbar hatte der Herr wieder genug Energie. „Los Blitzen, spann dich besser wieder vor den Schlitten und verbrauch beim Laufen deine überschüssige Energie.“
Plötzlich knurrte Njal, jedoch keinesfalls auf die Gute weise. Falls es beim Knurren überhaupt eine gab. Ich war gerade dabei die Decken zu richten, also richtete ich mich wieder auf und folgte Njals angespannten Körper, dessen Schnauze als eine Art Pfeil diente.
Überrascht zog ich die Augen auf. Der Schnee besaß Augen! Noch während ich das dachte, konnte ich mich ohrfeigen. Wie dämlich das doch klang... aber es entsprach der Wahrheit. Mitten in einem Schneehaufen, viele Meter von uns entfernt, glühten zwei goldene Wolfsaugen, völlig ruhig und beobachtete uns. Langsam drehten sie die Augen etwas zur Seite, woraufhin eine dunkle, völlig schwarze Nase frei wurde, die eifrig schnupperte. Der Wolf stand so weit entfernt, dass ich nicht einmal sagen konnte, ob es sich um einen einfachen Polarwolf handelte, oder um einen Werwolf. Jedenfalls starrte er uns etwas zu neugierig an, was Njal ein bebendes Knurren entlockte.
„Ruhig...“ Meine Hand fand die, zum Sprung gespannte Flanke, des Wolfes und krallte sich in ein Stück Fell. Ich wusste, würde er los sprinten, konnte ich ihn nur zurückhalten, wenn ich ihm ein Stück herausriss. Und das wollte ich sogar. Nicht ihm ein Stück Fell ausreißen, sondern ihn zurückhalten. Etwas an diesem Wolf machte mich mehr, als nervös und ich wollte nichts lieber als fort davon. „Lass uns verschwinden.“ Ich zog streng an seinem Nackenhaar, doch der Wolf rührte sich nicht. „Njal!“ Zischte ich verärgert. „Ich denke, das ist ein Werwolf!“ Der Kopf des Wolfes zuckte in meine Richtung, in diesem Moment erhoben sich die goldgelben Augen ungefähr so hoch, wie Njal es selbst war. Vielleicht sogar etwas höher, ich vermutete, dass es auf einer Anhöhe stand. Jedenfalls drehten sich die großen Augen einfach weg und man sah nichts weiter als Schnee.
„Los, ich muss dich anspannen.“ Sichtlich ungeduldig, tänzelte der Werwolf vor dem Schlitten herum. Kaum hatte ich die Gurte an ihm dran, konnte ich gerade noch so aufspringen, dann sprintete er auch schon hinter dem Wolf her. „Hey! Mach mal langsam!“ Beschwerte ich mich, doch der Wolf zog mich und den Schlitten unbarmherzig hinter sich her. Hechelnd preschte er mit einer unangenehmen Geschwindigkeit durch die Schneelandschaft, bis ich schwören konnte, dass er überhaupt nicht mehr konnte. Das war ein Ding der Unmöglichkeit, doch gerade als ich beschloss, diesen Idioten zu einer Pause zu zwingen...
Ungläubig klappte mein Mund auf. Es war so etwas von offensichtlich, auch wenn ich keine einzige Person sah. Keine spielenden Kinder, keine Tiere, nichts das ein Anzeichen dafür war, dass diese Stelle vor kurzem noch belebt war. „Wir sind da!“ Neben der ersten Hütte kam Njal zum Stehen und ließ sich der Länge nach hinfallen. Erleichtert purzelte ich aus dem Schlitten und kam an seine Seite. Er war völlig erschöpft. „Njal? Wieso willst du auch nie hören?“ Fauchte ich und spürte mehr, als dass ich sah, wie sich uns jemand näherte. Aber nicht langsam. Die Bewegung kam plötzlich aus allen Richtungen und ich war mir nicht ganz sicher, ob es fünf Gleichaltrige sind, oder einfach bloß ein extrem schneller Vampir.
Fauchend baute ich mich über Njal auf, damit er ihm ja nicht zu nahe kam, doch der Vampir, wann immer mein Blick ihn beinahe zu fassen bekam, sprintete einfach um uns herum. Er hatte keinen bestimmten Rhythmus und versteckte sich niemals an ein und derselben Stelle, doch entfernte sich auch nicht, oder kam näher.
„Was hast du vor? Bist du ein Kreisel, oder so?“ Ich wusste zwar nicht, ob der Vampir Isländisch sprach, aber das war mir egal.
Plötzlich zischte der Vampir viel näher an mir vorbei, doch ich sah nicht mehr, als eine braune Winterjacke. Ich fauchte ihm wütend hinterher, oder ihr. Während sich der Vampir wieder etwas entfernte, griff ich nach Njals Gurt und entfernte ihn. Erschöpft und bebend lag er unter mir. Die letzten Stunden hatte er sich vollkommen ausgepowert. Generell hatte er in den letzten zwei Tagen nicht viel gegessen, doch was verstand ich schon von der Werwolfverdauung?
„Was hofft ihr beide, hier zu finden?“ Es war die Stimme eines kleinen Jungen, der mich einen Satz rückwärts machen ließ. Er stand, wie aus dem Nichts vor mir und hockte sich vor Njal, der mahnend nach ihm schnappte. Das beeindruckte den Kleinen kein bisschen.
„Ein Zuhause.“ Antwortete ich wahrheitsgemäß. Menschenkinder sind ja okay, aber Vampire die idiotisch um mich herum sausen, konnte ich aus Prinzip nicht leiden. Wenigstens schien dieser >Flash< endlich verschwunden zu sein.
„Wie alt seid ihr?“
„Ich bin Zwanzig... Also, drei Jahre und er... ein alter Mann.“ Der Wolf knurrte unter mir, doch das beeindruckte mich genauso wenig.
„Ihr habt den Schneesturm scheinbar gut überstanden?“ Ich nickte. Wieso wechselte er einfach das Thema? „Dann wird Mama gleich hier sein.“
Sichtlich belanglos, schlenderte das Kind, ich schätzte ihn auf acht, oder sieben Jahre, einfach davon und begann mit einem Eisballen zu kicken. „Willst du dich umziehen?“ Fragte ich Njal, der erschöpft nickte.
Insgesamt erkannte ich fünf Hütten. Sie schienen nicht wirklich in einem System angelegt zu sein, doch alle richteten sich nach Norden, zu den Bergen hin. Welche es waren, konnte ich überhaupt nicht mehr sagen, dafür hatten wir einfach zu viele passiert.
„Dieser Wolf... Er war so groß!“ Njal stand plötzlich splitterfasernackt hinter mir und nahm mir seine Kleidung ab. Dass er mich erschreckt hatte, bemerkte er nicht einmal.
„Wolf?“ Fragte ich irritiert.
„Der weiße.“
„Der stand bestimmt auf einem Hügel, oder so.“ Verwarf ich diesen Gedanken rasch wieder. Njal zuckte mit den Schultern, während er eilig den Pullover überzog und sich neugierig umsah. „Was hälst du von alldem?“
Ich betrachtete meinerseits die dunklen Hütten und die Straßen, welche erst wieder frei gemacht werden mussten. „Der Junge wirkte nett...“ Mehr konnte ich nicht dazu sagen.
Kaum waren meine Worte aus dem Mund, öffneten sich mehrere Türen und Gesichter aus allen Lebensphasen und Kontinenten traten einheitlich heraus. Neugierig bildeten sie einen Halbkreis, bis auf die Kinder, die zu dem älteren Jungen liefen, um mit ihm zu spielen. Es waren fünf insgesamt, der Rest schien aus Erwachsenen und jugendlichen, beinahe-Erwachsenen.
„Ich bin Isles Skylander, das ist mein alter Freund Njal Einarson. Wir sind gekommen, in der Hoffnung einen ruhigen Ort zu finden.“
Irgendjemand in der Gruppe lachte, als hätte ich einen Witz gemacht, doch ich erkannte nicht, wer es gesagt hatte. „Seit ihr Leute, die kommen und ärger bringen? Oder Leute, die mit Ausreden kommen und irgendwann wieder abreisen?“
Ich wusste auch nicht, wer das sagte, nicht einmal, welchem Geschlecht diese Stimme angehörte, doch sie klang, als wäre sie hinter uns.
Weder Njal, noch ich drehten sich um. „Weder noch. Oder viel mehr, ein bisschen von beidem. Ich habe viel Ärger erfahren, bin mit Njal hierher gekommen und hoffe, keine Ausreden zu benötigen, um hierbleiben zu dürfen.“
Njal legte seinen Arm schützend um mich, als wolle er der Gruppe aus dreißig Menschen... Vampiren und Werwölfen, damit zeigen, dass ich ihm gehörte. Oder zumindest, dass es uns bloß im Doppelpack gab.
„Wie habt ihr hierher gefunden?“
Nun antwortete Njal. „Durch Kontakte, die Geschichten gehört haben. Schlussendlich irrten wir drei Tage durch den Schnee in der Nähe der Berge. Ein weißer Werwolf lotste mich schlussendlich hierher.“
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie eine weibliche, rundliche Gestalt an uns vorbei marschierte und mit ihrem erhobenen Blick, jeden Zentimeter von uns auskundschaftete. „Ihr reist mit wenig Gepäck, für Auswanderer.“
„Wir hatten auch nicht viel, an dem wir gehangen haben. Außerdem erleichterte es den Transport.“
„Ihr lauft also vor einer Bedrohung fort.“ Keine Frage, eine Feststellung. Die Frau wusste offensichtlich ganz genau, welche Art von Menschen es hierher verschlug. „Jemand ist hinter mir her, ja. Jemand den ich niemals wieder sehen möchte. Njal hat mich begleitet, er gab sein Rudel auf und seine Stellung, um mich hierher zu führen.“
Die Frau blieb stehen und schnupperte in der Luft. Ich tippte bei ihr auf einen Werwolf. „Läufst du vor dem Vater fort?“
Ich verdrehte die Augen. „Ja. Er hat mich manipuliert, missbraucht, gefoltert und ausgenutzt. Außerdem dachte er, ich könne eine hübsche Königin für sein Reich repräsentieren.“ Ich schnaubte verächtlich. „Dafür habe ich ihn mit Essig übergossen und geköpft.“
Mehrere Stimmen verrieten mir, dass sie diese Aktion mehr als lustig fanden, andere wiederum schienen es nicht ganz so ansprechend zu sehen. Verständlich, doch sie kannte alle meinen >Vater<, meinen Erschaffer nicht.
„Ein weiterer Vampir wird uns womöglich folgen. Ein arroganter...“ Ich trat Njal auf die Zehen, woraufhin er schmerzhaft aufjaulte.
„Gerard, mein... Ma... Dieser Idiot, der mich gezeichnet hat, wird uns folgen.“ Zum Teufel mit mir, wollte ich gerade wirklich >mein Mann< sagen? So weit waren wir in den nächsten hundert Jahren nicht! Bloß über meine kalte, verwesende, stinkende Leiche!
„Du hast also einen Mann.“ Stellte die Frau fest, sie war kaum größer, als eins sechzig, doch mit ihrer bloßen Ausstrahlung wirkte sie, wie die Chefin dieser Ansammlung.
„Er ist ganz bestimmt nicht mein Mann... auch wenn wir uns Markiert haben, hat das nichts für uns zu bedeuten.“
Njal schnaufte, doch wich aus, bevor ich ihn boxen konnte. „Es wäre wirklich sehr wünschenswert, wenn ihr noch ein Zimmer für uns frei hättet.“
„Ihr möchtet wirklich hierbleiben?“ Fragte die Frau erneut, vermutlich um sicherzugehen, dass wir auch überzeugt waren, hierbleiben zu wollen.
„Wir können nicht zurück. Weder nach Island, noch weniger nach Frankreich. Es steht kurz vor einem Krieg mit den anderen Vampirclans.“
Jetzt raunten alle und sogar die ältere Frau, mit ihren grauen Strähnen, drehte sich zu ihrer Gruppe um, um mit ihnen in einer Sprache etwas zu besprechen, was ich nicht verstand.
„Ein Krieg ist immer gut.“ Stellte ein gebeugter Vampir fest. Ich wusste nicht einmal, dass es Menschen gab, die sogar im höheren Alter verwandelt wurden. Zumindest hatte ich im Schloss Tobonneau niemals einen gesehen.
„Großväterchen hat recht.“ Stimmte eine ebenso ältere Frau zu, sie schien jedoch ein Werwolf zu sein, zumindest glühten ihre Augen vor Aufregung. „Wenn es Krieg gibt, können wir unsere Zügel in nächster Zeit lockerer spannen.“ Danach sprachen sie wieder irgendeinen Kauderwelsch, woraufhin sich mehr als die Hälfte der Gruppe auflöste.
„Entschuldigt, bitte.“ Die Chefin trat auf Njal und mich zu und deutete uns, ihr zu folgen. „Vorerst haben wir bloß eine Hütte, doch wir bauen immer eine neue, wenn wir Zugang haben. Ich hoffe, euch stört es nicht, euch derzeit ein Haus zu teilen?“
Ich schnappte mir das Ende des Hundegurtes und zerrte den schweren Schlitten, im niedergetrampelten Schnee hinter mir her, als wäre es ein Luftballon. „Nein, es ist kein Problem. Aber in drei, bis vier Monaten kommt Gerard, dann sollte... Njal besser sein eigenes Haus haben.“
„Wenn er mithilft eines zu bauen, dann werden wir rasch fertig.“ Stellte sie fest und steuerte die einzige Hütte an, aus dessen Fenster kein Licht drang. „Bitteschön.“ Sie deutete kurz auf die Türe, dann verschwand sie auch schon. Ich starrte Njal fragend an. Dieser zuckte mit den Schultern, ging die alte Eisentreppe hoch, welche bedrohlich knarrte und versuchte die Türe zu öffnen. Sie brauchte einen zusätzlichen >Schubs< um endlich aufzugehen, da sie am Fußboden festgefroren war.
„Sieht... gemütlich aus.“ Stellte Njal fest, nachdem er den Stromschalter, welcher sich direkt neben der Eingangstüre befand, hinaufgedrückt hatte und sämtliche Lichter ansprangen.
Ich folgte Njal mit zwei Koffern. „Du meinst klein, oder?“ Korrigierte ich, doch wollte mich eigentlich überhaupt nicht beschweren. Die Holzhütten machten von außen nicht besonders viel her. Sie schienen wetterfest und vor allem wetterresistent zu sein, doch waren dafür auch nicht sonderlich groß.
„Es reicht doch.“ Meinte er sachlich.
Aber Njal hatte recht. Es befand sich eine Küche hier, ein kleiner Kühlschrank, ein Doppelbett, das erst noch bezogen werden musste, das Badezimmer befand sich in einem separaten Raum und ein alter Computer, der auch schon bessere Zeiten gesehen hatte, stand wie Abfall in einer Ecke. „Für dich auf jeden Fall. Für mich zählt bloß, dass es warm ist. Ich werde mit Gerard später ein eigenes Haus nehmen, du kannst es behalten.“
Njal murrte etwas und klang beleidigt, doch ich ging nicht darauf ein, während ich auspackte. Irgendwie war es schräg... Ich stand hier, mitten in einer Eiswüste auf Grönland, neben einem Werwolf, inmitten eines Dorfes voller Werwölfe und Vampire, die zusammen lebten, Kinder hatten und sich gegenseitig halfen. Wieso hatte es in Frankreich nicht auch so sein können? „Fühlst du dich nicht gut?“
Ich verzog das Gesicht und rieb mir über den Magen. Um ehrlich zu sein, hatte ich tatsächlich eine Art >flaues Gefühl< im Magen. Schon seit wir in die Nähe des Dorfes gekommen sind und dessen Gerüche mir in die Nase gestiegen sind. „Es sind die Gerüche.“ Murrte ich.
„Vielleicht hast du Hunger?“
Klang logisch... zumindest, wenn ich ein Mensch wäre. „Hätte ich das, würde ich es in meinem Hals fühlen.“ Belehrte ich Njal. Ich hörte, wie hinter mir ein Koffer zu Boden fiel und spürte gleichzeitig Njals bohrenden Blick in meinem Rücken. „Willst du denn nicht endlich...“ Er wurde jäh von einem wilden Klopfen unterbrochen. Sich die Nasenwurzel reibend, öffnete er die Türe, während ich an der Heizung herumdrehte.
„Wie heißt ihr?“ Kam es von einer kindlichen Stimme, welche mich schmunzeln ließ. Offenbar ein Mädchen, das nicht um den heißen Brei herum redete. „Ich bin Njal und das ist Isles.“ Ein Mädchen, scheinbar nicht älter als zehn Jahre, streckte ihre Nase in das Haus.
„Ist sie deine Freundin?“ Fragte sie dann und grinste mich breit an.
„Sie ist leider bloß >eine< Freundin. Aber eine sehr, sehr Wichtige, für mich.“ Erklärte er genauso unverschämt.
„Njal!“ Zischte ich tadelnd. Wieso musste er seine Gefühlswelt, die sich nebenbei bemerkt, auch noch um mich drehte, der ganzen Welt bekannt geben?
„Mama sagt, ihr seid zu dritt gekommen. Ich soll auch sagen, wenn ihr etwas braucht, dann könnt ihr unsere alte Kleidung bekommen. Keine Sorge, sie sind sauber. Auch Tipps kann sie geben, auch wenn sie sich mit Vampiren nicht so auskennt.“
Njal schob die Kleine aus der Türe hinaus, während ich neugierig versuchte zu lauschen. Hatte das kleine Mädchen etwa den Wolf gesehen, dem Njal so hinterher gehetzt war?
Es dauerte keine zehn Sekunden, dann knallte Njal die Türe hinter sich zu und lächelte mich entschuldigend an. „Verzeih, die Nase von Werwölfen... ist speziell. Wir riechen so gut wie alles.“
„Hat sie dir wenigstens sagen können, wer der Wolf war? Ich würde mich gern bei ihm, oder ihr bedanken.“
Njal klappte der Mund für einen Moment auf, dann schloss er ihn wieder. Mit hochgezogenen Augenbrauen, wartete ich, dass er etwas dazu sagte, doch räusperte er sich bloß und schien mit sich zu ringen. „Was denn? Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Wäre auch nicht sonderlich unüblich für mich.
„Isles... Du weißt, dass Wölfe alles riechen, oder?“
Ich nickte bestätigend. Ihre Nasen waren anscheinend sogar noch feiner, als die von Vampiren, was ich bemerkenswert fand. Außer es ging um Blut... bei Blut schlugen wir alle Rekorde. „Wirklich >alles<!“ mit seinen Worten schien er mir etwas deuten zu wollen, doch wusste bisher noch immer nicht, was genau das sein sollte.
„Willst du jetzt damit angeben, oder...“
„Nein! Du hörst mir nicht zu, Isles.“ Ich seufzte gereizt.
„Njal... ich weiß wirklich nicht, worauf du hinaus willst. Sei noch etwas Kryptischer und du kannst gleich in Blindenschrift mit mir sprechen.“Ich wusste ja selbst, dass dies keinen Sinn ergab, aber ich fühlte mich zu unwohl, um kreativ zu sein.
„Mit Blindenschrift schreibt und ließt man, die spricht man nicht!“ Knurrte Njal. Das wusste ich... es ging mir ums Prinzip! „Okay, ich lasse dich heute noch damit in Ruhe. Ganz wie du willst. Aber spätestens, wenn wir uns hier etwas eingelebt haben, werden wir uns etwas für dich überlegen müssen.“ Damit stampfte er wütend aus der Hütte. Jedoch kam er nach einem Augenblick wieder zurück, schnappte sich seinen Schal, seine Mütze und Jacke, dann verschwand er erneut.
„Was?“ Fragte ich in den leeren Raum hinein. Sprach er etwas über ihn und mich? Ich hatte ihm doch deutlich gemacht, dass ich an so einer Art von Beziehung kein bisschen interessiert bin. Nicht mit ihm... Kopfschüttelnd ließ ich vom Heizstrahler ab, welcher bereits heiß wurde und kümmerte mich, um die achtlos daliegenden, noch feuchten Koffer. Mal nachsehen, was mir an Nahrung übrig geblieben ist.

 

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Tatsächlich blieben mir noch eineinhalb Flaschen, also hatte ich bis morgen Zeit, mir etwas Neues zu besorgen. Vor Ekel verzog ich das Gesicht. Es war bereits teilweise geronnen und schmeckte... einfach grässlich, auch wenn es seinen Zweck zweifellos erfüllte.
Da ich mich einsam fühlte und gerne mit Njal über das eben geschehene sprechen wollte, außerdem war ich neugierig auf die kleine Siedlung, packte ich mich fest ein und ging hinaus in die eisige Kälte. Drei Wolfsjungen mit blassgrauem Fell sprangen zwischen zwei Häuser herum und schienen sich auch nicht beirren zu lassen, als ich sie erstaunt anstarrte. Hier gingen alle recht freizügig mit ihrer Herkunft um! So etwas hätte ich nicht erwartet. Aber was sonst? Immerhin ist das hier eine freie Siedlung. Hier sollte man sich in Sicherheit wiegen, der sein, der man sein möchte. Trotzdem überraschte es mich, als ich zwei Vampire, in der Nähe der Siedlungsmitte an einer Feuerstelle vorfand, die anscheinend über die Wolfsjungen sprachen und ihnen dann sogar einen Ball warfen.
Der Ball prallte ab und kugelte bis vor meine Füße, die drei stürmischen Wolfsjungen hinterher! Gerade noch rechtzeitig, konnte ich zur Seite springen, mit einem kleinen Aufschrei auf den Lippen, bevor die drei übereinander purzelten und sich an der Stelle, an welcher ich eben gestanden hatten, um den Ball prügelten. Knurrend schlugen sie nacheinander, oder kniffen sich in empfindliche Gegenden.
„Beim Allmächtigen! Kinder, benehmt euch, oder habt wenigstens etwas Rücksicht!“ Kam es von einer Vampirin, streng.
„Schon gut!“ Versicherte ich ihr und umrundete die kleinen Teufelsbraten, während ich auf sie zuging.
„Du bist Isles, richtig?“ Die Afrikanerin, deren Hautton um einiges blasser war, als gut für sie wäre, lächelte mich unter ihrer Kapuze hervor, breit an.
„Ja.“ Bestätigte ich.
„Mala, das ist mein Mann Thomas.“ Stellte sie einen anderen Vampir vor, der sich nicht ganz so alt anfühlte, wie sie.
„Hallo, Isles.“ Grüßte er mich ebenso höflich, doch lächelte nicht ganz so breit. Er wirkte eher schüchtern, auch wenn er sich Mühe, gab, es nicht zu zeigen. „Schön euch beide kennenzulernen. Darf... ich mich setzen?“
Beide nickten und deutete auf den freien Platz neben sich. Ich bekam sogar eine Decke. „Und, wie gefällt dir deine Hütte?“ Fragte Mala.
„Recht klein, aber mehr brauche ich wohl kaum zum Leben.“ Scherzte ich, auf meinen untoten Körper deutend.
„Ja, die Küche ist etwas überflüssig, nicht wahr?“
Ich nickte. „Aber Njal kann sie brauchen.“
„Ist Njal dein Gefährte?“ Fragte Thomas nach, wofür er einen Seitenhieb seiner Frau kassierte.
„Thomas! Offensichtlich nicht, sie trägt eine Markierung hast du etwa nicht zugehört?“
Meine behandschuhte Hand, schnellte an meine Lippe. Mir war überhaupt nicht aufgefallen, dass sie blutete, doch jetzt konnte ich einen Tropfen Blut von mir selbst schmecken. „Oh... das hat sie noch nie getan.“
„Das kommt daher, dass ihr so weit voneinander getrennt seid. Aber keine Sorge, dafür wird die Wiedersehensfreude umso besser.“ Zwinkerte sie, während Thomas neben ihr, sichtlich verlegen wurde und seinen Schal höher zog.
„Da wird es nicht viel >Wiedersehensfreude< geben. Er ist bloß ein Typ, der mich markiert hat. Mehr ist zwischen uns nicht.“ Beharrte ich stur.
„Uh, also habt ihr euch noch nicht akzeptiert? Dann wird es ja endlich einmal spannend in diesem Kaff.“ Dafür kassierte Mala einen Seitenhieb von ihrem Mann, doch ich lachte bloß.
„Scheint nicht so, als würdet ihr häufig Besuch bekommen.“
Mala schüttelte den Kopf, doch Thomas antwortete. „Selten, leider. Vielleicht alle hundert Jahre einmal. Aber meist sind wir für uns.“
Das überraschte mich nun doch etwas mehr! „Aber... wie macht ihr das dann mit der Ernährung?“
Es war eine andere, Männliche, Stimme, die mir die Antwort gab, während er sich setzte. „Wir Wölfe jagen Tiere in der Gegend. Das Blut überlassen wir den Vampiren und den Rest bekommen sie von uns, oder einmal im Monat, wenn Spender kommen, die uns auch Nahrungsmittel und Arznei bringen.“
Also gab es hier doch Kontakt zur Außenwelt. Hoffentlich würde Gerard ebenso sicher herfinden. Doch konnte er drei Tage, vermutlich mehr, durch den kalten Schnee warten, durch Stürme und Eis? Ohne einen Führer, oder eine gute Spürnase, wie Njal sie besaß? Jetzt machte ich mir doch große Sorgen. Was wäre, wenn er es nicht schafft?
„Und... wie sieht der Alltag aus? Kann ich mich auch irgendwie beteiligen?“ Ich bin ein typischer Mensch, der immer etwas zu tun brauchte.
„Natürlich, während die Wölfe jagen gehen, kümmern wir Vampire uns um die Kinder, oder sorgen auch für den Unterricht. Morgen früh kannst du gerne vorbeischauen!“ Schlug Mala begeistert vor.
„Wenn du Blut brauchst, kannst du es dir aus dem Kühlzelt holen.“ Fügte Thomas an. Offenbar war er der Einzige, der gemerkt hatte, worauf ich anspielte.
„Einfach... so?“ Fragte ich?
Er nickte. „Es gibt ein Klemmbrett, wo du aufschreibst, was du dir genommen hast, so wie wir alle anderen auch.“
„Und es ist... Mischblut aus Mensch, Tier und Werwolf?“ Hakte ich neugierig nach. „Aus allem, was wir finden konnten. Ich nehme an, du hattest noch kein Wolfsblut? Dann haben wir auch...“
Ich hob abwehrend die Hände. „Nein, nein! Mein... Erschaffer hat mich auf Island ausgesetzt. Ich trank Werwolfblut, ohne es zu wissen, und das zwei Jahre lang...“
„Du hast dich von Werwölfen ernährt?“ Fragte der Werwolf neben mir schockiert.
„Nicht, wie du denkst. Ich habe mich über Blutbeutel ernährt. In Island gibt es menschliche Werwölfe, die ich in der Bar auf die Toiletten führte, bezirzte und... ihnen mit einer Nadel etwas Blut abnahm. Der Rest kam teilweise von Blutspendern, da ich Ärztin werden wollte.“ Es war mir fürchterlich peinlich über diese dunkle Vergangenheit von mir zu sprechen, doch immer noch besser, als die menschlichen Blutbeutel in Frankreich!
„Moment... wie alt bist du?“ Alle Blicke lagen auf mir, sogar die, der Wolfsjungen, die zweifellos gelauscht hatten.
Verlegen knetete ich meine Finger. „Zwe... Bereits drei.“ Korrigierte ich mich, denn immerhin hatte ich ein ganzes Jahr geschlafen. Obwohl... nein, ich bin sogar fast vier. „Eigentlich bald vier, in einigen Tagen, oder Wochen.“ Ich wusste nicht einmal, welchen Tag wir heute hatten. Blöde Reise und Flucht!
„Du meinst, seit du kein Jungvampir mehr bist?“ Fragte Thomas ungläubig nach. Ich schüttelte langsam den Kopf. „Nein, seit meiner Verwandlung in einen Vampir.“
Diese Antwort sorgte für einstimmiges Schweigen.

 

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An diesem Tag wurde ich öfters als einmal auf meine >Andersartigkeit< angesprochen, doch alle waren sich sicher, dass es daran lag, dass ich mich großteils von menschlichen Werwölfen ernährt hatte.
Irgendwann, kurz bevor die Sonne, sehr früh unterging, setzte sich Njal neben mich und legte sogar seinen Arm um mich, um mich zu wärmen. Dankbar kuschelte ich mich an. „Du sorgst, egal wo du hingehst, für Aufregung.“ Spottete er und starrte gebannt in die Flammen.
Ich tat es ihm gleich. „Glaubst du, sie... haben Angst vor mir und werden mich raus werfen?“
Njals Lippen streiften meine Wange. „Sei nicht albern. Jeder der dich kennt, wird dich lieben. Wenn nicht, sorge ich dafür.“
Schmunzelnd drückte ich sein Gesicht weg. „Du hattest schon wieder Bier, oder so etwas!“ Murrte ich angeekelt von seinem Mundgeruch. Eigentlich sollte ich alkoholisierte Menschen gewohnt sein, doch fand es nach all der Arbeit immer noch stechend und unangenehm.
„Nur damit ich besser schlafen kann.“ Kicherte er und nun hörte ich auch seinen Alkoholpegel heraus.
„Los, geh ins Bett.“ Ich zog Njal mit mir hoch und führte ihn in unsere Hütte. Während Njal sich umzog, ging ich ins Bad, denn auf eine heiße Dusche hatte ich nun so wirklich richtig Lust bekommen. Dann ging Njal duschen, bevor er direkt ins Bett fiel und einschlief. Ich verbrachte die Nacht damit, abwechselnd durch die Siedlung zu schlendern, oder kümmerte mich um den alten Computer. Irgendwie musste ich den doch zum Laufen bekommen! Ehrlich! Was würde ich für ein wenig Internet tun!
„Hm...“ Ertönte ein lang gezogenes Seufzen. „Ich habe echt... seltsam geträumt.“ Njal murmelte in sein Polster, doch ich verstand ihn perfekt.
„Zufällig von einer heißen Werwölfin?“ Kicherte ich frech. Er warf mir einen empörten Seitenblick zu.
„Natürlich nicht!“ Beschwerte er sich. Ich zuckte bloß mit den Schultern. Ich musste es doch versuchen, oder? „Eher von einer kleinen Siedlung, die von Werwölfen und Vampiren bewohnt wird.“
Ich blickte über den aufgeschraubten Rechner hinweg. „Brauchst du Kaffee?“
Njal schnaubte, doch nickte. Ich machte mich daran etwas Kaffee aufzusetzen, dann platzierte ich mich wieder vor dem Rechner. Ich hatte ihn so gut wie in alle Einzelteile zerlegen müssen, so verstaubt war dieses alte Teil. Irgendjemand schien es sogar bereits auf zu motzen, versucht zu haben, doch scheinbar erfolglos.
„Was machst du da?“
„Kontakt zur Außenwelt suchen.“ Grinste ich.
„Willst du nicht viel lieber Kontakt zu mir suchen?“ Erneut blickte ich über den alten Rechner hinweg zu Njal, welcher mir auffordernd die Arme entgegen streckte. Es war so heiß im Raum, dass er sogar schon zu schwitzen begonnen hatte und seine Decke, zerknüllt am Boden lag, doch für mich war es perfekt temperiert.
„Bloß über meine kalte, erstarrte Leiche.“ Murrte ich.
Njal grinste nun seinerseits frech. „Dein eineinhalbjähriger Schlaf zählt, also beweg deinen süßen Hintern hierher.“ Statt zu ihm zu gehen, warf ich einen schweren Schraubenzieher nach ihm, welcher sich in das Holzgestell des Bettes, Zentimeter über seinem Kopf bohrte. Mit dem stumpfen Ende jedoch!
„Frauen am morgen! Fast noch zickiger, als ich ohne Kaffee.“ Das schien das Stichwort für die Kaffeemaschine zu sein, denn sie piepste auffordernd und Njal bequemte sich aus dem Bett, um sich eine frische Tasse zu holen. Er trank ihn immer schwarz. „Hast du daran die ganze Nacht gearbeitet?“
Ich schüttelte den Kopf und wünschte meinen Schraubenzieher wieder zu mir, doch funktionierten meine telekinetischen Fähigkeiten wohl derzeit nicht. Außer Betrieb, wie dieser alte Computer. Wenn ich bloß ein paar Spiele spielen könnte! Ich würde fast alles dafür geben! „Zwischendurch war ich draußen spazieren, mir Nahrung besorgen, wieder spazieren... Ach! Werkzeug habe ich außerdem ebenfalls gesucht.“
„Dein neues Hobby?“
Mein Blick glitt hoch zu Njal. „Lieber würde ich meine medizinischen Fähigkeiten erweitern.“
Njal lehnte sich hinter mich, auf die Stuhllehne und schmiegte, für einen Moment, seine Wange an meinen Hinterkopf. „Du wusstest doch, dass wenn du hierher kommst, du alles zurücklässt. Wirklich alles, Isles! Sämtliche Bequemlichkeiten, deine Vergangenheit, die ganze moderne Welt!“
Ich stieß ein tiefes Seufzen aus. „Ich weiß, Njal.“
Bei meiner kleinen Suche, nach der Schule, wenig später, stellte ich fest, dass die Werwölfe hier gerade einmal das hatten, was sie zum Leben benötigten und kein bisschen mehr. Das Holz schlugen die Vampire viele Kilometer, an einem alten Wald, kurz vor Kanada, die Werwölfe schleppten das Holz zur Siedlung und diejenigen, die übrig blieben, schienen das Holz zu verarbeiten. Vor allem die Vampire jedoch, da für sie das Sägen unheimlich schnell ging.
Njal erklärte mir außerdem, dass sie das Holz nicht nur zum Verbrennen holten, sondern auch, um eine neue Hütte zu bauen. Natürlich wollte ich sofort helfen, immerhin würde sie für Gerard und mich sein, doch wurde ich sofort abgewimmelt, mit der Begründung, dass ich in der Schule viel nützlicher sei derzeit. Da hatten sie jedoch nicht ganz unrecht... Immerhin verstand ich vom Hausbau kein bisschen!
Fündig wurde ich, etwas von der Siedlung entfernt, wo Werwölfe in ihrer tierischen Gestalt saßen und neugierig ihrer Lehrerin, einem Vampir, lauschten. Es war Mala, wie ich erkannte, als ich näher kam. Sie erzählte den sieben Kindern, welche hier saßen, gerade etwas über die Kontinente, wenn ich sie richtig verstanden hatte.
„Oh, hallo Isles!“ Sie strahlte, als sie mich sah. „Du hast die Kleinkinder knapp verpasst.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Was für ein Pech!“ Der Sarkasmus war aus meiner Stimme gut zu erkennen. „Wieso lernt ihr hier draußen?“
„Weil ich dann mit den kleinen Wölfchen laufen gehe, um ihre Ausdauer zu fördern.“ Ich gab einen verstehenden Laut von mir. „Und das machst du freiwillig?“
„Eine der wenigen Beschäftigungen hier.“ Stimmte sie mir grinsend bei. „Du wirst dich an die Ruhe hier gewöhnen, so wie wir alle.“
Ja.... bestimmt... Seufzend kniete ich mich hinter die Kinder und lauschte dem kurzen Unterricht. Als Mala die Kinder zu einem Wettrennen anspornte, zwei Runden um die Siedlung, konnte sie sich wieder Zeit für mich nehmen.
„Die Knirpse sind süß, nicht wahr?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Auf jeden Fall, nicht mein Ding. Ich würde viel lieber mein Glück beim Hausbau versuchen, doch die lassen mich nicht einmal in die Nähe.“
Mala lachte, als hätte ich einen Witz gemacht. „Das wundert dich auch noch? Du musst dich ab jetzt schonen, Kleines. Die Reise hierher alleine, war schon Risiko genug.“
Fragend starrte ich Mala an. „Also so anstrengend war es auch nicht. Ich bin immerhin bloß in einem Schlitten gesessen und habe mich ziehen lassen.“
„Trotzdem, der Umzugsstress, die Sorgen, deine Rationierung der Nahrung und so weiter... das setzt nicht bloß dir zu.“
Okay... Jetzt hatte ich wirklich das Gefühl, als würden wir aneinander vorbei sprechen. Kennt jemand dieses Gefühl? Ihr sprecht über die exakt selbe Sache, doch meint jeweils etwas völlig anderes? Ein seltsames Gefühl... „Meinst du Njal? Ich weiß, er hatte am meisten zu leiden unter der Reise...“
„Was? Nein! Himmel, ich rede doch von deinem Baby.“
Für einen Moment schien die Welt stehen zu bleiben, als ich in Malas Gesicht, welches dick eingepackt war, in mehrere Lagen Hauben und Jacken, eine Andeutung zu einem Witz suchte. Leider kam selbst nach einer Minute keine Regung in diese Richtung. Kein Heben der Mundwinkel, kein belustigtes Funkeln ihrer Augen... Bloß, reiner Ernst. Und das gefiel mir überhaupt nicht. „Isles?“ Fragten Mala, als ich nach über einer Minute noch immer nichts gesagt hatte. „Ist alles in Ordnung? Hätte ich dich etwa nicht darauf ansprechen sollen... Njal meinte zwar, du möchtest offensichtlich nicht darüber sprechen, aber...“
Ich unterbrach Mala. „Was hat er gesagt? Worüber denn? Ich... Ich habe kein Baby und noch weniger habe ich vor, jemals eines zu bekommen!“
Das schien Mala den Wind aus den Segeln zu nehmen und eine Erkenntnis, der ich nicht folgen konnte, klamm in ihrem intensiven Blick auf. „Oh!“
„W-Wovon redest du?“ Hakte ich erneut nach. Ich bin verflucht noch einmal ein Vampir! Und ich bin definitiv nicht fruchtbar, selbst wenn ich vierzehn Tage und vierzehn Nächte mit Gerard geschlafen hätte, würde nichts dabei raus kommen... Okay, es wäre legendär, aber ich würde trotzdem kein Kind erwarten! Eines der besten Dinge daran, ein Vampir zu sein! Definitiv! Natürlich gab es diese kleine Ausnahme, und zwar, dass wenn beide Vampire sich in der Schlafphase befanden, man eines zeugen konnte, doch wir hatten getrennt geschlafen! Und das wusste ich zu hundert Prozent!
„Kleines...“ Mala nahm meine Hand und schob mit ihrer freien, meinen dicken Pullover und die Jacke hoch. Dann legte sie meine eigene Hand auf meinen Bauch und deutete mir still zu sein.
Gespannt wartete ich, dass ich etwas... wahrnahm, doch hatte ich keine Ahnung, nach was ich suchen sol... „W-Was ist das?“ Da war es doch! Ganz schwach... Zuerst war es bloß eine Art kribbeln, unterhalb meines Bauches, doch je genauer ich mich darauf konzentrierte, umso mehr spürte ich... etwas.
„Dein Körper verändert sich bereits. Spürst du, wie dein Organ arbeitet?“ Ich nickte, zu perplex, um ein Wort hervor zubekommen.
„In ein paar Tagen wird dein Magen einsetzen zu arbeiten, was bedeutet, du wirst festen Nahrung zu dir nehmen müssen.“ Erklärte sie weiter.
Meine... Meine Gebärmutter... arbeitet? Nach all den Jahren, ohne Periode. Definitiv noch ein Vorteil, ein Vampir zu sein! Nein... das war einfach nicht möglich!
Abweisend schob ich Mala von mir und richtete meine Kleidung. „Das ist Unsinn! Ich bin mit Gerard nicht... Wir haben nicht... zusammen >geschlafen<! Vermutlich ist es... eine Reaktion auf das Wetter, oder den Stress... oder...“ Mir fielen keine Ausreden mehr ein.
„Lot vind sy weg.“ Zumindest bildete ich mir ein, dies noch gemurmelt zu hören, während ich zurück in meine Hütte lief. Völlig aufgelöst, riss ich sämtliche Kleidung von mir und rettete mich ins Badezimmer. Dort stand ich vor einem Spiegel, welcher sich auf Kopfhöhe befand, und starrte entsetzt in mein blutverschmiertes Gesicht.
„Scheiße!“ Fluchte ich und wusch meine blutigen Tränen weg. Das was Mala sagte, konnte doch nicht stimmen, oder? Ich und ein... Baby von... Gerard. Das passte überhaupt nicht zusammen! Nicht ich! Ich wäre die mieseste Mutter aller Zeiten, besonders mit meinen Ausrastern! Wie... würde ein Kind zwischen Gerard und mir überhaupt aussehen, bitte? Einerseits ein eiskalter Gefühlsbock, andererseits ein randalierendes Miststück? Oder eher eine Furie... mit hübschen grünen Augen...
Frustriert schlug ich mir auf die Wangen, als sich doch tatsächlich ein freches Lächeln auf meine Lippen stahl! Nein! Dies war kein Moment, um zu scherzen! Ich hatte mir geschworen, niemals jemanden das anzutun, was ich erleben musste. Blut trinken, unsterblich sein... eine Gefahr für Mensch und Werwolf... Nein! Nicht ich! Ich würde niemals jemanden so etwas aufzwingen! Und so schon gar nicht!
„Isles!“ Ich hatte Njal schon gehört, als er zur Türe hinein gestürmt ist, doch rührte mich keinen Millimeter. Er folgte einfach meinem Geruch und nahm mich, ohne Fragen zu stellen, in den Arm, als er mich fand.
Schniefend saute ich seinen dicken Mantel, mit Blut ein.

V. Die Flucht vor Tobonneau, Gerard flüchtet vor Isles?

Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Wenn ich bloß daran dachte... an diesen Moment, als ich erwachte, mit der eingerollten, an mich angeschmiegten Furie in meinen Armen... Für einen Moment dachte ich wirklich, mein Herz würde nun endgültig aufhören zu schlagen. Wunderschön war sie. So unfassbar unschuldig, fast wirkte sie jünger noch, als siebzehn, wodurch ich mich bloß noch schlechter fühlte, wenn sie nicht so süß gewesen wäre. Ihr warmer, sehr langsamer Atem strich alle drei Minuten über meinen Brustkorb und ihre Haare lagen über meinem Arm ausgebreitet, wie eine Decke. Die richtige Decke, hatte sich bestimmt bereits vor Tagen verabschiedet, so wie das Bett, denn es war völlig zusammengebrochen. Im wahrsten Sinne des Wortes >zerstört<. Und aus irgendeinem Grund, lagen überall Federn im Raum. Um ehrlich zu sein, wollte ich diese Rätsel dann doch besser nicht gelöst haben.
„Gerard! Hör auf zu träumen und geh auf E17!“ Rauschte es in meinen Kopfhörern. Genervt seufzte ich und tat wie gewünscht. Nachdem der Lift anhielt, legte ich und mein Trupp uns mit mehreren Hundertjährigen an, die sich auf dieser Etage des Hotels versteckt hatten und löschten sie aus.
Kaum dass mein Dolch vom Blut befreit war, hatte ich erneut Isles Geruch in der Nase. Ich wusste, was ich getan hatte... viel zu genau, um ehrlich zu sein, doch mich fürs Erste von ihr zu trennen... Nun, ja, sagen wir einmal, es war nicht unbedingt meine Glanzleistung, aber wenigstens würde ich nicht vor ihr stehen, wenn sie es herausfindet. Ob sie es denn schon wusste? Das war die Frage, die mich seit sechs Wochen begleitete. Die Frage, aller Fragen! Immer und immer wieder spukte sie in meinem Kopf, als wäre sie eine lästige Fliege, die vom Licht angezogen wurde.
Vor dieser jedoch graute es mir mehr, als dass ich es beschreiben könnte. Vermutlich verflucht sie mich in eben diesem Moment, hasst mich, macht mir Vorwürfe, oder Schlimmeres. Selbst mit einer Voodoo-Puppe in der Hand stellte ich sie mir vor. Mit Abstand eines der schrecklichsten Ausgeburten meiner Fantasien! Obwohl... wenn sie mich verfluchen würde, würde das ebenfalls bedeuten, sie hasst mich. Ein Gedanke, der mir erneut das Herz brach, zum gefühlten, tausendsten Mal.
Frustriert fuhr ich mir durchs Haar und stöhnte. Verflucht soll sie sein! Dass Isles meinen Kopf besetzt, wie eine lästige Katze, die man einfach nicht mehr los wurde! Ich sollte derjenige sein, der sauer ist und sie diejenige, die nun in Angst lebt, immerhin ist sie zu mir ins Bett gekrochen! Sie muss doch gewusst haben, was das für uns bedeutet! Aber nein... Ich trug Isles, in meiner Panik, einfach zurück in ihr Bett, achtete darauf, dass sie exakt so lag, wie davor, dann räumte ich auf und duschte eine gefühlte Stunde, bevor ich mich hervorwagte.
Die Hölle möge mir eines Tages vergeben...
„Gerard!“ Einer meiner Kumpanen, sprang gerade noch rechtzeitig vor meine Füße und zog mich zurück, bevor ich über eine nicht fertig gestellte Terrasse, hinab gestürzt wäre. Erleichtert seufzte ich. „Wo bist du nur mit deinen Gedanken?“ Fluchte der ältere Vampir mich an. Seine Kleidung war etwas weniger, als meine eigene zerrissen und er wirkte wesentlich klarer.
„Ich...Ich bin wohl in der Hölle...“ Gab ich kryptisch zu, doch keiner verstand, was ich damit wirklich meinte. Und dabei dachte ich noch bis vor kurzem, ein Leben im Reich Tobonneau konnte ich mir nicht mehr vorstellen... und dann rannte ich vor einem vierjährigen Vampir davon, die mein Kind austrug in diesem Moment... Der Tiefpunkt meines Lebens war damit wohl erreicht!
Frustriert raufte ich erneut meine, seit längerem, abstehenden Haare. Ich konnte es einfach nicht fassen. Da gab es nach dreihundert Jahren nun doch endlich etwas, dass mich zutiefst erschüttert. Ich kam mit Mord, Massenmord, Abschlachtungen, Hinrichtungen, egal wie bestialisch, barbarisch, oder grauenvoll sie waren, aus.
Aber dann kommt sie!
Isles brachte mich nicht bloß dazu, meinen blinden Gehorsam, Michellé gegenüber, abzulegen, sondern auch noch dazu, einen Anschlag auf ihn zu planen. Der einzigen... halbwegs guten Sache, die jemals geschehen ist.
Früher... war Michellé, der Unsterbliche, für mich ein Licht gewesen. Jemand, zu dem ich aufsah, den ich bewunderte und der für mich >Familie< und >Zuhause< verkörperte. Mein Erschaffer, mein einzig richtiger Vater. Ich hoffte, wenn ich bloß alles tue, was er sagt, würde ich irgendwann an seiner Seite glänzen.
Mein Plan sah aus, alles was ich hasste, jede Frau, die mich belogen hatte, jeder Mann, der mich zusammengeschlagen hat, nicht aus meinem Leben zu streichen, sondern es zu kontrollieren. Mein Ziel sollte sein, mich über das zu erheben, was mich unterdrückt hat. Die Macht der Geldgierigen zu schmälern, die Unterdrückung der Verhassten zu übertrumpfen. Aber stattdessen... landete ich bloß erneut in demselben Leben, dass ich in der Unsterblichkeit hinter mir lassen wollte.
Rache spielte nicht wirklich eine Rolle... Vielleicht... konnte man mich auch ein wenig, als einen Weltverbesserer bezeichnen, aber bloß in einem geringen Maß. Im Grunde wollte ich die Welt nicht besser machen. Immerhin besaß sie Strukturen, offizielle und inoffizielle Gesetze. Da war es bloß günstig, sich einen unsterblichen Platz, innerhalb der stärksten Spezies zu sichern, nicht wahr?
Doch irgendetwas ging, irgendwann, schief. Als ich anfänglich tötete, im Namen meines Königs, dachte ich mir noch nichts bei alldem. Ich bin jetzt ein Vampir. Zwar muss ich mich verdeckt halten, doch macht genau das, mich zum Hüter, über diese armseligen Maden.
Und je öfter ich tötete, umso leerer wurde ich. Kälter. Es machte mir keinen Spaß, jemanden meine Fangzähne in den Hals zu bohren, auch wenn ich wusste, es gehört zu mir. Jemanden das Herz herauszureißen, damit er endgültig tot ist, wollte ich niemals. Man könnte sogar in einer Symbiose leben. Menschen und Vampire. Seite an Seite, Kraft und Abhängigkeit.
Doch mein König hatte andere Pläne. Seine... Ignoranz, die viel mehr dem unerfüllten Wunsch eines gelangweilten Kindes entsprungen zu sein schien, führte mich in ein Leben, dass ich nicht wollte, dass ich so überhaupt nicht kannte, doch viel besser war, als alles, was ich kannte.
Aber schlussendlich, als ich aufgehört hatte zu denken, schnitt mir ein einzelner Fangzahn ins Gesicht und rüttelte mich mit einem Schubs zur Seite einfach wach. Grimmig und abweisend bin ich schon immer gewesen. Übertrieben aggressiv, konnte man mir kaum übel nehmen, nach meiner Vergangenheit. Kaltherzig und respektlos... wen interessierte es schon?
„Ich habe gehört, dass du schon wieder abwesend bist?“ Die langen Finger meines einzigen Freundes, legten sich sanft auf meine Schulter. Liebevoll blickte er mir in die Augen, wissend und mitfühlend.
„Ja.“ Ja, Louis hatte sich meiner angenommen. Wie viele Jahre er wohl gepredigt hat, dass ich nicht immer eins zu eins, alles so tun muss, wie der König befiehlt? Dass ich trotz meines Bandes, eine eigenständige Person sei und doch... „Ich fühlte mich so leer, Louis. Was soll ich nur machen?“
Eine laute Explosion erschütterte das gesamte Hotel und mehrere Menschen schrien schockiert. Bloß wir Vampire nicht. Wir packten uns fertig zusammen und starteten unsere Wagen, um unauffällig wegzukommen. Ein Gasleck hatte wohl mehrere >Menschen< in einem oberen Stockwerk umgebracht. Zumindest würde so der offizielle Bericht lauten.
„Fahr mit mir zurück.“ Entschied Louis.
„Gerard!“ Erklang die Stimme, einer meiner Brüder. „Fährst du nicht mit uns mit? Wir haben noch einen weiteren Einsatz.“
„Louis braucht mich im Schloss.“ Antwortete ich lediglich, woraufhin der Vampir nickte und abzog. „Mein Kopf dreht sich im Kreis. Es ist... als würde ich zum ersten Mal, seit Jahrhunderten selbstständig denken!“ Fluchte ich, erneut meine Haare raufend. Zum Glück litten wir Vampire eher selten an Haarausfall. Falls ja, dann bloß weil eine Schere, oder ein Messer nachgeholfen hatten.
„Das liegt am Trank. Manon und ich fühlen uns ebenfalls anders, seit die Macht von Michellé nachgelassen hat.“ Versicherte mein alter Freund mir und klopfte mir auf die Schulter, bevor er seinen flotten Sportwagen startete.
„Wann werdet ihr gehen?“
„In einem Jahr, oder eher. Wir wollen sicher sein, dass es unseren Söhnen gut geht, bevor wir mit ihnen verschwinden.“
Michellé hatte bisher die beiden flüchtigen Beliov und seine Frau nicht ausfindig machen können, genauso wie die >Hochverräterin< Isles. Also hatte der Trank, den die beiden hohlköpfigen Wissenschaftler da gezaubert hatten, doch mehr als bloß den Effekt, den Zauber des Königs von uns zu nehmen. Genauer gesagt, nahm er sämtliche Macht und Bindung an unseren Erschaffer, von uns.
Damit entband der Trunk auch Manon von dem Fluch des Erschaffers, welchen die Beziehung zwischen ihr und Louis etwas belastet hatte. Jetzt lief es zwischen den beiden flüssiger als jemals zuvor. Ich denke, so sehr habe ich die beiden noch nie strahlen gesehen.
„Wollt ihr nach Grönland? Ich dachte, ich könnte euch mitnehmen, damit ich nicht alleine reisen muss.“
Louis lachte laut und übertönte dabei sogar die laute Musik aus seinen Lautsprechern. „Du willst doch bloß Rückendeckung von Manon und mir, wenn deine Frau versucht dich, in kleine Stücke zu reißen und danach auf ihnen zu tanzen.“
„Das ist noch die netteste Variante.“ Murmelte ich, wahrheitsgemäß. Eher sah ich mich schwimmend in Essig!
„Ich bezweifle, dass sie wütend ist. Viel mehr wird Isles enttäuscht sein, dass du nicht für sie da bist.“ Versuchte mein alter Freund, mich zu beruhigen. Erfolglos.
„Dein Wort... in Isles Ohr.“
Daraufhin lachte Louis bloß noch lauter.

VI. Die Flucht vor Tobonneau, Isles als Mutter

„Ich bring ihn um! Das werde ich!“ Schrie ich wütend und stampfte einen eben abgelegten Eisblock aus dem Weg.
„Isles! Darin sollte unser Abendessen kochen!“ Schimpfte Njal und holte den Eisblock wieder aus dem Wasser, mit einer Eisenharke.
„Ich mag aber keine dämliche Suppe!“ Beschwerte ich mich beleidigt, doch ignorierte die Tatsache, dass ich mich dabei, wie eine trotzige dreizehnjährige anhörte, die aussah, wie ein fettes Walross.
„Das sagst du über alles, was ich koche.“
„Ja! Und wieso? Weil es nach nichts schmeckt! Gib mir einen gekochten Schuh zu essen! Ich scheiße ihn einfach wieder aus!“ Schrie ich lautstark, sodass man sich, insofern jemand lauschte, sogar in der Siedlung hören konnte.
„Erstens, würde ich dir niemals einen gekochten Schuh zu essen geben, Schatz. Zweitens ist das Essen nicht für dich, sondern für ihn da.“ Njal deutete mit einem Finger auf meine deutliche Wölbung meines Bauches, die sich seit einigen Wochen sogar bewegte.
Als ich in der fünften Woche zum ersten Mal den raschen Herzschlag des Babys hörte, konnte ich es überhaupt nicht fassen. Die ganze Zeit hörte ich bloß darauf und manchmal erschien er mir so laut, dass er sämtliche andere Geräusche einfach übertönte. Als ich lernte, ihn auszublenden, wurde ich immer wieder panisch, wenn er einmal nicht erklang, oder mir etwas >seltsam< vorkam.
Nachdem mein Bauch dick genug war, um deutlich hervorzustehen, und vor allem meine Kleidungswahl einschränkte, begann ich mit meinen Schimpftiraden. Ungefähr... seit ein paar Monaten. Ununterbrochen!
„Ich schwöre es dir! Sobald >das da<...“ So hatte ich den Fußball getauft, welcher unter meiner Haut schlummerte. „...auf der Welt ist, drücke ich es Gerard in die Hand und lass ihn genauso alleine zurück, wie er mich!“ Schwor ich, steckte den Löffel voller Eiscreme in meinen Mund und stöhnte, da ich nicht einmal sagen konnte, ob es mir schmeckt. Jedoch stillte es mein Verlangen nach Süßem... was ich ebenfalls nicht schmecken konnte! Es war einfach da! Frustrierend so etwas...
„Ich weiß, Isles. Das hast du schon erwähnt... einige Male.“ Er murmelte den Rest zwar bloß, doch ich hörte es selbstverständlich.
„Was denn? Ist es etwa zu viel verlangt nicht, zurückgelassen zu werden?“ Fauchte ich. Njal drehte sich um, ließ den Eisblock fallen und zog mich in eine Umarmung.
Seine Augen glühten bedrohlich auf, was mir jedoch bloß zeigte, wie wenig er seine Gelüste in meiner Gegenwart im Griff hatte. „Ich weiß, ich wiederhole mich, er hat dich zurückgelassen! Ja! Ich jedoch nicht! Nicht einmal, als ich wusste, dass du schwanger bist, und dachte, du läufst davor weg! Nein! Ich war da.... Ich >bin< da, Isles!“ Knurrend ragte der Werwolf über mir auf und ich bekam ein schlechtes Gewissen. Erneut.
„Es tut mir leid, Njal.“ Ich sah an seinen Augen, wie ihn das Schuldgefühl übermannte.
„Nein, Schatz. Es tut mir leid. Ich weiß ja, wie du dich fühlst. Da sollte ich wirklich nicht darauf herumhacken.“ Bevor Njal mich losließ, hauchte er mir einen Kuss auf die Wange.
Das tat er immer, wenn er aufstand, oder sich schlafen legte, gab er mir einen Kuss auf die Wange und redete für einen Moment mit meinem >Fußball<. Irgendwie süß, aber... ich wusste nicht recht, wie ich jemals mit seiner Gutherzigkeit umgehen sollte.
„Vergessen wir das einfach, damit du Abendessen machen kannst.“ Verwarf ich zum hundertsten Mal, unseren immer selben, täglichen, Streit.
„Genau das wollte ich hören.“ Grinste Njal. Natürlich wollte er das nicht hören. Ich konnte regelrecht über seinem Kopf eine Sprechblase stehen sehen, die mir sagte, dass er etwas ganz anderes wollte. Meine ungeteilte Aufmerksamkeit, meine Liebe, meine Zuneigung, eine gemeinsame Zukunft.
Alles Dinge, die ich ihm niemals geben werde. Egal wie oft er darum bettelt. Man sieht ja, was aus einem wird, wenn man sich bloß für ein >paar< Minuten auf einen Mann einlässt! Okay... das war vielleicht ein wenig übertrieben, doch in Njal sah ich einfach nicht mehr, als einen Freund.
Mürrisch stocherte ich in meinem Eintopf herum, angeblich den besten der Siedlung, an welchem jeder mitessen wollte, zumindest was die Werwölfe anging, doch ich schmeckte rein gar nichts. Ich fühlte nicht einmal, ob ich satt bin, oder nicht, dafür hatten die Werwölfe mir eine Art >Richtlinie< gegeben, wodurch ich mich nicht überessen konnte.
„Was ist los?“ Njal streckte seine Hand nach meinen Fingern aus und drückte sie leicht.
„Ich mag nicht mehr.“
„Da du keine Sattheit empfindest, gehe ich davon aus, dass du nicht mein hervorragendes Essen meinst, oder?“
Ich warf ihm einen genervten Blick zu. „Klugscheißer.“ Er grinste bloß, doch rasch wich es einem mitfühlenden Gesichtsausdruck. „Die Hütte ist ja bald fertig. Dann werde ich dort einziehen.“
„Aber... Wir haben hier Platz genug.“
„Trotzdem ist es ein Baby, Njal. Es wird nachts schreien, wenn du schläfst und es Hunger hat. Ich werde mit Geschirr klappern, dem Ding etwas vorsingen, oder einfach irgendwie laut sein, sodass du in deiner Ruhe gestört...“
Njal unterbrach mich. „Wie oft noch, Isles? Ich liebe dich, ich akzeptiere deinen kleinen Fratz und was noch viel wichtiger ist... Ich will und werde für dich da sein.“
Mein Herz schmerzte auf eine unnatürliche Weise, als ich gezwungen war, wieder einmal an Gerard zu denken. Die einzigen Momente, an denen ich nicht an ihn dachte, waren die, wenn ich mein zukünftiges >Mutterleben< plante. „Das... ist nicht richtig. Es ist einfach nicht fair, dir gegenüber.“ Seufzte ich theatralisch.
Er rutschte mit seinem Stuhl neben mich und zog mich in eine Umarmung. „Ich sage es dir so oft, wie du es hören musst, Schatz. Ich liebe dich und bin für dich da. Ich werde nicht weggehen, so wie deine Freunde, deine Eltern, dein Erschaffer, oder Gerard. Nichts auf der Welt bringt mich dazu, mein Herz.“
So gern ich diese Worte auch genießen wollte, diese Zuversicht etwas Beständiges in meinem Leben zu haben, dass mich nicht verlässt... so konnte ich es einfach nicht. Alles in mir schien sich dagegen zu sträuben und ich wünschte mir zum gefühlten tausendsten Mal, Gerard hierher. Wieso kam er nicht? Weshalb ließ er mich im Stich? Wollte er nichts mit mir zu tun haben? Sich diesen Sorgen nicht hingeben? Was zum Teufel stimmt nur mit mir nicht, dass ich einen verräterischen Vampir einem treuen Werwolf vorzog?
„Nicht weinen, Schatz. Es ist alles gut...“ Ich bemerkte nicht einmal, dass ich weinte, bis Njal mich darauf aufmerksam machte. So etwas passierte mir traurigerweise in letzter Zeit öfters.
Meine Tränen versiegten erst nach Stunden. Njal legte sich schlafen und ich ging, wie meistens abends, spazieren. Der frostige Wind, der seit Wochen eine Nebelwand erschuf, erlaubte es nicht, dass ich mich zu weit von der Siedlung entfernte, doch das hatte ich auch nicht vor. Dort draußen lauerte nämlich etwas. Ich hatte es gesehen. Ein Wolf, riesengroß, abwartend, gefährlich. Zumindest sagten meine Instinkte dies. Manchmal, wenn ich abends spazieren gehe, sah ich seinen Schemen, doch so schnell, wie er auftauchte, verschwand das riesige Wesen wieder. Es war sogar größer, als Njal selbst. Erschreckend zu wissen, dass solche Monster tatsächlich existieren...
Mein heutiger Spaziergang, welcher meist gegen Mitternacht endete, da mein Magen hungrig knurrte, endete einmal wieder ohne Vorfälle. Mit einigen Werwölfen hatte ich bereits gesprochen, doch sie meinten, es sei bloß ein Geist. Trotzdem beschrieben ihn alle gleich. Größer als ein Mensch, schneeweiß, mit gelben, klugen Augen. Vielleicht konnte man es auch für einen Eisbären halten, der neugierig auf die Werwölfe war, doch klug genug, nicht näher zu kommen, doch kein Eisbär besaß einen solch langen, buschigen Schweif.
Leise schlich ich mich in Njals und meine Hütte zurück. Da ich bereits durchgefroren war und in einer eher seltenen, ruhigen Laune, kuschelte ich mich ebenfalls ins Bett. Irgendetwas murmelnd, reagierte Njal sofort auf meine Nähe und zog mich in eine Umarmung. Eigentlich sollte es mir ja unangenehm sein, doch es tat gut einen anderen Körper an meinem zu fühlen. Gerade die Nähe meines Werwolfs besaß eine beruhigende Wirkung auf mich, wenn er nicht wieder damit begann, dass er in mich verliebt sei. „Du bist ganz kalt.“ Murrte Njal, halb im Schlaf.
„Ich komme auch gerade von draußen.“
Gähnend kuschelte er sein Gesicht in meine Haare. „Das sollst du doch nicht. Du weißt, dass es gefährlich ist.“ Sagte er zu einem Vampir... Manchmal zweifelte ich wirklich an seinem Intellekt.
„Ja, ja.“ Murmelte ich, da ich merkte, dass er bereits wieder fest schlief. Was würde ich dafür geben, die nächsten Monate ebenfalls verschlafen zu können.

- - - - -

 

Wenn ich schon dachte, dass eine Vernarbung durch Essig schlimm sei, so war es nichts im Vergleich zu einer dreißigstündigen Geburt. Abwechselnd schreiend, oder um mich tretend, lag ich da. Zwei Vampiren brach ich einen Finger und einem Werwolf brach ich beinahe eine Rippe, bis das Kind endlich da war. Wer von uns allen hier am meisten litt, konnte ich kaum sagen.
Erschöpft lag ich da.
Das konnte einfach alles nicht wahr sein. Es war so verkehrt. So viele waren hier. Vampire und Werwölfe, die ich mittlerweile überraschenderweise ins Herz geschlossen hatte und doch... wollte ich nichts lieber als Weinen und mich in die nächste Ecke verziehen.
„Scht...“ Tröstete Mala mich und trocknete meine blutigen Tränen. „Es ist vorbei, Kleines. Es ist alles gut. Sie ist gesund und du auch.“
Sie?
Für einen Moment verstand ich überhaupt nicht, von wem Mala sprach. Ich dachte doch an >ihn< und woher wollte sie wissen, wie es >ihm< ging? Im nächsten Moment wurde es mir bewusst. Langsam, unsicher ob ich bereit für den Fußball wäre, kam Njal an meine Seite. In seinen Armen trug er eine Decke. Aber nicht nur das. Darin lag etwas... von dem ich bis heute nicht richtig realisiert hatte, dass es da sein würde.
Mit einem schüchternen Lächeln legte er es in meine Arme. Überrascht sog ich die Luft ein und starrte ungläubig das kleinste Wesen an, dass ich jemals gesehen hatte.
„Wie willst du sie nennen?“ Fragte Mala leise und kassierte einen Hieb auf den Hinterkopf, von Njal.
Ich zuckte mit den Schultern. „Das... habe ich mir noch nicht überlegt.“ Gab ich zu und starrte in die hellblauen Augen meines Sprösslings.
„Was? Wirklich nicht? Gibt es keinen Namen...“ Der Rest ihrer Worte erstickte Njal mit seiner Hand.
„Ich denke, Isles hatte genug von dir, für heute. Los raus hier!“
Schmunzelnd sah ich Mala hinterher, wie sie die Augen verdrehte und entschuldigend den Raum verließ.
Njal kam wieder an meine Seite zurück und wischte mir mit einem feuchten Fetzen über meinen Kopf. „Das hast du gut gemacht, Isles. Wie... fühlst du dich?“ Er sah mich dabei überhaupt nicht an, sondern streichelte das kleine Bündel, in meinem Arm.
„Ich weiß nicht... Plötzlich ist alles so... taub.“
Die gesamte Welt schien den Atem angehalten zu haben. In den letzten neun Monaten wurde ich dicker und musste meinen Körper völlig neu einstellen, doch das war mir, abgesehen von meinen Ausrastern, fast völlig egal. Die letzten dreißig Stunden, in denen ich qualvoll einen Football aus mir herauspresste, sind da bloß diese unvorstellbaren Schmerzen gewesen. Ein überraschend angenehmer Unterschied zu der Langeweile davor. Aber jetzt... „Es ist, als ob plötzlich die Luft draußen wäre und sämtliche Emotionen der letzten Monate, sind einfach fort.“
Njals Blick glitt an meinen. „Das wird sich ändern, Schatz. Du bist einfach erschöpft und brauchst Schlaf. Soll ich sie nehmen?“
Zögernd blickte ich zu dem quengelnden Etwas in meinen Armen. Stumm nickte ich. Njal gab mir einen flüchtigen Kuss auf den Mund, dann nahm er das Baby und ging leise hinaus. Erholung benötigte ich keine. Eigentlich nur Blut und mein Geburtskanal war bereits wieder heil, unversehrt. An diesem Tag trank ich fünf Liter, bevor ich einigermaßen satt war. Danach lag ich einfach bloß im Bett und ließ meine Gedanken schweifen. Gegen morgen, kam Njal zurück, mit meinem kleinen Bündel. Dieses Mal hatte sie sogar etwas an. Irgendjemand hatte sie ganz in Rosa gekleidet und sie trug sogar einen rosa Skimantel. Lächelnd nahm ich sie entgegen. Zusätzlich bekam ich ein Fläschchen, als sie zu quengeln begann. „Ich dachte, du möchtest sie gerne füttern.“
Und wie ich das wollte!
Außerdem... musste ich zugeben, dass die Zeit mit einem Kind unfassbar schnell verging. Kaum war sie auf der Welt, musste ich sie auf feste Nahrung umstellen. Von irgendwo hatten Njal und die anderen Ratgeber und Bücher über Kinder aufgetrieben und sogar ein Kochbuch. Zumindest musste ich nichts abschmecken und wenn, überließ ich das eher Njal.
„Hopp! Hopp! Hopp!“
Skeptisch blickte ich aufs Bett, wo ein gigantischer Wolf lag, auf ihm eine kleine Göre, die auf seinem Bauch sprang. Er rührte sich keinen Millimeter, doch seine Ohren zuckten, bei jeder Bewegung.
„Sei nicht zu wild!“ Mahnte ich meine Kleine.
Der Wolf gab irgendeinen Laut von sich, dass nach Ablehnung klang. „Ich bin nicht überfürsorglich!“ Murrte ich zornig zurück. Nachdem das Abendessen fertig war, deckte ich den Tisch und ging zu den beiden Hohlköpfen um sie zum Essen zu pfeifen. Zornig stemmte ich meine Arme in die Hüften. „Njal!“ Fauchte ich zornig. „Wie oft soll ich es dir noch sagen? Sie soll vor dem Essen kein Blut trinken!“ Das blondhaarige Mädchen zog ihre Zähne aus dem Wolf und grinste zufrieden... und satt. „Toll! Und wie oft soll ich dir sagen, dass sie nicht von dir trinken soll, wenn du ein Wolf bist? Jetzt kann ich ihr wieder die Haare aus dem Mund ziehen!“ Sogleich machte ich mich an diese unfassbar ekelhafte Aufgabe. „Irgendwann erstickt sie noch wegen dir!“
Der Wolf richtete sich auf und sprang vom Bett, während ich meinem Kind den Mund auswusch. „Mh! Riecht lecker.“ Nackt setzte sich Njal an den Küchentisch und langte gierig zu. An seinem Bauch erkannte man noch eine deutliche Bissspur.
Kopfschüttelnd setzte ich das blonde Monster in ihren Laufstall, wo sie sofort wieder mit ihrem Auto spielte, und warf Njal eine Hose gegen den Kopf. „Zieh dir wenigstens beim Essen etwas an. Hier sind Kinder anwesend!“
Anstatt die Hose anzuziehen, knurrte Njal und zog mich zu sich auf seinen Schoß. „Was ist los?“
Mürrisch verschränkte ich meine Arme vor der Brust. „Du tust nie das, was ich dir sage. Wir müssen uns bei der Erziehung einig sein. Du kannst nicht immer das tun, was ich verbiete und...“
Anstatt mich ausreden zu lassen, gab er mir einen nassen Schmatzer. „Ruhig! Isles... du machst alles perfekt, keine Sorge.“
Ich fühlte, wie sich buchstäblich etwas um mein Herz zog, jedoch schmerzhaft. Mit dem Löffel schlug ich ihm auf die Finger. „Ich rede auch nicht von mir, sondern von dir! Idiot!“
Grinsend sah mir Njal dabei zu, wie ich den Abwasch machte. Als die beiden dann im Bett lagen, ging ich, wie jede Nacht spazieren. Es war eigentlich ein und derselbe Weg, den ich stundenlang entlang ging. Mittlerweile wurde dies sogar zu meiner Routine. Und ehrlich... ich hasste es. Ich hasste mittlerweile alles hier. Oder war es vielleicht Hass, den ich projizierte? Eigentlich habe ich hier ja wirklich gute und enge Freunde gefunden. Jeder akzeptiert mich, ich muss mich nicht rechtfertigen, verstellen, oder Schlimmeres. Habe ich einmal einen Aussetzer, schnappte mich einer der tausendjährigen und ließ mich erst los, sobald ich mich beruhigt hatte. Seltsam, nicht wahr... Wieso konnte ich zuhause... in Island, oder Frankreich nicht so behandelt werden. Als wäre ich ganz normal...
Dieses Mal bemerkte ich den Wolf nicht, bis eine Schnauze sanft gegen meinen Ellenbogen stieß. Eigentlich konnte es sich dabei bloß um Njal handeln, doch Njal hätte ich gerochen, noch bevor er mich berührt hätte, so wie jeden andern Werwolf. Als ich jetzt jedoch aufsah, in goldgelbe Augen, die in der Luft zu schweben schienen, schluckte ich erst einmal schwer.
Der Geist! Zuckte es durch meinen Kopf. Er hatte sich doch einmal so nahe herangewagt, dass ich hundertprozentig bestätigen konnte, dass es sich bei ihm nicht um einen Eisbären handelte. „Ach, du heilige sch...“ Stammelte ich und wollte aufspringen, um wegzulaufen, doch ein Einmaliges, mahnendes Knurren, verhinderte dies. Der Geist würde mich ja doch bekommen.
Als ich mich wieder zu ihm umdrehte, war er einfach fort. N-Nein! Hatte ich mir das etwa bloß eingebildet? Er stand doch gerade eben noch... Da! Ein riesiger Pfotenabdruck war ganz deutlich neben mir zu sehen. Oder eher ein großes Loch im frisch gefallenen Schnee. Nur... wo ist er hin?
„Du riechst wie mein Vlad.“ Stellte eine weibliche Stimme fest.
Fauchend fuhr ich herum. Ich kannte sie nicht, sie ist fremd und befand sich direkt neben der Siedlung! „Wer bist du? Und was suchst du hier?“ Sollte ich rasch die anderen wecken? Vielleicht handelte es sich ja um einen neuen Flüchtling... aber mitten in der Nacht? Wer wäre so dumm?
„Eine sehr alte Freundin.“ Erklärte die körperlose Stimme.
„B-Bist du der Geist?“ Ich weiß, diese Frage klang unfassbar dämlich... aber ich musste es wissen.
Ein kindliches Kichern erklang. Einerseits klang es, als befände sie sich direkt neben mir, doch auch weit weg. Das ergab überhaupt keinen Sinn! „Geist? So nennt man mich hier? Eigentlich habe ich viel schönere Namen.“
„Yeti?“ Schlug ich vor, in der Hoffnung ihren genauen Standort doch noch ausmachen zu können. Wie schaffte sie das bloß? Es ist windstill! Eigentlich sollte ich sie alleine an ihrem Herzschlag orten können!
„Nicht einmal annähernd.“ Sie kicherte wieder, dann erhob sich ein körperloser Kopf aus einer Schneewehe. Schockiert und gleichzeitig beeindruckt, dass sie ganze Zeit kaum drei Meter von mir entfernt gestanden hatte, starrte ich sie an. Himmel! Ich musste zugeben, in meinem Leben hatte mir so ein schönes Gesicht, noch nie so eine Gänsehaut beschert. Wäre ich ein Mann, würde ich vor Anbetung vermutlich auf dem Boden knien. Aber diese... furchterregenden gelben Augen. Sie schienen tausende, wenn nicht noch mehr, Jahre alt zu sein. Älter, als alles was ich kannte.
„Du bist Isles, nicht wahr?“
Zögerlich nickte ich dem Werwolf zu. „W-Was willst du?“ Mit so jemanden wollte ich alles andere, als in einer Siedlung leben.
Plötzlich legte sie ihren Kopf schräg und grinste mich lieblich an. „Nur meinen Weg zurück nach Hause finden. Das ist alles.“

Der Beginn einer Blutfehde...

 Es geschah noch, bevor ich realisierte, was ich getan hatte. Einfach so... war er fort. Er ging, ließ mich in den Trümmern meiner Gefühle zurück, denn ich verstand einfach nicht, wieso er ging. Weshalb ist er wütend? Ich liebe ihn doch. Natürlich liebe ich jedes meiner Kinder, meiner Kreationen, doch ihn... Was meine Erste hervorgebracht hat, ist so viel bedeutender, als alles, was ich für möglich gehalten hatte.
Wie hieß sie überhaupt? Es ist so lange her, dass ich es völlig vergessen hatte, doch heute nannte sie sich einfach >Mutter<, was vermutlich passend für sie war. Dann wäre ich wohl so etwas... wie >Großmutter<, nicht wahr? Nur mit dem Unterschied dass ich bloß Werwölfe gebäre und keine Vampire.
Also bin ich ihre >Erschafferin<. So nannten Vampire doch diejenigen, die sie mit einem Biss erschaffen hatten. Damals... war sie noch so klein und zerbrechlich. Früher, als sich mein Bruder in sie verliebt hatte. Zwar versuchte ich es ihm ausreden, er kannte die Konsequenzen, die es brachte, wenn wir unser Herz den Menschen öffnen.
„Sie wird es verstehen! Das weiß ich! Ich fühle es!“
Kopfschüttelnd schubste ich ihn vor mir her, bis wir weit genug entfernt von den kleinen Menschen waren. Wann er jedoch begann, sie wiederzusehen, wusste ich nicht. Ich bemerkte noch nicht einmal, wie es ihn veränderte, da ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen bin, zu egoistisch, wie mir später bewusst wurde. Wesen wie ich und er durften uns niemals den Menschen präsentieren. Sie sind Jäger, wie wir, doch kämpfen nicht fair mit ihren natürlichen Waffen, sondern begannen sich selbst welche zu bauen, konstruierten sogar Fallen! Konnte man sich das vorstellen? So hilflos und schwach, wie sie mir auch damals erschienen überleben sie nun seit Jahrtausenden... was rede ich, Hundertausende von Jahren! Sie entwickelten sich weiter, kämpften unfair, später sogar mit Stahlwaffen und Schusswaffen! Nichts, dem ich etwas entgegenzusetzen hatte. Damals... ganz am Anfang, wurden wir Wölfe genauso respektiert, wie gefürchtet. Aber heute? Ich lebe in einer kalten Eiswüste, wo es keinen einzigen Baum gibt und bloß selten Tiere. Das Wasser ist so kalt, dass mein Fell steif friert. Nein... Ich hasse es hier! Ich bin einfach kein Tier, das für dermaßen kalte Regionen gemacht ist und doch... ließ ich mich vor all den Jahren verdrängen.
Ich folgte meinem Bruder an jenem Abend. Anscheinend traf er sich fast jeden Tag mit ihr, sah zu, wie sie älter und immer hübscher wurde, während er jede Nacht, in Wolfsgestalt auf sie wartete. Winselnd wartete er bereits auf sie und sie fiel ihm freudig um den Hals. Was sie redeten, konnte ich nicht verstehen, außer ich ging zu nahe heran und dann würde er mich bemerken, dann würden wir vor einem Mensch streiten. Vielleicht hatte er ihr überhaupt nicht gesagt, dass es mehr von uns gab, zumindest hoffte ich das inständig! Doch damit gab sich mein Bruder noch lange nicht zufrieden. Nein! Er... verwandelte sich vor ihr. Saß da einfach im Gras, nackt in all seiner menschlichen Pracht und blickte ängstlich zu ihr hoch. Er hatte Angst, dass sie ihn nicht akzeptieren könnte, ihn fürchten. Doch es kam noch schlimmer!
Ich sah das Blut erst, als sein Kopf unfassbar langsam von seinen Schultern glitt. Ungläubig, erstarrt von diesem grässlichen Anblick, sah ich in ihre, ehemalig unschuldigen Augen, in welchen nun ehrliches Erstaunen lag. „Huch...“ Sagte sie, als hätte sie das >Schaf< überhaupt nicht köpfen wollen. „Mutter Natur überrascht einem doch immer wieder!“ Damit kniete sie sich neben den abgehackten Kopf meines Bruders und streichelte sanft sein Gesicht. „Aber in dieser Gestalt bringst du mir nichts, Wölfchen. Damit beeindrucke ich Papa nicht.“ Achtlos ließ diese... Bestie ihn einfach liegen und ging weg! Wie... Wie konnte sie nur? Wie konnte man bloß dermaßen kaltherzig sein? Zögerlich, fast schon steifgefroren, von meiner inneren Kälte, ging ich auf den kopflosen Körper meines Bruders zu. Ich wusste... diese Verletzung würde niemals wieder heilen.
Die folgenden Tage, kam die Bestie nicht zurück. Ich wartete und wartete, neben dem verwesenden Körper, meines Bruders, hoffte, betete, dass sie wiederkommen würde, denn der nächtliche Regen, hatte ihre Spur längst verwischt. Aber sie kam nicht. Und sie würde es auch niemals wieder, denn sie interessierte sich nicht für das unschuldige, einzigartige Leben, dass sie genommen hatte. Das war der Moment, in dem ich lernte, Menschen zu hassen.
Einige Vollmonde später, stöberte ich sie jedoch auf. Sie lebte stunden von dem Ort entfernt, an dem sie sich mit meinem Bruder getroffen hatte. Nun glücklich, lachend ging sie durch ihr leben und genoss den Reichtum an Beute, ihrer Familie. Das brachte bei mir das Fass zum Überkochen. Ich... erinnerte mich nicht mehr an viel, doch alles, was ich sah, war blutrot. Erst, als das Dorf in Blut schwamm und ich einen kleinen, zappelnden Körper in meinen Händen hielt, der genauso roch, wie diese verdammte Bestie, kam ich zu mir.
Es war ein Kind, dass ich in Händen hielt und vor mir kniete die weinende Bestie, bettelnd um ihr Kind, dass ich es verschonen möge. „Das hast du dir selbst zuzuschreiben, Bestie! Du hast meinen Bruder ermordet, ohne mit einer Wimper zu zucken! Nicht einmal der Erde hast du ihn zurückgegeben, sondern den Tieren zum Fraß vorgeworfen!“ Schrie ich über die gequälten Laute des kleinen Jungen in meinen Händen, hinweg. „Jetzt leide, wie ich leide! Fühle, was ich fühle! Für immer!“ Mit einem letzten Druck, enthauptete ich das Kind und ließ es achtlos zu Boden fallen. Ungläubig starrte die Bestie den Körper an, bewegungslos, gefühllos, als wüsste sie nichts mehr mit sich anzufangen, als wäre sie überhaupt nicht mehr in diesem Körper.
Im nächsten Moment, beugte ich mich über die Bestie und schlug meine Zähne in ihren Hals. Jedoch... starb sie an diesem Tag nicht. Nein, ich ließ sie leiden an Blutdurst, am ewigen Leben, in dem Wissen, dass all das, was passiert ist, bloß ihre Schuld ist!
Genauso wie ich nun damit leben musste, so viele Menschen getötet zu haben. Ich tat so etwas überhaupt nicht, doch... an diesem Tag, war ich einfach nicht ich selbst. Die Bestie lief durch ihr kurzes Leben, als hätte sie niemals ein tausendmal wertvolleres, als ihr eigenes, genommen. Es rechtfertigte vielleicht nicht meine Taten, doch... es brachte mir auf eine andere Art und Weise Frieden.

Isles Skylander, Heimkehr nach Tobonneau

Schniefend trocknete ich meine langsam frierenden Tränen. Die gesamte Geschichte hatte mich wahrlich mitgenommen. Nicht nur die, wie Mutter erschaffen wurde, sondern auch Göttins Liebesgeschichte. Es war... nicht wie ich erwartet hätte. Michellé sah ich ebenfalls plötzlich in einem ganz anderen Licht und das, was Mutter ihnen angetan hatte... Wie soll ich es ausdrücken...
Dass viele Leid, der Hass der Arten, das hatte alles in Island begonnen. Später traf Göttin ihre eigene große Liebe, in der Nähe vom heutigen Russland und dann musste es ausgerechnet Mutters einziger Sohn sein, nachdem Göttin bereits ihren ersten getötet hatte. Ob Michellé überhaupt etwas von all dem Leid wusste? Nun, ja so wie er Werwölfe hielt... „Du musst es ihm erzählen!“ Entschied ich.
Das weißhaarige Mädchen, schüttelte ihren blassen Kopf. „Das kann ich nicht. Er würde... Vlad würde es niemals verstehen.“
Vlad... so nannte er sich früher wohl, zu ihrer Zeit. Plötzlich musste ich lächeln. „Du weißt hoffentlich, dass er sich heute nicht mehr Vlad nennt, oder?“
Fragend hob sie ihre gelben Augen, die mir immer noch einen kalten Schauder über den Rücken jagten, obwohl ich mich ihrem Leid sehr verbunden fühlte. „Du sagtest doch, er benannte dich nach einer Muschel, richtig?“ Die Urmutter der Werwölfe nickte. „Mischel... Heute nennt er sich Michellé.“ Ich betonte es so, dass sie die Ähnlichkeit erkannte und das brachte auch sie zum Lachen.
„Dieser Wirrkopf... Er liebt es wohl heute noch, allem eine tiefere Bedeutung zu geben.“ Ich erkannte Tränen, die langsam ihre Wangen hinab liefen und dabei beinahe auf der Stelle gefroren.
„I-Ist dir nicht kalt? Vielleicht sollten wir uns in die Hütten zurückziehen...“
Sofort wehrte Göttin, Mischel, oder wie auch immer sie sich heute nannte, ab. „Nein! Bloß nicht. Ich mache menschliche Werwölfe, danke meiner Abstammung recht nervös. Außerdem tut mir die Kälte nichts an. Ich bin fast gegen alles resistent.“
Nach allem was ich gehört hatte... und das war reichlich viel, hatte ich ebenfalls bloß eine Schwäche bei ihr entdecken können. Alles an ihr strahlte Macht ab und doch, hatte ich sie nirgendwo entdeckt, bis sie unmittelbar vor mir stand! Welch Leistung, doch nach ihrer Lebensspanne, konnte ich mir vorstellen, dass sie sich irgendwie auf eine besondere Weise verbergen konnte, mittlerweile mit der Natur eins werden, denn obwohl sie vor mir stand, ich sie anfassen konnte, spürte ich ihre Anwesenheit kaum und roch sie auch überhaupt nicht. Fast schien es... als besäße sie überhaupt keinen eigenen Geruch. Welch perfekte Tarnung!
„Frankreich, sagtest du also...“
Ich nickte. „Aber du solltest dort wirklich nicht hingehen. Jeder Werwolf stirbt, sobald er bloß eine Pfote dorthin setzt.“ Mahnte ich sie und versuchte ihr, die aufkeimende Idee auszureden. Alleine deshalb, da sie in dieser... eher nackten und langhaarigen Form recht auffällig war.
Göttin lächelte verlegen. „Ob er es will oder nicht... aber ein bisschen geht er doch nach seiner Mutter.“ Wieso klang das aus ihrem Mund, wie ein Kompliment?
Kopfschüttelnd verdrängte ich diesen Gedanken. „U-Und was hast du nun vor? Du kannst schlecht nach Frankreich spazieren und dich einfach vor ihn hinstellen.“
Sie spielte für einen Moment scheinbar mit diesem Gedanken, doch blickte mich dann forschend an.
„Du führst mich hin!“ Oh, Mann... Das konnte ein längeres Gespräch werden...
„Ähm... Ich denke nicht, dass ich... deinem Gefährten jemals wieder unter die Augen treten sollte...“
Fragend legte sie ihren Kopf schräg, was mich stark an einen Hund erinnerte, wenn er versuchte, etwas zu verstehen. „Aber du bist sein Kind, er hat dich Erschaffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dich nicht sehen möchte.“
Innerhalb der nächsten Stunde ließ ich alles Review passieren. Unfassbar, dass seit damals fast vier Jahre vergangen sind! Seit ich zum ersten Mal den König durch die Wand schmiss, Louis bewusstlos schlug und Gerard markierte. Vier Jahre! Wobei ich eineinhalb davon leider verschlafen hatte. Und jetzt besaß ich bereits meine eigene Tochter, einen Werwolf, der in mich verliebt ist, doch ich nicht in ihn und einen... Mann... den ich so sehr vermisste, dass ich angefangen hatte, ihn zu hassen, bloß um dieser elendigen Leere zu entkommen. Oh! Nicht den Fakt zu vergessen, dass ich den König an den Eiern aufgehängt habe! Mein persönlicher Erfolg an Dingen, die bloß ich schaffen konnte! „Und das ist der Grund, weshalb ich mich besser nicht in Frankreich sehen lassen sollte!“
Nachdenklich tippte Göttin mit ihren nackten Zehen im Schnee herum. „Du hast recht, dass könnte zu Problemen führen, doch keine, die ich nicht beheben kann.“
Langsam bekam ich Angst vor der folgenden Frage... „Was hast du vor?“ Ich hätte vorher auch selber wissen können, dass ich sie bereuen werde!

 

- - - - -

 

So leise, wie ich die Türe geöffnet hatte, schloss ich diese auch wieder. Es war bereits halb sechs Uhr morgens. Mein kleiner Engel, war wie immer um diese Uhrzeit, bereits hellwach und wartete in ihrem Gitterbett, dass ich sie heraus nahm. Zuerst jedoch wärmte ich ihr etwas Milch, diese musste sie noch trinken, da ich bestimmte Zusatzstoffe ergänzen durfte. Trotz ihres noch menschlichen Körpers behielten Vampirkinder anscheinend noch bestimmte Vitamine und andere Stoffe nicht, die ich ihr deshalb in einer höheren Dosis geben durfte, als es gesund für ein normales, menschliches Kind, in diese Alter wäre. „Guten Morgen, mein Engel.“ Begrüßte ich sie, so leise es ging, und reichte ihr Fläschchen. Während die Kleine Trank, packte ich einige Sachen zusammen. Und ja... es mag vielleicht einige nun überraschen, an diesem Punkt, besonders Njal, wenn er es herausfindet, doch ich habe vor, zurückzukehren.
Es ist nicht so, dass ich Gerard vermisse... Okay, das tute ich tatsächlich, mehr als dass ich es mir eingestehen wollte. Aber mir geht es hierbei um etwas anderes! Es geht um Göttin und um etwas, das angefangen hat, noch bevor der homosapiens irgendetwas von Werwölfen und Vampire geahnt hatte!
Seufzend über mein fürchterlich schlechtes Gewissen, schrieb ich so schnell auf einem Zettel, wie ich die Worte dachte. Danach überflog ich ihn erneut, ignorierte die Flüchtigkeitsfehler und legte den Zettel auf den Nachtkasten, welcher neben dem Bett stand, in welchem Njal noch immer tief schlief.
Nachdem ich meine Kleine, unter der Jacke, mit einem Schal an mir befestigt hatte, zog ich ihr eine große Mütze über den Kopf, welche sie von der Kälte beschützte und schlang einen weiteren, breiten Schal um uns beide, damit der Wind uns nicht zu sehr im Gesicht zusetzte.
Noch bevor Njal seine Augen öffnete, hatte ich mich bereits so weit von der Siedlung entfernt, dass er mich nicht mehr einholen konnte, und traf mich mit der Wölfin am vereinbarten Platz.
„Wie niedlich!“ Stieß die Wölfin hervor, noch während sie in ihre menschliche, nackte Form glitt und fummelte an meinem äußeren Schal herum, um das Gesicht meiner Tochter sehen zu können. „Wie hasst du sie genannt?“
Verlegen richtete ich den Schal wieder und versteckte das schlafende Kleinkind damit vor der Kälte. „Wir sollten nicht hier in der Kälte quatschen, sondern weiter, bevor sie mich einholen.“
„Gut, dann spring einmal auf und schließe am besten deine Augen.“ Langsam trat sie in den morgendlichen Nebel zurück und verschwand direkt vor meinen Augen. Plötzlich hörte ich ein drängendes Knurren hinter mir und drehte mich nach der weißen, riesigen Wölfin um. Ein klares >Los jetzt<.
Schaudernd, dank meiner natürlichen Abneigung gegen Werwölfe, zwang ich mich mit aller Kraft auf den Rücken der großen Bestie und schrie erschrocken auf, als sie einfach loslief, ohne sich zu vergewissern, ob ich auch bereits sicher auf ihr saß.
Mit aller Kraft krallte ich mich in das lange, weise Fell, was kaum vom Schnee zu unterscheiden war und kniff meine Augen zusammen, um den Schneeflocken, welche, wie Eissplitter gegen mein Gesicht schlugen, zu entkommen.
Es dauerte gut eine Stunde, meine Arme und Beine hatten sich längst versteift, doch sobald die weise Wölfin endlich einmal stehen blieb, begann auch schon meine Tochter unruhig zu quengeln. Rasch sprang ich vom Rücken des Wolfes und kramte in meiner Kleidung nach dem kleinen Bündel, das sich steif streckte.
„Hunger...“ Waren ihre drängenden Worte.
„Ich weiß, trink etwas von mir, Schatz.“ Für einen Moment, spürte ich einen stechenden Schmerz in meiner Schulter, dann begann die kleine auch schon an meinem Blut zu saugen, wie ein Baby an der Flasche.
„Wo sind wir eigentlich?“ Nach Orientierung suchend, drehte ich mich im Kreis und das erste, was mir auffiel, war der fehlende Schnee. „Sind wir noch in Grönland?“ Erkundigte ich mich verwirrt.

„Nein, ich bin direkt nach Kanada gelaufen. Von hier aus, ist es einfacher irgendwo hinzukommen mit menschlichen Mitteln.“
Erstaunt blickte ich die Urmutter von Wolf und Vampir an. Hatte sie gerade gesagt... sie sei mit meiner Tochter und mir auf dem Rücken, innerhalb einer gefühlten Stunde, von Grönland nach Kanada gelaufen. Ging das denn überhaupt? Gibt es eine Landverbindung zwischen den beiden Ländern, denn soweit ich mich noch aus der Schulzeit erinnerte, gab es bloß jede Menge Wasser. So etwas ist einfach unmöglich!
„Projiziere nicht die kurzlebigen Werwolffähigkeiten meiner Kinder auf mich.“ Mahnte Mischel. „Ich bin zu weit mehr fähig, als bloß das. Das letzte Mal, als ich nach Grönland kam, bin ich zu aller erst durch das Meer geschwommen und tagelang über Steppen gelaufen, dann durch Wälder, bis ich schlussendlich diese Eisgegend fand.“
Okay... das war wirklich zu viel des Guten, daher ließ ich es einfach darauf beruhen und kramte aus meinem tiefgefrorenen Rucksack, ein Päckchen mit Blut, um meinen Haushalt wieder aufzufüllen, welchen meine Tochter eben gefährlich heruntergefahren hatte. „Und wohin jetzt?“
„Zum Meer. Wir müssen doch durch den Ozean, um zu Vald zu kommen, nicht wahr?“
Das Meer... Ja klar, ich werde mit einer fast Zweijährigen durch das eiskalte Meer schwimmen... „Wir nehmen gefälligst ein Flugzeug.“ Meckerte ich und zog erst einmal die Jacke aus, in welcher es mir hier etwas zu heiß werden würde. „Setzt euch dort drüben hin, alle beide, und wartet auf mich.“ Beschwor ich Mischel und meine Tochter. „Ich werde uns... Okay, dir erst einmal etwas zum Anziehen besorgen, denn so kannst du wirklich nicht in ein Flugzeug. Danach besorge ich uns Geld und Tickets. Rührt euch ja nicht weg und... friss bitte nicht meine Tochter auf.“
Mischel hatte damit begonnen meine Tochter abzuknutschen, da sie diese so niedlich fand. Kopfschüttelnd wandte ich mich ab und rannte in das nächste Dorf, welches ich aufspüren konnte. Dort bezirzte ich ein paar Leute, sammelte Geld für Kleidung und lieh mir auch ein Handy um mich an den Flügen zu orientieren, wann ich wie am schnellsten nach Frankreich kam.
Als alles erledigt war, >lieh< ich mir von einer Familie ein Auto, da sie einen Kindersitz darin hatten, und sagte ihnen, wo sie es später abholen könnten. Noch einmal wollte ich diese wahnsinnige Reise nämlich nicht durchmachen! Wer wusste schon, wer es zufällig sehen könnte, wie ein Mädchen auf einem riesigen weisen Wolf ritt? Nicht gerade der Anblick, dem man Menschen zumuten wollte.
Ich kam gerade an, als Mischel kopfüber mit meiner Tochter vom Baum hing, und starrt die beiden ungläubig an. „Ihr seit doch... Gib mir sofort meine Tochter!“ Hastig entriss ich sie ihr und zupfte Blätter und Holz aus ihrer Kleidung.
„Heiß!“ Meckerte mein Baby.
„Schon gut, ich zieh dir ja schon den Mantel aus.“ Darauf hatte ich völlig vergessen, wodurch sie nun völlig verschwitzt war, und setzte sie in den Kindersitz. Zwar hatte mir die Frau von der ich mir das Auto geliehen hatte erklärt, wie der Sitz festzumachen sei doch... Mischel und ich benötigten mehr als zehn Minuten für die Bewerkstelligung dieser Aufgabe. Als wir es endlich schafften, wies ich sie an, etwas von der Kleidung anzuprobieren, welche ich mitgenommen hatte. Währenddessen reichte ich meiner kleinen Süßen, ein Päckchen mit Gummibärchen, welche sie noch nie in ihrem Leben gekostet hatte. Neugierig beobachtete ich sie, wie sie zum Ersten mal in eine Süßigkeit biss und seltsam das Gesicht verzog, bis sie sich an den neuen Geschmack gewöhnt hatte.
Gestört wurde ich in meiner Faszination von Mischel, welche ganz plötzlich begann, aus einem mir nicht sonderlich verständlichen Grund im Kreis zu laufen und laut „Es hat mich! Hilfe! Es hat meine Haare gefangen! Es hält sie fest! Hilfe, hilf mir doch! Es hält mich fest und ich bekomme es nicht ab!“
Tränen standen in ihren goldenen Iriden, während ich panisch nach einer Hilfsmöglichkeit suchte. Etwas hielt ihre Haare? Nur was? Ich sah nichts an ihr, außer das Kleid, welches ich geliehen hatte... Okay, dieses hatte ich gestohlen, aber dafür Geld hinterlassen!
„Was ist denn? Was hält dich fest?“ Rief ich aus und fing die panische Werwölfin ab.
„Das da! Das Kleid es hält meine Haare fest und lässt sie nicht los!“ Jammerte sie wie ein kleines Kind und deutete auf ihren Rücken.
Als ich hinter sie trat, stöhnte ich genervt. Das war doch nicht ihr Ernst, oder? „Hast du überhaupt schon jemals Kleidung getragen?“
„Nein!“ Rief sie empört aus. „Die stinken immer so nach totem Tier. Zumindest früher. Dieses jedoch riecht... irgendwie unnatürlich.“
Während ich vorsichtig ihre Haare aus dem Verschluss befreite, schüttelte ich erneut den Kopf. Toll... jetzt hatte ich nicht bloß eine Zweijährige am Rücksitz, sondern auch noch zusätzlich ein verschrecktes Kleinkind. „Vermutlich riechst du die Chemie an der Kleidung, mit der man sie wäscht, oder das Plastik des Verschlusses. Die Menschen machen ihre Kleidung großteils nicht mehr aus Fellen und Leder, da es ihnen zu teuer ist.“ Erklärte ich Mischel, in der Hoffnung, sie möge sich damit endlich beruhigen.
„Nun, ja. Wenigstens riecht es besser, als die toten Tiere an seinem Körper zu tragen.“
Stirnrunzelnd erwiderte ich ihren Blick. „Wie lange warst du schon nicht mehr unter Menschen?“
Sie zuckte unwissend mit den Schultern, woraufhin sich ihre fersenlangen Haare bewegten, als würde sie mitspringen. „Zweitausend Jahre. Vielleicht auch mehr.“
Erstaunt führte ich sie zum Auto. „Ähm... Wow. Das ist lange. Setzt dich hierhin.“
Ich half Mischel beim Anschnallen, dann nahm ich selbst auf der Fahrerseite platz. „Und dieses Ding bringt uns jetzt zu einem Flughafen?“
Ich nickte entschieden und startete den Wagen. „Wir fliegen von Kugluktuk erst einmal einige Zeit, müssen dann umsteigen bis wir einen Flieger nach New York finden. In dem können wir dann bis nach Toulouse fliegen, wo sich auch das Schloss des Königs befindet.“
„Kukguck-wohin?“ Fragte sie verwirrt.
Ich schmunzelte bloß. „Wir sind in einer halben Stunde dort. Ich habe bereits dort angerufen, sie haben einen Flieger bereitgestellt. Mit dem kommen wir bis zum kanadischen Flughafen in den Rockies. Von dort muss ich mich weiter erkundigen, außerdem brauchen wir erneut Geld, denn die Reise für drei Leute ist wirklich teuer!“
Zudem mussten wir uns eine Unterkunft suchen, ein Gebiet in dem ich jagen kann und einiges an Kinderkram mehr. Wie gut es doch in solchen Momenten war, ein Vampir zu sein. Dadurch konnte ich den einen oder anderen etwas >nehmen< und dann wo für sie hinterlegen, damit sie es abholen konnten.
Zwischendurch auf meiner viel zu langen Reise, mit einer fürchterlich, lästigen und nervigen Wölfin, musste ich Halt machen, um einen passenden Hut für Mischel zu suchen. Mit weisen Haaren, die bis zu den Fersen reichten, fiel man überraschenderweise sogar noch im einundzwanzigsten Jahrhundert auf, wobei die meisten ihr bloß ihre Anerkennung zollen wollten, für ihre Schönheit. Michels Augen musste ich dann schlussendlich auch noch verstecken, als ich auf einen Vampir traf. Ich schlug ihn zwar bewusstlos und konnte fliehen, doch war mir nicht sicher, ob er die unschuldig wirkende Frau nicht doch, als Wölfin enttarnt hatte.
Als wir endlich, nach für mich qualvollen Tagen, New York erreichten.... musste ich eine verdammte Kamera kaufen! Mischel erwähnte wie toll sie alles fand und wie gerne sie immer wieder hier durch die Menschenwelt streifen würde, auch wenn es lästig laut und stinkig war. Ich war dann so klug eine Kamera zu erwähnen... und kaufte kurzerhand eine für sie, deren Speicher sie viel zu schnell vollmachte, da sie wirklich >alles< fotografierte. Jedes Kleidungsstück, jeden Dreck auf dem Boden, jede Person die dick, groß, klein, farbenfroh, ausdruckslos... Lassen wir das lieber.
„Unser Flug geht in drei Stunden, das heißt wir können uns noch etwas zur Unterhaltung suchen. Wir sollten aber... Mischel?“
Erneut hatte sie etwas gefunden und deutete darauf. „Wer ist die große Frau dort?“
Ich lächelte, als sie auf ein Bild der Freiheitsstatue deutete. „Das haben Menschen irgendwann einmal gebaut.“
„Sie ist so große wie die großen Türme dort draußen, oder?“
Ich nickte. „So in etwa, ja.“ Ah! Endlich entdeckte ich einen Spieleladen und fand nicht bloß etwas für meine Zweijährige. Auch Mischel fand etwas >spaßiges,< dass mich mit seinen nervigen Geräuschen in den Wahnsinn trieb, somit kamen wir sogar fast zu spät für unseren Ersteklasseflug, der elfeinhalb Stunden dauern würde.
Ich selbst hatte mir CD´s und Kopfhörer besorgt, doch zu meinem Glück schliefen beide >Kinder< die ersten sechs Stunden ohnehin wegen ihrer Erschöpfung auf der Stelle ein.
Als sie erwachten, gab es erst einmal etwas zum Essen, dann spielten wir gemeinsam mit meiner Tochter und irgendwann, fand meine qualvolle Reise mit einem Babyvampir und einer Werwolfgöttin endlich ihr Ende!
Der Pilot verkündete, dass wir nun zur Landung ansetzten und ich stieß ein erleichtertes „Na endlich.“ hervor.
Das Einzige, was ich jedoch nicht bedachte... war unsere Begrüßung in Frankreich...

 

- - - - -

 

Anfänglich wunderte ich mich noch, weshalb der Flughafen dermaßen verlassen wirkte. Die anderen Fluggäste, die welche sich nicht in der Erstenklasse befunden hatten, mussten auch einen ganz anderen Weg, als Mischel und ich nehmen.
Natürlich... wir sind in Frankreich, dem Land, vor dem ich vor einigen... nein bereit Jahren davongelaufen bin, bloß um jetzt einigen Pistolenläufen entgegenzublicken.
Jedoch empfand ich keine Angst um mich, sonder bloß die große Sorge, dass jemand meiner Tochter etwas antun könnte. Dabei hatte ich doch mit voller Absicht, meinen richtigen Namen angegeben, damit Gerard ganz genau wusste, dass ich nach >Hause< komme.
In sein Zuhause, nicht meines! Das, für welches er mich zurückgelassen hat und mich nun von der anderen Seite der Halle anblickte, als wäre er immer noch unschlüssig, was er eigentlich hier an diesem Ort sollte.
Grummelnd stellte sich Mischel zwischen mich und die Vampirsoldaten, welche offensichtlich auf einen Befehl warteten.
Sanft drückte ich ihr meine Tochter in die Hand und schob die Wolfsgöttin zur Seite, um einen freien Blick auf Gerard zu haben. „Wag dich her, du mieses Schwein!“ Fluchte ich durch die Halle und einige wandten sich unsicher zu Gerard um. Anscheinand war er der führende Einsatzleiter dieser Gruppe, bestehend aus nicht weniger als mindest eintausend Jahre alten Vampiren.
Michellé hatte wohl vorgesorgt...
„Isles Skylander... Sie sind wegen des Hochverrats an unserem König, versuchten Mordes, ebenfalls an unserem Erschaffer und wegen Diebstahl angeklagt.“
Ich streckte dem Sprecher gleichgültig meine Zunge heraus, was ihn veranlasste eine Braue zu heben. „Ich versteh kein >Blah, Blah< von einem niederen Idioten wie dir. Ich will mit ihm sprechen.“ Mit ausgestreckter Hand deutete ich auf meinen Blutsbruder, meinen Gefährten und Vater meiner Tochter. „Am besten heute noch, bevor er seine gesamte Einheit und... seine Eier verliert!“ Drohte ich zornig, während mein verräterisches Herz vor Aufregung ihn wiederzusehen, beinahe aus meiner Brust sprang.
„Mama...“ Kam es hinter mir von meiner Tochter, welche ihre kleinen Hände, ängstlich nach mir ausstreckte, nachdem Mischel sie auf dem Boden abgestellt hatte.
„Ich kann mich ganz leicht um sie kümmern, wenn du willst, Isles.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, halte dich besser noch bedeckt.“ Mahnte ich und deutete dabei auf ihre Sonnenbrille, da ihre goldenen Augen über den Rand hervorblitzen.
In langen, doch langsamen Schritten, kam Gerard nach vorne, woraufhin sich eine Gasse für ihn, zwischen den Soldaten bildeten, welche gekleidet waren, ähnlich wie eine menschliche Polizeieinheit.
„Isles Skylander. Du bist offiziell vom König persönlich unter Arrest gestellt worden und sollst in im Gefängnis zu deinen Taten befragt werden. Folge ohne Wiederstand... und dir wird nichts geschehen.“
Ich fauchte fuchsteufelswild. „Wirklich? Das ist das Erste, was du zu mir sagst, du...“
„Isles!“ Mahnte er streng und deutete auf das kleine Wesen neben meinem Fuß.
Rasch fasste ich sie und drückte sie schützend an meine Brust. „Glaube ja nicht, ich lass dich näher an sie heran, als nötig, du missratener Bauerntrampel!“
Wie konnte er bloß so kaltherzig vor mir stehen. Mit zusammengepressten Lippen, schmalen, strengen Augen, angespannten Gesichtsmuskeln und diesem... prachtvollen Körper, den ich immer noch, egal wie sauer ich auch auf ihn war, am liebsten von oben bis unten ablecken würde...
Frustriert fauchte ich erneut, dieses Mal jedoch über meine hinterhältigen Gedanken!
„Isles, bitte. Weder ich, noch irgendjemand anderes hier möchte dir wehtun. Der König will dich lebend und größtenteils unbeschadet. Wenn du uns also einfach ganz langsam zum Lieferwagen, außerhalb des Gebäudes folgen würdest, wird niemandem irgendetwas geschehen.“ Versuchte er es erneut.
Mein Blick glitt zu Mischel. Sie war zum Kampf bereit und sogar aufgelegt dazu. Andrerseits wollte ich mich auch nicht, mit einer Zweijährigen im Arm, durch eine ganze Armee voller Blut kämpfen... Wieso also nicht zwei Fliegen mit einer Klappe?
Ich nickte zustimmend und neben mir ertönte ein widerwilliges Knurren.
Sofort wurden sämtlichen Waffen auf Mischel gerichtet und das Wort Werwolf fiel ganz deutlich.
„Stopp!“ Rief ich und streckte meinen Arm aus, um sie so gut wie möglich abzuschirmen. „Sie ist eine Gefangene... für den König. Wenn ihr sie also hier tötet, dann wird er euch alle in ein Essigbad stecken!“ Oder mich, weil ich sie zu ihm bringe, in diesem Fall war ich mir noch immer nicht ganz sicher!
„Wenn sie sich verwandelt. Ist sie tot.“ Befahl Gerard und mahnte uns gleichermaßen.
Fünf Minuten später, saßen Mischel und ich, in zwei verschiedenen Laster und wartete darauf, in das Schloss Tobonneau geführt zu werden. Gerade als Gerard in den Laster steigen wollte, fauchte ich bösartig. „Verpiss dich!“
„Isles, ich...“ Begann er, doch meine Drohgebärde ließ ihn innehalten.
„Ich reiße dich in Stücke, wenn du meiner Tochter und mir näher als drei Meter kommst. Ist das verständlich!“
Für einen langen Moment, erwiderte er meinen Blick, doch nickte dann bloß.
„Mama... ich mag wieder zu Papa.“ Auf diese unschuldigen Worte hin, erklang ein eifersüchtiges Fauchen und Gerard blickte mich vorwurfsvoll an.
„Keine Sorge!“ Beruhigte ich meinen kleinen Engel. „Bald sind wir wieder bei ihm und spielen im Schnee, ja.“
Ich spürte noch so lange Gerards wütenden Blick auf mir, bis jemand die Hintertüren schloss. Mit einem selbstzufriedenen Lächeln küsste ich das kleine Genie, das mich neun Monate und dreißig Stunden hatte leiden lassen, lobend auf die Stirn. „Wer ist mein großes Mädchen.“ Tuschelte ich mit ihr und erzählte ihr auf der kurzen Fahrt, einige der Geschichten, die ich in den letzten Jahren in Grönland aufgeschnappt hatte. Im Wissen... dass Gerard sie ebenfalls hörte und sich bis aufs Blut ärgerte!

 

- - - - -

 

Als wir im Schloss ankamen, änderte sich die Atmosphäre um uns herum kaum. Noch immer schien alles beim alten zu sein, bis auf eine Kleinigkeit, welche mich enttäuschte. Manon und Louis empfingen uns nicht...
Mein Herz wurde erneut schwer, als ich daran dachte, wie lange ich sie alle schon nicht mehr gesehen hatte und wandte mich in die Richtung, des Einganges, wo bereits König Michellé in der Türe stand und uns ungeduldig erwartete.
„Mein Herr.“ Gerard verbeugte sich tief und demütig, wofür ich ihm beinahe einen Tritt gegen den hochgereckten Hintern verpasst hätte, wenn ich mich nicht rechtzeitig an die drei Meter Regel erinnert hätte.
„Wer ist das Kind und die andere?“ Verlangte Michellé ohne Umschweife zu wissen.
Ich erkannte aus dem Augenwinkel, wie Mischel auf ihren geliebten Vlad zugehen wollte, und fing sie ab.
„Ich glaube, dass du das lieber unter vier Augen besprechen möchtest... Vlad.“ Ich sprach diesen Namen absichtlich deutlich aus, da ich bisher niemanden ihn so rufen gehört hatte und daher annahm, dass ihn auch niemand mehr kannte.
Nachdenklich legte er den Kopf schräg. „Vlad.“ Wiederholte er langsam, doch nickte dann, um meinem Vorschlag nachzugehen.
„Schaffst du das alleine?“
Die weißhaarige Schönheit, welche ihre natürliche Form unter einem breiten Hut und einer Sonnenbrille verbarg, nickte zuversichtlich. „Kümmere du dich um dein Kind und deinen Mann.“
Ich gab einen angewiderten Laut von mir. „Meinen >Mann< sehe ich erst wieder, wenn ich von hier weg bin.“ Log ich und entlockte ihr damit ein breites Lächeln, bevor mich die Werwölfin umarmte und meiner Tochter einen Kuss auf die Nase gab.
„Alles Gute, meine Liebe. Und danke... für einfach alles!“
„Danke mir nicht zu früh.“ Erwiderte ich lachend. „Er ist ein ekelerregendes Monster, das deine Anwesenheit nicht einmal ansatzweise verdient.“
Mit einem verspielten, letzten Lächeln, verschwand sie im Hauptgebäude und wurde vermutlich in die Königsgemächer gebracht.
Ich selbst, folgte ein wenig später, über einen separaten Eingang, was mich auf die Idee brachte, dass man mich überhaupt nicht hinab in das Gefängnis brachte. „Wohin gehen wir?“ Mittlerweile war ich bloß noch umgeben von vier Männern. Drei davon kannte ich nicht, der vierte war natürlich Gerard, welcher den Weg vorgab.
„Das wirst du gleich erfahren.“ Versprach er, was mich veranlasste sofort stehen zu bleiben.
„Oh, wird das wieder so eine deiner Versprechungen? Die du ja so toll einhalten kannst!“ Stichelte ich.
Provoziert wandte sich Gerard mir zu und fauchte, wobei er dabei eher frustriert Klang. „Halt einfach den Mund und komm mit.“
„Oder was?“ Fragte ich zischend.
„Oder ich lasse dich jetzt gleich und hier vierteilen!“
Ich lächelte sadistisch. „Oh, wie nett! Ja, hol noch einen weiteren Vampir, der stark genug ist, auch dich zu halten... oder nein, ich mache das liebend gerne auch selbst bei dir! Es wird mir eine himmlische Freude bescheren, dich schreiend unter meinen Füßen winden zu sehen!“
„Verschwindet!“ Schrie Gerard plötzlich so laut, dass meine Tochter erschrocken zum Weinen begann. Für einen Moment blickten sich die drei Wachen an, als ob sie dem Befehl nicht folge leisten wollten. „Sofort!“ Donnerte erneut seine tiefe Stimme durch den Raum, in welchem wir uns nun bereits befanden. Im nächsten Moment waren Gerard und ich völlig alleine, hinter verschlossenen Türen und ich drückte mein weinendes Kind noch näher an mich.
„Was soll das Isles? Wieso bist du hierher zurückgekommen?“
Dass es vielmehr eine Kurzschlussreaktion war, würde mich an diesem Punkt bestimmt nicht weiterbringen. „Weil ich jemanden kennengelernt habe, während ich mich um >mein< Kind in völliger Abgeschiedenheit versteckt habe.“
Demonstrativ verschränkte der muskulöse Blutsohn des Königs seine breiten Arme vor dem Oberkörper und spreizte die Beine, um einen festen Stand zu haben. „Und deshalb bist du zurückgekommen? Um mir das zu sagen?“
Langsam stellte ich meine Tochter auf dem Boden ab und sie begann neugierig den teuren Teppich mit ihren dreckigen Schuhen zu beglücken. Innerlich war ich bloß noch stolzer auf sie. Definitiv eine Rebellin, wie ich. „Nein, ich bin wegen Michellé zurückgekommen. Ich habe jemanden für ihn mitgebracht, auch wenn ich noch nicht so genau weis, ob das gut oder schlecht für ihn ausgeht.“
„Wen?“ Fragte er bissig.
„Eine neue Freundin.“ Antwortete ich daraufhin kalt und zwang mich meinen Blick alleine auf das Kleinkind vor mir geheftet zu lassen und nicht seine makellose Statur anzuschmachten.
„Isles! Ich weiß du bis wütend auf mich und ich wäre auch noch nachgekommen, das schwöre ich...“
„Nein!“ Rief ich zornig aus und bleckte die Zähne. „Keine Versprechungen mehr, Gerard! Ich bin es dermaßen leid ständig...“
Ich bemerkte nicht einmal, dass er sich bewegte, da stand er auch bereits unmittelbar vor mir und küsste mich unverblümt auf den Mund. Seufzend schlang ich meine Arme um seinen festen Nacken, fasste mit meinen Fingern in sein wenig längeres Haar und presste meinen gesamten Körper fordernd an ihn.
Verdammt... wie lange ist es bloß her? Diese Wärme, der Geruch, sein Geschmack auf meiner Zunge! Es war, als hätte man mir vor zwei Jahren irgendetwas weggenommen, von dem ich überhaupt keine Ahnung gehabt hatte und nun erhielt ich es endlich, nach einer langen, unnötigen Leere wieder zurück.
„Isles...“ Flüsterte sehnsüchtig an meinen Lippen und gab mir die Chance seine Zunge zu meinem liebsten Duell herauszufordern, bis ich etwas hartes und unnachgiebiges im Rücken fühlte.
Zornig stieß ich Gerard von mir. „Nein! Hör auf damit!“ Rief ich, frustriert darüber meinen Gelüsten einfach wieder nachzugeben, aus. „Ich hasse dich! Ich hasse dich mehr noch, als diesen barbarischen Abschaum von König, dem du schon wieder dienst, wie ein fleißiger, perverser Schoßhund!“
Mit einem Aufschrei, welcher mehr wie ein Kampfruf klang, stieß ich mich von der Wand ab, landete in Gerards Armen und bedeckte erneut seine Lippen mit meinen, da ich der Versuchung nicht noch länger standhalten wollte. Was ist das bloß? Wie konnte ich Gerard bloß so sehr begehren... so sehr lieben, obwohl es mir das Herz brach, wenn ich bloß daran dachte, wie oft er mich schon betrogen und angelogen hat. „Ich hasse dich!“ Flüsterte ich zwischen den leidenschaftlichen Küssen und weitete sie aus, bis zu seinem Hals, welchen er mir vertrauensvoll darbot.
Fester als nötig, bediente ich mich an seinem kostbarsten Gut, saugte das würzige Leben, welches unter seiner Haut lebte, einfach aus ihm hervor, als wäre er eine nachfüllbare Flasche und stöhnte, als der Geschmack mir eine erneute Glückswelle bescherte.
Nach fünf tiefen und gierigen Zügen, zwang ich mich, aufzuhören, schloss die Wunde mit einem Kuss und blickte Gerard, der Liebe meines Lebens und zugleich der Mensch, den ich am meisten hasste, in die wunderschönsten Augen, die ich kannte. Leidenschaftlich leckte er die dünne Blutspur von meinem Kinn, hinauf bis zu meinen bebenden Lippen, bevor er mich mit einem Blick musterte, welcher mich fast schon zum Weinen brachte, da es so herrlich war, mich darin sonnen zu können.
„Du warst schon wieder nicht da! Dir war, wie immer alles wichtiger... Dir war, der verdammte König wichtiger!“
Gerard schüttelte den Kopf. „Nein! Das stimmt nicht. Ich bin bloß für dich hiergeblieben, um sicher zu gehen, dass sie dich nicht finden.“
Fuchsteufelswild zog ich meine Nägel durch sein Gesicht und schrie vor seelischen Schmerzen auf. „Das ist doch keine Begründung, du Arschloch!“
Verletzt, innerlich wie auch äußerlich, ließ er mich auf meine eigenen zwei Beine fallen und raufte sich sein wild abstehendes Haar. „Alles, Isles! Wirklich alles, was ich die letzten Jahren gemacht habe, war bloß für dich. Um dir ein sicheres Zuhause, eines Tages schencken zu können!“
„Ich hatte ein sicheres Zuhause, Gerard! In Grönland dort wohin du mir folgen wolltest, hatte ich einen Mann, der mich liebt, eine wunderschöne Tochter, Freunde die ehrlich und herzensgütig sind und ein Haus, das mir gehört!“
„Und wieso bist du nicht einfach dortgeblieben? Bist bei deinem >perfekten Mann< geblieben?“ Eifersucht, Verbitterung und Trauer standen ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, doch Gerard war der Letzte in diesem Raum, der etwas davon empfinden durfte. Diese Gefühle standen alleine mir zu!
„Weil...“ Begann ich und legte mir zurecht, wie ich ihm erklärte, dass ich das alles bloß für Mischel getan hatte, damit sie ihre große Liebe wieder treffen konnte. Ihm die Wahrheit sagen, über das was mit ihr danach geschehen ist.
„Diese... letzten Jahre...“ Begann Gerard verbittert. „Sie waren die Hölle für mich! Aller Reichtum, jedes Land und jeder Freund der Welt kann dich in meinem Herzen, in meinen Gedanken und meinen Empfindungen kein bisschen ersetzen. Du warst das Einzige, an was ich Tag und Nacht gedacht habe. Und... Der Grund weshalb ich erst später zu dir stoßen wollte, war der, dass ich wusste, du würdest wütend auf mich sein, wenn du herausfindest, dass du schwanger von mir bist.“ Beim letzten Satz glitt Gerards Blick sehnsüchtig zu dem kleinen, unschuldigen Mädchen, das gerade angefangen hatte eines der Regale auszuräumen.
Chaos stiften... das war so etwas wie ihr Geburtsrecht, dachte ich schwermütig.
„Moment... du wusstest es?“
Gerard nickte bestätigend. „Natürlich. Ich bin lange vor dir erwacht und da lagst du in meinen Armen. Es war schwer zu übersehen, was geschehen ist und... ich hätte auch nicht für möglich gehalten, dass diese Anziehung zwischen uns so stark sein könnte, dass es... so etwas bewirkt, obwohl wir so weit entfernt wie möglich voneinander lagen. Sogar in separaten Räumen und...“
Ich brachte Gerard mit einer Handbewegung zum Schweigen und ein breites, selbstzufriedenes Lächeln glitt über meine Lippen. „Willst du mir etwa gerade sagen... dass du Angst vor mir hast?“
Gerard trat unschlüssig, was er darauf antworten sollte, von einem Bein auf das andere. „Nein, nicht direkt Angst, natürlich. Ich dachte nur... Das war ganz bestimmt ein großer Schock für dich und ich bin in solchen Dingen nicht unbedingt der besten Ansprechpartner...“ Stammelte er ungehalten und etwas verärgert über sich selbst, vor sich hin, während ich ihm bei seinem Rückzug bei jedem Schritt folgte.
„So, so. Der große Gerard, Schoßhund des Königs, Blutsohn... des Königs und größter Krieger, der jemals erschaffen wurde...“ Gerards Rücken stieß gegen die Wand und er erstarrte am Fleck, wie ein Brett. „...hat angst, vor einer vorlauten, nervigen, Furie?“
Fauchend streckte er seinen Arm aus, packte mich im Haar und zog mich mit einem Ruck an sich, der einen lüsternen Schauder durch meinen vernachlässigten Körper trieb. „Sag das noch einmal und ich werde dieser vorlauten, nervigen Furie den Mund stopfen.“
Schelmisch lächelte ich zu Gerard auf. „Vielleicht würde das der vorlauten, nervigen Furie sogar gefallen?“ Schlug ich vieldeutig vor.
Mit einem wütenden Blick vorausgehend, welcher von seinem freudigen Seufzen jedoch eine Lüge gestraft wurde, küsste er mich erneut, dieses Mal jedoch wesentlich zärtlicher und süßer, denn bisher.
Als ich mich von ihm löste, wollten meine Füße bereits, wegen der überflut an Gefühlen in mir, nachgeben. Liebevoll zog Gerard mich erneut in seine kräftigen, doch fürsorglichen Arme. „Glaube mir bitte, dass ich jede Sekunde, die du nicht da warst, entsetzlich gelitten habe.“
Skeptisch zog ich die Brauen hoch. „Ach, hast du etwa ebenfalls neun Monate einen Ball in deinem Bauch herumgetragen? Oder lagst du dreißig Stunden in den Wehen? Hast du vielleicht ein quengelndes Baby aufgezogen, von dem ich noch nichts weis und...“
Mit einem Schmunzeln, das mir den Atem raubt, küsste Gerard mich erneut. „Nein, aber du darfst mir alles bis ins kleinste Detail erzählen und das tagein, tagaus, wenn es nach mir geht.“ Dabei glitt sein Blick zu seiner Tochter, welche bereits einige wichtig aussehende Zettel mit ihrem Speichel vollsaute. „Und um das dort, werde ich mich kümmern.“
Lächelnd entließ ich ihn, ausnahmsweise, aus meiner Umklammerung und beobachtete Gerard dabei, wie er meiner Tochter sanft tadelnd, die Papiere abnahm und ihr erklärte, damit würde sie sich schneiden. Fälschlicherweise jedoch in Französisch.
„Sie spricht bloß Isländisch.“ Belehrte ich Gerard.
Er warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu, da er vermutlich französisch bevorzugte, doch das war mir egal. Er ist nicht da gewesen, also hatte ich die Sprache gewählt.
„Wie hast du unsere Tochter überhaupt benannt?“ Fragte Gerard, während er über die kindlich, dicken Wangen des kleinen Energiebündels streichelte.
Jetzt war es an mir, herum zu stammeln. „Ähm... Also da waren... einige die mir gefallen haben.“
„Also hat sie mehrere?“
„J-Ja... Das... könnte man so sagen...“ Ich hatte sie ja auch sehr häufig, immer wieder anders benannt. Aber... eine endgültige Entscheidung... Ich konnte mich einfach niemals dazu durchringen mich für einen zu entscheiden, wenn Gerard nicht einwilligt.
Verblüfft blickte Gerard zu mir auf. „Warte... Hat sie etwa noch überhaupt keinen?“
Verlegen verneinte ich. „Irgendwie konnte ich mich bisher nicht dazu überwinden.“
„Wieso nicht?“ Fragte er und zeigte der Kleinen die Zunge, als sie schüchtern zu ihm aufsah.
„Weil sie nicht bloß mein Kind ist, Gerard.“ Gestand ich nun offen und hoffte, er würde mich nicht damit aufziehen.
Schmunzelnd hob er sie hoch und kam mit unserer gemeinsamen Tochter wieder zu mir zurück. Glücklich nahm ich sie entgegen und spürte zufrieden, wie sie ihre Arme schutzsuchend um mich schlang. Natürlich machte dieser riesige und stämmige Mann ihr große Angst.
Liebevoll küsste Gerard mich auf die Stirn und zog uns beide dann in eine Umarmung, welche ich bloß zu gerne genoss. „Ich habe, seit ich wusste, dass du schwanger bist, darüber sinniert, welcher Namen passen könnte. Zwar wusste ich nicht, ob es ein Junge, oder ein Mädchen sei, doch habe ich einfach für beide gesucht, auch auf die Gefahr hin, dass du ihr alleine aus Trotz und Wut auf mich, einen gibst, der mir niemals einfallen würde.“
„Oder gefallen.“ Grinste ich frech.
„Gefallen? Egal was du tust, es wird mir immer gefallen, meine Liebste.“ Zärtlich hauchte Gerard mir einen Kuss auf die Lippen, was mich fröhlich zum Lächeln brachte. Erneut.
Himmel, kaum war ich fünf Minuten alleine mit Gerard, leuchtete ich wie eine Leuchtreklame. Dabei hatte ich mir die letzten Monate so viel Mühe gemacht, ihn zu hassen, zu verfluchen und mir vorzustellen, wie, wann und wie häufig ich ihn für all das leiden lassen würde. Für jede Träne, jeden Zorn, jeden Ausbruch und vor allem, für jeden eisigen Schmerz.
Aber jetzt... Direkt vor Gerard zu stehen, beschenkte mich mit einer Ruhe, welche ich völlig verdrängt hatte, dass es sie gibt. Eine Ruhe, nein ein >Friede< welchen ich bisher bloß in seinen Armen und vor allem auf dem Schiff, bei unserer Flucht empfunden hatte.
Sehnsüchtig dachte ich an unsere Stunden, in welchen wir alles in unserer Umgebung zertrümmert hatten, uns geliebt, mit Gefühlen beschenkt und jede Menge spaß gehabt haben. Mein Herz schmolz in mir, als ich auf die beiden Wesen blickte, die mir im Leben am meisten bedeuteten. Oder war es die Kälte, welche sich in Grönland um es herumgelegt hatte?
„Schau mal... Weist du, wer das ist?“ Fragte ich auffordernd mein kleines Mädchen. „Das ist Gerard, dein Papa, weist du?“ Neugierig, doch versteckt an meinem Hals, blickte sie zu Gerard auf, welcher sie liebevoll anlächelte und am Rücken streichelte. „Wenn du ihr noch etwas Zeit gibst, dann fängt sie Vertrauen zu dir.“ Versprach ich Gerard.
„Ich weiß. Und wenn ich sie noch etwas besser kennenlerne, dann erfahre ich bestimmt auch, dass sie so eine kleine nervige Furie ist, wie du, richtig?“
Zur Strafe trat ich Gerard auf den Fuß, was mir jedoch bloß ein amüsiertes Lächeln einbrachte, und schmolz dabei erneut dahin. „Hätten wir viel Zeit und einen geeigneten Platz, dann würde ich viel lieber etwas völlig anderes machen.“ Säuselte ich.
„Wirklich? Ich dachte, du seist wütend auf mich.“
„Da wusste ich ja auch noch überhaupt nicht, dass du dich vor mir fürchtest!“ Erinnerte ich ihn frech, was mir ein Fauchen einbrachte.
„Ich habe ganz bestimmt keine Angst vor dir!“ Abweisend wandte er sein Gesicht ab.
Lachend küsste ich seine stoppelige Wange, bevor ich mich an Gerards Schulter kuschelte. „Versprich mir ja nie wieder etwas, klar?“
Er sagte nichts dazu, sondern hielt mich einfach liebevoll in seinen Armen, bis unsere gemeinsame Nervensäge endlich eingeschlafen war. „Truble.“ Kam es plötzlich von Gerard und ich blickte fragend zu ihm auf.
„Was?“
„Er wäre einzigartig, so wie sie und entspräche dem Charakter, den sie unverwechselbar von ihrer Mutter geerbt hat.“
„Truble?“ Wiederholte ich ungläubig, doch wurde dabei liebevoll von meinem kleinen Spatzen geküsst. „Truble, also?“ Der erste Sprössling des Chaos. „Wehe aber du beklagst dich dann später, weil er nicht französisch ist, denn eine zweite Chance auf eine Namenswahl bekommst du sicher nicht!“ Meckerte ich gleich daraufhin von vorne.
Ja... was wäre Gerards Leben schon, ohne etwas Meckern und ausflippen meinerseits? Langweilig, nicht wahr?

Göttin, Heimkehr nach Tobonneau

 So leise wie ich die Türe geöffnet hatte, schloss ich diese auch wieder. Es war bereits halb sechs Uhr morgens. Mein kleiner Engel, war wie immer um diese Uhrzeit, bereits hellwach und wartete in ihrem Gitterbett, dass ich sie heraus nahm. Zuerst jedoch wärmte ich ihr etwas Milch, diese musste sie noch trinken, da ich bestimmte Zustatzstoffe ergänzen durfte. Trotz ihres noch menschlichen Körpers, behielten Vampirkinder anscheinend noch bestimmte Vitamine und andere Stoffe nicht, die ich ihr deshalb in einer höheren Dosis geben durfte, als es gesund für ein normales, menschliches Kind, in diese Alter wäre.
„Guten Morgen, mein Engel.“ Begrüßte ich sie, so leise es ging, und reichte ihr Fläschchen. Während die Kleine Trank, packte ich einige Sachen zusammen. Und ja... es mag vielleicht einige nun überraschen, an diesem Punkt, besonders Njal, wenn er es herausfindet, doch ich habe vor, zurückzukehren. Es ist nicht so, dass ich Gerard vermisse... Okay, das tute ich tatsächlich, mehr als dass ich es mir eingestehen wollte. Aber mir geht es hierbei um etwas anderes! Es geht um Göttin und um etwas, das angefangen hat, noch bevor der homosapiens noch irgendetwas von Werwölfen und Vampire geahnt hatte!
Seufzend über mein fürchterlich schlechtes Gewissen, schrieb ich so schnell auf einem Zettel, wie ich die Worte dachte. Danach überflog ich ihn erneut, ignorierte die Flüchtigkeitsfehler und legte den Zettel auf den Nachtkasten, welcher neben dem Bett stand, in welchem Njal noch immer tief schlief.
Nachdem ich meine Kleine, unter der Jacke, mit einem Schal an mir befestigt hatte, zog ich ihr eine große Mütze über den Kopf, welche sie von der Kälte beschützte und schlang einen weiteren, breiten Schal um uns beide, damit der Wind uns nicht zu sehr im Gesicht zusetzte.
Noch bevor Njal seine Augen öffnete, hatte ich mich bereits so weit von der Siedlung entfernt, dass er mich nicht mehr einholen konnte, und traf mich mit der Wölfin am vereinbarten Platz.
„Wie niedlich!“ Stieß die Wölfin hervor, noch während sie in ihre menschliche, nackte Form glitt und fummelte an meinem äußeren Schal herum, um das Gesicht meiner Tochter sehen zu können. „Wie hasst du sie genannt?“
Verlegen richtete ich den Schal wieder und versteckte das schlafende Kleinkind damit vor der Kälte. „Wir sollten nicht hier in der Kälte quatschen, sondern weiter, bevor sie mich einholen.“
„Gut, dann spring einmal auf und schließe am besten deine Augen.“ Langsam trat sie in den morgendlichen Nebel zurück und verschwand direkt vor meinen Augen. Plötzlich hörte ich ein drängendes Knurren hinter mir und drehte mich nach der weißen, riesigen Wölfin um. Ein klares >Los jetzt<.
Schaudernd, dank meiner natürlichen Abneigung gegen Werwölfe, zwang ich mich mit aller Kraft auf den Rücken der großen Bestie und schrie erschrocken auf, als sie einfach loslief, ohne sich zu gewissern, ob ich auch bereits sicher auf ihr saß.
Mit aller Kraft, krallte ich mich in das lange, weise Fell, was kaum vom Schnee zu unterscheiden war und kniff meine Augen zusammen, um den Schneeflocken, welche wie Eissplitter gegen mein Gesicht schlugen, zu entkommen.
Es dauerte gut eine Stunde, meine Arme und Beine hatten sich längst versteift, doch sobald die weise Wölfin endlich einmal stehen blieb, begann auch schon meine Tochter unruhig zu quengeln. Rasch sprang ich vom Rücken des Wolfes und kramte in meiner Kleidung nach dem kleinen Bündel, dass sich steif schreckte.
„Hunger...“ Waren ihre drängenden Worte.
„Ich weiß, trink etwas von mir, Schatz.“ Für einen Moment, spürte ich einen stechenden Schmerz in meiner Schulter, dann begann die kleine auch schon an meinem Blut zu saugen, wie ein Baby an der Flasche.
„Wo sind wir eigentlich?“ Nach Orientierung suchend, drehte ich mich im Kreis und das erste, was mir auffiel, war der fehlende Schnee. „Sind wir noch in Grönland?“ Erkundigte ich mich verwirrt.

„Nein, ich bin direkt nach Kanada gelaufen. Von hier aus, ist es einfacher irgendwo hinzukommen mit menschlichen Mitteln.
Erstaunt blickte ich die Urmutter von Wolf und Vampir an. Hatte sie gerade gesagt... sie sei mit meiner Tochter und mir auf dem Rücken, innerhalb einer gefühlten Stunde, von Grönland nach Kanada gelaufen. Ging das denn überhaupt? Gibt es eine Landverbindung zwischen den beiden Ländern, denn soweit ich mich noch aus der Schulzeit erinnerte, gab es bloß jede Menge Wasser. So etwas ist einfach unmöglich!
„Projiziere nicht die kurzlebigen Werwolffähigkeiten meiner Kinder auf mich.“ Mahnte Mischel. „Ich bin zu weit mehr fähig, als bloß das. Das letzte Mal als ich nach Grönland kam, bin ich zu aller erst durch das Meer geschwommen und tagelang über Steppen gelaufen, dann durch Wälder, bis ich schlussendlich diese Eisgegend fand.“
Okay... das war wirklich zu viel des Guten, daher ließ ich es einfach darauf beruhen und kramte aus meinem tiefgefrorenen Rucksack, ein Päckchen mit Blut, um meinen Haushalt wieder aufzufüllen, welchen meine Tochter eben gefährlich heruntergefahren hatte. „Und wohin jetzt?“
„Zum Meer. Wir müssen doch durch den Ozean, um zu Vald zu kommen, nicht wahr?“
Das Meer... Ja klar, ich werde mit einer fast Zweijährigen durch das eiskalte Meer schwimmen... „Wir nehmen gefälligst ein Flugzeug.“ Meckerte ich und zog erst einmal die Jacke aus, in welcher es mir hier etwas zu heiß werden würde. „Setzt euch dort drüben hin, alle beide, und wartet auf mich.“ Beschwor ich Mischel und meine Tochter. „Ich werde uns... Okay, dir erst einmal etwas zum Anziehen besorgen, denn so kannst du wirklich nicht in ein Flugzeug. Danach besorge ich uns Geld und Tickets. Rührt euch ja nicht weg und... friss bitte nicht meine Tochter auf.“
Mischel hatte damit begonnen meine Tochter abzuknutschen, das sie diese so niedlich fand. Kopfschüttelnd wandte ich mich ab und rannte in das nächste Dorf, welches ich aufspüren konnte. Dort bezirzte ich ein paar Leute, sammelte Geld für Kleidung und lieh mir auch ein Handy um mich an den Flügen zu orientieren, wann ich wie am schnellsten nach Frankreich kam.
Als alles erledigt war, >lieh< ich mir von einer Familie ein Auto, da sie einen Kindersitz darin hatten und sagte ihnen, wo sie es später abholen könnten. Noch einmal wollte ich diese wahnsinnige Reise nämlich nicht durchmachen! Wer wusste schon, wer es zufällig sehen könnte, wie ein Mädchen auf einem riesigen weisen Wolf ritt? Nicht gerade der Anblick, dem man Menschen zumuten wollte.
Ich kam gerade an, als Mischel kopfüber mit meiner Tochter vom Baum hing und starrt die beiden ungläubig an. „Ihr seit doch... Gib mir sofort meine Tochter!“ Hastig entriss ich sie ihr und zupfte Blätter und Holz aus ihrer Kleidung.
„Heiß!“ Meckerte mein Baby.
„Schon gut, ich zieh dir ja schon den Mantel aus.“ Darauf hatte ich völlig vergessen wodurch sie nun völlig verschwitzt war, und setzte sie in den Sitz. Zwar hatte mir die Frau von der ich mir das Auto geliehen hatte erklärt, wie der Sitz festzumachen sei doch... Mischel und ich benötigten mehr als zehn Minuten für die Bewerkstelligung dieser Aufgabe. Als wir es endlich schafften, wies ich sie an, etwas von der Kleidung anzuprobieren, welche ich mitgenommen hatte. Währenddessen reichte ich meiner kleinen Süßen, ein kleines Päckchen mit Gummibärchen, welche sie noch nie in ihrem Leben gekostet hatte. Neugierig beobachtete ich sie, wie sie zum Ersten mal in eine Süßigkeit biss und seltsam das Gesicht verzog, bis sie sich an den neuen Geschmack gewöhnt hatte.
Gestört wurde ich in meiner Faszination von Mischel, welche ganz plötzlich begann, aus einem mir nicht sonderlich verständlichen Grund im Kreis zu laufen und laut „Es hat mich! Hilfe! Es hat meine Haare gefangen! Es hält sie fest! Hilfe, hilf mir doch! Es hält mich fest und ich bekomme es nicht ab!“
Tränen standen in ihren goldenen Iriden, während ich panisch nach einer Hilfsmöglichkeit suchte. Etwas hielt ihre Haare? Nur was? Ich sah nichts an ihr, außer das Kleid, welches ich geliehen hatte... Okay, dieses hatte ich gestohlen, aber dafür Geld hinterlassen!
„Was ist denn? Was hält dich fest?“ Rief ich aus und fing die panische Werwölfin ab.
„Das da! Das Kleid es hält meine Haare fest und lässt sie nicht los!“ Jammerte sie wie ein kleines Kind und deutete auf ihren Rücken.
Als ich hinter sie trat, stöhnte ich genervt. Das war doch nicht ihr ernst, oder? „Hast du überhaupt schon jemals Kleidung getragen?“
„Nein!“ Rief sie empört aus. „Die stinken immer so nach totem Tier. Zumindest früher. Dieses jedoch riecht... irgendwie unnatürlich.“
Während ich ihre Haare aus dem Verschluss befreite, schüttelte ich erneut den Kopf. Toll... jetzt hatte ich nicht bloß eine Zweijährige am Rücksitz, sondern auch noch zusätzlich ein verschrecktes Kleikind. „Vermutlich riechst du die Chemie an der Kleidung, mit der man sie wäscht, oder das Plastik des Verschlusses. Die Menschen machen ihre Kleidung großteils nicht mehr aus Fellen und Leder, da es ihnen zu teuer ist.“ Erklärte ich Mischel, in der Hoffnung sie möge sich damit endlich beruhigen.
„Nun, ja. Wenigstens riecht es besser, als die toten Tiere an seinem Körper zu tragen.“
Stirnrunzelnd erwiederte ich ihren Blick. „Wie lange warst du schon nicht mehr unter Menschen?“
Sie zuckte unwissend mit den Schultern, woraufhin sich ihre fersenlangen Haare bewegten, als würde sie mitspringen. „Zweitausend Jahre. Vielleicht auch mehr.“
Erstaunt führte ich sie zum Auto. „Ähm... Wow. Das ist lange. Setzt dich hierhin.“
Ich half Mischel beim Anschnallen, dann nahm ich selbst auf der Fahrerseite platz. „Und dieses Ding bringt uns jetzt zu einem Flughafen?“
Ich nickte entschieden und startete den Wagen. „Wir fliegen von Kugluktuk erst einmal einige Zeit, müssen dann umsteigen bis wir einen Flieger nach New York finden. In dem können wir dann bis nach Toulouse fliegen, wo sich auch das Schloss des Königs befindet.“
„Kukguck-wohin?“ Fragte sie verwirrt.
Ich schmunzelte bloß. „Wir sind in einer halben Stunde dort. Ich habe bereits dort angerufen, sie haben einen Flieger bereitgestellt. Mit dem kommen wir bis zum kanadischen Flughafen in den Rockies. Von dort muss ich mich weiter erkundigen, außerdem brauchen wir erneut Geld, denn die Reise für drei Leute ist wirklich teuer!“
Zudem mussten wir uns eine Unterkunft suchen, ein Gebiet in dem ich jagen kann und einiges an Kinderkram mehr. Wie gut es doch in solchen Momenten war, ein Vampir zu sein. Dadurch konnte ich den einen oder anderen etwas >nehmen< und dann wo für sie hinterlegen, damit sie es abholen konnten.
Zwischendurch auf meiner viel zu langen Reise, mit einer fürchterlich, lästigen und nervigen Wölfin, musste ich Halt machen, um einen passenden Hut für Mischel zu suchen. Mit weisen Haaren, die bis zu den Fersen reichten, fiel man überraschenderweise sogar noch im einundzwanzigsten Jahrhundert auf, wobei die meisten ihr bloß ihre Anerkennung zollen wollten, für ihre Schönheit. Michels Augen musste ich dann schlussendlich auch noch verstecken, als ich auf einen Vampir traf. Ich schlug ihn zwar bewusstlos und konnte fliehen, doch war mir nicht sicher, ob er die unschuldig wirkende Frau nicht doch als Wölfin enttarnt hatte.
Als wir endlich, nach für mich qualvollen Tagen New York erreichten.... musste ich eine verdammte Kamera kaufen! Mischel erwähnte wie toll sie alles fand und wie gerne sie immer wieder hier durch die Menschenwelt streifen würde, auch wenn es lästig laut und stinkig war. Ich war dann so klug eine Kamera zu erwähnen... und kaufte kurzerhand eine für sie, deren Speicher sie viel zu schnell vollmachte, da sie wirklich >alles< fotografierte. Jedes Kleidungsstück, jeden Dreck auf dem Boden, jede Person die dick, groß, klein, farbenfroh, ausdruckslos... Lassen wir das lieber.
„Unser Flug geht in drei Stunden, das heißt wir können uns noch etwas zur Unterhaltung suchen. Wir sollten aber... Mischel?“ Erneut hatte sie etwas geufunden und deutete darauf. „Wer ist die große Frau dort?“
Lächelte, als sie auf ein Bild der Freiheitsstatue deutete. „Das haben Menschen irgendwann einmal gebaut.“
„Sie ist so große wie die großen Türme dort draußen, oder?“
Ich nickte. „So in etwa, ja.“ Ah! Endlich entdeckte ich einen Spieleladen und fand nicht bloß etwas für meine Zweijährige. Auch Mischel fand etwas >spaßiges< dass mich mit seinen nervigen Geräuschen in den Wahnsinn trieb, somit kamen wir sogar fast zu spät für unseren Ersteklasseflug, der Elf einhalb Stunden dauern würde.
Ich selbst hatte mir CD´s und Kopfhörer besorgt, doch zu meinem Glück schliefen beide >Kinder< die ersten sechs Stunden ohnehin wegen ihrer Erschöpfung auf der Stelle ein.
Als sie erwachten, gab es erst einmal etwas zum Essen, dann spielten wir gemeinsam mit meiner Tochter und irgendwann, fand meine qualvolle Reise mit einem Babyvampir und einer Werwolfgöttin endlich ihr Ende!
Der Pilot verkündete, dass wir nun zur Landung ansetzten und ich stieß ein erleichtertes „Na endlich.“ hervor.
Das Einzige was ich jedoch nicht bedachte... war unsere Begrüßung in Frankreich...

Truble Tobonneau, die Zukunft von Tobonneau

Oben am höchsten Punkt, des großen Schlosses, umgeben von Flammen und Rauch, blickte ich hinab, zu den kämpfenden Körpern. Dreißig Jahre kämpfen hatte nicht bloß bei uns, in Toulouse seine Spuren hinterlassen, sonder auch auf der gesamten Welt.
Einst, so erzählte mir meine Mutter, hielt man den Menschen für ein zerstörerisches Wesen, egoistisch, unbedacht, lüstern und nicht gerade... die hellste Spezies. Mein Vater nannte sie liebevoll >Blutbeutel<, wofür er sich zwar jedes Mal einen Schlag einfing, doch ich sah dies genauso wie er. Menschen sind meine Beute, mein Lebenselixier und mussten deshalb beschützt werden, damit wir nicht verhungern müssen. Leider mussten wir sie sogar vor sich selbst beschützen, da sie auf die irrsinnige Idee kamen, eine Nuklearrakete auf uns zu werfen. Mal ehrlich! Wer tut so einen Unsinn?
Und, ja die Menschen wissen, dank der Wölfe, von uns. Ich weiß noch nicht einmal wie es davor ausgesehen hat. Wie >Friede< aussieht, denn bisher durfte ich ihn nicht kennenlernen. Aber mal ernsthaft! Wer braucht schon Frieden? Das Leben ist so viel lustiger, wenn man jeden Tag ein neues Abenteuer bestreiten kann!
„Ah huuu!“ Schrie ich langgezogen hinaus in die Welt, woraufhin aus jeder Richtung ein Teil meines Rudels antwortete, lauthals mit mir über unseren Triumph sangen und sich freute, wie an jedem anderen Tag ebenfalls.
„Trubel!“ Kam es von unten, dem Eingang des Schlosses.
Neugierig wandte ich meine smaragdgrünen Augen hinab auf die, in Leder gekleidete Person, welche mich nach unten winkte. Ich setzte mein liebstes Schmunzeln auf, drehte ihr den Rücken zu und ließ mich einfach nach hinten fallen.
„N-Nicht schon wieder!“ Fluchte meine überfürsorgliche Mutter, doch das meiste ihrer Worte fraß der Wind, welcher mir wild durch mein blondes Haar fuhr. Lachend wartete ich ab, dass ich auf dem Boden ankam, doch stattdessen, landete ich gemütlich auf einem pelzigen Rücken, der gerade noch rechtzeitig aus dem ersten Stock sprang, um mich vor möglichen Knochenbrüchen zu retten.
Wild knurrend warf er mich ab und ich landete laut lachend auf dem Boden. Mit einer drohenden Geste baute er sich über mir auf und bleckte seine Zähne. Sanft umfasste ich sein weiches Gesicht und genoss das Gefühl, welches entstand, als er sich langsam wieder in seine menschliche Form verwandelte. „Wolltest du dich schon wieder umbringen, du törrichte Schlange?“
Nachdrücklich zog ich sein Gesicht zu mir herab und küsste ihn fest auf den Mund, noch bevor er sich befreien konnte. Mit einem angewiderten Laut sprang er auf seine nackten Beine und entfernte sich von mir. „Isles! Gerard! Zügelt endlich eure verdammte Tochter!“ Brüllte der Mann, welcher gut dreißig Jahre jünger war, als ich selbst, doch trotzdem bereits ein Erwachsener.
Unsanft wurde ich von meinem Vater auf die Beine gezogen. „Wie oft noch? Hör endlich damit auf Michellés Sohn zu ärgern, oder er hängt dich irgendwann noch einmal dafür!“
Meine Mutter enthielt sich lieber der Meinung, denn ihr war alles recht, was ich tat, um den König oder seine kleine, bereits fünfköpfige Familie zu ärgern.
„Skyfall! Was ist da hinten los, verdammt?“ Kam es aus dem Hörer in meinem Ohr.
„Wir sind ja schon unterwegs, wir mussten bloß Trubel einfangen.“ Murrte mein Vater und schubste mich voran, sodass ich in Richtung der großflächig angelegten Gärten ging.
„Mischel kämpft im Hintergarten, wir sollen sie unterstützen.“ Klärte mich meine Mutter bereitwillig auf.
„Ach... Mama! Schieß mich bitte wieder hinauf. Ich will auch im Luftkampf tätig sein!“ Beklagte ich mich.
„Nein! Du bist noch nicht bereit.“ Beklagte mein Vater, nahm meine Mutter an einer dafür vorgesehen Vorrichtung am Rücken und drehte sich viermal im Kreis, bis er genug Schwung zusammen hatte, um sie hoch in die Wolken werfen zu können. Neidisch sah ich ihr hinterher, wie sie einen der vielen Flieger vom Himmel holte.
„Das ist so gemein! Sogar Mischels drei Söhne dürfen bereits dort oben kämpfen!“ Beklagte ich mich beleidigt.
„Bist du ein Schattenwerwolf, wie Mischel oder ihre Söhne?“ Verärgert streckte ich meinem Vater die Zunge heraus, anstatt darauf zu antworten, nahm Anlauf und sprang auf den Rücken eines vorbeilaufenden Sohnes der Göttin, welche heute als Schattenwölfin bekannt war, Königin der Werwölfe, Ursprung der Vampire und Ehefrau des europäischen und mittlerweile einzig verbliebenen, Vampirkönigs. Zudem die Mutter seiner Drillinge, welche ich für mein Leben gerne reizte.
„Sei vorsichtig!“ Rief mir mein Vater noch hinterher, doch ich hielt bloß meinen Mittelfinger hoch und ließ mich vom schwarzen Schattenwerwolf direkt hinter die feindliche Linie der menschlichen Soldaten werfen, welche es irgendwie geschafft hatten unsere Wächter dort auszuschalten und nun einen Großteil davon besetzten.
Ja, ja. Mein Leben könnte kaum aufregender sein. Und, ja. Wie gesagt, meine Mutter behauptet vielleicht, dass die Menschen das zerstörerische Volk sei... aber ganz ehrlich? Ich bin noch tausendmal besser darin und es macht mir fast mehr Spaß, als alles andere... Von daher... „Ah huuu!“ Meine Lieben... Möge euer Leben mindestens genauso aufregend und blutig sein, wie meine Natur...

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 02.08.2016

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