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He isn´t my boyfriend

Ding! Dang! Dong!
Das Läuten der Schulglocke riss mich unerwartet aus meinen tiefen Gedanken. Sie verkündete, dass meine letzte Schulstunde, an meinem ersten Schultag, nachdem ich ganze drei Monate gefehlt hatte, endlich endete. Dank einiger Lehrer, hatte ich all den Schulstoff nach Hause bekommen. Und dank einer schweren Krankheit, welche ich bereits seit Kindheitstagen an gehabt hatte, lag ich mindestens einmal im Jahr, für einige Wochen im Bett. Immer wieder fieberte ich, hustete und spuckte Blut. Dann, von einem Tag auf den anderen, war es einfach vorbei und ich konnte wieder in die Schule gehen. Die Ärzte nennen es eine körperliche Überreaktion, oder so ähnlich. Mein Körper produziert zu dieser Zeit massenhaft weiße Blutkörperchen, und reagiert, als würde er gegen eine schwere Krankheit ankämpfen. Nebenbei produziert er zu viel Blut, was ich schlussendlich durch erbrechen, oder starken Nasenbluten los wurde. Meine Mutter nannte es liebevoll, meine Periode. Tatsächlich hatte ich diese bisher noch immer nicht bekommen, doch mein Gynäkologe sagte, dass von dem her alles in Ordnung sei. Keine Ahnung was mein Körper bloß anstellte, doch wenigstens kamen diese, wie ich sie nannte >Anfälle< zirka um die Schulferien herum.
Dieses Mal jedoch, war mein Organismus länger geschädigt gewesen als jemals zu vor. Ich hatte sogar eine Nierentransplantation in Betracht ziehen müssen, jedoch vor einer Woche... endete es plötzlich. Mein Körper agierte normal, mein Fieber verschwand und meine Niere arbeitete, als hätte sie bloß einen Scherz gemacht. Etwas, das jedoch die Ärzte nicht behandeln konnte, war, dass mich mein Körper auch zur Außenseiterin machte. Und das war etwas, das viel mehr an mir nagte, als mein verfluchter Körper. Es war egal, was ich anzog, ob ich mich stylte, oder das neuerste Handymodell besaß. Ich wurde gemieden. Fälschlicherweise behaupteten immer wieder irgendwelche Schüler, wenn sie krank waren, dass ich sie angesteckt hätte, es sei meine Schuld. Meine Mutter hatte schon dutzende Attest ausgeteilt, dass meine Krankheit nicht ansteckend sei, es war einfach eine >angeborene< Krankheit. Jedoch, was sollte man schon von Kindern erwarten? Natürlich schlossen die stärkeren, die schwächeren aus, hänselten sie und zeigten ihnen, wo ihr Platz ist. Das hatte ich schon oft zu spüren bekommen, weshalb ich bereits einmal meinen Wohnsitz gewechselt hatte. Anfänglich bin ich akzeptiert worden, ich habe meinen Mitschülern und Lehrern von vorne herein erklärt, was mit mir nicht stimmt, dass ich nicht ansteckend bin und vier Fünftel des Jahres, nicht anders als sie selbst bin. Es ging gut... das erste Jahr. Das zweite Jahr, fiel ich im Klassenraum zusammen, ausgerechnet am letzten Schultag. Mein Fieber brach aus, mein Magen entleerte, überschüssiges Blut, woher es auch immer gekommen sein möge, und mein Kopf begann zu schmerzen, als würden alle gleichzeitig auf ihn eintreten. In den Ferien hatten sich natürlich Gerüchte gesammelt, gemeine Beschimpfungen, gefolgt von meidende Blicken. Jetzt, im vierten und damit letzten Jahr, war es mir egal geworden.

Ich hatte gelernt, damit umzugehen, meine Mutter hatte mir beigebracht, wie ich mich wehrte und meine Lehrer unterstützten mich natürlich. Dank ihnen hatten auch der Spott, so wie die Streiche geendet. Oder vielleicht lag es auch einfach daran, dass alle sich wegen ihres Abschlusses mehr Sorgen machten. Die Ausgrenzung ist jedoch immer deutlich zu spüren. Die Seitenblicke, das leise Getuschel. Ich würde damit leben müssen. Immerhin ist einmal im Jahr krank sein, immer noch besser, als ständig von irgendeiner Krankheit heimgesucht zu werden. Als letzte betrat ich den Raum mit den Spinden, wo alle ihre Sachen wegsperren können. Die Lehrer, gaben mir immer diese Zeit, damit ich mich nicht am Ende des Tages noch den Blicken, aller Klassen aussetzen musste. Manchmal riefen sie mich raus, ließen mich im Lehrerzimmer etwas Pause machen und tratschten mit mir. Sobald der Großteil dann fort war, stahl ich mich leise zu meinem Spind, öffnete ihn so leise, wie es mir möglich war, immerhin knarrten, so gut wie alle Türen, und wickelte eilig meinen dicken Schal um meinen Hals, schlüpfte in meine beigen Handschuhe und räumte meine Schulbücher hinein, welche ich heute nicht mehr benötigte. Mein ausgeschaltetes Handy wartete bereits artig auf mich, als ich auch schon die Türe des Spindes schloss und zu meinem Wintermantel ging, welcher mir bis zu den Knien reichte. Während ich hinein schlüpfte, schaltete ich mein Handy ein, streifte die Kapuze über meinen Kopf und schickte meiner Mutter eine Nachricht, dass ich jetzt aus der Schule gehen würde. Ich musste mich immer melden, wenn ich mein Handy aus-, oder einschaltete. Sie war regelrecht paranoid, wenn es um mich ging. Immerhin konnte mir jederzeit irgendetwas passieren. Ich zog sie gerne damit auf, dass sie eine Glucke sei, doch sie stimmte mir bloß zu gerne dabei zu.

 

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Der Bus, mit dem ich eigentlich schneller daheim sein würde, fuhr vor meiner Nase vorbei, als ich aus dem Schulgebäude trat, doch das störte mich nicht. Ich ging lieber die fünf Kilometer zu Fuß nach Hause, als mit den ganzen Spinnern in einem kleinen Gefährt eingequetscht zu sein. Mit meinen Kopfhörern unter der Kapuze konnte ich nicht verstehen, was die Mädchen dämliches lästerten, an denen ich einige Meter weiter, vorbei ging. Ich ignorierte sie und tat, als hätte ich eine super wichtige Nachricht erhalten, passierte die Tussen und ließ ihre Gemeinheiten hinter mir zurück. Stolz überkam mich, wodurch ich nach zehn Minuten Fußmarsch, zu summen begann und mit den Fingern im schnellen Takt des Liedes >Cololor< schnippte.
Sobald ich in den kleinen Park einbog, welcher die lange Strecke nach Hause verkürzte, sah ich aus dem Augenwinkel, dass ein Junge, scheinbar in meinem alter, exakt dasselbe tat. Ich wandte mich wieder meinen Gedanken zu, begann sogar leise vor mich hin zu singen, da er einen großen, willkommenen, Abstand zu mir hielt. Während ich durch die langen Alleen und perfekt angelegten Blumenkästen schlenderte, vermisste ich die blühende Vielfalt des Frühlings und Sommers. Normalerweise, nahm ich mir immer Zeit, tratschte manchmal sogar mit einigen Gärtnern, zumindest mit denen, die mich verstanden und erkundigte mich über die Blumen hier. Jetzt im jedoch, im Winter, lagen die Samen und Sprösslinge noch sicher verwahrt unter der dünnen Frostschicht des Winters. Weitere zwanzig Minuten, war ich bloß noch zwei Straßen von meinem Haus entfernt. Als ich eine verlorene Münze bemerkte, blieb ich stehen und bückte mich nach ihr.
Was ich jedoch keinesfalls erwartete, war bloß eine Sekunde später über den Haufen gerannt zu werden. Mit einem Schmerzenlaut kam ich unangenehm, mit dem Gesicht voran auf dem Beton auf, in meinem Knie explodierte ein stechender Schmerz und in meinen Rücken bohrte sich etwas schweres. Stöhnend rappelte sich neben mir jemand, plappernd wieder auf, doch ich verstand die Person nicht. Es dauerte noch einen Moment, bis ich den Schock überwunden hatte und bemerkte, dass meine Kopfhörer mich hinderten, etwas zu hören. „So viel liebe um diese Uhrzeit ertrage ich nicht.“ Fluchte ich dem Boden entgegen und warf meine Kopfhörer zur Seite, während ich mein blutendes Knie betrachtete. Leider musste ich dafür mein Hosenbein hochziehen und fröstelte sofort. „Mist, du bist verletzt. Hier, ich habe immer etwas dabei...“ Der Junge neben mir, welcher bereits wieder aufrecht stand, kramte in seiner Schultasche. Schnell zog er ein kleines rotes Kästchen hervor, daraus holte er ein steriles Tuch, so wie Desinfektionsmittel. „Halt still.“
„Sag ja nicht, das ist ein brenn... Ah!“ Ja, es war ein brennendes Desinfektionsmittel, doch der Schmerz dauerte nicht lange an. Nach einem Moment, verblasste er und und bloß ein leichtes Kribbeln blieb zurück.
„Geht es schon besser?“ Ich blickte hoch in die unbekannten hellbraunen Augen von dem Typ, welcher mich umgerannt hatte.
„Jetzt schon, aber wenn du unbedingt den Helden spielen möchtest, solltest du das Opfer nicht selbst umrennen.“ Lachend klebte er mir ein großes Pflaster auf das Knie.
„Verdammt, du hast meine Tarnung durchschaut.“ Grinste er. „Dabei hatte ich gehofft, so einige Punkte zu sammeln.
Mein nicht sonderlich eleganter Sturz war vergessen, während ich ihm dabei zusah, wie er mein Knie fachmännisch pflegte.
„Nun, ja vielleicht kann ich darüber hinwegsehen, immerhin hast du mich scheinbar gut versorgt.“ Nach einem letzten prüfenden Blick auf mein bereits versorgtes Knie, ließ ich mir von ihm auf die Beine helfen.
„Das ist alles Übung.“ Meinte der Junge und zwinkerte mir zu.
„Was? Rennst du etwa jeden Tag unschuldige Leute über den Haufen, bloß weil sie Glück haben eine einzelne, einsame Münze zu finden?“ Irgendwie hatte ich es geschafft, während dem Sturz die gefundene Münze in meiner Hand zu behalten.
„Wenn ich zufällig jemanden treffe...“ Laut lachend, von dem wirklich schlechten Wortwitz hielt ich ihm meine Hand hin.
„Becca.“ Stellte ich mich vor.
„Scott.“ Nannte er seinen Namen, bückte sich nach meiner hinunter gefallenen Seitentasche, zusammen mit meinen Kopfhörern und reichte sie mir. „Du wohnst hier in der Nähe?“
Ich nickte. „Ja, bloß zwei Straßen weiter. Und du bist der, der mich seit dem Park verfolgt, nicht?“
Nachdenklich schien er in seine Gedanken zurückzukehren und sich in Erinnerung zu rufen, ob er das wirklich getan hatte. „Stimmt, ich habe dich bereits in der Schule gesehen, wenn ich mich nicht täusche.“
Da es hier gerade einmal drei Schulen gab und bloß eine davon auf mich zutreffen konnte, nickte ich. „Ja, wir sind offenbar aus derselben. In welchem Jahrgang bist du?“
„Im Vierten. Du?“
Er ist im Selben wie ich? Wie konnte das sein? Hatten wir etwa einen neuen Schüler? Aber weshalb wusste ich... natürlich, ich hatte ja keine Freunde, die mir das sagen könnten. „Oh, du bist wohl ein neuer Schüler. Das habe ich wohl verpasst.“ Gab ich beschämt zu. „Dann sind wir wohl quitt, nicht wahr? Du hast mich die letzten drei Monate nicht bemerkt, dafür habe ich dich über den Haufen gerannt.“
Scott und ich setzten unseren, Gleichen, Weg fort. „Ich war auch die ersten Monate nicht in der Schule. Ich war krank und bin erst seit Silvester wieder auf den Beinen.“
Sofort verschwand sein Lächeln und Besorgnis drang in sein Gesicht. „Tatsächlich? Das tut mir leid, ich wollte mich nicht lächerlich über dich machen.“ Als ob mir so etwas noch auffallen würde. Ich winkte ab.
„Schon in Ordnung. Mittlerweile müsste ich es ja gewohnt sein.“ Immerhin musste ich Hohn, so wie Spott bereits seit meiner Kindheit ertragen. Bloß wegen einer dummen Krankheit, welche bloß einmal im Jahr auftrat. Das war so lächerlich!
„Was? Wieso dass denn?“ Nun war ich überrascht. Wusste er es tatsächlich nicht? Hatten die anderen ihm nicht von mir erzählt, oder sollte ich es eher als >über mich gespottet< eingliedern?
„Oh... ich wusste nicht... Ich dachte, die anderen hätten dir schon über mich erzählt?“
„Sollten sie denn?“
Offenbar nahm der Stress des letzten Jahres alle ziemlich ein. „Nun, ja eigentlich nicht, da es sie alle einen Scheiß angeht. Aber normalerweise warnen sie alle neuen Schüler von mir.“
„Oh! Ich erinnere mich. Am Anfang des Jahres war diese... komische Schulzicke bei mir...“
„Betty?“ Fragte ich und unterbrach ihn. „Ja, genau die. Sie hat mir erzählt, dass es noch ein Mädchen in der Nebenklasse gibt, die sie alle ausgrenzen. Ich glaube, du hast irgendeine angeborene Krankheit, oder so etwas.“ Offenbar hatte es ihn wirklich nicht interessiert. Das erstaunte mich, denn Neulinge versuchen sich doch immer anzupassen.
„Ähm... Ja?“ Wieso klang ich eingeschüchtert? Die ganze Situation war so verdreht. „Es ist eine Art... Immunerkrankung. Die Ärzte können es sich nicht erklären, aber ich habe dutzende Atest, dass ich nicht ansteckend bin!“ Verteidigte ich mich sofort, aber Scott schien es generell nicht zu interessieren.
„Ich hätte auch noch nie gehört, das ein angeborener Fehler ansteckend sei. Das ist unmöglich. Natürlich könntest du es auf deine Kinder, oder Enkelkinder übertragen, aber bestimmt nicht wie einen Virus, oder mittels...“ Scott verstummte und schien sich ertappt zu fühlen. „Entschuldige, ich rede schon wie mein Bruder.“ Grinsend griff er sich an die Stirn.
„Du hast einen Bruder? Bist du etwa mit deiner Familie hier her gezogen?“
Scott schüttelte den Kopf. „Nein, bloß mit ihm. Also, ja... gewisser Maßen mit meiner Familie, denn er ist der Einzige, den ich noch habe, der Rest lebt eher... entfernter.“
„Ihr wohnt alleine hier?“ Wie konnten sie sich das denn bitte leisten? Mein Vater ist ein angesehener Mann, er arbeitete im Marketing und verkauft selbst die billigsten Sachen, alleine durch seine Ausstrahlung, um einiges teurer, als sie sein müssten. Dadurch konnten meine Mutter und ich, da meine Eltern getrennt leben, ein recht gutes Leben führen.
„Nein, nein. Mein Onkel, mütterlicherseits, lebt hier. Er ist in Pension und passt auf uns auf, bis ich aus der Schule draußen bin.“
„Dein Bruder arbeitet also schon?“ Ich sah sein Zögern regelrecht.
„Mehr oder weniger.“ Also sollte es wohl bedeuten, dass er und sein Bruder unterschiedlich waren? Nein, es ging mich auch überhaupt nichts an. Vermutlich sollte ich nicht einmal näher nachfragen. Außerdem waren meine Fragen nun ohnehin hinfällig, da wir bereits in >unserer< Straße ankamen. „Sag nicht, du wohnst auch hier?“ Fragte Scott sichtlich überrascht.
„Gut, dann schweigen ich wohl besser und nehme dieses Geheimnis mit ins Grab.“
Scotts Zurückhaltung verschwand nun vollkommen und er lächelte wieder freudig.
„Frauen. Immer stecken sie voller unfassbarer Geheimnisse.“ Tadelte er mich, gespielt vorwurfsvoll. Da Scott am ersten Haus der Straße stehen blieb, wusste ich, dass er bereits zuhause angekommen war.
„Dann wünsche ich dir noch einen schönen Tag. Wir sehen uns.“ Verabschiedete ich mich, doch bezweifelte, dass wenn er morgen mit den anderen über mich sprach, jemals wieder mit mir sprechen würde. Dabei konnte ich es ihm nicht einmal verübeln. Scott hat Charakter, eine nette Ausstrahlung und sah auch noch gut aus. Jemand wie er durfte nicht mit mir befreundet sein.
„Pass auf, dass du dich am Weg zu deinem Haus nicht verläufst.“ Warnte er mich plötzlich, als ich mich zum Gehen wandte.
„Keine Sorge, die Fallgruben auf dieser Straße nenne ich bereits beim Vornamen.“ Rief ich über meine Schulter zurück und hob die Hand zum Abschiedsgruß.
„Ich mache mir eher Sorgen um die scharfen Kurven auf dieser geraden Straße! Du weißt, wie die Leute heutzutage schneiden.“ Verwundert über den überaus unlogischen Witz, drehte ich mich nun doch noch einmal zu Scott um. Er lehnte am grün gestrichenen Eisenzaun und sah mir hinterher, während ich auf das letzte Haus in der Straße zuging. Ja, er würde mir definitiv fehlen, denn ich machte mir nicht einmal die kleinsten Hoffnungen, dass aus uns jemals Freunde werden könnte. Spätestens morgen Nachmittag, würde er mir nicht einmal einen Blick schenken und seine dummen Späße, welche beinahe wie meine waren, für mich, für immer verstummen.

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„Du hast lange nach Hause gebraucht.“ Schimpfte meine Mutter am Handy, als ich kaum den Haustürschlüssel in die Schale für unsere vielen Schlüsseln gelegt hatte. Ich sagte doch, Glucke!
„Mama, das Thema hatten wir doch bereits.“
„Du weißt welche Sorgen ich mir um dich mache.“ Einmal im Jahr sein Kind beinahe sterben zu sehen, hatte einige Schrauben im Kopf meiner Mutter locker werden lassen. Jedoch fand ich es keineswegs nervig, oder abstoßend. Im Gegenteil, es machte mich glücklich. „Ja ich weiß. Aber der erste Tag ist gut verlaufen. Die haben alle Stress mit den letzten Prüfungen, du weißt ja, wie wichtig die allen sind.“
„Ja und dir sollten sie ebenso wichtig sein, Liebes.“ Ja... damit hatte ich nun doch so meine Probleme.
„Die Kranken-Karte kann ich bei dir wohl nicht mehr ziehen, oder?“
Ihren vorwurfsvollen Blick, konnte ich selbst durch das Telefon spüren.
„Ich bin um sechs daheim.“ Und das Knallen der Taste, konnte ich regelrecht fühlen. Natürlich sollte ich keine Scherze über meine Krankheit machen, doch was stattdessen? Schmollen und im Selbstmitleid baden? Dazu war ich einfach zu lebensfroh.
Nachdem ich mein Handy zurück in meine Hosentasche gleiten ließ, kippte ich einige Fenster, da meine Mutter dies nie machte und ich es hasste, wenn es so abgestanden und warm hier drinnen wurde. Meine nächsten Schritte führten mich in mein Zimmer, wo ich den Stand-PC anwarf und nebenbei das den Knopf drückte, damit ich wieder Internet im Haus hatte. Kurz sprang ich unter die Dusche, da ich heute bestimmt nicht mehr dazu kommen würde, schnappte mir aus der Küche eine Flasche mit Cola und eine Wasserflasche. In den Mund steckte ich mir eine Tüte Chips, meine Lieblingssorte mit Paprika darauf und tapste mit nassen Füßen wieder hinauf in mein Zimmer. Mein PC war natürlich bereits hoch gefahren und wartete bloß darauf, dass ich los legte.
Mein Bester, und natürlich einziger, Freund.
In meiner Playlist waren bereits meine liebsten Lieder eingespeichert, ganz oben die Gorillaz, welche sofort durch meine tollen Boxen dröhnten und dem Haus etwas Leben schenkten. Nachdem ich mich in einem meiner vielen Onlinespiele eingeloggt hatte, vergaß ich voll und ganz auf die Zeit. Irgendwann brachte mir meine Mutter mein Abendessen, dass ich völlig verwirrt entgegennahm, denn die Chips hatte ich noch nicht einmal angerührt. Völlig verloren in meiner Online Welt, in welcher ich leben konnte, so wie ich wollte, kam ich erst kurz vor Mitternacht ins Bett. Mit, vermutlich, dicken Augenringen, welche morgen folgen würden, kuschelte ich mich unter die Bettdecke und glitt in einen traumlosen Schlaf.

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Als ich wieder erwachte, dank meines einmal mehr oder weniger, geliebten Weckers, ging ich ins Bad, wusch mein Gesicht, putzte meine Zähne und frisierte meine Haare. Zehn Minuten später, saß ich unten am Frühstückstisch und aß eine Schüssel mit Müsli. Für mehr hatte ich diesen Morgen einfach keine Zeit. Gerade als ich, fest eingepackt in meinem Wintermantel, aus dem Haus stürmte, um den letzten Bus zu erwischen, der mich nach allen anderen zur Schule bringen würde, fand ich mich völlig überrumpelt vor Scott wieder.
„Was machst du denn hier?“ Die Worte kamen abweisender über meine Zunge, als beabsichtigt, doch Scott schien es nicht einmal zu merken. Gehüllt in seine rote dicke Jacke und der Pudelmütze, mit einem Puschel am obersten Ende, wirkte er fast jünger als ich selbst.
„Eigentlich wollte ich mit dir gemeinsam zur Schule, immerhin haben wir denselben Weg... aber irgendwie bist du recht spät dran.“ Langsam, immer noch unsicher wie ich sein Verhalten deuten sollte, kam ich auf ihn zu und ging noch langsamer an ihm vorbei. „War das zu aufdringlich? Wenn, ja dann tut es mir leid, aber ich hatte gehofft, wir können etwas mehr Zeit miteinander verbringen, denn ehrlich gesagt, bist du bisher die Einzige in diesem Kaff, die meine Witze versteht und darauf eingeht.“
Das konnte ich gut nachvollziehen. Auch ich mochte ihn, zumindest waren wir definitiv auf derselben Wellenlänge. Mir ist das einfach noch nie passiert. Plötzlich steht da jemand, ein Fremder, und scheint genauso zu sein wie du. Schien exakt denselben Humor zu besitzen und man versteht sich auf Anhieb mit dieser Person. So etwas war einfach... einmalig. Es war natürlich nicht so, als würde mein Herz rasen, oder Schmetterlinge plötzlich meinen Magen bewohnen. Es war einfache.... Freundschaft. Auch wenn man diese Person bloß einmal getroffen hatte, wusste man, niemals mehr würde man jemanden treffen, den man genauso mag. Nicht einmal nach Zehn, oder zwanzig Jahren.
„Scott... Ich denke nicht, dass du dich mit mir anfreunden wirst, können. Die anderen... sie werden dich...“
Verärgert unterbrach er mich. „Becca, ich bin bestimmt niemand, der sich vorschreiben lässt, mit wem er befreundet ist. Außerdem kann ich recht gut auf mich selbst aufpassen. Ich bin ein großer Junge und ich war bereits oft >der Neue<.“ freundschaftlich legte Scott seinen Arm um meine Schulter und zog mich mit sich, die Straße hinunter. Auf der Fahrt zur Schule versuchte ich, Scott noch ein paar mal zu erklären, weshalb mich alle mieden und das ich offenbar derzeit, dank dem Schulstress eine Schonfrist habe, die ich keinesfalls verspielen möchte. Vor allem nicht, da ich wusste, dass sie ihn ebenfalls schikanieren und auslachen würde. Das möchte ich ihm nicht antun. Dafür war er einfach viel zu nett. Kurz bevor wir ankamen, konnte ich ihm das Versprechen abnehmen, dass wir während unserer Freizeit eben Freunde wären, doch in der Schule sollte er sich von mir fernhalten. Er akzeptierte, doch fand es lächerlich.
Ich betrat das Klassenzimmer, genau als es zur Stunde läutete. Alle machten sich daran ihren Platz einzunehmen und niemand schien bemerkt zu haben, dass Scott und ich die Letzten gewesen waren. Während der Stunde konnte ich eigentlich an nichts, außer Scott denken. Er hatte bereits den Wunsch geäußert, dass er mit mir befreundet sein möchte. Ich fand diesen Gedanken toll und es wärmte mir das Herz, denn bisher wollte niemand mit mir befreundet sein. Meistens ging es auch nie lange gut. Meine >Freunde< wurden schikaniert, oder erpresst, dann mussten sie mich in Ruhe lassen. Dabei konnte ich es ihnen nicht einmal verübeln. Könnte ich, würde ich auch nicht in meinem Körper stecken wollen.
„Deine Hausaufgaben?“ Überrascht blickte ich auf in das strenge, mit leichten Falten durchzogene Gesicht, meines Sprachlehrers.
Oh, stimmt. Da war ja etwas. „Tut mir leid, ich habe gestern in der Eile mein Hausaufgabenheft in den Spind gelegt.“ Seufzend ging er zurück zur Tafel und verdonnerte mich zweimal die Hausordnung abzuschreiben. Murrend schlug ich meinen Block auf und sah nach, ob ich nicht noch zwei Exemplare übrig hatte. Tatsächlich hatte ich diese, also musste ich mich heute doch nicht damit abmühen. Trotzdem würde ich bis morgen zwei Hausaufgaben schreiben müssen. Das wurmte mich jetzt! Verärgert über meine verstreuten Gedanken, denn ich hatte gestern keinen einzigen Gedanken mehr an Hausaufgaben verschwendet, packte ich zum Ende der Stunde, meine Sachen zusammen und, war wie immer, die letzte. Kaum hatte ich den Flur vor betreten, stand links von mir eine Gruppe an Schüler. Ich kannte alle, denn sie waren aus meiner Klasse, ignorierten mich jedoch. Der Lärm, den die Schüler verursachten, in meinem Stockwerk war gewaltig. Ich konnte kaum eine Gruppe, geschweige denn eine Person von der anderen unterscheiden, doch alle Gespräche schienen sich auf die Schule zu beschränken.
An einigen, an denen ich auf meinen Weg drei Klassen weiter, zum nächsten Unterricht ging, hörte ich jemanden weinen, da sie mit einer >eins minus< nun bestimmt nicht den höchsten Durchschnitt haben würde. Kopfschüttelnd ging ich einfach weiter. Ich sollte mich da erst recht nicht einmischen, da mein Durchschnitt irgendwo bei >vier< liegt. Ich betrat den Chemieraum, als ich meine Lehrerin entdeckte und suchte natürlich wie immer meinen Platz hinten in der letzten Reihe. Dort stand ich nicht von den anderen unter Beschuss und hatte sie gut im Auge. Kaum hatte ich mein Chemiebuch aus der Tasche gezogen, wurde eine völlig fremde Tasche auf meinem Tisch, der eigentlich für zwei gemacht war, aber es saß ja niemals jemand neben mir, außer ein Lehrer befahl es, geworfen. Verwirrt betrachtete ich die Tasche. Sie war ganz neu, stylisch und voll gestopft. Sie gehörte definitiv einem Jungen und sobald ich meinen Blick hob, wusste ich auch sofort wem.
„Was machst du denn?“ Wir hatten doch eine Vereinbarung, oder? Wieso hielt er sich nicht daran?
„Der Lehrer hat mir diesen Platz zugeteilt, während du weg warst. Also teilen wir ihn uns jetzt.“ Grinste er frech, doch hatte eine monotone Stimme dabei. Die anderen konnten bloß seinen Rücken im Blick, daher sah bloß ich dieses verschwörerische Lächeln.
Kaum hatte sich Scott neben mich gesetzt, kam ein Ruf aus der mittleren Reihe. „He! Scott, setzt dich zu mir, ich habe einen freien Platz für dich.“ Das war einer unsere Klassenclowns. Eigentlich hing er bloß mit zwei anderen aus der Nebenklasse ab, wenn es die Zeit gerade ergab, doch sein Tisch war der einzige, mit einem weiteren leeren Platz. „Ich werde hier hinten schon nicht sterben, keine Sorge.“ Gab Scott zurück, packte die nötigen Sachen für den Unterricht aus, dann erklang auch bereits das Läuten zur Stunde. Während der Lehrer den Unterricht begann, tuschelten ständig alle und warfen uns beiden, verärgerten Blicke zu.
Zumindest ich bekam die Verärgerten, Scott die Mitleidigen. „Du bist ein Idiot, weißt du das?“ Flüsterte ich ihm nach knapp zehn Minuten zu. Er grinste bloß und langte ungefragt zu meinem Federpenal, um sich einen Radierer zu leihen.
„Weshalb? Soll ich etwa den ganzen Unterricht lange stehen?“
„Du weißt wie ich das meine.“ Warf ich ihm vor. Mittlerweile war ich richtig verärgert über sein Verhalten. Wenn er sich mit der Menge anlegen wollte, war es nicht mein Problem. Da er mich aber unweigerlich mit einbezog, würde ich darunter leiden müssen. Und das wesentlich mehr als er.
„Natürlich weiß ich das, aber du weißt nicht, was für ein eigensinniger Sturkopf ich sein kann.“ „Damit erreichst du aber nichts, außer uns beiden, unnötige Probleme aufzuhalsen.“ Wieso konnte er es denn nicht verstehen. In der Schule konnte man mit mir nicht befreundet sein. Außerdem kannte ich ihn doch überhaupt nicht, wieso wollte er so etwas denn so dringend?
„Ich erkläre es dir später, wenn wir heimgehen. Treffen wir uns am Park?“ Ich stimmte stumm zu, doch Scott gab trotzdem noch nicht auf. Bei einer Gruppenarbeit wurde er eindeutig dazu aufgefordert, einer anderen beizutreten. Ich wurde wieder einmal vom Lehrer zwangsmäßig in eine gebracht. Zwar saß ich bloß nebenbei und beobachtete die anderen, fühlte dabei jedoch, wie Scott demonstrativ versuchte mich, mit einzubeziehen. Nach dem x-ten giftigen Blick, welche er alleine von mir kassierte, reichte es mir. Ich fragte den Lehrer, ob ich die Toilette benutzen durfte. Natürlich hatte dieser alles neugierig verfolgt und nickte zustimmend, auch wenn sie sah, dass ich meine Tasche mitnahm, während die ersten Tränen in meinen Augenwinkeln glänzten. Wieder einmal hatte ich alles hören dürfen. Wie sie dezent Scott warnten, was ich, doch für eine seltsame Person bin, eine Aussätzige, jemand mit dem man sich aus gesellschaftlichen Gründen nicht anfreunden durfte.
Und ich war es leid.
Zum ersten Mal seit langem, war ich es wieder leid. Obwohl ich bereits alle Beschimpfungen und Vorurteile mehrere tausend Mal in den verschiedensten Wortwahlen gehört hatte, tat es nun doch wieder weh. So sehr, dass ich bitter zu weinen begann, als ich kaum einen Fuß in die Toilette gesetzt hatte. Da mein Handy sich unten im Spind befand, konnte ich meine beste Freundin, meine Mutter, nicht erreichen. Früher hatte ich sie zu solch einer Zeit immer angerufen, sie um Rat und Zusprache gebeten. Als mein Handy jedoch das dritte Mal in der Toilette gelandet war, musste ich es zur Sicherheit wegsperren. Immerhin konnte ich meine Mutter nicht ewig darüber belügen und sagen, dass ich es verloren hätte, es gestohlen wurde im Bus, oder ich es aus Versehen kaputt gemacht hatte, als ich die Stiegen hinunter gefallen sei. Letzteres stimmte sogar. Theoretisch. Ich bin damals tatsächlich die Treppe hinunter gefallen und hatte mir den Arm geprellt, doch das war passiert, als ich verzweifelt versucht hatte, mein Handy zurückzubekommen. Ich verlor, stürzte und wurde einige Zeit später von drei Sanitätern geweckt. Als ich zwei Tage später wieder in die Schule kam, hatte bereits jeder behauptet, ich sei gestolpert und gefallen. Ich hatte einfach zugestimmt.

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Als es zum Ende des Unterrichts läutete, konnte ich die vertrauten Laute der sich bewegenden Klassen hören. Ich würde jetzt noch eine zweite Stunde Chemie haben, wollte aber nicht dorthin zurück. Stattdessen wartete ich, bis sich die Schüler in ihre Klassenzimmer eingefunden hatte, dann stahl ich mich durch den Hinterausgang, welcher auch in den Schulgarten führte, auf die Straße. Mit tief in den Taschen meiner Jacke, versteckten Händen, da mein Spindschlüssel sich in meinem Federpenal befand und dieses im Chemieraum, hatte ich nicht mehr als dies und meine Schuhe anziehen können. Schal und Handschuhe sperrte ich ebenfalls immer weg, da sich dies auch gerne der eine oder andere einkassierte. Fast durchgefroren, rettete ich mich in einen Supermarkt, der sich bloß eine Straße weiter neben der Schule befand. In der einstündigen Pause, oder in Freistunden, konnten die Schüler sich dort etwas zum Essen und Trinken besorgen. „Guten Morgen, Rebecca. Du bist ja früh hier.“ Bemerkte die junge Kassiererin, als ich eintrat und blickte irritiert auf ihre Uhr. Kaum sah sie mein verweintes Gesicht, winkte sie mich zu sich. Um diese frühe Morgenstunde war zumeist niemand mehr hier. Die erste Pause, von den Schülern, würde erst gegen Mittag sein.
„Ich schwänze heute die nächsten Stunden.“ Gestand ich und griff nach einem belegten Brötchen, die sich gegenüber der Kassa befanden.
„Wieso denn? Ist schon wieder irgendetwas passiert? Heute ist doch erst dein zweiter Tag, oder?“
Ich nickte bestätigend, doch wollte nicht darüber reden. Das alles war für meinen Geschmack viel zu abgedreht. Zuerst steckte ich drei Monate im Bett fest, mit einer Nadel im Arm, die mir ein Mittel einflößte, damit mein Körper nicht überhitzte, zwischendurch musste ich ins Krankenhaus gebracht werden, da meine Niere versagte und meine Atmung kam ebenfalls bloß noch stockend. Dann, von einem Tag auf den anderen, war ich kerngesund, als wäre es nichts weiter, als ein kleiner Schnupfen gewesen. Ich kam in die Schule zurück, wurde fast vollständig ignoriert, was so ziemlich das Schönste in diesen letzten Monaten gewesen war und schlussendlich stand irgend so ein Typ vor mir, mit dem ich mich aus irgendeinem Grund verbunden fühlte, auf einer freundschaftlichen Ebene, doch ohne dass er es beabsichtigte, machte er mir die Schule wieder zur Hölle. Das alles war so verworren und absurd, dass ich am liebsten wieder umziehen würde.
Zumindest, insofern ich bloß an mich dachte.
Aber bei einem Umzug, ging es nicht bloß um mich, sondern auch um meine Mutter. Sie hatte jetzt hier einen tollen Job, den sie gerne machte, war fast die Chefin ihrer Firma und hatte Freunde. „Ist nicht wichtig.“ Wich ich der vorherigen Frage, nach längerem Schweigen aus.
„Wäre es nicht wichtig, Rebecca, würdest du nicht von der Schule fliehen.“ Wo sie recht hatte... Trotzdem ging ich nach Hause, nachdem ich bezahlt hatte, schaltete meinen PC ein und verkroch mich unter der Decke, während laut aus meinen Boxen Adelle für mich sang.
Irgendwann musste ich eingeschlafen sein, denn die Playlist war anscheinend zu ende, der Computer auf Standby und das Läuten einer Glocke schreckte mich aus dem Schlaf. Zuerst dachte ich, es sei mein Wecker, doch der stand stumm neben meinem Bett. Die Digitalanzeige sagte mir, dass es eine Stunde nach Schulschluss war, das bedeutete, meine Mutter konnte es wohl kaum sein. Sie kam heute, soviel ich wusste, erst gegen sieben, oder halb acht heim. Dann würde ich bestimmt wieder ärger kassieren, denn mein Handy lag ebenfalls im Spind und ihr würde es nicht gefallen, wenn es morgen weg sein wird. Aber daran war ich wieder einmal selbst schuld. Nun konnten die Schüler ungeniert meinen Spind plündern, mir streiche vorbereiten und meinen >es sei eine Lektion< damit ich weiß wo ich hingehöre. War ich denn wirklich so ein schlechter Mensch? Ich tat doch niemandem etwas, ich stand niemanden im Weg, behinderte sie bei den Aufgaben, oder beschimpfte sie öffentlich.
Noch einmal läutete die Türglocke. Ihr schriller Ton, drang sogar bis hoch in mein Zimmer. Eilig versuchte ich, mein verlaufenes Make-up zu retten, doch wusste, dass es nichts nützen würde. Sobald ich an der Türe war und meine, gerade einmal schulterlangen dunkelbraunen Haare einigermaßen glatt lagen, öffnete ich diese und versuchte, ein höfliches Lächeln aufzusetzen. Dieses verging mir jedoch sofort wieder. „Ich habe gehört, dass es dir nicht gut ging, daher bist du heim. Zumindest hast du das mir so gesagt.“ Auffordernd hielt mir Scott eine Tasche entgegen, die ich verwirrt annahm.
„Was... Was habe ich gesagt?“ Fragte ich irritiert. Ich hatte doch überhaupt nichts zu ihm gesagt.
„Ich habe den Lehrern gesagt, dass du dich übergeben hättest und deshalb heimwolltest. Da ich in deiner Nähe wohne, habe ich angeboten, dir deine Sachen zu bringen.“
Ich sah hinein und entdeckte doch tatsächlich meine Hausaufgaben, die Chemiesachen, die ich vermutlich nach schreiben musste und... „Mein Federpenal!“ Ich schnappte es mir, ließ den Rest unbeachtet auf den Boden fallen und öffnete es mit ungeschickten Finger. Sobald es offen war, versuchte ich, meinen Schlüssel zu finden, welcher sich in einem kleinen Seitenfach befand. Es war leer. „Nein! Nein, nein, nein, nein, nein! Das kann doch nicht wahr sein!“ Schimpfte ich, erneut mit Tränen in den Augen.
„Suchst du etwa das?“ Mit einem mitfühlenden Lächeln, zog er den einzelnen Schlüssel aus seiner Jackentasche, zusammen mit meinem Handy.
„Was...?“ Sprachlos nahm ich es entgegen und starrte ihn ungläubig an.
„Ich sagte doch, dass es mir egal ist, oder? Das meinte ich ernst, Becca.“ Soweit ich mich zurückerinnern konnte, war dies das Netteste, was jemals jemand für mich getan hatte, der sich in meinem alter befand und meine Geschichte doch bereits kannte.
„So etwas kannst du doch nicht tun...“ Meckerte ich, während ich versuchte, die Spuren meiner Tränen zu löschen. „Man kann nicht mit mir befreundet sein, egal wie sehr du es versuchst.“ Zwar kam ich mir unfassbar dämlich vor so etwas Emotionales, einfach offen zu sagen, doch anderen gegenüber hatte ich ohnehin nicht immer viele Worte.
„Etwas nicht zu können, bedeutet bloß, es auf einen anderen Weg zu schaffen.“ Ich verstand zwar nicht, was genau Scott mir damit sagen wollte, doch in meinem Kopf schien das geschehene ohnehin keinen Sinn zu machen. Außer...
„Wenn du in mich verknallt bist, oder so etwas, dann sollte ich dir wohl besser jetzt schon einen Korb geben.“
Lachend winkte er ab, doch bewegte mich dadurch nun auch wieder zu lächeln. „Verdammt, dabei dachte ich schon, ich wäre so nah dran dir einen Heiratsantrag machen zu können.“
Einladend deutete ich in den Flur. „Tja, mein Lieber, die Frau deines Lebens musst du wohl oder übel noch suchen.“ Erfreut nahm er die Einladung an, sprang regelrecht in das gut beheizte Haus und streifte seine Pudelmütze ab.
„Dann muss ich mich wohl derweilen mit dir zufriedengeben. Es stört dich doch hoffentlich nicht, wenn du sie bis dahin vertreten musst?“
Nachdenklich wippte ich mit dem Kopf, dann erinnerte ich mich, dass meine Schulaufgaben ja noch am Boden lagen und hob sie schnell auf, während ich sprach. Mittlerweile war mir nun doch noch kalt geworden, in der Türe zu stehen. „Ich weiß ja nicht. Männer machen immer so viel Arbeit.“ Führte ich seinen Scherz weiter.
Scott hängte seine Jacke auf einen Kleiderhaken und die Mütze, Handschuhe, so wie Schal auf das Regal daneben. „Was? Männer machen doch nicht viel Arbeit. Füttern, Pupsen und Bäuerchen machen. Das ist doch nicht viel Arbeit!“ Skeptisch beäugte ich meinen neuen und offenbar ersten richtigen Freund. Verschwörerisch zwinkerte er mir zu. „Mich zu ertränken, reicht völlig.“
Lachend schlenderte ich in die Küche, während Scott noch aus seinen Stiefeln schlüpfte und sie auf die Abtropfplatte, neben meine stellte. „In was würdest du denn gerne ertränkt werden? Süßes? Wasser? Blubbernd? Alkohol? Wir haben so ziemlich alles in unserem Vorratskeller.“ Meine Mutter hatte gerne von allem ein bisschen etwas im Haus, zumindest von den lang haltenden Dingen.
„Alkohol? Wir sind noch überhaupt nicht volljährig.“ Tadelte Scott, während er sich in der altmodisch eingerichteten Holzküche interessiert umsah. Meine Mutter hat eine Vorliebe für Holz und Naturmaterialien. Sie meint immer, dass dadurch mehr Natur im Haus, und generell in der Stadt wäre. Zwar stand unser Haus bloß im Randbezirk, trotzdem spürte man den erdrückenden Asphalt, Stein, so wie die Hitze des Metalls bis hierher. Ihre Worte, nicht meine.
„Es war auch bloß ein Scherz.“
„Dann nehme ich einen Saft, wenn du hast.“ Ich hörte, wie er auf der quietschenden Holzeckbank platz nahm, während ich die fünf Treppen hinab stieg, in einen kleinen staubigen Keller, welcher von oben bis unten voll gestellt war mit Flaschen, Dosen und Gläsern.
„Sirup? Oder eher so etwas wie Fanta, Sprite...“
Ich hörte ihn lachen und näher kommen. Als ich auf sah, zur Türe, stand er dort und kam unsicher hinunter, ob ihn die knirschenden Treppen überhaupt halten würden. „Deine Mutter meint es wohl etwas zu gut.“ Stellte er belustigt fest.
„Du hast noch nicht unsere >Futterhalle< gesehen.“ Grinste ich stolz auf die kleine Vorratskammer, die ebenso mit Knabberzeug, Schokolade und Gummisachen vollgestopft war.
„Ihr solltet einmal eine Party geben, damit hier ein bisschen etwas wegkommt.“ Scott griff nach einer kleinen Glasflasche mit Cola, ich trug an einem kleinen Block ein, was wir uns genommen hatten. Und, ja meine Mutter bestand auf so etwas, da es ihr den Überblick über den Einkauf erleichterte.
„Dafür würden wir niemals genug Leute zusammen bekommen.“ Obwohl ich es als Scherz formulierte, schmerzte mich die Wahrheit hinter diesen Worten ein wenig. Meine Mutter hatte Freunde, an der Arbeit. Ansonsten hatte ich ihr dank meiner Krankheit bereits alle vergrault. Zwar sagte sie immer wieder, dass es nicht meine Schuld wäre, dass sie keinen Kopf für Freundinnen, oder gar einen festen Freund hätte.
Trotzdem konnte ich nicht anders, als mich schuldig zu fühlen. „Okay, dann beschließe ich eben, hier bei euch einzuziehen. Dann werdet ihr wenigstens in den nächsten Tagen mehr als die Hälfte los.“ Scott hatte meine kurze Stimmungsschwankung überhaupt nicht bemerkt, darüber war ich froh, oder er überspielte sie einfach für mich. Auf Mitleid reagierte ich mittlerweile genauso empfindlich wie auf schlechte Anmachsprüche.
„Also ich weiß nicht, ob du das schaffen würdest. Meine Mutter hätte den Vorrat aufgefüllt, bevor du überhaupt ein einziges Regal leer futtern könntest.“
„Dann hole ich eben meinen Bruder dazu, der ist genug für fünf Leute.“ Wir setzten uns gemeinsam an den Ecktisch und blickten uns über die Tischplatte hinweg an. Das Holz war hier hell gehalten, während der Bereich der Küche aus dunklem bestand und die Wand ein blutiges Rot besaß. Meine Mutter trennte Bereiche gerne optisch, doch hier wirkte es eher >bäuerlich<, trifft auf >Möchtegern-Hippie.
„Wie alt ist dein Bruder?“ Lenkte ich das Thema von den seltsamen Angewohnheiten meiner Mutter, auf ein, für mich, interessanteres.
„Er ist jetzt fünfundzwanzig.“
Überrascht verschluckte ich mich an meinem Hollundersirup, den ich natürlich mit Wasser gemischt hatte. „Wie bitte? Er ist zehn Jahre älter als du?“
„Jap. Ich bin so zusagen der Nachzügler. Meine Mutter hat mich mit ende vierzig noch einmal bekommen und selbst der Arzt war überrascht. Ich habe noch drei weitere Schwestern, aber die haben längst ihr eigenes Leben.“
Fünf Kinder in einer Familie? Das geschah ja heute nicht mehr allzu häufig. „Und jetzt sind bloß noch dein Bruder und du übrig?“ Fragte ich und lehnte mich interessiert vor.
„Jup... mehr oder weniger. Meine Eltern starben vor... vier Jahren. Seitdem sind mein Bruder und ich häufig umgezogen. Er hat für mich sein Studium abgebrochen, sucht sich Gelegenheitsarbeit und eine Zeit lang, hat er sogar gedealt.“ Okay, jetzt nahm er mich doch auf den Arm... oder?
„Das ist ja ein Scherz, oder?“
Scott schüttelte belustigt den Kopf. „Nope. Er hat beinahe alles getan um uns über Wasser zu halten. Unsere Schwestern wussten natürlich nichts davon. Als meine Älteste davon erfuhr, sie lebt auf einem anderen Kontinent, organisierte sie uns einen Flug hier her zu unserem Onkel. Er lebt seit zwanzig Jahren alleine hier und hat ein großes geräumiges Haus.“
Ich dachte an das riesige Haus am Anfang der Straße. Rund herum war es von einem hohen Metallzaun, der einerseits grün, andererseits schwarz gestrichen worden war und dicken Hecken umgeben. Dort hinein zu kommen, oder auch bloß einen Blick auf das Grundstück zu werfen, ist so gut wie unmöglich. Man sah gerade einmal die oberen Stockwerke, über die immer perfekt getrimmten Hecken aufragen, wie Türme. Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, dass Dornröschen dort ihren hundertjährigen Schlaf hielt. „Ich wusste ja seit gestern nicht einmal, dass es überhaupt einen Durchgang durch dieses meterhohe Gestrüpp gibt.“
Ich wollte nicht abwertend klingen, aber bisher hatte ich wirklich gedacht, dass der Laden leer stand. „Nein, nein. Mein Onkel kommt durchaus kaum aus seinen eigenen vier Wänden. Er hat viel durchgemacht in seinem Leben. Man könnte es ihm nicht einmal verübeln.“
Fragend ließ ich meinen Blick einen Moment über Scott wandern, doch dieser schien nicht näher auf seinen Onkel eingehen zu wollen. „Und was macht dein Bruder jetzt? Studiert er wieder, oder macht er eine Lehre?“
Mit einem verschwörerischen Grinsen bedachte Scott mich durch seinen hellbraunen Blick. „Nennen wir es eine künstlerische Krise.“ Lachend gab ich ihm zu verstehen, dass ich seine Andeutung durchaus durchschaute. Bestimmt war es, für Scotts Bruder nicht einfach sich alleine um einen pubertierenden Jungen zu kümmern, wenn beide eben erst ihre Eltern verloren haben.
„Und wie gefällt es dir bisher hier in unserer Stadt?“
Nicht dass sie an eine Großstadt heranreichte, aber klein war sie auch nicht gerade. Außerdem galt sie anziehend für den Tourismus. „Sie ist multikulturell.“ Stellte er sachlich fest. „Die Leute sind nett und einladend...“ Scott ertappte sich selbst bei seinem Fehler und wurde etwas rot. „Zumindest meistens. Aber wie jede andere Stadt hat auch sie ihre Schattenseiten.“
Ich nickte verstehend. „Je größer die Stadt, umso größer die Schatten.“ Zwar ging das Sprichwort ein wenig anders, aber so passte es wenigstens hier her.
„Genug von mir. Was mich beschäftigt... Was ist das überhaupt für eine Krankheit, an der du leidest?“ Da ich eben an meinem Glas genippt hatte, verschluckte ich mich. So direkt sprach mich fast niemals jemand darauf an. Es sei denn, es war jemand mit medizinischer Ausbildung. Dieser Punkt, brachte mich ebenfalls zu dem gestrigen Vorfall zurück, doch schob ich diese Erinnerung erst einmal zur Seite. Scott verdiente die Wahrheit, ob er dann verschwand, oder noch immer mit mir befreundet sein wollte, lag danach alleine an ihm. Unruhig wippte ich mit meinem Bein.
„Das ist nicht ganz so leicht zu erklären. Zumindest nicht medizinisch.“ Begann ich ausweichend. Wie oft hatte ich bereits meinen Zustand, meine Symptome beschrieben? Wie oft hatte ich bereits darauf beharrt, dass keine Gefahr drohte, zumindest nicht für andere? „Es begann bereits, als ich ein Baby gewesen bin. Kurz nach meinem ersten Geburtstag bekam ich so hohes Fieber, sodass ich in die Notaufnahme musste. Die Ärzte konnten nicht erklären, woran es lag. Drei Tage konnte ich nichts bei mir behalten, ich blutete aus den Ohren, der Nase und dem Mund. Am vierten Tag war es plötzlich vorüber. Nach zwei Wochen durfte meine Mutter mich wieder mit nach Hause nehmen, denn die Ärzte konnten absolut nichts finden.“ Ich machte eine Pause und versuchte aus Scotts wachen Blick irgendeine Regung zu ermitteln. Er blieb stumm, abwartend.
„Kurz bevor ich zwei wurde, geschah es wieder. Das Fieber setzt ein, mir wurde schwindelig, ich erbrach mich, spukte Blut und... es blieb wieder bloß drei Tage. Das ging so weiter, bis ich fünf geworden bin. Danach zog sich dieser Zustand etwa ein, bis zwei Wochen hinaus. Sobald der >Anfall< vorbei ist, stellt sich mein Organismus um, er ist von einer Stunde auf die andere, wieder völlig gesund, hört auf, gegen nichts anzukämpfen und mein Hunger setzt wieder ein. Es ist dann alles wieder beim Alten, außer das ich mich erschöpft fühle.“
„Die Ärzte konnten dir nicht sagen, was es ist?“
Ich schüttelte den Kopf. „Meine Anfälle sind im wahrsten Sinne des Wortes >einzigartig<
Nachdenklich stürzte Scott die Lippen und wackelte mit der Nase. „Für mich klingt es, als wäre dein Kopf in einer Verwandlungsphase oder so etwas. Als würdest du... deinen eigenen Körper abstoßen.“ Scott klang so ernst bei dieser Sache, als würden wir einen Plan aushecken, irgendetwas in die Luft zu sprengen. Ich konnte nicht einmal seine Worte als einen Witz abtun, denn sie waren es ganz offensichtlich nicht.
„In was sollte ich mich denn verwandeln? Eine Bazillenschleuder?“
Scott grinste nun wieder, als er sich daran erinnerte, dass mir jede Krankheit in die Schuhe geschoben wurde. „Vielleicht bist du ja eine böse Hexe? Und wenn du für ein Jahr nicht genug Unheil angerichtet hast, dann bestraft dich dein Körper.“ Zwinkernd schenkte er mir ein herzerwärmendes Lächeln. Ja, genau das ist es, was ich wollte.
Nicht Mitleid, nicht anders behandelt werden, keinen herablassenden Spott. Bloßes Verständnis! Akzeptanz. Eine größere Freude konnte Scott mir kaum machen. „Dann solltest du wohl nicht frech zu mir sein, sonst zaubere ich dir noch ein böses Asthma.“ Dabei fuchtelte ich beschwörerisch mit meinen Fingern herum.
„Verdammt, dahin ist mein Traum vom weltbekannten Tiefentaucher.“
„Hm... wenn ich mir das recht überlege, klingt Tiefentaucher gar nicht so übel. Ich würde mich mit ein paar großen Perlen vielleicht bestechen lassen.“ Ich deutete auf seine leer getrunkene Flasche. „Möchtest du noch etwas trinken? Oder vielleicht essen? Ich bin sicher, meine Mutter hat den Kühlschrank vollgestopft.“
Scott nickte dankbar. „Ja, klar. Ich hatte noch kein Abendessen.“ Ich deutete ihm mir zum Kühlschrank zu folgen, doch stand ratlos davor.
Was aß ich denn immer zu Abend? Eigentlich bloß eine kalte Jause, außer am Wochenende, oder an anderen schulfreien Tagen, da bestand meine Mutter darauf, dass wir zusammen etwas warmes aßen und Zeit zusammen verbrachten. Und natürlich die Kost im Krankenhaus war ebenso beinahe immer etwas warmes.
„Auf was hättest du denn Appetit?“ Ich öffnete den Kühlschrank, sodass der große Überfluss an Essen deutlich wurde. Während Scott sich die Auswahl genauer ansah, ging ich zum Gefrierschrank, welcher in Holz gekleidet war und zumeist als Arbeitsfläche diente. Ich schob das Brett nach hinten, sodass es aufklappte, und öffnete danach die eigentliche Gefriertruhe. „Hier kannst du dir ebenfalls etwas aussuchen.“
Lachend blickte Scott, hin und her gerissen zwischen dem Angebot im Kühlschrank und der Gefriertruhe, umher. „Ich wusste überhaupt nicht, dass es so schwer ist sich etwas auszusuchen, wenn man so viel Auswahl hat.“ Gestand er ein.
„Ich mache mir eine Pizza.“ Entschied ich und zog eine mit Brokkoli aus der Gefriertruhe. Ich war es gewohnt so viel Angebot zu haben und meine Mutter wusste, was ich gerne aß. Es gab hier beinahe nichts, außer das was meine Mutter für sich persönlich besorgt hatte, was ich nicht nehmen würde. Und da ich jeden Tag darauf zugreifen konnte, fielen mir die Entscheidungen selten schwer.
„Hm... Ich hatte schon so lange keine Lasagne mehr. Aber eine deftige Jause...“ Da Scott offenbar noch ziemlich beschäftigt mit der Auswahl war, entschied ich, mir etwas Bequemeres anzuziehen. Ich war es einfach nicht gewohnt auch bloß eine Stunde länger als nötig in Jeanshosen herum zu laufen. Einmal hatte ich mir eingebildet mit engen Hosen, so wie es die anderen Mädchen trugen, besser anzukommen. Stattdessen hatte ich bloß noch mehr Spott kassiert, doch meine Mutter war so stolz auf den Mut, den ich bewies, dass ich ihr schlecht sagen konnte, dass ich mir meine bequeme Kleidung zurück ersehnte.
„Ich komme gleich wieder. Lass dir ruhig Zeit.“

- - - - -


Eilig flitzte ich hoch in mein Zimmer, kontrollierte nebenbei meine unendlich vielen Nachrichten von meiner Mutter und rief sie schnell an. Zwar kam ich bloß auf die Sprachbox, da sie bereits wieder arbeitete, doch hinterließ ihr eine Nachricht. Danach schlüpfte ich in einen weiten Pulli und eine Jogginghose. Meine Haare frisierte ich zu einem unordentlichen Zopf auf meiner rechten Seite, doch als ich mich in den Spiegel sah, kam ich mir dämlich vor. So sah ich immer aus, wenn ich mich zuhause befand. Schmuddelig und meist mit irgendetwas bekleckert. Hier störte es niemand, hier konnte ich sein, wer ich wollte und wie ich es wollte. Niemand konnte mich verspotten dafür, wie ich mich eben gerne selbst sah.
Aber heute war ich nicht alleine zuhause. Ich hatte Besuch, zum ersten Mal, also... wie sollte ich mich kleiden? Wie in der Schule, also angepasst? Wie zuhause, wo ich mich ja auch schließlich befand, schmuddelig? Oder gab es auch irgendetwas dazwischen?
Panisch durchsuchte ich meinen Kleiderkasten nach etwas passenden. Wenn ein Mädchen Jungsbesuch hatte, dann kleidete es sich aufreizend, um ein Blickfang zu sein, ähnlich wie, wenn sie feiern ging. Zumindest hatte ich das einmal gelesen. Aber ich wollte Scott nicht beeindrucken, oder gar mit ihm flirten. Das stand weit außerhalb meiner Optionen. Also vielleicht etwas Schlichtes? Ein weites Kleid? Etwas Kurzes, immerhin war es im Haus nicht kalt? Oder einfach ein Jogger? In meinen engen Jeans wollte ich definitiv nicht weiterhin stecken, das war mir viel zu unbequem und ich fühlte mich nicht sonderlich wohl. Bei einem Rock musste ich ständig darauf achten, dass er nicht verrutschte.
Schlussendlich, zehn Minuten später, fand ich die Lösung. Ich schlüpfte in eine dreiviertel lange bequeme Sommerhose, ein dunkles T-Shirt mit einer Fanaufschrift darauf und band meine Haare ordentlich nach hinten. Nicht gänzlich zufrieden, da ich mich in der Schule niemals so anziehen würde, ging ich nach unten in die Küche. Der Geruch nach Ei erfüllte meine Nase und etwas würziges roch ich ebenfalls.
„Ist meine Mutter zuhause?“ Fragte ich irritiert. Es war doch noch viel zu früh.
„Bemerkt hätte ich sie noch nicht, wieso?“ Scott stand am Herd und ließ von seinem Treiben ab.
„Es riecht nach Frühstück... teilweise.“ Stellte ich überrascht fest und trat neben >meinen Gast< an den Herd. In der Pfanne entdeckte ich Spiegeleier und der flache Toaster, welcher normalerweise unter der Spüle stand, lag nun betriebsbereit heraußen.
„Mann am Herd. Eine Rarität, sogar heutzutage.“ Zog ich Scott auf. Ich konnte es nicht glauben. Ein Mann kochte in unserer Küche! Nun, ja. Ein Mann war er ja doch noch nicht, aber ein männliches Wesen, insofern seine äußere Erscheinung nicht täuschte.
„Als ich noch mit meinem Bruder unterwegs gewesen bin, habe ich nach der Schule immer für uns gekocht. Ich denke, ich beherrsche das recht gut.“ Er streute, während er sprach, irgendein Gewürz über die Eier, sodass der typische Eigeruch verschwand und ein angenehmes Aroma die Küche erfüllte. „Kochst du eigentlich nie?“
Ich schüttelte den Kopf, wobei meine Spitzen im Nacken kitzelten. „Nein, das macht bloß Mama. Sie muss mich immer daran erinnern, damit ich überhaupt etwas esse.“ Ein Grinsen überzog meine Lippen, als ich daran dachte, wie störend ich Essen doch fand. Es war lästig, genauso wie die Toilettenbesuche.
„Du isst also wenig, oder einfach nicht gerne?“
Unschlüssig wie ich diese Frage beantworten sollte, zuckte ich mit meinen Schultern. „Ein bisschen von beidem... schätze ich.“
„Du bist recht vage.“ Grinste Scott und stieß mich spielerisch mit der Hüfte an. Ich grinste zurück und ging auf seine andere Seite, um zu sehen, was sich zwischen den Toastscheiben befand. „
Du, in einigen Punkten auch, doch ich reite nicht darauf herum.“ Scott warf mir einen schelmischen Seitenblick zu.
„Schade, ich werde gerne geritten.“ Leicht errötend, lachte ich über seinen zweideutigen Witz und boxte ihn sanft gegen die Schulter.
„Nicht beim ersten Date.“ Sagte ich genauso wie er, während die angenehme Stimmung sich wieder zwischen uns legte.
„Was? Jetzt haben wir schon ein Date? Das ist dann wohl das Mieseste, welches ich jemals gesehen habe.“ Tadelnd fuchtelte Scott mit dem Holzschaber, mit dem er eben ein Ei aus der Pfanne heben wollte... „Ich habe mich dir regelrecht aufgedrängt, du erstickst mich mit Zimmern und Truhen voller Essen und dann muss ich auch noch kochen, doch bekomme nicht einmal einen Ritt dafür? Mieseste Date aller Zeiten.“ Betitelte er es und zeichnete mit seinen Händen, ein imaginäres Schild über uns.
„Tja, ordentliche Dates, gibt es bloß über Anfrage, lange Amtswege und viele Telefonate. Und vergiss nicht darauf meinen Vater, um meine Hand zu fragen, bevor du um sie anhältst.“ Schimpfte ich genauso scherzend zurück.
„Puh, da überlege ich mir dann doch lieber noch einmal ein Date mit dir. Das könnte stressig werden.“ Gekonnt hob Scott die Eier aus der Pfanne, legte sie auf einen Teller zur Seite und schlug zwei weitere auf. Während die beiden heiß wurden, nahm er die belegten Toasts aus dem Toaster und schob jeweils ein Ei, zwischen ein Paar.
Ist wohl auch besser. Das Zusammenleben mit mir selbst, würde ich sogar recht gerne kündigen.“
„Ich schick dir demnächst ein ordnungsmäßiges Kündigungsschreiben.“ Bot Scott mir an und leckte sich etwas oranges Eigelb vom Finger. Mit einem erwartungsvollen Blick sah Scott von seinem Tun auf, als ich kein einziges Wort mehr verlor. Jedoch wurde diese Erwartung, sofort von Besorgnis überschattet, als er in meine geröteten Augen blickte. Ich selbst brachte keinen Ton mehr hervor. Zu überwältigend waren die Gefühle, welche mich einfach unerwartet überfluteten. Dankbarkeit, Unglaube, Freude, Stolz und noch mehr Freude.
Mittlerweile wusste ich schon überhaupt nicht mehr wohin mit dem seligen Gefühl in meinem Herzen, sobald Scott auch bloß zu einem völlig normalen Scherz ansetzte. „Oh, verdammt. Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Völlig überfordert von der Situation, ließ Scott den Heber einfach auf die Arbeitsplatte fallen und schob meine Hände aus dem Gesicht, als ich versuchte, meine Tränen fortzuwischen.
„Nei-Nein, das ist es nicht. Es ist alles in Ordnung.“ Eilig wandte ich mich ab, doch Scott blieb mir dicht auf den Fersen.
„Ist es nicht, das sehe ich doch. Ich habe etwas Falsches gesagt, das weiß ich. Aber was war es? Habe ich dich irgendwie verletzt?“
Lachend und schniefend zugleich gab ich meine kurze Flucht auf und wandte mich doch wieder Scott zu. „Nein, das hast du überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich frage mich, wo du mein ganzes Leben lang warst.“
Die Worte kamen so unvermittelt aus meinem Mund, dass nicht bloß Scott erstarrte. Unentschlossen von meinen völlig falsch gewählten Worten und dem Drang, mich zu trösten, blieb er einfach mitten in der Bewegung stehen. „Versteh das bitte jetzt nicht falsch, es ist nicht so, als wäre ich plötzlich verliebt in dich, bloß weil du nett zu mir bist und sogar kochst. Es ist einfach... das alles!“ Damit deutete ich auf das Essen und die beiden leeren Getränkebehälter. „Du bist mein erster, gleichaltriger Besuch. Du bist hartnäckig, unglaublich witzig und total nett. Wärst du eine Frau, würde ich sofort meine Kleidung mit dir Teilen.“
Erleichtert bewegte sich Scott wieder. Mit einer recht uneleganten Bewegung deutete er eine sexy gestellte Pose an. „Also ich weiß ja nicht. Wir haben nicht wirklich dieselbe Figur, Schätzchen.“ Mit einem glücklichen, lauten und aufrichtigen Lachen, das ich bisher bloß selten gehört hatte, klopfte ich Scott auf die Schulter. Würde ich Scott wegen den anderen verlieren, bloß weil sie mich schlecht machten, ihn auf ihre Seite zogen, dann wusste ich wirklich nicht, ob ich jemals wieder auf die Beine kommen könnte. Jedoch bis dahin sollte ich die Zeit genießen, sie nutzen und auskosten so gut ich konnte. Denn dieser Tag würde sich schneller nähern, als dass es mir lieb war.

- - - - -


Nach einem ausgiebigen Abendessen, wobei sogar etwas für meine Mutter übrig blieb, wuschen wir ab, räumten alles zurück an seinen Platz und setzten uns in das Wohnzimmer, welches ich bloß an Wochenenden betrat, wenn meine Mutter darauf bestand, irgendwelche Brettspiele mit mir zu spielen, oder einen Filmabend vorschlug.
Jedoch setzten Scott und ich uns nicht für Brettspiele, oder irgendwelche Filme in das Wohnzimmer, wobei ich schlussendlich doch, pflichbewusst den Fernseher einschaltete und Scott die Fernbedienung in die Nähe legte, falls er umschalten wollte. Scott hatte vorgeschlagen, dass wir doch die Hausaufgaben gemeinsam machen könnten. Er wollte noch nicht nach Hause, da er alleine mit seinem, wie er es sagte, >gruseligen Onkel< festsitzen würde. Ich genoss die Zeit, selbstverständlich, daher schlug ich ihm nicht aus, die Hausaufgaben gemeinsam zu erledigen. Dank ihm hatte ich schlussendlich doch alles zur Hand. Ansonsten hätte ich morgen viel früher als alle anderen in der Schule sein müssen.
Ich saß am Boden, während Scott unsicher auf der Couch saß und einige Aufgaben aus einem der Bücher löste. Während der Fernseher gedämpft im Hintergrund lief, unterhielten wir uns, scherzten, oder kniffelten an schwierigen Matheaufgaben herum. Das Klingeln eines Schlüssels, als meine Mutter unser Haus betrat, riss uns beide aus einem lauten Lachflash. Wir hielten uns beide den Bauch und schlossen unsere fertigen Hausaufgaben, als meine Mutter völlig verwirrt den Kopf in das Zimmer streckte.
Unsicher sah sie von uns, auf ihren Schlüssel und blickte sich danach, beinahe befremdlich im Wohnzimmer um. „Entschuldigt, ich muss mich wohl im Haus geirrt haben.“ Hörte ich sie witzeln.
„Hallo Mama. Das ist Scott, er ist dieses Jahr an die Schule gewechselt. Er ist aus meiner Nebenklasse.“
Scott stand pflichtbewusst auf und eilte zu meiner Mutter, um ihr die Hand zu reichen. Ich folgte ihm gemächlicher. „Guten Abend, Ma`am. Mein Name ist Scott van Jard, ich bin der Neffe, ihres Nachbarn Antonielle McMirre, der die Straße hinunter wohnt, das erste Haus links.“ Ich sah im Blick meiner Mutter, wie sie versuchte dem schnellen reden von Scott zu folgen.
„Dort wohnt jemand?“ Sie warf mir einen fragenden Blick zu, ich nickte bestätigend.
„Habe ich auch erst gestern erfahren.“ Grinste ich, während Scott an meine Seite zurücktrat.
„Mein Onkel lebt bereits seit zwanzig Jahren dort, doch ziemlich zurückgezogen. Ich wusste bis vor ein paar Monaten nicht einmal etwas von ihm.“ Stimmt, das hatte ich noch überhaupt nicht bedacht.
„Verstehe, dann sollte ich dich wohl in der Nachbarschaft willkommen heißen. Wie lange bist du eigentlich schon hier? Du bist bestimmt hungrig, ich mache dir eilig etwas.“ Meine Mutter hatte kaum den Mantel abgestreift, als sie bereits in die Küche huschte. „Verzeih meiner Tochter, sie weiß nicht wie... Hier hat jemand gekocht?“
Erstarrt blieb sie stehen und schnupperte in der Küche. Scott und mich ließ sie mit ihrem Geschnatter nicht einmal zu Wort kommen. Meine Mutter hatte, genauso wie ich, dunkelbraunes Haar, doch trug sie diese noch kürzer und immer fein säuberlich frisiert. Ihr kleiner Bauch, spannte sich bereits altersbedingt, doch nicht so sehr, dass es auffiel. Ihre Haut war von der sommerlichen Gartenarbeit, schön gebräunt, während ich dieses typische >Computerspieler-Weiß< besaß. Ihre Augen besaßen im Gegensatz zu meinen, einen dunklen, weichen Braunton, wodurch sie alleine schon mit ihrem Blick, Leute zu ihren Freunden machte. Alles in allem wirkte sie wie eine fürsorgliche, aufgeschlossene Frau, die man kaum vor den Kopf stoßen konnte. Vielleicht war sie, mir gegenüber, etwas überfürsorglich, doch auf die gute Art und Weise.
„Ja, Scott hat irgend so einen Eiertoast gemacht.“ Erinnerte ich Scott, denn da meine Mutter, von dem fremden Geruch in der Küche, abgelenkt zu sein schien, konnte ich endlich etwas einwerfen.
Erstaunt blickte sie zu Scott, bevor sie mich tadelte. „Also wirklich, Rebecca! Ich dachte, ich hätte dich besser erzogen. Gäste kochen nicht in unserem Haus, das ist, strickt untersagt. Hast du ihm überhaupt etwas zum Trinken gegeben? Er muss ja halb am Verdursten sein.“ Schimpfte sie weiter, doch verschwand dabei in den Keller.
Genervt rollte ich mit den Augen, während Scott mir einen mitfühlenden Blick schenkte. „Eine Cola bitte. Danke, Miss Walters.“ Artig nahm Scott sein aufgezwungenes, und bereits viertes Getränk entgegen. Sanft schob ich ihn auf die Bank in der Küche und glitt neben ihn.
„Sicher dass du keinen Hunger mehr hast? Ich kann dir noch schnell ein paar Kekse machen, oder einen Apfelstrudel. Das geht ganz schnell.“ Bot sie an, doch Scott konnte sein belustigtes Lachen kaum noch verbergen.
„Nein, danke, Miss Walters. Ich bin mehr als zufrieden und Ihre Tochter hat mich sehr einladend behandelt. Danke.“ Wehrte er diplomatisch meine Mutter ab.
So kannte ich sie überhaupt nicht. Sie überschlug sich regelrecht, um es unserem Gast so bequem wie möglich zu machen. „Wenn du etwas willst, dann musst du es bloß sagen, ja?“
Bestimmt nickte Scott, doch sah dabei kurz auf die Uhr. „Danke, Miss Walters. Aber ich muss ohnehin in zwanzig Minuten heim, sonst macht sich mein Bruder sorgen.“ Natürlich ließ es sich meine Mutter nicht nehmen >den jungen Mann< darüber auszufragen, woher er kam, seit wann er hier lebte und natürlich auch darüber auszufragen, welche Hobbys er bisweilen ausgelebt hatte. Auch nach der Schule erkundigte sie sich, sodass die zwanzig Minuten, scheinbar in zwei vergingen.
Als ich Scott zur Türe begleitete, stand meine Mutter wie ein neugieriger Hund neben mir. „Dann bis morgen.“ Verabschiedete ich mich.
„Soll ich dich abholen? Nicht das du wieder verschläfst.“ Grinste Scott in der Türe.
„Ich verschlafe nie, aber ich will nicht mit dem großen Trupp gleichzeitig in einem engen Bus festsitzen.“ Das konnte er selbstverständlich nachvollziehen. „Na gut, dann sehen wir uns eben morgen am Anfang der Straße.“ Scherzte er, ich winkte noch kurz und dann wandte sich Scott auch schon zum Gehen.
„Pass ja auf dich auf, Scott. Besonders wenn du über die Straße gehst.“ Natürlich war es jetzt, um zwanzig Uhr, bereits stockdunkel, doch unser Haus befand sich am Ende der Straße, die als Sackgasse endete und vor uns lag ein kleiner Kreisverkehr. Sechs Häuser weiter, lag bereits das von Scott.
Als er außer Hörweite war, schloss ich die Türe, obwohl meine Mutter ihm wohl noch hinterher sehen wollte, ob er auch wirklich sicher ankam. „Mama, gib es auf. Wir können ihn nicht behalten. Haustiere sind im Haus nicht erlaubt.“ Scherzte ich, wofür ich einen sanften Schlag auf den Hinterkopf kassierte.
„Sei nicht so frech, junge Dame.“ Im nächsten Moment zauberte sich ein triumphierendes Lächeln in das Gesicht meiner Mutter, welches mich böses Ahnen ließ. „Also...“ Begann sie in einem unterschwelligen Ton, welcher mich darauf vorbereitete, was nun auf mich zukommen würde. „Scott?“ Alleine der Tonfall vervollständigte die Frage.
„Ja, mein Schulkollege!“ Erinnerte ich sie.
„Aber du hast noch nie jemanden aus der Schule mit heim genommen.“ Erinnerte sie mich zurück.
„Du weißt, woran das liegt, Mum.“ Gab ich schnippisch zurück und wollte bereits hoch in mein Zimmer flüchten.
„Lass mich raten, >Scott ist anders<?“
Genervt ergab ich mich dem unausweichlichen Gespräch. „Ja, Scott ist definitiv >anders<, nett, er versteht meine Scherze und wir sind offensichtlich auf derselben Wellenlänge. Ich mag ihn...“ Meine Mutter begann zu strahlen, doch bekam sie sofort einen Dämpfer, als ich weiter sprach. „... als Freund. Und er sieht mich auch bloß als Freundin, zumindest befinden wir uns auf dem besten Weg dorthin. Aber du weißt ja...“
Ich ließ den Satz unausgesprochen, denn meine Mutter verstand mich auch so. „Ich weiß, Liebling. Hoffentlich enttäuscht er dich nicht. Egal auf welche Weiße, ich würde ihm dafür ordentlich den Marsch blasen!“ Drohte sie mit meiner geliebten mütterlichen Strenge.
Liebevoll zog ich sie in eine kurze Umarmung. „Mach dir nicht zu viele Hoffnungen.“ Ermahnte ich sie noch, bevor ich hoch unter die Dusche ging. Danach schlüpfte ich unter die Bettdecke, mit dem Wissen, dass heute der erste Tag, seit Jahren gewesen war, dass ich meinen Computer nicht eingeschaltet hatte.

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Mein Wecker, weckte mich wie jeden Morgen. Damit Leutete er den dritten von fünf Schultagen ein. Nachdem ich mich >schulfertig< gemacht hatte, verließ ich gemächlich das Haus, gab meiner Mutter einen flüchtigen Kuss auf die Wange, dann war ich auch schon auf den Weg die Straße runter. Mit einem sehr ungewohnten Lächeln, beobachtete ich, wie Scott das mehrere Meter hohe Tor Schloss und fragte mich nebenbei, weshalb man so einen hohen Zaun aufstellen sollte. Es waren gut fünf Meter zu seinen bedrohlichen, doch anmutigen Spitzen. Sie wirkten gleichzeitig einschüchternd, so wie beschützend. Je nachdem, auf welcher Seite man sich von ihnen befand.
„Gute morgen.“ Grüßte Scott mich und sind wir bereits zusammen? Was denkt deine Mutter.“ Lachend erwiderte ich den morgendlichen Gruß. Er hatte also doch bemerkt, was meine Mutter über uns beide dachte.
„Pass auf, spätestens am Wochenende erwartet sie den Heiratsantrag und nächste Woche müssen wir bereits unter der Haube sein, nicht das du noch einen Rückzieher machst.“
Gespielt empört fasste sich Scott an den Mantel, unter dessen Stelle, mehrere Schichten tiefer, sein Herz sicher behütet saß. „Was? So lange noch? Ich dachte das wir bis nächste Woche bereits unser zweites Kind hätten?“
Genau das war es, was ich an ihm mochte. Er wusste, wann er ernst sein musste und wann ein Scherz angebracht war. „Unser Zweites schon? Wie viele willst du denn bitte?“
„Na mindestens zehn, an wie viele dachtest du denn?“ Grinste er übertrieben zurück.
„Die kannst du aber alle alleine Stillen. Was denkst du, wo meine Brüste dann schon hängen müssten?“
So ging unser Geplänkel weiter, bis wir uns sogar auf einen gemeinsamen Nachnamen geeinigt hatten, so wie die Namen für unsere ersten fünf Kinder. Keiner von uns beiden nahm dies ernst, doch bedeutete es mir mehr, als das ich sagen konnte, oder gar begreifen. An der Schule trennten wir uns, stiegen sogar jeder am anderen Ende des Busses aus und gingen unserer Wege. Am Schulhof wurde ich von einer aus meiner Klasse angerempelt und bekam verachtende Blicke. Gelangweilt ignorierte ich diese dummen Kühe, denn ich wusste, was mich zum Unterrichtende hin erwarten würde. Scott!

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Heute hatten wir Sport, der gesamte Jahrgang gemeinsam. Das hieß für mich natürlich, dass ich mich bei meiner Lehrerin, wie immer, umziehen musste. Meine Sachen sperrte sie für mich, in ihren Spind, denn dieses Spiel hatte ich mehrere Jahre führen müssen und in Turnkleidung heimgehen. Niemals wusste jemand, wo meine Kleidung abgeblieben war, und sie tauchte auch nie mehr auf. Um die Nerven meiner Mutter zu schonen, belog ich sie damals darüber.
Als Erstes mussten wir laufen, wobei ich mich zumeist in Scotts Nähe aufhielt. Wenn jemand etwas gegen mich ausheckte, bekam er es mit, den anderen, als Erstes mit, schritt auf eine völlig unerwartete Weise ein, oder lenkte die Personen für einen Moment ab, sodass ich fliehen konnte. Ich wusste zwar, dass es irgendwann einmal, den anderen auffallen musste, dass Scott mich ständig aus den Fängen der Mobber boxte, doch bis dahin genoss ich seinen Schutz. Insgeheim taufte ich ihn sogar als >meinen Schutzengel<, denn dies war er ja auch auf gewisse Weise.
Als Nächstes mussten wir für unsere Note im Sportunterricht trainieren. Das bedeutete, Seile hochklettern, Bockspringen, Achthundertmeterlauf, Klimmzüge und etliches mehr. Je nach unserer Leistung bekamen wir zum Ende hin, eine Eins, oder eine Zwei. Diejenige, die sich völlig davor sperrten und sich keine Mühe gaben, bekamen im schlimmsten Fall eine Drei, was natürlich später beim Arbeitgeber nicht wirklich gut ankommen würde.
Nach zwei Stunden mussten wir unter die Dusche. Ich durfte wieder bei meiner Lehrerin duschen und flüchtete als erstes in den Unterricht. Scott kam mit seinen Freunden, diejenigen welche gerne trödelten, als letztes in das Klassenzimmer. Der Tag verging... nun, ja wieder einmal wie gewohnt. Meine Schultasche verschwand irgendwann einmal in der Pause, doch genauso mysteriös wie sie verschwand, tauchte sie wieder auf. Darin befand sich sogar, unerwartet, ein Brief.

Hi, ich kann heute leider nicht mit dir nach Hause gehen, aber wenn du bock hast, komme ich nachher noch vorbei? Hier meine Nummer. S.

Gerührt, versteckte ich den Brief ganz unten zwischen einigen Büchern, denn die Nummer würde ich mir später noch einspeichern. Obwohl ich mittlerweile gelernt hatte Nummern auswendig zu lernen, und zuhause sogar eine kurze Liste besaß, konnte ich sie mir nicht von einmal lesen merken.
Nach dem Unterricht ging ich alleine nach Hause. Der Winter schien sich langsam zu legen, zumindest behaupteten dies die Wetterfrösche. Hier im Park spürte man noch überhaupt nichts davon, denn der Schnee war noch immer tiefgefroren. Gedankenverloren und mit Musik in den Ohren, schlenderte ich, eine Eiskugel vor mich hin kickend, durch den Park. Ich nahm die längere Route, um ein wenig Zeit zu vertrödeln, telefonierte kurz mit meiner Mutter, doch bereits nach einer Stunde, war mir viel zu kalt.
Schneller, als bevor, ging ich heim und lüftete, wie jeden Tag das Haus. Danach schnappte ich mir etwas zu trinken und flüchtete in mein Zimmer. Dort schlüpfte ich zu aller erst in meine Hausklamotten, machte es mir auf dem Sessel bequem und zog mir die ungeöffnete Chipstüte von vor zwei Tagen heran. Während ich zockte, mit Headset, verflog die Zeit neben mir. Ich kämpfte, sprach das Nötigste mit den anderen Gamer und ließ mich wie immer in meine eigene kleine Welt fallen. Eine Welt mit falschen Namen, falschem Charakter und vielen Abenteuern. Die Welt, welche mir so gefiel, wie sie war. So und nicht anders.
„...ecca!“ Erschrocken, da ich meine Mutter überhaupt nicht kommen hatte gehört, drehte ich die Musik leiser.
„Du hast mich beinahe zu Tode erschreckt!“ Schimpfte ich mit ihr, doch meinte es durchaus nicht Böse. Normalerweise stellte sie mir bloß mit ein paar netten Worten das Essen hin, aber dies bemerkte ich zumeist erst etwas später.
„Kein Wunder, bei dem Lärm.“ Bemerkte sie mit einem Deut, auf die Boxen und mein Headset.
„Moment, Mum.“ Ich zog das Headset wieder an meine Lippen und sprach eilig hinein. „Bin kurz weg.“ Verkündete ich meiner Gruppe. Zum Glück machten wir ohnehin gerade eine kleine Pause, da wir auf eine neue Aufgabe warten mussten. „So, jetzt geht es Mama.“ Ich stand auf und streckte mich kurz. Vom sitzen wurden meine Glieder immer ganz steif. Nebenbei blickte ich auf die Uhr und es war erst zehn nach acht, wie immer hatte ich nicht auf die Zeit geachtet.
„Gut, dann solltest du jetzt am besten abschalten, dein Freund ist hier.“
Genervt warf ich meiner Mutter einen vorwurfsvollen Blick zu. „Scott ist hier?“ Da erinnerte ich mich auch wieder an den Zettel, der tief in meiner Tasche verborgen lag. Ups...
„Ja. Er sagt, er steht schon seit einer halben Stunde vor deiner Türe!“ Den Ärger in ihrer Stimme konnte ich ihr nicht einmal verübeln.
„Aber wieso ist er dann nicht nach Hause gegangen?“ Fragte ich sie irritiert. Niemand wartet eine halbe Stunde in der eisigen Abendkälte auf irgendjemanden!
„Das frag ihn mal lieber selbst. Ich mache euch derweilen etwas zum Abendessen.“
Stumm folgte ich meiner Mutter hinab in das Erdgeschoss, an dessen Treppe bereits Scott stand, ohne Schuhe und Jacke. Er hatte offenbar vor länger zu bleiben. „Hi, Becca. Entschuldige, aber ich muss mir unbedingt von dir ein Buch ausborgen.“ Entschuldigte sich Scott. Während ich ihn in mein Zimmer einlud, wobei meine Mutter darauf bestand, dass die Türe offenblieb, weshalb auch immer, erklärte Scott mir, dass er es brauchte, um die Hausaufgaben zu erledigen. Da ich diese ebenfalls noch nicht erledigt hatte, setzten wir uns zusammen daran und ich schaltete das Spiel aus, doch ließ die Musik im Hintergrund laufen. „Entschuldige, wegen der Tasche heute.“
Verwirrt blickte ich von meinem Bett auf, auf dem ich bäuchlings lag. „Wieso?“
„Ich wollte es dir bereits früher zurückbringen, diese Rebekah hat sie gestohlen.“ Angeekelt verzog ich das Gesicht. Rebekah, besaß denselben Namen wie ich, war das beliebteste Mädchen an unserer Schule, rothaarig, tiefblaue Augen und den Charakter einer gemeinen Natter. Anfänglich hatte sie getan, als wolle sie mit mir befreundet sein... ich bereute es bis heute, so dringend eine Freundin gesucht zu haben. Jeder in der Schule rief dieses Mädchen bloß Becky, da sie vermeiden wollte, dass zu viele Verbindungen zwischen ihr und mir gezogen wurden. Wie gesagt, Rebekah war nicht unbedingt eine nette Person.
„Danke, ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, sie überhaupt wieder zu sehen.“ Gab ich zu und bekam sogar ein verständnisvolles Lächeln.
„Keine Sorge, solange ich etwas höre, von irgendwelchen Streichen und Ähnlichem, werde ich versuchen sie zu verhindern.“
Verlegen wandte ich mich meinem Buch zu und ließ dabei meine Haare als Blickvorhang nach vorne fallen. „Das solltest du nicht. Es ist ihnen zwar noch nicht aufgefallen, aber irgendwann wird es das. Dann haben sie es auch auf dich abgesehen.“
Erinnerte ich Scott nachdrücklich. „Ich finde es nicht in Ordnung, wie sie dich behandeln. Also ist es mir egal, was sie über mich denken. Niemand sollte so behandelt werden, wie sie dich, oder tausend andere auf der Welt behandeln.“
„Teenager sind eben Scheiße.“ Grinste ich durch meinen Vorhang.
„Dafür sind wir alle bekannt, ja.“ Scott grinste zurück, dann wandte er sich wieder seinem Aufsatz zu. Während Scott wieder in seine Arbeit versank, und nebenbei von einem belegten Brot meiner Mutter abbiss, betrachtete ich ihn eingehender. Scott stylte sich nicht auf, so wie die anderen Jungs, er versuchte auch nicht, >cool< zu sein, war seinen Grundsätzen treu ergeben und sah dabei auch noch gut aus. Mit seinen einem Meter siebzig, war er ein kleines Stück größer als ich. Das Hellbraune, Haar, fiel ihm im leicht in die Stirn und besaß generell eine Länge, doch ging nicht über seine Ohren hinaus, da es am Nacken etwas ausrasiert war. Mit seiner hohen Stirn, den hellbraunen Augen und dem vollen, Lippen, wirkte er generell einladend auf andere Leute und freundete, sich dank seines Charakters sehr leicht an. Kurz warf mir Scott einen Seitenblick zu. „Ist etwas?“
Ich bemerkte, dass ich ihn wohl etwas zu lange angestarrt hatte und um nicht etwas Dämliches zu sagen, stellte ich einfach eine Frage. „Du warst mit Rebekah und ihren Freunden unterwegs, oder?“ Meine Stimmlage bekam einen warnenden Unterton.
Misstrauisch legte Scott seine Sachen zur Seite und wandte sich mir gänzlich zu. Da er am Boden auf meinem weichen Teppich saß, war er mit mir auf Augenhöhe. „Bist du etwa eifersüchtig?“ Versuchte er, mich zum Grinsen zu bewegen.
„Hier geht es nicht um Eifersucht, oder so etwas, Scott.“ Gab ich schnippisch zurück.
„Aber du hast Angst, dass ich mich doch mit ihnen verbünden werde, habe ich recht?“ Auf diese Frage brauchte ich nicht zu antworten. Mein Schweigen genügte. „Keine Sorge, ich halte nicht sonderlich viel von Menschen, die einen falschen Charakter besitzen. Aber hinter jedem, noch so arroganten Charakter, sitzt ein weiches und verletzliches Herz.“
Nun musste ich doch grinsen. „Eisprinzessinnen besitzen ein Herz?“
Scott grinste zurück. „Vielleicht? Außerdem was wäre so schlimm daran, wenn ich schlimme Geheimnisse von denen aufdecken würde, die dich so herablassend behandeln?“
Nachdenklich legte ich den Kopf schief und versuchte darauf eine Antwort zu finden. Aber die richtige Antwort hierauf gab es einfach nicht, bloß die klare Wahrheit. „Selbst wenn ich irgendwelche Leichen entdecken würde, würde ich sie niemals damit erpressen. Ich finde es, einfach nicht in Ordnung herunter gemacht zu werden, oder jemanden ernsthaft gefährliche Streiche zu spielen.“
Für einen Moment schien Scott mich auf eine seltsame Art und Weise eingehender zu mustern, als überlege er, was er davon halten sollte, doch nickte dann zufrieden. „Hast du eigentlich schon einmal darüber nachgedacht, dass ich vielleicht einer dieser Personen sein könnte?“
Ich legte meinen Stift zur Seite und warf Scott einen fragenden Blick zu. „Ob du ein Prolet bis? Davon bin ich überzeugt.“
Er grinste, doch winkte dann ab. „Ich meinte, ob du schon einmal daran gedacht hast, dass ich deinen extrovertierten Charakter vielleicht ausnutze, um an deine schmutzigen Geheimnisse zu kommen und sie dann hinterrücks an die anderen ausplaudere, sodass sie... keine Ahnung, irgendwelche gemeinen Dinge planen können?“
Überrascht stockte ich für einen Moment. Dieser Gedanke war mir tatsächlich kein einziges Mal gekommen. Dabei gab es so vieles, abgesehen von meiner Krankheit, über das man sich noch lustig machen konnte. Meine Naivität, meinen Kleidungsstil, wenn ich daheim war, meine Mutter, meine Internetsucht, mein unordentliches Zimmer, die kindischen Vorhänge, Spieleleidenschaften, und so weiter. Aber dass Scott bei so einem Streich mitmachen könnte, war mir tatsächlich noch kein einziges Mal in den Sinn gekommen. Wieso denn auch? Scott verkörperte wahrhaftig die Person, mit der ich am liebsten befreundet sein würde. Zudem sah ich vielleicht auch ein wenig zu ihm auf. Ich wollte wie er so einfach in ein Gespräch mit Leuten kommen, die ich überhaupt nicht kannte, wollte immer mit einem Lächeln auf den Lippen, anderen begegnen, immer dieses Strahlen besitzen, das er hatte und die Anziehung, welche er auf andere auswirkte besitzen. Außerdem gefiel mir sein Charakter unglaublich. Sein Humor, sein Lächeln, die Aufmerksamkeit, mit der er einen bedachte. Scott war meine bessere Hälfte, die Person, die ich gerne einmal sein würde. „Nein.“ Kam es mir ungeniert über die Lippen. „Nicht einmal für eine einzige Sekunde.“
Gleichzeitig wurden wir rot an den Wangen und wandten uns voneinander ab. Was sagte ich denn da? Eilig besserte ich mich aus. „Also... was ich meinte, war, dass mir das nicht in den Sinn gekommen ist, weil ich ehrlich gesagt nicht so viel Intelligenz von diesen pubertierenden Vollidioten erwarte. Das wäre immerhin ein sehr detailliert, ausgeklügelte Plan, welcher mich in den Selbstmord treiben könnte. Ich bezweifle sehr stark, dass sie so weit denken können.“
Scott lachte begeistert. „Na dein Feind wäre ich gerne.“ Ich stimmte auf sein Lachen ein, da es einfach ansteckend war.

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Morgens gingen Scott und ich gemeinsam zur Schule, nachmittags trafen wir uns im Park, um zusammen nach Hause zu gehen. In der Schule sprachen wir zwar kein Wort, außer in Chemie, wo wir nebeneinander saßen, aber ansonsten beanspruchte ihn Rebekah voll und ganz. Einmal deutete ich an, dass Becky auf ihn stand, was mehr als offensichtlich war, doch Scott wollte davon überhaupt nichts hören. Er mochte Mädchen wie sie überhaupt nicht, doch war höflich, weil dies einfach seinem Charakter entsprach.
Meistens verbrachten wir die Nachmittage zuhause, bei mir. Ich zeigte ihm einige der Spiele, die ich stundenlang spielen konnte. Wir naschten, kochten gemeinsam und lachten eine Menge. Meine Mutter erwartete ihn nach zwei Wochen regelrecht, wenn sie nach Hause kam. Am Wochenende unternahmen wir sogar etwas zu dritt und es war, als wäre aus dem heiteren Himmel, mein Zwillingsbruder erschienen. Es tat gut. Schott tat mir gut. Natürlich hatten wir auch die eine oder andere Meinungsverschiedenheit, doch trotzdem mochten wir einander.
Nach drei Wochen, bemerkten die ersten Schüler, dass Scott sich mir gegenüber nicht verhielt, wie es alle anderen verlangten. Auch Becky hielt mir einen Vortrag darüber, dass Scott kein Interesse an mir hätte und bloß aus Mitleid freundlich zu mir sei. Das war der Tag, an dem ich Scott bat, mir endgültig in der Schule aus den Weg zu gehen. Stattdessen tat er genau das Gegenteil. Er ließ sich, für das wichtige Abschlussprojekt, mit mir in eine Gruppe teilen, was natürlich allen anderen aus unserem Jahrgang keineswegs gefiel. Mehrmals erklärte er den anderen, dass er sich mir gegenüber bestimmt nicht wie ein Arsch verhalten würde, denn ich bin kaum anders als die anderen hier. Sie akzeptierten zwar, dass Scott keine Lust hatte, über mich zu lästern, oder mir irgendwelche Streiche zu spielen, doch dafür ließen sie ihre überspannte Laune umso deutlicher an mir aus. So fand ich zum Beispiel, mein Chemiebuch in der Toilette, jemand versuchte meinen Spind aufzubrechen, doch scheiterte offensichtlich daran, daher ließ ich seitdem, alle meine Sachen zuhause, welche ich nicht für einen einzelnen Schultag benötigte. Meine Straßenschuhe verschwanden, wofür ich von Scott ein zweites Paar Socken im Park bekam, da meine Zehen beinahe durchgefroren waren, als ich mit den Schlapfen heimging.
Das Einzige was mich daran hinderte, weinend zusammen zu brechen, war Scott. Er heiterte mich alleine mit seiner Anwesenheit auf, reichte mir unauffällig ein Taschentuch, wenn ich mich begann von ihm abzuwenden, und sprach immer gut auf mich ein. Meine Mutter mussten wir öfter als einmal darüber belügen, was mit meinen Hausaufgaben passiert war, oder weshalb ich öfter als gewöhnlich, die Hausordnung abschrieb.
So ging der Februar vorbei und der März kehrte ein und mit ihm der Geburtstag meiner Mutter. Dieses Jahr, hatte ich vor sie, zusammen mit Scott zu überraschen. Womit wussten wir jedoch nicht, daher beschlossen wir, am Samstag, mit meiner Mutter gemeinsam in die Einkaufsstraße zu fahren. Wie der Name es bereits verriet, war dies eine einzelne Straße, bestehend aus etlichen Geschäften und es gab nichts, was man dort nicht kaufen konnte. Sie selbst ging in das große Einkaufsgeschäft, welches sich über zwei Stockwerke zog und füllte, wie monatlich, unsere Vorräte auf. Scott und ich schlichen uns, mit der Ausrede, ein neues Spiel kaufen zu wollen davon. Zuerst gingen wir in eine Bücherei, dort kauften wir ein Buch mit köstlichen Rezepten, die wir ausprobieren wollten. Danach sahen wir uns bloß noch um, damit wir eine ungefähre Vorstellung bekamen, was wir ihr schenken wollten. Ich dachte an einen Heimtrainer, da Mum sich ständig beschwerte, zu viel Gewicht auf den Rippen zu haben, aber keine Zeit, um ein Fitnessstudium zu besuchen. Scott schlug eine Reihe von den Kitschbüchern vor, welche sie so gerne las und dabei entspannte und auch in einen Klamottenladen gingen wir vorbei. Dort ließen wir uns etwas beraten, erklärten der Verkäuferin unseren Plan und schlussendlich fand ich sogar etwas, das meiner Mutter bestimmt unglaublich gut gefallen würde.
Als wir, bloß mit einem kleinen Säckchen aus der Bibliothek zurückkamen, besah uns meine Mutter argwöhnisch. „Ihr habt überhaupt nichts gekauft?“ Fragte sich skeptisch.
„Doch, ich habe mir ein Spiel zurücklegen lassen, das nächstes Monat erscheint.“ Log Scott. „Und ich habe mir ein Lösungsbuch gekauft.“ Log ich genauso gekonnt.
„Ihr wisst doch hoffentlich, dass ihr beide überhaupt nicht lügen könnt?“ Ließ uns meine Mutter wissen.
Wissend grinsten Scott und ich uns an. „Ich habe das Spiel nicht gefunden, aber mit dem Lösungsbuch kann ich echt etwas anfangen. Weißt du eigentlich wie schwierig das >farmen< von Gegenständen ist, welche man bloß zu fünf Prozent vorfindet?“ So langweilte ich meine Mutter mit Fakten, die sie überhaupt nicht interessierte, doch wusste, dass sie uns beide durchschaut hatte. Während der Rückfahrt begannen Scott und ich angeregt über ein Spiel zu unterhalten, welches wir beide sehr mochten, woraufhin meine Mutter uns endgültig ausblendete.
Okay, der Überraschungsmoment war dahin, doch sie würde sich trotz allem über Geschenke freuen. Besonders da wir uns viel Mühe für sie gaben. Scott kochte auch total gerne bei uns, er hatte ein angeborenes Talent, wobei er es immer darauf schob, dass er sonst immer für seinen Bruder und sich hatte etwas zusammenwürfeln müssen, aus Resten. Das einzige Problem, was wirklich konstant zwischen uns stand, war irgendwie sein Bruder und sein Onkel. Er wollte mir vehement nichts von den beiden erzählen, auch nicht weshalb ich ihn nicht besuchen kommen durfte, oder wenn er morgens einmal nicht vor dem Zaun stehen sollte, sollte ich ebenfalls nicht versuchen anzuläuten. Er machte ein großes Geheimnis aus seiner Familie, aber ich hatte auch irgendwie Angst davor ihn zu bedrängen. Hin und wieder probierte ich es damit, ihm etwas entlocken zu wollen, doch er blockte ab, oder wechselte geschickt das Thema. Wenn es also etwas gab, das ich nicht über Scott wusste, dann handelte es sich dabei um seine Familie. Bisher kannte ich ja noch nicht einmal den Namen seines Bruders, was mich am meisten irritierte.

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„Hast du Lust heute noch auf ein Konzert zu gehen?“ Die Frage traf mich so unerwartet, dass ich beinahe den Großeinkauf fallen ließ, den sich meine Mutter wieder einmal geleistet hatte. Sie hatte sich eingebildet, eines der Zimmer, welche bisher zum Trocknen für die Wäsche gedient hatte, oder als Abstellkammer, in ein Gästezimmer einzurichten, für Scott!
„Wie bitte? Welches Konzert denn?“ Fragte ich überrascht.
„Ein Konzert? Das klingt doch toll. Es wäre an der Zeit, wenn du endlich einmal ausgehen würdest, Becca.“ Forderte meine Mutter mich auf, wofür sie einen verärgerten Seitenblick kassierte.
„Eigentlich sollte man meinen, dass Mütter darauf bestanden, ihre jugendliche Tochter nicht mit einem Verrückten auf ein Konzert zu lassen, auf dem es Alkohol und Drogen gibt.“ Tadelte ich sie.
„Also von Drogen und Alkohol weiß ich nichts, aber für Verrückte kann ich garantieren.“ Scherzte Scott, woraufhin meine Mutter begeistert lachte.
„Liebling, du hockst doch immer nur zuhause herum.“
„Ja weil es kalt draußen ist!“ Erinnerte ich sie.
„Sei nicht so störrisch. Geh mit deinem Freund auf ein Konzert, wenn er dich schon einlädt.“ Forderte sie, woraufhin, sie einen tadelnden Blick von Scott bekam.
„Luisa, du weißt doch, dass Becca und ich wie Geschwister sind.“ Erinnerte er meine Mutter höflich.
Vor einigen Wochen hatte meine Mutter darauf bestanden, dass Scott sie duzte, denn sie kam sich dabei viel zu alt vor. Seitdem waren die beiden ebenfalls gute Freunde. „Außerdem würde ich niemals mit meinem Bruder herum machen, oder fortgehen. Das wäre total peinlich! Besonders mit so einem.“ Damit deutete ich auf Scott, der mich lachend boxte.
„Glaub ja nicht, ich lass dich mit deinem Pyjama auf dieses Konzert. Immerhin ist es von >Fifth Grade< und wir sind ganz vorne dabei.“ Als würde er eben einen Zaubertrick wirken, zog er zwei Eintrittskarten aus seiner Jackentasche und fuchtelte damit vor meiner Nase herum.
Begeistert kreischte ich auf. „Nein! Aber... Nein! Nein? Das kann doch nicht wahr sein, oder? Fifth Grade?“ Ich kreischte noch einmal, fiel Scott um den Hals und drückte ihm einen lauten Kuss auf die Wange. „Oh mein Gott! Woher hast du die?“
Lachend schob Scott mich sanft von sich, um mich ansehen zu können. „Was denkst du wohl? Gestohlen.“ Grinste er. Dafür boxte ich ihn gegen das Brustbein.
„Nein, im ernst jetzt. Die müssen doch unglaublich teuer gewesen sein! Ich gebe dir selbstverständlich das Geld zurück!“
Ich wollte bereits zu meinem Geldbeutel eilen, doch Scott hielt mich zurück. „Red doch keinen Unsinn, Becca. Du bist eingeladen, und die sind von meinem Bruder. Er wollte dort eigentlich mit einem Kumpel hin, doch er muss heute doch arbeiten und hat sie mir heute Morgen in die Hand gedrückt.“
Begeistert kreischte ich noch einmal, küsste die Karten und sprang im Kreis, wie eine Irre, doch das war mir im Moment völlig egal. „Ich kann es nicht glauben! Fifth Grade!“ Wiederholte ich.
„Aber du hast ja gesagt, dass du nicht hinaus willst. Also wenn du nicht willst, dann werde ich wohl...“ Scott versuchte nach den Karten zu langen, doch ich steckte sie schnell unter mein Shirt, in meinen Hosenbund. Dort kam er wenigstens nicht heran.
„Wage es ja nicht, sie mir wegzunehmen, sonst muss ich auf überaus blutige weise deine Hand entfernen.“ Mahnte ich und meine Mutter beobachtete uns gerührt.
„Dann solltest du wohl lieber hoch und dich fertig machen, oder?“ Fragte meine Mutter.
„Ja... Mist, was zieht man auf einem Konzert an?“
Fragend blickte ich zwischen meiner Mutter und Scott umher, doch die beiden wussten selbst keine Antwort. „Ich denke, das was du in der Schule trägst, passt eigentlich, oder?“ Scott warf seinen fragenden Blick weiter zu meiner Mutter, welche unsicher nickte.
„Solange du mir nicht wie eine Nutte, oder eine Obdachlose das Haus verlässt, ist es mir egal.“
Begeistert klatschte ich in die Hände. „Passt, dann lass uns meine Gothic-Sachen aus meinem Versteck holen.“ Kichernd flüchtete ich mit Scott an der Hand aus dem Zimmer und die Treppe, hoch während meine Mutter ärgerlich die Hände in die Hüften stemmte. „Rebecca Walters, wenn du mir jemals in so einem Outfit kommst, enterbe ich dich!“
Lachend flüchteten wir in mein Zimmer, wo Scott sofort die Türe schloss, während ich zu meinem Kleiderkasten eilte. „Puh, und ich dachte schon, deine Mutter würde dir alles erlauben.“ Spottete Scott.
„Nein, nein. Auch sie hat ihre Grenzen.“ Wie ein Wirbelwind, warf ich alle Klamotten, welche für mich in Frage kamen, auf mein Bett und wühlte währenddessen weiter.
„Trotzdem tut es mir leid, dass ich dich erst so spät gefragt habe. Ich hatte die Karten schon beinahe wieder vergessen.“
Kurz hielt ich von meinem Tun ab, denn mir wurde etwas klar. „Du hast die Karten bereits länger, oder? Hast du sie selbst gekauft?“ Meine Mutter konnte man leicht belügen, insofern sie nicht bereits etwas ahnte, aber Scott schaffte dies bei mir kein bisschen.
Betreten glitt sein Blick zum Boden. „Eigentlich habe ich sie... von jemand anderem Bekommen, die mit mir auf ein Date dorthin wollte. Aber... Ich konnte sie ihr abschwatzen.“
Nun war ich vollkommen hellhörig. „Wie bitte? Wer ist sie? Und wann hat sie sie dir gegeben?“ Meine Suche war beendet, denn viel mehr würde ich ohnehin nicht finden, daher setzte ich mich zu Scott auf das Bett.
„Nun, ja eigentlich war es so, dass ich ursprünglich, welche für uns beide besorgen wollte. Mit denen aus Rebekahs Clique habe ich darüber gesprochen, dass bereits alle ausverkauft sind und das ich es echt schade finde, da ich die Band wirklich mag. Einen Tag später hat mir Rebekahs beste Freundin, die absolut nicht auf diese Musik abfährt, eine Karte angeboten, da sie mit mir dorthin wollte.“ Ja, das war definitiv als ein Date gedacht gewesen. „Aber ich konnte ihr beide abschwatzen, habe ihr das Geld dafür regelrecht aufgezwungen und... habe sie dann stehen gelassen.“ Beim letzten Teil wirkte er regelrecht reumütig, doch das konnte ich verstehen. Das war nicht gerade die feine Art gewesen, wie er sich dem Mädchen gegenüber verhalten hatte und ihr Herz noch zerbrochen zurückließ.
„Oh. Jetzt tut mir Anni leid.“
Überrascht warf mir Scott einen durchdringenden Blick zu. „Woher weißt du, dass ich von Anni gesprochen habe?“
Von mir kam er für diese Frage einen Vorwurfsvollen. „Das ist jetzt nicht dein ernst, oder? Anni und Rebekah kämpfen bereits seit Wochen um deine Aufmerksamkeit. Also wenn du sie nicht von Rebekah bekommen hast, dann kann es bloß von Anni gekommen sein.“ Nun, ja ich hatte noch drei weitere Mädchen alleine aus unserem Jahrgang im Visier, dass sie für Scott schwärmten, doch die gehörten nicht in Rebekahs >besonderen Kreis<.
„Was? Du glaubst, sie stehen auf mich?“ Scott schien aus allen Wolken zu fallen, was mich zum Lachen brachte.
„Sag bloß, dass dir das noch gar nicht aufgefallen ist? Du bist so schwer von Begriff, dass die beiden Mädchen bald zu einer Leuchtreklame greifen werden und im Megafon ihre Liebe verkünden.“
Nun lachte auch Scott wieder, da er dies völlig absurd fand und drängte mich dazu, endlich weiter zu machen.

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Schlussendlich dauerte es noch gut über eine Stunde, bis ich endlich fertig war für das Konzert, währenddessen ging Scott heim, um sich ebenfalls noch einmal umzuziehen. Wir trafen uns gegen halb neun vor dem dem Grundstück, seines Onkels und bewegten uns zusammen zur nächsten U-Bahn. Dorthin benötigten wir gut fünfzehn Minuten, da es keine Verbindung zum Hauptverkehr, am Randbezirk gab, außer den Bussen, doch diese fuhren nur bis sieben Uhr abends. Als wir zehn Minuten später die Untergrundbahn verließen, kamen wir bereits in einen kleinen Strom, an Menschen, welche sich ebenfalls auf den Weg dorthin machten und schlossen uns diesem an. Da der Winter endlich vorbei war und der Frühling seinen Einzug hielt, hatten wir keine Minusgrade mehr nach Sonnenaufgang, wofür ich in diesem Moment unendlich froh war, denn ich trug einen mehrlagigen Rock, in den ich einige Buttons meiner Lieblingsband gesteckt hatte. Einige meiner Haarsträhnen hatte mir meine Mutter lockig gestylt, sodass sie nicht bloß gerade nach unten hingen, doch aus Erfahrung wusste ich, dass dies nicht sonderlich lange halten würde. Trotzdem fühlte ich mich, mit dem Make-Up, dem Fanshirt, und der Netzstrumpfhose unglaublich cool.
Wir mussten zuerst einmal eine gute Stunde vor der Konzerthalle ausharren, bevor wir endlich an die Reihe kamen. Scott zeigte unsere Tickets vor, sie wurden abgestempelt und wir bekamen sie wieder zurück. Scott führte mich direkt zu den Umkleiden, da meine Aufmerksamkeit alleine auf den vielen Leuten lag, die ähnlich gestylt wie ich waren, doch die meisten flippige Farben trugen, oder viel zu viel Schminke. Zumindest für meinen Geschmack. Trotzdem sah jeder Einzelne von ihnen, gut in dem styl aus, welchen sie augenscheinlich offen auslebten und dafür beneidete ich die ganzen Leute.
Manche hatten sogar Leuchtstäbe um ihre Gelenke, oder ihrem Hals, wieder andere trugen ihre Haare dermaßen aufgegelt, dass ich mich fragte, wie viel diese Leute für Haargel ausgaben?
„Hier, verlier die Karte nicht.“ Mahnte mich Scott, ich steckte meine Erkennungsmarke in meine braune Seitentasche und verschloss den Zipp ordentlich. Sie würde mir später garantieren, dass ich meine Jacke wieder zurückbekomme.
„Holen wir uns etwas zu trinken, die Band beginnt erst gegen halb elf.“ Schlug Scott vor und versuchte sich, dem massigen Strom anzupassen, doch irgendwie verloren wir uns immer wieder aus den Augen. Es waren so viele Fans gekommen, dass sich in mir ernsthaft die Angst breitmachte, zertrampelt zu werden. Niemand würde es bemerken, wenn sie mit ihren Springerstiefeln, Pöms, oder Snikers auf mir herum traten. Sie würden meine Finger für heruntergefallene Flaschen halten, meinen Kopf für einen Ballon, der im Weg lag, oder auch noch extra etwas über mir verschütten!
Grauenhafte Bilder, von mir, wie ich zertreten am nächsten morgen gefunden werden würde, spielten sich vor meinem inneren Auge an. Realistisch, sah ich bereits vor mir, wie sich Rebekah und ihre Gruppe darüber lustig machten, mich verspotteten, dass ich diesen Tod ernsthaft verdient hatte, die Stunden voller Qualen, in denen ich an meinem eigenen Blut erstickte...
„Becca?“ Unsicher riss Scott mich aus meiner viel zu realistischen Fantasie und beruhigte mein wild schlagendes Herz, alleine mit seinem Anblick. Scott würde niemals zulassen, dass mir so etwas passiert. Er ist mein bester Freund, meine bessere Hälfte.
„J-Ja.“ Ich ergriff Scotts Hand, wobei er mein Zittern durchaus spürte, doch sagte nichts über den leicht missverständlichen Körperkontakt. Ich wollte ihn nicht noch einmal so lange aus den Augen verlieren, nicht solange meine grausame Fantasie immer noch so realistisch in meinem Hinterkopf spukte.
„Wenn dir die vielen Leute zu viel sind, dann können wir auch gehen, oder uns ein ruhigeres...“ Scott musste sein Gesicht beinahe in meinen Haaren vergraben, damit ich ihn verstehen konnte.
„Schon gut. Ich will die Band sehen.“ Gezwungen lächelnd, zog ich Scott mit mir an eine Bar, die an Minderjährige ausschenken durfte. Die andere Bar, stand etwas weiter entfernt, wobei sich dort die meisten Leute tummelten.
„Was möchtest du?“ Ich entschied mich für einen >Sweet Spring< welcher aus Ananassaft, Zitronensaft, Kiwi und irgendeiner blauen Flüssigkeit bestand, die ich nicht zuteilen konnte. Alles in allem schmeckte er etwa saurer als erhofft, doch deshalb nicht unbedingt schlecht. Scott holte sich ein alkoholfreies Bier, doch verzog sofort das Gesicht, als er es gekostet hatte. „
Widerlich.“ Stellte er fest. Neugierig kostete ich ebenfalls davon, doch mir sagte es genauso wenig zu.
„Möchtest du etwas von meinem Cocktail?“ Scott winkte ab.
„Bestimmt nicht. Männer trinken keine Cocktails.“ Lachend hielt ich ihm meinen Cocktail unter die Nase, als er arrogant den Kopf hob. „
Och! Scott, sei doch nicht so eine Memme.“ Zog ich ihn auf. Wir plänkelte noch eine ganze weile herum, lachten und sprachen sogar mit den einen oder anderen Fans, der Band.

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Kurz vor halb elf, entschied sich Scott doch dafür, einen der Cocktails zu probieren, wählte dabei einen, der leicht grünlich war, doch nicht so dickflüssig, wie es meiner gewesen ist. Ich konnte zwar Traube darin erkennen, doch mehr auch schon nicht. „Komm, die Band beginnt gleich.“ Drängte ich Scott, der eilig sein Getränk hinunter stürzte, kassierte sich die Traube ein, welche als Zierde diente und ergriff auch schon meine Hand, um mich in dem gedrängelt nicht zu verlieren.
„Wie war das eigentlich mit den Plätzen ganz vorne?“ Fragte ich grinsend, als wir irgendwo am Rand der Menge noch ein kleines Plätzchen fanden, an dem es nicht so unsicher war, wie in der puren Menge.
„Das war auch schon mein Gedanke.“ Grinste er zurück und besah sich seine Tickets noch einmal genauer. Ich winkte schlussendlich ab.
„Vergiss es einfach, Scott. Hauptsache wir sehen sie.“ Dankbar dass er keinen Fehler gemacht hatte, drückte er meine Hand, welche ich zurückdrückte, dann konzentrierten wir uns auf die Band, welche gefolgt von ohrenbetäubenden Jubel die Bühne betrat.
Überrascht hielt ich mir die Ohren zu, da mir dieses Gebrüll etwas zu schrill war. Die meisten Fans waren selbstverständlich Mädchen, besonders bei denen zwischen sechzehn und zwanzig kam die Band unglaublich gut an. Die Bandmitglieder, bestehend aus fünf Jungs, waren ebenfalls zwischen neunzehn und einundzwanzig, wobei ich zugeben musste, dass selbst mir bei ihrem Aussehen das alter egal wurde. Dann ging es endlich los. Die Band begann ihr erstes Lied. Ich kannte jedes einzelne, denn mit all denen waren sie bereits einmal in den Charts. Zwar bisher noch nicht ganz oben angekommen, doch bei dem Erfolg, den sie hatten, seit sie den neuen Liedschreiber hatten, konnte es nicht mehr allzu lange dauern, bis sie so bekannt wie Linkin Park, Nightwish, oder andere, ihnen ähnliche Bands waren.

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Um Mitternacht machte die Band eine kurze Pause, sie sangen ein einfacheres, langsames Lieb, bei dem einige Pärchen sogar zu tanzen begannen. Scott und ich hatten uns bisher dermaßen die Luft aus den Lungen geschrien, dass wir beide schon ganz heißer und durstig waren. Die Atmosphäre hier war unglaublich ansteckend. Kreischten die einen, machten die anderen mit. Applaudierte jemand, machten alle mit. Versetzte die Band die Fans in erstaunen, gab es niemanden, der es nicht war.
„Sie sind unglaublich, nicht?“ Fragte ich Scott. Er mochte die Band zwar nicht so gerne wie ich, doch selbst er musste mit den anderen mitfiebern.
„Eigentlich mag ich ja Metal nicht so sehr, aber wegen...“ Mehr hörte ich schon überhaupt nicht mehr. Etwas Festes, traf mich so stark im Rücken, dass ich vorne über flog und unsanft auf dem Boden, der Länge nach landete. Sofort breitete sich ein schneidender Schmerz in meinem rechten Unterarm aus, der mir einen Aufschrei entlockte. Eilig kam ich in eine sitzende Position, während mir warmes Blut den Arm hinab lief und sich mit den ekelhaften Flüssigkeiten am Boden vermischte.
„Bist du wahnsinnig? Du hast sie doch nicht mehr alle!“ Hörte ich Scott schreien, gefolgt von einem Laut, der klang, als hätte eine Hand seinen Weg zu einer Wange gefunden.
Ungläubig blickte ich hoch. „Rebekah? Anni?“ Stieß ich ungläubig hervor. Hinter ihnen standen noch ein paar, aus Rebekahs Clique und schienen mich wütend in den Boden starren zu wollen. Doch das was mich mehr interessierte als diese verrückten, war Scott, der sich ungläubig die Wange hielt und Anni, die ihre Hand zurückzog.
„Du bist so ein Arsch, weißt du das eigentlich?“ Scott schien so perplex zu sein, einen Schlag von einem Mädchen kassiert zu haben, sodass er zusammenhanglos Unsinn redete.
„Mein Bruder ist das Arschloch in der Familie.“ Wankend kam ich auf die Beine, wobei ich meine Finger in die Höhe hielt, damit die Blutung langsamer wurde.
„Seid ihr denn alle von euren guten Geistern verlassen worden?“ Schrie ich Anni, das erste Mal in meinem Leben, an.
Anni schien überrascht zu sein, Rebekah bloß Verärgerter als bisher. „Du pass ja auf, wie du mit uns redest, du kleines Miststück. Denkst du, du kannst Scott Anni wegnehmen? Für so einen missgebildeten Abschaum wie du es bist, interessiert sich ein Junge wie Scott doch kein bisschen.“
Wütend trat ich auf diese miese Schlange zu, sodass und bloß noch Zentimeter trennten. „Was? Redest du von Anni und mir, oder bloß von dir selbst? Denkst du, mir ist es nicht aufgefallen, dass du auf Scott genauso scharf bist, wie Anni? Du benutzt die Leute um ich herum doch bloß, lässt sie auf die Schnauze fallen und tust dann auf beste Freundin. Und glaube mir, wenn ich dir sage, dass Scott sich genau für diese Art von Mädchen kein Stück interessiert!“
„Becca! Deine Hand!“ Während ich Rebekah, meiner offenbaren Erzfeindin, regelrecht ins Gesicht fauchte, packte Scott meinen Arm und betrachtete die immer noch stark blutende Wunde genauer. „Du brauchst sofort einen Arzt, sonst verblutest du, oder es infiziert sich.“
Scott wollte mich schon mit sich, zu den Umkleiden ziehen, wo auch ein Erste-Hilfe-Raum eingerichtet worden war, doch Rebekahs Untergebenen hielten uns auf. Sie versperrten uns demonstrativ den Weg. „Zuerst!“ Zog Rebekah unsere Aufmerksamkeit auf sich. „Zu aller erst, möchte ich euch sagen, dass ab jetzt, euer letztes Jahr, kein Zuckerschlecken...“
Scott tickte aus. Unerwartet, packte er das Mädchen an ihrem viel zu tiefen Ausschnitt, zog ihr das Shirt nach unten, sodass ihre Brüste heraussprangen, was ihr wiederum einen erschrockenen Aufschrei entlockte.
Scott nutzte die Verwirrtheit aller, selbst meinen Unglauben, zog mich, fest an sich gedrückt, zum Eingang zurück und wurde von einem Securitytypen abgefangen. „Meine Freundin hat eine Schnittwunde am Unterarm. So eine dämliche Tusse hat sie gestoßen und sie hat sich auf dem Boden mit einer Glasflasche den Arm aufgeschnitten.“ Mittlerweile war ich bereits so betäubt, vom Schmerz und dem Blutverlust, dass ich bloß noch dank des Adrenalins aufrecht stehen blieb.
„Okay, ich rufe einen Notarzt, geht in den Raum dort.“ Sofort wurde ich auf eine Liege gedrückt, und mein Arm bekam einen Druckverband. Da ich nicht einmal mehr meinen Arm gerade in die Höhe strecken konnte, übernahm dies Scott für mich und trocknete die feuchten roten Spuren, welche mein Blut bereits über meine Finger, so wie meinen Oberarm gezogen hatte. Als ein Rettungswagen kam, um mich abzutransportieren, fuhr Scott mit mir mit, er log und behauptete, er sein mein Zwillingsbruder, doch wir sahen uns, was dies anging, nicht einmal ähnlich. Den Sanitätern schien es egal zu sein, sie ließen ihn mitfahren. Während der fünf minütigen Fahrt, ins Krankenhaus, kontaktierte er meine Mutter, erzählte ihr in einer starken Kurzfassung, dass ich mir den Arm an einer zerbrochenen Flasche geschnitten hätte und jetzt ins Krankenhaus fuhr. Währenddessen fragte der Sanitäter Scott über meine Daten aus, und aus irgendeinen Grund, konnte ich ihnen dort aushelfen, wo sich Scott nicht sicher war, ob es stimmte. Irgendwann jedoch, gab es mein Körper doch auf und zog mich in einen tiefen Schlaf, von dem ich erst, dank meiner Mutter geweckt wurde.

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„Oh! Sie ist wach. Scott sie ist wach!“ Ich fühlte, wie sie mir den Kopf streichelte und lächelte zufrieden. „Mein kleiner Engel. Wie fühlst du dich? Hast du noch schmerzen? Soll ich der Schwester Dampf machen, dass sie das Schmerzmittel höher dreht?“
„Das kann auch gerne ich übernehmen.“ Bot sich Scott an und lachte übertrieben, so als wäre er eben erst aus einer Starre erwacht und empfinde plötzlich alles viel zu stark.
„N-ein... Es ist in Ordnung. Ich bin bloß müde.“ Antwortete ich auf die Frage meiner Mutter, während mein Blick zu dem immer noch ängstlichen von Scott glitt. „Danke.“ War alles, was ich zu ihm sagte, doch an seiner Gesichtsregung, konnte ich deutlich erkennen, dass er verstand, was ich meinte.
„Immer wieder, Becca.“ Versprach er, beugte sich über mich und gab mir einen kurzen Kuss auf die Stirn. Ich wollte meine Finger nach ihm ausstrecken, doch da er rechts von mir saß, war dies recht schwer. Diese Hand war stark in eine Mullbinde eingebunden, sodass ich nicht einmal mehr meinen Ellenbogen beugen konnte. Bloß meine Finger zuckten leicht.
„Was sagen denn die Ärzte?“ Fragte ich auf die Schnittwunde bezogen. „Du hast sehr viel Blut verloren, denn die Flasche hat deine Arterie erwischt. Sie haben dir auch ein Antibiotikum gespritzt, nur für den Fall und du wurdest mit sieben Stichen genäht.“ Ratterte meine Mutter eilig die Liste hinunter. Auffordernd blickte ich zu Scott.
„Du kannst morgen wieder hinaus, wenn alles mit deinen Blutwerten stimmt.“ Dankbar nickte ich und sah zu meiner Mutter zurück.
„Entschuldige, Mama. Ich gehe nie wieder auf ein Konzert.“ Versprach ich ihr, worüber sie glücklich lächelte.
„Du kannst von mir aus jeden Abend auf ein Konzert gehen, wenn du mir versprichst, dich nie wieder in Scherben zu wälzen.“ Ich lachte schwach, denn irgendeines der vielen Mittel, welche in mich gepumpt wurden, machten mich wieder schläfrig. Mit Scott und meiner Mutter an der Seite, schlief ich wieder ein.

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„Wieso sollte ich?“ Scott war nach dem Konzert, gleich wieder in der Schule erschienen, denn das Konzert hatte an einem Donnerstagabend stattgefunden. Das Wochenende hatten wir zusammen verbracht, wobei ich mir jedoch vorgekommen war, als wäre meine Hand gebrochen, nicht bloß aufgeschnitten.
Als ich jedoch am Montag, wie gewohnt wieder zur Schule wollte, würgte Scott mein Vorhaben ab, sogar meine Mutter schien dagegen zu sein. „Du bist noch nicht wieder auf dem Damm. Außerdem haben mir die Lehrer versichert, dass du die Woche noch zuhause bleiben kannst. Du sollst dich schonen, sonst können sie dir wohl kaum etwas beibringen.“ Ich erkannte die Lüge meiner Mutter sofort. Natürlich glaubte ich den Teil darüber, dass meine Lehrer es in Ordnung fanden, dass ich noch eine Woche daheim bliebe, besonders da ich kaum schreiben konnte mit meiner rechten Hand, doch ihr Ton machte mich misstrauisch.
„Scott!“ Mahnend machte ich ihm deutlich, dass ich die Wahrheit hören wollte. „Sieh mich nicht so an. Deine Mutter hat recht.“
„Ich weiß, doch dass ihr mir etwas verheimlicht.“ Forderte ich die beiden verärgert auf und legte den Suppenlöffel zur Seite.
„Wir verheimlichen dir doch nichts, mein Schatz.“ Versicherte mir meine Mutter.
„Aber es ist trotzdem irgendetwas, oder?“
Scott blickte wehmütig zu meiner Mutter. „Sie erfährt es ja ohnehin.“ Seufzend gab meine Mutter nach, doch leerte ihren Teller, ehe sie Scott deutete, dass er es mir erzählen solle. „Okay, es tut mir leid... aber ich konnte es deiner Mutter nicht weiter verheimlichen.“
Misstrauisch, auf was dieses Gespräch hinaus laufen würde, stieß ich ein „Was genau?“ hervor.
„Nun, ja... Das mit... Rebekah und das alles.“ Er zog seiner Worte fast eine Minute hinaus, so unbehaglich war ihm dieses Geständnis.
„Wie bitte!“ Ich schrie so laut, dass ich angst bekam, dass unsere Nachbarn uns gehört haben könnten. Verlegen senkte ich meine Stimme, doch war nicht weniger wütend. „Mama, egal was er dir erzählt hat, es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört.“ Versuchte ich, sie zu überzeugen, doch sah, dass es keinen Sinn hatte.
„Rebecca, ich habe bereits mit deinen Lehrern gesprochen, sie haben mir bestätigt, was Scott mir erzählt hat.“ Ich warf Scott einen Blick zu, der glatt unsere Freundschaft beenden konnte, so wütend war ich auf ihn. „Aber was ich nicht verstehe, ist, weshalb du es mir nie erzählt hast, Schatz. Wieso konntest du dich mir niemals anvertrauen? Habe ich dir nicht oft genug gesagt, dass du mit allem zu mir kommen kannst? Ich bin doch immer für dich da, wir hätten wieder umziehen können, oder...“
Der Besorgte... Nein, es war ein verletzter Tonfall, den meine Mutter anschlug und ließ meine Wut sofort verdampfen. Traurig langte ich mit meiner Hand über den Tisch und drückte die ihre sanft. „Nein, Mama. Ich wollte dir einfach nicht noch mehr Sorgen bereiten. Du bist einmal im Jahr, wochenlang in Panik, musst dich um mich kümmern, weil ich eine Sterbenskranke bin und... ich wollte auch nicht noch einmal umziehen, da du so begeistert von deinem Job bist. Du hast Freunde, und das wollte ich dir nicht versauen.“ Ich ihr verständlich zu machen, dass ich einfach nicht weiterhin, oder gar eine noch größere Last, als bisher sein wollte. Meine Mutter tat bereits so viel für mich. Nicht einmal mit hundert Leben, könnte ich ihr dies zurückzahlen.
„Nein, Schatz. Du verstehst nicht. Eine Mutter ist bloß so glücklich, wie ihr traurigstes Kind.“ Sie rutschte um den Tisch herum und nahm meine beiden Hände in ihre. „Ich bin für dich verantwortlich, bis du volljährig bist und es verletzt mich mehr, als dass ich es sagen könnte, wenn du mir nicht vertraust. Wir sind doch... beinahe wie Freunde, und Freunden sagt man doch alles. Ich mache mir immer so viele Sorgen um dich, Schatz. Du hast keine Ahnung, wie froh ich bin, endlich zu erfahren, weshalb du so tollpatschig bist, oder immer wieder etwas verlierst. So etwas passt einfach nicht zu dir.“ Mit Tränen in den Augen fiel ich ihr um den Hals. Meine Mutter war nicht bloß so eine >Art Freundin< für mich, sie war eine richtige, aufrichtige Freundin für mich.
Schniefend wandte ich mich an Scott. „Mit dir habe ich noch ein Wörtchen zu reden!“ Mahnte ich ihn, doch musste bereits wieder lächeln. Ich hatte eigentlich gedacht, dass es meine Mutter verletzen würde, vielleicht sogar noch mehr, als mich selbst, wie mich die anderen behandeln, weil sie mir ja nicht helfen kann. Aber jetzt wusste ich, dass das Gegenteil der Fall war. Ich verletzte sie viel mehr, wenn ich ihr nichts von meinen Problemen erzählte. Sie ist immerhin meine Mutter, meine Beschützerin. Sie würde mich immer lieben, egal wie daneben ich mich benehmen würde. Dank ihr war ich heute die Person, die ich geworden bin. Sie hatte mir so viel gelehrt, immer so viel Verständnis gezeigt, sodass ich mich ernsthaft fragte, wer hier versucht hatte, wen zu beschützen?

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Eine Stunde später, nach dem Mittagessen, gingen Scott und ich hoch, in mein Zimmer. Er hüpfte sofort in mein Bett und streckte sich dort genüsslich aus, während ich mich an den Rand des Bettes setzte und noch eine Schmerztablette einnahm. Mein Arm verheilte recht gut, der Arzt sagte zwar, dass eine zackige Narbe zurückbleiben würde, doch das störte mich nicht. Dieser Unfall hatte unerwartet meine kleine, sehr ungleiche, Familie enger zueinander gebracht und endlich auch meine Geheimnisse vor meiner Mutter aufgedeckt.
Seufzend ließ ich mich in meinem Bett zurücksinken, wobei mein Kopf gemütlich auf Scotts Bauch landete. „Danke dass du ihr alles erzählt hast.“ Ich selbst hätte mich vermutlich bloß in noch mehr Lügen verstrickt und endgültig einen Vertrauensbruch riskiert.
„Als ob ich eine Wahl gehabt hätte. Wenn deine Mutter etwas wissen möchte, kann sie richtig unheimlich werden.“
Grinsend stimmte ich zu. „Ja, den Blick kenne ich, doch bin ich bereits einigermaßen Resident dagegen.“ Manchmal zumindest. Schweigend blieben wir liegen. Scott mit hinter seinem Kopf verschränkten Armen und knacksenden Zehen, was ich am meisten hasste, da er dies ständig machte. Und ich mit dem Kopf auf seinem Bauch, während meine Beine auf dem Boden standen. Während wir in unseren eigenen Gedanken versanken, war nichts, außer unser Atem hörbar. Wir lagen einfach schweigend da und warteten auf etwas. Worauf, war mir selbst nicht wirklich bewusst, doch dass Scott um irgendetwas rang, konnte ich alleine an seiner unruhigen Lage erkennen.
Da mir das Schweigen langsam zu anstrengend wurde, brach ich die Stille. „Du hast jedem, der im Moment hingesehen hat, Rebekahs Brüste gezeigt.“ Prustend brachte Scott in Gelächter aus, welches auch mich ansteckte.
„Oh, Gott! Ich dachte am Freitag schon, ich müsste sterben, als ich in die Schule kam.“ Lachte er und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Neugierig hakte ich nach. „Und was ist passiert?“
„Nichts, sie und ihre Clique straften mich mit eisigen Schweigen, doch ich habe ja noch Freunde, außerhalb ihres Kreises, daher war es mir egal.“
„Von diesem Schock wird sie sich niemals erholen.“ Kommentierte ich belustigt. Selbst ich war zu diesem Zeitpunkt sprachlos gewesen, denn das war so ziemlich das Letzte, mit dem ich bei Scott jemals gerechnet hätte.
„Das will ich doch hoffen, obwohl man bei der Flachbrust ohnehin nicht viel gesehen hat.“ Mit einem frechen Grinsen auf den Lippen blickte ich zu ihm hoch.
„Ach dann hast du also doch öfters auf ihre Brüste gestarrt, als dass du zugegeben hast.“
Beleidigt schubste er mich. „So wie sie ihre Dinger hinaus baumeln lässt, wundert es mich, dass sie noch keinen einzigen Nippelflitzer hatte.“
Jetzt grinste er doch wieder, bei diesem Gedanken. „Gib es zu, du stehst total auf sie.“ Neckte ich meinen besten Freund weiter, woraufhin er das Gesicht verzog.
„Vorher knutsche ich doch lieber mit meinem Bruder herum. Und das Alleine ist etwas, was du niemals erleben wirst.“
Das war der Moment, in dem ich mich daran erinnerte, dass Scott auf dem Konzert gesagt hatte, dass sein Bruder das Arschloch sei, nicht er. „Am Donnerstag, au dem Konzert, da hast du gesagt, dass dein Bruder das Arschloch sei und nicht du. Was meintest du damit?“ Da ich auf Scotts Bauch lag, konnte ich deutlich fühlen, dass er sich anspannte.
„An das erinnere ich mich überhaupt nicht mehr.“ Log er so falsch, dass ich darüber lachte. Ungeschickt drehte ich mich um, legte meine linke Hand auf seinen Bauch und stützte meinen Kopf darauf.
„Ach komm schon! Sei doch nicht so.“ Bedrängte ich ihn, während ich damit kämpfte, meine linke Hand in eine, weniger schmerzhafte, Position zu bekommen. „Wie nicht?“ Fragte er, schob sich einen Polster unter den, damit er mich besser sehen konnte und tat unwissend.
„Das weißt du ganz genau, Mister van Jard.“ Zog ich ihn auf. „Wir sind seit Monaten befreundet, hängen jeden Tag zusammen herum, doch du weißt viel mehr über mich, als ich über dich. Na, gut über dich weiß ich schon fast alles, aber nichts über deine Familie. Verrate mir zumindest den Namen deines Bruders. Bitte, bitte.“ Bettelte ich weiter, doch ich sah Scott an, dass er abblockte. Wie immer.
„Was interessiert es dich? Wir sind befreundet und er ist sogar mir egal.“ Wieder eine Lüge.
„Nein, das glaube ich dir nicht. Du magst ihn, egal was du sagst, aber du vertraust dich mir überhaupt nicht an, wenn es um ihn geht.“
Grinsend bekam Scott einen seltsamen Ausdruck im Gesicht. „Ich bin auch ein Kerl, wir reden nicht über unsere Gefühle.“
Mahnend funkelte ich zu ihm hinauf. „Würde ich dir jetzt eine in deine Eier hauen, würdest du bestimmt mit mir über deine Gefühle sprechen.“ Drohte ich, doch meinte es bloß halb scherzend.
„Das wagst du nicht!“ Mahnte Scott mich zurück.
„Na, gut da hast du recht. Ich habe noch nicht einmal jemanden geküsst, da werde ich meinem besten Freund bestimmt nicht an die Eier gehen.“
Dankbar nickte er. „Was für eine Ehre.“ Da Scott mich schon wieder auf ein anderes Thema brachte, gab ich auf, ließ mich auf seinen Bauch zurücksinken und schloss die Augen.
„Vergiss es. Jetzt will ich es auch nicht mehr wissen.“

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Wie gewünscht, blieb ich die nächsten Tage zuhause. Ich schlief bis Mittag, wartete darauf, das Scott mit unseren Aufgaben nach Hause kam und lernte zusammen mit ihm.
Was mir jedoch sehr stark auffiel, war, dass er sich immer mehr vor mir zurückzog. Etwas schien ihn stark zu belasten, etwas das er mir nicht anvertrauen konnte, oder es einfach nicht wollte. Mehrfach versuchte ich, an ihn heranzukommen, doch hatte keine Chance. Nicht bei diesem Sturkopf.
Am Freitag kam er sogar bloß vorbei, um mir meine Aufgaben für das Wochenende zu bringen, entschuldigte sich, dass er noch etwas vor hätte und verschwand einfach wieder. Verletzt sah ich meinem besten Freund hinterher, wie er sich auf den Weg, zurück zum Anwesen seines Onkels machte, wo ich ihn schlussendlich aus den Augen verlor. „Ist alles in Ordnung, zwischen euch beiden?“ Fragte meine Mutter mich, nachdem sich selbst am Samstag, Scott nicht gemeldet hatte.
Lustlos schob ich mein nicht angerührtes Essen zur Seite. „Ich weiß es nicht. Ganz ehrlich.“ Gab ich vor meiner Mutter zu. „Er reagiert nicht auf meine Anrufe, antwortet nicht auf meine Nachrichten und kommt nicht einmal herüber.“ Bedrückt stützte ich meinen Kopf auf meine rechte Hand und verfluchte meine linke, dass sie so stark verletzt worden war. Nein, mein Fluch galt eher der Person, die überhaupt erst Schuld, an dem ganzen Dilemma war. Rebekah!
„Denkst du, er hat genug von mir, Mama?“ Vor Schreck ließ meine Mutter doch glatt ihre Gabel fallen.
„Wie bitte? Scott? Natürlich hat er nicht genug von dir, er ist doch dein Freund. Nein, es ist, bestimmt bloß ein Notfall in der Familie. Sobald er kann, wird er es dir erzählen. Du wirst sehen.“ Auf eine typische, mütterliche Art, tätschelte sie meine verletzte Hand und lächelte mich allwissend an.
„Ich vermisse ihn aber.“ Gestand ich weiter ein. Er fehlte mir, sein Lächeln fehlte mir, seine Witze, einfach seine Anwesenheit.
„Ach, Schätzchen, er ist nicht dein Bruder, sondern ein Freund. Hin und wieder braucht man etwas Abstand zueinander, sonst wird man sich schnell leid. Aber ich bin mir sicher, dass es bei euch beiden nicht so ist. Scott wird dir schon eine akzeptable Erklärung liefern, du kennst ihn doch, oder?“
Stumm nickte ich. Ja, ich kannte Scott. Zumindest hoffte ich dies. Als am Sonntag sogar sein Handy ausgeschaltet war, reichte es mir. Ich wollte nicht mehr länger warten, bis er endlich von selbst kam. Natürlich vertraue ich Scott, glaube an ihn und wusste, dass er mir treu war, als Freund selbstverständlich. Aber es konnte nicht sein, dass Scott immer zu mir kam, und ich auch noch fest davon ausging, dass er dies tat.
„Wo gehst du hin, Rebecca?“ Fragte meine Mutter, während ich in meine knöchelhohen Stiefel schlüpfte.
„Was denkst du wohl? Ich lasse Scott bestimmt nicht alleine, wenn es offensichtlich etwas gibt, was ihn belastet. Er war die letzten Monate immer für mich da, er ist mein bester Freund und...“
Meine Mutter unterbrach mich, indem sie mir meine Weste erwartungsvoll hinhielt. „Ich dachte ehrlich gesagt gestern Abend bereits, dass du gehen würdest.“ Schmunzelnd nickte ich ihr zu. Auf sie konnte ich zählen. Sie verstand das Band zwischen Scott und mir. Sie machte sich auch nicht über uns lustig, sondern wusste, dass etwas zwischen uns existiert, was wir beide nicht verleumden können. Scott ist einfach meine bessere Hälfte, mein Seelenverwandter, der bei meiner Geburt verloren ging und so etwas ließ man nicht einfach wieder gehen. Nicht so.

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Als ich vor dem großen schmiedeeisernen Tor ankam, welches sich hoch in den Himmel reckte und jeden verscheuchte, der diesem Grundstück zu nahe kam, stockte ich erst einmal. Hatte er nicht gesagt, ich solle ihn nicht besuchen kommen? Dass sein Onkel Besucher nicht wirklich schätzt? Kopfschüttelnd wirbelte ich diese Angst hinfort. Mir egal was sein Onkel wollte, egal welcher Mensch diese Person war, oder ob er überhaupt von meiner Existenz wusste. Das Einzige was zählte, war, dass Scott erfuhr, dass ich für ihn da war und das ich ihn unter keinen Umständen aufgeben würde. Um keinen Preis der Welt.
„Hübsche Mädchen verirren sich bloß selten hier her. Willst du uns etwas verkaufen? Oder uns lediglich bestehlen?“ Die raue Stimme erschreckte mich dermaßen, dass ich vor Panik, sogar einen großen Sprung zur Seite machte. Ich erkannte dieses Gesicht sofort. Die hellbraunen Augen, diese ovale Gesichtsform, doch die Haare waren etwas heller und länger.
„Du bist Scotts Bruder, nicht wahr?“ Ich wusste dies, auch ohne dass er darauf antworten musste. Er sah aus wie Scott, bloß älter und mit Bartschatten.
„Dann bist du wohl das Mädchen, zu dem er flüchtet?“ Schlug Scotts Bruder seinerseits vor.
„Ich bin seine beste Freundin, ja.“ Gab ich unsicher zurück. Scotts Bruder strahlte so viel Charme aus, dass ich mich unwohl in seiner Nähe fühlte. Auch sein Lächeln, war zwar so offen, wie das von Scott, doch bei weitem Verschlagener und gerissener.
Jetzt verstand ich auch allmählich, weshalb Scott nicht über seinen Bruder sprach. „Wenn du zu meinem kleinen Bruder möchtest, dann muss ich dich leider vertrösten. Er ist unpässlich.“ Scotts Bruder lehnte sich geschmeidig an das große Eisentor und schien unbemerkt zu mir aufholen zu wollen. Ich wich trotzdem weiterhin vor ihm zurück.
„Was ist mit ihm? Er hat sein Handy ausgeschaltet und hat mir nicht gesagt, dass er krank ist.“ Mein Misstrauen brauchte ich wohl kaum Verbergen.
„Ich sagte nie, dass er krank ist.“ Besserte mich Scotts Bruder aus.
„Aber ich weiß, dass etwas nicht stimmt, das kannst du nicht abstreiten!“
Unwissend hob er die Arme und ließ sie an seine Seiten fallen. „Wer weiß das heutzutage schon? Mit jedem von uns stimmt irgendetwas nicht, oder?“ Fragend legte er den Kopf schräg und musterte mich so eingehend, dass ich mir trotz der Weste vorkam, als würde ich im Bikini vor ihm stehen.
„Du weißt, was ich meine. Darf ich ihn bitte sehen?“
Begeistert klatschte er in die Hände, was mich erschrocken zusammen zucken ließ, da im selben Moment die Türe hinter ihm aufschwang. „Wie könnte ich Scotts Angebeteten jemals einen Wunsch abschlagen? Wenn du deinen Liebsten sehen möchtest, dann bitte hier entlang.“ Scotts Bruder deutete mir durch das halb geöffnete Tor zu gehen, doch ich blieb unsicher stehen. „
Ich bin nicht seine feste Freundin und auch nichts Vergleichbares. Wir sind beste Freunde. Bloß das.“ Versuchte ich, dem Typen einzuprägen, doch ihn schien dies wenig zu interessieren.
„Dann will ich dich lieber warnen. Unsere Familie beherbergt das dunkelste Verlangen, welches ein Mensch empfinden kann. Seit Scott gestern sechzehn geworden ist, ist es bei ihm nicht anders. Vielleicht sogar noch schlimmer, da er wusste, was auf ihn zukam?“ Sinnierte der Verrückte nachdenklich, während er voran auf das große Grundstück ging.
Einen besonders großen Garten gab es hier nicht. Es gab lediglich zwei Bäume, links und rechts vom gepflasterten Weg und eine Reihe von exotisch wirkenden Blumen. Das einzige was jedoch recht imposant aus diesem kleinen Garten hervorstach, war das gigantische Haus. Es hatte drei Türme, einer größer als der andere und die Hecken, welche jeden Blick auf das Grundstück verhinderten, waren nicht bloß groß, sondern auch breit, fast zwei Meter.
„Welche Verlangen? Wovon redest du?“ Verlangte ich zu wissen und zog meine Weste enger um den Leib, da ich zu frösteln begann. Die Kälte, welche hier zu spüren war, konnte ich kaum glauben.
„Wenn du nicht an Flüche, oder irgendwelche göttliche Gaben glaubst, dann wirst du es erst verstehen, wenn du es auch gesehen hast.“ Abschätzig stieß ich die Luft aus.
„Was soll das jetzt werden? Irgendein Test, ob ich ein Spinner bin, oder so etwas?“
Lächelnd wandte sich Scotts älterer Bruder zu mir um. „Hm... da eröffnen sich mir ja ganz neue Optionen.“ Galant hielt er mir die Eingangstüre, des kleinen Schlosses auf und deutete mir einzutreten. „Mehr als eine Minute kann ich dir leider nicht einräumen. Stell dir also schnell zusammen, was du ihm sagen möchtest.“ Unsicher wie ich auf die völlig neuen Sinneseindrücke reagieren sollte, folgte ich ihm einen Flur nach hinten, bis wir vor einer breiten Türe zu stehen kam, auf welcher ein >Betreten Verboten< Schild hing. „Scott? Ich habe besuch für dich.“ Ein eindeutiger Schmerzenslaut erklang, woraufhin ich die Luft erschrocken einsog. Was hatte er denn?
„Verpiss dich, du Wichser. Ich sagte doch, ich tu das nicht!“ Schrie Scott gepeinigt durch die Türe.
„Das höre ich mir jetzt schon seit gestern an und um ehrlich zu sein, ist es mir scheiß egal, ob du Schmerzen hast, oder endlich das tust, was du tun solltest. Es ist dein Fluch, ich habe meinen recht gut unter Kontrolle. Aber hier ist wirklich Besuch für dich, Dickkopf.“ Scotts Bruder deutete mir etwas zu sagen... durch die Türe.
„Sc-Scott? Ich bin es, Be...“
„Stopp! Sag ja nicht deinen Namen!“
Irritiert verstummte ich. „Was redest du denn da? Kann ich rein kommen? Bitte Scott, ich mache mir Sorgen um dich.“ Etwas Schweres fiel von innen gegen die Türe, ich konnte mir denken, dass es Scott selbst war, denn die Schmerzenslaute wurden deutlicher, so wie seine Stimme, als er mich abwimmelte.
„Nein, geh jetzt bitte. Ich schreibe dir dann später, aber geh und sag niemanden von ihnen deinen Namen. Bitte! Vertrau mir!“
Ungläubig darüber, was er von mir verlangte, legte ich meine Hand an seine Zimmertüre. „Scott... ich...“
„Bitte. Ich schwöre dir, ich erkläre es dir, wenn es mir möglich ist. Bitte, ich will nicht... Ich kann nicht riskieren... Scheiße.“ Stöhnend hörte ich ihn zu Boden gehen und frustriert auf den Boden einschlagen.
„Scott? Scott? Bitte... Ich kann dir bestimmt helfen. Sag mir was...“
„Es reicht, komm jetzt. Unser Onkel wird dich sonst bemerken.“ Scotts Bruder nahm mich am Oberarm und zog mich gnadenlos von der Türe fort.
„Scott! Bitte... ich kann ihm... ich kann ihm bestimmt helfen!“ Bettelte ich, doch Scotts Bruder ließ mich nicht los. Erst als er mich wieder >sicher< vor dem Eisentor abgesetzt hatte, „Du Arschloch! Was habt ihr mit ihm gemacht? Was ist mit ihm los?“ Schrie ich außer mir vor Wut darüber, dass mein bester Freund sichtliche Schmerzen erlitt, doch keiner schien sich sonderlich dafür zu interessieren.
„He, sieh mich nicht so an. Er hätte sich einen anderen Weg erwählen können, genauso wie es unsere Schwestern und ich getan haben.“ Unschuldig hob er seine, in Handschuhe gehüllten Hände und trat zurück, sodass sich das Tor wieder schließen konnte.
„Wenn er sich bis morgen nicht gemeldet hat, hetzte ich euch die Polizei hierher. Hast du das verstanden?“ Fauchte ich diesen Nichtsnutz an. Das konnte einfach nicht wahr sein. Das alles nicht! Scott brauchte dringende Hilfe, doch weigerte er sich sie auch anzunehmen. Was zur Hölle dachte er, was er damit bewies? Wollte er mich schonen, dann bestimmt nicht dadurch, indem er mich von sich stieß.

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Dienstag war für mich der erste Schultag, wieder einmal. Der ganze Schulhorror, den ich bisher ausgeblendet hatte, begann von neuem. Rebekahs Clique ärgerte mich mehr denn je und das Gerücht, dass ich eine suizidgefährdete Irre wäre, machte alles nicht unbedingt besser. Angeblich hätte ich auf dem Konzert versucht mich mit einer Glasflasche umzubringen, wenn mich die Band nicht auf die Bühne hohlen würde. Auch wenn es offensichtlich totaler Unsinn ist, glaubte dieses Gerücht jeder. Was hatte ich denn auch anderes zu erwarten gehabt?
Jedoch war es dieses Mal anders. Scotts Nachricht, dass er diese Woche nicht in die Schule kommen würde, dass er keinen Kontakt in nächster Zeit zu mir wollte und dass ich ihm bitte vertrauen solle, verletzte mich hundert mal mehr, als jedes Gerücht. Alleine mit den traurigen Gedanken an ihn schaffte ich es, alles außerhalb des Klassenraumes auszublenden. Generell schienen mir diese lästigen Verspottungen viel weniger auszumachen, als noch vor wenigen Wochen und so schaffte ich es auch öfters als gewöhnlich, deren Dummen Streichen auszuweichen. Selbst Rebekahs leidige Standpauke ignorierte ich, flüchtete mich aus ihren Kreisen und hinab ins Lehrerzimmer, wo ich mich an meine Hausaufgaben machte.
Gerade als ich, die zweite Woche welche ich ohne Scott verbrachte, wieder nach Hause ging, erhielt ich die erste Textnachricht von ihm, seit dem Tag, an dem ich ihn besucht hatte. Unfassbar glücklich, las ich, dass er sich mit mir treffen wollte, wenn ich nach Hause kam, und zwar vor dem Grundstück von seinem Onkel.
So schnell ich konnte, lief ich die fünf Kilometer nach Hause, doch musste mehrere Pausen einlegen. So fit war ich wohl doch nicht mehr, wie ich dachte. Als ich jedoch ankam, wartete Scott bereits vor dem Tor auf mich,... neben ihm, sein Bruder.
Schwer atmend, verringerte ich mein Schritttempo, auf einen gemächlichen Gang und kam ihnen beiden lässig entgegen, wobei mein Herz raste vor Nervosität. Scott stand zwar mit dem Rücken zu mir, doch sein älterer Bruder, gab ihm ein Nicken, dass ich mich näherte.
Sichtlich zögernd, wandte sich mein bester Freund mir zu und ich blickte in zwei gänzlich, unbekannte Augen. „Scott?“ Fragte ich und warf seinem Bruder einen abschätzigen Blick zu. Ich mochte ihn nicht, so viel stand fest.
„Hi, wie geht es dir?“ Fragte er mich etwas verunsichert.
„Wie es mir geht, sollte dir klar sein. Viel wichtiger ist, wie es dir geht?“ Ich ging auf ihn zu, wollte ihn in den Arm nehmen, doch er wich zu seinem Bruder zurück.
„Ich weiß, ich weiß. Es tut mir ja auch leid, aber... vertraue mir, wenn ich dir sage, dass alles besser ist. Jetzt zumindest.“ Besser? Scott sah nicht unbedingt >besser< aus. Er hatte meiner Mutter gefehlt, mir gefehlt. Der Mangel seiner Anwesenheit in unserem Haus, war fast spürbar. Und jetzt wo ich ihn so sah, nagte dieses Gefühl vom Verlassen worden sein, bloß noch fester an mir. Seine eingefallenen, fast leeren Augen ängstigten mich, seine blasse Haut war auffallend, als hätte er generell zu viel von seinem ursprünglichen Gewicht verloren.
„Lüg nicht, ich sehe dir doch an, dass etwas nicht stimmt. Du siehst... furchtbar aus.“
Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen wandte sich Scott mir wieder voll zu. „Du hast ein scheußliches Talent für Komplimente.“ Scherzte er, doch er war der Einzige, der lächelte. Seinen Bruder schien das ganze Gespräch langweilig zu sein und ich war zu verletzt um jetzt über einen dummen Witz zu lachen.
Ich hatte mir doch Sorgen gemacht, verstand er das etwa nicht? „Ich dachte, du wolltest mit mir reden?“
Beschämt sah er zu Boden. „Ja, ähm... Mein Bruder und ich, sind der Meinung, dass es Zeit für uns beide ist, weiter zu ziehen.“ Mit einem Mal wurde mir klar, was das hier zu bedeuten hatte.
„Du gehst weg? So... So richtig weg?“ Er nickte bedrückt.
„Ja, wir werden jetzt zu unseren Schwestern gehen. Wir fallen unserem Onkel ohnehin bloß auf die Tasche, da ist es wohl besser, wenn wir... bei unserer Familie sind.“ Was! Aber... das klang so gar nicht nach ihm. Scott hatte es immer vermieden mir irgendetwas über seine Familie zu erzählen. Ich hatte es akzeptiert, denn er würde seine Gründe haben, aber dass er jetzt zu ihnen ging... mich verließ! Das war fast noch schlimmer, als meine jährlichen Anfälle. Zornig geworden verschränkte ich meine Arme vor dem Oberkörper.
„Weißt du was? Das ist schön für euch. Familien sind gut. Sie bleiben einem wenigstens Erhalten.“ Damit schwirrte ich an den beiden Brüdern vorbei, lief hinüber auf die andere Straßenseite und machte mich auf den Weg zurück nach Hause. Zum ersten Mal seit langen, hatte ich Tränen in den Augen und fiel meiner Mutter sogar tränen verschmiert um den Hals, als sie abends nach Hause kam.

But wants my head not accept this

 

 

 

Essen war bisher für mich immer bloß mehr eine lästige Pflicht, als Vergnügen gewesen. Um mich auf andere Gedanken zu bringen, wobei mir die Schularbeiten sehr dabei halfen, immerhin war es unser letztes Jahr und unsere Noten hingen davon ab, welchen Erfolg wir in Zukunft erzielen würden, zumindest den Jobs entsprechend. Dass ich heimging, oder zur Schule, bekam ich bloß noch am Rande mit. Ob ich zur spät, oder zu früh erschien, wirkte fast lächerlich auf mich, mein ganzes Leben schien von einem Tag auf den anderen einfach stumpf geworden zu sein. Es fehlte etwas, das spürte ich so deutlich, als hätte man mir meinen rechte Arm abgenommen, auf dem ich mittlerweile nicht einmal mehr einen Verband trug.
Eine feine rosa Narbe hatte sich zwar gebildet und zog sich von meinem Gelenk fast zwei Handbreiten hoch zu meinem Ellenbogen. Das war ein Erinnerungsstück, an dem ich mich festklammerte. Etwas das mir versicherte, dass die letzten Monate, zusammen mit Scott auch wirklich geschehen waren.
Alle anderen, in der Schule, schienen ihn bereits vergessen zu haben. Sein Name fiel nicht mehr, auch meine Mutter schien diesen vermeiden zu wollen, so als wäre er bloß ein Geist aus unserer Vergangenheit. „Rebecca, hier ist jemand für dich!“ Gähnend, da ich eigentlich eben ins Bett gehen wollte, auch wenn es erst halb neun war, stapfte ich lustlos die Treppe hinab. Wen ich dort vorfand, war niemand, den ich sonderlich gerne mochte.
„Was will er hier?“ Fragte ich meine Mutter. Sie schien überrascht von meinem plötzlichen Zorn zu sein und entschuldigte sich bei meinem >Gast<.
„Rebecca, benimm dich gefälligst. Komm her jetzt und begrüß ihn ordentlich.“ Missmutig trat ich an die Seite meiner Mutter und betrachtete Scotts Bruder, offen abfällig.
„Entschuldige die Störung, ich möchte wirklich nicht hier sein, Rebecca...“ Alleine wie er meinen Namen aussprach, jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken.
„Nenn mich nicht beim Namen. Was hast du da?“ Scotts Bruder hob irritiert beide Augenbrauen und blickte mich entsetzt an.
„Ähm...“ Als hätte er den Brief in seiner Hand völlig vergessen, blickte er darauf hinab und streckte ihn mir unsicher hin. „Rebecca?“
Zornig funkelte ich ihn an. „Was noch?“ Ich entriss ihm den Brief regelrecht, da ich Scotts Handschrift erkannte, und presste sie an meine Brust. Es war, als würde man mich mit voller Kraft versuchen in den Erdboden zu rammen, so schwer kam mir dieses kleine weiße Papier vor.
„N-Nichts... Geh einfach nicht weg.“ Mit erhobenen Zeigefinger, wandte sich Scotts Bruder ab, lief, so schnell er konnte, die Straße hinab, zu einer eingemummten Gestalt, welche ich selbst aus der Entfernung als Scott identifizierte.
Ungläubig klappte mir der Mund auf. Er schrieb mir einen Brief, doch schickte seinen Bruder, um ihn mir zu geben, während er aus der Ferne zusah? „Dem werd ich aber jetzt...“ Murrte ich, schlüpfte in meine Schlapfen, doch meine Mutter hielt mich zurück.
„Was machst du denn? Was ist hier los?“ Ich drückte meiner Mutter den Brief in die Hand und schüttelte sie ab.
„Wenn ich mit dem fertig bin, wird er sich nicht einmal mehr in die Nähe dieses Hauses wagen!“ Versprach ich meiner Mutter und stürmte die Straße entlang hinunter. Als ich bei den Brüdern angekommen war, stritten sie und es schien dabei um mich zu gehen. Wütend unterbrach ich sie, indem ich unvermittelt auf Scott zu trat und ihn so stark schubste, dass er mit dem Rücken gegen den Eisenzaun fiel.
„Spinnst du vollkommen?“ Scotts Bruder zog mich ruckartig zurück, bevor ich noch einmal an Scott herankam.
„Ein Brief? Ein verdammter Brief? Ist das dein ernst? Und dein Bruder muss ihn mir auch noch bringen, den ich absolut nicht leiden kann, während du hier hinten stehst und dir einen ablachst? Warte nur.... wenn ich dich...“ Scotts Bruder hatte einen wirklich starken Griff, denn ich schaffte nicht einmal einen weiteren Schritt auf Scott zu.
„Jetzt beruhig dich aber einmal, du Kampfküken.“ Spottete dieser über mich. „Ich bin auch nicht dein größter Fan, glaube mir.“
Meine geballte Wut richtete sich gegen Scotts Bruder, da ich jetzt ihn selbst nicht mehr erreichen konnte. „Du! Du mieses Schwein du! Du bist Schuld daran! Du hast unsere ganze Freundschaft zerstört! Sag schon! Mit was erpresst du ihn?“ Es war so, als würde sich plötzlich etwas von mir lösen. Etwas das schon seit Jahren auf eine günstige Gelegenheit gewartet hatte endlich frei zu kommen. Es war wie ein eiskaltes Monster, welches mein Rückkrad hoch kroch und dabei meinen Zorn noch weiter anstachelte.
„Scott! Hilf mir hier mal, ich kann sie kaum noch halten.“
Sichtlich überrascht, wusste Scott nicht, was er tun sollte. „Lance hat überhaupt nichts getan. Es ist nicht seine Schuld, Becca. Beruhige dich jetzt einmal.“ Bat Scott und hob vorsichtig seine Hände in meine Richtung, doch trat dann doch wieder an den Zaun zurück, als mein brennender Blick ihn traf. „Becca, hör mir zu.“
Jetzt reicht es aber! Wütend schlug ich nach hinten aus und traf mit meinem Hinterkopf, so stark ich konnte auf Lance Gesicht. Etwas knackste. „Scheiße... du bist wirklich immun dagegen!“ War das Einzige, was Scott feststellte, bei meinem, mehr als peinlichen Schlag.
„Immun? Was redest du denn da?“ Scott wandte sich dem Eingang zu dem Grundstück seines Onkels zu, drückte auf einen Knopf, wo sich auch die Sprechanlage befand und es schwang geräuschlos auf.
„Komm erst einmal hinein. Wir sorgen hier draußen, für zu viel aufsehen.“ Befahl Scott seinem Bruder, der sich die blutende Nase hielt, doch artig folgte. Wobei er einen großen Bogen um mich zog. Den konnte er auch getrost einbehalten, so wütend war ich auf dieses Schwein!
„Was geht hier vor, Scott?“ Ich rieb mir meinen Schädel und nahm auf einem Gartenstuhl platz, welchen mir Scott höflicherweise anbot.
„Ich glaube... das ist etwas, das wir miteinander besprechen sollten.“ Mit einem vielsagenden Blick auf seinen Bruder winkte dieser genervt ab.
„Ich muss ohnehin meine Nase kühlen. Und wehe sie war es nicht wert!“ Drohte Lance ohne jegliche Scheu zurück.
„Scott, wenn du mich jetzt anlügst, mich wegschickst, oder vertröstest, rede ich nie wieder ein Wort mit dir! Du bist dann für mich gestorben, verstanden?“
Scott hob beschwichtigend seine Arme und wollte sie nach meinen Fingern ausstrecken, doch ich zog sie eilig vom Tisch und verschränkte diese vor meinem Oberkörper. „N-Na gut. Ich weiß selbst nicht genau, wie ich es dir erklären soll. Es ist... kompiziert. Meine Familie ist kompliziert.“
Das hatten wir bereits festgestellt, doch ich wollte es genauer wissen. „Fang mir nicht damit an, oder ich gehe!“ Drohte ich weiter.
„Nein, Becca. Hör mir einfach zu.“ Zustimmend nickte ich. „Meine Familie, ist nicht normal, nicht so durchgedreht wie man vielleicht meinen möchte, aber sie ist... einfach besonders. Wir besitzen so etwas... wie einen Familienfluch. Das ist auch der Grund, weshalb ich dich weggeschickt habe. Weil wir viel zu gefährlich sind, für Freunde, Bekannte und selbst für diejenigen, die wir Lieben.“ Scott überdachte seine nächsten Worte, während ich noch darüber sinnierte, was für einen Sinn das alles ergeben sollte.
„Du kennst bestimmt tausend Geschichten, über Hexen und Magier, die es überall auf der Welt gibt. Und Legenden über Monster, oder Fantasiegestalten.“ Ungläubig verdrehte ich die Augen. „Becca, bitte. Hör mir einfach zu, du kannst danach immer noch entscheiden, ob du mir glauben möchtest, oder nicht. Ja?“
Mein Bein begann gereizt zu zappeln, doch ich nickte stumm. Na auf diese Erklärung war ich einmal gespannt. „Meine Familie, ist, wie mein Bruder es bereits angemerkt hat, nicht ganz normal. Wir sind... einzigartig, an unseren Genen, doch wir sind nicht die Einzigen. Es gibt ein paar Tausende auf der ganzen Welt, manche in Familienverbände, andere Verstecken sich einzeln, weil sie Angst vor ihren Gaben haben. Erst vor kurzem ist eine kleine... Gruppe an unseren Onkel herangetreten. Sie haben ihm von Leuten erzählt, die ähnliche Gaben und Flüche haben, wie wir selbst.“ Scott strahlte dermaßen über das ganze Gesicht, dass ich schwach wurde. Das war es, was ich die letzten Wochen so sehnlich vermisst habe. Dieses Strahlen, dieses Lächeln, welches bloß er besaß und auf mich, so einfach übertrug. Ich konnte überhaupt nicht beschreiben, wie sehr ich ihn vermisst hatte.
„Jedenfalls, ist meine Familie ebenso. Nur bringen wir nicht verschiedene Gaben mit unseren Kindern zur Welt, sondern bloß einen schrecklichen Fluch. Es ist... etwas in unserem Gen, etwas was uns einzigartig unter den Einzigartigen macht und... besonders wertvoll ist.“
Scott wich dermaßen von dem ab, was er hatte sagen wollen, sodass ich mich vor beugte und sanft meine Hand auf seine legte. „Scott. Was ist los?“ Fragte ich mit einer sanften Stimme, die nichts Wütendes mehr in sich trug. Scott verschränkte seine Finger mit meinen und lächelte ein Lächeln, dass ich ebenfalls vermisst hatte.
„Becca, ich kann nicht... Ich kann dir nicht sagen, wie sehr ich dich vermisst habe.“ Da ich dies durchaus nachempfinden konnte, lehnte ich mich etwas weiter vor und legte meine zweite Hand, mit meiner gut sichtbaren Narbe, auf unsere verschränkten Finger.
„Ich habe dich auch vermisst. Mehr, als das ich dir sagen könnte. Selbst diese... Idioten in der Schule waren mir egal, ich habe mir ihre blöden Sprüche nicht einmal mehr anhören können, weil sie mir einfach lächerlich vorkamen.“
Schmunzelnd ließ Scott es zu, dass ich um den viereckigen Sechsertisch herum rutschte, auf den Sessel neben ihn. „Sie sind auch lächerlich, Becca. Das habe ich doch die letzten Monate versucht, dir klarzumachen.“ Er hob seine freie Hand und legte sie sanft auf meine Wange. „Du bist so viel besser als diese Idioten. Das wusste ich schon immer.“
Freudig schmiegte ich meine Wange in seine Hand, die ich sehr vermisst hatte und genoss seine aufrichtige Zuneigung zu mir. Ich war dermaßen versunken, dass ich überrascht die Augen öffnete und gänzlich vergaß zu atmen, als Scott vollkommen unerwartet seine Lippen, auf die meinen legte. Für einen schier endlosen Moment lang, saßen wir einfach nebeneinander, ließen das ungewohnte Gefühl von sanften Lippen, welche zum ersten Mal aufeinandergetroffen sind, saken und zogen uns dann in einen gebürtigen Abstand zurück.
Erschrocken blickte ich Scott an, der sichtlich amüsiert war. „Das war ekelhaft.“ Stellte er sachlich fest.
„Das war, als hätte mich mein Bruder geküsst.“ Meinte ich ebenso abgeneigt. Und dann lachten wir. So laut und ausgiebig, dass mir bereits der Bauch wehtat, als Lance, Scotts Bruder wieder zu uns stieß.
„Mir gefällt eure Laune irgendwie nicht. Seid ihr beiden schwanger?“ Breit grinsten wir ihn an und kamen langsam wieder zur Ruhe. Ließen die Erkenntnis auf uns wirken, dass wir definitiv dasselbe empfanden, und trockneten unsere Tränen, die sich gelöst hatten.
„Nein, das haben wir einfach gebraucht.“ Gestand Scott uns beiden ein.
Ich legte meine Hand wieder in seine. „Ja, sehr dringend sogar.“ Stimmte ich stolz zu. Somit hätten zumindest Scott und ich den Irrglaube widerlegt, dass Mädchen und Jungs keine Freunde sein konnten. Ich liebte Sott, das war mir bewusst und er liebte mich, doch auf eine ganz andere Weise, als dass es die meisten in unserem alter Verstehen konnten. Es war etwas Tieferes, etwas lange Verlorenes und Reines, was uns beide so stark verband.
„Das heißt, du hast ihr gesagt, dass du jetzt ein Unsterblicher bist?“ Lance klang viel mehr gelangweilt an diesem Gespräch und spielte lieber an seinen Fingernägeln herum.
„Wie bitte?“ Stieß ich ungläubig hervor, da ich annahm, dass Lance einen Scherz machte.
„Also, nein?.“
„Lance! Nei-Nein... Noch nicht so richtig.“ Unsicher warf Scott mir einen Blick zu, offenbar war er sich nicht sicher, wie ich darauf reagierte.
„Ist das irgendeine Band?“ Fragte ich unwissend nach.
„Ja, ein Familienbetrieb.“ Spottete Lance daraufhin und bekam von uns beiden einen wütenden Blick.
„Was Lance meint, ist dass weder er, noch ich sonderlich normal sind.“
Ich grinste frech.
„Das sieht man auf anhieb.“
Kurz schmunzelte er ebenfalls, doch wurde wieder ganz ernst. „Becca, du weißt, ich würde dich niemals anlügen.“ Ich nickte zustimmend. Wenn ich mir, abgesehen von seiner Freundschaft, in etwas sicher war, dann was seine Ehrlichkeit anging. Scott konnte mich einfach nicht belügen, selbst wenn er es wollte. Ich sah es ihm an der Nasenspitze an. „Und... das Nächste wird zwar vermutlich unsere Freundschaft zerstören, aber ich bin, im Gegensatz zu meinem Bruder, ein Unsterblicher. Und das ist wortwörtlich gemeint.“
Immer noch unsicher, ob eine Pointe auf diesen Witz folgen würde, starrte ich Scott erwartungsvoll an. Ein kurzer Blick zu Lance sagte mir, dass kein Lachen folgen würde. „Wie bitte? Was?“ Langsam zweifelte ich doch an Scotts Mangelnder Fähigkeit zum Lügen.
„Ich kann es dir beweisen, aber du musst mir vertrauen und ja nicht weglaufen.“ Genervt davon, wie lange die beiden wohl das Spiel noch weiter durchziehen wollten, schlug ich die Beine übereinander, verschränkte die Arme vor meinem Brustkorb und starrte Scott erwartungsvoll an.
„Dann leg los, Superman.“ Zog ich ihn auf.
„Warte einen Moment, ich muss etwas holen.“ Kurz tauschte er einen vielsagenden Blick mit Lance, dann verschwand er auch bereits im Haus.

- - - - -

 

Sobald Scott außer Hörweite war, lehnte ich mich hinüber zu Lance. „Okay, jetzt ehrlich. Was hat er vor?“ Verlangte ich zu wissen. Immerhin konnte es sich hierbei bloß um einen schlechten Scherz halten.
„Das, meine Süße...“ Lance lehnte sich ebenfalls vor und zog provokativ an meinem zur Seite geflochtenen Zopf. „...solltest du eigentlich überhaupt nicht erfahren.“
Genervt von diesem dummen Spielchen, schlug ich seine behandschuhte Hand weg. „Ehrlich Lance. Ich mache mir Sorgen um Scott. Was ist mit ihm los?“ Bettelte ich weiter und sah ihn mit großen Augen an. Für einen Moment erwiderte er meinen Blick, doch wandte ihn dann verlegen ab.
„Gut, wenn du es nicht glauben wirst, werde ich dir auch mein Geheimnis anvertrauen, denn Scott und unser Onkel Antonielle sind die einzigen Unsterblichen in unserer Familie. Zumindest die einzig noch Lebenden.“
Ich trommelte wütend werdend mit den Fingernägeln auf der Tischplatte. „Ach... also können Unsterbliche doch >sterben<?“ fragte ich spöttisch.
„Das kann ich dir nicht erklären, das ist deren Ding. Ich bin etwas ganz anderes.“
„Lass mich raten... Der Papst?“
Grinsend kam Lance um den Tisch herum und nahm Scotts Platz ein. „Eigentlich vergreife ich mich ja nicht an minderjährigen, aber bei so einer neugierigen Nase wie dir, werde ich wohl eine Ausnahme machen müssen.“ Skeptisch über seine Wortwahl rückte ich ab.
„Wenn du mir an die Brüste willst, werde ich deine Finger...“ Schwindel packte mich. Es kam so unerwartet, dass ich für einen Moment orientierungslos wurde. Im nächsten Moment, fühlte ich, wie mein Körper heißer und heißer wurde, meine Sinne wurden stumpfer und mein Herz raste, als wäre es in Not.
„Rebecca?“ Fragte Lance sichtbar besorgt.
„M-Mum... rufen...“ Bekam ich gerade noch heraus, bevor ich mich auch schon übergab. Der Schub, welche ich bereits seit meiner Kindheit hatte, kam so schnell, stark und vor allem unerwartet, dass ich in Lance Armen einfach zusammenbrach. Murrend vor Schmerz, hielt ich mir meinen Bauch, da sich heftige Krämpfe dort bemerkbar machten, während Lance mich besorgt stützte und auf der Wiese ablegte.
„Rebecca? Was ist los? Was... Scott!“ Panisch drehte er mich zur Seite, als der Nächte Brechreiz über mich hereinbrach, doch dieses Mal, war es nicht mein Essen, das kam, sondern ein großer Schwall von Blut. „Scheiße!“ Stieß Lance hervor. „Sott ruf sofort einen Arzt!“ Brüllte Lance über meine Kopfschmerzen hinweg, wofür ich nach ihm griff. „Schon gut, Hilfe kommt...“
„Klappe!“ Stieß ich hervor, da mein Kopf sich anfühlte, als würde mir jemand ohne Narkose die Kopfhaut herunterziehen. Wenn also Lance so laut neben mir schrie, klang es so, als würde er mir den Gehörgang selbst herausziehen.
Noch einmal übergab ich mich, doch dieses Mal konnte ich beinahe nicht mehr aufhören. Meine Brust, meine Hände und vor allem die Wiese waren voller Blut, immer mehr kam aus meinem verdammten Körper, er entleerte sich Schicht für Schicht, schmerzte, brannte und kratzte, als würde man mich in Schmirgelpapier gehüllt, hinter einem Pferd herziehen, dass durch eine trockene Steinwüste raste.
„Schon gut, Becca. Bleib bei mir. Becca... Bec...“ Mein Blick wurde immer verschwommener. Meine Muskeln taten, was sie wollten, zuckten und krampften, abwechselnd, doch Lance ging nicht weg, oder fragte mich, was er tun sollte. Er blieb einfach da, achtete darauf, dass ich mich in den Krampfanfällen nicht selbst verletzte und strich mir das schmutzige Haar zur Seite. Dass er selbst bereits voller Blut und Kotze war, schien ihn kein bisschen zu interessieren. „Ich bin da...“ War das letzte Versprechen, was ich dachte jemals zu hören, bevor ich mit dem letzten Schwall Blut, den ich noch aufbringen konnte, endgültig zusammenbrach.

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„Hi, Schlafmütze.“ Es waren Scotts Worte, die mich empfingen, als ich meine Augen erschrocken aufschlug. Noch immer hallten die Nachwirkungen meines Anfalles in meinem Gedächtnis nach und der Geruch von Blut und Erbrochenen kratzte an meiner Nase, doch Scott lächelte mich so zuversichtlich an, dass ich das eben erlebte, sofort verdrängte.
„Wie lange hat es gedauert?“ Scotts Gesichtsausdruck, wurde besorgter. „Nur ein paar Minuten. Lance ist duschen und sich umziehen gegangen. Hier, etwas zum Trinken.“
Langsam half er mir beim aufsetzten, während ich mich selbst, angeekelt betrachtete. Dankend nahm ich das rote Glas entgegen und setzte es an meine Lippen an. Als die warme Flüssigkeit auf meine Kehle traf, seufzte ich tief. Etwas Besseres hatte ich noch nie in meinem ganzen Leben getrunken. Stürmisch, da mir überhaupt nicht bewusst gewesen war, wie durstig ich überhaupt bin, stürzte ich gleich den gesamten Inhalt hinunter und leckte mir zufrieden über die Lippen „Das war Lecker. Was war das?“
„Ähm... Tierblut?“ Fragte Scott jemanden, der offenbar hinter mir zu stehen schien. „Ja, das von Hirschen hat einen recht großen Nährwert.“
Angeekelt verzog ich das Gesicht. „Sagt mir ja nicht, ich habe so etwas wie Bambipisse getrunken!“ Bat ich.
Als ich mich jedoch umdrehte, erschrak ich erst einmal. Hinter mir stand ein junger Bursche, in Scotts und meinem alter. Seine Haare waren vollkommen weiß, die Augen in einer Farbe, die zwischen Silber und Grau variierten und die Haut so weiß wie Porzellan. „Eine Puppe?“ Fragte ich vor Schreck. So starr wie diese >Puppe< eben noch dar gestanden hatte, blickte sie nun steif an sich hinab.
Der Junge, der aussah, wie eine lebendig gewordene Puppe strich sich kurz über den faltenlosen, adretten Anzug und räusperte sich. „So hat mich noch niemals jemand beschrieben, herzlichen Dank.“
Ungläubig blickte ich noch einmal das rote Glas an, das eigentlich überhaupt nicht rot war, bloß die Flüssigkeit darin, war rot gewesen. „Bitte sag mir das Pinocchio mir eben kein Bambiblut gegeben hat.“ Bettelte ich Scott an, der mir deutlich mit seinem Blick zu verstehen gab, endlich die Klappe zu halten.
„Becca, bitte! Das ist mein Onkel!“ Schimpfte er. Noch einmal sah ich zurück zum Porzelan-Pinocchio, dann wieder zu Scott.
„Du solltest... vielleicht besser von vorne anfangen.“ Schaudernd stellte ich mein Glas zur Seite, Scott schnappte es sich sofort, stellte es hoch auf den Tisch, neben dem ich immer noch saß und half mir beim Aufstehen.
„Mein Name ist Antonielle McMirre. Ich bin der Ururur-... Lassen wir das lieber.“ Räuspernd setzte sich die weiße Puppe, die nicht älter als Scott sein konnte an den Tisch, zumindest an einen Platz, den ich noch nicht versaut hatte und lehnte sich gemächlich zurück. Würde er sich nicht bewegen, würde ich beharren, dass diese Person eine männliche Puppe ist! „Ich bin der Urahn und für jeden meiner Kinder und möchte von ihnen einfach >der Onkel< genannt werden.“ Stellte er seine Ahnengeschichte kurz vor. Ich tat so, als würde ich verstehen und nickte. „Du hast ja bereits Scott kennen gelernt und seinen älteren Bruder Lance van Jard.“ Wieder nickte ich, denn das war offensichtlich. „Bloß weil ich noch den ursprünglichen Nachnamen trage, heißt das nicht, dass sie nicht mit mir verwandt sind.“ Mahnte er mich plötzlich, was ich nicht ganz verstand. „Aber durch ihr Blut fließt das, von meinen Brüdern und Schwestern, Kindern und Enkeln, Eltern und Großeltern. Unser Stammbaum ist vielleicht nicht unbedingt groß, aber lange, Kleines. Schon immer war es uns bestimmt, an unserem sechzehnten Geburtstag eine Verwandlung durchzumachen.“
Aus dem Augenwinkel sah ich Lance aus dem Haus kommen. Seine nassen Haare, wurden vom sommerlichen Luftzug sanft gewogen, während die Sonnenstrahlen genüsslich auf seinen flachen Bauch brachen. Muskeln tanzten leicht, als er sich das Handtuch über den Kopf zog, um seine Haare damit zu trocknen und seine langen Beine steckten in einer kurzen Hose. „... zu?“
Lance warf mir einen wissenden Blick zu, der mich rot werden ließ, da ich selbst bemerkte, dass ich ihn viel zu lange, mit offenen Mund, anstarrte, während er sich ungeniert näherte.
„...nicht mehr zu.“ Hörte ich wieder jemanden neben mir sagen, während mich irgendjemand an der Schulter rüttelte. Es war beinahe, als würde mich seine Augen und die Sonne gleichzeitig darauf aufmerksam machen wollen, was Scotts Bruder zu bieten hatte. Zumindest was sein Aussehen betrifft.
„Nicht gleich sabbern.“ Grinste Lance, als er vor mir stand und, sichtlich stolz auf sich selbst, seinen Platz neben Mister McMirre einnahm. Meine Beine wurden fast weich.
„Ic-Ich habe nicht... Ich habe nur... Also...“ Stammelte ich völlig überrumpelt zusammen.
Scott tätschelte mir den Arm. „Schon gut. Du siehst ihn im Moment bloß so anziehend, wegen deiner überreizten Sinne. Das legt sich in ein paar Stunden wieder.«.
Was? Anziehend? Lance? Niemals! „Was? Igitt, so einen Dorftrottel wie ihn finde ich bestimmt nicht anziehend.“ Lance Grinsen wurde bloß größer bei meinen hektischen Worten. „Moment! Was meinst du mit überreizten Sinnen?“
„Hättest du einmal zugehört, anstatt meinen Bruder anzugaffen.“ Zog Scott mich, sichtlich sehr belustigt auf.
Beleidigt schubste ich ihn. „Halt die Klappe.“
Scotts Onkel... oder was auch immer, nahm einfach den Faden wieder auf, während mein verräterischer Blick immer wieder zu Lance wanderte. „Wie ich eben erläutern wollte, ist Lance, im Gegensatz zu Scott und mir, wie seine Schwestern die Fähigkeiten, wie man sie aus der Sagengestalt der Inkubi und Sukkubi kennt.“ Okay, jetzt war eine volle Aufmerksamkeit zurück.
„Was?“ Langsam begann ich mich zu wiederholen.
„Lance, trägt wie jeder in unserer langen Familienreihe, das Blut eines Incubus in sich. Zumindest wird es so von Eltern zu Kind weiter gegeben. In Wahrheit ist es bloß ein Fluch, den wir an unsere Kinder weiter vererben.“
Lance? Ein Fabelwesen, dass angeblich sexbesessen, oder was auch immer ist? „Das ist doch Unsinn.“ Warf ich ungläubig ein.
„Aber das >Bambiblut< hat dir köstlich geschmeckt, nicht wahr?“ Zog Lance mich wissend auf.
„Das war... Igitt, das war wirklich Tierblut?“ Angeekelt wischte ich meine Zunge ab, als ob das noch irgendetwas nützen würde.
„Ja, aber ich verstehe nicht, wie du plötzlich auch eine Unsterbliche sein kannst.“
Erschrocken endete ich mein Tun und sah Lance verwirrt an. „Ich weiß ich wiederhole mich... aber was?“
„Einige in unserer Familie, haben nicht so viel Glück ein Inkubus, oder Sukkubus zu werden.“ Erklärte Antonielle ungerührt weiter. „Manche, wie Scott und ich, finden nicht die Gelegenheit dazu, oder entscheiden uns dagegen, ein Inkubus zu sein.“
Das Ende des Satzes, sollte wohl auf Scott bezogen sein. „Wie? Du hast dich dagegen entschieden?“ Fragte ich ungläubig.
„Ja... irgendwie.“ Gab er eingeschüchtert zu.
„Wo liegt denn der Unterschied, ob er ein Inkubus, oder ein Unsterblicher ist? Und wieso habe ich zur Hölle noch einmal Bambiblut getrunken?“ Dieser Gedanke ekelte mich an, doch ließ mir gleichzeitig das Wasser im Mund zusammenlaufen.
„Das mit dem Blut, ist ähnlich wie bei der Prägung eines Kücken. Dass was es als Erstes sieht, auf das prägt es sich, das ist seine Mutter.“ Erklärte Antonielle. „Und bei uns Unsterblichen ist es so, dass wir uns auf das prägen, von dem wir als erstes Trinken.“ Ungläubig beäugte ich die beiden.
„Wenn ihr jetzt sagt, dass ihr so etwas wie Vampire seid, dann übergieße ich mich gleich mit Weihwasser!“ Drohte ich den beiden, da mir der Spaß mittlerweile zu weit ging.
Antonielle winkte ab. „Vergiss das, was du über >Vampire< zu glauben magst. Sie existieren nicht. Dracula, ein Fanatiker, die Sonne, tut uns nichts, sie blendet bloß früh morgens, Kruzifix und Knoblauch, nett zum Dekorieren und würzen.“ Ich konnte die Abfälligkeit über diese Irreglauben beinahe auf der Zunge fühlen. „Wir Unsterblichen, müssen uns wegen den Nährstoffen von Blut ernähren, dabei haben wir die Wahl, ob es sich dabei um Tierblut, oder Menschenblut handeln wird. Ich war damals, als ich sechzehn wurde, gerade zum Jagen unterwegs, als es passierte. Mit meinem erbrochenen Blut, habe ich einen jungen Puma angelockt, der dachte, er könnte mich auffressen.“
Lance mischte sich ein. „Dabei war es dann umgekehrt.“
Antonielle nickte zustimmend. „Somit habe ich mich auf Tierblut geprägt. Als Scott sich weigerte sich eine Frau zu suchen, um >den Akt< zu vollführen, hat er sich ebenfalls in einen Unsterblichen verwandelt. Er bat darum, so wie ich zu werden, das ließ ich selbstverständlich freudig zu.“
„Wie... er?“ Fragte ich Scott. Was hatte das zu bedeuten?
„Unsere Familie, kann zwei Wege an ihren sechzehnten Geburtstag einschlagen. Der eine ist der >ewige Weg<, der andere der >dunkle Weg<“ Antonielle stand auf, um zu seinem >Ur-irgendetwas< zu gehen. „Ich habe damals das Schicksal der Unsterblichen angenommen, da ich nichts von meiner Herkunft wusste. Ich kannte nicht mein Schicksal, wenn ich als unberührter in diesen Tag schreite. Ein Jahr vor dem sechzehnten Geburtstag, eines meiner Erben, kommen sie zu mir. Ich unterweise sie in die Familiengeschichte, bringe ihnen bei, was sie wissen müssen und helfe ihnen über die erste Hürde.“
Lance trat vor. „Als Inkubus, oder wie meine Schwestern als Sukkubus, mussten wir lernen, bloß das zu nehmen, was wir benötigen. Onkel Antonielle half und ein Leben aufzubauen in unserem neuen Abschnitt.“
„Und mir half er den ersten Durst zu überstehen. Deshalb war ich auch nicht in der Schule.“ Langsam sackte der erste Schreck und unfassbare Hilflosigkeit blieb zurück. Eine Familie, geprägt durch einen Fluch und einige von ihnen, so wie >der Onkel< und Scott, blieben eine Ewigkeit daran gebunden. Jedoch hatte sich Scott aus freien Stücken dafür entschieden, der zu sein, der er jetzt ist. Ein Ewiger. „Aber... was bedeutet das für dich? Wieso... Wieso wurdest du nicht wie deine Geschwister, oder deine Eltern?“ Irgendwie erschien es mir viel besser, sich regelmäßig ein bisschen etwas von anderen zu nehmen besser zu sein, als eine Ewigkeit alles zu überdauern. Alles sich wiederholen zu sehen, alles neben sich vorbei sterben erleben.
„Ich weiß es nicht. Anfänglich wollte ich tatsächlich so werden wie meine Geschwister. Es ist... absurd für immer zu leben. Anstrengend. Einsam. Und um ehrlich zu sein, hatte ich dich als Opfer gewählt. Ich wusste, dass dich niemand hier vermissen würde, bis auf deine Mutter. Ich dachte, es würde dich auch nicht so sehr stören, immerhin hast du bereits schon so unendlich viel Leid erfahren, dass ich es mir nicht einmal ausmalen könnte.“
Schockiert stellte ich fest, dass unser >zufälliges Aufeinandertreffen< überhaupt kein Zufall gewesen war. Dass er mich hatte töten wollen... Na gut vielleicht nicht unbedingt >wollte< aber er hatte es im Sinn gehabt. Mein Scott! Mein bester Freund! „Aber dann lernte ich dich kennen. Ich lernte dich verstehen und... ich mag dich wirklich sehr gerne, Becca.“ Im Hintergrund konnte ich sehen, wie sich Lance und sein Onkel etwas zurückzogen, während Scott seine Hände an meine Wangen legte, um meine Tränen fortzuwischen. „Du bist meine beste Freundin, meine bessere Hälfte. Ich habe gesehen wie stark einem Leid und Trauer und sogar Einsamkeit machen kann. Das hat mich ehrlich überrascht, wie schnell du... mich um deinen Finger gewickelt hast.“ Lächelnd schniefte ich und legte meine Stirn an seine. „Eine Ewigkeit, dachte ich, ist vielleicht doch nicht so übel, wenn man darauf eingestellt ist und nicht überrascht wird wie unser Vorfahre. Ich werde viele Leben ausprobieren können. Alles lernen, was kommen wird. Neue Dinge kennenlernen, in hundert, oder zweihundert Jahren, so wie mein Onkel. Die Welt ist recht faszinierend, weißt du.“ Zustimmend nickte ich. „Ich glaube... ich finde es auch besser, wenn du mich faltig und grau siehst, als wenn du mir ständig an die Wäsche wolltest.“
Lance hüstelte. „Na diese Ewigkeit könnt ihr ja jetzt zu dritt verbringen.“
Überrascht erinnerte ich mich wieder an das, was ich wegen Scott verdrängt hatte. „Ich bin ja auch wie du... Wieso?“ Das letzte Wort überschlug sich beinahe, als ich es ausstieß.
„Ich weiß es nicht, Becca. Das.... So etwas sollte eigentlich nicht möglich sein.“
„In den letzten sechshundert Jahren hätte ich auch noch nie gehört, dass ich jemanden angesteckt hätte.“ Stimmte Antonielle zu. „Das ist auch der Grund, weshalb ich aus dem Haus gekommen bin. Ich wollte es selbst sehen.“ Wieder angeekelt von mir selbst, wich ich vor Scott zurück.
„Oh du heilige Scheiße! Wie soll ich denn jetzt meiner Mutter gegenübertreten? Ich bin... voller Blut und Kotze!“
Lance kicherte über meinen Anfall. „Ich könnte dir eins meiner Shirts borgen. Du würdest sicher heiß darin aussehen.“ Wütend funkelte ich ihn an.

- - - - -


An diesem Tag, schlief ich in Onkel Antonielles Anwesen. Meiner Mutter erzählte ich, dass ich noch etwas Zeit hier verbringen wollte, bevor Scott ginge, denn das wollte er immer noch. Natürlich bekam ich in diesem gruseligen Schloss, mit seinen antiken Waffen und Gemälden, die an der Wand hingen, so wie den staubbedeckten Rüstungen, mein eigenes Zimmer. Der Innenbereich des Schlosses hatte weitmehr etwas von einem Spukschloss, als von einem modern eingerichteten. Zu essen gab es beinahe überhaupt nichts, daher wunderte es mich auch überhaupt nicht mehr, dass Scott so viel Zeit bei mir verbracht hatte. Weder Antonielle, noch Lance mussten etwas Essen. Lance hatte einen Job als Stripper,deshalb war er auch kaum >zuhause< und teilweise, wenn es gut bezahlt war, als Edelhure, aber das war es dann auch schon. Dort bekam er das Essen gratis und konnte seine Zeiten frei einteilen. Antonielle hatte zwei Kühe im Hinterhof. Die zapfte er an, sobald er wieder etwas benötigte, doch in den Jahrhunderten hatte er gelernt, seinen Hunger zu zügeln und zu mindern.
Mein richtiger Hunger begann zwölf Stunden nach meiner >Verwandlung< in eine Unsterbliche. Keiner der drei konnte ich erklären, weshalb, oder warum, doch ich war erleichtert, als meine Haut einige Nuancen dunkler wurde, meine Sinne sich normalisierten und vor allem, dass ich endlich aufhörte, Lance hinterher zu schmachten. Er hatte mir sogar erklärt, dass Inkubi und Sukkubi immun gegeneinander waren, so zu sagen, impotent auf die eigene Art. Aber das hatte er mir bloß verraten, da ich ihn aufgezogen hatte vielleicht einmal auf seinen Bruder abzufahren, da der ja nun unsterblich war und er sich an ihm bedienen konnte, wie er wollte. Jedoch traf auf Blutsverwandtschaft exakt dasselbe zu, worüber ich ehrlich gesagt erleichtert war. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie das aussehen würde, wenn die beiden plötzlich vor mir begännen herum zu knutschen. Oder Schlimmeres!
„Bitteschön.“ Überrascht davon, plötzlich eine heiße Tasse Kakao in der Hand zu halten, sogar mit Schlagobers darauf, grinste ich.
„Uh, du weißt, auf was ich stehe.“ Grinste ich, doch stellte umso erschrockener fest, dass es Lance war, der sich neben mich auf den Balkon des Hauses gesellte. „Ach, so. Du bist es.“ Murrte ich enttäuscht.
„Wen hattest du denn erwartet? Deinen Seelenverwandten?“ Seine Gehässigkeit war regelrecht fassbar.
„Ja, ich vermisse Scott jetzt schon.“ Gab ich unberührt zurück. „Du solltest nicht so klammern. Anhängliche Mädchen sind Jungs in seinem alter auf Dauer zu anstrengend.“
Ich lehnte mich nach links, zu ihm und grinste. „Da scheint jemand Erfahrung zu haben. Sag ja nicht, damit hast du all deine guten Chancen vertan.“ Zog ich ihn auf und bekam einen verärgerten Blick.
„Oh, Süße. Ich bin weit davon entfernt eine Klammer zu sein.“ Seufzend lehnte er seine Ellenbogen auf den Stein und blickte hinab in den Garten, wo sich Scott die Sonne auf den Rücken scheinen ließ. „Aber wenn ich dir einen Rat geben darf. Fernbeziehungen taugen nichts.“
Ich gab einen genervten Laut von mir. „Okay, ich sage es dir bloß ein einziges Mal jetzt noch, denn so schwer kann man kaum von Begriff sein. Scott und ich, sind nicht mehr als Freunde.“
Grinsend fixierte mich Lance mit einem wissenden Blick. „Aber ihr habt euch geküsst, das habe ich gesehen.“
Ich verdrehte die Augen. „Ja, einmal. Und er hat mich geküsst. Trotzdem war es eher so, als würde ich meinen Bruder küssen, er sah es genauso.“ Wieso rechtfertigte ich mich überhaupt?
„Bist du da sicher? Ihr bedeutet euch offensichtlich viel.“
„Ist das Gras grün? Der Himmel heute wolkenlos und die Sonne gelb? Ja, verdammt. Ich bin mir sicher. Stell dir mal vor wie es wäre, wenn du ihn küssen müsstest.“ Angeekelt verzog er das Gesicht. „Siehst du? Genauso war es.“
„Dann ist er ein echt mieser Küsser.“
„Ach!“ Ächzte ich. „Nein, der Kuss war gut. Aber... mehr war es halt einfach nicht. Punk aus. Lass uns von etwas anderem reden.“
Demonstrativ setzte ich die Tasse an meine Lippen und verbrannte mich sofort. „Okay, wie wär es, wenn du mich küsst, nur als Vergleich?“ Bot Lance mit einem höhnischen Grinsen an.
„Ich brauche keine Vergleiche.“
„Unerfahrene wissen ja nicht was sie verpassen und als Inkubus, der letzte Nacht nichts abbekommen hat, könnte ich den einen, oder anderen Funken gebrauchen.“
Angeekelt bewegte ich mich etwas weg von ihm. Das Letzte was ich wollte, war jetzt auch noch mit Scotts älteren Bruder herum zu knutschen, besonders da er mich offensichtlich leicht auf die Palme brachte. „Was denn? Hatt dein Ego etwa Lücken bekommen, da ich nicht auf deine billigen Flirtversuche angeschlagen habe?“ Jetzt hatte ich ihn.
„Das mit dem Namen, ist normalerweise eine recht sichere Sache. Wenn wir den Namen unseres Opfers nennen, dann verfallen sie uns bedingungslos. Ein Kuss und schon versinken sie in ihren blühendsten Fantasien. Und eine Berührung...“ Lance legte seine behandschuhte Hand auf meinen Unterarm. „...kann dich in wenigen Sekunden mehrfach kommen lassen. Besonders wenn ich in... bestimmte Bereiche vorstoße.“
Für eine Sekunde war ich zwar fasziniert von ihm, doch bloß von den Informationen, die ich erhielt. „Eine Berührung? Das klingt mir ein bisschen zu übertrieben. Ich muss wirklich ein tiefes Loch hinterlassen haben, wenn du jetzt zum Weinen beginnst.“
Verwirrt davon, was Lance vorhatte, beobachtete ich ihn, als er seinen Handschuh abstreifte, von der rechten Hand und sie wie ein Zauberer in die Höhe hielt. „Eine kleine Kostprobe gefällig? Oder hast du Angst, dass du mir verfallen könntest?“
Ich stellte meine Tasse ab und reckte herausfordernd das Kinn. „Wenn ich nicht einmal auf deine billigen Baggersprüche hereinfalle, werde ich mich auch nicht von dir >verzaubern< lassen.“ Dabei klang ich sogar überraschend herablassender und selbstsicherer, als dass ich es in Wahrheit bin. Der Effekt von der Verwandlung in eine Unsterbliche hatte innerhalb einiger Stunden nachgelassen. Vielleicht war es hierbei ähnlich?
„Na gut, aber ich schätze, du möchtest nicht mit mir ins Bett steigen.“ Das war keine Frage, sondern eine bewiesene Wissenschaft, zumindest in meinen Augen.
Ich streckte meine Hand aus und ließ ihn sie berühren. Gespannt beobachtete ich, wie sich seine Finger, zärtlich, beinahe spielerisch über mein rechtes Handgelenk bewegten. Hoch, zu meiner feinen, noch rosa Narbe und sie hauchzart hinauffuhr, als würde er sicher gehen wollen, dass er mich auch ja nicht verletzte. Als seine Fingerspitzen sich sanft an meinen Oberarm legten und von dort zu meinem, von einem Shirt bedeckten, Rücken wanderten, merkte ich erst, wie ich die Luft angehalten hatte. Etwas zittrig geworden, stieß ich sie wieder aus, versuchte mich auf seine Bewegungen zu konzentrieren, da mir bewusst war, was er versuchte. Mein Herz holperte völlig überfordert davon, was es tun wollte, durch meinen Brustkorb, sank langsam tiefer in meinen Bauch und begann dort Purzelbäume, oder Ähnliches zu schlagen.
Offenbar hatte Lance auch seinen zweiten Handschuh ausgezogen, denn da seine rechte Hand damit beschäftigt war, mich näher an seine durchtrainierte Brust zu ziehen, an welche ich mich bloß zu deutlich erinnerte, legte sich seine zweite in mein offenes Haar. Gierig nach Luft schnappend, stellte ich fest, wie nah mir Lance bereits gekommen war. Ich konnte seinen Duft ganz deutlich riechen, die Selbstsicherheit, die von ihm ausging, spüren. „Scheint, als würde mein Zauber tatsächlich nicht auf dich wirken.“ Stellte er leise flüsternd, neben meinem Ohr fest.
Nein, tat es nicht. Dieser Zauber... oder was auch immer er benutzte um seine Frauen ins Bett zu bekommen, wirkte tatsächlich kein bisschen auf mich. Lance ließ meine Strähne los und seine Fingerspitzen glitten, tanzend über mein Schlüsselbein, während mein Kopf sich langsam wie benebelt anfühlte. Meine Hormone schienen ebenfalls ihren Spaß zu haben, denn mein Körper spielte vollkommen verrückt, dank ihnen. Eine unaussprechliche Spannung lag da zwischen uns. Lockte mich aus meinem Schutzpanzer hervorzukommen und warnte mich gleichermaßen davor nicht weiter zu gehen. „Sieh mir in die Augen.“
Da ich bisher bloß auf Lance Shirt gestarrt hatte, in der Hoffnung, dass sie nicht vor Aufregung heraus platzen würden, zuckte ich zusammen, als er sanft mein Kinn bei seinen Worten anhob. Erschrocken hielt ich erneut die Luft an. Die Augen eines Inkubus waren wunderschön. Offenbar setzte er all seine Kraft ein, um mich dazu zu bringen still stehen zu bleiben, denn seine Augen leuchteten in einem sanften Grünton, der davor noch nicht da gewesen war. „Wahnsinn.“ Stellte ich fest. Es sah unfassbar gut an ihm aus. Normalerweise waren seine Augen braun, wie die von Scott, doch jetzt hatten sich, so etwas, wie grüne Splitter gebildet, die von seiner Pupille über die Iris reichten.
„Das bist du durchaus...“
„Lance!“ Der Bann war wie weggewischt. So erschrocken, dass ich schon dachte, mein Herz bliebe stehen, sprang ich so weit von Lance fort, wie es mir möglich war. Er wirkte mindestens genauso schockiert wie ich, doch sah sich nach der Quelle des Rufes um.
Onkel Antonielle stand in der Türe zum Zimmer und funkelte seien Urahn, sichtlich erbost, an. „Ich habe eine Lektion für dich. Unten!“ Fauchte er so wütend, dass ich schwören konnte, er wirke etwas menschlicher.
„Aber ich bin wirklich schon ein bisschen zu alt um eine Lek...“
„Sofort!“ Brüllte sein Ahne wütend und Lance gehorchte artig. So schnell er konnte, folgte er dem Jungen, der zwar wie sechzehn aussah, es doch bei weitem nicht mehr war. Immer noch schlug mein Herz wie verrückt, mein Magen fühlte sich ebenfalls komisch an und mein Atem versuchte, seinen Rhythmus wieder zu finden. Hatte die Inkubus-Berührung etwa doch auf mich gewirkt? Ja, denn anders konnte ich mir mein Fehlverhalten nicht erklären. Wie nahe waren wir uns überhaupt gekommen?
Mit zitternden Finger, fasste ich mir an die Lippen, welche sanft von Lance Daumen gestreichelt worden waren.
„Becca?“ Hoffnungsvoll, mir nichts von meinem Beinahe-Patzer anmerken zu lassen, blickte ich hinab zu Scott, der sich eben vom Bauch auf den Rücken rollte. „Würdest du herunter kommen und mich einschmieren? Bitte!“
Noch einmal atmete ich tief durch, verbannte den Inkubus aus meinem Kopf, denn ich wusste ja, irgendwo in meinem vernebelten Hirn, dass dies, bloße Taktik war und lief die Treppe hinab zu Scott. Meinem sicheren Hafen.

- - - - -


„Du gehst wirklich heute?“ Fragte ich noch einmal Scott, vermutlich das fünfte Mal heute.
Nickend hievte er seine Reisetasche in den Kofferraum des Taxis. „Ja, Becca.“ Wiederholte er, zum fünften Mal.
„Aber wir chatten und Telefonieren und...“
Scott unterbrach meinen aufkeimenden Redeschwall, indem er mich an seine Brust zog. „Halt doch endlich die Klappe, sonst muss ich dir jede Minute, die ich länger hier bleibe verrechnen.“
Schniefend kuschelte ich mich an ihn, obwohl die Sommerhitze uns beiden zusetzte. „Dann werde ich wohl ordentlich in deinen Schulden stehen, sodass es sogar noch meine Urenkel nachzahlen müssen.“
„Ich freue mich jetzt schon darauf, die kennen zu lernen.“ Scherzte er, doch mir zerriss es das Herz dabei.
„Zu Weihnachten kommst du aber?“ Bettelte ich. „Meine Mum und ich sterben sonst vor Einsamkeit.“
Lachend schob er mich wieder von sich und lächelte breit. „Ja, klar. Wir können uns ja jährliche Treffen und das alles ausmachen.“
„Und ich werde dann derweilen ein Auge auf dein Weibchen haben.“ Mischte sich Lance ein, der am Straßenrand stand, auf einem Bein und versuchte eine Zitrone zu balancieren. Was genau das werden sollte, wusste ich noch nicht, aber wagte es auch nicht, nachzufragen.
„Die Angst hatte ich schon, ja. Pass auf dich auf und hör ja nicht darauf, was der große böse Inkubus sagt.“
Lance fiel die Zitrone vom Zeigefinger und er stellte sich beleidigt, wieder ordentlich hin. „Als ob ich ein kleines Mädchen anfassen würde.“ Murrte er und wirkte richtig eingeschnappt. Für mich selbst hatte ich unseren... Vorfall am Balkon bereits abgehakt.
Offensichtlich konnte mich seine Macht doch ein wenig beeinflussen, und das akzeptierte ich. Zumindest solange er mich nicht wieder anfasste. „Mach dir keinen Kopf. Mit Männern werde ich ja offensichtlich fertig. Da werde ich doch mit so etwas klarkommen.“ Abwertend deutete ich mit dem Daumen auf Lance, von dem nun ich einen verärgerten Blick kassierte.
„Entschuldigen Sie.“ Eine blonde Dame, ich schätzte sie auf Lance alter, mit einem höflichen Lächeln trat an uns heran und wirkte ein wenig nervös.
„Ja? Wie darf ich einer so reizenden Dame behilflich sein?“ Fragte Lance, huschte an ihre Seite und schenkte ihr ein verführerisches Lächeln. Das war irgendwie zu erwarten, oder?
„Oh, gleich so höflich.“ Grinste sie überrascht „Kann es sein, dass ihr die Nachfahren von Mister McMirre seid?“
Lance und Scott nickten beide. „Ja, wir sind seine Neffen.“
Die Frau schenkte den beiden ein wissendes Lächeln. „Offiziell bestimmt. Ich komme jedoch wegen einer Familienangelegenheit, die euch alle betreffen wird.“ Die beiden Brüder warfen sich ebenfalls einen wissenden Blick zu und Scott begann den Kofferraum wieder zu leeren.
„Dann sollten wir wohl besser hineingehen. Unser Onkel wird bestimmt nichts vor dem Tor besprechen wollen.“ Verwirrt sah ich zu, wie das Taxi wieder verschwand.
„Moment, das heißt, du bleibst noch?“
Scott nickte. Ja, auf Weiteres. Das kommt darauf an, was los ist.“ Verstehend nickte ich.
„Darf ich denn mitkommen?“ Alle drei drehten sich gleichzeitig, sichtlich ratlos zu mir um.
„Von mir aus sehr gerne, Becca.“ Bestätigte Scott. „Aber ich bezweifle, dass Antonielle möchte, dass du mehr als nötig erfährst. Dein... Zustand hat immerhin nachgelassen.“
Das verstand ich zwar, doch fand ich trotzdem verletzend. „O-Okay. Dann... ruf mich eben an.“ Ja, mein Zustand eine Unsterbliche zu sein, hatte bloß zwölf Stunden angehalten, in denen ich vier Gläser Bambiblut regelrecht verschlungen hatte. Als die Wirkung nachgelassen hatte, blieb nichts weiter als der ekelhafte rostige Geschmack von Blut auf meiner Zunge.
„Das mache ich best...“
„Nein, sie kommt mit.“ Aus dem Nichts erschien ein hoch gebauter Mann, der selbst Lance ein wenig Konkurrenz machen könnte, wenn er sich ins Zeug legen würde. Jedoch war dieser Typ nicht so herausgeputzt, oder halbnackt, sondern trug weite Jeans und ein schmuddeliges T-Shirt, dass auch schon bessere Tage gesehen haben musste.
„Aber sie gehört nicht zu unserer Familie.“ Scott räusperte sich. „Also... sie kennt unser Geheimis, gezwungener Maßen...“
„Ja, das weiß ich bereits, deshalb soll sie ja auch mitkommen.“ Bestimmte der Mann einfach und richtete abweisend seinen fast schon frostigen Blick auf Scott. Etwas eingeschüchtert nickte dieser.
„Gut.“ Stimmte er zu und drückte neben dem Tor auf einen Knopf. Lance schnappte sich einen der Koffer, welche Scott gepackt hatte und zusammen trugen sie diese hinein. Ich ging mit der blonden Schönheit, in dessen Schatten Rebekah verblassen würde und dem Mann mit den eisblauen Augen, zum Schluss. Jedoch hielt ich zu den beiden etwas Abstand, denn sie machten mich leicht nervös. Zumindest der große Kerl.
„Wie hast du dich in eine Unsterbliche Verwandeln können?“ Fragte der Typ mit den Eisaugen so plötzlich, dass ich vor Schreck zusammen zuckte.
„Woher...“
„Ich kann Gedanken Lesen.“ Erklärte er noch, bevor ich meine Frage fertig hatte.
„Oh! Okay... Ähm... Ich weiß es ehrlich nicht.“ Der Typ nickte bestimmt.
„Das dachte ich mir bereits. Und danke dass du nicht überreagierst. Die meisten Menschen flippen aus, selbst Übersinnliche, wie wir alle sie sind, neigen zu Überreaktionen, wenn sie erfahren, was sie sind.“
Übersinnliche? So nannte man Scott und seine Familie?
„Nicht bloß seine Familie, alle Familien. Es gibt hunderte von Stammbäumen. Manche endeten im fünfzehnten Jahrhundert, doch die meisten haben es über die Hexenverbrennungen und etliche andere Horrorszenarien hinaus geschafft.“
Hexenverbrennung? Der Typ verarschte mich doch. Obwohl, wie konnte ich darüber urteilen, wenn Onkel Antonielle bereits über sechshundert Jahre alt war? Skeptisch beäugte ich den Typ und entschied etwas mehr Abstand zu halten. Hoffentlich würde er dann meine Gedanken in Ruhe lassen.
Grinsend wandte er sich an Scott. „Da hast du Recht, euer Onkel wird sich keinesfalls freuen uns zu sehen, besonders dass wir uns in eurer Gegenwart offenbaren. Er ist sehr... altmodisch.“ Die Frau neben ihm lächelte und streckte ihre Hand nach seiner aus. Ohne dass Eisauge hinsah, oder sie ihn berühren musste, griff er seinerseits nach ihrer und sie verschränkten ihre Finger ineinander. Grinsend wandte ich mich ab.
Kaum hatten wir das altmodische, bereits leicht staubige Wohnzimmer betreten, erschien der weiße Junge mit einer völlig regungslosen Miene. „Sie hätten Ihre Wiederkehr Ankündigen müssen.“ Sprach die Puppe völlig monoton.
„Das ist meinem Mann und mir durchaus bewusst, bitte verzeihen Sie unser Eindringen. Aber wir wären niemals gekommen, wenn nicht das Leben sämtlicher Übersinnlichen auf dem Spiel stehen würden.“
Hellhörig geworden, sahen die Brüder und ich interessiert auf. „Wir sind eine alteingesessene und sehr verschwiegene Familie. Die allerwenigsten wissen von unserer Existenz.“
Der Blick der Frau fiel auf mich. „Aber trotzdem kommen selbst Ihnen die Menschen auf die Spur.“ Onkel Antonielle fixierte mich kurz mit seinem Blick, doch wandte ihn dann wieder zu der Frau ab. „Miss Maxwell, wie ich Ihnen und Ihrem Mann bereits das letzte Mal ausführlich erklärt habe, sind wir in keiner Weise an einer Zusammenarbeit interessiert.“
„Welcher Art von Zusammenarbeit?“ Fragte Lance sofort.
Mit einem einzigen Blick brachte der Urahn ihn zum Schweigen. „Ich bin der Kopf dieser Familie, bereits seit sechshundert Jahren. Nicht weil ich eine Wahl hatte, wie Ihr Gatte wohl nur zu gut weiß.“ Eisauge nickte. „Trotzdem ist mein Wort immer das letzte, wenn es um Familienangelegenheiten geht.“ Das klang beinahe so, als wäre er der Herrscher, oder so etwas. Klar, konnte ich mir vorstellen dass man in sechshundert Jahren vieles erlebte, und noch mehrere Überlebte, doch was hatte ihn so kalt werden lassen?
„Onkel, wenn etwas unsere Familie bedroht...“
Mit einem harten Schlag auf den Tisch, verschaffte sich das Familienoberhaupt Gehör. „Lance! Benötigst du eine weitere Lektion?“ Stumm lehnte sich der ältere Bruder neben mir zurück, da wir beide auf dem Sofa saßen und streckte seine Arme auf der Lehne aus. „Ich denke, Weiteres gibt es wohl kaum zu...“
Eisauge unterbrach ihn. „Sir, mit allem Respekt. Wenn Sie uns nicht anhören, wird mir beim nächsten Kontakt zu Ihren Nachfahren etwas von unserem letzten Gespräch herausrutschen.“ Der uralte Onkel versteifte sich und wirkte wieder ganz und gar wie eine Puppe.
Lance und ich tauschten einen verwirrten Blick, Scott wusste ebenfalls nicht, worauf Eisauge anspielte. „Nur weil Ihr Gedankenleser seid, seit ihr nicht automatisch unverwundbar.“ Erinnerte ihn Onkel Antonielle.
„Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass mir dies durchaus bewusst ist.“ Liebevoll legte er den Arm um seine Frau und massierte ihr sacht die Schulter. Sie lächelte ihn ebenso liebevoll an. Wie lange die beiden wohl bereits verheiratet waren? Ein paar Monate? Sie wirkten überglücklich und noch frisch verliebt.
„Laith, sei nicht so streng. Er ist nicht wie >er<, das versichere ich dir.“ Beruhigte seine Frau ihn.
„Ich weiß es aus seinen Gedanken, Schatz. Außerdem sind die wenigsten wie >er<.“
Er? Mich juckte es bereits, alle meine Fragen auszuspucken, da ich sehr neugierig bin, trotzdem hielt ich mich zurück. Das ist eine Familienangelegenheit, ich bin geduldet, nicht unbedingt erwünscht.
„Es geht um eine kleine Gruppe, bestehend aus Übersinnlichen, so wie wir alle es sind.“ Was wohl die Frau für eine Gabe besaß? „Sie haben sich mit meinem Cousin verbündet, der... nicht unbedingt die idealste Kindheit hatte. Er möchte, zusammen mit einigen anderen so etwas wie eine Revolution auslösen.“
Die Brüder schwiegen, Onkel Antonielle schien generell nicht mehr davon hören zu wollen, daher mischte ich mich endlich ein. „Was sind Übersinnliche? Wie viele gibt es von ihnen? Welche Familien? Was hat diese damit zu tun? Wieso muss ich hier sitzen... Ups... Entschuldigt, ich wollte bloß eine Einzige stellen.“
Scott grinste mich belustigt an, Lance tat unbeteiligt und Onkel Antonielle schien mich mit seinem Blick erdolchen zu wollen. Ich wollte wirklich bloß eine Frage stellen, doch irgendwie hatte das Öffnen meines Mundes eine ganze Lawine gelöst. Verlegen rutschte ich auf der Bank zurück und fühlte daraufhin Lance Arm um meine Schulter. Er zog sie eilig fort und ich rutschte ein gutes Stück zur Seite. „Schon in Ordnung, ich dachte schon, dein Kopf würde gleich platzen.“ Scherzte Eisauge.
Ich grinste verlegen zurück. „Ignoriert mich einfach, bitte.“ Bat ich.
„Nein, deine Fragen sind berechtigt, auch ich habe welche an dich.“ Mischte sich nun Miss Maxwell ein. „Aber zuerst müssen wir wissen, wo diese Familie steht.“ Ihr Blick glitt zurück zu Antonielle. „Der Feind ist stark, sie können überall eindringen, wo sie bereits einmal gewesen sind und haben eine wirklich ausgeklügelte Überredungskunst.“
Onkel Antonielle, stand immer noch als einziger und verschränkte nun die Arme vor dem Oberkörper. „Was wollen die?“
„Sie wollen die Kontrolle über die Übersinnlichen. Ein ganz neues System erschaffen, an denen es kaum Gesetze gibt und sich die Menschen unterjochen. Sie denken, dass sie der neue Evolutionsfortschritt sind.“
„Das ist doch nicht so schlimm, oder? Wir sind tatsächlich stärker als die Menschen. Jeder von uns.“ Warf Lance ein, wieder scheinbar interessiert an diesem Gespräch.
„Aber das gibt uns nicht das Recht über sie zu herrschen, oder sie auszurotten.“ Bemerkte Miss Maxwell.
„Sie würden es wohl kaum anders tun.“ Verächtlich verwarf Lance diesen Gedanken „Vergesst es einfach. Ich bin nicht an mehr, als an meiner Ernährung interessiert.“
Sanft legte ich Lance meine Hand auf den Oberschenkel, damit er seine Aufmerksamkeit auf mich lenkte. „Denk darüber nach, Lance. Von was ernährst du dich? Von Menschen, oder?“
Er nickte. „Aber bloß von einem Teil ihrer Lebensenergie. Ich muss sie nicht essen, oder so etwas.“ Erinnerte er mich.
„Aber eine Welt ohne Menschen? Denk richtig darüber nach. Von was würdest du dich in Zukunft ernähren?“ Immerhin sprangen Übersinnliche, wie ich erfahren hatte, nicht auf seine Annäherungsfähigkeit an.
Lächelnd lehnte er sich zu mir, doch dieses mal wich ich nicht zurück. „Vielleicht behalte ich ja dich und einige andere, als meine Haustiere.“
Verächtlich funkelte ich ihn an. „Das wäre ideal, dann könnte ich dir zeigen, wie Männer auch einmal unter einer Frau leiden können!“
„Oh, Becca. Du bringst noch nicht einmal den Willen auf, meinem Fleisch zu widerstehen, wenn ich dich auch bloß einmal anfasse. Wie willst du mich denn dann in die Knie zwingen?“
Mit dem Finger stieß ich gegen seinen Brustkorb. „Ich hake dir einfach deine Hände ab, dann kannst du sehen, wo du bleibst.“ Drohte ich weiter, woraufhin Lance aus seinem Handschuh schlüpfte.
„Was denn? Willst du etwas noch einmal in meinen Bann geraten? Sag bloß nicht, der Beinahe-Kuss hat dir so sehr gefallen?“
Ich überspielte meine aufkeimende Scham, indem ich angeekelt das Gesicht verzog und so tat als würde ich mich übergeben. „Vorher ertränke ich mich selbst in Bambiblut!“
Meinem besten Freund schien es zu genügen. „Aus ihr beiden, oder ich stelle euch in die Ecken.“ Grinsend streckte ich ihm die Zunge heraus.
Lance zog seinen Handschuh wieder an. „Manchmal denke ich, ihr beiden seid Geschwister, nicht wir.“
„Und ich wünsche mir mein ruhiges, stilles Schloss zurück.“ Seufzte auch Onkel Antonielle. „Aber wie es scheint, wird das nicht allzu schnell geschehen.“
„Nicht wirklich.“ Stimmte Scott zu.
„Entschuldigt, wir haben noch eine weite Reise vor uns und unsere Tochter schläft im Auto. Wir würden bloß noch gerne erfahren, wo ihr steht?“
„Meine Familie wird sich beraten. Jetzt würde ich Sie bitten, zu gehen, wie Sie bestimmt erkennen, wird es etwas länger dauern, da unsere Familie weit verstreut ist.“
Die beiden Fremden nickten und erhoben sich. „Huch...“ Miss Maxwell schwankte etwas, doch ihr Mann fing sie getrost auf, bevor sie umfallen konnte. „Entschuldigen, Sie. Mein Kreislauf spielt wegen den vielen Reisen verrückt.“
„Ich hole Ihnen etwas Wasser.“ Sofort verschwand ich in der Küche, alleine weil ich fort von Lance wollte und holte einen antiken Becher aus einem der Regale. Ich spület es kurz aus, füllte es voll und eilte zurück in das Wohnzimmer. „Ich danke dir, Becca.“ Lächelnd, doch etwas grün um die Nase, nahm sie das Getränk entgegen.
„Ähm... Sie sagten vorhin, dass ich auch dazu kommen soll. Wieso?“ Lance und Onkel Antonielle, warteten an der Türe, doch flüsterten heimlich miteinander. Scott stellte sich an meine Seite und legte seinen Arm um mich.
„Wegen dem was du dachtest. Du warst für einen Moment eine Unsterbliche? Wie hattest du das gemeint?“
Unsicher blickte ich zu Scott. „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht... es ist... einfach passiert und die Verwandlung hielt zwölf Stunden.“
Sichtlich verblüfft hob Miss Maxwell eine Augenbraue. „Wie bitte? Wie kann eine Verwandlung wieder verschwinden?“ Fragte sie irritiert ihren Mann.
„Ich weiß es nicht, aber Lucas ist auch noch nicht alle Dokumente durch. Du weißt ja, das sind Generationen von Übersinnlichen, seit...“
„Seit der Höhlenmalerei... Ja, ja ich weiß.“ Miss Maxwell verdrehte genervt die Augen. „Ihr Jungs und euer Spielzeug.“ Neckte sie ihn weiter, gab ihm einen Kuss auf die Wange und stellte das halb geleerte Glas zurück auf den Tisch. „So, jetzt sollten wir los, bevor Ashley aufwacht.“
Eisauge stimmte seiner Frau zu. „Nun gut. Wir melden uns bei dir, wenn es für dich in Ordnung ist? Vielleicht können wir etwas herausfinden. Manchmal treten Gaben über Generationen hinweg wieder auf.“
Dankend nahm ich Eisauges Hand in meine und schüttelte sie kurz. „Ja! Ähm... Ja, danke das wäre wirklich nett.“ Ich schrieb auf einen Zettel meinen vollen Namen, mit meiner Adresse und meiner Handynummer. „Es war schön, Sie beide kennen zu lernen.“
Beide erwiderten meine Worte, wandten sich an Antonielle, welcher deren Gruß bloß nickend hinnahm, danach verschwanden sie auch bereits wieder. Ihre Visitenkarte hinterließen die beiden natürlich. „Törichtes Kind. Du kennst diese Leute ja nicht einmal.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Die Jugend darf Fehler machen.“ Gab ich zurück.
Onkel Antonielle, verschränkte abermals die Arme vor dem Oberkörper und schien mich alleine mit seinem Blick bestrafen zu wollen. „Ich hoffe doch, es war kein Fehler dich in mein Haus zu lassen.“
Widerspenstig hob ich mein Kinn. „Als ob Sie eine Wahl hatten, Onkelchen.“ Damit verschwand auch ich durch die Türe.

- - - - -

 

Das Ehepaar stand noch vor dem Durchgang nach draußen zur Straße, als Scott mich abfing. „Becca! Warte, Er meinte es nicht so, wie du denkst. Er mag dich.“
Genervt stieß ich die Luft aus. „Ach, wirklich? Dann hat dein Ahne eine seltsame Art dies zu zeigen.“
Unsicher kratze er sich am Kopf. „Hör zu, ich weiß, dass Onkel Antonielle denkt, dass wir zusammen sind und deshalb hat er dich in die Familie gelassen. Aber er mag dich, du hast eine gute Energie, oder so etwas. Ich habe es selbst nicht wirklich verstanden, doch er denkt, dass wir dir bloß bis zu einem gewissen Grad trauen können.“
Bis zu einem gewissen Grad? Ich hoffte doch, dass Scott wusste, wie gemein das klang? Außerdem was sollte das bedeuten? >Bis zu einem gewissen Grad< das ergab überhaupt keinen Sinn. Sollte dies etwa bedeuten, solange Scott mich küsst, ist es in Ordnung, wenn ich etwas erfahre? Und wenn ich mich eben noch einmal danach in eine Unsterbliche verwandle, >ja, dann heirate gleich einmal ein<? Ich verstand überhaupt nichts mehr. Das war so... frustrierend. „Weißt du Scott... Du bist mein bester Freund und ich liebe dich... Aber du bist auch bloß ein Kerl.“
Wütend wandte ich mich ab und stapfte davon, wollte etwas Abstand, doch ich kam nicht weiter als fünf Schritte. „Du hast dich nach dem Kuss verwandelt? Habe ich das richtig verstanden?“
Vor Schreck ging ich in eine Abwehrhaltung, doch zum Glück war es bloß Eisauge. „Verdammt, Sie können mich doch nicht so erschrecken!“ Fluchte ich lautstark.
„Entschuldige. Aber es stimmt, oder?“
Unsicher nickte ich. „Ich bezweifle jedoch, dass es irgendetwas miteinander zu tun hat. Onkel Antonielle wird in den letzten sechshundert Jahren genug Frauen geküsst haben, ohne das etwas geschehen ist.“
Eisauge grinste. „Das war irgendwo klar, aber davon rede ich auch überhaupt nicht.“
Interessiert horchte ich auf. Eisauge wusste offensichtlich etwas. „Es gibt eine Familie im System, aber sie ist bloß mit >Chamäleon-Clan< gekennzeichnet. Bekannt sind sieben Mitglieder, doch mehr steht über sie nicht. Keine Namen, keine Aufenthaltsorte, nichts.“
Chamäleon-Clan? Was sollte ich denn darunter verstehen? Innerlich sah ich mich schon meine Augen in alle Richtungen drehen, schuppige Haut besitzen und ein breites Maul, mit einer ekeligen Zunge, besitzen. „Hol am besten die Ninja Turtels, Scott. Offenbar habe ich Mutagen geschluckt.“ Spottete ich, woraufhin Eisauge genervt seufzte.
„Dass Scott und sein Ahn, Unsterbliche sind, ist in Ordnung, auch dass ich Gedanken lesen kann und Lence ein Incubus ist. Aber dass du tatsächlich auch eine Fähigkeit haben könntest, findest du wieder abwegig?“
Nun genervt von ihm, verschränkte ich die Arme vor dem Oberkörper. „Ich bin demnächst sechzehn Jahre alt, habe eine angeborene Immunerkrankung, oder so etwas, eine überführsorgliche Mutter und einen besten Freund, der mich verlassen möchte. Also ja! Mein Leben ist scheiße. Da passiert nichts Gutes. Und eine tolle Kraft zu besitzen, wäre etwas Gutes, etwas sogar richtig Tolles! Und so etwas passiert mir zur Hölle noch einmal nicht.“ Wütend stapfte ich an Eisauge vorbei, der mich nicht versuchte aufzuhalten.
Als ich wieder bloß einige Schritte vorangekommen war, hielt er mich alleine mit seinen Worten auf. „Also ist es nichts Gutes, Scott kennen gelernt zu haben?“
Abrupt blieb ich stehen und hätte am liebsten laut gebrüllt, was ihn das angeht. „Scott ist mit Abstand das Beste, was mir passiert ist, ich liebe ihn wie einen Bruder, aber dass er hier weggeht, ist schlimm, besonders da er überhaupt erst in mein Leben getreten ist.“ Diese Sehnsucht nach ihm würde immer bestehen bleiben. Aber hätte ich ihn erst gar nicht kennen gelernt, hätte ich niemals lernen müssen, wie es ist seinen wahren Freund, seinen Seelenverwandten, zu verlieren.
„Das ist bloß die Angst, die aus dir spricht, Becca. Oder denkst du, du wärst glücklich, wenn du ihn niemals kennen gelernt... lass es mich anders formulieren. Bereust du es, Scott kennen gelernt zu habe? Ist dein Leben schlechter wegen ihm geworden?“
Bestürzt sog ich die Luft ein. „Natürlich nicht! Er hat es besser gemacht, deshalb finde ich es ja umso schrecklicher, dass ich mich jetzt mein restliches Leben nach meinem besten Freund sehnen werde.“
„Becca...“ Scott kam nun ebenfalls die Treppe herab und umarmte mich. „Ich bleibe ja nicht für immer fort.“ Versprach er und ich brach in Tränen aus.
„Aber was ist in zwanzig Jahren? Wenn du immer noch so wie heute aussiehst, und ich Kinder habe, vielleicht sogar in deinem Alter? Wie erkläre ich es meiner Mum? Wie stelle ich dich meiner Familie vor? Wie... wie soll ich die nächsten Jahre ohne dich... ich weiß einfach nicht...“
Weinend klammerte ich mich an ihn. An Scott, meine Stütze, mein Anker und meine bessere Hälfte. „Schon gut, Becca. Du wirst mir doch auch fehlen. Unbeschreiblich.“ Scott hob sanft mein Kinn an, damit wir uns in die Augen sehen konnten, doch beugte plötzlich seinen Kopf und küsste mich.
Plötzlich war es vorbei.
Vor Schreck, sprangen wir beide auseinander und sahen uns verwirrt um. Meine Tränen trockneten, Scott blickte mich fragend an und beide wussten wir nicht, wie es dazu schon wieder hatte kommen können. „Was ist passiert?“ Fragte ich erschrocken.
„Laith! Was habe ich dir die letzten Monate mühsam gepredigt?“ Schimpfte plötzlich Miss Maxwell hinter uns und kam auf ihren Mann zu. „So etwas tut man nicht und ich habe dir ausdrücklich gesagt, dass du es niemals anwenden sollst, wenn es nicht unbedingt von Nöten ist. Damit war Waffengewalt aller Art gemeint!“ Ihre Stimme überschlug sich beinahe vor Zorn, woraufhin der große starke Mann, mit dem eiskalten Blick, völlig unterwürfig und reumütig wurde.
„Entschuldige, Schatz. Ich dachte bloß, dass es uns helfen könnte, wenn wir mehr über diesen Chamäleon-Clan herausfinden. Vorausgesetzt, sie besitzt wirklich deren Fähigkeiten.“
Was? Wovon redeten die beiden da? Hatte uns etwas Eisauge dazu gebracht, uns schon wieder zu küssen? „Entschuldige bitte, Becca. Ich weiß wirklich nicht, wieso ich das gemacht habe. Du weißt, dass ich nicht so für dich empfinde.“ Immer noch verwirrt davon, was eben geschen ist, nickte ich.
„Ja, ich weiß, Scott.“ Und ich glaubte es ihm auch. Der erste Kuss, war nur dazu da gewesen, das zwischen uns klar zu stellen. Zur Bestätigung, dass wir wirklich nicht mehr als Freunde waren. Aber dieser Kuss eben... er war so erzwungen gewesen... So seltsam.
„Geht es dir gut? Fühlst du dich wieder heiß, oder so etwas?“ Sanft fasste mir Scott auf den Kopf, während ich ihn langsam, da ich unsicher war, schüttelte. „Sicher? Setz dich lieber.“ Scott führte mich zurück, zum Fuß der Treppe, wo ich mich hinsetzte. Jetzt hatte ich Angst. Angst davor, schon wieder einen Anfall zu bekommen, mich wieder in meinem Erbrochenen und Blut zu wälzen.
„Oh, Becca! Das wusste ich nicht. Hätte ich...“
„Was ist denn los?“ Fragte Eisauges Frau sofort nach. Er erzählte es ihr, woraufhin er einen Schlag auf die Schulter kassierte, die ihr offenbar mehr wehtat, als ihm.
Gerade als Onkel Antonielle in der Türe erschien und Lance langsam die Treppe hinunter kam, begann es. Zuerst kam der Schwindel, gefolgt von der Hitze. „Oh, nein. Es geht los!“ Machte ich auf mich aufmerksam. Als Nächstes spürte ich, wie meine Muskeln begannen zu krampfen, sie zogen sich zusammen, wurden schlapp, zogen sich nach einem Moment wieder zusammen, sodass es schmerzte und blieben so. Als nächste Schoss meine Temperatur so hoch, dass ich zu schwitzen begann, meine Sicht wurde unklar, alle Stimmen, egal wie laut, wurden zu Hintergrundgeräuschen und mein Magen begann zu rebellieren, als er gegen seinen Willen zu voll wurde.
Jedoch wie kam das Blut überhaupt dort hinein? Wie geschah das alles? Wie konnten meine Knochen diese Muskelkrämpfe ertragen? Das Fieber? Ich sollte doch schmelzen, brechen und in mir selbst ertrinken, oder nicht? Zumindest fühlte es sich so an, egal wie sehr sich die anderen um mich kümmerten, mich auf den Boden drückten.

- - - - -


Dieses Mal, erwachte ich in Lance Armen. Er war wieder über und über, von Blut und anderem Zeug. „Hi, Kleines.“ Begrüßte er mich sanft und streichelte mein schmutziges Haar zurück. „Es ist schon vorbei. Gleich kommt dein Bambiblut.“ Versprach er mir und lächelte sanft zu mir herab. Seine Handschuhe lagen neben ihm, am schmutzigen Boden, doch es störte mich dieses Mal überhaupt nicht. Ich begrüßte es sogar, seine warmen Hände zu fühlen, denn ich selbst fühlte mich so unendlich kalt, regelrecht leer und vor allem schwach. Aber wen wunderte dies schon? Nach dem Schüttelfrost, den Muskelkrämpfen, dem Erbrechen, Fiebern und vielem mehr, konnte ich kaum etwas anderes erwarten.
„Ich... mag... nicht...“ Zitternd kuschelte ich mich fester an ihn, wollte bloß noch von dieser tröstenden Wärme leben, welche mir Sicherheit versprach.
„Ich weiß, Süße. Ab jetzt werde ich aufpassen, dass du diese Verwandlung nicht noch einmal durchmachen musst. Ist das in Ordnung?“
Ich nickte zögernd und beobachtete, wie Lance irgendetwas, oder vielmehr irgendjemanden in der Ferne mit seinen Blicken erdolchte. Als er meinen Blick bemerkte, lächelte er sofort wieder. „He, was hältst du davon, wenn wir dann zu zweit unter die Dusche springen?“ Versuchte er zu scherzen, aber im Moment wäre ich wirklich nicht von einer heißen Dusche abgeneigt, nicht einmal wenn er ebenfalls darunter wäre. Ich bezweifle, dass ihn mein nackter Körper sonderlich interessieren würde und ich selbst fühlte mich so dreckig, dass es mich überhaupt nicht interessierte, dass mir das >nackt sein< peinlich sein sollte.
„I...diot.“
Das Blut half mir, mich wieder wohler zu fühlen. Mir wurde wieder warm, meine Sinne normalisierten sich und ich konnte auch wieder aufstehen. Während ich mit Scott unter die Dusche ging, da er ebenfalls voller Dreck von mir war, hörte ich trotz allem den großen Streit draußen. So ziemlich jeder war wütend auf Laith, Eisauge, und ich konnte es ihnen nicht einmal verübeln. „Wie geht es dir?“
Eingewickelt in ein dickes Handtuch, saß ich auf dem Waschtisch und spielte mit meinen Fingernägeln. „Besser, dank Lance.“ Antwortete ich unsicher.
„Wieso Lance?“ Lachte Scott, während er ein frisches Shirt überzog.
„Natürlich dank dir ebenfalls. Dieser Anfall war fast schlimmer, als der davor.“ Musste ich unwillig zugeben. Noch immer ängstigte es mich davor, wie schwach und furchtbar ich mich gefühlt hatte.
„Ja, ich weiß. Es sah auch viel schlimmer als beim ersten Mal aus. Aber inwiefern hat die Lance dabei geholfen?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Er hat mich vorhin beeinflusst, während du mir Blut geholt hast.“ Erinnerte ich ihn. „Deswegen habe ich mich auch besser gefühlt und nicht ganz so erschlagen.“ Grinste ich und trocknete meine Haare ab.
„Becca... Lance kann Unsterbliche nicht beeinflussen. Eigentlich überhaupt keine Übersinnlichen. Bloß Menschen.“
Vor Schreck fiel ich beinahe vom Waschtisch. „Wi-Wie bitte?“ Aber ich hatte es doch gefühlt. Ähnlich wie letztens auf dem Balkon. „Inkubi können bloß Menschen beeinflussen, egal ob sie männlich, weiblich, oder irgendeine verrückte sexuelle Orientierung haben. Da du offensichtlich eine Übersinnliche bist, wie wir, kann er dich unmöglich beeinflussen. Er kann dich aussaugen, ja, aber nicht beeinflussen.“ Jetzt wusste ich nichts mehr zu erwidern. Wenn Lance mich also nicht beeinflusst hat, es nicht einmal konnte, wieso hatte ich mich dann so gefühlt?
Ein Klopfen unterbrach den Moment. „Becca, ich wollte mich entschuldigen, für mein... unüberlegtes Handeln.“ Hörte ich Laith von draußen.
„Welch Ironie. Der Gedankenleser hat nicht nachgedacht.“ Sinnierte ich übertrieben und schlüpfte in mein Sommerkleid, bevor Scott die Türe öffnete.
Sichtlich reumütig, stand Laith, mit seiner Frau vor uns. „Keine Sorge, damit er nicht noch mehr Mist baut, werde ich seine Hand halten.“
Fragend blickten Scott und ich sie an. „Ich beeinflusse irgendwie Übersinnliche. Also, nicht wie Laith, aber Übersinnliche verlieren in meiner Nähe ihre Kräfte und zumeist verblassen sie ganz, wenn sie mich berühren. In Laiths Fall, kann er keine Gedanken beeinflussen und bloß meine hören. Ist das in Ordnung?“
Wir nickten. „He, Laith. Ist schon in Ordnung.“ Fügte ich noch hinzu, bevor wir zurück ins Wohnzimmer gingen.
Da es bereits spät wurde, musste ich langsam heim. Ich hatte mich über einen Tag nun schon nicht gemeldet und meine Mutter macht sich bestimmt schon Sorgen. Mein Handy war, dank des Blutbades, nun ebenfalls unbrauchbar und wenn ich nicht wollte, dass sie hinüber kam, musste ich dringend nach Hause.
In einem Rucksack gab mir Onkel Antonielle noch etwas von seinem Blutvorrat mit, den ich verstecken musste. Beide hofften wir, dass dies das letzte Mal sein würde, wo ich darauf zurückgreife.
Zuhause angekommen, zwang mich meine Mutter erst einmal dazu, etwas zu essen. Zumindest versuchte sie es, doch viel konnte ich nicht hinunter würgen. Ich schob es darauf, dass wir gegrillt hätten und begab mich rasch in mein Zimmer, wo ich mich unter die Bettdecke kuschelte und über meinen derzeitigen Zustand nachdachte. Mr. und Miss Maxwell, hatten versprochen zu versuchen, etwas zu suchen, um meine Anfälle und alles zu erklären, doch bezweifelte ich stark, dass sie irgendetwas finden würden. Außerdem vertraute ich den beiden noch nicht ganz. Was sollte ich überhaupt von ihnen halten? Ein Gedankenleser und eine... was auch immer sie war, die eine Elfjährige adoptiert haben? Das konnte ich mir kaum vorstellen. Wie alt waren sie denn überhaupt? Dreiundzwanzig? Vierundzwanzig? Und sie waren bereits verheiratet. Jedoch, wie könnte ich denn darüber urteilen? Ich wusste doch überhaupt nichts über die beiden, kannte nicht ihre Vergangenheit. Aber die Liebe zwischen ihnen, sagte viel mehr, als dass ich überhaupt wissen musste.

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Ein Klopfen hielt mich davon ab, endlich einzuschlafen. „Was denn?“ Murrte ich über die Musik hinweg. Meine Bettdecke lag unter mir, da ich in dieser sommerlichen Hitze, viel lieber mit ihr kuschelte, als mich zuzudecken. Manchmal lag sie auch einfach am Boden, da es selbst dafür zu heiß wurde.
„Rebecca, ich habe Besuch für dich hinauf gebracht.“ Rief meine Mutter durch die Türe und öffnete sie sogleich.
„Scott, ich schlafe schon fast.“ Tadelte ich meinen besten Freund, ohne die Augen aufzumachen. Der Geruch von Rauch und eine kleine Fahne, weckten meine Neugierde, daher öffnete sich sie nun doch. „Lance?“ Vor Schreck, sprang ich gleich auf und zog mein Nachtkleid zurecht. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es nach ein Uhr morgens war. „Was machst du denn hier? Und wie bist du an meiner Mum vorbei?“ Ich bezweifelte, dass sie jemanden um diese Uhrzeit, besonders keinen für sie Fremden, hier hoch lassen würde. Seufzend ließ er sich zu mir ins Bett fallen und zog seine Weste aus.
„Entschuldige die späte Störung.“
„Wie bist du an meiner Mum vorbei?“ Fragte ich, abermals, schockiert.
Grinsend hielt er seine blanken Hände hoch und wackelte mit den Fingern. „Magie, meine Süße.“
Ich verdrehte die Augen. „Okay, das heißt, dann wohl, dass meine Mum keine Übersinnliche ist.“
Lance nickte zustimmend. „Genau, das wollte ich eigentlich schnell herausfinden, bevor du dir den Kopf zerbrichst.“
Ich nickte zustimmend. „Danke, dir. Aber deshalb hättest du nicht hochkommen brauchen.“ Erinnerte ich ihn, während ich meine zerwühlten Haare etwas richtete.
„Doch, ich möchte noch nicht heim.“ Murrte er müde.
„Da du wie eine Bar riechst, hättest du auch einfach dortbleiben können.“ Lachte ich und wackelte mit meiner Hand, als würde dies den unterschwelligen Geruch vertreiben.
„Das wollte ich aber nicht.“ Lance wirkte regelrecht erschöpft. „Dort fliegen alle auf mich, aber ich habe schon gegessen. Daher bin ich geflüchtet. Aber nach Hause möchte ich auch nicht, dort nerven mich bloß Scott und Onkel Antonielle wieder.“
„Wieso nerven sie dich denn?“
„Sie reden und reden und reden und... das nimmt einfach kein Ende. Mir doch egal was diese Idioten machen, aber ich will mich nicht in irgend so einen dämlichen Krieg zwischen Übersinnliche, gegen Übersinnliche, gegen Menschen hinein ziehen lassen.“ Das verstand ich. Aber ich wollte auch nicht, dass irgendjemanden, irgendetwas geschah.
„Denkst du denn, dass wir uns heraushalten können? Immerhin betrifft es uns alle.“ Erinnerte ich ihn. Wenn es wirklich der Wahrheit entsprach, was uns die beiden erzählt hatten, könnte dieser Krieg eine neue Ära auslösen und keine Ära begann, ohne jede Menge Opfer.
„Weißt du, mir sind die Menschen eigentlich egal. Sie wollen bloß mein Fleisch, wegen meiner Fähigkeit. Mit ihnen kann ich nicht einmal ein einfaches Gespräch führen, ohne dass sie mir an die Wäsche wollen.“
„Das heißt, du würdest dich eher den Übersinnlichen anschließen, die die Menschen unterjochen möchten?“
Unwissend zuckte er mit den Schultern. „Spielt es denn eine Rolle? Ich bin ein Inkubus. Mein Fluch ist es jeden in mein Bett zu locken. Nicht gerade ein erfüllendes Leben, meinst du nicht?“
„Du fühlst dich einsam, nicht wahr?“ Fragte ich, doch wusste, dass es stimmt.
Kurz blickte er mich bedrückt an, doch wandte dann das Gesicht ab. „Ich bin ja nicht alleine.“
„Du weißt, wie ich es meine.“ Sanft drehte ich sein Gesicht wieder zu mir und erkannte einen Schmerz, welchen ich bloß zu gut kannte. „Eine Familie kann nicht alles ersetzen, dass weiß ich zu gut. Deshalb habe ich mich auch so an Scott geklammert und werde es auch weiterhin tun. Er ist ein guter Mensch... Übersinnlicher.“ Besserte ich mich grinsend aus. „Du hast dir gewünscht, das er so wird, wie du, nicht wahr?“
Ich zog meine Hand zurück, da es mir unangenehm wurde, wie nahe wir uns waren, körperlich, so wie durch unser beider verletzter Seelen. Jedoch fing Lance meine Hand ab und hauchte mir einen Kuss auf das Handgelenk. Sofort prickelte es und mein Herz begann schneller zu schlagen. „Du bist Scotts Freundin, lass uns lieber über etwas anderes sprechen. Eigentlich bin ich ja...“
Ich unterbrach ihn etwas genervt. „Lance! Ich sage es dir jetzt bloß noch ein einziges Mal. Scott und ich, sind nicht zusammen, wir haben beide, absolut keine romantischen Gefühle für einander und ihn zu küssen, war ungefähr so, als würde ich meiner Mutter einen Kuss geben. Also nicht wirklich prickelnd. Ich liebe ihn, ja. Aber ich bin definitiv noch zu haben, denn zwischen Scott und mir, wird nie mehr sein, als Freundschaft.“ Alleine schon deshalb, da er in dreißig Jahren noch immer sechzehn sein wird, während ich anfange, meine Falten zu verstecken.
Die Augen verdrehend, hielt mir Lance eine kleine schwarze Schachtel entgegen. Sie war kaum größer als meine Handfläche und sah exakt so aus, wie diese Teile, welche ich zu genüge aus Filmen kannte. „Okay... ich sagte zwar, ich bin zu haben, aber das heißt nicht automatisch, dass ich schon heute heiraten möchte.“
Lance schien mich für einen Moment nicht zu verstehen, doch als er meinen Blick bemerkte, welchen ich auf das Geschenk warf, musste er lachen. „Das ist nicht >so< ein Geschenk. Keine Sorge.“ Unsicher was ich davon halten sollte, nahm ich die kleine Schachtel entgegen. Sie war leicht, fühlte sich an wie Samt und war recht robust.
Langsam öffnete ich es und betrachtete, überrascht, einen winzigen Anhänger. Unwissend, was ich mit einem Anhänger anfangen sollte, blickte ich Lance an. „Gehört dazu nicht auch eine Kette?“ Fragte ich belustigt. Der winzige Anhänger, hatte die Form einer blauen Träne und funkelte sanft im Licht der Lampe. Die silberne Einfassung konnte man mit einem Armband verbinden. Es war völlig schlicht, doch selbst ich erkannte, dass dies echtes Silber war und selbst der Stein sah teuer aus.
„Ja, aber das ist ein anderer Teil an Geburtstagsgeschenk. Ich... war mir nicht sicher, ob ich dir etwas schenken sollte.“
Verlegen, doch glücklich, reichte ich den Anhänger zurück. „Was? Nein, ich habe doch noch überhaupt nicht...“ Ein Blick auf meinen Wecker, lehrte mich etwas besseren. „Ich habe ja Geburtstag.“ Stellte ich schockiert fest.
Sanft drückte Lance das Geschenk wieder zurück in meine Hand. „Behalte ihn. Ich kann mit Frauenschmuck nichts anfangen und... Ich weiß nicht, aber die Zirkonträne hat mich einfach so sehr an dich erinnert... Und ehe ich mich versah, habe ich sie gekauft.“ Verlegen drehte ich den teuren Stein zwischen meinen Fingern.
„Das bedeutet aber nicht, dass ich dich jetzt besser leiden kann.“ Murrte ich leise.
Lance kam stöhnend auf die Beine und rieb sich den Oberschenkel, als hätte er dort Schmerzen. „Ich finde das gut.“ Hörte ich ihn leise sagen.
„Was denn?“ Fragte ich nach.
Mit einem schelmischen Grinsen, wandte er sich mir zu, beugte sich hinab auf das Bett, sodass er über mir aufragte und hauchte mir einen kurzen Kuss auf den Mundwinkel. „Dass du ein Mädchen bist, dass man nicht kaufen kann. Du bist eines, dass man sich verdienen muss.“ Mit weit geöffneten Augen, starte ich, völlig sprachlos, Scotts Bruder hinterher, wie er wieder aus meinem Zimmer verschwand. Es dauerte gut zwei Minuten, bis ich wieder klar denken konnte, doch was darauf folgte, überraschte mich fast mehr, als der kleine Kuss. Auf meinen Lippen breitete sich ein begeistertes Lächeln aus, dass sich die restliche Nacht nicht mehr abwischen lassen wollte.

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Der nächste morgen kam schleppend und war erfüllt von wüsten Träumen. Irgendwann in der Nacht musste wohl meine Unsterblichkeit nachgelassen haben, denn nach Bambiblut, wie ich es weiterhin nannte, dürstete es mich nicht mehr. Was auch vermutlich besser war, denn ich hatte es nicht in den Kühlschrank packen können, ohne der Gefahr ausgeliefert zu sein, meiner Mutter eine wirklich gute Ausrede zu bieten.
Als mein Blick, vom Computer, zurück zu meinem Bett glitt, sah ich ein kleines Samtkästchen. Meine Hoffnung dass letzte Nacht bloß ein aberwitziger Traum gewesen sein könnte, verpuffte wie eine Seifenblase. „Oh, oh!“ Murmelte ich vor mich hin, während ich es öffnete und mir eine wunderschöne, blaue Träne entgegen blinzelte. Im nächsten Moment begann mein Herz wieder zu rasen, das verrückte Lächeln kehrte auf meine Lippen zurück und mein Atem setzte einen Moment aus. „Das kann doch nicht wahr sein.“ Vorsichtig, nahm ich das Schmuckstück in die Hand. Was hatte Lance gesagt? Zirkon? Konnte ich denn wirklich so ein Geschenk annehmen? Und dann ausgerechnet von Scotts Bruder!
„Rebecca? Bist du wach?“ Mit einem nachträglichen Klopfen, trat meine Mutter ein, doch so schnell, dass sie es nicht sah, konnte ich das Kästchen überhaupt nicht verstecken. „Oh! Was hast du denn da Schönes?“ Neugierig, kam meine Mutter näher, während ich versuchte, das kleine Päckchen in meine Lade zu sperren.
„Das ist nichts, Mum. Das ist bloß...“
Zu spät, sie entwandt es mir und öffnete es. „Also von Scott ist das ganz bestimmt nicht.“ Grinste sie begeistert. „Wow, das ist ja wunderschön.“ Genauso vorsichtig, wie ich selbst, nahm sie die Träne hervor und betrachtete sie im Licht der frühen Sonnenstrahlen. Darin sah er sogar noch schöner aus.
„Mama, gib ihn bitte zurück.“ Kaum hatte sie ihn zurück in das sichere Kästchen gelegt, riss ich es an meine Brust. „Das ist etwas, dass ich nicht annehmen kann und heute zurückbringen werde.“ Erklärte ich leicht gereizt.
„Meine Tochter hat einmal keinen aberwitzigen Spruch auf den Lippen? Von wem auch immer du diesen Anhänger bekommen hast, muss dich wirklich beeindruckt haben. Und dabei spreche ich nicht von Scott.“ Sie hatte irgendwie recht. Lance hatte mich... beeindruckt. Obwohl dies eher die falsche Wortwahl war. Eher brachte er mich dazu, Dinge zu fühlen, die ich überhaupt nicht fühlen wollte, geschweige denn jemals mit ihnen gerechnet hätte. Aber Lance? Er ist zehn Jahre älter als ich, so etwas konnte niemals gutgehen.
„Es ist bloß ein freundschaftliches Geschenk, nicht das, was du vielleicht denkst.“
Meine Mutter tätschelte mir liebevoll die Schulter und gab mir einen Kuss auf die Stirn. „Es ist ja niemals so, wie wir erwachsenen Denken, habe ich nicht recht?“ Mit einem wissenden Lächeln, befahl sie mir noch, mich anzuziehen und hinunter in die Küche zu kommen.
Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal. Nach einer langen Dusche, wobei ich mir absichtlich Zeit ließ, zog ich mir ein bequemes Kleid an und ließ meine Haare offen trocknen. Sonderlich lange würde es ohnehin nicht dauern. Als ich in die Küche kam, empfing mich bereits der Geruch nach Kuchen, was mich freute, selbst wenn ich bereits wusste, welcher es sein würde. Ein Ananaskuchen, wie jedes Jahr. Meine Mutter wusste, wie sehr ich diese süße Versuchung liebte, besonders wenn sie ihn machte. „Kann ich schon naschen?“ Automatisch visierte ich den Kühlschrank an, doch meine Mutter strafte mich mit einem mahnenden Blick.
„Wehe dir! Scott kommt noch, nehme ich an.“ Ergeben setzte ich mich an den Küchentisch und staunte über die leckeren Blaubeermuffins.
„Oh, Mum! Ich liebe dich!“ Begeistert biss ich hinein und seufzte genüsslich. „Aber diese Muffins liebe ich noch etwas mehr. Aber nur ein kleines Bisschen.“
Schmunzelnd stellte sie mir meinen Lieblingstee vor die Nase und ein großes Geschenkspäckchen. „Alles Gute, meine Kleine. Und dass du weiterhin so viel Glück hast, wie dieses Jahr.“
Vor Überraschung verschluckte ich mich gar an meinem Muffin. „Ähm... Danke Mum.“ Der Appetit war mir vergangen, trotzdem aß ich artig weiter. Meine Mutter wusste natürlich nichts von dem allem, was alles gestern passiert ist, auch nicht dass ich mich spontan in irgendeine Übersinnliche verwandeln konnte. Laut Lance, der ja diese Nacht bei mir aufgetaucht war, ist sie definitiv keine Übersinnliche. Gut für ihn, sonst hätte er sich etwas anhören können von ihr. „Weißt du... Weißt du eigentlich irgendetwas über Papa?“
Es war nicht so, dass wir meinen leiblichen Vater nicht ausstehen könnten. Meine Mutter hatte auch niemals Andeutungen in diese Richtung getan, aber bisher hatte er sich regelmäßig gemeldet, zu Anlässen ein Geschenk geschickt und mir artig gratuliert, per Telefon. Früher hatte ich ihn auch noch öfters gesehen, doch das hatte sich pro Jahr reduziert. Ich dachte früher, es läge an meiner Krankheit, dass es ihm Angst mache. Aber heute? Jetzt, wo ich wusste, was ungefähr ich bin?
„Du kennst ihn, er ist wie ein Uhrwerk und wird sich schon bei dir melden.“ Mit einem Lächeln auf den Lippen, reichte sie mir den Zucker und verließ dann die Küche, bevor ich näher auf dieses Thema eingehen konnte. Wenn ich es mir so recht überlegte, schien meine Mutter ihn eher totschweigen zu wollen. Neugierig geworden, ging ich hinüber zur Anrichte, wo ihre Tasche lag und suchte geschickt, nach ihrem Telefonnummernbuch. Eilig suchte ich den Namen meines Vaters heraus und setzte mich, mit einem angekritzelten Arm, wieder zurück auf die Bank. Als meine Mutter wieder kam, nahm sie sich ebenfalls einen Muffin und wir plauderten eine Weile.
Mein Geschenk, war eine Spielekonsole, damit ich mehr Zeit im Wohnzimmer verbrachte. Dankend war ich ihr um den Hals gefallen und probierte es sofort aus. Wir lernten zusammen, damit umzugehen, doch dank meiner langjährigen Spielerfahrung, war ich meiner Mutter in einem Kampf, weit überlegen.

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„Klopf, klopf.“ Scherzte Scott am Nachmittag, als er in das Wohnzimmer kam, schnappte sich den zweiten Controller und spielte eine Runde mit mir. „Hier eine Kleinigkeit für deinen Geburtstag.“ Scott hielt mir ein rot verpacktes Geschenk hin, welches etwas größer war, als das von Lance. Ich nahm es dankend, und wissend, was sich darin befinden würde, an.
Tatsächlich, befand sich ein süßes Armband darin, an dessen man noch kleine Anhänger anbringen konnte. An einem befand sich bereits eines. „Es ist sehr robust, was bedeutet, es reißt nicht einfach, wenn du irgendwo hängen bleibst. Außerdem kannst du es ins Wasser mitnehmen und drauf hängen, was du möchtest.“
Vorsichtig nahm Scott das kleine Schmuckstück aus seinem samtigen Plätzchen und legte es behutsam um mein Handgelenk. Es passte wie angegossen. „Danke, Scott. Das ist...“ Ich brauchte keine Worte um zu beschreiben, wie gut mir dieses Armband gefiel. Besonders die kleine Computermaus, so klein, dass sie kaum auffiel, begeisterte mich. „Du weißt was Frauen wie ich wollen.“ Grinste ich und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Du weißt doch, ist die Frau des Hauses glücklich, darf es auch der Mann sein.“ Lachend klopfte ich meinem besten Freund auf die Schulter. „Bring das meinem Zukünftigen bei, insofern ich jemals einen finde.“ Ich stand vom Boden auf und entschuldigte mich für einen Moment. Ich sagte zwar, dass ich noch schnell auf die Toilette gehen würde, bevor wir den Kuchen anschneiden, würden, doch ging ich stattdessen in mein Zimmer, holte das kleine schwarze Kästchen aus meiner Schublade und betrachtete noch einmal die kleine Träne. Bestimmt wäre Lance beleidigt, wenn ich sie nicht tragen würde. Das ist der einzige Grund, weshalb ich sie ebenfalls anlegte und wieder hinunter ging.
Als ich wieder nach unten kam, zurück in den Flur, läutete es an der Türe. Erschrocken ging ich zur Türe und öffnete sie. Vor mir stand ein Kurier, mit einem großen Strauß mit Blumen. „Oh...“ Es war üblich für meinen Vater seine Geschenke für mich, per Kurier zu schicken. „Hallo Mister Elps.“
„Alles Gute zum Geburtstag, Liebes.“ Gratulierte mir der ältere Herr, schoss ein Foto von meinem Geschenk und selbstverständlich von mir.
„Warten Sie, einen Moment.“ Bat ich den Mann.
„Soll ich Ihrem Vater etwas ausrichten?“ Ich nickte bestätigend.
„Sagen Sie bitte meinem Vater, dass meine Anfälle... schlimmer geworden sind.“ Eine glatte Lüge, doch ich wollte wissen, wie er darauf reagieren würde. „Diese Woche, hatte ich sie bereits zwei mal, jedoch zum Glück nicht allzu lange. Ich würde mich freuen, wenn er von sich hören lassen würde.“
Bedauernd nickte der Mann. „Das tut mir leid für Sie. Ich wünsche eine gute Besserung.“ Dankend wollte ich bereits die Türe schließen, als ich Lance das Grundstück betreten sah.
„Wie nett. Ich wünschte, ich wäre auf die Idee gekommen dir einen Strauß Blumen zu schenken.“ Lächelnd blickte ich auf den exotischen Blumenbusch hinab. „Hier, du kannst ihn haben.“ Grinste ich. Überrascht nahm er ihn entgegen. „So nett es auch von dir ist, aber ersten mag ich Blumen nicht und zweitens ist es offenbar ein Geschenk von einem geheimen Verehrer. Und ich möchte nicht aus Versehen ein Herz brechen, bloß weil ich dir keinen Wunsch abschlagen konnte.“
Lance reichte ihn zurück und ich nahm ihm verlegen entgegen. „Komm doch rein, du Herzensbrecher.“ Scherzte ich.
„Nein, danke. Ich bin bloß hier, um dir zu gratulieren.“ Er streckte mir die Hand entgegen, doch da ich meinen üppigen Blumenstrauß in der rechten Hand hielt, musste ich ihm die linke reichen. „Süße Sechzehn. Ein Horror in meiner Familie, doch dir wünsche ich alles Gute. Vor allem, dass du weiterhin so bleibst, wie du bist.
Sein Blick glitt hinab zu dem Armband, mit den beiden Anhängern darauf. Lance hielt meine Hand weiterhin fest und drehte mein Kettchen so, dass er beide Anhänger sehen konnte. „Sie passen gut zu dir.“ Ein Schauder glitt über meinen Arm, hinauf in meine Schulter, als er sanft über mein Handgelenk strich und meinen neuen Schmuck bewunderte.
„Danke. Auch für den kleinen Anhänger noch einmal. Und du bist dir sicher, dass du ihn nicht zurückwillst? Er hat sicher ein Vermögen gekostet und ich bin nicht der Typ Mensch, der...“
Irritiert hielt Lance inne. „Die Träne? Sie ist von mir?“ Fragte er sichtlich überrascht.
Zögernd antwortete ich. „J-Ja...“
Lance griff an seine Hosentasche, welche offenbar leer war, bis auf sein Handy und schien etwas zu suchen. „Aber ich hatte doch... Wann habe ich sie dir gegeben?“
Ich hielt es für einen Witz, einen recht schlechten, daher lachte ich. „Gestern Nacht. Du hast mich sogar aufgeweckt und warst... ein wenig betrunken.“ Vielleicht war er doch betrunkener, als dass ich angenommen hatte? Als könnte ausgerechnet ich so etwas klar beurteilen.
„Nein, das kann nicht stimmen. Ich war gestern bei der Arbeit, irgendeiner hat Junggesellenabschied gefeiert und ich war... dort. Ich kann nicht... Ich würde zumindest niemals...“ Verwirrter als zuvor legte ich den Kopf schräg.
„Lance... Ich schwöre dir, du warst heute Nacht, nach ein Uhr morgens in meinem Zimmer, du bist auf meinem Bett gesessen, hast mir gesagt, dass meine Mutter keine Übersinnliche ist, gabst mir das Geschenk und wir haben noch ein wenig miteinander geredet. Das warst du, woher sollte ich ansonsten diese Träne haben?“ Erneut hielt ich mein Armband hoch und wackelte vielsagend damit.
Lance streckte abermals seine Finger danach aus, fuhr einmal über die glatte Oberseite des Steins und ließ sie dann wieder sinken. „Du hast recht. Aber wieso erinnere ich mich dann nicht daran?“
Unwissend zuckte ich mit den Schultern. „Du hast vermutlich einfach nur zu viel getrunken. Mach dir nichts draus, selbst die besten Säufer haben so ihre Blackouts.“ Scherzte ich, um ihn auf andere Gedanken zu bringen.
Zustimmend nickte Lance zwar, doch schien noch immer nicht davon überzeugt zu sein. Sein Gedächtnisverlust machte ihm offenbar zu schaffen. „Gut, dann werde ich lieber einmal heimgehen...“
„Nein, rede doch keinen Unsinn. Komm hinein, es ist genug Kuchen da.“ Lance lehnte erneut ab. „Lieber nicht, sonst wird es noch seltsamer, wenn deine Mutter ihre Vorliebe für mich entdeckt.“ Es sollte vermutlich ein Scherz sein, doch Lance Lächeln, erreichte seine Augen nicht. „Hab noch einen schönen Tag.“ Damit rannte er regelrecht vom Grundstück.
„J-Ja, danke.“ Murmelte ich vor mich hin und gab auf. Was sollte ich denn auch sonst tun? Der Gedächtnisverlust von letzter Nacht, lag bestimmt bloß daran, dass er zu viel getrunken hatte, auch wenn er nicht so wirkte. Bestimmt war es ihm bloß peinlich, vielleicht sogar die Sache mit dem Kuss auf die Wange. Zum Glück hatte ich das bisher nicht erwähnt, ich würde vermutlich doch bloß im Erdboden versinken.

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„Eine Party bloß zu dritt. Das war überraschend amüsant.“ Grinste Scott, als er aus der Dusche kam, sich die Haare abtrocknete und seinen Hintern, seufzend, vor mein Bett fallen ließ, in dem ich bereits darin lag. Ich flechtete mir einige Zöpfchen, einfach bloß um irgendetwas zu tun, während die Musik im Hintergrund lief.
„Besser als eine Mutter-Tochter-Party. Die hatte ich die letzten fünfzehn Jahre.“
„Hast du eigentlich jemals jemanden eingeladen?“ Fragte er nach und warf sein benutztes Handtuch in die Ecke, wo sich mein Wäschekorb befand.
„Nein, nie. Das war ach nicht nötig, glaube mir. Vorher friert die Hölle zu.“
Lachend legte er den Kopf zurück und sah mich forschend an. „Wieso ist Lance nicht geblieben?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Weil er nicht aus Versehen meine Mutter beeinflussen wollte. Das wäre extrem peinlich geworden.“ Alleine die Vorstellung grauste mich. Meine vierundfünfzig jährige Mutter, die sich an den Hals des Bruders, meines besten Freundes warf? Vor meinen Augen! Auf diese Vorstellung verzichtete ich bereitwillig, auch wenn ich wusste, dass es von keinen der beiden die Schuld ist.
„Woher weiß Lance, dass deine Mutter der Mensch ist?“
Vor Überraschung zuckte ich zusammen. Das war eine Falle gewesen! „Das liegt ja wohl auf der Hand, oder?“ Redete ich mich heraus, obwohl es ja ohnehin keinen Zweck hatte. Scott konnte ich aus irgendeinen Grund nicht anlügen. „Wüsste meine Mutter, was ich bin und sie wäre es ebenfalls, dann hätte sie mich längst aufgeklärt. Also kann es bloß noch mein Vater wissen, oder meine Großeltern.“ Immerhin hörte ich bereits, dass solche Fähigkeiten spontan Generationen überspringen konnten.
„Oh, nein! Du kannst mich nicht anlügen, das weißt du!“ Mit dem Zeigefinger drohte er mir. „Sag mir die Wahrheit, Becca.“
Seufzend gab ich nach. „Na, gut. Lance war letzte Nacht hier.“
Scotts Augen wurden größer und so etwas, wie entsetzte Erkenntnis zeichnete sich in seinem Gesicht ab. „Er hat doch nicht...“
Abwehrend hielt ich die Hände hoch, damit er den Mund hielt. „Was denkst du denn da? Nein! Sei nicht so widerlich.“ Schimpfte ich, doch lachte dabei. „Er war bloß da, um mir mein Geschenk zu bringen, außerdem wollte er meine Mutter beiläufig testen.“ Gab ich zu und griff zu meinem Armkettchen, dass auf meinem Nachttisch lag. „Hier, das ist von ihm.“
Ich reichte Scott das Kettchen und er drehte die kleine Träne zwischen den Fingerspitzen. „Und zu mir sagte er, er hätte seine Geldbörse vergessen. Dieser Idiot.“ Schmunzelnd betrachtete er eingehender die Zirkonträne und fuhr ihre Form nach. „Wieso bin ich nicht auf die Idee gekommen? Die Träne passt wirklich hervorragend zu dir.“ Ich bekam meine Träne zurück und bewunderte sie selbst, erneut, eingehend.
„Danke, das sagte er ebenfalls.“ Verträumt dachte ich daran, wie normal er mir letzten Abend vor gekommen war. Ob es ihm gut geht? Heute Nachmittag, hatte er sehr verstört gewirkt, wegen seinem Blackout.
Scott sprang auf und legte sich mit einem mahnenden Lächeln zu mir ins Bett. Sofort rutschte ich, um ihm Platz zu machen. „Sag bloß, da läuft etwas zwischen euch?“
Rot werdend schüttelte ich den Kopf. „Nein! Wo denkst du hin. Er ist viel zu alt für mich.“ Und das beinahe um zehneinhalb Jahre!
„Mach mir doch nichts vor! Glaubst du wirklich, ich habe euren Beinahe-Kuss letztens auf dem Balkon nicht gesehen? Entweder lügt ihr euch selbst an, oder habt einen schlechten Sinn für Humor.“
Wütend funkelte ich ihn an, bevor mir etwas bewusst wurde. „Das hast du gesehen?“ Aber... er ist doch auf dem Bauch gelegen... und... „Außerdem sollte das kein Kuss werden, er wollte nur prüfen, ob er mich beeinflussen kann!“ Verteidigte ich uns beide.
Scott grinste weiterhin. „Also, für eine einfache Berührung, wart ihr euch doch nahe.“ Beleidigt wandte ich mich ab. Er hatte ja keine Ahnung. „Das war bloß der Winkel. Rede dir nichts ein.“ Damit kuschelte ich mich unter die Bettdecke und schloss die Augen. „Aber wenn er dir letzte Nacht bereits gratuliert hat,“ Scott lehnte sich über mich um mir ins Ohr flüstern zu können. „wieso war er dann heute wieder da und hat mit dir Händchen gehalten?“ Empört fuhr ich auf, um ihn zu sagen, dass es ganz und gar nicht so war, doch Scott war bereits aus dem Zimmer verschwunden und vermutlich in das, welches meine Mutter für ihn hergerichtet hat. „So war das überhaupt nicht!“ Rief ich meinem besten Freund hinterher, doch wieso raste mein Herz, als hätte ich einen Dauerlauf hinter mir?

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Am nächsten Morgen, gingen Scott und ich gemeinsam, schweigend, zur Schule. Wir mussten unsere Freundschaft nicht mehr verbergen, doch trotzdem hielten wir aus Gewohnheit abstand. Die letzten Prüfungen klangen langsam aus, doch das machte den Stress noch nicht weniger. Als ich den Heimweg alleine antrat, da Scott noch etwas zu erledigen hatte, holte ich den kleinen Zettel, auf den die Nummer meines Vaters stand hervor und wählte diese auf meinem Handy.
Nach dem zweiten Klingeln hob eine weibliche Stimme ab. „Büro von Mikhael Talpa. Assistentin am Telefon, wie kann ich Ihnen helfen?“ Es war die Stimme einer etwas älteren Frau, sie kam mir auch bekannt vor, doch konnte ich nicht sagen woher.
„Guten Tag.“ Grüßte ich artig. „Mein Name ist Rebecca Walters, ich bin die Tochter von Mikhael. Ist er eventuell zu sprechen?“
Ich hörte sie etwas tippen. „Tut mir leid, Sie haben keine Telefonkonferenz vereinbart. Möchten Sie das nun erledigen? Mister Talpa hätte gegen Ende Juli wieder Zeit für eine längere Sitzung. Soll ich Sie eintragen?“
Empört klappte mir der Mund auf. Passierte das eben wirklich? „Entschuldigen, Sie. Aber haben Sie mich eben richtig verstanden?“ Ich konnte nur hoffen, dass sie eben abgelenkt gewesen war. „Ich bin die Tochter von Mikhael.“ Ich betonte jedes Wort extra lange, damit sie auch mitkam.
„Natürlich, das habe ich vernommen. Soll ich Sie für...“ Wütend legte ich auf. Das konnte doch nicht wahr sein! Jetzt benötigte ich bereits einen Termin, um mit meinem Vater zu sprechen? Ich bin verdammt noch einmal, seine Tochter!
„Was grummelst du denn da vor dich her?“ Vor Schreck, dass mir plötzlich Lance entgegenkam, schrie ich auf und sprang zur Seite. „Was ist denn in dich gefahren?“ Irritiert musterte er mich.
„Nichts was dich anginge!“ Fauchte ich wütend und passierte ihn.
„Rebecca?“ Ich fühlte eine Hand an meinem Ellenbogen, doch im selben Moment, in dem er mich berührte, zog er sie wieder zurück, da er seine Handschuhe nicht trug. „Im ernst, was ist los?“
Als ich herum fuhr, merkte ich, dass er seine Hände hinter dem Rücken hielt, was mich etwas verwirrte, doch ich war im Moment so sauer auf meinen Vater, sodass ich auffuhr. „Mit mir? Mit mir ist überhaupt nichts, los. Ach, oder meinst du meine Anfälle, wenn mich mein bester Freund küsst? Dass meine Mutter ein unwissender Mensch ist, oder dass ich verdammt noch einmal, eine >Termin< bei meinem Vater benötige, wenn ich etwas mit ihm besprechen möchte?“ Das Wort >Termin< betonte ich extra laut, woraufhin Lance sich sein Ohr rieb.
„Okay, das habe ich jetzt laut und deutlich verstanden.“
Verlegen seufzte ich. „Tut mir leid.“ „Schon in Ordnung. Ich verstehe schon, dass dich das aufregt. Wo arbeitet er denn überhaupt?“
Unwissend zuckte ich mit den Schultern. „In irgendeiner großen Firma. Er ist dort der Leiter, oder Direktor. Was weiß ich denn? Von Glückwunschkarten erfährt man eben nicht...“ Erschrocken schlug ich mir auf den Mund. Was redete ich denn da? Machte ich ernsthaft gerade meinen Vater schlecht? Vor Lance? Das war so gar nicht meine Art.
Natürlich, liebe ich meinen Vater, er sorgt sich um mich und denkt an den Feiertagen auch an mich. Mehr konnte ich mir nicht von einem Vollzeit beschäftigten, hart arbeiteten, Mann wünschen. Sieben Tage die Woche, vierundzwanzig Stunden am Tag, arbeitet er, schickt meiner Mutter mehr Geld, für uns beide, als nötig ist und schenkt mir teure Sachen. Zwar keine die ich mir selbst kaufen würde, doch er gibt sich wenigstens diese Mühe. Jedes Jahr. Zu jedem Feiertag, jedem Geburtstag. Er denkt an mich. Mehr darf ich mir wohl kaum wünschen.
„Oh, Süße...“ Während salzige Tränen meine Wangen hinab liefen, fühlte ich mich in eine warme, fürsorgliche Umarmung gezogen und liebevoll gedrückt. „Es ist in Ordnung. Manchmal muss man eben wütend auf diejenigen sein, die man liebt.“ Flüsterte Lance leise an meinem Ohr, woraufhin er mich noch etwas Fester drückte. Schniefend, ließ ich meine Hände, unsicher, um seinen Körper gleiten und verschränkte meine Hände an seinem Rücken.
„Er tut so viel... aus der Ferne.“ Verteidigte ich meinen Vater plump.
Lance warmer Atem kribbelte auf meiner Haut, als er meinen Hals und die Schulter streifte. „Wann war er denn überhaupt das Letzte mal bei dir? Physisch!“ Er wusste es. Oder eher, konnte er es sich denken. Vielleicht aber hatte ihm auch Scott etwas von meinem Vater erzählt? Nein, wieso würde er auch. Er ist mein bester Freund, doch nicht einmal mit ihm hatte ich viel über meinen Vater gesprochen. Manchmal jedoch waren es die Dinge, die man nicht sagte, die die anderen besser verstanden, als man selbst.
„Als ich... sechs war, denke ich.“ Murmelte ich an Lance Brustkorb.
„Hast du ihm jemals gesagt, dass du ihn vermisst?“ Sachte schüttelte ich den Kopf, woraufhin Lance mein Haar mit einer Hand streichelte. „Willst du denn, dass er öfters bei dir ist?“
Abermals schüttelte ich den Kopf. „Nein, nicht mehr.“ Seufzend atmete ich durch, nahm voll und ganz Lance Geruch, seine Wärme und Ausstrahlung wahr. Das war das erste Mal, dass mir auffiel, wie unterschiedlich, die beiden, sich gleichenden Brüder doch waren. Für einen Moment schloss ich die Augen und lehnte mich vollkommen an diesen großen, stabilen Körper und erlaubte mir zu verschnaufen. Erlaubte meinem Gehirn, eine Pause zu machen und genoss einfach bloß die wachsende Wärme in meinem Brustkorb. Sie entspannte mich, ließ mich gut fühlen. Mehr als dass ich es erwartet hätte. „Ich habe hier Familie, die mich liebt, mich akzeptiert und mich aufheitert. Da ist es in Ordnung, wenn er mich einfach aus der Ferne liebt.“ Immerhin gibt er mir, was er eben kann.
„Und du hast einen Freund.“ Die Worte drangen so leise an mein Ohr, dass ich sie kaum verstehen konnte, doch wusste sofort, was er meinte. Langsam schob ich Lance, einige Zentimeter, von mir fort und blickte hoch in die Augen, die ich bereits aufgrund meines besten Freundes liebte. Sie waren identisch. Nein, beinahe. Es gab nicht viel Unterschiede zwischen ihnen, bis auf das Alter und ihre Ausstrahlung. Aber trotzdem konnte ich Lance nicht als dieselbe Person sehen, wie ich Scott ansah. Für mich waren die beiden wie Luft und Wasser. Das eine liebe ich, das andere benötige ich.
„Ich bin nicht mit ihm zusammen.“ Wiederholte ich zum gefühlten, Hundertsten mal.
Ein gewinnendes Lächeln zuckte über Lance Lippen. „Wieso habt ihr euch dann geküsst? Zwei mal. Und ihr ward gemeinsam duschen, er hat sogar bei dir übernachtet.“ Überrascht davon, wie schnell Lance das Thema gewechselt hatte, musste ich mich erst sammeln und zögerte deshalb. „Siehst du? So etwas machen bloß Paare.“ Tadelte er mich weiter.
Nun fand ich doch meinen Wortschatz wieder. „Das siehst du trotzdem falsch. Scott und ich schlafen immer getrennt, meine Mutter mag ihn wie einen Sohn, für mich ist er ein Bruder, selbst als wir uns geküsst haben.“ Das zweite Mal war erzwungen und das wusste Lance. „Außerdem duschen Mädchen auch zusammen, oder Geschwister.“ Nicht bloß Pärchen, so wie er es behauptet.
„Bloß wenn diese noch klein sind, nicht in deinem Alter, Becca.“ Er schloss seine Arme wieder fester um mich, sodass mein Brustkorb direkt an seinem lag und unsere Atmung synchron wurden. Sogar mein Herzschlag begann in dem Takt seines zu stolpern, das konnte ich deutlich fühlen.
„Du bist doch bloß neidisch, weil du nicht mit Scott duschen darfst.“ Grinste ich, vor allem um die seltsame Atmosphäre auszublenden. Lachend lehnte Lance ab.
„Danke, aber aus diesem Alter sind wir wohl beide bereits heraußen. Aber wenn wir bereits darüber sprechen, dann muss ich zugeben, dass ich eher neidisch auf ihn bin, dass er dich bereits nackt sehen durfte und ich nicht.“ Zwinkernd ließ er mich nun los, was mein Gleichgewicht durcheinanderbrachte. Vielleicht war auch mein Herz etwas schuld, da es planlos aussetzte.
Was hatte er da eben gesagt? „D-Du hast genug Frauen nackt gesehen, was macht das da noch für einen Unterschied mich zu sehen?“ Abwehrend, verschränkte ich die Arme vor meinem kälter werdenden Brustkorb und versuchte mein rotes Gesicht zu verstecken.
„Das, meine Süße...“ Lance kam zurück zu mir, lehnte sich vor und gab mir völlig unerwartet, einen Kuss auf die Wange. „...ist eines der Mysterien im Leben der Familie van Jard.“
Erschrocken griff ich an die brennende Stelle, an welcher seine Lippen mich, abermals, berührt hatten und blickte Lance sprachlos hinterher. Was war gerade eben passiert? Mein Gehirn war im Leerlauf und hatte ganz offensichtlich Halluzinationen verursacht. Oder war das einfach bloß ein Trick gewesen, um mich aufzumuntern? Mich abzulenken von meinem ursprünglichen Schmerz? Wenn ja, dann hatte Lance seine Sache wirklich gut gemacht. Wohl etwas zu gut.

- - - - -


Es war bereits lange nach dem Schulende. Kaum hatte ich meinen Hintern vom Sitz des Zuges erhoben und war ausgestiegen, entlockte mir der Anblick einen tiefen Seufzer. Ich verstand ja einiges. Dass Scott mich liebt wie eine Schwester, dass er bloß das beste für mich wollte und auch, dass er sich eine große Reise wünscht. Aber das war eindeutig zu viel! „Scott!“ Schrie ich empört auf.
„Hör mir erst zu, bevor du schimpfst!“ Bat mein bester Freund und hob abwehrend seine Hände, als ich meine Tasche nach ihm werfen wollte. Nun, ja. Er ist mein bester Freund. Dieses Gefallen konnte ich ihm doch wenigstens tun. „Ich dachte mir bloß, dass es vernünftig wäre ihn mitzunehmen, da wir logischerweise alle keine Gedanken lesen können, Lügen erschnüffeln oder anders wie an die Wahrheit kommen. Lance jedoch kann uns sagen, ob dein Vater ein Übersinnlicher ist, wodurch er gezwungen mit der Wahrheit heraus rücken muss, oder ob er einfach ein viel beschäftigter Mensch ist.“
Zornig, vor allem, da ich nichts erwidern konnte, knirschte ich mit den Zähnen. Mein Blick zuckte nach rechts, wo Lance, lässig, gegen eine Laterne gelehnt stand und mit seinem Handy spielte. Zum Glück hatte er sich, außer Hörweite positioniert. „Scott! Zum Teufel noch eins, du weißt, dass das hier ein sensibles Thema für mich ist, oder?“
Scott nickte. „Ich habe ihn bereits seit über zehn Jahren nicht gesehen, ich weiß nicht wie ich auf ihn zugehen soll, ob er mich überhaupt erkennt...“ Scott schien sich rechtfertigen zu wollen, doch ich unterbrach ihn barsch. „Das du dabei sein wirst, ist mir mehr als recht. Aber Lance! Wieso? Erklär es mir!“
Nachdem ich Scott von dem geschehenen erzählt hatte, machte er sofort den Vorschlag gleich am nächsten Tag in die Firma meines Vaters zu fahren. Er lebt zwei Zugstunden von zuhause entfernt, meiner Mutter hatte ich gesagt, ich schlafe bei Scott und das würde ich danach auch, denn ich fühlte mich, als würde ich sie hintergehen. Sozusagen, tat ich das auch. Meine Mum hatte nie gewollt, dass wir ihn besuchen, viel über ihn sprechen, oder gar schlecht. Dass ich es jetzt tat, ohne sie einzuweihen... ich fühlte mich schrecklich mies bei der ganzen Sache. Darum war ich froh Scott, als meine mentale Stütze, dabei zu haben. Er munterte mich alleine mit seiner Anwesenheit auf, sein Lächeln beruhigte mich und ich wusste, egal was passiert, wie ich, oder wie mein Vater reagieren würde, würde Scott hinnehmen, es für sich behalten und mich unterstützen.
Aber Lance? Okay, keiner von uns beiden konnte bestimmt sagen, was genau mein Vater ist, wenn er es verheimlichen wollen würde. Aber Lance konnte es ganz einfach herausfinden, was vielleicht nicht ganz so elegant werden würde, wie wenn wir Eisauge, den Gedankenleser dabei hätten. „Lance verurteilt dich nicht, wenn es das ist, was dich beunruhigt.“ Beschwichtigte mich Scott. „Er kennt doch nicht einmal die ganze Geschichte, oder?“
Verlegen wandte ich das Gesicht ab und ging an meinem besten Freund vorbei. „Du hast recht, Lance kann uns bestimmt hilfreich sein. Wenn er jedoch meinen Vater flachlegt, wirst du darunter leiden müssen.“ Drohte ich und meinte es vollkommen ehrlich. Sich an meiner Mutter vorbei zu flirten, ist die eine Sache. Mein Vater, eine völlig andere.
„Komm schon, Becca. Jetzt sei doch nicht sauer, ich wollte doch bloß helfen!“ Rief mir Scott hinterher, da ich ihn getrost ignorierte.
„Hi, Süße. Vielleicht solltet ihr einmal zu einer Paartherapie.“ Scherzte Lance, als ich zu ihm aufschloss und mich an einer Gruppe Touristen vorbei drängte.
„Lance! Ich warne dich. Sei anständig, oder ich tue deinen Geschlechtsteilen furchtbare Dinge an.“ Mit dem Zeigefinger drohte ich Scotts Bruder, was ihm ein breites Lächeln entlockte.
„Mal sehen. Vielleicht gefällt es mir sogar.“ Ich wollte bereits etwas, angewidert, darauf erwidern, doch Scott schloss nun ebenfalls auf und die Touristengruppe verzog sich. Wir standen also zu dritt, alleine, vor dem gigantischen Bürogebäude, das zeitgleich das Markenzeichen dieser Stadt war.
„Ich nehme an, keiner von uns hat einen Termin, oder kennt sich zumindest im Gebäude aus?“ Fragte ich verunsichert. Die Brüder schüttelten synchron den Kopf und Scott nahm meine Hand in seine.
„Aber ich bin mir sicher, dass Lance uns den perfekten Führer finden wird.“
Lance grinste hochmütig zu uns herab. „Worauf du einen lassen kannst, Brüderchen.“ Somit bestritten wir die vielen, breiten Stiegen, hoch zum gläsernen Eingang und traten durch die Drehtüre ein. In der Empfangshalle, gab es eine weitläufige Sitzgarnitur, welche eine ganze Wand einnahm und einen Erfrischungsstand, mit einigen Tischen.
Am Empfang selbst, saßen drei Frauen, alle jung, gutaussehend und hatten ein professionelles Lächeln aufgesetzt. Marketing, würde ich diesen Empfang benennen. Mein Vater wusste eindeutig, wie man Geld machte. Hübsche, etwas freizügigere Mädchen saßen am Empfang, begrüßten mit einem süßen Lächeln Kunden und rieten ihnen sich etwas zum Erfrischen an der Bar zu nehmen. Dort wartete bereits ein heißer Kerl, der mit seinem muskulösen Körper eifrig shakte um den Gästen Früchtecocktails auszuschenken, oder ab siebzehn Uhr, wie ich erkennen konnte dank einer Tafel, auch Alkohol. Hier wurde etwas für die Fantasie von Mann und Frau geboten.
Selbst ich musste eingestehen plötzlich etwas durst zu bekommen. „Wenn wir schon hier sind, könnten wir uns auch eine Erfrischung holen. Ich habe...“
Lance legte seinen Arm um meine Schulter und zog mich direkt zu einem Lift. „Nichts da, Süße. Du gehst direkt zu deinem Vater, sonst machst du noch kehrt.“
Aber... ich wollte doch nur... Mit einem enttäuschten, letzten, Blick auf den heißen Barmann, gab ich auf. Lance hatte ja recht. Im Lift nahm Lance seinen Arm zurück und lehnte sich müde an die Wand, während Scott und ich das Register studierten, in welcher sämtliche Bereiche aufgelistet waren.
Am vorletzten Knopf, befand sich die Anschrift meines Vaters, woraufhin ich diesen drückte und wir fuhren hoch, in den dreinundsiebzigsten Stock. Während Scott und ich über die vielen Bereiche des Gebäudes philosophierten, langweilte sich Lance. Auch die Leute, die ein-, aus- und umstiegen, beachtete ich kaum, so nervös war ich. Ich lenkte mich sogar mit dummen Witzen ab, oder wilden Verschwörungstheorien, weshalb ich mir den einen, oder anderen beleidigten Blick einfing.
Als wir das siebzigste Stockwerk passiert hatten, griff ich wieder nach Scotts Hand, welche er aufmunternd drückte. „Es wird schon schiefgehen.“ Scherzte er. Dankbar lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter, woraufhin er mich kurz drückte, dann waren wir auch schon angekommen. Dieses Stockwerk unterschied sich vollkommen von den unteren Büroräumen. Über einen kurzen Gang kamen wir zu einer beschäftigt wirkenden Assistentin, die mit dem Rücken zu uns stand. Ihr Rücken war bereits etwas gekrümmt und ihre Haare zu einem strengen Dutt am Kopf zusammen gebunden. Irgendwie erinnerte sie mich ein wenig an meine Großmutter, väterlicherseits, doch zweifelte ich stark an, dass sie hier arbeiten würde.
Mit einem Räuspern trat Lance zum Empfang dieses Stockwerkes und unterbrach die ältere Dame mit einem aufgesetzten, verführerischen Lächeln. „Hallo, Liebes. Sie haben aber heute ein hübsches Kleid an.“ Die Frau wandte sich ungläubig um, als könne sie nicht glauben, was sie da hörte und zog eine Augenbraue hoch.
Vor Schreck stolperte ich, bevor die ältere Dame etwas sagen konnte. „Oma?“ Lance und Scott blickten mich gleichzeitig schockiert an.
Die Dame rückte ihre Brille ebenso ungläubig zurecht. „Oh, meine Güte. Rebecca? Wie kommst du denn hier her?“
Scott und ich wechselten einen verwirrten Blick. „Die bessere Frage ist ja wohl, wieso du hier arbeitest?“ So viel ich von früher wusste, auch wenn ich sie bloß einmal gesehen hatte, war sie längst in Pension und genügte sich an einem ruhigen Leben. Das hier war alles andere als ruhig.
„Ich... Also...“ Stotterte sie zusammen und legte die Akten beiseite, welche sie bis gerade eben sortiert hatte. „Das ist... etwas kompliziert, meine Kleine.“ Meine >Großmutter< schluckte schwer und schien sich unwohl in ihrer Haut zu fühlen.
„Wo ist mein Vater?“ Verlangte ich zu wissen. „Das ist... ebenfalls etwas... komplizierter.“ Wiederholte sie sich selbst. Aber was sollte das bedeuten? Kompliziert? Das ergab nicht wirklich viel Sinn.
Lance zog die volle Aufmerksamkeit auf sich. „Eine Frau, ihres Standes, sollte wohl kaum einer solch langweiligen Arbeit nachgehen.“ Über den Tisch griff er nach der Hand meiner Großmutter, die sofort dahin schmolz. Entrüstet schnappte ich nach Luft. War das sein ernst? Er baggert meine Großmutter an? Das war... nicht peinlich, sondern widerlich!
Meine Großmutter kicherte, rot werdend. „Das ist doch nicht der Rede wert. Ich arbeite bereits für Mister Talpa, seit er ein kleines Kind war.“ Winkte sie die Augen verdrehend ab. Das ergab sogar noch weniger Sinn. Zumindest für mich.
„W-Wie bitte? Du arbeitest für deinen Sohn?“ Fragte ich entsetzt.
„Aber nein, Liebes. Ich bin doch überhaupt nicht deine Groß... Äh! Was rede ich denn da wieder?“ Lance ließ die Hand meiner Großmutter los und Scott umfasste meine stärker, als ich ungläubig nach Luft schnappte. Meine Großmutter ist überhaupt nicht... war sie niemals... und...
„Schon gut, wir klären das auf, Becca.“ Versprach Scott sanft neben meinem Ohr. Stumm nickte ich.
„Wo finden wir denn Rebeccas Vater?“ Fragte Lance nach, woraufhin meine... >nicht< Großmutter auf eine von zwei Türen, hinter dem Empfang deutete, bloß um es einen Moment später zu bereuen.
„Moment! Er ist gerade eben wirklich nicht zu sprechen und... Entschuldigen Sie!“ Ich schob die alte Frau, achtlos zur Seite und stürmte in das Büro meines Vaters.

- - - - -


„Hallo, Dad...“ Flüsterte ich so leise, in den beinahe leeren Raum, sodass nicht einmal Scott, der neben mir stand und meine Hand hielt, irgendetwas hörte. Enttäuscht blickte ich in das kalte, geräumige Büro, in dem mein Vater, meine ganze Kindheit lang gesessen hatte. Ich betrachtete eingehend den breiten, dunklen Schreibtisch, die beiden scheinbar bequemen Besuchersessel, die vielen Akten, die den Raum etwas lebhafter erscheinen ließen, bis ich schlussendlich an dem riesigen Panoramafenster hängen blieb.
Stumm ging ich darauf zu und sah hinunter auf die Stadt, zu den Füßen meines Vaters. Das war also seine Welt? Der Ort, an dem er mein ganzes Leben verpasst hatte? An der Spitze der Stadt.
Ein ungewohntes Quetschen meines Brustkorbes machte sich bemerkbar, doch ich schob dieses nutzlose Gefühl der Einsamkeit zur Seite. Ich wusste ja, weshalb er hier arbeitet. Weil er uns beiden ein anständiges Leben bieten möchte.
„Was haben die Kinder in meinem Büro zu suchen?“ Ich erstarrte, als ich die tiefe Bassstimme vernahm, welche ich bereits seit mehreren Jahren nicht mehr gehört habe.
„Ich habe versucht, sie aufzuhalten, aber sie waren so schnell und...“
„Schon gut Frieda.“ Die Stimme meines Vaters war sanft, als er zu seiner Sekretärin sprach, jedoch streng und bestimmend, als er sich wieder zu uns wandte. „Wenn Praktikanten irgendetwas zu besprechen haben, dann geht hinunter in den...“
Lance unterbrach meinen Vater, hörbar gelangweilt. „Schon gut, schon gut. Wir haben uns nicht im Stockwerk geirrt.“
Langsam, da ich sehr verunsichert war, drehte ich mich zu meinem Vater um, den bereits etwas ergrauten, breit gebauten Mann, mit einer dicken Brille und dem vernichteten Blick in seinem Gesicht. „Was sucht ihr dann hier? Mädchen, geh weg vom Fenster, bevor du noch etwas schmutzig machst.“
Sofort kehrte der Schmerz in meinen Brustkorb zurück, als mein Vater so herablassend zu mir sprach und mich grob weg winkte. Eingeschüchtert, kehrte ich zu Scott zurück, welcher sofort einen Arm um mich legte.
Für einen Bruchteil einer Sekunde, hatte ich gedacht, mich in meinen Vater hinein versetzen zu können. Jetzt wo ich ihm jedoch leibhaftig gegenüber stand... diesem herablassenden Mann... „Schon gut, Scott. Lass uns gehen, ich denke, wir haben uns tatsächlich... im Gebäude vertan.“
Ich wandte mich ab, von meinem Vater und meiner kindlichen Vorstellung, die ich bisher gehabt hatte und lief direkt in Lance Arme. „Nicht so schnell, meine Süße.“ Tadelte er mich, hob mein Kinn an und wischte zärtlich eine losgelöste Träne fort. „Du wirst nicht wieder weinen, sondern endlich klarstellen, wer du bist.“ Befahl er etwas Strenger, nahm mich am Ellenbogen und zog mich vor, bis zu dem Schreibtisch, hinter welchem mein Vater Platz genommen hatte.
„Was ist hier los? Wenn ihr nicht gleich verschwindet, rufe ich den Sicherheitsdienst.“
„M-Mein Name...“ Begann ich und blickte hilfesuchend zu Lance auf. Er nickte mir aufmunternd zu, daher sah zurück zu meinem Vater. „Rebecca Walters.“
Mein Vater schien einen Moment zu benötigen, bevor er vor Überraschung, eine Augenbraue so weit hochzog, dass ich schon dachte, dass sie über seiner Stirn verschwinden würde.
„Rebecca?“ Wiederholte mein Vater, als hätte er diesen Namen schon unendlich lange nicht mehr gehört. „Wa-Was... Frieda, schließ die Türe ab und richte den Notausgang her.“
Notausgang? Wovon zum Teufel sprach er da?
„Ja, Sir.“ Die alte Dame, die offenbar doch nicht meine Großmutter gewesen war, verließ den Raum und schloss hinter Scott und uns ab.
„Was...“ Begann ich, doch mein Vater unterbrach mich streng.
„Kein weiteres Wort mehr. Du hast hier nichts verloren, das habe ich wohl klar und deutlich gesagt.“
Gesagt? Was? Mein Herz schien mir aus dem Körper springen zu wollen, wie ein Feuerball.
„Was meinen Sie damit?“ Fragte Scott, noch bevor ich es endlich über mich brachte, einen Ton von mir zu geben.
„Hat Luisa denn nie etwas gesagt? Ich möchte nichts mit ihr, oder Rebecca zu tun haben. Die beiden waren nichts weiter, als ein Ausrutscher, als ich noch jung und naiv gewesen bin. Jetzt verschwindet, niemand darf wissen, dass Rebecca überhaupt existiert. Das würde meinen edlen Ruf ruinieren.“
Seinen Ruf? Und er wollte nichts mit uns zu tun haben? Aber das konnte doch nicht stimmen. Das ist nicht wahr!
„Nein!“ Rief ich, erschrocken über mich selbst, aus. „Was ist mit den Geschenken zu den Feiertagen? Den Blumen? Die Karten? Du hast doch immer...“
Wieder unterbrach er mich, doch dieses Mal gelangweilter. „Es tut mir leid, damit habe ich absolut nichts zu tun, Rebecca. Frag deine Mutter einfach, sie weiß wieso.“
Meine Mutter? Nein! Das konnte einfach nicht wahr sein. „Meine Anfälle!“ Rutschte mir heraus. „Bist du deshalb gegangen? Weil ich so ein schwaches, krankes Kind gewesen bin? Liegt es daran?“ Lance ließ seine Hand um meine Taille wandern, sodass er mich jederzeit abfangen konnte, falls ich etwas unüberlegtes tat. Zumindest hoffte ich, dass er mich davon abhalten würde, falls es so wäre.
„Unter anderem. Aber das hat mehr mit deinem Erbgut zu tun. Jetzt...“
„Du bist auch ein Übersinnlicher!“ Stellte ich fest. Es war keine Frage, bloß ein Gefühl, das ich nicht abstreiten konnte. Auch er nicht.
„Ja, das stimmt. Woher weißt du von uns?“ Seine Stirn glättete sich, doch ein bösartiger Funke kehrte in seine Augen zurück.
„Weil auch ich einer bin. Diese Anfälle... es hängt damit zusammen, wer... was ich bin, oder nicht?“
Mein Vater nickte erneut. „Natürlich. Jedoch wegen deines Mischblutes bist du völlig unbrauchbar. Wie gesagt, deine Mutter war ein Ausrutscher und du meine Strafe, die daraufhin folgte.“ Noch einmal zerquetschte irgendetwas in mir, dass ich nicht benennen konnte. Oder eher es noch nicht wollte.
„Der Chamälion-Clan, nicht wahr? Sie und Rebecca gehören ihm an.“ Mischte sich Scott ein.
„Ich, ja. Alle welche sich mit Übersinnlichen vermischt haben, in meiner Familie. Rebecca jedoch ist bloß ein Mensch. Ein Schwacher noch dazu.“
„Das ist nicht wahr!“ Mein bester Freund stürmte am Schreibtisch vorbei und packte meinen Vater am Kragen.
„Scott!“ Lance hielt mich zurück. „Sie... Sie haben nicht den blassesten Schimmer, welche Qualen Becca die letzten Jahre durch gemacht hat.“ Schrie Scott, mit einem knallroten Gesicht. „Sie wurde gemobbt, ausgeschlossen, gestoßen, beklaut... Die anderen haben ihr das Leben zur Hölle gemacht und... und trotz alldem, läuft sie immer noch mit einem Lächeln im Gesicht herum. Sie ist ein starker Mensch! Nein! Eine starke Übersinnliche! Wie können Sie es also wagen, ohne Ihre Tochter überhaupt zu kennen, zu behaupten, meine beste Freundin, wäre bloß ein schwaches kleines Mädchen?“
Über die Lippen meines Vaters zeichnete sich ein belustigtes Lächeln. „Du bist auch ein Übersinnlicher, nicht wahr?“
Scott zog sich etwas zurück, doch rückte nicht allzu weit ab. „Das geht Sie nichts an.“ Gab er mit erhobenem Kinn zurück, obwohl mein Vater, jetzt wo dieser wieder stand, ihn gut einen Kopf überragte.
Sein belustigtes Lächeln, wurde zu einem überheblichen Schmunzeln. „Wenn du ein Übersinnlicher bist, muss ich dich warnen. Unser Chamäleon-Clan hat nichts mit einer Anpassung zu tun. Genauer gesagt, sind wir sogar Feinde der Übersinnlichen.“
„Feinde?“ Fragten Lance und ich gleichzeitig. Dass meine Finger irgendwann seine gefunden hatten, fiel mir erst in diesem Moment auf, doch schien es ihn nicht zu stören. Er drückte sie sogar aufmunternd.
„Ja.“ Bestätigte mein Vater.
So schnell, dass ich seiner Bewegung überhaupt nicht folgen konnte, stieß er seine Hand gegen den Brustkorb von Scott und irgendetwas schien zu geschehen. „Das wir uns Chamäleon-Clan bezeichnen, ist bloß Irreführung. Wir sind viel mehr Spinnen, die ihre Opfer mit unserem Gift aussaugen und ihre Fähigkeiten annehmen.“
Fähigkeiten?
Ich wollte schon aus purer Angst um meinen besten Freund loslaufen, doch Lance hielt mich eisern zurück. „Nein! Hör auf! HÖR AUF!“ Ich schrie, während sich Scotts verwirrter Blick, in einen gepeinigten verwandelte. Stumm vor Schmerzen musste er Mitansehen, wie so etwas wie ein roter Schimmer um die Hand meines Vaters entstand. Langsam, so langsam dass es mir wie ein kranker Scherz vorkam, sank er zu Boden. Mein Vater mit ihm.
Auf seinem Gesicht zauberte sich ein erfrischtes, glücklicher Ausdruck. Etwas, das mich etwas an mich selbst erinnerte. Wie ich mich fühlte, wenn ich bei Scott war. Mein bester Freund hatte immer so eine Auswirkung auf mich. Eine beruhigende, eine sanfte und aufmunternde Ausstrahlung. Jedes Mal musste ich lächeln und fühlte mich frei, wenn er bei mir war. Sorglos. Scott war seit Monaten mein sicherer Hafen, mein Anker, der mich bei Verstand hielt und meine Stärke.
Dieses Lächeln, welches ich immer in Scotts Nähe hatte, plötzlich in dem widerlichen Gesicht meines Vaters zu sehen, ließ mich in eine Art Rausch fallen. Einen Rausch, in dem ich kaum noch wahrnahm, was um mich herum geschah. Irgendwie schaffte ich es, Lance loszubekommen, rannte auf meinen Vater zu und stieß ihn mit aller Kraft, die ich dank des Anlaufes aufbrachte, so stark um, dass wir beide einige Meter lang, übereinander rollten und um die Oberhand kämpften.
„Scott? Scott verdammt!“ Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Lance sich um seinen bewusstlosen Bruder kümmerte und konnte mich völlig auf das geschehende, zwischen meinem Vater und mir konzentrieren. Wie verrückt geworden, kratzte ich ihm über das Gesicht, während ich seine rechte Hand, von mir fort drückte, als er... was auch immer er mit Scott getan hatte... bei mir versuchte.
„Naives kleines Biest. Ich hätte dich in deiner Wiege töten sollen!“ Schimpfte er und spuckte mir dabei ins Gesicht.
„Besser wäre es gewesen, du hättest Scott niemals angefasst!“ Fauchte ich genauso wütend, wie mein Vater zurück. Noch eine Ähnlichkeit, die ich von ihm hatte, doch so gut wie nie auslebte.
Meine Wut.
Durch einen harten Schlag, seiner Rückhand, prallte ich mit der Schläfe, auf den Boden und sah für einen Moment alles verschwommen. „Mist. Wieso kann ich dich nicht anzapfen?“ Fluchte er, während ich um meine Besinnung kämpfte.
„I-Ich...“ Begann ich der Ohnmacht nahe. „Ich bin wie du.“ Langsam kam ich wieder auf, doch wurde bereits einen Moment später, schmerzhaft an den Haaren zurückgezogen.
„Du bist eine Mischung aus Übersinnlichen und Mensch. Du besitzt keine Fähigkeit! Unsereins hat ausschließlich Kinder mit Fähigkeiten, wenn beide Eltern Übersinnliche sind. Ansonsten leiden sie bloß an einer Existenzkrise, so wie du dein ganzes Leben lang. Du gehörst nirgendwo dazu. Sieh es dir an!“
Mit einem Ruck, der meinen Nacken gefährlich knacken ließ zwang mein Vater mich, den leblosen Körper anzusehen, der einmal mein bester Freund gewesen ist. Sanft wiegte Lance ihn, mit tränen verschmierten Gesicht, in seinen Armen. „Das ist es was kleine Monster wie du verursachen. Du gehörst nirgendwo dazu. Siehst du es? Du bist nicht wie sie. Aber du bist auch kein Mensch, das wissen sie. Sie fühlen es. Sie alle! Du bist wertloser Dreck!“
Mein Vater ließ so abrupt los, dass mein Kopf noch einmal aufschlug. Dieses Mal löste dieser Schmerz meine angestauten Tränen. Er hat recht. Mit allem. Ich gehöre nicht dazu. Ich gehöre nicht zu den Übersinnlichen, denn ich bin nicht ganz wie sie. Auch bin ich kein Mensch, deshalb schlossen sie mich aus. Aber wo gehöre ich denn dann hin?
Ein Tritt in meine Organe folgte, woraufhin ich schmerzerfüllt aufschrie und Blut spuckte. Was ich als Nächstes wahrnahm, war so etwas wie eine schwarze Leere. Um mich herum blieb alles stehen. Nichts ging voran, doch auch nicht zurück. Es war einfach ein tiefes schwarzes Loch, mit Deckel darauf, worin ich lag. Langsam kamen einige Erinnerungen hoch. Zuerst schwach, dann immer schneller, stärker und intensiver. Ich sah mich, wie ich an meiner Mutter klammerte. Schon immer war sie für mich da, beschützte mich und sorgte sich um mich. Ich bereitete ihr mein ganzes Leben, nichts weiter als Kummer und Sorgen. Nichts das man sich von seinem Kind wünscht.
Dann kamen meine Erinnerungen an meine Freunde und Schulkollegen. Sie schlossen mich schon immer aus, hassten mich, Beschimpften und mobbten mich. Niemals ließen sie sich eine Gelegenheit nehmen, um mir mein Leben zur Hölle zu machen. Einfach weil ich nicht zu ihnen gehöre. Ich gehöre nicht in diese Welt, in dieses Leben. Allen machte ich es einfach schwerer.
Langsam, beinahe zäh, erschien Scotts Gesicht vor mir. Sein freundliches Lächeln, das er sich aufbürden musste für mich. Seine lieben Worte, welche er erzwingen musste, damit ich nicht mehr an die anderen Schüler dachte. Die Witze, welche wir beide mochten, mittels denen wir die Welt nicht mehr ganz so klar sehen mussten. Es war ein Panzer, den er für mich errichten musste, damit ich stark blieb, ich selbst blieb.
Und als Letztes folgte Lance. Wir machten beide keinen Hehl daraus, dass wir uns nicht wirklich mochten. Trotzdem war da diese Anziehung, die er auf mich hatte. Vielleicht lag es bloß daran, dass ich zum Teil menschlich bin, deshalb wirkte seine Fähigkeit vielleicht doch auf mich?
Wenn ich ihm sagen würde, was ich empfinde... was würde er dann tun? Es peinlich finden? Mich wegschicken? Oder gar Scott dazu bringen, mich gehen zu lassen? Wieso nur? Wieso bloß lebte ich? Durch mich hatten es alle bloß schwer, sie mussten sich verbiegen, sich zurückhalten und... mich ständig davor bewahren mich selbst zu verlieren. Das wollte ich nicht länger.
Ohne mich würde es ihnen leichter fallen. Ihr Leben, ihre Träume und Freuden, konnten sie dann besser, einfacher erfüllen. Plötzlich kam die Erinnerung an Scott zurück. Diese Qual in seinem Gesicht, die Angst. Er hatte unvorstellbar gelitten, bevor er gestorben ist.
Und das war alleine meine Schuld.

 

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„Ich denke, sie wacht auf?“ Es war eine Stimme, die ich mochte. Sie drang sanft wie Seide an mein Ohr und ließ mein Herz vor Freude springen. Bloß wieso?
„Becca? Mein Engelchen, kannst du mich hören?“ Das war eine andere Stimme, eine welche mir Ruhe versprach. Seufzend wandte ich mein Gesicht um und blickte in zwei hellblaue Augen.
„Danke, dass du sie geweckt hast.“ Da war wieder die erste Stimme, sie brachte mein Herz abermals zum Rasen und entlockte mir ein Lächeln.
„Kein Ding, aber ich finde immer noch, dass es zu früh ist. Sie hatte eine starke Gehirnerschütterung.“ Rief eine weitere männliche Stimme, der ersten in Erinnerung. Um wen es wohl ging? Von wem sprachen sie?
„Mein Engelchen. Geht es dir gut? Wie fühlst du dich?“ Noch immer starrte ich in das weibliche, wohl bekannte Gesicht, von dem ich wusste, dass ich diesem Gesicht vertrauen konnte. Doch wer war sie?
„Oh, oh. Ich glaube, ihr habt ein Problem.“ Die Stimme kam von der anderen Seite des Zimmers und kam direkt auf mich zu, während er sprach. Im nächsten Moment waren eisblaue Augen vor meinem Gesicht, untermalt von einem unsicheren Lächeln.
„Was ist mit ihr?“ Hörte ich die erste Stimme wieder sprechen, welche mich wohlig fühlen ließ. „Sie erinnert sich nicht an ihre Mutter.“
Die Frau, die so ein wohliges Gefühl in mir auslöst, sog empört die Luft ein. „Was soll das heißen? Sie ist, meine Tochter, natürlich erkennt sie mich, woher willst du das denn wissen?“
Ich blickte zurück zu Eisauge, denn ich war gespannt auf seine Erklärung. Vielleicht erfuhr ich ja dann endlich, von wem die drei die ganze Zeit sprachen. „Ich kann ihre Gedanken lesen, natürlich.“ Meinte der Mann mit den eisigen Augen, beinahe schon arrogant, oder war er vielleicht einfach bloß genervt?
„Nein, nein.“ Lächelte er nun wieder zu mir hinab. „Ich bin bloß gestresst, da es meiner Frau nicht gut geht. Aber jetzt denk weniger an uns, als an dich selbst. Weißt du denn wie du heißt?“
Ich? Mein Name? Was meinte er damit? Zwar versuchte ich, den Mund zu öffnen, um etwas zu sagen, doch irgendwie versagte ich dabei und es kamen bloß unklare Geräusche heraus.
„Schon gut. Streng dich nicht an, Süße.“ Irgendjemand strich mir sanft über die Stirn, woraufhin ein angenehmes Kribbeln entstand. Sofort folgte ich der Stimme, welche sich links von mir befand und blickte in vertrauensvolle, hellbraune Augen. Ich kannte ihn. Sein Name lag mir auf der Zunge und es fühlte sich so unglaublich gut an, wenn er da war.
„Mach weiter. Sie erinnert sich, denke ich, langsam.“ Wies Eisauge an.
Etwas verwirrt darüber, was der andere meinte, beugte er sich näher an mich heran. Im Hintergrund hörte ich, wie Eisauge genervt auf die Frau einsprach, da sie wollte, dass alle gingen. Ich wollte es jedoch nicht. Unter keinen Umständen sollte er gehen. Niemals wieder!
„Na, dein Herz überschlägt sich ja geradezu, wenn du... Oh...“ Etwas verlegen, wandte er das Gesicht Richtung Boden. „Das sollten wir vielleicht irgendwann anders klären.“
Klären? Was meinte er? Und wieso spielte mein Herz verrückt? Oder sollte das so sein? Ich bezweifelte es. Trotzdem fühlte es sich richtig an. „Kannst du dich an meinen Namen erinnern?“ Für einen Moment überdachte ich seine Frage. Etwas sagte mir, dass es ein Name war, der leicht über die Zunge geht.
Ein Name... Lance!
„Ja, sie erinnert sich. Gut so. Mach einfach weiter.“ Ich wandte mich zu Eisauge um. Der Name passte zu ihm. Irgendwie wusste, ich dass ich ihn davor schon einmal so genannt hatte.
„Ja und das ist nicht wirklich nett, Becca!“ Tadelte mich Eisauge, mit einem belustigten Lächeln im Gesicht. „Konzentrier dich lieber weiter auf Lance.“
„L-Lhns...“ krächzte ich unter Schmerzen.
„Nicht reden, Becca. Dein Kiefer ist stark angeknackst.“
Mein Kiefer? Damit meinte er doch meinen Mund. Aber wieso? Wieso sollte mein Kiefer angeknackst sein?
„Weißt du denn noch, dass dein Name Rebecca ist?“ Ich nickte zögerlich. Lance rutschte näher an mich heran, nahm meine linke Hand in seine und fuhr die feine Narbe, an meinem Unterarm nach. „Die hast du auf einem Konzert bekommen. Weißt du das noch?“ Wieder nickte ich, während sich das exakte Szenario in meinem Kopf abspielte. Ich war auf einem... Fünf... Auf irgendeinem Konzert. Diese Band mochte ich. Sehr sogar. Auch die Person, mit der ich dort gewesen bin. Mit... jemandem... den... ich... liebe...
Mit einem Mal fuhr ich zusammen. So schnell, dass ich kaum mitkam, spielte sich das gesamte Jahr vor mir ab. Scott, mein bester Freund, mein Seelengefährte, wie er in mich lief, mit mir scherzte, lachte, weinte und spielte. Derjenige den ich liebe, der mir nahe steht, wie ein Bruder. Und nun ist er Tod! Tod durch meine Schuld!
Ich habe ihn getötet!
„Mpf... Whff...“ Weg! Ich musste weg hier, denn ich durfte nicht länger bleiben. Ich war es nicht Wert länger zu leben, wieso bin ich überhaupt hier? In einem Krankenhaus?
„Halt sie fest. Luisa, hol einen Arzt!“ Zappelnd wand ich mich aus meinem Bett. Ich musste weg hier. Die Geräte, sie waren alle vergeudet an mich. Die Medikamente, die andere dringender brauchten, als ich. Die es mehr wert waren, hier zu leben, als ich.
„Nein! Hör mir zu. Rebecca, was du denkst, ist vollkommener Unsinn!“ Die Stimme neben meinem Kopf war so laut, dass ich für einen Moment meinen Kampf aufgab.
„Scott geht es gut. Ihm geht es gut, denk nicht mehr daran, dass du sterben musst! Becca, du bist für niemanden eine Bürde. Sie lieben dich. Sie alle.“ Eisauge packte mein Gesicht, woraufhin mein Kiefer schmerzhaft zog und etwas lief warm meine Wange hinab, während sich ein rostiger Geschmack in meinem Mund ausbreitete. „Verstehst du mich? Sie lieben dich und wären tot unglücklich, wenn du gehen würdest. Deine Mutter. Scott. Selbst Lance! Du darfst nicht sterben. Hast du das verstanden?“
Langsam kam ich wieder zur Ruhe. Was sagte Eisauge da? Jeder liebt mich? Aber ich bringe doch alle bloß dazu, mich zu hassen. Die Menschen hassen mich, für die Übersinnlichen bin ich bloß eine Hürde...
„Nein! Hör auf damit, Becca. Rede dir diesen Unsinn nicht noch weiter ein. Bitte, Becca... Kann einmal jemand Scott holen?“
„Aber der ist gerade ins Bett zurück, er hat seit Tagen nicht geschl...“
„Scheiß auf ihn. Ruf ihn sofort hier her!“ Fuhr Eisauge, Lance über den Mund, woraufhin dieser, mit einem unsicheren Blick auf mich, einfach hinaus rannte. Weg von mir. Sogar Lance ging. Ich bin eine Last.
„Nein, nein, nein! Sieh mich an. Becca. Du bist keine Last!“ Ich wollte ihm nicht glauben. Was wusste er denn schon. Bloß weil er meine Gedanken sah? Das sagte noch lange nichts über meine Gefühle, oder die der anderen aus! Er kann sich nicht in die Menschen hinein versetzen, ihre tiefsten, verborgensten Gefühle wahrnehmen.
Unerwartet folgte ein Stich in meine Schulter, danach sank ich wieder in einen recht unruhigen Schlaf.

 

- - - - -

 

Als ich dieses Mal erwachte, wusste ich sofort, wer ich bin, wo ich mich befinde und vor allem was passiert ist. Da meine Hände offenbar befestigt worden waren, glitt bloß mein Blick durch den dunklen Raum. Auf einem Gästebett konnte ich zwei Gestalten sitzen sehen. Eine war deutlich wacher, als die andere, denn er sprang sofort auf und kam an mein Bett. „Becca!“
Sobald ich seine Stimme hörte, endete es. Einfach alles. Sämtliche Gedanken wurden fortgewischt und einzig und alleine, blieb dieses wahrhaft wohlige Gefühl in mir zurück.
Scott! Mein Scott! Er lebt!
Mehr konnte ich mir kaum wünschen. „He! Nicht weinen. Es ist alles gut. Ich bin da. Mir ist nichts geschen, du weißt ja... Unsterblich und so.“
Unsterblich? Unsterblich! Wären meine Hände nicht angebunden, würde ich mir glatt auf die Stirn schlagen. Ich bin ja so ein Idiot! Wieso hatte ich das vergessen? Unsterblich, bedeutete auch von niemandem getötet werden zu können. Es bedeutet, für immer zu leben. Ein Leben lang, an meiner Seite zu bleiben.
„Szoss...“
„Schon gut, Becca. Ich bin da. Alles kommt in Ordnung.“ Ich deutete ihm, dass ich meine Hände loshaben wollte, was er auch sofort tat. Kaum, dass ich mich wieder bewegen konnte, schlang ich meine Arme um Scott und zog ihn zu mir ins Bett.
„Sch... Es ist alles gut. Ich bin da.“ Sanft streichelte er meinen Kopf und wir legten uns nebeneinander ins Bett. Nein, ohne Scott konnte und wollte ich überhaupt nicht mehr. Wieso auch? Er ist mein Anker, mein Halt im Sturm. Scott ist mein Lebenselixier, auch wenn ich nicht verstehen konnte, woran es lag. „Schlaf noch etwas.“ Mein bester Freund trocknete noch etwas meine Tränen und rückte einige Kabel und Schläuche zurecht, die von meinem Körper aus gingen, oder hinführten.
„Lns?“ Nuschelte ich.
„Nicht sprechen.“ Wies Scott mich an. „Er schläft, keine Sorge.“ Mein Blick glitt zurück zu Lance, welcher sich im selben Moment rührte.
„Scott?“ Fragte dieser verschlafen.
„Hier, bei Becca.“ Antwortete dieser genauso leise.
„He! Nicht hier. Sonst gehe ich gleich!“ Murrte Lannce, woraufhin ich diesen seufzen hörte.
„Sei nicht albern. Komm lieber her, sonst schläft Becca nicht.“ Mit strahlenden Augen sah ich zu Scott auf, der offenbar exakt wusste, wie ich fühlte. Langsam kam sein älterer Bruder zu uns, zog sich einen bequemen Stuhl heran und strich mir über die Wange, wo noch eine Träne hing.
„Na, Süße. Hast du dich beruhigt?“
Unsicher nickte ich und fing seine Hand ab, als er sie zurückzog. Seufzend nahm ich sie an mich und schloss meine Augen, während Scott sich an meinen Rücken kuschelte und seine Arme um meinen Körper schlang.
Lance rutschte ebenfalls näher und hauchte mir einen Kuss auf meine Narbe. „Mach die Augen zu. Morgen früh sind wir noch da.“ Versprach er leise flüsternd. Als ich sie schloss, konnte ich schwören, einen weiteren Kuss auf meine Stirn bekommen zu haben, doch ich war so schnell ins Land der Träume zurückgekehrt, dass ich es bloß vermuten konnte.

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Was genau passiert ist, mit meinem Vater und mir, konnte niemand genau sagen. Dass er mich schwer misshandelt hat, war jedem klar. Die Polizei hatte ihn sogar zur Fahndung ausgeschrieben, doch offensichtlich ist er untergetaucht. Nach einer Woche im Krankenhaus, durfte ich nach Hause, währenddessen entfernte sich Scott bloß von mir, wenn er heim zum Duschen und umziehen musste, aber dann war immer Lance bei mir.
Meine schrecklichen Gedanken, welche mich dermaßen erfüllt hatten, Selbstmord zu begehen, waren vollständig verschwunden. Nicht einmal ein Funken davon war noch da, doch mittlerweile wusste ich, dass es an Scott gelegen hatte. Das alles. Ich dachte, Scott sei gestorben, daher wollte auch ich aufhören zu existieren. Wieso? Das verstand ich selbst nicht wirklich. Ich hatte keine Kontrolle darüber, was mir sehr zum Schaffen machte. Was war dieser Teil in mir.
Der Übersinnliche?
Offensichtlich war dieser Teil in mir, völlig anders, als mein menschlicher, jedoch inwiefern? Was unterschied mich denn so sehr von beiden Welten? Das alles ergab überhaupt keinen Sinn.
Von Laith wusste ich, dass er eine übersinnliche Mutter und einen menschlichen Vater besitzt, doch nicht einmal ansatzweise solche Probleme hat, wie ich. Obwohl, das war vermutlich ein zu optimistischer Vergleich. Immerhin hatte Laith immer und zu jeder Zeit, irgendwelche Stimmen, seit seiner frühesten Kindheit in seinem Kopf. Was >Leid< anging, stand ich weit hinter ihm.
Jedoch auch Laiths Frau, Kailee, ist rein menschlich, doch besitzt eine übersinnliche Fähigkeit.
Lance und Scott hatten eine menschliche Mutter. Und viele andere waren ebenfalls Mischlinge, zwischen diesen beiden... eigenartigen Wesen. Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen, doch waren auf ihre eigene Art besonders. Wieso stand ich also zwischen den Welten? Das ergab nicht wirklich einen Sinn.
Oder war es vielleicht bloß ein übles Spiel, welches mein Vater mit mir spielte?
„Ich trage dich hin.“ Überrascht, gab ich einen gedämpften Laut von mir, da ich immer noch eine Kiefersperre tragen musste, als Lance mich auf seine Arme hob. Hektisch richtete ich meinen knielangen Rock, damit man nicht darunter sehen konnte, während er mich zum Rollstuhl trug.
Als er mich vorsichtiger absetzte, nachdem er mich angehoben hatte, drückte mir Scott meinen Block, mit einem Stift in die Hand. Morgen früh durfte ich die Kiefersperre hinaus nehmen, doch bis dahin musste ich fasten. Danach durfte ich bloß pürierte Dinge zu mir nehmen, was ich nicht unbedingt als Fortschritt meiner Heilung ansah.
>IDIOT< Schrieb ich gut lesbar, über eine ganze Seite Papier und zeigte sie Lance.
Er zwinkerte mir bloß scherzend zu, während er es Scott überließ, mich zum Empfang zu schieben, wo meine Mutter bereits die Entlassungspapiere erhalten hatte und vermutlich die Krankenhelfer in den Wahnsinn trieb. Seit sie wusste, dass Laith Gedanken lesen kann und selbst ich zu den Übersinnlichen gehöre, war sie nervöser den je. Nicht bloß, dass sie die neuen Informationen, von einer bisher verborgenen Welt verdauen musste, saß uns beiden, ihr und mir, auch noch die Angst im Nacken, dass mein Vater uns vielleicht aufsuchen könnte.
Zwar hatten wir Personenschutz, vor unserem Haus stehen und sämtliche Hinweise, die zu meinem Vater führen könnten, wurden nachgegangen, doch hatte bisher niemand Erfolg erzielt.
Was Scotts und meine schulische Leistung anging, ließ bei weitem zu Wünschen übrig. Wir hatten beinahe die Hälfte aller Tests versäumt, das konnten wir nicht mehr nachholen, daher würden wir beide, nächstes Jahr wiederholen müssen.
Falls es überhaupt ein nächstes Jahr geben würde. Die nun anstehenden Sommerferien, würden sehr lange werden. Viel länger, als dass ich es mir wünschte, da nichts Gutes bei all den Plänen herauskommen würde, die Laith und Kailee hatten.

Neue Bündnisse

 Alle zusammen, sogar die Adoptivtochter der Maxwells und meine Mutter, saßen im großen Anwesen des Familienoberhaupts McMirre.
Onkel Antonielle, saß auf einem, ihm bei weitem überragenden, Stuhl und wirkte dabei wie eine fehl platzierte Puppe. Meine Mutter unterhielt sich derweilen mit dem jungen Mädchen, welches leuchtend rotes Haar besaß und begeistert mit einer Glühbirne trainierte. Noch konnte sie ihre Fähigkeit nicht richtig kontrollieren, was darn lag, das sie noch zu jung ist. Zumindest hoffte dies Lait und Kailee.
Links von mir saß Scott, er plauderte mit Kailee, während er meine Hand hielt. Und rechts von mir saß Lance, er hatte seinen Arm um mich gelegt und half mir gerade dabei, etwas zu trinken.
Schmunzelnd trocknete er einen Tropfen, welcher meinen Mundwinkel hinab laufen hatte wollen und leckte ihn von seinen Finger. Sehnsüchtig sah ich dem Tropfen hinterher, was er wohl bemerkte, denn im nächsten Moment senkte er seinen Kopf erneut, um mich, auf meine noch empfindlichen Lippen zu küssen.
Als er sich wieder zurückzog, konnte ich nicht anders, als freudig zu seufzen.
„Na, Jungs. Habt ihr uns etwa schon vermisst?“
Drei wunderschöne, zierlich gebaute Frauen traten in das Wohnzimmer und schienen es alleine mit ihrer Anwesenheit erhellen zu wollen. Alle drei warfen synchron ihre langen Haare zurück und zwinkerten frech in die Runde, während sie ihre fimininen Rundungen, mit purer Absicht zur Schau stellten. Ich kannte die drei. Natürlich hatte ich sie noch nie gesehen, oder gesprochen, doch Scott hatte mir einiges über seine Schwester erzählt. Langsam verstand ich wieso weder Scott, noch Onkel Antonielle, jemals Lance und seine Schwestern, als Übersinnliche, im herkömmlichen Sinne bezeichnet hatte.
Alle vier, waren auf ihre eigene Art und Weise wunderschön. Sie stachen einfach von sich aus heraus, sahen perfekt aus und selbst im schmuddeligsten Outfit, konnte man diese vier Geschwister, als Könige enttarnen. Die drei Frauen waren mit Haut uns Haar Sukkubus. Auch, mein Lance, obwohl er nun mit mir zusammen war, blieb er weiterhin ein Incubus. Dass er weiterhin mit anderen flirten musste, um an seine tägliche Ration, von was auch immer er den Menschen aussaugt, zu kommen, störte mich bloß beiläufig. Eher war ich erleichtert und gleichermaßen ungläubig, glücklich, dass sich dieser einzigartige Mann, trotz meiner komplizierten Beziehung zu seinem jüngeren Bruder, Scott, an mich gebunden hatte.

 

Die Sommerferien konnten beginnen und mit ihnen ein langsam, entstehenden Schlachtplan.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 31.05.2016

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Freund, Feind und Geliebte...

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