Cover

1. Arrangierte Ehen

„Ich will ihn aber zurück! Er muss zurückkommen!“ Schrie ich laut, doch bemerkte nicht, dass ich es nicht nur im Traum tat.
„Finde dich damit ab, Kleines. Ab jetzt wird es nur noch uns drei geben.“
Strickt weigerte ich mich das zu glauben. Aber es ist doch bereits so lange her, oder nicht? „Er muss zurückkommen. Das hat er versprochen. Er hat es... geschworen! Geschworen!“ Schrie ich mir die Seele aus dem Leib.
„Delle! Halt endlich deinen verfluchten Mund!“ ein Schlag so laut, dass er wie ein Echo durch den Raum hallte, schallte, als meine Mutter die Hand gegen mich erhob und meine Wange rot färbte. „Ich hasse dich!“ Waren die letzten Worte, die ich jemals mit ihr teilte. Danach verschwand ich. Ich lief durch den nebeligen Morgen, bis ich weit entfernt an einer Bushaltestelle stehen blieb. Dort fand mich ein Polizist und nahm mich mit auf das nächste Revier. Als ich nach einem Tag endlich sagte, wer ich bin, erzählte man mir, dass meine Mutter über eine Straße gelaufen war. Wieso hatte man noch nicht geklärt. Aber das war das Letzte, was ich jemals von ihr hörte. Bis heute weiß ich das ich schuld bin, aber es hat mich nicht einmal als Achtjährige interessiert.
Mit meiner Zwillingsschwester kam ich in ein Heim. Wir hatten keine Verwandten, keine Freunde, wir kämpften uns geradezu alleine durch unser Leben. Coria sprach seit diesem Vormittag, an dem das Unglück geschah und sie fiebrig im Bett gelegen hatte, kein Wort mehr mit mir, doch wir verstanden uns auch ohne Worte. Immerhin sind wir Zwillinge, oder nicht?
Die Jahre vergingen, wir kamen an verschiedene Pflegeeltern. Niemand wollte ein schweigendes Kind. Zumindest, erschien es mir so. Aber auch das störte uns beide nicht. Wir sind Zwillinge. Unsere Wege würden selbst von unterschiedlichen Kontinenten, immer wieder zueinanderfinden. Das wussten wir. Das schworen wir uns.

 

- - - - -

 

„Edelle?“ Die Stimme meiner Adoptivmutter schreckte mich aus dem Schlaf. „Du hast schon wieder geträumt.“ Sagte sie mit einer fürsorglichen Stimme, bevor sie mich anwies zu duschen und danach zum Frühstück hinunter in die Küche zu kommen. Das tat ich, nachdem sich meine erste Verwirrung gelegt hatte. Ich band mein widerspenstiges rotbraunes Haar hoch zu einem Zopf und kämmte meine Stirnfransen schräg, vor meine Augen. So musste ich meinem älteren Adoptivbruder Sam nicht in die Augen sehen, der mich bereits seit einem Jahr immer wieder belästigt. Er hasst mich und ich ihn. So war das zwischen uns. Jedoch manchmal nachts, kam er in mein Zimmer, seit ich angebliche >weiblicher< geworden bin, und betatschte meinen Körper. Mein Adoptivvater wollte nichts von diesem >Unsinn< hören. Er meinte, das bildete ich mir ein. Dass es irgendwelche verrückten Sexträume wären. Aber ich wusste es besser. Sam wusste es ebenfalls besser.
Manchmal legte er unbemerkt eine Hand auf meinen Oberschenkel, oder umfasste eines meiner Beine mit seinen unter dem Küchentisch, wenn wir abends zusammen aßen. Ich wusste nicht, was er sich davon versprach, aber mehr als Schläge kassierte er nicht von mir. Nun, ja... verachtende Blicke natürlich ebenfalls, aber mehr konnte ich nicht tun. Ich hatte keine Beweise und war lediglich Gast in diesem Haus.
„Dell? Darf ich dein Brötchen haben?“ Fragte mein jüngerer Adoptivbruder, der gerade einmal sechs Jahre alt war.
„Nein!“ Entschied ich streng und riss es ihm aus den Fingern. Es war noch warm, vermutlich hatte es erst vor kurzem den Herd verlassen.
„Aber...“
„Henry! Lass Edelles Essen in Ruhe. Sie ist in der Pubertät und braucht die Energie.“
„Und ich bin schon in der Schule! Ich wachse auch!“ Beschwerte er sich trotzig und bekam dabei so einen herzigen Blick, dass ich schlagartig wieder weich wurde. Er hatte es eben drauf mich zu manipulieren. Genervt verzog ich das Gesicht und schnitt ihm das Brötchen auf, bevor ich es ihm wieder gab. Strahlend schmierte er sich einen Haufen Nutella darauf und verschmierte es, sodass es von allen Seiten hinunter lief. Kichernd wandte ich mich meinem Tee zu, um ihn eilig hinunter zustürzen und nahm mir aus der weißen Schale mit Obst einen Apfel heraus.
„Ich gehe schon zur Schule.“ Rief ich in die Küche. Mein Adoptivvater war bereits zur Arbeit, falls er überhaupt letzte Nacht heim gekommen ist und mein älterer Bruder, hörte noch lautstark Musik in seinem Zimmer. Aus Erfahrung wusste ich, dass ich ihn morgens nicht begegnen wollte, daher war es die Schule, an der ich ihn als Erstes morgens sah. Meist kam er sogar zu spät, sodass ich ihn erst im Unterricht, oder gar erst in der Mittagspause sehen musste. Was für ein Glück für mich.
„Edelle? Wirst du Sam einmal heiraten, wenn ihr älter seid?“ Da ich eben noch einen Biss im Mund hatte, vom Apfel, verschluckte ich mich daran und mir traten vor Sauerstoffmangel Tränen in die Augen. Was hatte er gefragt?
„Wie kommst du denn auf diesen Blödsinn?“ Fragte ich den Siebenjährigen, der sich eben fleißig versuchte, den großen Nutellafleck aus der Weste zu reiben, ihn jedoch bloß größer damit machte.
„Ich habe in der Schule von arrangierten Ehen gehört. Oder bist du meinetwegen hier her gezogen?“
Ich lebe erst seit einem Jahr hier, doch hatte den kleinen Henry mit seinen wilden dunklen Locken bereits mehr ins Herz geschlossen als alle anderen in der Schule. „Ich? Ähm...“ Begann ich, doch wusste nicht, wie ich ihm erklären sollte, was er wissen wollte. „Haben Mama und Papa nicht bereits vor einem Jahr darüber mit dir gesprochen?“ Fragte ich stattdessen.
„Doch, aber...“ Begann er und nippte an seiner Milch. „... aber Nani hat gesagt, dass manche Paare sogar bereits vor ihrer Hochzeit zusammen leben, um sich besser kennen zu lernen.“
Überrascht zog ich die Augenbrauen in die Höhe und sah, wie Henrys Mutter aus der Küche kam. Sie hatte alles gehört. „Henry! So etwas sagt man nicht einfach so laut. Wenn du Fragen hast, dann stellst du sie mir, verstanden? Edelle wird bestimmt nicht von uns zwangsverheiratet werden. Du bist viel zu jung und dein Bruder ist alt genug, um sich selbst eine Frau zu finden.“ Beschwerte sie sich über ihren Kleinen.
„Na, gut... ich denke ich, sollte dann einmal gehen.“ Entschied ich und überlegte es mir zweimal, noch einmal so ein großes Stück vom Apfel abzubeißen.
„Entschuldige, Edelle.“ Ich winkte ab. So tragisch fand ich es nicht.
„Passt schon. Aber Henry...“ Er wandte sich von seiner Mutter ab und blickte mich mit seinen großen dunklen Augen an. „Wenn ich einen von euch beiden heiraten müssten, dann würde ich nur dich nehmen. Versprochen.“
Henry verzog das Gesicht. „Igitt, du bist viel zu alt für mich.“
Dafür bekam er von seiner Mutter eine über den Hinterkopf, doch ich lachte laut. „Das war nicht nett, Henry!“
„He, vergiss nicht, ich kann kochen, räume des Öfteren hinter dir her und bin pflegeleicht. Überlege dir das also gut, eine bessere Frau als mich findest du nirgendwo.“ Drohte ich ihm und bekam dafür die Zunge hinaus gestreckt. Während ich mich abwandte, sah ich, jedoch wie er angestrengt über meine Worte nach dachte und bekam einen eindeutigen Blick von meiner Adoptivmutter. „Bis später.“ Dann ging ich und erreichte noch rechtzeitig den Bus.
Eine Haltestelle, vor der Schule stieg ich aus und traf mich mit zwei Freunden. Ein ziemlich verdrehtes Pärchen, dass in der Schule eigentlich gemieden wurde, aber ich mochte die beiden. Sie sind witzig und offenherzig. Vermutlich würden sie mit jedem befreundet sein, wenn man ihnen einmal eine Chance geben würde.
„Hey, Dell!“ Begrüßte mich Nadja und schlang ihre Arme um mich.
„Hey, Süße.“ Grüßte ich sie zurück. „Wie war euer Wochenende?“ Fragte ich und umarmte Denis genauso wie seine Freundin.
„Gut, und deines?“
Ich hob unwissend die Schultern. „Wie immer.“ Meinte ich und brachte die beiden zum Lachen. Mittlerweile kannten mich beide recht gut.
„Okay, wir haben Neuigkeiten, aber wir wollen nicht, dass du uns... hasst, oder verachtest, oder sonst etwas.“ Bat mich Nadja plötzlich und wurde schlagartig nervös. So hatte ich sie eigentlich noch nie erlebt. Es musste etwas Ernstes sein. Mit ihren braunen Augen, blickte sie hoch zu ihrem Freund Denis, welcher eine Stufe höher als sie, auf einer Treppe des Parks saß. „Ja, schon klar. Ihr wisst, ich liebe euch. Was ist denn los?“
Nadja blickte hilfesuchend zu ihrem langjährigen Freund. Wie lange sie zusammen waren, wollten sie mir nie sagen. Aber sie waren es schon mehr als drei Jahre, so viel hatte ich heraushören können. Offenbar verband sie davor noch eine langjährige Freundschaft, wodurch unklar wurde, wann aus dieser Freundschaft >mehr< wurde.
Denis nahm Nadjas Hand und rückte sie zärtlich. „Nadja ist schwanger.“ Überrascht schnappte ich nach Luft. „Ähm... du meinst.... Mit Baby und allem?“ Ich kam mir dämlich vor, nachdem die Worte aus meinem Mund waren, aber ich wusste nicht, was ich sonst fragen sollte.
„Natürlich mit Baby! Was denkst du denn?“ Erkennend zog ich die Augenbrauen hoch.
„Ach deshalb habt ihr mich letzte Woche an geschnorrt!“ Erkannte ich und schlug mir gegen die Stirn. Mir war es zwar seltsam vor gekommen, dass sie mich um Geld baten, da ihnen so etwas sehr unangenehm war, aber ich liebte diese beiden Idioten so sehr, dass ich ihnen sogar mein letztes Hemd geben würde. Oder sogar ihrem Baby.
„Ja, wir waren uns nicht sicher und wollten dass du die...“ Mit einem Freudenschrei fiel ich Nadja um den Hals und küsste sie schmatzend auf die Wange.
„Hättet ihr was gesagt... ich hätte euch das ganze Geld aus einer Bank gestohlen, ihr beiden Idioten!“ Schimpfte ich mit tränenden Augen und zog nun auch Denis heran, um ihm auch einen Kuss auf die Wange zu geben.
„Kein Wort von wegen wir sind zu jung und den ganzen Scheiß?“ Fragte Denis geradezu ungläubig. Mit seinen bulligen Körper konnte er glatt als Footballspieler durchgehen, doch sein Charakter ähnelte dem eines verunsicherten schüchternen Nerds. Auch musste er eine Brille tragen, wenn er nicht gerade seine Nase vor dem Pc hatte.
„Was? Das ist mir doch egal. Bei jedem anderen, ja, da würde ich schimpfen, aber... ihr seid das beste Pärchen, das ich kenne und... das ist so unglaublich romantisch!“ Stieß ich hervor und umarmte beide gleich noch einmal. Nadja brach währenddessen sogar in Tränen aus. Sie schien unglaublich erleichtert zu sein, dass ich so locker damit umging.
Wir schwänzten zusammen die erste Stunde und redeten die ganze Zeit darüber, wie es passiert ist, was sie sich überlegt hatten und dass sie mich definitiv als ihren Paten für das Kind haben wollten. Klar, ich bin noch jung und konnte schwer die Verantwortung über so ein süßes, kleines Leben übernehmen, wenn sie plötzlich starben, aber auch ich würde älter werden.
„Was haben eure Eltern gesagt?“
Beide sahen auf den Boden. Offenbar hatten sie noch überhaupt nichts gesagt. Zu niemanden. „Dann solltet ihr euch beeilen, sonderlich lange habt ihr ja nicht Zeit. Außer dem je länger ihr wartet, umso hässlicher wird es.“ Ich kannte die Eltern der beiden nicht, doch stellte mir vor, wenn ich ein Kind hätte, dann würde ich so früh wie möglich wissen wollen, das sie selbst Eltern werden, damit ich ihnen helfen konnte.
„Ich weiß noch nicht... wie wir das machen. Wir müssen uns selbst erst daran gewöhnen.“ Gab Denis kleinlaut zu.
Seufzend stimmte ich ihnen zu. Gerade in ihrem Alter konnte so etwas ein großer Schock sein. Immerhin sind sie erst siebzehn. Und ja, vermutlich sollte ich mehr mit ihnen schimpfen und ihnen ins Gewissen reden, aber ich freute mich viel zu sehr für sie, als dass ich jetzt die böse Tante Edelle spielen konnte.
„Danke, Delle.“ Schniefte Nadja. „Danke, dass du es so gut aufnimmst.“ Sie fiel mir wieder in die Arme und weite so sehr, dass sich Denis etwas unbehaglich fühlte. Jedoch genau dafür sind doch Freunde da, oder? Um sich gegenseitig ein Ohr zu leihen, einen Rat zu holen, oder eine helfende Hand.

2. Blut und Kotze

Zum Unterricht erschien ich erst so um die Mittagszeit. Denis und Nadja waren nach Hause gegangen, da es ihnen unangenehm war, jetzt noch unter den ganzen Spießern zu sitzen.
In der Klasse erwartete mich eine Standpauke. Genauso wie im Büro des Direktors, aber da es normal für mich war hin und wieder zu spät zu kommen, hatte man es schon lange aufgegeben mich noch belehren zu wollen. Dafür waren meine Tests einfach viel zu gut.
„Sieh an! Sieh an! Das währte Prinzesschen, beehrt uns ja doch noch mit ihrer Anwesenheit.“ Spottete mein Adoptivbruder mit einer solch vor Sarkasmus triefenden Stimme, dass ich nicht wie gewöhnlich einfach weiter ging, sondern stehen blieb.
„Wie bitte?“ Fragte ich, so unschuldig wie es mir möglich war, und legte etwas dümmlich meinen Kopf schräg, sodass einige lose Strähnen meine Wangen streiften.
„Ich habe gefragt, seit wann sich unsere geehrte Prinzessin dazu bereit fühlt, sich von ihrem hohen Ross zu schwingen und unter dem gemeinen Volk zu wandern.“
Fragend legte ich die Stirn in Falten. Ich musste nun wirklich nicht jeden Dreck verstehen, den er von sich gab, oder? „Sprich erst wieder mit mir, wenn du in diesem Jahrhundert angekommen bist.“ Die Augen verdrehend ging ich weiter durch die Aula, doch Sam packte mich grob am Arm, während andere aus seiner Clique belustigt kicherten.
„Pass auf, dass du dir nicht die falschen zum Feind machst.“ Drohte er mit einer tiefen Stimme und kam mir so nahe, dass ich seinen Atem auf meiner Haut fühlen musste. Ekelhaft!
„Pass lieber auf, dass deine Finger keine Abdrücke hinterlassen, sonst muss ich dich anzeigen.“
„Wegen was?“ Fragte er herausfordernd.
„Übergriffige Handlungen. Sexuelle Belästigung. Mobbing. Mir würden da einige Punkte einfallen.“ Nichts das ich es nachweisen könnte, oder irgendjemand dies bezeugen. Bestimmt würden alle für ihn aussagen, aber das war mir im Moment egal.
Ein begeistertes Lächeln zog sich über Sams Lippen, bevor er meinen Arm wieder losließ, doch nicht zurückwich. Noch einen Moment blickte ich ihm herausfordernd in die dunklen Augen, die genauso aussahen wie die seines kleinen Bruders und wünschte mir, dass der kleine Henry, immer diesen süßen Charakter behalten würde und sich nicht, wie Sam, als ein bösartiges Ekel entpuppte.
Mit einem Laut, der ausdrückte, was ich von ihm hielt, wandte ich mich von ihm ab und verschwand in die Richtung meines Klassenzimmers. Was sollte das denn? Mich einfach so anzugehen, mitten am Flur? Nur gut, dass nicht mehr Leute, außer seine kleine Clique da gewesen sind, oder gar ein Lehrer. Andererseits, betrachtete man, dass er angefangen hatte und mich sogar bedrohte, hätte er bestimmt einigen Ärger erhalten. Zur Abwechslung einmal.
Polternd ließ ich mich auf meinen Stuhl des Klassenzimmers sinken und warf die Tasche achtlos auf den Tisch. Dort kramte ich mein Handy hervor und verband es mit meinen Kopfhörern. Laut drang monoton des Basses in meine Ohren, während ich meinen Kopf auf der Tasche bettete und meine Augen schloss um mich somit von den forschenden Blicken meiner Klassenkollegen auszuschließen.
Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, doch ein Blick in die Augen meiner Lehrerin, sagten mir, dass die Mittagspause definitiv zu Ende sein musste. Mahnend stand sie mit einem aufgeschlagenen Buch vor meinem Pult und deutete auf meine Tasche. „Wenn ich Sie bitten dürfte ihr Mathebuch aus Ihrer Tasche zu nehmen und die Seite dreiundsechzig aufzuschlagen.“
Stöhnend beendete ich meine Playlist und steckte die Kopfhörer in meinen Ausschnitt, damit sie mir nicht im Weg waren, während ich, wie gefordert, mein Mathebuch hervorholte. Auf der gewünschten Seite stand eine Gleichung, die ich im Kopf lösen musste und hatte prompt die richtige Antwort.
Resigniert und durchaus nicht begeistert darüber, dass ich die Antwort gewusst hatte, drehte sich meine Mathelehrerin um und schritt nach vorne zur Tafel. „Gut, dass wenigstens auf Ihr Gehirn verlass ist, Miss Black. Ansonsten hätten Sie ja überhaupt keine nutzbaren Fähigkeiten.“ Da ich leider genau diese Lehrerin im Sport hatte, wusste sie genau, wovon sie sprach und benutze keine waghalsigen Floskeln, wie Sam.
Einige Schüler warfen mir Blicke zu, die mir sagten, dass ich schon wieder etwas falsch gemacht hatte, aber das war mir egal. Die alle waren mir egal. Alles was für mich zählte, waren die wenigen Monate zu meinem Geburtstag, den ich sehnlichst erwartete.
Im selben Moment, in dem die Klassenlehrerin etwas Neues an die Tafel schrieb, wurde mir heftig in den Rücken getreten. Mit einem verkniffenen Aufschrei drehte ich mich nach der schuldigen Person um. „Was soll das?“ Fragte ich ein blondhaariges Mädchen, das eben noch in ihrem Buch geschrieben hatte und mich nun ansah, als wäre ich verrückt.
„Was denn?“
Der nächste Schlag traf mich so hart, dass ich von meinem Stuhl flog und unsanft auf dem Hintern landete. Was... Noch ein Schlag traf mich, aber dieses Mal in den Magen. Da ich eben erst etwas gegessen hatte, würgte ich gepeinigt mein Essen wieder hinauf.
„Igitt!“ Schrien diejenigen, die mir am Nächsten waren und wichen erschrocken vor mir zurück, während neugierige Nasen näher kamen.
„Was soll das? Was bezwecken... Oh mein Gott!“ Mich hatten bereits mehrere unsichtbare Schläge im Gesicht getroffen, sodass ich mir vorkam wie ein Sandsack. Wo kamen diese Schläge her? Wieso half mir denn niemand? Hatten sie etwa Angst vor mir?
Dicke Ströme von Blut liefen plötzlich an meinem Hals hinab und ergossen sich auf dem Boden und meinem Shirt. Meine Hose weichte in der warmen Flüssigkeit ein, aber ich konnte keine Ausgangsstelle finden. Es schien, als würde das Blut einfach unter meiner Haut hervorkommen. War so etwas möglich?
Dann brach das Chaos los und mehrere schrien Wild. Das war der erlösende Moment, in dem ich mein Bewusstsein verlor.

 

- - - - -

 

 

„...normal. Kein Blutverlust.“ Hörte ich die Stimme einer Frau an meinem Ohr. Irgendetwas drückte an meinem Oberarm, dann ertönte ein >Ratsch< und er war fort.
Verwirrt wollte ich meinen Arm fortziehen, doch ich fühlte mich viel zu schwach dafür. „Sie ist wach!“
Die Stimme war viel zu plötzlich und viel zu laut, sodass ich genervt zischte. „Halt die Klappe!“ Bat ich und griff mit meiner anderen Hand an meine Stirn.
„Miss? Wissen Sie, wie sie heißen?“
Ich nickte. Was für eine dumme Frage. „Black. Edelle Black.“
„Oh, Delle!“ Das war die Stimme meiner Adoptivmutter. Gezwungen öffnete ich die Augen und fand mich in einem weißen, beinahe sterilen Raum wieder. „Wie geht es dir? Wie fühlst du dich? Tut dir etwas weh?“ Ihre Stimme überschlug sich geradezu vor Sorge, während ich hinter ihr Sam gelangweilt mit dem Handy spielen sah. Henry saß zu meinen Füßen am Bett und betrachtete mich voller Sorge.
„Kommt darauf an. Wenn ihr aufhört zu reden, dann hören vielleicht auch die Schmerzen auf.“ Plötzlich lachte meine Adoptivmutter und klang dabei ehrlich erleichtert.
„Okay, ihr geht es gut. Sie ist immer noch sie selbst.“ Bestätigte sie dem Arzt, der links neben mir stand und mich besorgt ansah.
„Ich besorge ihnen gleich eine Kopfschmerztablette, aber vorher möchte ich gerne wissen, was passiert ist.“ Bat er höflich, aber bestimmend und zog sich einen Suhl heran, als würde das jetzt länger dauern. Jedoch da sich der Arzt nun setzte, erkannte ich zwei uniformierte Männer welche hinter ihm, an der Türe standen.
Wie ein weiter Schlag kamen meine Erinnerungen an den Zusammenbruch zurück. „Was... Was ist passiert? Wer hat mir das angetan?“ Fragte ich und mein Blick fiel sofort auf Sam, der mich völlig entgeistert anstarrte.
„Sieh mich nicht so an. Ich war nicht einmal im selben Klassenzimmer!“ Beschwerte er sich und sprang auf, um den Raum zu verlassen. Als er fort war, seufzte ich erleichtert.
„Also? An was erinnern Sie sich?“
Da mein Schwindel langsam nachließ und das Gefühl in meinen Körper zurückkehrte, setzte ich mich auf und bewegte vorsichtig jeden Zentimeter meines Körpers, während ich sprach. „Ich bin abgemahnt worden, weil ich im Klassenzimmer geschlafen habe. Dann trat mich plötzlich jemand in den Rücken. Ich dachte, das Mädchen hinter mir sei es gewesen, aber sie schien vollkommen irritiert von meiner Anschuldigung zu sein. Während ich sie ansah, traf mich der nächste Schlag und ich fiel vom Stuhl. Danach bekam ich Schläge ins Gesicht, in den Magen, wodurch ich mich übergab und dann fing ich plötzlich an zu bluten, als würde man mich ausbluten lassen. Das war alles.“ ich sagte es so monoton, als würden wir über die Farben von irgendwelchen langweiligen Gemälden sprechen, nicht über etwas, das überhaupt nicht sein konnte.
„Nun, ja. So wie Sie es schildern, scheint es passiert zu sein. Jedoch kann ich es nicht medizinisch erklären. Das Blut haben wir annualisiert, es ist definitiv Ihres, aber es scheint keinerlei Austrittsstellen zu existieren. Mehrere Schüler schwören sogar Knochen brechen gehört zu haben, aber es gibt weder Brüche noch irgendwelche Fraktionen. Können Sie sich das erklären?“
Ich? „Sehe ich aus, als hätte ich bereits studiert?“ Fragte ich sarkastisch und hörte, wie Henry kicherte. „Ich will wissen, was da mit mir passiert ist!“ Forderte ich und fixierte dabei die beiden Polizisten mit einem strengen Blick.
„Das Versuchen wir auch herauszufinden, Miss Black.“ Schworen sie und traten näher an mein Bett heran. „Aber... wir wissen nicht, wo wir anfangen sollen. Das Blut konnten wir nachweisen, auch dass es Ihres ist, nur nicht woher es kommt, wieso alle in der Klasse gleichzeitig gesehen haben, wie sie misshandelt wurden, doch nicht einmal einen blauen Fleck davon getragen haben.“
Das konnte nicht einmal ich mir erklären. Ja, als Kind hatte ich öfters einmal gespürt, wenn meine Schwester gestürzt ist, aber das war mehr ein emotionaler, eingebildeter Schmerz und niemals war strömendes Blut dabei... Andererseits.
„Meine Schwester!“ Schrie ich entsetzt. „Mein Schwester!“ Wiederholte ich, als alle mich verständnislos ansahen.
„Ähm... Ich denke, Edelle meint damit ihre Zwillingsschwester. Sie sind beide Adoptivkinder und wurden getrennt.“ Erklärte meine Adoptivmutter, den Ärzten und Polizisten.
Sofort murmelten sich die Poliszisten etwas zu und notierten es sich. Danach verschwand einer der beiden einfach aus dem Raum. Vermutlich um sich über sie zu erkunden.
„Ihr ist bestimmt etwas passiert! Bitte! Sie müssen meine Schwester finden. Ihr Name ist Coria Black. Bitte! Sie darf nicht tot sein!“ Bettelte ich und der Polizist erklärte, dass alles in Ordnung kommen würde, und verabschiedete sich eilig, um seinem Partner hinterherzukommen.
„Was... was ist, wenn etwas mit ihr passiert ist? Wenn ich ihre Schläge gespürt habe... oder ihren... ihren...“ Vor lauter Tränen bekam ich das Wort nicht über die Lippen. Oder lag es am Schock? Meine Schwester, tot? Nein! Das durfte einfach nicht wahr sein. Nicht Coria. Nicht sie!
„Keine Sorge, Edelle.“ Meine Adoptivmutter legte mir ihre Hand auf meine und drückte sie aufmunternd. „So etwas ist nicht möglich. Ja, Zwillinge haben vielleicht eine engere Verbindung als andere Geschwister, aber dass du spürst, wie sie geschlagen wird und dass man denkt, dass deine Rippen brechen, ist einfach unmöglich.“ Auffordernd blickte sie zu dem nachdenklichen Arzt. „Oder, Doktor?“
Überrascht, dass das Wort an ihn gerichtet wurde, blickte er auf und nickte eilig. „Ja, natürlich. Ich meine, mich zu erinnern, dass es bereits Meldungen gab, dass Zwillinge ein besonderes Band teilen können, dass manche sogar über ihre Gedanken miteinander sprechen könnten und so etwas, das ist unmöglich. Vielleicht dass ein Zwilling spürt, wie, oder wann der andere stirbt, aber ganz bestimmt nicht in diesem Ausmaß.“ Ich wusste nicht, ob das nun beruhigend sein sollte, oder ein schlechter Scherz.
Meine Adoptivmutter sah das wohl genauso wie ich und schüttelte genervt den Kopf, bevor sie wieder beruhigend auf mich einsprach.
Den restlichen Tag verbrachte ich hier in der Klinik. Man wollte mich beobachten. Vermutlich war das nur ein anderes Wort dafür, dass sie sehen wollten, ob ich ihnen einen echt üblen Streich gespielt hatte. Als ob mir so etwas einfallen würde!
Zumindest Sam behauptete, dass ich das Ganze inszeniert hätte, um Aufmerksamkeit zu erregen. Dafür hatte ich eine Schwester gebeten meinen >Bruder< aus dem Zimmer zu verbannen. Ich wusste jetzt schon, dass ich dafür leiden werden muss wenn ich nach Hause zurückkehrte. Dieser Gedanke beunruhigte mich die ganze Nacht, mindestens so sehr, wie der Gedanke daran dass meine Schwester tot sein könnte.
Müsste ich es denn nicht eigentlich wissen? Spüren, dass etwas von mir fehlt, etwas das bereits vor meiner Geburt da war?
Sie ist mein Zwilling. Wie oft hatte meine Mutter mit uns darüber gesprochen, wie wichtig wir einander sein mussten, wie besonders unsere Verbindung ist, wie einzigartig. Es gab kein Wegmaß, dass uns trennen konnte. Weder das >hier und jetzt<, noch das >danach<. So wurden wir erzogen. An dem hielt ich fest. Egal für was mich Coria verantwortlich machte, oder wie sehr sie mich hassen musste... Zwilling ist und bleibt Zwilling.

3. Das Zeichen des Ungehorsams

Gegen Morgen bekam ich Frühstück, wartete auf die Visite und durfte gegen Mittag nach Hause. Es war mein Adoptivvater, der mich abholte, wobei er jedoch kaum mehr als fünf abgehakte Wörter mit mir sprach. Dachte er etwa ebenso wie sein Sohn, dass ich mir einen schrecklichen Scherz erlaubt hatte?
Demonstrativ, sah ich während der ganzen Zeit aus dem Auto, doch sah nicht wirklich die Landschaft oder die Häuser. Auch ignorierte ich die normalerweise schöne Aussicht auf den Sylvan Glen Lake Park von Troy in, der direkt an den Golfplatz anschloss. Michigan ist eigentlich ein recht ansehnliches Land, doch das einzige, an was ich dachte, war der Moment, an dem Coria aufgehört hatte zu reden, zu lachen, zu schimpfen. Nun bereute ich es, mich so sehr auf das Schicksal verlassen zu haben.
Zurück im Haus, bedankte ich mich für das Abholen. Mein Adoptivvater musste wieder ins Büro zurück und hatte für mich seine Mittagspause etwas ausdehnen müssen. Die beiden Jungs waren in der Schule und meine Adoptivmutter war ebenfalls auf der Arbeit. Somit war ich nun alleine zuhause.
Traurig gestimmt, da ich mich irgendwie nach dem ansteckenden Lächeln von Henry sehnte und dem aufmunternden Blick seiner Mutter, schlüpfte ich aus den Schuhen, brachte meine Schmutzwäsche in den Keller und überlegte, ob ich etwas kochen sollte. Vielleicht, um es wieder gut zu machen?
Nun, ja ich hatte ja nichts Besseres zu tun, daher lief ich schnell hinauf in mein Zimmer um mir einen bequemen Trainingsanzug zu holen, doch erstarrte, noch während ich in mein Zimmer kam. „Scheiße! Was suchst du denn hier? Du müsstest in der Schule sein!“ Schimpfte ich mit Sam, der gemütlich in meinem Bett lag und... mein Tagebuch las? „Gib das sofort her!“ Schrie ich und wollte es ihm aus der Hand reißen, aber er hielt es außerhalb meiner Reichweite.
„Normalerweise begrüßt man jemanden, wenn man nach Hause kommt. Wurdest du nicht anständig erzogen.“ Zog er mich mit einem gehässigen Lächeln auf.
„Nein, meine aggressive Mutter muss etwas falsch gemacht haben!“ Gab ich bissig zurück und schnappte noch einmal nach meinem Tagebuch, ohne ihm zu nahezukommen. Erfolglos. Mit seinem langen Körper, mit dem er beinahe wie zwanzig Jahre aussah, nahm mein gesamtes Bett ein.
„Du bist aber ungezogen heute. Sind wir etwa launisch?“ Stichelte er weiter und schob mein Tagebuch unter seinen Hintern, als würde dieses Gespräch noch etwas länger dauern.
„Ja! Bin ich. Jetzt verpiss dich aus meinem Zimmer, oder ich gebe Abführmittel in dein Abendessen!“ Drohte ich und deutete zur Zimmertüre. Besonders hatte ich mein Zimmer nicht eingerichtet. Mit meinen braun gestrichenen Wänden und den hellen Möbeln wirkte es, als wäre es bloß eine vorübergehende Bleibe, doch wenn man mich genauer kannte, wusste man, dass es dies auch war. Eine vorübergehende Bleibe.
„Das ist aber schade, ich hätte so gerne den Nachmittag mit dir im Bett verbracht.“ Scherzte er wieder und lächelte noch breiter.
„Nur über meine Leiche!“ Gemütlich lehnte er sich in meinem Bett zurück. Das machte mich rasend. „Was willst du, Sam? Sag was in deinem mickrigen Gehirn vor sich geht, dann verschwinde endlich!“
Er dachte offensichtlich nicht daran, sondern klopfte neben sich auf das Bett. „Komm schon, nur ein paar Minuten.“ Bettelte er belustigt über meinen Gesichtsausdruck.
„Nein!“ Er nervte schon, wenn wir nicht alleine waren. Ich wollte mir nicht ausmalen, was mich erwartete, wenn wir uns alleine im Haus befanden. Ich konnte nicht einmal reagieren, so schnell streckte er sich nach meinem Arm aus und zog mich kurzerhand zu sich auf das Bett. Mit einem Aufschrei landete ich unsanft auf ihm. Offenbar war ich ungut in seinem Magen gelandet, denn er verzog das Gesicht, als täte ihm etwas weh.
Schnell ergriff ich meine Chance, da ich ein Stück meines Tagebuches bei seinem Rücken erkennen konnte und zog es hervor. Jedoch zum Aufstehen kam ich nicht mehr. Sam nahm mir das Buch wieder weg, warf es achtlos auf den Boden und rollte uns beide auf der dunklen Bettdecke herum, sodass nicht ich auf ihm lag, sondern er auf mir. Das hatte mir jetzt noch gefehlt!
„Geh runter von mir, wenn dir deine Geschlechtsteile etwas Wert sind!“ Drohte ich und versuchte ihn von mir zu schieben, doch er bewegte sich keinen Millimeter. Manchmal hatte ich das Gefühl, als wäre er ein unbesiegbarer, doch frecher und arroganter Stein.
„Oh, meine Geschlechtsteile sind mir wirklich sehr viel Wert und keine Sorge, an jemanden wie dich würde ich sie niemals verschwenden.“ Sollte mich das Beruhigen, oder beleidigen? Vermutlich beides? Teilweise... „Aber ich bin neugierig. Du schreibst in dein Tagebuch, als wäre es ein Brief an deine Schwester. Was ich herauslesen konnte, hasst sie dich, also wieso machst du dir diese Mühe?“
Darüber wollte er sprechen? Als ob ihn das irgendetwas angehen würde. „Das geht dich einen Scheiß an!“
Sam sah das anders. „Sei nicht so zickig.“ Bestand er und rutschte etwas zur Seite, damit er seine Hand an meine Hüfte legen konnte.
„Nimm deine dreckigen Finger von mir, oder ich reiß sie dir einzeln aus!“ Wieder eine leere Drohung, aber ich hasste diesen Kerl so sehr, dass mir diese Gedanken einfach zu gut gefielen.
„Dann sag mir, was ich wissen möchte.“ Seine Hand rutschte ein Stück höher und schob mein Shirt zur Seite, sodass seine Hand auf nackte Haut traf. Scharf zog ich die Luft ein, da ich es wie die Pest hasste, wenn er so etwas tat. Aber aus Erfahrung wusste ich, wenn ich ihm sagte, was er wissen wollte, dass er dann von mir abließ.
Daher tat ich das, was ich am besten konnte. Ich log. „Wir haben den Kontakt verloren. Wir haben uns gestritten, bevor wir getrennt wurden, da ich mehr an die Zwillingssache glaube als sie.“
„Das ist kein Grund, um einander zu hassen.“ Bemerkte er und schob seine Hand ein Stück weiter, sodass sie auf meinen Rippen zu liegen kam.
Verzweifelt versuchte ich, ihn wegzuschieben aber erreichte genau nichts. „Sam! Ich will das nicht, jetzt lass mich endlich gehen.“ Bat ich.
„Wenn du mir sagst, was ich wissen will, sonst muss ich dich bestrafen.“ Sein Gesichtsausdruck veränderte sich von scherzend auf ernst, während er seinen Blick vielsagend über meinen Körper wandern ließ.
„Dann verklage ich dich, sodass du in alle Ewigkeit im Gefängnis verkommst!“ Schrie ich ihn an und schob weiter an seiner unbeweglichen Hand herum. Was sollte nur der ganze Scheiß? Wollte er mich einschüchtern? Geschafft hatte er es ja, was wollte er denn noch?
„Komm schon. Nur eine kleine Geschichte. Was ist zwischen dir und deiner Schwester passiert? Ich verrate es auch nicht weiter.“ Versprach er fälschlich und das wusste ich. Wenn ich ihm das sagte, würde ich keinen einzigen Tag mehr, ohne seinen unnötigen gehässigen Spott leben dürfen.
„Fahr zur Hölle, du mieses Schwein!“ Schrie ich ihn an und schlug nach seiner Nase, aber er fing einfach meine Hand ab, als wäre sie eine lästige Fliege. „Lass mich sofort los!“ Verlangte ich. Das konnte doch nicht wahr sein, dass man jemanden dermaßen belästigte.
Wieso nur ich? Ich hatte doch schon genug damit zu tun, mich nicht verrückt zu machen, ob meine Schwester noch lebt, oder nicht.
„Na, gut. Dann muss ich dich eben bestrafen.“ Noch bevor ich verstand, was er vorhatte, packte Sam meine Handgelenke mit einer Hand und ließ seine andere Hand meinen Körper wieder hinab wandern.
„Wage es ja nicht! Wenn du jetzt noch weiter gehst, werde ich es deinen Eltern erzählen und dich verklagen!“ Drohte ich weiter, aber es nutzt nichts. Ob er mir überhaupt zuhörte?
Sam rutschte hinab, sodass sein Kopf auf meiner Hüfthöhe lag und öffnete den Knopf an meiner Hose. „Sam! Hör auf!“ Schrie ich wieder. Lauter. „Sam!“ Ich trat, so fest ich konnte gegen seinen Oberkörper, doch auch damit schien er umgehen zu können. Rutschte wie wild herum, versuchte meine Hände zu befreien und ihn zu schlagen, aber war zu schwach. Ich bin zu schwach! Das wurde mir nun ernsthaft bewusst. Nie hätte ich gedacht, dass mir jemand so etwas antun könnte.
Aber wieso? Wieso tat er so etwas? Das hatte Sam nicht einmal nötig. Viele Mädchen schwärmten für ihn. Er hatte sogar von Zeit zu Zeit eine Freundin, die er auch mit nach Hause nahm, oder die sich nachts bei ihm einschlichen, woraufhin ich mit Kopfhörern einschlafen musste, um sein dummes Gestöhne in dem Zimmer neben mir nicht zu hören.
Wieder meines Erwartens, schob Sam meine Hose nicht hinunter, sondern legte nur den Bund meiner Unterhose frei. Darauf wartend, was er nun tun würde, blickte ich auf den Scheitel seines Kopfes und spürte wie sich seine Lippen an meinem Bauchnabel bewegten. Ein heißer Schauder folgte. „Keine Angst, wie gesagt, auf diese Weise würde ich dich niemals anfassen. Auf jemanden wie dich lasse ich mich bestimmt nicht ein.“ Lachte er und ich fühlte, wie sich mein Herz schmerzhaft verzog.
Er jagte mir solche Angst ein, um mich dann als Wertlos darzustellen? „Au!“ Da ich es einerseits erleichternd fand, dass er mich nicht vergewaltigen würde, doch andererseits demütigend, dass er mich so bloßstellte, überraschte es mich umso mehr, als ich plötzlich seine Zähne in meinem Fleisch spürte.
So fest, dass ich sogar mein eigenes Blut spüren konnte, biss Sam in meine Haut, rechts neben meinen Bauchnabel, knapp über meinem Höschen und hinterließ einen schmerzenden Abdruck. „Du Scheißkerl! Was bildest du dir überhaupt ein? Du bist doch gestört! Hässliches Aas!“ Ich schimpfte gegen meine Tränen ankämpfend, was mir eben in den Sinn kam und versuchte mich gegen das saugende Gefühl auf meiner Haut zu wehren.
„Hör auf damit! Hör sofort auf!“ Schrie ich und bekam sogar endlich eine Hand los. So fest ich konnte, schlug ich Sam auf den Hinterkopf, doch brachte ihn zum Lachen, während er von seinem Knutschfleck abließ und mich endlich frei gab.
So schnell ich konnte, krabbelte ich unter ihm hervor und schloss vorsichtig meine Hose. Was sollte das denn? Entsetzt betrachtete ich die Bisswunde, die sich unter dem Bluterguss gut ablichtete und wie das Blut langsam meine Hose rot tränkte.
„Du hast sie doch nicht mehr alle! Du bist verrückt und... Du gehörst doch eingeliefert“ schrie ich weiter, während Sam ungerührt mein Zimmer verließ.
An der Türe blieb er noch einmal stehen und deutete auf mein Buch. „Du bist nur eine überhebliche Zicke. Kein Wunder, dass dich deine Schwester hasst.“ Dann ging er.
Mit rasendem Herzen und tränenden Augen starrte ich die Stelle an, an der er eben verschwunden war und schniefte laut. Was sollte das für eine Strafe sein? Was interessierte es ihn überhaupt an, was zwischen mir und meiner Schwester vor sich ging?
Zitternd sank ich auf mein Bett und erinnerte mich wieder, dass dieser Fleck unheimlich schmerzte. Zischend stieß ich die Luft aus und schob meinen Hosenbund etwas zur Seite. „Verdammte Scheiße!“ Fluchte ich noch einmal und öffnete den Knopf wieder. Das linderte den Schmerz etwas. Trotzdem konnte ich es nicht verstehen. Wie kam man nur auf die Idee, jemanden in den Unterleib zu beißen? Was für ein krankes Spiel war das? Darüber würde ich definitiv mit seiner Mutter sprechen müssen, denn so konnte er nicht mit mir umspringen. Wer konnte ahnen, zu was er noch alles fähig war?

4. Abendessen mit Überraschung

Nachdem ich meine Wunde versorgt und etwas Leichteres angezogen hatte, ging ich hinunter in die Küche, schaltete das Radio ein und begann mit dem Kochen. Henry würde in einer Stunde aus seiner Nachhilfe kommen. Seine Mutter holte ihn dann ab und zusammen wären sie in zirka eineinhalb Stunden hier.
Sorgfältig schnitt ich das Gemüse und kochte die Reispäckchen, während ich Fisch marinierte und zum Schluss anbriet. Zwar mochte ich Fisch nicht wirklich, doch diese Familie fand sichtlich gefallen daran. So gab es statt Fleisch viel häufiger Fisch. Für mich selbst schnitt ich Zucchini und marinierte sie, genauso wie den Fisch.
„Oh! Hier riecht es aber gut!“ Staunte Henry, nachdem er in die Küche lief, um mich zu umarmen. Überrascht von seiner offenen Zurschaustellung von Zuneigung, umarmte ich ihn ungelenk, da meine Hände schmutzig waren. Dann drehte er um und lief in sein Zimmer.
„Ist alles in Ordnung mit ihm?“ Fragte ich, als seine Mutter in die Küche kam und genüsslich schnupperte.
„Ja, er hat nur einen Streit zwischen seinem Vater und mir gehört. Jetzt hat er Angst, dass wir dich wieder wegschicken.“ Sie sagte es ohne groß um den Brei herumzureden und mein Herz setzte einen Schlag aus. Nicht das ich es nicht bereits gewohnt war von einer Familie in die nächste gesteckt zu werden, doch... diese Familie mochte ich sehr. Nun, ja. Die einen mehr, die anderen weniger, aber so war das doch in einer Familie. Oder nicht? Außerdem sind es nur noch ein paar Monate, dann bin ich endlich volljährig und konnte außerhalb Sams Reichweite kommen.
„Und?“ Fragte ich und versuchte nicht enttäuscht zu klingen. „Was habt ihr entschieden?“
Sie seufzte theatralisch und nahm auf einem der Barhocker platz, während sie mir beim Kochen zusah. „Das er ein Idiot ist.“ Gab sie plötzlich zu und brachte mich zum Lachen.
„Oh? Okay, damit hatte ich jetzt nicht gerechnet.“ Gab ich meinerseits zu und versuchte mein Lächeln, etwas zu verstecken.
„Nun, ja. Du kennst ihn ja mittlerweile. Er übertreibt gerne und fährt leicht aus der Haut. Aber er ist ein Mann, der zu seinen Fehlern steht und dafür liebe ich ihn ja... aber manchmal weiß ich nicht wie ich überhaupt auf die Idee gekommen bin einem fremden Kind, so einen Mann zuzumuten.“
Das verstand ich ehrlich gesagt ebenfalls nicht. „Was meinst du?“ Ich drehte die Herdplatte zurück und wandte mich ihr nun gänzlich zu.
„Adam ist einfach nicht gut im Umgang mit Fremden. Diese Adoption wollte er ohnehin nie, ich habe mich darüber hinweg gesetzt, da ich Teenagern, wie dir einfach helfen wollte. Es sind doch nur zwei oder drei Jahre und jedes Kind, egal in welchem Alter, hat es verdient, zumindest, ein paar gute Erfahrungen zu machen. Dieses Heim wollte ich dir und in Zukunft auch anderen bieten können.“
„Und der Staat zahlt gut.“ Fügte ich scherzend hinzu, was sie nun grinsen ließ.
„Ja! Das auch, doch darum ging es mir nicht. Ich weiß selbst nicht wie ich auf diesen Gedanken gekommen bin, aber ich bin sehr froh, dass ich es getan habe. Ich mag dich sehr gerne und du tust Henry wirklich gut. Er sieht dich bereits als Schwester an.“
„Was bei deinem Mann und Sam nicht so ist, aber das verstehe ich.“ Ich meinte es ehrlich. „Es gibt einfach Menschen, mit denen kommt man aus, mit anderen nicht. So ist das im Leben. Außerdem gebe ich mich jedem zufrieden, solange ich nicht geschlagen werde.“
Meine Adoptivmutter verzog das Gesicht, doch wirkte erleichtert. „Gut, dass wir das geklärt haben. Also sind wir uns einig, dass du nicht von hier weggehst, auch wenn Sam und mein Mann... vielleicht etwas anstrengend werden könnten?“
Ich hob unwissend die Schultern. „Wenn ich ihnen kontra geben darf?“ Handelte ich aus und sie nickte.

 

- - - - -

 

Das Abendessen verlief ziemlich schweigend. Der Einzige der wirklich redete, war Henry. Er plapperte und plapperte, sodass es überhaupt nicht auffiel, dass eine angespannte Stimmung im Raum herrschte. Den Abwasch musste Sam übernehmen, ganz zu seinem Unwillen. Henry wurde währenddessen in sein Zimmer mit einer Schüssel Eis geschickt und wir anderen drei, setzten uns in das Wohnzimmer.
Eigentlich nur die beiden Eltern, aber ich wollte nicht alleine oben sein. Wer weiß, was Sam noch alles einfallen könnte? Zudem hatte ich mich dagegen entschieden etwas von Sams Aktion zu berichten, da der Haussegen auch ohne seine Missetaten schief hing.
Ich hörte zwar nicht bei den Sendungen zu, die Sams Vater sah, doch löste derweilen meine Hausaufgaben. Gähnend streckte sich seine Frau neben ihm auf der Couch aus und legte ihre Füße auf sein Schoß, was ihn zum Schmunzeln brachte. Sie so zu sehen, erregte ein bisschen meinen Neid. Zwischen meinen Eltern war es niemals so gewesen. Sie verachteten sich mit jeder Faser ihres Seins. Umso zorniger war ich, als Papa einfach... verschwand und fühlte kein Mitleid, als Mama starb.
>...Polizisten tot aufgefunden worden. Der Tatverlauf ist noch nicht geklärt worden, doch es handelte sich eindeutig um Mord.<
Was? Zwei Polizisten? Im selben Moment in dem ich meinen Kopf in die Richtung des Fernsehers drehte, schreckte meine Adoptivmutter auf und blickte den Fernseher so ernst an, als würde er ihr gleich das größte Geheimnis alle Zeiten offenbaren. „Habt ihr das gesehen?“ Fragte sie schockiert. „Das waren doch die beiden Polizisten im Spital, als Dell den Zusammenbruch hatte.“
Zusammenbruch? Das war alles, aber kein Zusammen... nun, gut. Vielleicht ein kleiner... mit viel Blut...
„Ja, ich rufe mal eben am Revier an, sieh du im Internet nach.“ Mein Adoptivvater reichte seiner Frau das Tablet, auf dem er eben noch getippt hatte und ging in die Küche telefonieren.
„Ich habe nicht richtig aufgepasst, was haben sie gesagt?“ Sofort nahm ich den Platz meines Adoptivvaters ein und sah auf das Tablet.
„Sie haben heute Morgen zwei Polizisten verstümmelt in einer alten Lagerhalle aufgefunden. Ich suche gerade den Bericht.“ Erklärte sie leicht abgelenkt, die richtige Information zu finden. „Ah! Ich hab es.“ Sie vergrößerte den Ausschnitt und las grob vor. „Zwei Polizisten... beide männlich und aus unserer Stadt... Das Alter interessiert niemanden...“ Trotz der Situation musste ich schmunzeln, wie einfach sie überflüssige Informationen aussortierte. „Hier steht eigentlich nur, dass die beiden bereits identifiziert sind, niemand weiß wieso sie in der Halle waren. Sie sind ausgeblutet gewesen... an den Füßen an einen Stahlträger gebunden... anscheinend gefoltert... Oh, mein Gott! Das ist ja grauenhaft! Kein Wunder, dass sie das in den Nachrichten nur mit dem Tod andeuten durften.“
Sie zeigte mir ein Bild, das offensichtlich heimlich aufgenommen worden war. Es zeigte die beiden Polizisten mit aufgeschlitzten Hälsen und an den Beinen aufgehängt. Woran erkannte man auf dem Bild nicht, trotzdem brannte es sich hinter meiner Stirn ein.
So war es doch Coria auch ergangen, oder? Ausgeblutet!
„Aber was hatten sie da zu suchen? Denkst du, sie hatten eine Spur?“ Das ich eigentlich schockiert sein sollte, dass mir meine Adoptivmutter ein solches Bild zeigte war mir in diesem Moment ziemlich egal.
„Ich weiß es nicht. Aber es steht auch, dass es nicht der Tatort ist, also der Ort wo sie ermordet worden sind.“
Also sollten diese beiden Polizisten jemand finden. „Eine Warnung?“ Fragte ich ganz in das Thema vertieft.
„Ich glaube, ja. Aber wer würde so etwas Schreckliches tun?“ Ihre Stimme klang plötzlich regelrecht verzweifelt und traurig, als ob es bekannte von ihr gewesen wären. Andererseits, verstand ich es auch. Ich empfand genauso Mitleid, mit den Hinterbliebenen so wie den Opfern der Tat. Sie mussten furchtbar gelitten haben.
„Ich habe mit dem Revier telefoniert, sie dürfen uns keine Auskünfte geben. Aber sie schafften es deine Schwester offenbar ausfindig machen. Zumindest die letzten Adoptiveltern. Coria scheint seit einem Jahr verschwunden zu sein.“
Meine Adoptivmutter und ich sahen ihn gleichzeitig sprachlos an. Meine Schwester, verschwunden? Wieso? Das konnte nicht stimmen!
„Nein! Coria könnte nicht weglaufen. Sie spricht nicht einmal.“ Versuchte ich, ihn zu erinnern, doch er zog lediglich die Schultern hoch.
„Ich weiß nicht, was im Kopf deiner Schwester vor geht, es tut mir leid. Aber mehr Antworten habe ich leider nicht bekommen. Probier es vielleicht einmal bei deinem Betreuer.“
Mit meinem Betreuer hatte ich bereits seit einem halben Jahr nicht mehr gesprochen. Ich hatte ihn ständig weg gedrückt, da ich nicht ständig über meine Gefühle sprechen wollte, denn das wurde mir langsam viel zu lästig. Außerdem gab es nichts, über das ich mich beschweren wollte. Nun, ja. Nichts worüber ich mit ihm sprechen könnte.
„Okay, ich rufe ihn gleich einmal an.“ Schnell sprintete ich die Treppen hoch und schloss die Türe hinter mir. >Rufen Sie mich bitte unverzüglich an< schrieb ich ihm eine Nachricht und sendete sie.
Es dauerte keine zwei Minuten, da rief er mich an. „Edelle! Wie schön dass du dich endlich wieder einmal meldest. Ich wollte diese Woche bei euch vorbeikommen, du antwortest nämlich nie auf meine Anrufe.“ Er klang sogar ein wenig beleidigt und ich fühlte mich schuldig.
„Es tut mir leid, aber... ich hatte viel zu tun.“ log ich und ließ mich auf mein Bett sinken.
„Na, gut. Dann holen wir eben die letzten fünf Monate nach. Wie ist es dir ergangen...“
Barsch unterbrach ich ihn. „Wieso hast du mir nicht gesagt, dass Coria verschwunden ist?“
Für einige Sekunden, die sich zu einer Minute hinzogen, herrschte eisiges Schweigen. Ich wartete auf eine Antwort und er suchte sie. Vermutlich ist so etwas nichts, was man am Telefon besprach, doch ich wollte Antworten, und zwar jetzt! „Gael! Bitte, ich muss alles wissen! Ich habe es gespürt! In der Schule wurde ich geschlagen, mitten im Unterricht, doch niemand hat etwas gesehen, oder jemanden. Ich habe mich übergeben und war blutüberströmt, bevor ich das Bewusstsein verloren habe. Das ist alles meiner Schwester passiert, habe ich recht?“ Meine Stimme zitterte bei jedem Wort, während Gael seufzend die Luft auf der anderen Seite des Hörers ausstieß.
„Na, gut. Ich habe es aber selbst erst vor ein paar Wochen erfahren, du weißt, ich bin nicht mehr für sie zuständig.“
Erwartend schwieg ich.
„Coria kam vor zwei Jahren zu einer Nonne. Sie verstanden sich auch ohne Worte recht gut und sie schien... glücklicher zu sein als bisher. Ihre Adoptivmutter bekam sie sogar so weit, dass sie ihren Namen sagte so wie die Wörter >Bitte< und >Danke<. Aber vor einem Jahr fing sie plötzlich an, sich seltsam zu benehmen. Was das bedeutet, weiß ich nicht, das konnte mir mein Kollege nicht sagen. Jedenfalls kam sie kaum noch nach Hause, log ob sie die Schule besuchte, log wenn sie sich mit jemandem traf. Sie war einfach wie ausgewechselt.“ Für einen Moment verstummte er, als würde jetzt das Schlimmste kommen. „Dann, eines Abends, schrie sie sogar. Sie sprach, als hätte sie nie etwas anderes getan. Brüllte dass alle unwissend seinen und dass sie das alles für ein höheres Wohl tat, oder so ähnlich. Die Nonne nahm an, dass sie verrückt werden würde, und wollte mit ihr zu einem Arzt gehen, doch seitdem kam Coria nicht mehr heim. Niemand weiß wohin sie verschwunden ist und da sie... nun, ja du weißt schon...“
Ja, ich wusste, was er sagen wollte „Coria ist nur eine von tausend Waisen. Es ist jedem egal, wenn es einen Schnorrer weniger gibt.“
Gael stritt es nicht, ab doch klang so als wäre es ihm unangenehm. „Die Polizei suchte nicht lange nach ihr und stempelte sie als eine Ausreißerin ab. Mehr konnte niemand tun.“ Konnte? >Wollte< traf es hierbei wohl eher.
„Also weiß man nicht, ob sie tot ist? Also nicht offiziell?“
„Nein, tut mir leid. Aber jetzt zurück zu dem Vorfall in der Klasse. Was meinst du damit, dass dich jemand geschlagen hätte?“
Widerwillig erzählte ich ihm von dem Vorfall und dass ich heute Mittag erst heimkommen durfte. Ich erzählte ihm auch, dass es definitiv mein Blut gewesen wäre, das den Boden vollgesaut hatte, so wie meine Kleidung, doch irgendwie auch nicht, denn ich hatte trotz der Menge keinen Blutverlust erlitten.
„Sie können es nicht erklären?“ Fragte Gael.
„Nein, wie denn auch? Ich bin ab jetzt ein medizinisches Rätsel.“ Ich legte falschen Humor in meine Stimme um begeistert zu klingen, doch Gael durchschaute mich.
„Mach dir nichts daraus, Dell. Ich komme morgen vorbei und dann reden wir, okay? Ich rufe schnell deine Adoptiveltern an, damit du die restliche Woche zuhause verbringen kannst.“
„Danke.“
„Du weißt, du kannst immer zu mir kommen, in Ordnung?“
Ich sagte nichts darauf, sondern wartete bis er auflegte. Ohne Gael würde ich vermutlich bereits ein drogenabhängiger Nichtsnutz sein. Er war es, der mich ermunterte, neue Familien fand und mich sogar manchmal bei ihm hatte übernachten lassen, als mir das Waisenhaus zu viel wurde. Gael war so zu sagen, mein Licht am Ende des dunklen Pfades. Irgendwie wünschte ich mir, dass er sogar heute schon kam, mich in den Arm nahm und mir sagte, dass nichts weiter Schlimmes passieren würde.
Diese Nacht fiel ich weinend und vollkommen erschöpft in einen traumlosen Schlaf.

5. Vertraute Personen

Vor zehn kam ich nicht aus dem Bett. Erschöpft und am Ende jeden Willens schleppte ich mich hinunter ins Erdgeschoss und wärmte mir einen Becher mit Milch. Zum Essen bekam ich nichts hinunter, auch die bereit gestellten Kekse, reizten mich nicht. Das Einzige was meine Stimmung nun heben konnte, war Gael.
Es dauerte noch eine weitere Stunde, bis er endlich, leicht abgehetzt vor unserer Türe erschien und mich besorgt musterte. „Alles in Ordnung? Du siehst so erschöpft aus.“ Waren seine ersten Worte an mich, bevor er eintrat und seinen Mantel ablegte.
„Schlecht geschlafen.“ Sagte ich lediglich und ließ mich in seine Arme fallen, kaum dass er aus den Schuhen war. „Huch... da hat mich wohl jemand vermisst.“ Scherzte Gael und drückte mich liebevoll. Ich kannte ihn nun bereits seit fünf Jahren. Im Grunde also war ich die erste Waise, der er sich angenommen hatte. Mit vierundzwanzig hatte er sich schon aktiv daran beteiligt Kinder in eine gute Familie unter zu bekommen, so wie sein Vater es tat und wurde somit von Vater an Sohn weiter gegeben. Zumindest irgendwie....
Ich hatte schon immer bei ihm das Gefühl gehabt, dass ich mich sicher und verstanden fühlen durfte. Gael war mir seitdem eigentlich der wichtigste Mensch und ich hatte ihn immer ein wenig bewundert. Niemals schien er sonderlich genervt von irgendwelchen Launen zu sein und reagierte immer diplomatisch, in jedem Streit.
„Entschuldige, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe.“ Entschuldigte ich mich. Natürlich nervte mich sein therapeutisches Geschwafel, aber das machte ihn irgendwie aus.
„Schon gut, ich bin dir bestimmt nicht böse. Aber sag mal... wann bist du denn so groß geworden?“ Peinlich berührt wich ich einen Schritt vor ihm zurück und musste schmunzeln.
„Ich bin nicht so viel gewachsen!“ Beteuerte ich und führte ihn ins Wohnzimmer. „Doch! Das bist du. Wie alt bist du jetzt? Siebzehn?“ Überlegte er und erinnerte sich richtig. „Dann bist du ja schon beinahe eine erwachsene Frau. Wahnsinn, als ich dich übernommen habe, warst du noch so klein und niedlich.“ Scherzte er und ließ sich neben mir auf das Sofa sinken.
„Ach? Klein und niedlich?“ Stichelte ich. „Und was bin ich dann jetzt? Groß und abscheulich?“
Sofort legte er mir wie früher eine Hand auf den Kopf und tätschelte ihn. „Groß? Ja, aber abscheulich bestimmt nicht. Du siehst richtig gut aus. Hast du denn schon einen Freund?“
Rot werdend wandte ich den Blick ab. „Nein...“ Gab ich zu und spielte nervös mit meinem Longshirt. Ob ich vielleicht zu aufreizend gekleidet war? Immerhin ist Gael ein Mann und ich kein kleines Mädchen mehr.
Normalerweise lief ich auch nie mit einer kurzen Hose herum, doch das war die Einzige, die tief genug saß, sodass der Bund nicht auf meine Wunde drückte. Das Longshirt verdeckte dafür wie tief diese Hose saß.
„Macht nichts, das ist auch besser so, dann muss ich mir keine Sorgen um dich machen. Nun, ja zumindest nicht ständig.“ Scherzte er und griff nach einem der beiden Gläser, die ich bereits vorbereitet hatte.
„Du machst dir Sorgen um mich?“ Fragte ich erstaunt. „Hier geht es mir eigentlich ganz gut, deshalb habe ich mich auch nicht gemeldet. Es gab einfach nichts zu berichten.“
Beleidigt verzog er das Gesicht. „Ich hätte trotzdem gerne etwas von dir gehört. Nicht nur wenn du schlecht behandelt wirst, sondern auch von Zeit zur Zeit, egal wie du dich fühlst. Es sind nur noch ein paar Monate, dann hast du überhaupt keinen Grund mich noch anzurufen.“ Beschwerte er sich und stieß mich freundschaftlich mit der Schulter an.
„Hast du nicht genug andere Kinder, um die du dich kümmern musst?“ Wie könnte ich ihn denn ständig beschlagnahmen, wenn es dort draußen Kinder gab, die wesentlich dringlicher mit ihm sprechen mussten und seine Betreuung brauchten?
„Keine die mir so nahe stehen wie du.“ Gab Gael zu und legte einen Arm um mich um mich zu sich zu ziehen.
Sofort ließ ich mich wieder in eine Umarmung fallen, vergaß dabei sogar meine Sorgen wegen Sam. Die schienen nun viel zu weit weg zu sein. Unwichtig.
Seufzend legte ich meine Arme um ihn und wurde wieder von dem wohlbekannten Geruch nach Zigaretten und altem bedruckten Papier erfüllt. Danach roch sogar seine Wohnung und hatte mich immer ein wenig gestört. Heute jedoch empfand ich es als vertraut und angenehm.
„Verdammt, wo ist nur das kleine Mädchen von vor fünf Jahren hin?“ Kicherte er an meinem Scheitel und hauchte mir einen Kuss aufs Haar. „Jetzt passt du kaum noch in meine Arme! Werde sofort wieder zwölf!“ Befahl er und brachte mich damit zum lachen. „Als ob ich das könnte!“ Beschwerte ich mich und sah zu ihm auf. Gael hatte sich kaum verändert. Er war immer noch der gepflegte Betreuer, der sich immerzu Sorgen um seine Waisenkinder machen musste. Jedoch hatte er eine Sache geändert. „Du hast ja einen Bart!“
Lachend fuhr er sich über den kunstvoll gestalteten Kinnbart. „Ja, mich wundert es ja, dass du mich noch nicht dafür ausgelacht hast.“
Ich erinnerte mich, wie ich mich immer über Männer mit Bart lustig gemacht hatte, sogar den Weihnachtsmann hatte ich verspottet, als er mich das erste Mal zu Weihnachten in einem Einkaufszentrum zu einem gebracht hatte. Der Weihnachtsmann jedoch hatte es Humor genommen und gemeint, sobald er wieder zuhause am Nordpool sei, würde er ihn abrasieren. Ich hatte es ihm geglaubt!
Ab diesem Weihnachten, hatte ich Gael ohne jemals wieder darüber nachdenken zu müssen vertraut und das bis heute.
„Gael... ich brauche deinen Rat.“ Die Worte kamen aus meinem Mund, ohne dass ich sie aufhalten konnte. Ich musste einfach mit jemanden darüber sprechen und wer eignete sich da besser, als er?
„Wenn ich einen habe, dann teile ich ihn gerne mit dir.“
„Versprich aber nicht wütend zu werden, okay. Es ist halb so schlimm, als dass es aussieht.“ Bat ich und schob mein Shirt etwas hoch. Als ich das Band meine kurze Hose öffnete, hielt er mich plötzlich auf. „Moment! Was machst du da?“ Ich spürte, wie ich rot wurde unter seinem plötzlich strengen Blick. „Definitiv nichts davon was du jetzt denkst!“ Stieß ich hervor, doch dann sah Gael bereits den Rand des Pflasters und schien sich zu schämen.
„Okay... aber erschrecke mich ja nie wieder so! Verstanden?“
Immer noch rot wich ich seinem Blick aus. „Wenn ich dir das versprechen soll, dann kann ich dir das nicht sagen, was ich unbedingt mit jemanden besprechen muss.“
Damit hatte ich seine Aufmerksamkeit nun vollkommen und er deutete mir die Verletzung zu zeigen.
Zum Glück saß sie nicht so tief, als dass es mir peinlich sein würde, aber dennoch tief genug, sodass es Gael unangenehm war. Vorsichtig öffnete ich das Pflaster und nahm es ganz ab. Ich musste es so wie so wechseln. „Verdammt! Wie ist, dass den passiert?“ Gael schien weder schockiert noch besorgt zu sein, sondern regelrecht wütend.
Kleinlaut erzählte ich von meinen >Zusammenstöße< mit Sam und dass er mich zur >Strafe< gebissen hätte, da ich ihm nicht sagen wollte, was mit meiner Schwester und mir los war.
„Tut es denn sehr weh?“ Zögerlich legte er einen Finger auf den Bluterguss, der die Bisswunde umso besser zur Geltung brachte und fuhr die Einkerbungen nach. Verbissen versuchte ich, ihm nicht zu sagen, wie sehr schon alleine diese Berührung weh tat, alleine deshalb, da seine kühlen Finger wohl auf der verletzten Haut taten.
„Nur wenn ein Hosenbund zu stark drückt, oder ich das Bein anwinkeln möchte.“ Gab ich ausweichend zu.
„Willst du, dass ich mit ihm darüber rede?“ Ich schüttelte demonstrativ den Kopf. „Nein, es ist schon... in Ordnung.“
Tadelnd blickte mir Gael in die Augen. „So etwas ist nicht >in Ordnung<! Willst du, dass ich dir erst helfe, wenn er so weit geht, dass er dich vergewaltigt, oder schlägt?“
Betroffen senkte ich den Blick. Er hatte ja recht. Aber ich schätzte trotz allem Sam nicht so ein, als ob er so etwas machen würde. „Nein, natürlich nicht.“ Musste ich trotz allem zugeben. „Aber ich habe doch so wie so nur noch ein paar Monate. Ich kann ihm aus dem Weg gehen, vielleicht bei einer Freundin übernachten...“
„Oder bei mir!“ Warf er ein. „Wie du schon sagtest, es sind nur noch ein paar Monate. Wenn du willst, hole ich dich hier ohne Erklärung heraus und du wohnst bei mir, bis du volljährig bist.“
Ich wusste genauso gut wie er, wie absurd das war. Man würde nicht erlauben, dass ein Betreuer seinen Schützling im eigenen Haus aufnahm. Natürlich ginge es für ein oder zwei Tage, doch nicht für Monate!
Betroffen schüttelte ich den Kopf. „Nein, danke Gael. Die Monate überlebe ich jetzt auch noch.“ Bestätigte ich ihm und wir lachten noch etwas zusammen. Artig vermied er es, noch einmal auf das Thema >Sam< zu kommen, und lenkte mich sogar vor meinen Schmerzen ab.
Erst als es an der Türe hektisch klopfte, bemerkte ich, wie schnell die Zeit vergangen war. Eigentlich sollte ich schon längst das Abendessen kochen. Mist!
„Ähm... bleibst du noch zum Abendessen?“ Fragte ich, während ich zur Türe eilte, doch Gael folgte mir und verneinte.
„Ich muss wieder los, tut mir leid.“ Mit ihm zu sprechen tat immer gut. Es war fast so, als wäre er tatsächlich mein Verwandter, der sich um mich sorgte. Nun, ja. Letzteres tat er bestimmt.
„Ja?“ Fragte ich durch die Türe, da ich nicht öffnen durfte, wenn ich nicht wusste, wer draußen stand. Gael warf mir einen verwirrten Blick zu und ich streckte ihm die Zunge heraus, was ihn zum Lachen brachte, während er seine Schuhe band. „Ich bin es, Süße. Lässt du mich rein, oder soll ich hier erfrieren?“ Schmunzelnd öffnete ich die Türe und wurde von einer dicken, eisigen Jacke umarmt. Darunter steckte meine beste Freundin.
„Hallo Nadja, was machst du denn hier?“ Auffordernd hielt sie mir eine Tasche voller Schulnotizen und Aufgaben hin. „Deshalb.“ Erklärte sie und kicherte. Erst danach bemerkte sie, dass sich hinter mir jemand anzog.
„Uh!! Wo hast du denn den Schnuckel versteckt? Der ist ja echt heiß!“ Stieß sie ohne Schamgefühl hervor. Nur Gael und ich wurden etwas rot.
„Ähm... danke.“ Bemerkte Gael und zog die Augenbrauen hoch. Ich kannte diesen Blick, das bedeutete, dass er einfach ernst bleiben würde und diese Neckerei überhören wollte. „Ich bin übrigens Gael. Edelles Betreuer.“ Er räusperte sich und reichte Nadja die Hand.
Sie ergriff diese mit einem anerkennenden Schmunzeln. „Nett Sie kennen zu lernen. Ich bin Nadja und ab jetzt denke ich werde ich auch zur Waisen, wenn ich dann Sie zum Betreuer bekomme.“ Lachend tat er das ab. „Ich glaube so, funktioniert das leider nicht, tut mir leid. Aber ich habe es jetzt ehrlich eilig.“ Hatte er bestimmt, aber nicht wegen eines Termins, sondern da ihm das Gespräch zu peinlich wurde. Tja, auch Betreuer konnten eine echt niedliche Seite haben.
Verdammt an was dachte ich denn da! Innerlich ohrfeigte ich mich und umarmte Gael steif zum Abschied. „Bis bald.“
„Spätestens an deinem Geburtstag!“ Erinnerte er mich, dass ich mich mehr melden sollte, dafür streckte ich ihm gleich noch einmal die Zunge heraus.
„Verschwinde.“ Lächelnd winkte er Nadja, zum Abschied und setzte sich die Haube wieder auf um sie tief ins Gesicht zu ziehen, bevor er hinaus in die bald winterliche Kälte ging.
„Willst du mich verarschen!“ Schrie Nadja aus und zog ihre Jacke aus. „Der ist ja unglaublich niedlich! Hast du seine roten Wangen gesehen? Er ist wahrlich ein Traummann!“ Stichelte Nadja sofort weiter und brachte mich dazu die Augen zu verdrehen.
„Er ist neunundzwanzig!“ Erinnerte ich sie. „Und ich erst siebzehn. Danke ich verzichte.“
Nadja verdrehte die Augen. „Ich sage, ja nicht dass du ihn heiraten sollst, aber... sieht er ohne Shirt auch so heiß aus?“
Kurz dachte ich an meine Kindheit zurück. Da hatte ich ihn öfters, wenn ich bei ihm geschlafen habe ohne Shirt gesehen, aber da war ich höchstens dreizehn! Aber... Nein! Sie musste nicht alles wissen. „Was weiß ich. Er ist mein Betreuer, nicht mein Bruder.“
„Umso besser!“ Zusammen gingen wir in die Küche und suchte die Lebensmittel zusammen, die ich für einen Auflauf brauchen würde. „Was meinst du?“
„Stell dich nicht dumm. Du bist bald achtzehn.“ Stellte sie fest und klang so, als würde sie jeden Moment auf etwas hinweisen wollen. „Du kennst ihn... wie lange? Seit Jahren? Er sieht echt heiß aus und das will was heißen, wenn ich das sage!“ Ich schmunzelte. „Zudem muss er ein sensibler Kerl sein, bei diesem Beruf, er hat einen festen Job, Zukunftsperspektiven, bestimmt eine eigene Wohnung oder so etwas. Was willst du mehr?“
Seufzend hielt ich inne. „Gael ist nicht... >so<.“ deutete ich an.
„Ach, erzähl mir nichts, egal wie alt er ist, jeder gibt einem heißen Teenie nach, wenn sie sich ihm an den Hals wirft.“
An den Hals werfen? Davon war ich weit entfernt, auch wenn ich seine Hand auf meiner Haut genossen hatte. Aber das konnte auch nur an dem kühlen Gefühl auf meiner Verletzung gelegen haben.
„Oh! Da ist doch was. Erzähl es mir! Erzähl!“ Begeistert klatschte Nadja in die Hände und funkelte mich regelrecht an. „Da ist nichts, Nad. Es war... einfach nur schön ihn nach Monaten wieder zu sehen. Mit ihm zu reden, war schon immer schön für mich. Er ist... wie ein älterer Bruder. Das ist alles.“
Sie glaubte mir kein Wort. „So einen Blick bekommt kein Mädchen, wenn sie an ihren Bruder denkt.“
Blick? Ich und einen speziellen Blick? „Unsinn. Bilde dir da nichts ein. Er ist mein Betreuer und ich mag ihn. Aber nicht auf romantische Weise!“ Fügte ich schnell hinzu, als sie den Mund öffnete um etwas über das >mögen< zu sagen.
„Spielverderberin.“ Beschimpfte sie mich und bewarf mich mit einem Küchentuch. Lachend legte ich es zur Seite. „Okay, sag schon. Weshalb bist du hier?“ Sie hätte meine Schulsachen auch einfach Sam mit geben können.
„Ich hatte heute meinen ersten Ultraschall.“
Sofort vergaß ich alles was mich in den letzten Tagen besorgt, oder erfreut hatte. Diese Nachricht toppte einfach alles! „Erzähl! Hast du ein Foto? Weiß man schon das Geschlecht?“ Ich weiß, es ist absurd, da sie erst in den ersten Wochen ist, aber ich war einfach so neugierig und aufgekratzt. Ich musste alles wissen!
Nadjas Gesichtsausdruck wurde traurig. Irgendetwas stimmte nicht. „Die Tests waren falsch.“ Sagte sie schlicht.
Sofort fiel sämtliche Freude von mir ab und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Nicht das ich für Teenagerschwangerschaften stimmen würde, aber das hier ist meine beste Freundin, mit dem besten Mann aller Zeiten, der zudem auch noch mein bester Freund ist. Ein Baby von den beiden... das wäre einfach ein Traum.
„Es ist... mein Baby... oder das, was ich mit gewünscht habe, dass es ist, ist lediglich... eine Infektion im Urin. Deshalb haben alle Tests positiv angezeigt. Ich habe jetzt Antibiotikum bekommen.“
Eine Infektion? Mein Herz sank bis zum Grund der Erde. „Eine... Infektion?“ Wiederholte ich laut und hörte selbst wie traurig ich klang. „Aber... der Arzt kann doch nicht einfach sagen, dass euer Baby eine Infektion ist!“
Abweisend zuckte sie mit den Schultern. „Ist aber leider so.“
„Aber... ist doch egal, oder?“ Fragend sah sie mich nun doch an. „Vergiss das, was der Arzt gesagt hat. Der ist ein Arsch!“ Stellte ich fest und schlug mit der Faust auf den Tresen. „Ihr seid ein echt tolles Paar, ihr habt noch... eine paar viele tausend Tage Zeit und fünfzig mal so viele Stunden um euch um ein richtiges Baby zu bemühen!“ Bei diesen Worten wurde Nadja leicht rot und musste doch schmunzeln. „Ich weiß, ich weiß. Es ist nur so, auch wenn wir noch jung sind, wir haben uns beide ganz ehrlich darauf gefreut. Er... Denis ist, meine große Liebe, das weiß ich. Und ein Baby mit ihm... das wäre einfach der ultimative Traum. Natürlich wäre es nicht einfach, aber mit ihm habe ich das Gefühl einfach alles zu schaffen.“
Ich legte meinen Arm um Nadja und drückte sie liebevoll. „Ich wünsche euch auch alles gute dafür. Ganz ehrlich. Ich könnte mir keine besseren Eltern vorstellen. Und bist dahin... könnt ihr beide doch mich adoptieren, oder nicht? Dann wäre ich die große Schwester von dem zukünftigen >dem da<.“ zärtlich legte ich meine Hand auf ihren Bauch und streichelte vorsichtig darüber.
Schniefend wischte sich Nadja Tränen fort. „Okay... du hast recht. Wir sind jung und... wir haben noch so viele andere Möglichkeiten, wie wir unseren zukünftigen Kindern erzählen können, wo sie gezeugt wurden.“ Langsam nahm sie wieder eine selbstsicherere Haltung ein und lächelte sogar.

6. Paranoid?

„Ach... das siehst vielleicht du so! Aber ich bestimmt nicht!“ Schrie ich empört und warf ein Handtuch über seinen Kopf.
„Mach doch nicht so einen Wind, du bist ja nicht einmal ausgezogen.“ Winkte Sam ab und stieß mich zur Seite, um sich die Zähne putzen zu können. Das ist doch die Höhe! Das ganze Wochenende hatte ich es geschafft ihm größtenteils aus dem Weg zu gehen. Irgendwie schien er sogar abwesend zu sein und ignorierte mich, sodass ich langsam das Gefühl bekam paranoid zu sein. Jedoch ausgerechnet jetzt, wo ich doch immer um dieselbe Zeit ins Badezimmer ging, während er noch tief vor sich hin schnarchte, bildete er sich ein, ebenfalls aufstehen zu müssen und sich die Zähne zu putzen. Das machte mich wieder einmal wahnsinnig!
„Hätte ich aber sein können. Man platz nicht einfach so in ein Badezimmer, wenn jemand anderes darin ist!“
Resigniert seufzend verdrehte er die Augen. „Nerv mich nicht in aller Früh.“ Ging er mich an und steckte die Zahnbürste in den Mund.
Ich ihn? Der stimmte doch nicht richtig im Kopf. „Ich bin immer um dieselbe Zeit im Bad, jeder hat seinen eigenen Plan, da kannst du doch nicht einfach so hinein platzen!“
Sam schien das Gespräch bereits als beendet zu sehen und machte sich weiter fertig, rasierte sich nass über den Bartansatz, während ich versuchte ihm nicht zu nahe zu kommen und mich selbst für den kommenden Schultag zurechtzumachen.
Gleichzeitig verließen wir das Badezimmer und kehrten in unsere eigenen Zimmer zurück. Was sollte das denn? Sonst benahm er sich doch auch nicht so. Besonders nicht früh morgens. Hatte er etwa seine >Periode<?
Innerlich genervt, zog ich mich um und lief wieder hinunter in das Erdgeschoss, wo mich meine Adoptivmutter verwirrt musterte. „Wieso wart ihr denn heute gleichzeitig im Badezimmer? Sonst verschläft doch Sam immer seine Wecker.“ Bemerkte sie irritiert und reichte mir einen Teller.
„Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hat er die Nacht durch gemacht, hat seine Periode, oder versucht zum braven Jungen zu mutieren.“ Eigentlich war davon lediglich der erste Punkt plausibel, doch der letzte brachte Henry prustend zum Lachen, sodass ihm die Milch aus der Nase schoss.
Ich musste sofort mitlachen und zeigte mit dem Finger auf ihn. „Dell! Das ist nicht lustig. Henry! Jetzt kannst du dich schon wieder umziehen.“ Schimpfend trocknete sie die Nase ihres Sohnes, wobei ich getrost darauf verzichtete sie noch einmal anzusehen und mich ihrem verärgerten Blick auszusetzen, während sie Henry auf sein Zimmer schickte, sich frisch einzukleiden. Ich beschloss, auf das restliche Frühstück zu verzichten, und zog mich fertig an. Gerade als ich meinen Herbstmantel zu knöpfte, hörte ich Sams Schritte, die Treppen hinunter poltern und sprang regelrecht aus dem Haus. Dabei vergaß ich jedoch meinen Schal, wie ich eine Sekunde später feststellen musste. Fluchend entschied ich dass ich die zwanzig Minuten zur Schule auch ohne Schal, oder gar Erfrierungen überleben würde und eilte die Einfahrt hinunter.
Mit großen Schritten ging ich an der Bushaltestelle vorbei, da ich das ganze Wochenende im Haus geblieben war, daher wollte ich das letzte schneefreie Wetter genießen, solange ich konnte. Zudem hatte ich noch über eine halbe Stunde bis ich zum Unterricht musste, wieso also nicht die Zeit mit gehen vertrödeln?
Nach knapp zehn Minuten, jedoch bereute ich es bereits. Dicke Rauchschwaden stiegen von meinem Mund auf, während ich tief aus atmete. Zitternd steckte ich meine Finger tief in die Taschen meines Mantels und legte den Kopf an, sodass mein Hals nicht zu sehr abkühlte. Vielleicht hätte ich doch eher zu meinem einzigen Wintermantel greifen sollen, jedoch lag dieser noch tief vergraben in meinem Koffer im Schrank meines Zimmers. Bisher hatte ich mir nicht die Mühe gemacht meine Sommerkleidung, mit der für den Winter auszutauschen. Weshalb ich jetzt auch eine dicke Strumpfhose mit einer kurzen Hose trug. Aber dafür hatte ich hohe Stiefel gewählt! Immerhin etwas...
Ich blieb stehen und blickte zurück. Sollte ich vielleicht noch einmal zurücklaufen und doch meinen dickeren Mantel holen? Aber dann müsste ich mich schlussendlich doch noch beeilen. Fluchend entschied ich, den Rest zur Schule nun auch zu schaffen, als mir ein bekanntes Gesicht in den Blick fiel, da er gerade eben um eine Hausecke kam. Unsere Blicke trafen sich und ich funkelte ihn wütend an, während sich bei ihm ein belustigtes Lächeln ausbreitete.
„Sieh an, wer sich da den Hintern abfriert.“ Zurück war der Sam, den ich bisher kennen gelernt hatte. Resigniert seufzte ich und drehte mich um. „Jetzt warte doch, dir ist bestimmt kalt.“ Bat er, doch sein Unterton gefiel mir nicht, daher ging ich einfach weiter. Hinter mir beschleunigte Sam seine Schritte und holte mich locker ein. „Geh weg, mir ist nicht kalt!“ Log ich, als er zu mir aufschloss. „Mach dich nicht lächerlich, Dell. Hier, nimm zumindest meinen Schal.“ Kurzerhand blockierte etwas weiches meine Sicht und brachte mich zum Stoppen. Sam drehte mich zu sich und wickelte seinen Schal um meinen Hals. „Die rote Nase steht dir.“ Schmunzelte er, als er fertig war und sein >Werk< bewunderte. Zu allem Überfluss musste ich mir auch noch eingestehen, dass es mir mit seinem Schal tatsächlich wieder wärmer wurde und ich vergrub mein Gesicht, bis zur Nase in dem warmen Stoff.
Seufzend stieß ich die Luft aus, doch brachte es nicht über mich, >danke< zu sagen. Das ging gegen meine Grundeinstellung... mehr oder weniger.
Als ich jedoch wieder einatmete roch ich zum ersten Mal seit ich hier in dieser Stadt lebte etwas unglaublich Angenehmes. Der Geruch erinnerte mich stark, an das Haus in dem ich leben durfte, doch dahinter, also hinter dem typischen Waschmittelgeruch, lag auch noch ein anderer. Ein eindeutig Menschlicher. Verwirrt sog ich noch einmal, dieses Mal Tiefer, die Luft ein und erkannte wieso es mir so vertraut vor kam. Es war Sams Geruch. Hatte er schon immer so gut gerochen und wieso konnte ich ihn so einfach zuteilen? Vielleicht trug er ein Parfum? Rasierwasser? Nein, das wäre alles intensiver. Dieser Geruch war definitiv von der Haut einer Person, an der sie normalerweise lag.
Da ich immer noch wie erstarrt dastand und vor mich hin dachte, was ich mit dieser Information anfangen sollte, legte Sam seine Hand auf meinen Rücken und schob mich langsam neben sich her. „Schlaf nicht ein hier, sonst erfrierst du wirklich noch.“ Scherzte Sam.
Ich ignorierte seinen eigentlich nicht gerade dummen Rat, als meine Aufmerksamkeit auf etwas an meiner Stirn gelenkt wurde. Fragend blickte ich auf, als noch etwas auf mein Gesicht traf. Auch Sam blickte im selben Moment auf und grinste noch breiter als bisher. „Sieh mal. Es schneit endlich.“ Stellte er fest und streckte seine freie Hand aus, um eine Schneeflocke aufzufangen, die sofort in seiner Hand schmolz.
„Wird auch Zeit, wir haben schon bald Dezember.“ Zwar hatte es bisher immer knapp zwei bis fünf Grad gehabt, aber so richtig unter den Nullpunkt ist es nie gefallen.
Sam deutete auf etwas an meiner linken Seite. „Die Wolke zieht direkt auf uns zu. Bis zu Mittag sind wir bestimmt eingeschneit.“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich glaub nicht, der Boden ist sicher noch zu warm. Das dauert noch mindestens ein oder zwei Tage, bis der richtig liegen bleiben kann.“ Heute war der erste Tag, an dem es schneite, da würde er bestimmt nicht liegen bleiben.
„Nun, ja. Hauptsache wir haben weise Weihnachten, damit ich deinen Kopf in den Schnee stecken kann.“
Die Augen verdrehend nahm ich den Schal aus dem Gesicht. „Ja, ich habe ja sonst nichts Besseres zu tun, an den Feiertagen.“ Meinte ich ironisch und bemerkte erst jetzt, wo mich Sam näher zu sich zog, dass er seinen Arm immer noch um mich gelegt hatte. Bisher hatte ich zwar die wohlige Wärme genossen, doch da sie von ihm kam, bevorzugte ich sie dann doch nicht mehr.
„Gut zu wissen. Aber nicht dass du mich dann wieder beschimpfst, wenn ich deinen Kopf als Schneemann benutze.“
Beleidigt wickelte ich seinen Schal wieder von meinen Hals und drückte ihn ihm in die Hand. „Weißt du was, ich brauche weder deine so genannte >Hilfe< und noch weniger deine dummen Sprüche. Wenn du nicht willst, dass ich dich beschimpfe, oder hasse, dann halt dich einfach fern von mir.“
Konnte das denn wahr sein? Zwar war ich skeptisch über den neu gewonnen Frieden gewesen, doch jetzt ersehnte ich ihn mir zurück. Ganze zwei Tage, in denen er mich nicht einmal angesehen hatte, ganz als ob ich ein Geist wäre. Klingt vermutlich dumm, aber das war richtig schön gewesen.
Und heute? Drängte sich in meinen morgendlichen Rhythmus, tat danach versöhnlich und sogar ein wenig nett, zumindest was den Schal anging und dann so etwas?
So würde ich mich keinesfalls behandeln lassen, obwohl es mir immer noch lieber war, als von ihm begrapscht oder gar wieder gebissen zu werden. Wie auf das Stichwort, fühlte ich, wie sich meine Wunde unangenehm spannte und ich sog scharf die Luft ein. Furchtbar, wie so ein Biss weh tun konnte. Wenigstens hatte es sich nicht infiziert.
Erschrocken unterdrückte ich einen Aufschrei, als zwei Hände mich einfach, als wäre ich lediglich eine Puppe, herum drehten und mein Gesicht weich in einer Jacke landete. Steif versuchte ich mich, aus seiner ungewollten Umarmung zu befreien. „Verdammt, was soll das? Spinnst du, lass mich sofort los!“ Fordere ich wütend.
„Nur einen Moment, da kommt jemand.“
Was? Ich verstand kein Wort. Wenn da tatsächlich jemand kam, dann wollte ich noch weniger mit ihm so gesehen werden. Das konnte man stark falsch verstehen! „Sam! Lass mich sofort los, oder ich schreie!“ Wenn sich jemand in der Nähe befand, dann konnte diese Drohung wahrlich etwas nützen.
„Scht!“ Befahl er und hinter mir drückte sich etwas in meinen Rücken, dass sich stark nach einem Gebüsch anfühlte. Versteckten wir uns etwa in einer Hausauffahrt? Ich konnte überhaupt nichts erkennen, dadurch da seine Arme verhinderten, dass ich mich überhaupt umsehen konnte.
„Sam, wenn du...“
„Halt verdammt noch mal deine Klappe, oder ich küsse dich!“ Diese Drohung nahm ich dann doch ernster, als sie war und ich blieb still. Geduldig wartete ich. Eine Minute standen wir still. Dann noch eine und ich konnte schwören die Stimme von irgendjemanden zu hören.
Sie klangen weit entfernt und gingen bestimmt nicht auf uns zu, daher konnte ich die Stimmen nicht verstehen. Ob wir uns vor denen Versteckten? Aber wo hatte Sam sie gesehen? Es schien nicht so, als wären sie irgendwo auf unserer Straße lang gegangen. Andererseits, konnten sie auch aus einem der vielen Häuser um uns herum heraus gekommen sein.
„Bekommst du noch Luft?“ Sams Stimme erklang direkt neben meinem Ohr, was mich plötzlich mehr als deutlich darauf hinwies, dass wir direkt Körper an Körper standen. Zwar hatte er seinen Griff gelockert, da ich mich nicht mehr wehrte, doch er stützte mich immer noch, sodass ich halb im Gebüsch stand, jedoch nicht rückwärts hinein fiel.
Stumm nickte ich, da mir seine Drohung mit dem Kuss immer noch gut im Gedächtnis lag. Hoffentlich benutzte er diese Drohung jetzt nicht öfters, sonst konnte ich mich auf viel Ärger einstellen.
Trotz der unangenehmen Situation genoss mein Körper die wohlige Wärme, die sich nun über mich legte. Auch wenn ich es niemals vor irgendjemandem zu geben würde, war ich ein bisschen froh in seinen Armen zu sein, denn nun war mir endlich wieder warm. Und das verstörte mich innerlich!
„Sie sind weg... denke ich.“ Na was jetzt? Konnte er sich denn nicht entscheiden?
Langsam wich er etwas vor mir zurück, sodass ich endlich erkennen konnte, dass wir tatsächlich zwischen zwei Hecken standen, die gerade einmal groß genug waren um uns beide von Kopf bis Fuß zu verstecken. „Würdest du mir dann endlich...“ So plötzlich wie ich >verschleppt< worden war von Sam, lag auch schon sein eiskalter Finger auf meinen im Gegensatz dazu viel zu heißen Lippen.
„Wehe du fragst mich, was das eben sollte, oder vor wem wir uns versteckt haben. Verlierst du ein Wort darüber, oder versuchst mich jemals über das hier auszufragen, schwöre ich dir, dass ich nachts zu dir ins Zimmer kommen werde und ich es nicht bei einem Kuss, oder bei einem Biss belassen werde. War das deutlich?“ Seine Stimme klang so ernst und bedrohlich, dass ich am Liebsten schreiend weggelaufen wäre. Wer zum Teufel ist das? Und was hatte er mir Sam angestellt? Noch nie hatte mein Herz aus Panik so sehr gerast wie in diesem Moment. Dieser bedrohliche Ton in seiner Stimme jagte mir einen Schauder über den Rücken, sodass ich nicht zu mehr, als einem kurzen Nicken im Stande war.
Beruhigt entließ er mich endlich aus seinem Versteckspiel und ging zurück auf den Gehsteig, jedoch sah er sich sorgfältig um.
Moment... was war da eben passiert? Als ob ich mich jemals von ihm erpressen lassen würde! „Stopp!“ Rief ich Sam nach und eilte hinterher. „Was soll das heißen, dass du zu mir ins Zimmer kommst, du spinnst ja! Du brauchst gar nicht erst zu glauben, dass du mich bedrohen kannst, oder einschüchtern. Ich habe keine Angst vor dir, denn du bist nicht mehr als ein Verwöhntes Armseliges etwas!“ Sam ging ungerührt weiter und seufzte genervt. „Tu einfach das, was man dir sagt.“ Befahl er kalt.
„Also ob ich mir von dir Befehle geben lassen würde.“
„Sein nicht kindisch. Das wovor ich dich versteckt habe, musst du nicht kennen.“ Und das entschied er einfach für mich?
„Wenn du mit irgendjemanden Probleme hast, oder irgendeine verrückte Gang dich sucht, denk ja nicht, dass ich dich schützen werde. Vielleicht sehe ich einfach einmal nach, wo diese Typen hingegangen sind, dann...“ Kann ich sie auch selbst fragen, sollten eigentlich meine nächsten Worte sein, doch Sam war weg.
Gerade eben hatte er doch noch neben mir gestanden, oder? Wieso... Wie? Ich verstand die halbe Welt nicht mehr.

7. Nächtliche Entführung

Das Einzige was mich noch mehr verstörte, als die Tatsache, dass Sam von einem Augenblick auf den nächsten verschwunden ist, war mein Schultag. Über meine beiden Fehltage und das Wochenende hatten sich Gerüchte über mich, geradezu wie bösartige Geschwüre verbreitet. Ich hörte Geschichten über meinen >vorgetäuschten Selbstmord< über einen >schlecht gemeinten Witz< bis hin dazu, dass ich mit >Geistern kommunizieren< könne.
Also in der Kurzfassung: Ich bin der totale Freak!
Mit, mehrfachen Augen rollen, überbrückte ich diesen Tag, indem ich viel mit den beiden niedergeschlagenen besten und einzigen Freunden redete, die ich hatte. Sie machten sogar des Öfteren Witze, dass ich angeblich mit ihrer toten Großmutter gesprochen hätte, oder schrien laut, als ich die Treppe hinunter gehen wollte >Tu es nicht! Du bist noch so jung!< dafür hatten sie zwar mehrfache Verwarnungen von den Lehrer kassiert, aber die Spannung lockerte sich dadurch auch ersichtlich auf. Ohne die beiden, hätte ich bestimmt im Eingang sofort wieder kehrtgemacht und wäre weinend nach Hause gelaufen. Angesichts der Tatsache, dass Sam recht behalten hatte und es gegen Mittag tatsächlich eine dünne Schneeschicht am Boden gab, bereute ich es sogar noch mehr nicht heimgegangen zu sein.
Als ich nachmittags heimkam, schlotterte ich bis auf die Knie und warf mich zu aller erst unter die heiße Dusche, danach suchte ich doch die nun besser gewählte Winterkleidung.
Nachdem alle im Bett waren, tat ich das, was ich am aller wenigsten von mir erwartet hätte. Ich klopfte zögerlich, nach dem ich mehrmals umgedreht hatte, an Sams Zimmertüre. „Was?“ Erklang seine verärgerte Stimme auf der anderen Seite der Türe und ließ mich zusammen schrecken. Ich hatte es ja so gewollt.
Nach einem tiefen Atemzug öffnete ich die Türe und blickte auf Sams nackten Körper. „Ach! Verdammt, kannst du dir denn nicht etwas überziehen, wenn jemand klopft?“ Fragte ich tadelnd und verdeckte meine Augen um mich vor dem Anblick zu schützen. Nicht dass er sonderlich schlecht aussah, von der Statur her, doch es gab Dinge, die wollte man einfach nicht von jemanden sehen, den man hasst.
„Du hast doch angeklopft und bist rein gekommen. Ich habe dich nicht eingeladen.“ Gab er zurück, während er seine Boxershorts wieder anzog, die er eben nach dem duschen gewechselt hatte.
Nun, ja damit hatte er ja recht. Ich Idiot. „Stimmt...“ Gab ich kleinlaut zu. „Entschuldige.“ Trotzdem ließ ich mich davon nicht abschrecken und schloss hinter mir die Türe, während ich immer noch meine Augen abschirmte, und versuchte seinen blanken Hintern aus meiner Hirnrinde zu verbannen. „Ich muss mit dir über heute Morgen sprechen, also zieh dir bitte etwas über.“ Bat ich. „Hab ich doch schon.“
Erleichtert nahm ich meine Hand runter, doch er hatte immer noch nicht mehr als eine Unterhose an. „Schon mal was von... Vergiss es.“ Stoppte ich mich selbst, bevor ich wieder einen Streit vom Zaum brach. „Was ich eigentlich sagen wollte, vor wem haben wir uns heute Morgen versteckt?“
Sam ging zum Kleiderschrank und kramte dort herum, während er sprach. „Wir? Eher habe ich >dich< versteckt.“ Korrigierte er mich, als hätte ich eine Gleichung falsch. „Was meinst du damit?“ Borte ich weiter nach, ohne mich auch nur noch einen weiteren Schritt weiter, in das Zimmer zu wagen. Mit der Türe im Rücken fühlte ich mich einfach sicherer.
„Das was ich sagte. Ich habe dich versteckt, da ein Kopfgeld auf dich ausgesetzt ist. Deshalb verschwinden wir auch heute noch.“
Kopfgeld? Hörte er sich eigentlich selbst zu? „Ha. Ha.“ Kommentierte ich humorlos. „Was hast du ausgefressen? Okay, vergiss es. Eigentlich will ich es ja nicht wissen und es geht mich nichts an. Lass mich nur klar stellen, dass ich absolut nichts mit deinen... Aktivitäten zu tun haben möchte. Ist das klar?“
Sam hielt inne, während er sich anzog, und blickte mich forschend an. „Weißt >du< denn eigentlich, wie scheiß egal mir deine Meinung ist? Ich bin weder zu meinem Vergnügen hier, noch weil ich es so >super toll< finde den Babysitter für jemanden wie dich zu spielen. Ich bringe dich nur noch hier fort, danach siehst du mich nie wieder. Versprochen!“
Okay, langsam juckte es mich in den Fingern einen Arzt zu rufen. „So verlockend es sich auch anhört dich niemals wieder sehen zu müssen, ich werde nirgendwo mit dir hingehen...“
„Willst du deine Schwester Coria wieder sehen? Dann kommst du mit.“ Damit hatte er nun doch meine volle Aufmerksamkeit.
„Woher weißt du ihren Namen?“
„Woher wohl? Denkst du, du bist ein normales Mädchen mit einer Zwillingsschwester? Dann irrst du dich, jetzt hol deinen Rucksack und zieh dich warm an. Draußen ist es kalt.“
Sam schulterte selbst einen Rucksack und kam auf mich zu. Störrisch blieb ich stehen. „Ich sage es dir gerne noch einmal, wo du dir deine beschissenen Befehle hin schieben kannst, jetzt gib mir antworten, oder ich rufe die Polizei!“ Eigentlich würde ich zuerst zu seinen Eltern gehen, doch etwas sagte mir, dass diese Drohung ihn nur belustigen würde.
„Von mir aus ruf sie, bis die kommen, sind wir weg.“ Kurzerhand wurde ich am Arm gepackt und einfach zur Seite geschoben. Verdammt ich musste dringend etwas trainieren! Das konnte doch nicht sein ernst sein? Hatte er vor mich zu verschleppen?
Sam ging in mein Zimmer und packte dort eine Decke für mich, ein Polster und zwei Wasserflaschen, wegen denen ich ihm in die Küche folgen musste.
Während er bereits fertig eingekleidet war, stand ich stur im Pyjama und glaubte ihm kein einziges Wort. Wieso denn auch? Verrückte sagten nichts, das der Wahrheit entsprach.
Fertig gepackt, stellte er die beiden Rucksäcke im Vorraum ab und blickte mich durchdringend an. „Ist das dein ernst? Du willst mir nicht glauben und dich im Pyjama von mir verschleppen lassen?“
Abweisend verschränkte ich die Arme vor meinem Brustkorb und blickte ihn genauso stur an. „Ich sagte dir doch bereits, dass ich mich nicht mitnehmen lasse. Du hast... einfach nur ein Problem und zusammen mit deiner Familie können wir dieses beseitigen.“
Langsam kam Sam auf mich zu, sodass ich eigentlich zurückweichen müsste, damit er mich nicht überrannte, aber ich blieb standhaft. Nur einen Schritt vor mir blieb er stehen und senkte seinen Kopf, sodass mir der Abstand zwischen uns, viel zu wenig erschien. „Ich verstehe, dass du mir kein Wort glaubst. Das würde ich an deiner Stelle genauso wenig tun. Also... schiebe mir nicht die Schuld zu, wenn jetzt gleich deine ganze Welt unter dir zusammen bricht.“
Ich wollte eben fragen, was er damit meinte, doch dann sah ich es auch schon. Sams Augen verschwammen von der dunklen, beinahe schwarzen Farbe, die sie bisher gehabt hatten und ein Goldton, brach wie aus einem Fluss einfach hervor und erfüllte seine Iris.
Erschrocken wich ich nun doch einen Schritt zurück. Wie hatte er das gemacht? Seine Augen ware nicht mehr typisch dunkel, sondern geradezu stechend, wie die eines Raubtieres, das seien Beute im Visier hatte und genau das waren sie nun auch. Die Augen eines Raubtieres. Zu schlitzen geformte Pupillen fixierten meinen Blick, sodass mein Puls nicht wusste, was er tun sollte. Einerseits wusste ich, dass man vor einem Raubtier keine Angst zugeben durfte, dass sie es riechen konnten und es sie noch angriffslustiger machte, aber andererseits verbot ich meinem Puls diesen Geruch in mir frei zu setzen, obwohl dieses Gefühl mich geradezu zu übermannen versuchte und beinahe in Panik ausbrach.
Doch das war noch nicht alles. Auch sein Gesicht veränderte sich, schob die alte Haut einfach zur Seite, als wäre es nichts Weiter als eine dünne Verpackung, die nun nicht mehr gebraucht wurde und Fell erschien darunter. Goldbraunes Fell. Es zog sich über seine Wangenknochen zu seinen nicht mehr vorhandenen Ohren. Sie waren zu runden, buschigen, schwarzen Katzenohren an seinen Kopf hochgerutscht und sein bisher dunkles Haar, zog in noch dunkleren Streifen seinen Nacken hinab.
Auffordernd hielt mir Sam seine pelzige Hand mit langen einziehbaren Krallen hin. „Wenn du jetzt wegläufst, muss ich dich fressen.“ Auf seinen Mund erschien ein Raubkatzenlächeln, das sehr amüsiert auf meine Reaktion hin zu sein schien.
„Wie... Was hast du... Du... Was bist du?“ Stotterte ich hervor und wich einen winzigen Schritt zurück. Nicht laufen! Nur nicht laufen! Ermahnte ich mich innerlich.
„Ich bin ein Menschwesen. Also nichts Ansteckendes, oder etwas dass hier nicht existieren dürfte. Nun, ja nicht direkt... aber egal. Aber es ist wichtig, dass ich dich hier wegbringe.“
Ein... Menschwesen? Was sollte denn das sein? Ich kannte die Begriffe Werwölfe, Engel und Dämonen. Aber >so etwas<, konnte es doch überhaupt nicht geben... oder das jemandem die Haut einfach so abfällt?
Skeptisch blickte ich auf den Boden, wo alte Haut lag, die so aussah, als wäre sie bereits vor Jahren abgestreift worden und regelrecht spröde wirkte. Eine einzige Berührung würde sie einfach zu Staub zerfallen lassen.
„Menschwesen?“ Wiederholte ich laut und vor allem ungläubig?
„In meinem Fall gebe ich einen Katzenmensch wieder. Aber dank meines Vaters habe ich auch Vampirgene in mir. Und, ja das kann ansteckend sein.“
Ansteckend? Was... Musste ich das verstehen? In diesem Moment versuchte ich, immer noch sein verändertes äußeres zu verstehen. Obwohl... bin ich vorhin nicht noch für einen Moment im Bett gelegen? Bei Minusgraden nach Hause gegangen?
Panisch fing ich an zu lachen. „Eine Halluzination! Natürlich. Ich habe Fieber und... ich habe einen Albtraum. Das ist alles. Ich sollte... Ich sollte wohl lieber aufwachen.“ Tränen aus Frustration ließen meinen Blick verschwimmen, während ich mich von der Halluzination abwandte und einfach wieder zurück zur Treppe ging.
Doch weit kam ich nicht, Sam hielt mich wieder auf. „Verleumdung hilft dir jetzt auch nicht weiter. Wir müssen hier jetzt weg.“ Sam steckte meinen Arm in die Jacke und zog sie mir über. Wo hatte er die denn jetzt her? Hatte ich sie etwa schon hinunter getragen?
Fieber! Ja, das ist nur eine Einbildung dank des Fiebers. Davon war ich jetzt fest überzeugt. „Okay, okay. Weißt du... ich sollte jetzt wirklich ins Bett. Oder vielleicht liege ich ja bereits im Spital?“ Riet ich, während ich versuchte die Jacke, wieder auszuziehen, die Sam zu machen wollte.
„Jetzt hör endlich auf mit dem Unsinn. Das ihr Unwissenden nie an etwas glauben wollt. Das ist furchtbar!“ Schimpfte er und fauchte dabei ein wenig.
War das etwa doch echt? Stand hier eben ein... Ding vor mir das halb Mensch, halb Katze ist? „Sam?“ Fragte ich vorsichtig und streckte meine Hand aus um sie auf seine Wange zu legen. Sie war wirklich weich und fühlte sich an, als würde ich in das Fell eines Tieres fassen.
Sam hörte auf, mit meiner Jacke zu kämpfen, die immer etwas klemmte und blickte mich regelrecht erstaunt an. Es war immerhin das erste Mal, dass ich ihn freiwillig anfasste und dann ausgerechnet in dieser Gestalt!
Nachdem meine anfängliche Panik endlich verschwand, blieb einzig und alleine verblüfftes Erstaunen zurück. Tastend ließ ich meine Fingerspitzen über seine Wange höher gleiten, über seine Schläfe hoch zu seinen nervös angelegten Ohren. Sie waren wirklich so weich, wie sie sich anfühlten. Und dünn! Hatten Katzen wirklich so dünne Ohren? „Du bist echt?“ Fragte ich, immer noch nicht richtig überzeugt von allem. Vielleicht hatte er mir ja Drogen untergejubelt? Wer wusste das schon?
Langsam stellten sich seine Ohren wieder aufrecht hin und ragten gut sichtbar über seine Haare hinaus. „Ja...“ Seine Stimme schien etwas verunsichert zu klingen. Und das wegen mir! Räuspernd stellte er sich aufrecht hin und schob meine Hand weg. „Ja!“ Wiederholte er nun kräftiger. „Und es ist wichtig, dass wir endlich verschwinden.“
„Vor wem?“
„Das brauchst du nicht zu wissen. Jedenfalls muss ich dich an einen sicheren Ort bringen.“ Sam schien das vollkommen ernst zu meinen, doch ich fühlte mich jetzt viel zu erschöpft und überfordert um auch nur ansatzweise irgendwo anders hinzugehen, als in mein Bett.
„Ich muss vor niemanden davon laufen, Sam. Ich habe nichts Unrechtes getan.“
Die Augen verdrehend reichte er mir meine Schuhe. „Erstens ich heiße nicht Sam, sondern Elth. Zweitens, dass du nichts getan hast, ist klar, aber deine Schwester. Darum bin ich hier, um dich zu beschützen, bis du achtzehn bist. Aber bis dahin kann ich jetzt nicht mehr warten.“
Meine Schwester hatte etwas getan? Oder war das ein Trick? Nun, ja so korrupt wie ich Sam... Elth einschätzte, so bezweifelte ich, dass er so gute Tricks beherrschen konnte. „Meine Schwester?“ Fragte ich und ließ mich gegen die Ankleide sinken. „Sie ist... tot, nicht wahr?“ Ich kannte die Antwort, noch bevor er genervt das Gesicht verzog. „Ja, das ist sie. Darum musst du jetzt mit mir untertauchen.“ Etwas in seiner Stimme sagte mir, dass es sein völliger Ernst war und ich dringend etwas tun musste. Sam war bereits einmal so ernst gewesen, als er zwei Tage beleidigt herum gelaufen war, mich in einem Gebüsch versteckte und... jetzt.
Kurzerhand, obwohl ich wusste, wie dumm diese Idee war, schlüpfte ich tollpatschig in meine Stiefel, verlor das Gleichgewicht und landete kurzerhand in weichem Fell.
„En... Entschuldige.“ Räuspernd trat ich wieder einen Schritt zurück, doch Sam dachte nicht daran mich loszulassen. Er stützte mich weiterhin an meinem Oberarm, sodass ich nicht noch einmal umfallen konnte. Kaum dass ich meine dicke Winterjacke angezogen hatte, die mir bis zu den Knien reichte, wurde mir etwas schweres über den Kopf gezogen und ich blickte aus einem dunklen Visier. „Was soll das?“
„Den Helm wirst du brauchen, wenn du mit mir mithalten willst.“
Ich schob das Visier hoch und blickte ihn verwirrt an. Zwar hatte ich einen Schein, doch kein Motorrad. „Ich habe kein...“ Für was machte ich mir überhaupt die Mühe? Sam zog mich einfach mit, aus der Türe hinaus und in die Auffahrt, wo bereits ein dunkles Bike stand.
„Es ist bearbeitet, das heiß, du kannst bis zu dreihundert fahren. Das sollte an meine Geschwindigkeit heranreichen.“
Ich warf ihm einen zweifelnden Blick zu. „Ich glaube wohl eher, dass du Schwierigkeiten haben wirst mit mir mit zu halten!“ Korrigierte ich ihn und schulterte den Rucksack, den er mir reichte, während er den kleineren im Bike verstaute. Auffordernd klopfte er auf den Sitz. „Komm.“
Unsicher ging ich auf das Bike zu und setzte mich darauf. Es war sehr leicht gebaut, ideal für jemanden wie mich. Auch die Lenkung war schlicht, wie jede andere und die Gänge sahen normal aus. Keine Ahnung, wie ich mit diesem kleinen Ding so hoch beschleunigen sollte.
„Wenn du es starten willst, musst du zuerst...“
„Ich weiß, wie man fährt, das habe ich von meinem Betreuer gelernt.“ Erstaunt grinste Sam.
„Faszinierend. Was kannst du denn noch so alles Prinzesschen?“ Er stützte sich am Lenkrad ab und lehnte sich vor.
„Mehr als du vielleicht denkst.“
„Und mehr als du weißt.“ Ergänzte er und zwinkerte mir zu.
„Was verschweigst du mir alles?“ Verlangte ich zu wissen, denn langsam nervte es mich, dass er sich einen Spaß aus meiner Unwissenheit heraus nahm. „Das wirst du schon sehen. Jetzt fahr hoch in den Osten auf die Autobahn. Ich lenke dich dann dort weiter.“
Einerseits spielte ich mit dem Gedanken ihm einfach davon zu fahren, und zwar in eine ganz andere Richtung, als das er mir gesagt hatte, doch andererseits... vielleicht konnte ich ihn ausnutzen? Sam schien nichts anderes zu tun, als mit mir zu spielen, wie es eine gelangweilte Katze mit ihrer Maus eben gerne tat. Zuerst schupste er mich, damit ich zornig wurde, dann jagte er mich belustigt, bis ich aufgab. Das wurde mir langsam aber sicher peinlich. Ich wollte das nicht mehr, wollte die Regeln ändern! Aber dafür musste ich mich erst einmal gegen ihn behaupten.
Mit quietschenden Reifen fuhr ich los und driftete von der Auffahrt hinab nach links. Ich sah noch einmal kurz zurück und erkannte, dass sich Sam die Ohren zugehalten hatte. Auf laute Geräusche reagierte er also empfindlich? Je mehr ich wusste umso besser. Jetzt musste ich nur klüger als eine menschliche Katze sein.

 

- - - - -

 

Nach knapp zwanzig Minuten erreichte, ich wie gewünscht, die Autobahn. Es war bereits kurz vor elf, was bedeutete, dass es kaum noch Verkehr gab. Gemütlich fuhr ich eine Weile in der angeschriebenen Geschwindigkeit, um nicht aufzufallen, und sah mich immer wieder um. Wie sollte ich denn jetzt Sam erkennen?
Er sagte, er würde mir den Weg zeigen, aber wie denn? Wollte er etwa als halb Mensch, halb Katze hier herum laufen?
Seufzend beschleunigte ich etwas und überholte ein paar Autos, die vor mir fuhren. Als ich bereits die vierte Abfahrt passiert hatte, reichte es mir. Wo sollte ich denn hinfahren? War das ein schlechter Scherz von Sam, oder...
So plötzlich, dass ich ihm gerade noch rechtzeitig ausweichen konnte, landete ein struppiger keifender Hund vor meinem Bike und schnappte nach meinen Reifen. Mit einem Aufschrei, der im Lärm des Motors unter ging, wechselte ich die Fahrspur und schnitt ein Auto. Hupend gab mir dieser zu verstehen, was er von meiner Aktion hielt, aber ich hatte doch überhaupt keine Schuld.
Kaum, dass ich meinen Blick wieder suchend nach dem Hund über die Landschaft schweifen ließ, sah ich zwei monströse steinerne Flügel, die knapp über den Erdboden flogen und das Auto hinter mir einfach, als wäre es ein lästiges Kinderspielzeug, aus dem Weg räumte. Erschrocken beschleunigte ich auf hundertfünfzig, der Hälfte, von dem was dieses kleine Bike angeblich können sollte, doch trotzdem holte das steinerne Biest, mit den eisig blauen Augen einfach auf.
Mist! Was mache ich denn jetzt? Panisch sah ich mich nach einer Abfahrt um, doch die war noch gut zwei Minuten vor mir, bis dahin hatte mich das Ding. Das Ding, das plötzlich von einem goldenen Fellknäul attackiert wurde und sich ohne Gnade, in dessen Kehle festbiss.
An der Farbe des Tieres erkannte ich, dass es sich um Sam handeln musste, doch nun sah er kein bisschen menschlich mehr aus. Eher wie ein viel zu großer Gepard mit gestreiftem Rücken, anstatt Rosetten. Der steinerne Dämon ging zu Boden und zerfiel in lauter kleine Steinchen, die vor sich hin dampften.
Ohne Mühe holte Sam zu mir auf und blickte mich regelrecht wütend an. Scheiße! Was sollte das denn? Und wo ist der Hund hin?
Jetzt da Sam neben mir lief, erkannte ich lauter rote Flecken in seinem Fell, hatte er etwa gekämpft, während ich mich auf der Autobahn langweilte? Ich wich dem nächsten Auto aus, während Sam einfach mit einem großen Satz darüber sprang. Das Auto geriet ins Schleudern, doch offenbar erholte sich der Fahrer von seinem Schreck, da er auf den Pannenstreifen fuhr und dort stehen blieb.
Plötzlich schnappte die riesige Raubkatze nach meinem Fuß, um meine Aufmerksamkeit wieder zu erlangen, und die bekam er auch.
Für einen Moment lief Sam vor meinem Bike her und kam dann wieder zurück. Als er es wiederholte, verstand ich, dass ich schneller fahren solle. Kopfschüttelnd beschleunigte ich und fuhr beinahe auf seinen Schwanz auf, was er mit einem Fauchen quittierte.
So ein Spinner! Als die nächste Abfahrt in Sicht kam, deutete er mir dort abzubiegen und lief selbst auf die Abfahrt zu. Natürlich verlangsamte ich wieder, um nicht in der Kurve zu schlittern oder mich gar zu überschlagen, und verlor Sam aus den Augen, der ohne Probleme um die Kurve sauste. Staunend betrachtete ich das Schauspiel, wie er sich ganz Flach in die Kurve legte, jedoch ohne mit dem Fell am Asphalt zu streifen, und war froh das Visier vor meinem offen stehenden Mund zu haben. Welcher Fahrer, oder Läufer würde da nicht neidisch werden?
Die Abfahrt führte auf eine normale Bundesstraße, an der ich wieder beschleunigen wollte, doch im selben Moment in dem ich die, durch Wesen gestaltete Wegabsperrung sah, war es bereits zu spät. Ich wusste, ich würde mit hundertzwanzig frontal in diese Kreaturen krachen und mir so gut wie alles brechen! Vermutlich würde ich ein oder zwei von ihnen mit in den Tod reißen, doch dann würden immer noch vier Weitere bleiben.
Drei von ihnen gingen in Kollisionsposition, während sich das gesamte Schauspiel wie im Zeitlupentempo vor mir abspielte. Ich riss den Lenker herum in der Hoffnung den Abhang hinab, halbwegs weich in einem Feld zu landen, doch wusste dass mich nur gefrorener Boden, oder harter Asphalt erwarten konnte.
Die drei dunklen Hunde, oder vielleicht waren es auch Wölfe, das konnte ich kaum in der Dunkelheit unterscheiden, hielten mir ihre Schultern entgegen, in die ich jeden Moment prallen würde und warteten auf die Konfrontation. Aus Angst, da ich das nicht sehen wollte, schloss ich die Augen und riss meine Arme schützend vor meinen Körper in der Hoffnung meinen Kopf so gut wie eben möglich vor größerem Schaden zu bewahren.
Im Stillen dachte ich noch ein letztes Mal an meine Schwester und dass ich ihr nun wirklich überall hin folgen würde, als mich etwas samtweiches umfing. Wie ein Airbag legte sich etwas warmes um mich, schloss meinen gesamten Körper in eine weiche Polsterung und riss mich mit, über den Abhang hinunter. „Hab dich.“
Ich kannte die Stimme! Erleichterung machte sich in mir breit, während ich hoch in Sams goldenen Augen blickte, die durch das Visier meinen Blick suchten. Im selben Moment erfüllte mich ein Gefühl der Erleichterung, denn ich wollte doch noch überhaupt nicht sterben. Das wurde mir nun klar.
Ich wollte leben, wollte mich weiter mit ihm herum schlagen, Antworten auf den Tod meiner Schwester finden und in diese gänzlich Neue Welt eintauchen, egal welche Gefahren sie auch für mich übrig hatte. Und irgendetwas sagte mir, dass ich nicht ganz unverletzt aus dieser Neuen Welt herauskommen würde.

8. Geschichtsstunden im Eiswald

Irgendwo, weit hinter dem tiefen, alles umschließenden Schwarz und der Watte, die in meinem Kopf herrschte, hörte ich eine laute Explosion, die nach Sekunden, Minuten, oder vielleicht auch Stunden, meine Aufmerksamkeit erregte.
Langsam versuchte ich, einzelne Finger zu bewegen, während etwas schwer in meinen Brustkorb drückte. Die gesamte Luft wich aus meinen Lungen, während ich überlegte, ob ich vielleicht schreien sollte. Würde das denn etwas bringen, ohne Luft?
Noch einmal drückte etwas und ich erkannte einen Rhythmus darin. Gleichmäßig wurde mein Brustkorb gedrückt und wieder losgelassen, so wie man es bei einer Reanimation machen würde. Aber wieso? Ich fühlte mich nicht tot, fühlte jeden schmerzenden Muskel und meine Verstauchung im Handgelenk. Wieso sollte das jemand tun?
Unangenehm wurde mir noch ein letztes Mal in die Rippen gedrückt, als ich jemanden leise murmeln hörte „Dafür wird sie mich umbringen...“ Danach wurde mein Kopf zurückgelegt, sodass mein Atemweg frei wurde und mir wurde schlagartig bewusst, was noch zu einer Reanimation gehörte. Eine Mund zur Mund Beatmung!
Erschrocken sog ich die Luft ein, zog meine unverletzte Hand hoch und traf auf einen harten Schädel. „Scheiße! Das tut weh!“ Fluchte Sam, während er schnell einige Schritte zurücktaumelte und ich meinen Mund mit der Handfläche bedeckte. „Versuchst du das noch einmal, werde ich dir etwas abhacken!“ Schwor ich genuschelt durch meine Finger und öffnete meine Augen. Über uns hingen dicke Rauchschwaden, die bestimmt zu der Explosion von gerade eben gehören mussten.
Vorsicht setzte ich mich auf und testete jeden Knochen und Muskel auf seine Verwendbarkeit. Morgen würde ich einen üblen Kater haben, und zwar in jedem Zentimeter meines Körpers!
„Hast du dir etwas gebrochen?“
Ich schüttelte sachte den Kopf, um zu verneinen. „Aber ich glaube, mein Gelenk hat etwas.“ Vorsichtig hob ich mit der linken Hand meine rechte und legte sie auf meinem Fuß ab. Jede Bewegung schmerzte fürchterlich.
„Lass mich mal sehen.“ Bat Sam und kam tatsächlich >vorsichtig< näher. Offenbar hatte er aus meinem Schlag etwas gelernt. Zumindest verriet mir das die dunkle Rötung, die sich über seine Wange bis hin zu seinem Ohr zog. Das Ohr, das sich wieder an seiner normalen Position befand!
Erschrocken zuckte mein Blick prüfend über sein Gesicht hinunter zu seinem bloßen Oberarm und weiter zu seinem Oberkörper. Na, toll. Zwei Mal an einem Abend, dass ich ihn halbnackt sehen musste, obwohl er ja beim ersten Mal, ganz nackt gewesen war.
Schnell verdrängte ich den Gedanken an seinen blanken Hintern und wurde von dem Schmerz in meinem Handgelenk abgelenkt. „Autsch!“
„Entschuldige. Warte, ich mache dir einen Verband. Es ist aber bestimmt nichts gebrochen, oder Schlimmeres.“
„Also eine Prellung?“ Fragte ich erleichtert.
„Höchstens.“ Bestätigte Sam.
Er griff nach dem Rucksack, der von meinen Schultern gerutscht sein musste, oder hatte er ihn mir abgenommen? Dort holte er ein Shirt hervor, das definitiv nicht mir gehörte und riss den Ärmel ab. Geschickt wickelte er eine Schlinge für meinen Arm und hängte sie mir über den Nacken. Genauso vorsichtig, wie er mein Gelenk abgetastet hatte, schob er es nun durch die Schlinge, bis er richtig saß und ich ihn nicht mehr aus Versehen bewegte. „Ist es besser so?“
Ich nickte stumm.
„Hast du sonst noch irgendetwas? Ich habe den Baum leider zu spät gesehen, bevor dein Kopf daran gelandet ist, es tut mir leid.“
Der Baum tat ihm leid? Der Baum und die Ohnmacht, die er mit sich gebracht hatten, waren mir tausend Mal lieber als der Tod! „Ich...“ Begann ich unsicher und verstummte als Sam mir in die Augen sah. Sie waren immer noch von einem goldbraun, an das ich mich einfach nicht gewöhnen wollte. Sie wirkten so viel lebhafter als das dunkle Schwarz davor. „...muss mich wohl bei dir bedanken.“ Beendete ich nach einem kurzen Stocken den Satz.
„Bedanken? Wohl kaum. Wenn dann, kann ich froh sein, dass ich dich nicht verloren habe.“ Bei diesen Worten zog ich die Augenbrauen hoch und fühlte mich irgendwie fehl am Platz. „Hätten diese Idioten dich bekommen, dann wäre ich Vampirfutter geworden und meine Bezahlung wäre auch futsch.“ Sofort legte sich mein Schock über die viel zu falsch gewählten Worten und Empörung machte sich in mir breit.
Geld! Darum ging es ihm hier? „Verkaufst du mich etwa?“ Fuhr ich Sam an.
„Natürlich! Denkst du, ich würde sonst monatelang den Babysitter für dich spielen, Prinzesschen? Ich bin ein Katzenmensch kein Wachhund!“ Empörte er sich seinerseits.
Beleidigt funkelte ich ihn an. „Dir ist bewusst, dass ich dich keinesfalls um deinen verdammten Schutz gebeten habe, oder irgend ein verdammtes Tauschobjekt bin?“
„Du vielleicht nicht, aber derjenige, der bereits deine Schwester in seine Obhut genommen hat, verlangte mich als deinen Aufpasser.“
Aufpasser! Als ob ich ein kleines Baby wäre! „Also ich könnte dich ja mit vielen Wörtern beschreiben, hauptsächlich welche die nicht jugendfrei sind, aber ein >Aufpasser< bist du nun wirklich nicht!“
Ein furchterregendes Knurren erklang aus seiner Kehle, aber ich war zu wütend, um Angst zu bekommen. „Wie ich meine Arbeit mache, ist egal, solange du >lebend< bei meinem Chef ankommst.“
„Arbeit? Von wegen! Ich würde es ja eher als >Pfusch< bezeichnen!“ Zornig kam ich auf die Beine und schaffte es gerade so, nicht wieder auf den Hintern zu plumpsen. Stattdessen lehnte ich mich an einen Baum und atmete einmal tief durch, bis sich mein Puls wieder an meine Bewegungen angepasst hatte.
„Nur wegen deiner dummen kleinen Prellung? Ich habe dir doch gesagt, wie schnell das Bike fahren kann, aber nein! Du musstest ja unbedingt auf die Geschwindigkeitsdrosselungen achten!“ Schimpfte er und kam mir nach.
„Ich wusste ja nicht einmal, wo du bist, ob du mir hinterherkommst? Ich habe ja keine Ahnung, was du bist, oder was du kannst! Du hättest mir ruhig mehr sagen können!“
Knurrend verschränkte er die Arme vor dem Brustkorb und wandte den Blick ab. „Dafür war aber keine Zeit.“
Das hatte ich auch schon bemerkt, aber er konnte mir keine Fehler unterschieben, wenn er zu inkompetent war mich richtig zu informieren. Und genau das sagte ich ihm auch. „Inkompetent? Die einzige inkompetente Person hier, bist alleine du! Ist es, denn so schwer auf einzelne Befehle zu hören? Wie hast du dir denn vorgestellt, später einmal zu arbeiten, wenn du nicht einmal einfach Anweisungen befolgen kannst.“
Entrüstet ging ich einen Schritt auf ihn zu und stupste ihn mit dem Finger an. „Anweisung? Eine klare und deutliche Anweisung wäre es gewesen, wenn du mir gesagt hättest, ich soll mit dem Bike so schnell fahren, wie es möglich ist, du kommst mir hinterher und ich brauche mir keine Sorgen zu machen, oder befürchten mal eben von einem riesigen fliegenden Stein verschleppt zu werden!“
Fauchen, griff er nach meinen Finger und behielt ihn in einem eisernen Griff. „Das war ein Gargoyle und sei froh dass er dich nur verschleppen wollte und nicht in seinem heißen Wasser weichkochen!“ Plötzlich verstummte sein verärgertes Knurren und ein belustigter Ausdruck breitete sich in seinem Gesicht aus. „Moment... sagtest du eben, dass du dir Sorgen um mich gemacht hast?“
Habe ich das? Vermutlich konnte man es so verstehen... Na, gut vielleicht ein klein wenig. „Ich habe mir weniger Sorgen um dein Wohlergehen gemacht, als mehr deine Fähigkeiten als passabler Kämpfer in Frage gestellt.“ So falsch war das ja auch nicht, oder?
Genervt zog er die Nase kraus und ich erkannte, dass seine Ohren wieder auf seinem Haupt saßen, anstatt wie bei Menschen an der Seite. „Ich bin weit mehr als nur ein passabler Kämpfer, sonst hättest du diesen Unfall niemals überlebt.“
Ich wollte schon schimpfen, dass mir langsam der Gedanke besser gefiel, tot zu sein, als mir sein dummes Geschwätz weiter anzuhören, als mir etwas klar wurde. Wir mussten mehr als Zehn Meter auf jeden Fall die Böschung hinunter gerollt sein. Plus das hohe Tempo, der Aufprall, spitze Steine, gefrorener Boden... „Du müsstest doch eigentlich alle Knochen gebrochen haben!“ Stellte ich schockiert fest.
„Das ist ein Katzenmensch-Ding. Das brauchst du nicht zu verstehen.“ Meinte er sachlich, und schien damit die Fragestunde für beendet zu sehen. Ich jedoch war hartnäckiger.
„Sam! Geht es dir wirklich gut? Wir sind eben die Böschung hinunter gefallen und ich... hatte ein ungeheuerliches Tempo drauf, wir sollten eigentlich tot sein!“
„Elth.“ Korrigierte er mich, ohne auf meine Frage einzugehen. Seufzend besserte ich mich aus. „Okay... Elth. Bitte, sprich mit mir. Sag mir endlich, was hier los ist.“
Sam lauschte in die Dunkelheit der Böschung und nickte dann. „Gut, aber es muss schnell gehen, bald wird die Polizei hier herum schnüffeln.“ Er deutete mir ihm zu folgen und schulterte den einzigen verbliebenen Rucksack.
„Es begann alles vor etlichen Jahrtausenden. Es war angeblich die erste Zwillingsgeburt, die es jemals in einem der Königshäuser gegeben hatte. Ich weiß nicht in welchem, so sehr hat mich Geschichte niemals interessiert, aber ich glaube, es war bei den Hexen, oder ähnlichen Magiekundigen.“ Überlegte er, doch winkte dann ab. „Jedenfalls kam ein Streit auf, bei dem es darum ging, welches der beiden Kinder zu seinem achtzehnten Lebensjahr den Thron einnimmt. Die beiden Zwillinge waren generell kaum gut aufeinander zu spreche, doch um den Ruf des Reiches zu willen, trugen sie ihren Streit lediglich in ihren Zimmern aus. Der Tag ihres achtzehnten Geburtstags kam und der jüngere Zwilling stach dem älteren am Morgen vor der Zeremonie mit einer vergifteten Klinge in den Leib. Jedoch wusste der jüngere Zwilling nicht, dass der ältere ihn bereits mit einem ähnlichen, langsam wirkenden Gift zum Tode verurteilt hatte und so starb dieser nur Minuten da...“ Ich rutschte auf einer gefrorenen Pfütze aus, doch Sam fing mich ab. „Alles in Ordnung?“
Verbissen kämpfte ich die Tränen zurück, da ich Idiot meinen verletzten Arm bewegt hatte und deutete ihm weiter zu erzählen. Vorsichtiger ging er weiter und blieb näher an meiner Seite, als bevor. „Ähm... Ja, er starb eben. Daraufhin gab es keinen Thronfolger mehr und die Königin musste erneut ein Kind gebären, war aber bereits zu alt. Der König bestach seine Cousine ihm aus zu helfen... nun, ja du verstehst schon. Sie gebar sein Kind, die Blutlinie blieb rein und die Zwillinge wurden für die der Königin ausgegeben. Der König jedoch vertraute ihr nicht und tötete seine Cousine.“
Das ist ja grauenhaft! Stellte ich innerlich fest und verzog das Gesicht. Nicht nur die Sache mit der Inzucht, was jedoch früher nicht allzu abwegig war, sondern mehr die Tatsache, dass er sie kaltherzig tötete, störte mich.
„Doch seine Cousine war nicht so dumm, wie er dachte, sie legte einen Fluch über ihre Kinder, der beinhaltete, dass wenn sie durch die Hand des Königs, oder seine Anweisung hin sterben sollte, jeder Adelsblütige darunter zu leiden hatte. Ich weiß nicht mehr genau wie es dazu kam, auf jeden Fall der König tötete die Verrückte und setzte den Fluch unwissentlich frei. Die beiden neuen Zwillinge wurden in Harmonie erzogen, liebten einander und blah, blah blah...“
Genervt verdrehte ich die Augen. „Dass du auch niemals ernst bleiben kannst!“ Schimpfte ich mit Sam und blickte ihn verärgert an. „Ja, ich weiß, aber Geschichte war immer so langweilig.“ Winkte er gleichgültig ab. „Natürlich wurden sie alt genug in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, doch in diesen achtzehn Jahren wurde kein einziges reinrassiges Wesen geboren. Keine Werformen, keine Menschenwandler, keine Hexen, Gargoylen, Magiebegabten, Kreischer oder anderes Wesen, dass in der Hierarchie weit oben stehen würde. Erst als der erste Zwilling ein Kind bekam, wurde ein Wesen geboren, das absolut reinrassig war, doch nicht von derselben Art wie die erstgeborene war. Genauso war es bei jedem anderen, welches sie gebar und sie lebte auch bloß wenige Jahrzehnte. Ihre Kinder bekamen wieder gesunde Kinder, jedoch ihrer Art entsprechend und irgendwann starben die Zwillinge. Hunderte von Jahre später, passierte dasselbe immer wieder. Es kamen keine adeligen Kinder zur Welt und plötzlich konnten erstgeborene Zwillinge jede Art gebären. Jedoch die zweitgeborenen konnten jede Art sein, die sie wollten.“
„Also hast du keine Ahnung, ob du die richtige Geschichte erzählst?“ Hakte ich nach und Sam grinste.
„Nicht im Geringsten. Ich habe mich eben schon immer mehr für den Kampf interessiert, als die Schule.“
Augen verdrehend, wandte ich den Blick ab. „Okay, dann zu einem einfacheren Thema. Wohin bringst du mich und wieso?“
„Ich habe dir doch bereits gesagt, dass ich zum Teil auch Vampir bin, jedoch nur noch zu einem kleinen. Wegen meines Vaters bin ich unter den Vampiren aufgewachsen, der sich zu denen mehr hingezogen gefühlt hatte und so habe ich mit meiner anderen Art eigentlich kaum etwas zu tun. Ich bin so etwas wie ein persönlicher Attentäter eines hoch angesehen Vampirs und habe bisher immer nur seinen Dreck weggeräumt, was mir auch Spaß gemacht hat...“
Okay, langsam überwog das Gefühl, mit einem Bike zu explodieren. Wo war ich da nur hinein geraten? „...aber dann begann wieder diese Anomalie, dass keine Kinder unter den Reinrassigsten aller Wesen geboren wurden und so kam die große Jagd auf. Man suchte die letzten beiden geborenen Zwillinge, die auf die Zeit vor achtzehn Jahren hin gepasst hatte und trennte sie um ihre Existenz zu sichern. Wichtig ist dabei jedoch nur der erst geborene Zwilling. Irgendwie unterscheiden sie sich, aber davon habe ich keine Ahnung. Jedenfalls, wurde ich vor drei Jahren zu deinem Wächter abgestellt und vor einem, als deine Schwester ernsthaft bedroht war, entschied man, dass ich in direkten Kontakt zu dir stehen solle und dein Vertrauen gewinnen.“
Die Worte erweckten in mir, den Wunsch sich zu übergeben, doch stattdessen lachte ich humorlos. „Ja, ich vertraue dir mindestens so sehr wie einem verärgerten Stinktier!“
Sam sprang galant wie eine Gazelle über den Stamm eines umgefallenen Baumes hinweg und reichte mir die Hand, damit ich darüber klettern konnte. Seufzend kletterte ich umständlich auf den bescheuerten Baumstamm und rutschte, wie zu erwarten ab. Wie sollte man auch mit nur einer verdammten Hand das Gleichgewicht in einem gefrorenen Wald behalten? „Das du mir vertraust, war auch nie meine Absicht. Es reichte doch, wenn ich im selben Haushalt mit dir leben musste.“ Erwiderte Sam, noch bevor ich, nicht einmal ansatzweise elegant, in seinen Armen landete und er mich vorsichtig auf dem Waldboden abstellte.
„Ich glaube ja eher, dass ich hier diejenige sein sollte, die diesen abfälligen Ton über unsere >Wohnsituation< haben sollte. Immerhin hast du mich von Anfang an gepiesackt, beleidigt, gedemütigt und mich verdammt noch einmal sogar gebissen!“ Erinnerte ich ihn verärgert und stieß ihn unsanft von mir.
„He! Du bist immerhin der zweite Zwilling! Eigentlich wollte ich absolut nichts mit dir zu tun haben.“
Okay, das verletzte mich nun ernsthaft! „Was soll das denn jetzt wieder bedeuten?“
„Das der zweite Zwilling im Normalfall der böse ist und der eifersüchtige, der den ersten beinahe immer umbringt.“
„Ich habe meiner Schwester nichts angetan!“ Schrie ich ihn wahrheitsgetreu an.
„Das weiß ich, immerhin hatte ich dich die gesamte Zeit im Auge. Außerdem bist du viel zu dumm, um jemandem ernsthaft etwas antun zu können.“
Rasend vor Wut schlug ich Sam das zweite Mal an diesem Abend ins Gesicht. Wieder wurde seine Wange leuchtend rot, mindestens so sehr wie seine goldenen Augen. „Für was war das denn?“ Knurrte er ein Raubtierknurren und Fell blickte unter seiner abfallenden Haut hervor.
„Das fragst du auch noch? Du beleidigst mich, entführst mich, verkaufst mich, bringst mich beinahe um und ich soll vielleicht auch noch daneben stehen und dir das Köpfchen tätscheln, oder was stellst du dir vor?“
Bedrohlich senkte er den Kopf, was mich normalerweise zurückweichen ließ, doch dieses Mal war mein Fluchtweg nach hinten versperrt, dank eines dummen Baumes. „Du musst mir nicht unbedingt den Kopf tätscheln, wenn du nicht willst, aber du könntest mir etwas anderes streicheln, wenn es dir dann besser geht.“
Da ich verstand, was er meinte, rutschte mir mein Herz nur noch weiter in die Hose. Ja, genau, eine Vergewaltigung war das Einzige was in meinem verdammt beschissenen Lebenslauf noch fehlte! „Bevor ich dich auch nur ansatzweise freiwillig anfasse, jage ich mir lieber gleich selbst eine Kugel in den Kopf, oder stürze mich sogar noch einmal den Abhang hinunter!“ Zu meiner eigenen Überraschung klang meine Stimme kein bisschen verängstigt, sondern bockig. Außerdem, brauchte ich keine Angst vor ihm zu haben. Er wurde bezahlt mich zu beschützen. Es ist Sams Aufgabe, dass ich heil, ankomme und nicht einfach verschleppt wurde. Das musste ich mir nur oft genug selbst vorsagen, vielleicht glaubte ich es ja dann irgendwann. Bis dahin, würde ich mich bockig verhalten und Sam das Leben zur Hölle machen, so wie er mir das letzte Jahr.
„Mach ruhig, wenn du eine Pistole findest, oder zurück zum Abhang.“ Es war definitiv eine Herausforderung. Sam wollte sehen, wie ich nachgab und mich entschuldige, doch das würde niemals passieren.
„Gut!“ Entschied ich und kletterte wieder auf den verdammten Baumstamm zurück, ließ mich dieses Mal jedoch auf der anderen Seite einfach hinunter gleiten. Das war sicherer, als mir die Schmach zu geben vor ihm auf die Nase zu fallen.
Ich drehte mich nicht um, während ich zurück zum Abhang ging, der mindestens zehn Minuten hinter uns liegen musste. Auch versuchte ich, seine Schritte hinter mir auszublenden, während ich mich darauf konzentrierte, unter keinen Umständen hinzufallen. Und das war eigentlich das Einzige, dem ich meine Konzentration schenken konnte, denn der Waldboden war unglaublich tückisch. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand, aber bevor es gefroren hatte, musste es hier geregnet haben und jetzt war so gut wie alles vereist. Man konnte diese Gegend geradezu einen Eiswald nennen.
„Willst du jetzt wirklich den ganzen Weg zurückgehen und dich von Werwölfen fressen lassen?“
Werwölfe? Das war ein Werwolf gewesen, der versucht hatte mich einzuholen? Panik ersetzte das Gefühl von Angst in mir. „Lieber lasse ich mich jetzt von irgendwelchen Monstern auffressen, als noch eine Minute mit einem geschmacklosen Bastard wie dir zu verbringen.“
„Wir haben jetzt aber keine Zeit für deine kindische Aktion, wir müssen weiter zu der nächsten Straße. Dort kommen wir zu einem Dorf, wo wir abgeholt werden.“
„Kindische Aktion? Wer von uns beiden hier, ist ein geldgeiles Arschloch, das sich zum richtigen Preis sogar selbst verkauft? Weißt du, wie der Fachbegriff einer solchen Person lautet?“
Knurrend fing mich Sam ab, doch ich wehrte mich. Ich wollte unter keinen Umständen weiter mit ihm mit gehen! „Lass mich sofort los, du Dreckschwein!“
„Nein, das ist nicht der Fachbegriff.“ Korrigierte er mich sarkastisch und hob mich einfach hoch. „Aber ich habe keine Zeit für deinen Sturkopf. Nur noch bis zu dem Dorf, dann bist du mich für immer los!“
Ich erstarrte in meiner Bewegung und blickte hoffnungsvoll zu ihm auf. Seine Nase zuckte in seinem Gesicht, als würde er nach einem Geruch suchen, und sprang elegant, mit mir im Arm, über den Baumstamm hinweg.
„Wirklich? Ich muss nur noch bis zu dem verdammten Dorf, dann werde ich dich los?“
„Du musst mich niemals wieder sehen!“ Versprach er und ging mit schnellen Schritten weiter. Jetzt merkte ich erst, wie sehr ich seine Geschwindigkeit gedrosselt hatte!
„Und das sagst du nicht nur, damit ich endlich ruhig bin?“
„Hätte ich gewusst, dass dich dieser Gedanke so sehr begeistert, dass du mir wie ein braves Hündchen folgst, hätte ich dir das schon viel früher gesagt! Mein Auftrag endet dann, wenn ich mein Schützling bei meinem Chef abgebe. Dann bekomme ich mein Geld und weg bin ich noch in derselben Minute, denn ich habe es ehrlich eilig.“
Der Klos um mein Herz wurde deutlich leichter und sogar meine Panik verschwand. Nur kehrte nun Nervosität ein. Sam würde weggehen und mich in einer fremden Welt alleine lassen. Und was würde man der Polizei sagen? Meinen Adoptiveltern? Henry?
Das alles wurde mir nun erst bewusst, wo ich mich nicht mit dem Gedanken herum schlagen musste ihn zu ertragen. Mein gesamtes Leben war zusammen mit dem Bike einfach in sich zusammen gebrochen und hatte ich nicht erst letzte Woche zu Gael gesagt, dass ich mich eigentlich wohl fühle, dort wo ich aufgenommen wurde? Nicht so, dass ich sie als meine richtige Familie ansehen würde, doch genug, um nicht weglaufen zu wollen.
„Wenn du jetzt anfängst zu flennen, werde ich dich am Bein hinter mir her ziehen.“
Schnell wischte ich eine Träne aus dem Augenwinkel und blickte auf meine angewinkelten Füße, die bequem in Sams Arm lagen.
„Entschuldige... ich habe eben erst realisiert, was gerade eigentlich passiert.“
„Du meinst, dass du eigentlich überhaupt nicht zu den Menschen gehörst, sondern ein sagenumwobenes Wesen bist, in der Gestalt eines bockigen Rotzlöffels?“
Schlug er vor und bekam dafür einen verärgerten Blick. „Okay, machen wir einen Deal, wir reden ab jetzt nur noch das Nötigste miteinander, so lange bis ich in der Obhut, von wem auch immer bin.“
Sam nickte. „Klingt perfekt.“
Ich wandte meinen Blick wieder ab und da wurde mir auch erst klar, dass mich Sam immer noch in seinen Armen trug. Eigentlich sollte es mir unangenehm sein und ich verspürte auch das Bedürfnis ganz schnell wieder auf meinen eigenen Beinen zu stehen, doch mein Kopf übernahm endlich einmal die Führung über meine Gefühle und dachte praktisch. Wenn Sam mich trug, sind wir viel schneller unterwegs, was bedeutete, dass wir viel schneller am Ziel ankamen, sich Sam viel schneller seinen Lohn abholen konnte und direkt danach verschwand! Diese Tatsache klang um einiges anregender, weiterhin an Ort und Stelle zu bleiben, auch wenn ich mich fürchterlich unwohl in meiner derzeitigen Situation befand. Langsam aber sicher, wurde mir nun auch meine Erschöpfung klar. Das ständige Streiten mit Sam hatte mich wohl völlig ausgelaugt, oder es lag an der Tatsache, dass es bald Morgengrauen werden würde und ich mit einer viel zu hohen Geschwindigkeit von der Straße abgekommen war? Bis jetzt lag der Wald noch in seiner eisigen Dunkelheit, doch in bereits wenigen Stunden würde die Sonne wieder hoch am Himmel stehen und je länger mich sanft in seinen warmen Armen trug, wurde mir klar, wie schwer Augenlider sein konnten. Eigentlich sollte ich ja endlich wieder selbst gehen, damit mein Kreislauf nicht mehr auf >Pause< stand und die Kälte meine Glieder weckte?

9. Freund, Feind, Familie, oder Ex?

„Aufwachen, Prinzesschen.“ Flüsterte plötzlich Sam an mein Ohr und grelles Licht blendete meine Augen.
Gähnend hielt ich mir die Hände vor mein Gesicht, und versuchte durch zusammen gekniffene Lider etwas zu erkennen. „Mist, bin ich eingeschlafen?“ Fragte ich, doch kannte die Antwort bereits.
„Nicht lange.“ Erklärte er immer noch so leise, dass mir meine eigene Stimme viel zu laut vor kam. „Entschuldige...“ Nuschelte ich und wollte mich aufsetzen, doch realisierte, dass mein Körper immer noch in Sams Armen lag, er jedoch am Boden geduckt saß und geduldig darauf wartete, dass ich richtig wach wurde.
„Schon gut, aber... du musst etwas für mich tun, ich kann so nicht gehen.“ Ich erkannte an seinem Gesicht, dass er immer noch in seine Katzengestalt steckte, und nickte sofort. Vergessen waren der Streit und alle Anspannungen. Irgendwie klang er viel zu ernst, als dass ich jetzt wieder zickig sein wollte. „Dort vorne ist ein Markt, sag du hattest einen Unfall und du willst jemanden anrufen, der dir helfen kommt. Dann wählst du diese Nummer und sagst das, was darunter steht.“ Sam drückte mir einen Zettel in die Hand, wofür er jedoch meine Beine und meinen Po auf den kalten Waldboden absetzen musste und ich fröstelte sofort wieder. Automatisch rückte ich näher an ihn, was ihn verwirrt die Stirn kraus ziehen ließ. „Mir ist kalt...“ Rechtfertigte ich mich und nahm ihm schnell den Zettel aus der Hand, um mich abzulenken. „Ja, klar kann ich machen, aber wieso trägst du so einen Zettel mit dir herum?“ Da stand wirklich getreu oben, dass wir unter dieser Nummer abzuholen seien und etwas nicht nach Plan gegangen sei.
„Ich bin eben gerne vorbereitet.“ Erklärte er lediglich. „Und geh auf keinen Fall irgendwo anders hin, sprich mit niemandem und sag niemanden deinen Namen.“
„Okay, also keine Kontaktaufnahme mit irgendwelchen Aliens, verstanden Chef.“
Schmunzelnd half mir Sam auf meine wackeligen Beine. „So könntest du mich ruhig öfter nennen, das gefällt mir viel besser.“ Grinsend streckte ich ihm die Zunge heraus und ging an einem Gebüsch vorbei, auf eine Straße zu. Das Geschäft welches er gemeint hatte, war genauer gesagt ein vierundzwanzig Stunden Markt, der nicht besonders belebt aussah. „Und nimm mir was zum Essen mit!“ Hörte ich die Stimme von Sam aus dem Wald und grinste. „Katzenfutter?“ Fragte ich und hörte, wie er aus der Entfernung knurrte. Okay, dann also Katzenfutter.
Immer noch grinsend, ermahnte ich mich, dass ich aussehen musste, als hätte ich eben erst einen Unfall gehabt. Nun, ja den hatte ich ja eigentlich auch!
Vorsichtshalber besah ich mich, so gut es ging noch einmal. Mein Pyjama ist am Knie zerrissen, der Ärmel meins Mantels war aufgeplatzt und an etlichen Stellen war ich schmutzig. Meine Haare wollte ich wohl überhaupt nicht sehen.
Mit gesenkten Blick trat ich in den Markt und ging direkt auf die Kassa zu, wo jedoch niemand war. „Hallo?“ Ich ließ meine Stimme absichtlich leicht gebrochen klingen, um mehr Mitleid zu erregen.
Eine genervt aussehende, rothaarige Frau kam mit strengen Blick auf mich zu und zog die Augenbrauen hoch. „Kann ich Ihnen helfen?“
Ich nickte. „Bitte, ich hatte einen Unfall, einige Kilometer weiter oben. Dürfte ich Ihr Telefon benutzen, um jemanden zu kontaktieren?“
„Natürlich, lass dir ruhig Zeit, du kannst auch hier warten, wenn du möchtest.“ Ich lehnte dankbar ab, doch nahm ihr Handy an, wählte die Nummer vom Zettel.
„Ja?“ Erklang lediglich eine gelangweilte weibliche Stimme. „Ähm... Ich...“ Beinahe hätte ich meinen Namen gesagt. Kurz atmete ich noch einmal durch, dann sagte ich das was auf dem Zettel stand. „Es ist nicht nach Plan gelaufen. Komplikationen behoben, brauche aber Abtransport von dieser Nummer.“
Kurz war lediglich Schweigen von der anderen Seite des Telefons zu hören, dann meldete sich eine andere Stimme. „Hi, ich habe deine Daten, ist mit der Fracht alles in Ordnung?“
Irritiert schwieg ich. Kannte ich diese Stimme nicht? „Hallo? Elth?“
„Ähm... Nein, Gael?“ Fragte ich nun meinerseits und glaubte es selbst kaum.
„Dell? Wieso rufst du für Elth an?“
„S... Elth sitzt... irgendwie im Wald fest, er kann nicht unter Menschen gehen... Ähm... Soll er mich etwa zu dir bringen?“
Gael schwieg eine Weile, dann hörte ich ein lang gezogenes Seufzen. „Ja, aber das ist jetzt nicht wichtig. Wie geht es dir?“
Mir? Wie es mir geht? Körperlich, oder seelisch? Was war wohl schlimmer dran, derzeit? „Ich glaube kaum, dass ich jetzt die Zeit habe um dir eine Welle von Beschimpfungen an den Kopf zu werfen, das mache ich lieber später persönlich! Und wehe du wagst es mich jemals wieder anzulügen, dann reiße ich dir die Haut eigenhändig vom Leib!“ Wutentbrannt drückte ich stärker auf den Touchscreen, als nötig und erblickte erst da die Verkäuferin, die wegen meiner Schreierei wieder hinaus gekommen war. „Entschuldigen Sie. Familien sind... anstrengend.“
Erklärte ich ausweichend und zum ersten Mal lächelte sie. „Du bist also mit Elth unterwegs?“ Fragte sie stattdessen und lehnte sich gemütlich an ein Regal. Mist! Er sagte doch... eigentlich nur, dass ich meinen Namen nicht nennen sollte. Vielleicht wäre es besser gewesen, überhaupt keine Namen zu sagen?
„Schau nicht so ängstlich, ich bin nicht so ein Arsch wie er. Hol ihn und sag ihm das Lissy hier ist. Ich mache derweilen die Kameras aus.“
Wie gewünscht drehte ich mich um und ging langsam aus dem Markt, während die Frau wieder in ihre Kammer zurückging, vermutlich um die Kameras auszuschalten. Draußen vor dem Markt blickte ich zu der Kamera, die direkt über der Türe war und im selben Moment ging das Licht an dem kleinen unscheinbaren Lämpchen aus.
Verwirrt ging ich weiter, bis ich die Straße überqueren musste. Auf der anderen Seite rief ich nach ihm. „E... Elth? Ich soll dir sagen, dass Lissy will, das du rein kommst und sie hat...“
So schnell dass ich mich erschreckte, sprang er vollkommen in eine schulterhohe Katze aus dem Gebüsch und blickte mich finster an. Mit einem Aufschrei taumelte ich zurück auf die Straße. „Scheiße... Ähm... Elth?“
Knurrend ging er an mir vorbei, wobei er mich jedoch mit seinem langen, für das Gleichgewicht ausgelegten Schwanz, mit Absicht schlug, doch ich folgte ihm.
Gruselig von so einem großen Tier geführt zu werden, oder gar wütend angestarrt. An der Türe deutete er mir vor zu gehen, jedoch ließ ich es mir nicht nehmen, einen großen Abstand zwischen uns zu lassen. Mit einem Schauder im Rücken eilte ich in den Markt und sprang dabei beinahe der Verkäuferin in die Arme.
„Huch!“ Rief sie aus und grinste breit. „Was hast du denn mit ihm angestellt? Er sieht richtig wütend aus.“
Ich konnte mir auch vorstellen wieso...
„Hier, iss einmal was, zahlen kannst du später.“ Versprach sie und reichte Sam drei große Stück Rippchen, mit denen er sich gemütlich auf den Boden legte und eifrig daran herum kaute. „Wie ist dein Name?“ Fragte die Verkäuferin nun an mich gewandt.
Anstatt zu antworten, blickte ich zu Sam, der mich finster anstarrte. „Ich... denke, ich muss einmal die Toilette benutzen.“ Meinte ich ausweichend und die Lissy deutete auf den Aufenthaltsraum. Schnell lief ich dort hin und Sam schien mir folgen zu wollen, doch das würde ich bestimmt nicht zulassen!
„Zum Teufel, pinkeln werde ich doch noch alleine können, oder willst du mir dein verdrecktes Fell als Klopapier anbieten?“ Fauchend zeigte er mir die Zähne, doch legte sich wieder artig zu seinen Rippchen, während Lissy ein neues Päckchen für ihn öffnete.
Erleichtert, endlich alleine zu sein, ging ich direkt in die kleine Kammer, die als Toilette gekennzeichnet war. Ohne Umschweife ließ ich mich auf die Schüssel fallen, doch merkte, dass ich überhaupt nicht musste. Ich wartete noch etwas, doch stand dann auf, drückte auf die Spülung und wusch mir unnötiger weise die Hände, während ich versuchte einige Äste und gefrorene Stücke bestehend aus Erde, aus meinen Haaren zu bekommen. Dicke Ringe lagen tief unter meinen grünen Augen und mein normalerweise rot glänzendes Haar, war einfach nur eine tiefschwarze Brühe, die scheinbar zufällig über meinen Kopf und meine Schultern fiel. Meine zitternden Finger wärmte ich an dem heißen Wasser und ärgerte mich unnötigerweise darüber, dass mein schwarzer Nagellack bereits brüchig war. Auch mein Lidschatten und mein Kajal, den ich vor meiner Abreise noch nicht abgewischt hatte, hatten nach dieser Nacht eine Exkursion über mein gesamtes Gesicht gemacht und es ähnlich einem verweinten Waschbär gestaltet.
Im Grunde, hätte ich mich überhaupt nicht mitleidig stellen müssen, denn ich sah geradezu erbärmlich aus! Frustriert wusch ich mein Gesicht und versuchte mein Aussehen, von >erbärmlich auf >trauriger Anblick< zu steigern. Erfolgreich. Ich bekam meine Schminke vollkommen ab, mit etwas Hilfe von Wasser und viel schrubben, auch meine Haare konnte ich von ihren Kampf gegen dem Wald erlösen. An der Jacke konnte ich nichts mehr retten, oder an meiner Hose, doch das war im Moment so wie so egal. Auch das mit meinem Aussehen, für wen machte ich das überhaupt? Um Zeit, zum nachdenken zu finden? Um mich zu beschäftigen und eine Ausrede zu haben, wie so ich so lange hier drinnen war? Wenigstens musste ich derweilen nicht in der Nähe von Sam sein, denn der sah richtig wütend aus. Aber was konnte ich denn dafür? Ich wusste ja nicht, dass jemand hier war, der seinen Namen kannte und sofort darauf schloss, wer ich sein könnte? Oder ging es um etwas anderes? War das etwa seine Ex, die er nicht leiden konnte? Ein Familienmitglied? Eine alte Freundin? Rivalin? Ich wusste doch überhaupt nichts über diese Welt. War sie etwa wie Sam, oder ein ganz anderes Wesen? Vielleicht sogar nur ein einfacher Mensch, der bescheid wusste?
Frustriert, dass jeder mehr über mich wusste, als ich selbst, öffnete ich die Türe und wurde von zwei langen Armen empfangen. Am Geruch erkannte ich sofort, dass es Sam war, doch... Wieso, zum Teufel?
Er umarmte mich, ohne etwas zu sagen, und schien mich auch nicht loslassen zu wollen. Fünf Sekunden stand ich so da und wusste nicht, was ich tun sollte, daher tätschelte ich einfach verwirrt seinen nackten Oberarm. Moment! Hatte er etwa immer noch nichts an? Langsam wurde das peinlich! Mit Fell konnte ich leben, doch nicht mit blanker Haut. Ich beschloss, dass es genug war und schob ihn sanft von mir.
Als ich Sam in seine nun wieder dunklen, beinahe schwarzen Augen sah, bildete sich willkürlich ein Kloß in meinem Hals und ich wusste, wenn ich jetzt den Mund aufmachte, würde eine Welle von Tränen losbrechen, genau das wusste Sam ebenfalls. Deshalb hatte er mich ohne etwas zu sagen, einfach in den Arm genommen und zog mich jetzt sogar noch einmal zu ihm. Dieses Mal stand ich nicht einfach steif da, und wusste nichts zu tun, sondern vergrub mein Gesicht an seinem Brustkorb. „Du warst tapfer bis jetzt und alles, was ich Wald gesagt habe...“ Er flüsterte es nur leise in mein Ohr und Sam sprach auch nicht zu ende. Generell schien er plötzlich selbst etwas steif zu werden und sich unwohl zu fühlen, doch diese kleine, wenn auch kurze Geste des Verständnisses, ließ meinen Tränenpegel rasch wieder sinken. Auch das Atmen, das mir bisher schwergefallen war, schien sich wieder natürlicher anzufühlen und ich konnte die aufkommende Panik abschütteln. „Passt schon.“ Erwiderte ich ebenso ausweichend wie er und trat einen Schritt von ihm weg, als er seine Hand wieder aus meinem Haar nahm und sich räuspernd einfach abwandte.
Lissy stand hinter ihm und ließ keinerlei Gefühlsregungen durch scheinen. Ob sie missbilligte, dass er mich tröstete? Eifersüchtig war? Oder es etwa sogar lustig fand? Vielleicht süß? Ich wusste selbst nicht wirklich, wie ich es finden sollte. Abgesehen von der Dankbarkeit, natürlich.
„Also, das ist also dein Schützling? Ich dachte, du sollst sie heil zu >ihm< bringen?“ Begann Lissy das Gespräch, während sie mir eine Flasche mit Wasser reichte.
„Sie ist auch noch ganz, oder? Ihr fehlt kein einziges Glied und hat keine Brüche. Für mehr habe ich nie garantiert.“
Dass ich beinahe in die Luft gesprengt worden wäre, dass wir einen Hang hinunter gefallen sind und dass er mich die letzten Monate terrorisiert hatte, hielt er für unwichtig zu erwähnen. Was hatte ich auch anderes erwartet?
„Du bist wirklich viel zu lange bei der falschen Rasse aufgewachsen, Kleiner.“ Kopfschüttelnd reichte sie mir ein verpacktes Brot und warf die leere Plastikflasche in den Mülleimer unter dem Schreibtisch. „Was falsch ist und was nicht, hast du nicht zu entscheiden, wenigstens muss ich nicht so leben wie du.“
„He! Schließe nicht von dir auf andere. Wenigstens habe ich eine Familie, im Gegensatz zu dir.“
Fragend zog ich die Augenbrauen hoch. Sollte ich lieber gehen und die beiden alleine streiten lassen? Eigentlich ging es mich ja überhaupt nichts an.
„Ja, dich als Prostituierte anschwängern zu lassen, ist natürlich besser als sich mit der kleinen Aufgabe einen Rotzlöffel für ein paar Jahre zu beschützen und dafür richtig abkassieren!“
„He!“ Stieß ich hervor um auf den >Rotzlöffel< aufmerksam zu machen, der immer noch neben ihm stand.
Sie beachteten mich nicht. „Du bist nichts Weiter als eine Hure, nur dass man dich nicht für Sex bezahlt, sondern für >andere Dienstleistungen<.“ spottete Lissy und ließ ein bedrohliches Knurren aus ihrer Kehle aufsteigen. Also war sie definitiv kein Mensch. Na, toll. Außerdem, hatte ich so etwas Ähnliches nicht ebenfalls vor ein oder zwei Stunden angedeutet? Langsam mochte ich sie.
„Also, ich mag sie. Wollt ihr nicht vielleicht tauschen?“ Reizte ich Sam, der mich wütend anfunkelte.
„Das Hauskätzchen könnte ja nicht einmal einen Spion von einem alten Opa unterscheiden, geschweige denn, dass ihr die Sinne fehlen, die für meinen Auftrag notwendig sind!“
„Hauskätzchen!“ Stieß nun Lissy ebenso empört, wie ich vorhin, hervor. „Ich bin eben eine richtige Großkatze, die sich nicht darauf herablässt, ihren Kopf zu beugen, und mal eben ihren Stolz zur Seite zu schieben, was man von einem Ochsen wie dir nicht behaupten kann.“
Okay, jetzt mochte ich sie erst recht! Ich schmunzelte vor mich hin und biss herzhaft in mein Brot. Wenigstens wusste ich jetzt, dass ich nicht die Einzige bin, die ihn nicht leiden kann. Das ist sogar besser als Kino! „Ach! Du grins nicht so selbstgefällig. Wärst du nicht so dumm und hättest das getan, was ich dir gesagt habe, dann müssten wir jetzt nicht hier drinnen warten!“ Knurrte mich Sam an und verschränkte beleidigt die Arme vor dem Brustkorb.
„Ja, natürlich draußen im Eiswald zu sitzen, ist wesentlich besser, das hatte ich ganz vergessen.“ Meinte ich ironisch, und versuchte mich nicht zu verschlucken.
„Dort kann dir wenigstens nichts passieren!“
„Du meinst, außer den Erfrierungstod zu erleiden, Lungenentzündung, verhungern, verdursten, meine Nerven weiterhin an dich verlieren? Natürlich, da ist es hier im Markt mit den stabilen Regalen, dem Essen, dem Trinken und natürlich nicht zu vergessen der Heizung viel gefährlicher!“
„Hast du schon vergessen, was ich darüber gesagt habe, von wegen auf mich zu hören?“
Nachdenklich legte ich den Kopf schräg? „Du meinst den Teil mit nur über meine Leiche?“ Fragte ich vollkommen unschuldig.
Fauchend stieß Sam Lissy aus dem Weg und stürmte aus dem Aufenthaltsraum. Lissy grinste mindestens so breit wie ich, bevor sie die Türe hinter ihm schloss.
„Tut mir leid, dass du unseren Streit mit anhören musstest.“ Entschuldigte sie sich, doch lächelte weiterhin breit.
„Das? Für das musst du dich an aller wenigsten entschuldigen, ich bin froh, dass ich endlich weiß, dass es nicht an mir liegt, das Sam... ich meine Elth immer so schnell, austickt.“
„Ja, sein Beschützerinstinkt ist eben sehr ausgeprägt. Er ist eigentlich schon ein recht guter Kerl.“
Überrascht bekam ich ein Stück Brot in die falsche Röhre und hustete. Als ich wieder Luft bekam, sah ich sie verwirrt an. „>Guter Kerl<? Also ich kenne einen richtig guten Kerl, der dachte, seine Freundin wäre schwanger und sich so sehr gefreut hatte, als wäre es ein Sechser im Lotto und er ist erst achtzehn! Ich denke, wir haben verschiedene Ansichten über die Bezeichnung >Gut<. Stellte ich fest.
„Ich weiß genau, was du meinst. Elth ist... impulsiv.“ Meinte sie sachlich, doch musste sich selbst eingestehen, dass das vermutlich etwas untertrieben war. „Okay, er ist ein Arsch, aber auf eine gute Weise. Er tickt aus, alleine weil er Angst hatte, dass dir etwas passieren könnte. Und er ärgert jemanden nur, weil er nicht möchte, dass man merkt, wenn er jemanden gerne hat. Wir beide lieben uns sehr, auch wenn es nicht einmal ansatzweise den Anschein hat. Also, wie stehst du zu ihm?“
Sollte das jetzt etwa so etwas wie eine Befragung werden? Wollte sie die Fronten klar stellen, ob ich Interesse an einem Idioten wie ihn hatte? „Zu ihm stehen? Er hat mich die letzten Monate terrorisiert, mich verletzt, gemobbt, seelisch gequält, angelogen, entführt, einen Abhang hinunter geworfen...“ und eigentlich alles daran gesetzt mich zu beschützen.
Eigentlich hat mich nie jemand anderes beleidigt außer er, mich hat niemand geschubst wie in den anderen Schulen, meine Sachen geklaut, oder mir aufgelauert. Das hat alles Sam übernommen. Sogar als ich am Erfrieren war, kam er um mir zu helfen, beschütze mich vor Gefahren, von dessen Existenz ich keine Ahnung gehabt habe, rettete mich vor dem sicheren Tod, verband mein Handgelenk, trug mich, als ich erschöpft war und tröstete mich kurz vor einer Panikattacke, ohne ein Wort darüber zu verlieren.
Also... ist er jetzt ein guter Kerl oder ein Arschloch?
„Scheint so, als müsstest du noch darüber nachdenken, ob du ihm vertrauen kannst oder nicht?“
Sofort schüttelte ich den Kopf. „Nein, er ist kein Freund von mir, er verkauft mich an jemanden den ich nicht kenne und verschleppt mich mitten in der Nacht. Ich bin froh, wenn ich ihn nie mehr sehen muss und ihm geht es genauso.“ Stellte ich klar, warf den Rest meines Brotes in den Mülleimer und folgte Sam hinaus in den Eingangsbereich.
Dort stand er zu meiner Überraschung und sprach mit drei Männern im Anzug. Einen erkannte ich sofort. „Gael!“ Stieß ich freudig hervor, bevor mir wieder einfiel, dass ich ja eigentlich wütend auf ihn war.
„Edelle! Dir geht es gut!“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage und er kam ohne Umschweife auf mich zu, während Sam weiterhin mit den übrigen zwei Männern sprach.
„Mehr oder weniger.“ Gab ich von mir.
„Was ist mit deinem Arm?“
„Nur beleidigt, nicht mehr.“
Gael schwieg und die bedrückte Stimmung zwischen uns wurde mir immer deutlicher bewusst. Eigentlich wollte ich ihn anschreien und ihm Vorwürfe machen, die er verdient hatte, aber andererseits... Kurzerhand schlang ich meinen heilen Arm um Gael und er legte seine genauso um mich. Als hätte er nur darauf gewartet mich endlich in seine Arme schließen zu dürfen drückte er mich an seine Brust und seufzte erleichtert.
„Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht, Prinzesschen.“ Nuschelte er in mein Ohr und es klang seltsamer weise sogar familiär.
„Du bist ein Arschloch!“ Beleidigte ich ihn um meinen Ärger trotz meiner Freude ihn zu sehen Dampf zu machen.
„Ein Arschloch, das nur darauf bedacht war, dich vor allem zu beschützen, so lange wie es nötig gewesen wäre. Da jedoch deine Schwester gestorben ist, konnten wir dir das alles nicht länger verschweigen. Das tut mir leid.“
Ich hob abweisend die Schultern. „Nicht so wichtig, jetzt.“ Nuschelte ich und verkroch mich noch weiter in Gaels Arme.
„Es tut mir so leid, dass ich dich nicht großziehen durfte, meine Süße. Es tut mir alles so leid. Dass ich dich im Unwissenden gelassen habe, von einer Familie in die andere stecken und dich über dein ganzes Leben belügen. Aber jetzt werde ich es wieder gut machen, versprochen. Wir werden die letzten Monate zusammen durch stehen und ich werde dich über kein einziges Detail mehr belügen, okay?“
Ich hob den Kopf etwas um ihn ansehen zu können, und fühlte die Ehrlichkeit in seiner Stimme. Nickend stimmte ich zu. Keine Lügen. Kein Sam. Keine Pflegefamilien. Mein Leben schien in diesem Moment erst richtig beginnen zu dürfen.

10. Vom Regen in die Traufe

Nach einer dreistündigen Fahrt, von der ich nicht mehr als zwanzig Minuten etwas mit bekommen hatte, fühlte ich, wie mich jemand sanft weckte. Man hatte mich zu einem angeblich >sicheren Ort< gebracht, an dem ich auf meinen Geburtstag warten könne und ich alle Geschichten erfahren dürfte, die ich wollte. Was genau Gael damit meinte, verstand ich noch nicht recht, doch ich war bereits richtig neugierig darauf.
Nach einer heißen Dusche und frischer Kleidung, die von meiner Schwester stammte, ging ich zwei Stockwerke hinab in das Erdgeschoss, wo sich eine Küche so wie ein großes Wohnzimmer befand. Es gab dort etliche Brettspiele, Kartenspiele und noch viel mehr Bücher, um sich zu beschäftigen. Jedoch durch die abgeschiedene Lage, gab es keinen Handyempfang oder Internet. Die einzigen Bildschirme die hier also nützlich waren, waren die vom Sicherheitssystem, das angeblich jetzt einwandfrei funktionieren solle.
Draußen vor dem alten Gebäude lag gut, kniehoch der Schnee und verlockte mich in den frühen Morgenstunden hinaus zu gehen, doch das wurde mir bereits beim Eintreten des Gebäudes abgeraten. Zumindest nicht ohne jemanden, der auf mich aufpassen konnte.
Gael verschwand, während ich mich fertig machte, in seinem Büro und meinte, dass er jetzt gut eineinhalb Stunden beschäftigt sein würde. Danach würde er mit mir reden. Nur über was? Das er meine Schwester nicht beschützen konnte? Wieso sie getötet wurde? Warum ich an ihrer statt hier her gebracht wurde? Oder am wichtigsten... Was bin ich?
Bevor ich tiefer in diese Gedanken versinken konnte und mich mit Fragen quälen, auf die ich keine Antwort besaß, frohlockte mich ein himmlischer Duft. Ich erkannte irgendwelche Kräuter, die ich jedoch nicht zuordnen konnte und den alles übermannenden Duft nach Fisch.
Neugierig geworden, wer sich früh morgens Fisch kochte, oder briet, folgte ich dem unverkennbaren Duft in die modern ausgestattete Küche. Umso überraschter war ich, als ich Sam vor fand. „Was tust du noch hier?“
Als mich Gael im Auto aufgeweckt hatte, konnte ich ihn nirgendwo entdecken, daher war ich davon ausgegangen, dass er tatsächlich endgültig fort sei. „Nach was riecht es denn für dich?“ Fragte er sarkastisch und deutete auf einen riesigen Fisch in einer noch größeren Pfanne. Wo sollte die denn Platz finden?
„Das meinte ich nicht. Ich dachte, du wärst schon weg.“
„Gael ist noch beschäftigt, daher dachte ich mir, ich genehmige mir noch etwas leckeres zum Essen, bevor ich mich verziehe.“ Meinte er stolz und balancierte sein Ungetüm an Fisch über die Theke zum Herd. „Und wie dachtest du, dass du dieses... Monster in das winzige Rohr bekommst?“ Lächelnd lehnte ich mich über den Tresen, an dem drei Barhocker standen und grinste frech.
„Komm her, dann siehst du mein Geheimversteck.“ Sagte er plötzlich mysteriös und ich wurde tatsächlich noch neugieriger. Nun, ja wer wäre das nicht?
Lachend griff ich mir an die Stirn. „Du bist ein Idiot! Den kannst du doch nicht roh essen!“ Auf seiner Seite der Theke stand bereits ein Teller und Besteck.
„Wieso? Die Füllung ist bereits fertig und Sushi isst man auch roh!“ Beschwerte er sich und stellte den Fisch, um sein >Meisterwerk< zu bewundern. „Aber nicht solche... Dinger!“ Wie viele Kilo muss der Fisch gewogen haben? Zehn? Mehr?
„Ich habe ihn vorher ein wenig gegart.“ Gab er schlussendlich zu, vermutlich nur, um mich zu beruhigen. „Außerdem ist der Fisch gut, ich würde es riechen, wenn er nicht zum Verzehr geeignet wäre.“
Trauriger weise musste ich mir eingestehen, dass ich das wohl oder übel nicht beurteilen konnte. Ich wusste immerhin nichts über seine Rasse, oder gar die Verhaltensweisen von Katzenmenschen. „Okay... Wenn du meinst, aber heule später nicht herum, wenn dir der Bauch weh tut!“ Mahnte ich neckend und erinnerte mich dann, dass er etwas von einer Füllung gesagt hatte. „Was für eine Füllung hast du überhaupt da hinein getan?“ Und seit wann füllt man Fische?
„Fischpastete.“ Die Antwort kam so überraschend, dass ich einfach anfing zu lachen. Sein ernst? Fischpastete für die Füllung eines Fisches?
„Wieso lachst du denn? Zu Fisch gehört eben Fisch.“
„Du hättest auch einen Salat oder Reis dazu machen können.“ Klärte ich ihn auf, nachdem ich wieder halbwegs atmen konnte. „Nein danke, ich bleibe lieber beim Fisch.“ Großzügig lud er sich etwas von dem lauwarmen Fisch auf den Teller und sah begeistert zu, wie die Pastete aus dem Loch herausquoll.
Okay, meine Ekel-Skala war definitiv überschritten! „Das ist so ekelhaft!“ Ich würde so etwas niemals essen.
„Das sagst du nur, weil du es noch nicht probiert hast.“ Bot er frech an.
„Ich verzichte dankend!“ Lehnte ich höflich ab.
Sam schob plötzlich seinen Zeigefinger in die heraus quellende Pastete und reichte ihn mir. Angeekelt verzog ich das Gesicht. „Nein danke!“
„Ich bestehe darauf. Ich habe deine Gerichte auch immer gegessen, also musst du auch einmal meines probieren.“
Meine Gerichte? Als würde ich einen Wal mit Fisch ausstopfen und ihn ihm vorsetzten! „Mit dem großen Unterschied, dass mein Essen gesund war und nicht aussah wie ein Ertrunkenes aufgequollenes ... etwas!“
Sam drängte mich trotzdem weiter. „Komm schon, du liebst doch Fischpastete, das weiß ich. Mir zuliebe.
„Erstens, ich liebe sie frisch gemacht, oder aus der Verpackung genommen, nicht... so“ ich deutete auf den gefüllten Fisch. „Und zweitens, dir zu liebe erst recht nicht.“
Gespielt beleidigt verzog er das Gesicht. „Das verletzt mich aber jetzt. Es ist nur ein bisschen Pastete.“
„Von deinem Finger!“ Erinnerte ich ihn. Nun, ja von einem Löffel würde ich natürlich kosten, da mein Hunger meine Abneigung übermannte, aber von seinem Finger würde ich nichts lecken, nicht einmal wenn ich kurz vor dem Verhungern wäre.
„Es ist nur ein Finger, aber es ist leckere Pastete. Teure Pastete!“
Okay... er hatte mich. Fischpastete und ich gehörten zusammen wie Butter und Marmelade. „Ich will einen Löffel.“ Bestand ich.
„Wenn du das bisschen von meinem Finger leckst, werde ich dir sogar einen Schöpflöffel dafür überlassen.“ Knurrend stimmte mein Magen auf das Angebot ein. Mieser Verräter!
Widerwillig, da ich unbedingt diese verdammt teure Pastete wollte, ging ich einen Schritt auf Sam zu. Zögerlich beugte ich mich zu seinem Finger vor und nahm lediglich die Pastete mit den Zähnen, ohne seinen Finger zu berühren. Eilig schluckte ich sie hinunter und seufzte genüsslich. „So lecker!“ Schwärmte ich.
„Das hättest du ruhig etwas erotischer machen können.“
Genervt verdrehte ich die Augen. War das sein ernst? „Als ob ich dich jemals verführen wollen würde.“ Ich griff zu dem versprochenen Löffel und ging um Sam herum, um noch einen weiteren Teller zu holen. Nebenbei griff ich nach einer verschlossenen Packung Weißbrot und schaufelte etwas von der Pastete auf meinen wesentlich kleineren Teller. Hatte Sam etwa eine Servierplatte genommen?
„Das isst du wirklich alles?“ Fragte ich erstaunt, als Sam genüsslich vor sich hin kaute.
„Natürlich, was denkst du, wie anstrengend es für einen Mischling ist sich zu verwandeln. Wir brauchen viel Energie.“
„Und das holst du dir aus Fisch?“ Ich kannte mich zwar nicht besonders gut mit der Energiebereicherung von Fisch aus, aber ich dachte bisher, immer dass man Fisch aß, wenn man auf Diät war. So wie Huhn.
„Nein, aber ich liebe Fisch.“ Lachend schüttelte ich den Kopf. Jeder musste wohl seinen Tick haben. Bei mir war es Fischpastete und bei Sam ist es eben Fisch generell.
„Gibt es denn irgendeinen Fisch, den du nicht isst?“
„Ja, Schlechten.“
Augen verdrehend öffnete ich das Brot. „Dann... lass es dir eben schmecken.“ Das Gespräch beendend, ging ich zurück in das große Wohnzimmer, um zu sehen, wenn Gael endlich die Treppe hinunter kam, und langweilte mich endlose fünfzehn Minuten.
Nach zehn weitere, kam Sam aus der Küche und wirkte leicht träge, wie man sich eben nach einem großen Mahl fühlen konnte, an dem man sich vollgestopft hatte. Mein Grinsen versteckte ich, indem ich demonstrativ nicht zu ihm sah und meine Haare vor mein Gesicht fallen ließ.
„Du sitzt ja immer noch da.“ Stellte Sam fest und rülpste widerlich.
„Ich will nicht verpassen, wenn Gael endlich Zeit findet.“ Gab ich zu, doch sah immer noch nicht zu Sam.
„Vergiss es, ich bin so wie so zuerst dran. Ich will endlich weg hier.“ Das stimmte auch wieder, doch ich wusste sonst nichts mit mir anzufangen, daher schwieg ich schlicht. Plötzlich knurrte Sam leise in mein Ohr und erschreckte mich so sehr, dass ich meine Hand vor den Mund halten musste, um einen Aufschrei zu ersticken. „Gib es zu, du wirst mich vermissen.“
Nachdem sich mein armes gepeinigtes Herz beruhigt hatte, atmete ich durch und ließ mich wieder zurücksinken. „Ungefähr so sehr wie die Hungersnot.“ Gab ich gegen seine falsche Unterstellung. „Ich glaube eher, dass du es vermissen wirst, und das du mich unangemessen behandeln kannst.“ Damit meinte ich das immer noch gut sichtbare Mal an meiner Hüfte.
„Eine Prinzessin würde ich niemals >unangemessen< behandeln.“ Scherzte Sam und ich fühlte sein Kinn auf meiner Schulter. Ich wollte schon zurückweichen, doch er hielt mich von hinten fest und knurrte wie eine verärgerte Katze. „Oder sag bloß, du findest es unangemessen, dass dein persönlicher Wächter jedem der es wagen könnte dich anzufassen in Stücke zerfetzen würde.“
Mein Herz überschlug sich geradezu, da mir klar war, dass Sam auf jeden Fall dazu in der Lage war eine solche Drohung wahr zu machen. „Unangemessen ist es, da dein Biss beinahe an einer intimen Stelle ist, wo ich weder einen Wächter, noch jemanden wie dich auch nur ansatzweise freiwillig ran lassen würde.“
Sein Knurren verging und ich fühlte, wie sein rechter Arm an meinem Bauch plötzlich tiefer rutschte. „Wo würdest du mich niemals ran lassen?“ Fragte er spielerisch und trieb wieder einmal eines seiner Spielchen mit mir.
Verbissen überkreuzte ich meine Beine und wehrte mich gegen seine viel zu kräftigen Arme. „Hör auf damit! Sofort!“ Bat, so wie schrie, ich zugleich. Wieso musste er nur immer so auf mich losgehen? „Fass mich, zur Hölle noch einmal, nicht an!“
Sams Hand fand ihren Weg zu meinem Hosenbund, wo er seine Finger viel zu sanft über die Bisswunde gleiten ließ. Aber ich hatte genug. Mir reichte es. Seine Spielchen, seine Herausforderungen, seine... Einfach sein ganzes >Ich< nervte mich so sehr, dass ich ihn einfach nur schlagen wollte.
Ich wollte nicht so von ihm angefasst werden. Dass er dachte, er könne mit mir machen was, er wollte, war das Letzte, was ich jemals wollte, oder ertragen konnte. Kurzerhand, handelte ich, ohne nachzudenken. Da meine Hände gerade dagegen kämpften, endlich meinen Körper frei zu bekommen, blieben mir nicht besonders viele Waffen. Trotzdem musste ich etwas tun. Ich wollte ihm zeigen, dass auch ich mich wehren konnte. Gegen ihn!
Daher biss ich ihn einfach. Schnell drehte ich meinen Kopf nach rechts und biss in das Erste, was ich erwischen konnte. Und das war sein Ohr.
Überrascht von meiner plötzlichen Aktion schreckte Sam zurück und blickte mich mit großen Augen an. Störrisch funkelte ich ihm entgegen. „Das war nicht nett.“ Bemerkte er und hob mahnend einen Finger, ließ mich jedoch los.
„Nett? Eigentlich sollte ich deine Geschlechtsteile umkehren, damit du endlich einmal anfängst zu verstehen, was du für ein Arsch bist!“ Mit wehendem Haar sprang ich auf meine Beine und lief in die Küche, um dort irgendetwas zu tun. Was das sein würde, wusste ich noch nicht, doch auf jeden Fall musste ich weg von >ihm<!
„Edelle hat recht, Elth! Das was du tust, ist mehr als nur unangebracht. Sie ist eine Prinzessin, so geht man weder mit einer um, noch generell mit Frauen.“ Ich erkannte Gaels Stimme. Hatte er etwa alles gesehen? Wieso ist er mir nicht bereits früher zur Hilfe gekommen?
„Ihr habt gesagt, dass ich sie beschützen soll und das tue ich auch. Kein Mann hat sie bisher angefasst und es wird auch niemand tun, solange sie dieses Mal trägt.“
„Komm in mein Büro.“ Befahl Gael kalt und ich hörte, wie sich Sams Schritte entfernten.
Was sollte das denn jetzt? Wie kam er darauf, dass ich sogar vor einer Beziehung beschützt werden musste? Das ergab nicht wirklich viel Sinn. Und was meinte Sam überhaupt mit Mal? Etwa die Bisswunde an meiner Hüfte? Wollte er sie denn regelmäßig erneuern, bis ich achtzehn war? Das war doch... totaler Unsinn!
Trotzdem fragte ich mich, was die beiden jetzt besprachen. Wie viel bekam Sam wohl für das letzte Jahr? Oder die anderen davor? Und würde Gael ihn zurechtweisen? Als ob das Sam beeindrucken könnte.
Neugierig geworden, schlich ich leise die Treppe hoch und ertappte mich dabei, wie ich den Atem anhielt. Versucht ruhig zu bleiben, atmete ich durch und schlich mich auf Zehenspitzen zur Türe des Büros, dort hallten bereits laute Stimmen gedämpft durch das Massivholz.
„...mir nicht Reinreden.“
„Die Befehle waren klar und unmissverständlich, oder?“
Dann hörte ich kurz nichts mehr, bis Sam bedrohlich knurrte. „... war, bevor ich wusste, dass Coria tot ist. Außerdem hätte ich schlecht auf eifersüchtig machen können, oder? Da ist es mir lieber sie hasst mich, als dass ich mich vor einem jämmerlichen Menschen schwach zeige!“.
Jämmerlich! Bezeichnete mich Sam etwa gerade als jämmerlich? So ein Mistschwein!
„Du weißt so gut wie ich, das Della kein einfacher Mensch ist. Sie ist ein Wesen genauso wie wir und so alt wie die Engel selbst. Das Coria gestorben ist, liegt alleine darin, da sie nie auf mich gehört hat. Egal was ich ihr befohlen habe, sie tat immer das Gegenteil. Sie ist selbst Schuld. Jetzt haben wir eben nur noch Edelle und wenn sie sich entschließt eine Wesenkönigin zu werden, dann wirst am aller wenigsten du etwas daran ändern können. Sie wird dich vermutlich sogar zur Strafe dafür in den nächstbesten stinkenden Keller sperren lassen, alleine dafür dass du sie so behandeln musstest.“
„Bis das kleine Mädchen irgendwann einmal eine richtige Königin ist, habe ich mich längst abgesetzt. Ich bin es ihr nicht wert, dass sie nach mir suchen lässt. Sie wird wesentlich Besseres zu tun haben.“
Okay... was ich verstanden hatte, war, dass ich eine >Wesenkönigin< sein soll. Aber was soll das sein? Welches Wesen? Und vor allem... Engel! Im ernst? Engel gibt es wirklich? Wieso ließ man mich dann von einem impulsiven Hauskätzchen beschützen? Das ergab überhaupt keinen Sinn. Zumindest nicht für mich, da ich ihre Politik, oder wie auch immer man dieses verhalten beschreiben sollte, nicht verstand.
„Edelle wird es nicht gerade leicht haben.“ Das war nach einem kurzen Schweigen wieder Gaels Stimme. Nur wovon sprach er?
„Dafür bist ja du da. Dich achtet man, kennt dich und respektiert dich. Du wirst Dell schon auf den richtigen Weg bringen können.“ Das war vermutlich das erste Mal, dass ich Sam jemanden aufrichtig loben hörte.
„Ja, das könnte ich bestimmt, doch das ist nicht mein Schicksal. Ich habe mir bereits eine Vorhersage geben lassen, ich werde nicht an Edelles Leben bleiben können. Aber ich weiß, dass sie aufrichtige Freunde in wichtigen Positionen haben kann.“
Ich? Wieso soll es nicht Gaels Schicksal sein bei mir zu bleiben? Ausgerechnet Gael!
„Das verstehe ich zwar nicht, aber es klingt nicht wirklich nach Dell. In den letzten Jahren habe ich sie eigentlich nie mit jemanden Freundschaft schließen gesehen. Den einzigen den man als ihren Vertrauten ansehen könnte, wärst du und das schräge Pärchen aus ihrer Klasse.“
So traurig es auch klang, ist es die Wahrheit. Ich hatte mich einfach noch nie in einer Schule wohl gefühlt.
„Ja, das ist auch verständlich, aber das war es doch eigentlich überhaupt nicht, worüber wir sprechen müssen. Ist es tatsächlich immer noch dein Plan, die dreiviertel Millionen zu nehmen und abzutauchen?“
Abzutauchen? Wieso bekam er so viel Geld nur, um mich zu beschützen?
Plötzlich erklang ein Krach, als würde etwas auf Holz schlagen und ein wutentbranntes Knurren erklang. „Nur eine dreiviertel Millionen? Du verarscht mich doch! Es waren eineinhalb abgesprochen!“
Ja... nur! Verdammt was zur Hölle bin ich nur, dass ich so viel Wert bin? Oder zumindest mein Leben.
„Das war bevor du sie markiert, terrorisiert und dann sogar noch einen Abhang hinunter geworfen hast.“ Meinte Gael so ungerührt, dass man dachte, er würde über langweiligen Papierkram sprechen.
„Na und? Du hast mir keine strickten Anweisungen gegeben, wie ich sie beschützen soll. Wäre es dir lieber gewesen ich hätte sie um meinen kleinen Finger gewickelt, dass sie dann ständig herum heult, weil ich weggehe?“
Moment... was dachte Sam überhaupt von mir? Das ich eine anhängliche Freundin sein würde? Langsam reichte es mir! „Gib ihm lieber das Geld, das er verlangt, dann kann er endlich verschwinden.“ Hörte ich meine Stimme durch die Türe poltern, bevor ich sie öffnete und wütend zwischen den beiden Hin und Her funkelte.
Gael saß mit übereinander verschränkten Beinen auf einem großen Bürostuhl, der hinter einem massiven Holztisch stand und Sam stand vor einem von zwei Gästestühle, die wohl für Besprechungen gedacht waren. „Sie kann es ja wirklich!“ Stieß Sam plötzlich so überrascht hervor, dass ich es im selben Moment bereute überhaupt, hinein gekommen zu sein.
„Was kann ich?“ Fauchte ich wütend. Diesem Dreckssack würde ich noch Manieren bei bringen!
Sam antwortete nicht, aber dafür stand Gael auf und kam langsam, geradezu vorsichtig um den Schreibtisch herum. „Ähm... was Sam meint, ist.. fühlst du dich im Moment irgendwie anders?“
Anders? Das sollte wohl ein Scherz sein! Ich bin stink wütend! Wie konnten sie nur so von mir reden, als wäre ich nur irgendein Tauschhandel, der abgeschlossen werden musste? „Als ob dich das interessieren würde!“ Ich hörte selbst wie meine Stimme ein kleines bisschen anders klang und auch das sättigende Klopfen, das ich in diesem Raum hörte, machte mich noch wütender. Es schien zwei unterschiedliche Quellen zu haben, wobei ein Schlag schneller ging als der andere.
„Ach, das sollte ich vermutlich auch noch erwähnen. Das hat sie schon einmal gemacht.“
Nun war Gael doch wütend und blickte so finster zu Sam, das sich sogar mein Ärger ein wenig legte. „Was soll das heißen?“
„Als wir den Hang hinunter gefallen sind. Da hat sie das selbe getan, nur eine andere Art eben.“
„Welche?“ Forderte Gael zu wissen. „Gargoyle.“
Ich hatte während des Sturzes eine andere Art angenommen? Was soll das denn heißen? „Ich habe überhaupt nichts getan!“ Stieß ich hervor. „Ich war bewusstlos, noch bevor wir am Boden angekommen sind!“ Mehr als an den Sprung von der Straße konnte ich mich nicht einmal mehr erinnern. Vermutlich wegen der Kopfverletzung.
„Das ist jetzt auch nicht wichtig. Wichtiger ist es, dass du dich am besten einmal im Spiegel betrachtest, bevor du deine Gabe wieder loslässt.“
„Kein Wunder dass ich sie nicht lauschen gehört habe.“ Murmelte Sam und ließ sich grinsend auf seinen Stuhl zurücksinken, während Gael mir einen Handspiegel von einem der vielen Regale reichte. „Erschrecke dich aber nicht, das ist vollkommen normal bei Zweitgeborenen.“ Gaels vielsagenden Worte machten mir jetzt doch irgendwie angst. Stimmte es etwa? Dass ich andere Formen annehme? Oder Arten? Oder was auch immer?
Entschlossen griff ich nach dem Spiegel und nahm ihn Gael grob aus der Hand. Plötzlich brach der Griff unter meiner Hand und fiel beinahe auf den Boden. Ich fing ihn gerade noch rechtzeitig auf, bevor er auf dem Boden landen konnte und zersplitterte. Dass was sich jedoch in dem Spiegel für den Augenblick erkennen konnte, nahm mir den Atem. Zitternd hielt ich den Spiegel höher und noch ein Stück weiter von mir fort, um mein ganzes Gesicht zu sehen.
Ich sah aus, wie plötzlich erkrankt. Kalkweiß, unterlaufene dunkle Augen, hervortretende blaue Adern die sich unter meiner Haut dahin zogen und tiefschwarze leere Augen. „Scheiße!“ Stieß ich hervor und warf den Spiegel und das Monster, was ich darin sah, Gael regelrecht entgegen.
„Schon gut, schon gut! Vampire sehen nur so aus, wenn sie ausgehungert sind. Du musst jetzt nur loslassen, verstanden?“
Loslassen? Von was? Ein Vampir zu sein? „Ich... Ich bin ein Monster! Ich bin...“ das Schlimmste was ich jemals gesehen hatte. Das Monster aus den Albträumen kleiner Kinder, vielleicht sogar eines davon, was meine Schwester getötet hat?
„Nein, Edelle... Liebling sieh mich an.“ Erschrocken zuckte ich zusammen. Wie hatte mich Gael eben genannt? „Genau. Sieh mich an. Du bist immer noch Edelle. Du bist ein lebendes Wesen, du brauchst kein Blut. Du brauchst Sauerstoff. Fühlst du es? Deine Lungen. Sie brauchen doch Sauerstoff, oder?“
Natürlich brauchten sie den. Wie kam er... Plötzlich spürte ich ihn. Luftmangel. Als wäre ich am Ersticken versuchte ich, Atem zu schnappen, doch wie ging das? Was musste man dabei tun?
Ist es nicht seltsam, wie man in einem Moment etwas vergessen konnte, was man instinktiv umgehend nach der Geburt tat ohne sich dessen bewusst zu sein, wie man es unterbewusst in einem gesunden Rhythmus einfach weiter tat, ohne sich überhaupt darum bemühen zu müssen? Und jetzt musste ich das tun. Zurück zu meinen niedersten Instinkten und Atmen. Ein Mensch sein, denn das bin ich. Ich bin kein Monster. Ich bin... Edelle!

11. Reiner Geschäftssinn und Zukunftspläne

„So ist es gut. Dein Blut zirkuliert wieder. Wie fühlst du dich?“ Gael packte mich an den Oberarmen, als ich anfing zu schwanken.
„Etwas schwindelig.“ Musste ich zugeben und ließ mich auf den freien Stuhl neben Sam führen, der das ganze Spektakel interessiert verfolgt hatte.
Fürsorglich strich mir Gael die Haare hinter die Ohren und lächelte mich aufmunternd an. „Wieso hast du denn gelauscht, Dell? Ich hätte dir natürlich von allem erzählt. Auch was wir hier oben besprechen. Du hast es ab jetzt nicht mehr nötig zu lauschen, ich werde dir alles sagen, was du wissen musst und auch das, was du willst.“ Gaels Hand strich über mein Haar und blieb auf meiner Wange so vertraut liegen, als hätte er dies schon etliche Male getan. Das verwirrte mich etwas, daher schob ich seine Hand peinlich berührt weg. Dieses Verhalten war ich überhaupt nicht von ihm gewohnt.
„En... Entschuldige, aber... ich war einfach zu neugierig und habe gehandelt ohne nach zu denken.“ Gab ich zu, doch bereute es nicht, doch gelauscht zu haben.
„Schon gut, das nehme ich dir nicht übel.“
„Ich auch nicht. Rede ruhig weiter, weswegen du hinein gekommen bist, dann kann ich endlich hier abhauen.“ Erklang plötzlich Sams Stimme hinter Gael.
„Elth! Du bist hier gerade eben nicht wichtig. Ich würde es begrüßen, wenn du draußen wartest.“
„Du vielleicht, aber für mich bin ich die wichtigste Person auf der ganzen Welt. Und ich will mein Geld. Jetzt!“ Das letzte Wort klang nachdrücklich und etwas bedrohlich. Trotzdem beachtete Gael ihn nicht weiter. „Das was du eben erlebt hast, ist vollkommen normal. Das ist das Zwillingssyndrom, zumindest nennen wir Wesen es...“
„Ignorier mich gefälligst nicht. Ist es, denn so schwer zu verstehen, dass ich einfach nur verschwinden möchte?“
Da Gael sich immer noch nicht die Mühe machte sich an Sam zu wenden und dessen lautes Organ die Stimme meines Betreuers übertönte, seufzte ich zwar genervt, doch deutete auf meinen >Wächter<. „Bitte, regle das dort zuerst, ich bin auch froh, wenn ich ihn endlich loswerden kann.“
Sam knurrte mich dafür zwar an, doch widersprach nicht, da ich definitiv auf seiner Seite war. Sollte ich mir diesen Tag etwa rot anstreichen? Edelle und Sam einer Meinung! Das konnte glatt eine Schlagzeile bei den Verlustanzeigen in einer Zeitung sein.
„Das wird wohl nicht ganz so einfach sein. Dein Vertrag ist wasserdicht, Elth.“
„Was soll das heißen?“ Überrascht sahen Sam und ich uns an, da wir gleichzeitig regelgerecht schockiert gesprochen hatte. Gael kam grinsend wieder auf die Beine und ging um den Tisch herum um auf seinen Stuhl wieder platz zu nehmen. Wie ein Geschäftsmann, raffte er seine Kleidung und verschränkte die Finger ineinander, als wären wir an der Spitze einer wichtigen staatlichen Besprechung. Nun, ja bis auf die feindselige Atmosphäre in der Luft.
„In diesem Vertrag ist genau festgehalten, dass du bis zu dem Abend vor Edelles Geburtstag strickt, darauf angesetzt bist sie zu beschützen. Ihren Körper und ihren seelischen Zustand, solange es in deiner Macht steht, versteht sich natürlich. Sobald die Sonne vollständig unter gegangen ist, bist du von deinen Pflichten befreit und hast auch das Anrecht auf deine Millionen.“
„Eineinhalb!“ Korrigierte Sam ihn wütend. „Und ich dachte, bei dir wäre sie genauso sicher, wieso muss ich diese Monate jetzt auch noch absitzen? Sehe ich etwa aus wie ein verfickter Bodyguard? Ich habe diesen Job lediglich angenommen...“
„Du bekommst zwei, fühlst du dich jetzt besser?“
„Okay!“ Stimmte Sam plötzlich zu.
„Was?“ Kam aus meinem Mund. „Das er deinen Vertrag nicht ändern will, ärgert dich, aber wenn er die Belohnung erhöht, ist das in Ordnung? Du bist ja schlimmer als eine Nutte.“ Nicht das ich wusste, was für eine Nutte in Ordnung war, oder nicht, aber Sams verhalten machte mich wütend.
„Das geht dich nichts an. Mehr Geld ist immer gut und außerdem war im Vertrag bereits vermerkt, dass ich bis zur Nacht vor deinem Geburtstag bleiben muss.“
„Also bleibst du lieber um mit mir weitere drei Monate zu streiten und dann zwei Millionen zu kassieren, als uns beide jetzt in diesem Moment zu erlösen und mit eineinhalb zu verschwinden? Das ist wohl etwas widersprüchlich.“
„Eine dreiviertel Millionen!“ Korrigierte mich Gael, doch bekam meine Aufmerksamkeit nicht.
„Ich habe es die letzten drei Jahre überlebt und sogar eines mit dir zusammen gelebt. Da schaffe ich die drei Monate auch noch. Außerdem möchte ich Ausgang, sobald Dell irgendwelche Lernstunden mit dir hat.“
Ausgang? Was soll das denn jetzt sein? „Vergiss es du sollst meinen >Babysitter< spielen. Und ich darf auch nicht hinaus, also wenn du unbedingt deine zwei Millionen willst, musst du schon ordentlich dafür schuften.“ Mischte ich sofort wieder mit. Wenn schon, denn schon, sage ich bloß!
„Ich schufte schon mehr als genug, indem ich es über mich bringe, in deiner Nähe zu bleiben. Ich nehme die zwei Millionen zusätzlich zu den Ausgängen. Zumindest sobald du ab... sieben in deinem Zimmer bist, und nicht mehr hinaus kommst bis sieben Uhr morgens.“
„Vergiss es, du nimmst die Dreiviertel und gehst jetzt.“ Dealte ich weiter. Wieso tat ich das überhaupt?
„Die zwei Millionen und ab zehn habe ich Ausgang!“
Ich erkannte, dass ich wohl keine andere Wahl mehr hatte, und hielt Sam herausfordernd meine Hand hin. „Du nimmst die eineinhalb, verschwindest sobald die Sonne unter geht, wohin du willst und an der vorhin erwähnten Nacht kommst du nicht mehr zurück.“
Nachdenklich legte er den Kopf schräg und seine bisher dunklen Augen färbten sich in ein herausforderndes Gelb. „Eineinhalb ist weniger als besprochen.“
„Es ist derselbe Preis wie in deinem Anfangsvertrag und du bekommst sogar Freistunden darauf.“ Erinnerte ich ihn.
„Na, gut. Ich steige auf den Deal ein.“ Sam streckte nun auch seine Hand nach meiner aus und ergriff sie. Jedoch nicht um einzuschlagen, wie man es eben nach einem gelungenen Deal machte, sondern um mich mit einem Ruck näher zu sich zu ziehen. „Aber vergiss nicht, dass ich dich nach Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang alleine mit dem Mann lasse, der deine Schwester heiraten wollte und sie in der Nacht ihres Geburtstages zum ersten Mal vögeln.“
Mit diesen kryptischen Worten, sprintete er regelrecht aus dem Zimmer und ließ Gael und mich in einer angespannten Spannung zurück.
Wie war das? Er wollte der Mann meiner Schwester werden? Hatte er etwa deshalb vorhin aus Versehen Liebling zu mir gesagt?
Räuspernd zog Gael meinen Blick auf sich. „Also... zum Ersten, danke das du mir eine halbe Millionen erspart hast. Und zweitens... das zwischen deiner Schwester und mir war rein geschäftlich. Du wirst es bestimmt verstehen, sobald du eure Geschichte kennst.“
„Bestimmt...“ nicht! Das wollte ich irgendwie überhaupt nicht wissen, oder? Meine Schwester und Gael? Er ist heiß, ja! Er ist klug, ja! Reif, ja! Zuverlässig und verständnisvoll, ja! Aber er ist gut zehn Jahre älter als sie... wir... Als Coria gewesen ist.
„Na, gut... Dann sollten wir wohl zu den Fakten wechseln?“
„Ja! Bitte unbedingt.“ Bat ich und bekam wieder sein typisches verständnisvolle Lächeln.
„Wo möchtest du denn Anfangen, Dell?“
„Zu aller erst... Was zur Hölle bin ich?“ Das war tatsächlich das, was ich am dringendsten wissen musste.
„Das ist schwer zu erklären, wenn du deine Vorgeschichte nicht kennst. Also alles im allen... bist du eigentlich alles.“
Oh, ja... Das war natürlich sehr hilfreich! „Danke, jetzt bin ich aufgeklärter als jemals zuvor.“ Meinte ich sarkastisch.
„Okay, ich gebe zu, das war nicht besonders informativ, aber es ist die Wahrheit. Du und deine Schwester stammt von einer sehr langen Generation von Wesen ab, die damals aus Eifersucht und Habgier verflucht wurden. Seitdem liegt auf allen Reinrassigen, egal welchem Wesen sie angehören, der Fluch, das sie eine Zeit lang keine Kinder zeugen, oder Gebären können. Das geht insgesamt achtzehn Jahre, auf den Tag genau.“
„Also bis die beiden verfluchten Zwillinge volljährig sind.“ Fasste ich zusammen.
„Genau. Früher dachte man, zwischen sechzehn und achtzehn sei die Empfängnis am höchsten und da diese >verbotenen Zwillinge< damals mit achtzehn gekrönt werden sollten...“
„Ja, den Teil kenne ich schon. Ein Zwilling hat den einen getötet und wurde vom anderen heimlich vergiftet.“ Erinnerte ich mich.
„Ja, hast du mit Elth etwa schon darüber gesprochen? Katzenwesen sich richtig schlecht in Geschichte. Vermutlich hat er vieles vertauscht.“ Oder einfach nicht gewusst. Erinnerte ich mich ebenfalls. „Jedenfalls liegt es nun in der Gabe der erstgeborenen, ausschließlich reinrassige Wesen aller Arten zu gebären, obwohl sie selbst die Sterblichkeit eines einfachen Menschen behält. Davor ist der erstgeborene Zwilling so zu sagen unantastbar für Männer. Auch ihr Zyklus setzt erst in dieser Nacht und macht sie zu einer empfängnisbereiten Frau.“
„Also hätte meine Schwester als Kinderspender gedient? Da wäre ich auch lieber gestorben.“ Meine Stimme klang rauer und verdammt wütend. Wie konnte Gael es auch nur in Betracht ziehen meine Schwester für so etwas, zu missbrauchen?
„Nein! Nein, Edelle du verstehst das lediglich falsch, da du diese Welt noch nicht kennst wie wir. Viele Wesen besitzen keine reinrassigen Gefährten mehr. Sie sind so sehr mit anderen Wesen vermischt, dass sie ihre Eigenschaften verlieren.“
Ich verstand es trotzdem nicht.
„Stell dir Engel vor. Es gibt sie wirklich und sie sind gefallen ohne Seele. Sie kennen keine Gefühle, doch können sie nach den Jahrtausenden die sie mit uns Menschen leben, gut imitieren, sodass sie wie normale Menschen wirken. Sie werden weniger, da sie in Kämpfe verwickelt werden, oder sich gegenseitig durch alte Fehden töten, doch sie können kaum, bis keine Kinder bekommen. Es wird höchsten alle hundert Jahre eines geboren.“ Das klang tatsächlich fürchterlich traurig. „Oder stell dir... das beste Beispiel, Elth.“ Oh, je. Was kam jetzt wider? „Sein Vater ist halb Vampir, halb Katzenmensch. Hat aber eine Katzenmensch Mutter, was ihn wiederum zu einem viertel Vampir und dreiviertel Katzenmensch macht. Kannst du mir soweit folgen?“
Nickend bestätigte ich. „Das hat er mir bereits erzählt.“
„Gut, sehr gut. Und durch diese vermischten Gene, ist es Elth auch nicht richtig gestattet, völlige Macht über seine Gaben zu haben. Normalerweise dürfte Elth keinerlei Probleme mit der Tarnung als Mensch, zur Verwandlung in einen Geparden haben. Doch dank seiner Vampirgene, schafft er es zwar, diese menschliche Hülle zu wahren und nicht den ganzen Tag als Katzenmensch unter den Menschen wandeln zu müssen.“
„Also das Fell dass immer unter seiner bröckelnden Haut hervorkommt...“
„Ist sein Natürliches ich, ja.“ Bestätigte Gael. „Und aus dieser aufrechten, beinahe menschlichen Zwischenform, könnte er, ohne Mühe vollkommen als Gepardenwesen wandeln und wieder zurück. Das macht ihn also zu einem Katzenmensch. Jedoch, da er ein viertel Mischling in sich trägt, fällt es ihm schwer, diese Form auf vier Pfoten lange bei zu behalten und braucht dafür sehr viel Energie.“
„Und was ist mit seinem Vampirviertel?“ Irgendeinen Sinn musste das doch auch haben, oder?
„Von einem Vampir hat er eigentlich überhaupt nichts mehr. Nicht einmal das gleichgültige Temperament, was mir wesentlich lieber wäre.“ Nicht nur ihm! „Aber dafür hat er die Gabe der Vampire behalten, dass er Menschen oder Mischlinge, die keinen reinrassigen Stammbaum mehr in ihren Genen haben, bezirzen kann.“
„Daher auch...“ Langsam ergab einiges einen Sinn. Keine einzigen Bilder waren bei meiner Pflegefamilie bisher zu finden gewesen, so als hätte das Kinderleben bei ihnen erst mit Henry begonnen.
„Ja, Sam war lediglich sein falscher Name und seine falsche Geschichte. Sam ist einfach nur Elth. Ein Katzenmensch.“ Als müsste er ausgerechnet mich daran erinnern! „Elths Vater der halb, halb ist jedoch, kann keine menschliche Gestalt annehmen. Er hat große Schwierigkeiten sich auf seinen eigenen Geparden zu konzentrieren und kann auch keine menschliche Hülle annehmen. Auch besitzt er den Blutdurst von Vampiren, ihr ewiges Leben und eine sehr blasse Fellfarbe. Zudem ist er nicht fähig andere zu bezirzen, was wiederum nachteilig ist.“
Langsam verstand ich, worauf Gael hinaus wollte. Je mehr diese Wesen ihre Gene vermischten, umso anfälliger und schwächer wurden sie. „Sie werden menschlicher!“ Erkannte ich und bekam Mitleid.
„Richtig. Und genau für solche Wesen, die keine Reinrassigen unter sich haben und damit keinen König, oder Königin, sind die Überlebenschancen gering. Stell dir eine Meerjungfrau vor, die nur Beine hat, aber Wasser zum Überleben braucht. Einen Vampir mit Blutdurst, doch ohne Fangzähne und überlegene motorische Fähigkeiten und übernatürlichen Sinnen. Eine Katze, die nicht auf ihren vier Pfoten durch den Wald laufen kann und frei von ihren natürlichen Sinnen lebt. Ein Werwolf, ohne seinen grandiosen Geruchssinn und seinen Sinn für die Natur. Naturgeister, die verlernen mit Bäumen zu sprechen und Hexen, die nicht zaubern können, weil sie keinen Zugang zur Magie haben.“
Sie würden still und vor allem ihr ganzes Leben lang gequält vor sich hin altern. Immer in Angst lebend, alleine, gepeinigt, ausgeschieden... Stille Tränen bahnten sich ihren Weg in meine Augenwinkel, doch ich ließ sie nicht frei. Ich verstand wieso Coria, als der erstgeborene Zwilling so wichtig ist, aber... „Was hat das dann alles mit mir zu tun? Wie kann ich da helfen?“
„Du hast bestimmt vorhin den Begriff >Wesenkönigin< gehört, oder?“ Ich nickte. „Sobald die erstgeborene stirb, macht die zweitgeborene diese Verwandlungen durch. Sie kann jegliche Eigenschaften, von sämtlichen Wesen annehmen, so wie vorhin als du lauschen wolltest, hast du instinktiv darauf zurückgegriffen und bist zum Vampir geworden, da sie vollkommen lautlos sein können und ein exzellentes Gehör besitzen. Wolltest du rasend schnell sein, könntest du die Form eines Katzenwandlers annehmen. Würdest du fliegen wollen, eigenen sich die Fähigkeiten eines Engels, oder Gargoyles. Verstehst du, worauf ich hinaus möchte?“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich meine, ja, ich verstehe, was du sagst, aber es ergibt keinen Sinn. Wieso werden zweitgeborene weit Mächtiger geboren?“
„Auf diese Gaben können sie erst in den letzten sechs Monaten zugreifen, vorausgesetzt der erste Zwilling ist tot. Zudem soll es dir helfen dein wahres Wesen zu finden, du bist vielleicht von Natur aus ein Mensch, doch kannst jedes reinrassiges Wesen sein, das du möchtest.“
„Und das ist... gut?“ Gael nickte zustimmend. „Wieso?“
„Weil du in der letzten Nacht vor deinem Geburtstag, nicht wie Coria geschlechtsreif wirst und damit unentbehrlich, sondern es ist... etwas komplizierter und wird dir ganz bestimmt nicht gefallen.“
„Was wird passieren?“ Ich stellte meine Frage ohne Umschweife und direkt. Irgendwie hatte ich das Gefühl, das dass hier etwas ganz Entscheidendes sein würde.
„>Was muss passieren< wäre die wesentlich bessere Frage. Bis zu dieser Nacht, hast du die freie Entscheidung darüber, was du sein möchtest und du kannst deinen Körper schon einmal darauf einstellen. Aber wenn du dieses Wesen auch bleiben möchtest, musst du dich mit dem Reinrassigsten seiner Art verbinden. Nicht nur emotional, sondern auch körperlich.“
„Also.. ich muss mein erstes Mal mit diesem... Typ haben?“
Gael nickte. „Nicht nur das, es muss ein Blutband entstehen. Das bedeutet, in dem Moment in dem... deine.. du weißt schon... genommen wird und dein erstes Blut fließt, musst du auch seines aufnehmen, damit sich der Kreis schließt und du dieses Wesen bleibst. Das macht dich dann automatisch zur Königin dieser Art, die ausschließlich reinrassige Kinder dieser Art bekommt.“
Entsetzt sog ich die Luft ein. Noch ekelhafter ging es wohl nicht! „Was... Blut? Nicht nur das ich mich gegen meinen Willen entjungfern lassen muss, sondern auch noch einen Blutaustausch vollziehen? Das ist... das ist krank!“ Und unmoralisch! Wer würde einem so kranken Scheiß schon zustimmen?
Plötzlich dachte ich an die gequälten Seelen, die vielleicht ihre Formen nicht richtig beherrschen, deren Sinne eingeschränkt sind und deren Fähigkeiten auf ein Minimum reduziert sind, dank ihren sorglosen Eltern und deren Eltern. „Aber... wieso ist es unsere Aufgabe, den Scheiß den ihre Vorfahren angerichtet haben wieder auszubügeln? Das ist... so absurd.“
„Wenn ihr es nicht macht... wer soll es sonst tun? Vielleicht war es einst als ein Fluch gedacht, doch über die Jahrhunderte hinweg, wurde dieser Fluch zur einzigen Rettung vieler Rassen. Stell dir vor, alle Wesen, die gut sind, die mit den Menschen und der Natur Koexistieren, sterben aus und nur solche... die einfach schwer zu verstehen sind wie Elth, bleiben neben den Menschen. Stell dir vor... Katzenmenschen, die nicht in der Lage sind sich zu unterwerfen, doch trotzdem in der menschlichen Welt zurechtkommen müssen, wären die einzigen die noch da sind. Das würde alles ins Chaos stürzen. Man würde die Wesen vollkommen falsch verstehen, sie jagen, morden und für Experimente benutzen.“
„Das würde ich bei Elth auch gern...“ Gab ich zu und brachte Gael damit wieder zum Schmunzeln.
„Dafür dass ihr euch so hasst, hast du ihn ganz gut unter Kontrolle. Ich bin sogar ein wenig beeindruckt, da du im Grunde überhaupt keine Ahnung von diesen Wesen hast.“
Was? Hatte ich etwas verpasst? „Ich bezweifle sehr stark, das ich ihn auch nur ansatzweise beeinflussen kann.“
„Du hast ihn heute in seine Schranken gewiesen, obwohl du ihm haltlos unterlegen warst. Vielleicht war es wieder dein Instinkt der dir die richtige Herangehensweise gezeigt hat, vielleicht war es auch nur Zufall, doch Katzenwesen ordnen sich automatisch denjenigen unter, die es schaffen ihnen eine Markierung aufs Ohr zu setzen. Jedoch wird dieser Zauber verfallen, sobald er wieder seine Katzenmenschform annimmt.“ „Das klingt genauso abartig wie die Sex-Sache!“ Bemerkte ich kalt. Ich soll an Sa... Elths Ohr herum knabbern, nur damit er mich respektiert? Das ist Pervers und abstoßend! Nur über meine Leiche!
„Das ist nur so, weil du als Mensch erzogen wurdest. Wir dachten, dass wir Coria beschützen können und es schaffen, dass sie...“ „Das hast du aber nicht. Deshalb bin doch jetzt ich hier, oder?“
Bedrückt senkte er den Kopf über meine rüden Worte. „Das lag nicht in meiner Macht. Eigentlich ist es in aller Interesse, dass die erstgeborene am Leben bleibt, da jede Art davon profitiert, doch... irgendjemand wollte uns wohl einen Strich durch die Rechnung machen. Irgendjemand dort draußen muss es darauf angelg...“
„Darauf angelegt haben, dass meine Schwester gefoltert und enthauptet wird? Ja, das habe ich wohl oder übel mitten im Unterricht mit bekommen. Und nein, ich fand es keinesfalls profitabel die Schwester von irgendjemanden, um zu bringen, nur um sich damit einen König von nur einer Rasse zu sichern. Also, egal wer da draußen auch immer die Macht gehabt hat, meine Schwester zu entführen, und zu töten, ist immer noch dort draußen. Da ich immer noch am Leben bin, schätze ich, dass dieser jemand lediglich darauf wartet, dass er mich holen kommen kann. Egal wer es ist... ich bezweifle, dass er mir die Wahl lassen wird, welches Wesen ich in Zukunft sein möchte, oder mir die Zeit lässt meine Fähigkeiten zu erproben.“
Mit viel zu viel Schwung sprang ich auf meine Beine und rauschte, ohne auf Gaels entschuldigenden Worte zu achten, hinaus auf den Gang. Polternd donnerte ich die alten Holztreppen hinunter, um zurück ins Wohnzimmer zu kommen, an dessen Fuß bereits Elth auf mich wartete. Ohne eine Gefühlsregung die mir sagen konnte, ob er uns belauscht hatte, oder nicht, folgte er mir auf den Schritt, während ich durch das Wohnzimmer lief und auf der anderen Seite, eine andere Treppe wieder hinauf lief, die zweite Türe an der rechten Seite anvisierte und sobald ich sie passiert hatte, sie krachend hinter mir zuwarf. Zu meinem Pech ging sie eine Sekunde später wieder auf und Elth schloss sie wieder, leiser.
„Was ist denn in dich gefahren?“
Ich wollte schon sagen, dass es ihn wohl am wenigsten anging und das ich unter keinen Umständen mit irgendjemanden darüber sprechen möchte, doch entschied mich lieber zu schweigen und warf mich in mein großes Doppelbett, das immer noch leicht nach meiner Schwester roch.
Corias Zimmer. Corias Kleidung. Corias Bettwäsche. Corias Stil. Überall in diesem Zimmer wurde ich permanent an sie erinnert. Ich sah hier alles, was sie mir niemals gezeigt hatte, was sie niemals mit mir teilen wollte, was sie selbst erschaffen hatte. Ohne mich.
Aber wir sind doch Zwillinge. Unsere Mutter hat uns so oft gesagt, wie wichtig wir uns sein müssen, das niemals jemand zwischen uns stehen könnte, dass niemals jemand das trennen könnte, was wir beide haben. Doch Mutter erwähnte niemals den Tod. „Sie hat es nie gesagt, Elth... Sie hat uns auf alles vorbereitet. Sie hat uns gesagt, wie sehr wir einander wichtig sind. Keiner von uns würde ohne dem anderen existieren. Das habe ich immer geglaubt. Aber was ist mit dem Tod? Wieso kann er es? Wieso?“ Die Worte und die Tränen drangen einfach so aus meinen Augenwinkel und meinem Mund, ohne das ich sie verhindern konnte.
„Ich... sollte wohl lieber Gael holen, für so etwas bin ich wirklich nicht zu haben.“ Ich hörte, wie Sam die Türe öffnete und sie beinahe lautlos hinter sich schloss. Schnell sprang ich auf und schloss sie ab, solange er draußen war. Endlich herrschte herrliche Einsamkeit um mich herum. Genauso wie ich es wollte. Genau das was ich im Moment brauchte.

12. Gespräche über >die Veränderung des Körpers<

Von wegen Einsamkeit. Hier hatte ich wohl nicht einmal die Chance auf eine einzige Minute der Ruhe und des Friedens.
Zwei Wochen! Nun war mein >Verschwinden<, wie es in der Zeitung hieß, bereits zwei ganze Wochen her und ich tat nichts anderes als mich zu ärgern. Mehr oder weniger.
„Ich finde das nicht witzig.“
„Das soll es auch nicht sein. Es ist eine ernste Übung.“
Verzweifelt versuchte ich meine Hände zu bewegen, doch er ließ mir nicht einmal genug Platz, um zu atmen. „Ich weiß es aber nicht! Sag mir endlich die Lösung!“ Rief ich frustriert. Seit fünfzehn Minuten lag ich nun schon im Wohnzimmer auf dem Boden und rieb mir die Handgelenke wund, die Elth mit viel zu viel Kraft festhielt.
„Lass mir zumindest ein wenig Platz, damit ich dich treten kann, oder so etwas!“ Bat ich, als er lediglich vor sich hin schmunzelte.
„Ein Vergewaltiger gibt dir bestimmt deinen Freiraum.“ Meinte er sarkastisch, und veranlasste mich die Augen zu verdrehen.
Und ja... Zur Hölle, als man mir sagte, ich soll Selbstverteidigung lernen, dachte ich dabei nicht daran, eine quälende Ewigkeit unter Elth liegen zu müssen und sein dummes Grinsen zu ertragen.
Seufzend gab ich meinen Widerstand auf. „Ich will das nicht mehr. Das kann doch Gael nicht wirklich erlaubt haben! Lass mich endlich aufstehen!“
„Mein Unterricht, meine Regeln.“ Entschied er streng und bewegte sein Knie unangemessen über meinen Schenkel. „Wehe dir!“ Warnte ich ihn, als er anstallt machte, meine Beine auseinander drücken zu wollen.
„Dell, ein Vergewaltiger würde dir nicht einmal eine Minute zum Nachdenken geben, sondern sich nehmen, was er möchte. Sei gefälligst froh, dass das hier nur eine Übung ist.“
„Die Übung ist scheiße!“ Bisher waren wir nur am Boden gelegen, er hatte mich unten gehalten und ständig ausgefragt, was ich jetzt tun könnte. Anfänglich hatte er auch nur meine Beine gehalten, oder einen Arm verdreht, woraus ich mich hatte befreien müssen, doch mittlerweile schwitzte ich unter meinem dicken Pulli, obwohl es ziemlich kalt im Haus war.
Das Einzige was ich jetzt noch wollte, war unter die Dusche springen und vergessen jemals mit Elth so eng umschlungen auf dem Boden gelegen zu haben.
„Okay, noch einmal von vorne. Was kannst du alles nicht tun?“
„Mein Bein hoch ziehen, dir die Haut abziehen, dir die Augen heraus reißen, dich über mein Knie legen...“
„He, das würde mir vielleicht sogar gefallen.“ Kommentierte er mein letztes Beispiel und ich schlug frustriert meinen Hinterkopf auf den langhaarigen Teppich. Wenigstens lag ich weich.
„Perverses Mistvieh.“ Schimpfte ich und drehte meinen Kopf wieder zur Seite in der Hoffnung irgendetwas zu sehen, was mir helfen könnte.
„Nutzlose Zicke.“ Gab er daraufhin unerwartet zurück. In den letzten zwei Wochen, wo ich Elth tatsächlich zwölf Stunden am Tag ertragen musste, hatte ich ihn einfach >Mistvieh< getauft. Eigentlich ist er niemals darauf eingestiegen, doch dass er mich jetzt plötzlich >Zicke< nannte, machte mich wieder wütend.
„Was heißt hier >nutzlos<?“
„Das soll heißen, dass du vollkommen nutzlos bist und ich überhaupt nicht weiß wieso ich mir das überhaupt noch antue.“
„Was antust? Mich? Das tust du doch nur, weil du das Geld haben willst. Flittchen.“
Knurrend legte er seine Zähne so schnell an meinen Hals, dass ich mich erschrocken unter ihm versteifte. Verdammt, jetzt bin ich wohl zu weit gegangen. Und das ausgerechnet in >dieser< Situation.
„Also wirklich! Kann man euch beide nicht einmal eine Stunde alleine lassen, ohne dass ihr euch gleich an die Kehle geht?“
Gael ließ eine Einkaufstasche neben uns auf den Boden fallen und nahm in einem nahe gelegenen Stuhl platz.
„Gael! Hilf mir, er will mich vergewaltigen!“ Bettelte ich.
„Ich weiß, wir haben vorhin, bevor ich gegangen bin, darüber unterhalten. Ich finde die Idee recht gut.“
Gut? Was? „Das kann jetzt nicht dein ernst sein, oder?“ Und das kam ausgerechnet von Gael! „Wenn du ihn nicht sofort von mir hinunter pfeifst, gehe ich bei der nächsten Gelegenheit mit ihm zum Tierarzt und lasse ihn gegen Tollwut impfen!“ Drohte ich mehr Elth als Gael, doch die Drohung schien zu wirken. Elth setzte sich endlich auf und ich konnte wieder einmal richtig durch atmen. Bisher ist bei jedem Atemzug mein Bauch und mein Brustkorb gegen seinen Oberkörper gepresst worden, was ich nicht gerade als >toll< empfunden hatte, daher hatte ich es vermieden zu stark Luft zu holen.
Trotzdem bekam ich nicht besonders viel mehr Freiraum. Wie eine viel zu schwere Katze, saß er nun auf meinen Oberschenkeln und ich konnte mich nicht unter ihm befreien. „Geh gefälligst von mir runter du fettes Vieh!“ Obwohl meine Handgelenke bereits fürchterlich weh taten, drückte ich mit so viel Kraft, wie ich aufbringen konnte gegen seinen Brustkorb. Vollkommen vergeblich, es war, als würde ich versuchen eine Tonne zu bewegen. „Gael!“ Rief ich abermals, doch Verzweifelter und sah bettelnd zu ihm hoch.
„Edelle, entschuldige bitte, doch irgendwie müssen wir es schaffen, dass du wieder eine andere Form annimmst.“
Erschöpft gab ich es auf Elth von mir hinunter schieben zu lassen. Ich musste mich konzentrieren, immerhin hatte ich es bereits zwei Mal geschafft mich unbewusst zu... verwandeln? Oder wie man es nennen sollte. Jetzt ging es nicht darum zu spionieren oder zu überleben, zumindest nicht direkt, sondern darum Elth loszuwerden. Sam, der mich zu jeder Minute, die er bekommen konnte, quälte oder hänselte. Sam der jetzt auf mir saß mit seinem breiten, triumphierenden Lächeln, nur um mich zu quälen. Ich konnte nicht einmal beschreiben wie sehr ich ihn hasste, doch genauso wenig wie ich ihn mochte, verstand ich, dass ich ihn brauchte.
Im nächsten Moment hatte ich es. Es ging nicht darum, einen >Vergewaltiger< loszuwerden. Jetzt, in diesem Moment kam es darauf an, >ihn< loszuwerden. Und der Haken daran war, wir mochten uns einfach nicht. Ich brauchte mich doch nur daran zu erinnern, wie eilig er aus meinem Zimmer verschwunden war, als ich angefangen hatte zu weinen.
Nun, gut. Spontan weinen, war nicht unbedingt meine stärke, aber es gab neben Trauer noch andere Gefühlsregungen, die man benutzen konnte. „Das ich da nicht schon früher darauf gekommen bin.“ Schimpfte ich mit mir selbst und legte meine Arme um Elth. „Ähm... was tust du da?“
„Na was denn? Dir danken natürlich!“ Ich vergrub mein Gesicht an seinem Brustkorb, damit er mein Grinsen nicht sehen konnte.
„Gael! Sie soll das sofort lassen!“ Knurrte Elth und wollte mich von sich schieben.
„Was mache ich denn? Du wolltest mir doch etwas lehren und jetzt habe ich es verstanden und möchte mich bedanken.“
Fauchend sprang Elth von mir hinunter und ich löste gnädiger weise meine Arme von ihm. „Jetzt ist sie vollkommen verrückt geworden!“ Stieß er immer noch irritiert hervor und strich sein Hemd glatt, als könne er damit meine Umarmung wegwischen. Da der Trick jedoch funktionierte, streckte ich meine Arme nach ihm aus und kam auf die Beine.
„Ach, Elth. Sei doch nicht so und lass dich drücken, mein Kuschelkätzchen!“
„Igitt lass das! Geh weg!“ Elth sprang lauter fauchend über die Bank hinweg, als könne diese mich aufhalten.
„Komm schon!“ Stichelte ich weiter und lehnte mich über die Bank, doch er lief schnell die Treppe hinab zum Keller, wo ich laut die Türe zum Trainingsraum knallen hörte.
Lachend drehte ich mich zu dem ebenfalls lachenden Gael um. „Okay, ich gebe zu, dass ich beeindruckt bin. Das habe ich nicht kommen gesehen.“
Stolz grinsend ließ ich mich auf die Bank fallen und streckte mich genüsslich. Endlich Freiheit! „Spontane Eingebung. >Was hasst Elth mehr, als mit mich?< Dabei war die Antwort doch so einfach.“
„Nur leider, wird diese Technik nicht bei jedem Mann funktionieren.“ Korrigierte mich Gael und nahm mir so das kurze aufkeimende Gefühl des Trumpfes.
„Ja... ich weiß...“ Musste ich enttäuscht eingestehen. „Aber für heute bin ich ihn definitiv los.“
Hierbei musste Gael mir nun ebenfalls zustimmen. „Dafür haben wir beide etwas mehr Zeit, um zu lernen.“ Genervt seufzte ich.
Lernen... Gaels Lernstunden kannte ich nun viel zu gut und hasste sie fast ein bisschen mehr als Elth. Natürlich war es, unglaublich interessant alles über die Wesen zu erfahren, denn er dachte, dass es mir vielleicht nützlich sein könnte eine bestimmte Form zu bevorzugen. Nun, ja. Als Golem oder Gargoyle wollte ich schließlich auch nicht enden, aber dass wir sogar >biologisch viel zu sehr ins Detail gingen, das war mir dann doch ein klein bisschen zu viel.
Kurzerhand saß ich wieder in Gaels Büro, wo wir jede seiner Stunden verbrachten und Elth, den ich erst bemerkte, als ich kurz zur Toilette ging, hielt viel Abstand zu mir und vermied es sogar, sich mit mir in einem Raum aufzuhalten, wodurch es mir verboten war eine Türe zu schließen für den restlichen Tag. Selbst meine Zimmertüre.
Andererseits verletzte mich Elths Verhalten auch ein wenig. War es denn etwa so schlimm von mir umarmt zu werden? Nicht dass ich jemals wieder vorhatte Elth zu umarmen, doch... die Abneigung die ihm deutlich ins Gesicht geschrieben war, fühlte sich ein wenig übertrieben an. Konnte man denn einen Menschen wirklich so sehr hassen, nur weil man ihn beschützen musste? Verständlicher weise hatten Elth und ich auch nichts gemeinsam und damit keine Gesprächsthemen, um unsere gemeinsame Zeit zu vereinfachen, immerhin blieben uns immer noch zwei weitere Monate, bis zu meinem Geburtstag.
„Hörst du mir denn überhaupt noch zu?“
Erschrocken blickte ich zu Gael, der mich streng ansah, als hätte ich eben, wieder einmal, etwas Wichtiges überhört. „Ich? Ähm... Ja, natürlich.“ Log ich ziemlich schlecht. „Du hast eben etwas über die drei tägige Aufnahme von Blut gesprochen... oder so etwas.“
„Nicht >oder so etwas<, Edelle! Hör gefälligst mit deiner Tagträumerei auf. Du bist beinahe so schlimm wie deine Schwester.“
Meine Schwester war auch Tagträumerin? Normalerweise träumte ich nur in den Unterrichtsstunden der Schule vor mich hin. Aber jetzt plötzlich auch vor Gael, das wurde mir nun doch ein wenig zu peinlich.
„Ich... weiß. Entschuldige bitte.“
„Na, gut. An was denkst du im Moment? Was beansprucht deine gesamte Aufmerksamkeit?“
Okay, das war wohl etwas, worüber ich nicht sprechen wollte. Immerhin waren es ja so wie so >nur< noch zwei Monate mit Elth. „Mir tut nur alles weh und... du hattest vorhin recht. Einen Fremden kann ich nicht so einfach wie ein Mistvieh abwimmeln. Dafür muss ich noch trainieren, aber ich bin einfach zu... ungeschickt dazu.“
Gael lehnte sich zuversichtlich lächelnd zu mir vor und nahm meine Hand zwischen seine beiden. „Edelle.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte ich ihm in die Augen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde jetzt etwas kommen das ich nicht hören wollte. „Ich weiß, dein Körper muss jetzt viele Veränderungen durch machen, die dein Gehirn erst noch verstehen und dein Herz verarbeiten muss, doch...“
Moment... würde das jetzt ein Aufklärungsgespräch werden? „Gael, bitte sag mir, dass du von meinem Geburtstag redest, nicht von... dem anderen Thema, das man mit >Veränderungen am Körper< beginnt.“
Kurz dachte er darüber nach, was ich meinen könnte, dann schüttelte er den Kopf. „Della, nimm das hier bitte zumindest ein wenig ernst.“
„Das tue ich doch! Aber nicht wenn du mit >dem Körper< beginnst.“
„Aber es ist eine große Veränderung, zumindest kann es eine sein, wenn du es zulässt.“ Ach, ja das hatte ich beinahe verdrängt. Wenn ich keinen Blutaustausch-Sex hatte, dann würde ich ein normaler Mensch bleiben, ohne irgendwelche Fähigkeiten. Das klang doch auch recht... verlockend, oder?
„Weißt du, vielleicht finde ich es überhaupt nicht so schlecht, ein Mensch zu sein, Gael. Bisher bin ich gut zurechtgekommen.“ Beleidigt entzog ich ihm meine Hände und verschränkte sie abweisend vor meinem Oberkörper.
„Ich gebe zu, dass es eine naheliegende und vor allem die einfachste Option ist, aber wie, nicht nur ich, feststellen konnte, bist du nicht wirklich als Mensch geeignet. Du hast kaum zwischenmenschliche Kontakte geschlossen, geschweige denn... dass du etwas als Mensch hättest, wohin du zurückkehren könntest.“
War das etwa sein ernst? Wer hatte mich denn erst in diesen Schlamassel geritten? „Ach, bin jetzt etwa ich schuld an einem Erbe, dass man mir mein ganzes Leben vor enthalten hatte?“
„Edelle, so war das jetzt nicht gemeint...“ Versuchte er sich heraus zu reden, doch ich sprang so schnell von meinem Stuhl auf und lief aus dem Zimmer, dass Elth kaum dazu kam, mir aus dem Weg zu gehen.
„Dell! Jetzt warte doch, bitte lauf nicht immer vor den Konflikten weg.“ Gael kam mir mit ungeheurer Geschwindigkeit hinterher.
„Ich laufe nicht fort! Nie! Vor niemanden!“ Nun, ja. Das stimmte nicht so ganz, aber das würde ich ganz bestimmt nicht vor Gael zu geben, oder schlimmer noch von dem Mistvieh, das uns breit grinsend folgte. „Doch du läufst davon. Jedes Mal! Wie wäre es, wenn du dich zur Abwechslung einmal mit deinen Problemen auf alles und jedem auseinandersetzt?“
Ich blieb so rapide vor dem Absatz zur Treppe stehen, dass Gael kaum dazu kam selbst abzubremsen und somit direkt in mich hinein lief. Mit Mühe hielt ich mich am Gelände fest und Gael legte seinen freien Arm um mich, damit ich nicht abstürzte, während er selbst ebenfalls nach einem Punkt versuchte zu fasse, an den er sich anhalten konnte.
Gerade in dem Moment, an dem ich dachte, dass wir den Schwerpunkt überschritten und unser Gewicht, plus die Geschwindigkeit uns hinunter zogen, fühlte ich, wie dieser Schwerpunkt von mir genommen wurde und ich schwerelos in Gaels Armen lag.
Verwirrt sah ich auf. „Verdammte...“ Begann ich, doch brach im selben Moment wieder ab, als ich begriff, was genau ich da vor mir sah.
Gaels Augen hatten von ihrem Gewohnten hellblau, dass seinem Gesicht ansonsten ein solch vertrauensvolles und liebliches Aussehen verlieh, zu einem stürmischen und rauchigen Silber gewechselt, dass ich noch überhaupt nicht kannte. Jedoch lag mein Augenmerk nicht direkt auf seiner Veränderung der Iris, sondern auf dem, was sich direkt über ihm abspielte. „Bin ich schon tot?“ Hatte ich den Sturz etwa überhaupt nicht gespürt? Und wieso ist Gael mein Engel? Soll er mich etwa in den Himmel tragen, oder kam ich für mein viel zu loses Mundwerk in die Hölle. Na, gut. Wohl eher dafür, das ich meine Mutter getötet habe.
Aus Versehen!
„Ähm... das kann ich erklären.“ Gael stellte mich auf der Mitte der Treppe ab und sah mich so besorgt an, als hätte er eben jemanden getötet.
Hinter Gael ragten zwei riesige schmutzig weiße Flügel auf, die über das Treppengeländer überhaupt keinen Platz fanden, doch für Gleichgewicht gesorgt hatten. Jetzt war ich aber sehr gespannt, wie er das erklären wollte.
Moment, worüber hatten wir eben noch gestritten? „Du... hast doch so etwas wie Konfliktbewältigung angesprochen, oder? Ich wäre jetzt sehr interessiert daran, was du zu deiner Verteidigung zu sagen hättest. Nicht nur, dass ich seit einer Woche versuche dich über Engel auszufragen, lügst du mich auch noch an und sagst, dass du noch mehr Informationen über sie sammeln musst, da du nicht auf >mein Problem< vorbereitet warst!“ Meine Stimme wurde Wort für Wort schriller und lauter, sodass ich vermutlich kurz davor war Nachbarn zu wecken, wenn wir doch welche gehabt hätten. Aber nein, ich saß ja mitten im Grünen und hatte nicht einmal eine Ahnung, wie nahe wir der nächsten noch so kleinen Siedlung waren. „Ich weiß das du jetzt wütend auf mich sein musst, doch ich kann dir versichern, dass ich relativ wenig über Engel weiß, da ich kein Richtiger bin. Ich bin ein Mischling.“
Also wollte er sich genauso wie Elth heraus reden? Frustriert stieß ich Gael von mir und stolperte dabei selbst eine Stufe weiter hinunter. „Weißt du was. Bevor du anfängst zu heucheln, kehr vor deiner eigenen Haustüre.“
Kam es mir nur so vor, oder hatte ich scheinbar ein mehr oder weniger >kleines< Problem mit dem anderen Geschlecht? Wütend donnerte ich die restlichen Treppen hinunter und lief durch das Wohnzimmer, wo plötzlich Elth wieder vor mir stand. Erschrocken blickte ich von dem oberen Teil der Treppen zu ihm und wieder zurück. Ist er etwa gesprungen? Immerhin blockierten immer noch Gaels Flügel den Abstieg.
Kopfschüttelnd ging ich auch diesem Idioten aus dem Weg und lief die Treppe zu meinem Zimmer hinauf.
„Wirst du jetzt immer wie ein kleines Mädchen davon laufen?“ Elths Stimme ließ mich am Absatz zur Treppe erstarren. Er hatte einfach den Bogen heraußen, wie man meine Aufmerksamkeit bekam.
„Wenigstens laufe ich nicht jedem winkenden Geldschein hinterher.“
„Hast du vielleicht auch einmal daran gedacht, dass wir vielleicht unsere Gründe haben, weshalb wir Dinge nicht sagen, oder einfach tun?“
„Als ob es mich interessieren würde. Ihr habt mich hier hinein gebracht, also seid ihr dafür auch verantwortlich!“ Ich lief die Treppe hoch und schloss mich mit knallender Tür in meinem Zimmer ein.

13. Fluch des Mondes

Es war bereits kurz vor Mitternacht, was bedeutete dass die Sonne lange schon hinter dem Horizont verschwunden sein musste. Trotzdem konnte ich nicht einschlafen, egal wie sehr ich mich drehte und wendete, ich fand einfach keine passende Position. Außerdem schwitzte ich und mein Kopf pochte, als würde irgendetwas aus meiner Haut fahren wollen.
Hatte ich mich vielleicht verkühlt? Fiebrig fühlte ich mich ja nicht, aber durstig. Nur mein Problem war, dass ich, nachdem die Sonne vom Himmel verschwunden war, nicht mehr aus dem Zimmer durfte. Nicht wegen Gael, sondern wegen Elth. Das war unser Deal.
Aber es hatte doch keinen Sinn. Frustriert schwang ich mich aus dem Bett, nur um im nächsten Moment auf dem Hintern zu sitzen. „Verdammt.“ Es dauerte noch eine weitere Minute, bis sich mein Kreislauf an die Horizontale gewöhnt hatte und ich mich entschlossen, dass es sicher war auf meinen Beinen zu stehen. Langsam schloss ich meine Zimmertüre auf, die Elth zum Glück bisher nicht gewagt hatte einzutreten, auch wenn er es mehrmals die Woche androhte.
Leise ging ich die Treppen hinunter in das Erdgeschoss und drehte gedämpft das Licht in der Küche auf, bevor ich den Wasserkocher befüllte und nach Kräuterbeutel in den Regalen suchte. Überraschenderweise befand sich sogar eine große Sammlung an Teebeuteln ganz oben in einem Schrank.
Wenige Minuten später saß ich genüssliche schlürfend auf der Wohnzimmerbank und gähnte vor mich hin. Mein Schweißausbruch ließ leider dadurch auch nicht wirklich nach und ich fühlte sogar, langsam Übelkeit in mir hochkommen.
Was war das bloß?
Bereits nach dem zweiten Schluck Tee, verging mir der Appetit und ich stellte die Tasse weg, damit ich mich auf dem Sofa hinlegen konnte. Doch es wurde nur noch schlimmer. Immer wieder wurde ein plötzlicher Heißhunger, den ich nicht erklären konnte, abgelöst von irgendwelchen Geräuschen, die viel zu laut in meinen Ohren klang, dann plötzlich verstummten sie und ich roch den Haushalt so intensiv, dass mir wieder übel wurde. Irgendwann begann meine Haut zu jucken, als würde sie jeden Moment einfach abfallen, oder ich verbrannte innerlich, als würde ich in Feuer ausbrechen. Und das wechselte von Minute zu Minute.
Ich fühlte mich einfach nur schrecklich. Nie konnte ich erahnen, was mich als Nächstes erwartete und zurückblieb nur die Gewissheit, dass jeden Moment wieder irgendetwas passieren könnte.
Nur wann würde es enden? Wieso passierte das überhaupt? Das war doch kein normaler Virus, oder? Vielleicht eine Blutvergiftung? Hatte ich mich etwa irgendwo geschnitten? Aber ich konnte keinen Schmerz ausmachen. Nicht an meiner Haut, doch tiefer in meinem Körper. Es zog und zerrte an mir, als würde irgendetwas hinaus wollen, die Kontrolle über meinen Körper übernehmen und ich wusste, würde es das in mir schaffen, dann würde das alles Aufhören. Es musste einfach aufhören.
So plötzlich, dass ich es nicht kommen sah, packte mich ein unbändiger Schmerz und zog meinen Körper in alle Richtungen. Meine Knochen brachen unter der Bewegung und dem Schrei der so unmenschlich aus meinem Mund kam, als ob nicht ich hier schreien würde, sondern ein Monster aus den Albträumen aller Kinder.
Im nächsten Moment riss mich etwas herum und ich kniete auf allen vieren auf dem seltsamer weise Blut getränkten, ehemalig, hellblauen Teppich. „Was ist das?“ Fragte ich, doch schaffte es nicht mehr, meinen Mund richtig zu bewegen. Ich musste ihn seltsam verbiegen um überhaupt noch einen Ton heraus zu bekommen und als ich versuchte mich an der Tischplatte hoch zu ziehen, versagten meine Muskeln. Nicht einmal mein Gelenk erlaubte es mir die Schulter, so weit zu bewegen, als wäre ich plötzlich in einer waagrechten Gangart gefangen.
„Edelle?“ Fragte Gaels Stimme besorgt die Treppe hinab und ich hörte seine vorsichtigen Schritte, als würden sie von irgendetwas beschwert werden.
Statt einem Wort kam nur ein bedrohliches Knurren aus meiner Kehle, als sein Geruch deutlich zu mir hinunter schlich.
„Wer ist da?“
Na wer wird das wohl sein? Ich natürlich! Zumindest wollte ich das sagen, jedoch kam kein einziges Wort aus meinem Mund, oder sollte ich es eher als eine >Schnauze< bezeichnen?
Panisch versuchte ich, auf sie zu schielen, doch erkannte nicht viel, außer einer hellbraunen Nase, die in dunklen schwarz, rotem Fell endete. Winselnd begann ich mit meinen >Pfoten< daran zu kratzen. Ich hatte mich verwandelt! Schon wieder! Ohne es zu wollen!
„Mist! Wie bist du denn hier hinein gekommen? Hier gibt es nichts für dich!“ Gaels Stimme ließ mich erschrocken aufjaulen und ich duckte mich unter einem Schwerthieb hinweg.
Moment... woher kam das Schwert? Er wollte doch nicht... Der nächste Hieb kam, ohne dass ich ausweichen konnte und es ritzte meine Flanke ein.
Wieder winselte ich nur dieses Mal aus Schmerz. Wie konnte er mich nur schneiden? Wieder versuchte ich etwas zu sagen, doch erreichte nicht mehr, als auf meine Zunge zu beißen. Okay, ich brauchte dringend Übung in solchen Sachen.
„Was versuchst du da?“ Gael wurde Zusehens nervöser, da ich mich weder wehrte, noch irgendetwas anderes tat, außer zu versuchen einen Ton auszuspeien. „Moment... Edelle?“
Da ich endlich meinen Namen hörte, blickte ich zu Gael auf, der überrascht die Augenbrauen hochzog, doch das Schwert fallen ließ, als wäre es Wertlos. „Eigentlich hätte ich es mir denken sollen. Du bist bereits seit Tagen so launisch.“ Frustriert griff er sich an die Schläfen und massierte sie. „Entschuldige, dass ich es nicht früher bemerkt habe, Kleines.“
Schnaufend wandte ich mich ab und setzte einen meiner viel zu vielen Füße vor dem anderen um mich an diese seltsame gangweise zu gewöhnen. Es fühlte sich seltsam an, als wären meine Beine viel stärker, als bisher und meine Sinne nahmen Dinge viel intensiver auf, besonders meine Nase.
„Wie fühlst du dich? Tut dir irgendetwas weh?“ Jetzt zumindest nicht mehr, doch der starke Blutgeruch, machte mich wahnsinnig. Er übertönte beinahe alles andere, dabei roch Gael so unglaublich gut. Vorsicht ging ich mit erhobener Nase näher auf ihn zu und schnupperte zögerlich an seinem Fuß. „Deine Sinne sind geschärft, oder?“ Ich nickte. „Das ist eine von vielen Stärken der Werwölfe. Entschuldige, dass wir bisher nicht über sie gesprochen haben, doch an Vollmondnächten, werden sie dazu gezwungen sich zu verwandeln. Es ist... ein Fluch, ein Virus und nur sehr starke und alte Werwölfe besitzen eine solche Kontrolle über sich, wie du in diesem Moment.“
Noch ein Beweis dafür, dass ich eine Königin bin. „Man sagt sogar, dass manche starke Werwölfe sich sogar ohne Vollmond verwandeln können, doch dabei zunehmend verrückt werden, du hast dich bestimmt deshalb verwandelt, weil er heute so groß und hell am Himmel steht.“ Gael deutete mir ihm zu folgen und zog den Vorhang zur Seite, den er vor dem großen Wohnzimmerfenster platziert hatte.
Durch die Winterlandschaft und die dicht zusammen stehenden Bäume, stand er. Groß und mächtig schien er durch die Wolken hindurch, direkt in mein Gesicht. Wohlig strichen seine Strahlen um mein Gesicht, wie eine liebende Mutter, die ihr Kind das erste mal sah und nicht glauben konnte, dass es tatsächlich vor ihr stand.
Mit wedelndem Schwanz, wartete ich darauf, dass mich der Mond in seine warmen Arme schloss, doch dann wurde meine Aufmerksamkeit von etwas anderem abgelenkt. Werwölfe! Sie kamen so plötzlich aus den Wäldern, als hätten sie nur darauf gewartet einen Blick auf mich zu erhaschen.
„Mist. Ausgerechnet heute!“ Fluchte Gael und wollte schon den Vorhang zu ziehen, doch ich knurrte. Wehe er wagte es, meinen Kontakt zur Mutter zu unterbrechen! Instinktiv wusste ich nämlich, dass niemand, außer ich sie so deutlich spüren konnte.
Diese armen mickrigen Wesen, die kaum noch einem richtigen Werwolf entsprachen. Beta, Omega. Wertloser Dreck der es nicht Wert war meinen Anblick abzubekommen oder unter Mutters Macht zu wandeln. Niemand von ihnen!
„Edelle? Was machst du?“ Langsam ging ich rückwärts. Ich fühlte ganz deutlich, dass das Glas dicker war, als jedes andere. Es sollte so kräftige Wesen wie Werwölfe draußen halten, aber von drinnen war doch niemals eine Rede, oder?
Als ich wusste, dass ich genug Kraft aufbringen konnte, sprang ich mit einem Satz durch das, wie Papier reißende, Glas und landete elegant wie noch nie auf dem schneebedeckten Boden. „Edelle! Komm zurück. Du darfst dich ihnen nicht anschließen, egal was deine Instinkte sagen.“ Warnte er mich und ich wusste, dass er recht hatte.
Doch was er nicht wusste, war, dass ich mich ihnen nicht anschließen wollte. Sie sind schwach. Nicht würdig. Hier herrschte eine Hackordnung und sie waren alle hier um ihre Erlösung zu finden, denn nur die niedersten ihrer Instinkte beherrschten sie. Sie alle besaßen nicht die Kontrolle über ihren Körper und es würde noch Jahre dauern, bis sie ihn ansatzweise erlangen.
Zwanzig. Dreißig. Vierzig. Immer mehr kamen aus den Wäldern. Ängstlich, unsicher... schwach! Sie brauchten alle die Erlösung.
So plötzlich, dass es schien, als würde ein Stern über uns hinweg fliegen landete der Engel galant, mit gezogenen Schwert vor mir und hatte vor mich bis in den Tod zu beschützen. Jedoch wovor? Vor kleinen ängstlichen Welpen, die nicht einmal einen Hasen von einem Elefanten in ihrer blinden Wut unterscheiden konnten?
Mehrere fingen an zu knurren, als der silberne Engel vor mir landete und den Blickkontakt zu mir unterbrach.
Dummer Engel! Fluchte ich innerlich und ging an ihm vorbei jedoch nicht ohne ihn mit der Schulter an zu schubsen. „Edelle, bleib gefälligst zurück!“ Warnte er mich noch einmal.
Ich jedoch dachte nicht daran. Er verstand nichts. Das hier war keine Bedrohung, es war eine Opferung. Blut würde fließen und die Werwolfbedrohung zurückschrauben. Oder vielleicht auch erst ankurbeln? Das alleine lag in meiner Entscheidung. Ich konnte sie mächtiger machen, ihnen die Kontrolle über ihren Körper zurückerlangen lassen und Mutters Ruf das Erste mal fühlen lassen, oder sie zurück in ihre menschliche, schwache Hülle schicken. Ein für alle mal und immun gegen jeden anderen Biss.
„Was machen sie?“ Fragte Gael ungläubig, als alle Werwölfe gleichzeitig begannen sich vor uns in den kalten Schnee zu legen. Winterliche Kälte zog über mein dichtes Fell hinweg und abermals fragte ich mich, wie ich mich entscheiden würde. Was wollten sie wohl? Große Macht, oder Frieden? Wie empfanden sie dieses Schicksal?
So plötzlich, dass es Gael nicht kommen sah, sprintete einer der Werwölfe los und warf sich auf den Engel, der es gerade noch schaffte sein Schwert zu ziehen, um damit tief in das Maul des Werwolfes einzutauchen. Den gespaltenen Körper ließ er ohne weitere Beachtung in den kalten Schnee sinken.
Idiot! Keine Kontrolle. Das war ihr trauriges Schicksal, das Los, dass sie gezogen hatten, direkt während der ersten Verwandlung, die bestimmt fürchterliche Qualen ausgelöst haben musste.
Und genau davor hatten sie Angst. Anderen dasselbe anzutun, gefangen in dem Kopf einer Bestie zu leben. Meine armen Welpen.
Ohne weiter auf Gael zu achten, lief ich auf den nächstgelegenen Wolf zu, der winselnd vor mir seinen Kopf in den Schnee legte.
Die einzige Frage, die ich stellte, war, >Macht, oder Heilung?<
Kurz blickte er mit seinen hellbraunen, menschlichen Augen zu mir auf, dann senkte er den Kopf wieder. Also Heilung. Ich drehte dem Wolf meine Flanke zu und er leckte zögerlich über meine Wunde, bevor er sich unter Qualen in einen Menschen zurückverwandelte, doch dies würde einige Zeit in Anspruch nehmen. Erst musste einmal der Virus aus seinem Körper und das würde kein Spaß werden.
Nun wandte ich mich zum Nächsten.
Macht, oder Heilung?
Unsicher sah er sich nach allen Seiten um, doch niemand schien recht zu wissen, was sie wählen sollten. Die Heilung sah nicht gerade >Gesund< aus, aber ein Werwolf schien er auch nicht bleiben zu wollen, daher drehte ich ihm meine Flanke zu. Schnuppernd kam er meiner oberflächlichen Wunde näher und leckte zögerlich mit der Zungenspitze darüber, bevor er wie sein Vorgänger am Boden zusammen brach. So ging es weiter, doch die Nacht schien kein Ende zu nehmen. Immer mehr und mehr Werwölfe kamen aus den Wäldern und wählten sich zurückzuverwandeln. Menschlich zu werden. Sie tranken zögerlich aus meiner Wunde und fielen schreiend zu Boden, während Gael, ins Schwitzen gebracht, versuchte die zurückverwandelten in sein Haus zu bringen, damit sie sich nicht zu Tode froren, jetzt da sie nackt waren, ungeschützt von ihren einst, so perfekten Fell.
Erst kurz vor der Dämmerung, hatte sich eine Vielzahl entschieden sich zurückzuverwandeln, wodurch nur wenige übrig blieben und unsicher auf die zitternden menschlichen Klumpen sahen, die den einst weißen Schnee bereits in ein ekelerregendes Rot gefärbt hatte.
Die letzten fünfzehn saßen da und warteten. Sie warteten auf die Macht. Die Fähigkeit ihre Mutter kennen zu lernen und wie wahre Alphas die Kontrolle zu finden. Macht zu erhalten.
>Letzte Chance< übermittelte ich ihnen, doch sie senkten lediglich demütig ihren Kopf. Drei Männer und zwölf Frauen, zählte ich, bevor ich dem ersten mein Kiefer in den Nacken bohrte. Es würde Narben hinterlassen und zeigen, dass sie die Macht einer Königin erhalten hatten. Dem Nächsten biss ich in die Schulter. Wieder einem in den Rücken.
Sie alle wollten gut sichtbare Narben. Einer wollte es sogar im Gesicht haben, doch ich zog seine Kehle vor. Ich wusste nicht, wie die Narbe aussehen würde, doch entstellen wollte ich sie deshalb auch nicht.
Als ich fertig war, winselten sie alle vor mir, während ich donnernd grollte. >Nächsten Vollmond< versprach ich. Woher ich das wusste? Ich hatte keine Ahnung. Es lag einfach in meinem Instinkt, der mir sagte, was passieren würde.
Demütig zogen sie hinkend, oder schlürfend ab und versteckten sich wieder im Wald. Vielleicht liefen sie auch zu ihren Verstecken, oder sogar nach Hause. Was sie nun tun würden, war alleine ihnen überlassen.
Ihr Instinkt hatte sie hier her gebracht, also würde er sie auch sicher nach Hause bringen. Immerhin war Mutter Mond ab jetzt mit ihnen, solange sie lebten.
Schmunzelnd sah ich ihnen hinterher. Stolz auf die jungen Krieger, die ich erschaffen durfte. Die zukünftigen Wächter einer wahren Werwolfkönigin!
„Was ist denn hier los?“ Das war Elth Stimme. Er klang entsetzt und ungläubig. Vermutlich da so viele nackte Menschen im Schnee lagen und sich beinahe zu Tode froren. Menschen, die ab nun nicht mehr mein Problem waren. Sie sind jetzt unbeteiligte Schwächlinge, mit denen ich nichts zu tun haben wollte.
„Gael! Ein Werwolf, pass auf!“ Fragend blickte der gewarnte über seine Schulter, doch erkannte mich und winkte ab. „Das ist Edelle.“
Wie vom Blitz getroffen stand Elth da und starrte mich mit großen Augen an. Versuchte meinen menschlichen Körper, in dieser starken und prächtigen Gestalt zu finden. Vergebens.
Knurrend näherte ich mich Elth, der sein menschliches Äußeres fallen ließ und sich das Shirt über den Kopf auszog um sich gegen mich wehren zu können. Plötzlich wusste ich, dass er es nicht konnte. Meine Macht war überwältigend, unbändig und für ein... Kätzchen wie ihn nicht zu verstehen. „Keine Aggression, Elth. Sie hat gerade all diese Menschen geheilt, hilf mir lieber, bevor sie dem Erfrierungstod ausgesetzt sind und Dell umsonst ihr Blut her gegeben hat.“
Mein Blut! Das hatte ich vollkommen vergessen. Ich sollte vermutlich die Wunde schließen, die tiefer als gedacht war. Durch das immer wieder aufreißen, hatte sie aufgehört zu heilen und nun lief beständig dunkles Blut über meine Seite hinunter und tropfte auf den Boden. Das Problem war nur, dass ich nicht an die Wunde herankam.
„Ihr Blut? Sie hat all diese Werwölfe geheilt? Wieso?“
Gael hob unwissend die Schultern. „Sehe ich aus wie ein Werwolfflüsterer? Hatte ich schon jemals etwas mit einer Werwolfkönigin zu tun? Ich habe tausend Fragen, die ich erst stellen kann, wenn die Sonne aufgegangen ist und sie ihre Stimme wieder bekommt. Jetzt hilf mir endlich, bevor ich mir einen Krampf hebe.“ Der letzte Satz war mehr ein Befehl, als eine Bitte, aber Elth ging zum nächsten Menschen und hob ihn unsanft über seine Schulter.
„Elth...“ Stöhnte Gael und schüttelte tadelnd den Kopf, während Elth einfach an ihm vorbei ging und störrisch den Mensch unsanft ins Haus trug.
Die ersten die ich zurückverwandelt hatte, kamen nun langsam aus dem Haus und blickten sich fragend um. Als sie mich sahen, brach Angst aus jeder Pore ihres Körpers hervor. Sie wussten, dass sie nicht länger erwünscht waren. Blutverräter. Schwächlinge. Knurrend bedrohte ich sie.
„Edelle. Was ist los?“
Als ob jemand wie er das verstehen konnte. Ein Mischling! Schnaufend wandte ich mich voller Abscheu von dem Fußvolk ab, das sich selbst verraten hatte und vertrat mir etwas die Beine, während sich der Himmel von einem dunklen Schwarz in ein sanftes orange färbte und Mutter von mir Abschied nahm.
Langsam löste sie ihre unsichtbaren Hände von mir, die sie zärtlich um mich geschlungen gehabt hatte und verkroch sich auf der anderen Seite der Erde, um dort andere Wesen der Nacht mit ihrem Anblick zu erfreuen. Mit einem langgezogenen traurigen Heulen verabschiedete ich sie. In ihrer vollen Pracht, würde ich sie erst in einem Monat wieder sehen dürfen und das brachte mich beinahe zum Weinen. Alleine die Zuversicht, dass sie mich niemals gänzlich alleine lassen würde, blieb in meinem Herzen zurück.

14. Der entblößende morgen danach

Zitternd schrak ich aus meinem Albtraum. Irgendetwas stimmte nicht. Mein Körper fühlte sich schwach und unwirklich an, als ob ich eben die ganze Nacht durch irgendwelche Straßen gelaufen wäre. Genauso schwer kam ich auch aus meinem Bett, dass sich überraschender weise, als dem >Boden< heraus stellte. Bin ich etwa aus dem Bett gefallen?
Fragend sah ich mich um. Dutzende nackte Leute liefen um mich herum und schienen zwischen Erleichterung und Angst in sämtlichen Gefühlslagen zu stecken. „Was habe ich verpasst?“ Hatte Elth etwa eine Orgie veranstaltet?
Moment... War ich etwa darin involviert? Überrascht stellte ich fest ebenfalls nackt zu sein, wie beinahe alle anderen, nur Gael lief in seinem Schlafanzug zwischen den ängstlichen Menschen, oder waren es Wesen, herum und brachte ihnen Tee so wie Decken um sich zu wärmen.
Auch ich fand eine Decke direkt neben meinen Füßen. Ich musste sie abgestrampelt haben, daher zog ich sie schnell wieder über mich. „Gael?“ Stieß ich ängstlich hervor, während ich mich über mehrere schlafende Körper hinweg bewegte und versuchte niemandem auf die Finger zu treten. Diejenigen die bereits wach waren, neigten respektvoll ihren Kopf vor mir, oder warfen sich regelrecht unterwürfig auf den Boden. „Was habe ich verpasst?“
Elth erschien mit einem scheinbar bewusstlosen Körper in der Türe und legte ihn vorsichtig, neben einem anderen im Wohnzimmer. „Das war der Letzte.“ Bestätigte er Gael, der erleichtert seufzte.
„Endlich, das war auch schon an der Zeit. Weißt du eigentlich, was für einen Ärger du uns eingebrockt hast?“ Der letzte Satz galt scheinbar mir.
„Ich? Was habe ich denn getan?“ Mir war doch nur schlecht und heiß gewesen. Daher hatte ich Tee getrunken und... Bilder von Werwölfen, die an meiner Schulter leckten erfüllten meinen Kopf. „Okay... Ich denke, ich erinnere mich langsam.“ Musste ich zugeben und zog die Decke noch enger um mich, wobei sich ein stechender Schmerz in meiner Schulter meldete.
Wenn ich das richtig verstand, hatte ich die Nacht damit verbracht Werwölfe zu heilen? Konnte das richtig sein?
„Wenn du wieder einmal eine Werwolforgie planst, dann sag uns bitte vorher bescheid!“ Knurrte Elth und trat an meine Seite, als eine Werwölfin... ehemalige Werwölfin, mich ansprechen wollte, doch unter dem wütenden Blick von Elth sofort wieder weglief.
„Die habe ich alle geheilt, oder?“ Fragte ich, Elth mit Absicht ignorierend.
„Ja, scheint so. Aber die letzten fünfzehn hast du gebissen, weißt du vielleicht noch wieso?“
Ich schüttelte den Kopf. Woher denn?
„Um ihnen Macht zu geben. Ich habe nur drei Wörter in meinem Kopf gehört. >Macht, oder Heilung<. Das hast du uns alle gefragt.“ Murmelte ein Werwolf, der in unserer Nähe zusammen gekauert saß und sichtlich Angst hatte. Etwa vor mir?
„Wieso habe ich das getan?“ Fragte ich den Mann, der mindestens Mitte fünfzig sein musste.
„Weil wir schwach waren. Die Ängstlichen. Die Omegas und schwachen Betas. Wir sind nichts Wert, nur Kanonenfutter um die ältesten, die Alphas zu schützen. Wir wurden gegen unseren Willen gebissen und hörten deinen Ruf. Er zog uns bereits seit Tagen an, doch erst letzte Nacht verstanden wir es. Du bist unsere Rettung. Du bist diejenige, die uns errette, oder uns erlöst.“
Okay... das war nicht unbedingt das, was ich erwartet hatte.
Plötzlich legte sich eine Hand auf meinen Rücken und ich erkannte Gael. „Du solltest dich lieber einmal ausruhen. Du hast viel Blut verloren und bist blass. Ich werde mit den Übriggebliebenen Reden.“
„Niemand wird mit dem Engel oder dem Wandler sprechen, meine verehrte Königin.“ Warf der Mann ein, bevor ich mich wieder abwenden konnte. „Wir haben Angst. Was wird jetzt aus uns? Wir sind nun einfache Menschen.“
„Menschen die jedoch ohne Furcht leben müssen. Der Mond kann euch nie mehr irgendetwas antun.“ Elth Stimme klang ungewöhnlich sanft, doch der Werwolf wagte es nicht zu ihm aufzusehen, er blickte lediglich meine Beine an, als wäre es das Einzige was er von mir sehen dürfte.
„Königin, bitte sagt... gebt uns einen letzten Befehl. Sagt uns, was wir tun sollen, wir wissen nicht wohin.“
Ich? „Aber ich bin doch...“ Gael deutete mir zu schweigen. Natürlich, sie waren jetzt einfache Menschen. Sie mussten jetzt nichts mehr über diese Welt wissen. „Ihr seid keine Werwölfe mehr, daher bin ich auch nicht für euch verantwortlich. Ihr seid Menschen. Schwach geworden und das was ihr früher einmal gewesen seid, bevor euch eure Träume gestohlen wurden, ihr von euren Familien entrissen und von Dämonen heimgesucht wurdet. Vielleicht denkt ihr erst einmal darüber nach?“
Geradezu erleichtert ließ er seinen Blick über meinen, in die Decke gehüllten, Körper schweifen und sah mir, den Tränen nahe, in die Augen. „Euer Wunsch, ist mein Befehl, Verehrte.“
Glücklich wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht und vergrub es zwischen seinen Armen. Hatte ich etwa das Richtige gesagt?
Fragend sah ich zu Gael, der unwissend die Augenbrauen hochzog. „Ich denke, das hast du gut gemacht.“
„Da ist man einmal nett und wird einfach ignoriert.“ Fauchte Elth beleidigt und legte zornig die Ohren an, als würde er jeden Moment auf jemanden springen wollen, um ihn zu töten. „Komm mit, ich kümmere mich um deine Wunde, bevor ich auf die Idee komme noch einmal zu versuchen nett zu sein.“ Entschied er einfach und zog mich von Gael weg, zur Bank, die von der Mitte des Zimmers zurückweichen hatte müssen an die Wand um Platz zu schaffen. Das Blut darauf erinnerte mich an den ziehenden Schmerz, der mich überwältigt hatte, kurz bevor ich auf allen vieren gestanden hatte um >Werwolfkönigin zu spielen<.
„Bleib da sitzen, ich hole nur etwas Wasser, um die Wunde zu säubern.“ Befahl Elth, als er auch schon in der Küche verschwand. Ich nutzte die Chance, um mich umzusehen. Der Raum leerte sich langsam, doch sichtbar. Viele hatten mein Gespräch mit dem Mann mitgehört und schienen geradezu erleichtert zu sein, endlich aus ihren Pflichten und Ängsten entlassen worden zu sein.
„Meine verehrte Prinzessin.“ Erschrocken zuckte ich zusammen, als ein angekleideter Mann vor mir erschien und ohne zu zögern, vor mir auf die Knie fiel. „Darf ich mich euch vorstellen?“
Unsicher sah ich mich um, doch Gael war beschäftigt und Elth nicht in Sichtweite. „Ähm... natürlich.“ Ich setzte mich aufrechter hin und hoffte damit nicht ganz so fertig auszusehen.
Der Wolfsäugige hob seinen Blick und lächelte höflichst zu mir auf. „Ich bin Malic. Einer der fünfzehn, die euch Treue geschworen haben.“
Fünfzehn? Also einer der Gebissenen. Skeptisch betrachtete ich seinen Körper und fand tatsächlich auf seinem Oberarm einen gut sichtbaren, doch bereits verheilten Biss. „Das sehe ich.“ Musste ich zugeben. „Und was meinst du mit Treue?“
„Ihr seid unsere zukünftige...“ Zischend deutete ich ihm still zu sein. „Hier sind Menschen, Malic. Ich wäre dir dankbar, wenn wir vielleicht später sprechen könnten, wenn alle fort sind.“
„Natürlich! Euer Wunsch ist mein Befehl.“ Unterwarf er sich und beugte sich gleich noch einmal. „Soll ich dabei helfen die Menschen aus Eurem Haus zu bekommen?“
Meinem Haus? Was dachte er eigentlich, was ich bin?
Knurrend erschien Elth neben dem Werwolf und sie gaben sich ein wütendes Wettstaren.
„Malic, ich danke dir, aber Gael schafft das alleine. Könntest du... vielleicht draußen warten?“ Bat ich.
„So gern ich Euren Wünschen nach gehen möchte, doch mein Stolz verbietet es mir, Euch alleine mit einer solchen Bedrohung zu lassen.“ Die Bedrohung sollte anscheinend Elth sein. Vermutlich stimmte das sogar, doch im Moment war er nur mein Wächter.
„Elth ist... eigen, aber keine Bedrohung für mich... danke.“ Fügte ich eilig hinzu. Irgendwie fühlte ich mich fehl am Platz.
„Die einzige Bedrohung hier ist, die Flohschleuder hier.“ Elth deutete auf Malic, der seinen Stolz offenbar nicht einbüßen wollte.
„Das sagt ausgerechnet ein Hauskätzchen, das nicht einmal reinblütig ist.“ Okay, hier war definitiv zu viel Testosteron.
Stöhnend fasste ich an meine Schulter. „Mir ist so schwindelig.“ Log ich und hatte sofort beide Blicke auf mir. Sie durchbohrten mich, als würden sie darauf warten, dass ich einen von ihnen beiden auswählte, dass sie mir helfen dürften.
Es lief definitiv etwas schief.
Im nächsten Moment ließ sich Elth einfach auf die Bank fallen und hob mich, ohne auf das Knurren von Malic zu achten, auf seinen Schoß. Oder gar auf meine eigenen proteste. „Wie kannst du es wagen die Werwolfkönigin so zu behandeln! Dafür werde ich dir das Fell über die Ohren ziehen, du Bastard!“
Fauchend zog mich Elth an seinen Brustkorb, wodurch er es Malic unmöglich machte ihn anzugreifen. „Sie gehört mir und ich bin der Einzige der ihre Wunde behandeln darf!“
Mein Herzschlag geriet völlig außer sich, wie Elth diese Worte knurrte. Dass ich ihm gehörte, war jedoch neu für mich. „Gael?“ Rief ich bettelnd. Irgendjemand musste mir doch helfen können.
„Du kannst keine Werwolfkönigin zu deinem eigen machen. Sie gehört niemanden, sondern nimmt sich, was sie haben möchte. Und etwas wie dich würde sie niemals nehmen!“ Knurrte Malic zurück und versuchte irgendwie an Elth heranzukommen, doch der Feigling benutzte mich weiterhin als sein persönliches Schutzschild. „Aber ich bin derjenige, der sie beschützt bis sie reif ist sich selbst zu entscheiden. Bis dahin gehört sie mir und niemand anders fasst sie an. Verstanden!“ Fauchte Elth lauter, während er beide Arme um mich schloss, als fiele ihm jetzt erst ein, mich vor der Gefahr zu beschützen, die er offenbar fälschlich, in Malic sah.
Gael! Ich könnte wirklich Hilf brauchen! Übrigens... umarmte mich Elth?
„Lass sie sofort los, dann töte ich dich schnell und schmerzlos!“
„Ich denke nicht einmal daran. Ich bin der Einzige von hier, der ihre Wunde schnell heilen kann.“
Das ließ Malic innehalten. Mürrisch verzog er das Gesicht, als würde er irgendetwas, oder lieber irgendjemanden, in Grund und Boden stampfen wollen, doch trat gehörig einen Schritt zurück.
„Könntest du jetzt bitte endlich meine Wunde säubern?“ Bat ich und fragte mich, wo eigentlich der feuchte Fetzen war, mit dem er meine Wunde säubern wollte. Oder eine Creme, Desinfektionsmittel, ein Wundverband. Das Einzige was er trug, war eine Hose und darin konnte er wohl kaum einen Verbandskasten verstecken.
„Natürlich. Setz dich kurz auf.“ Erleichtert, mich endlich von ihm lösen zu dürfen. Doch weit kam ich nicht, kaum dass ich meinen Po hochgehoben hatte, kniete sich Elth hinter mir hin und zog mich wieder zurück darauf. Jetzt saß ich höher, sodass er besser an meine Wunde heran kam, ohne den >verbesserten< Werwolf aus den Augen lassen zu müssen.
Resigniert seufzte ich. Das konnte doch nicht sein ernst sein? Leicht musste ich mich nach vorne lehnen und die Decke ein Stück von meiner Schulter rutschen lassen, damit er daran kam. Dann drückte und zog er daran herum, sodass es nur noch mehr weh tat, doch ich gab keinen Mucks von mir. Ich wusste, dass die beiden nur wieder streiten würden.
Plötzlich fühlte ich etwas Warmes und Feuchtes über die Wunde gleiten. Es fühlte sich angenehm an und der Schmerz verblasste sofort an jeder Stelle, an der er mich mit dem Mittel berührte. Was auch immer es war, es fühlte sich angenehm an.
Seufzend ließ ich Elth mehrere Sekunden mit dem Mittel über meine Schulter streichen, bis mir langsam bewusst wurde, dass ich nebenbei auch Elths Atem direkt an meiner Haut fühlte. Was tat er da überhaupt?
„Was hast du da überhaupt?“ Fragte ich und wollte über meine Schulter sehen, doch Elths Kopf versperrte mir den Weg. Er nahm ihn fort und wischte sich mit dem Arm über das Blut, das an seinen Lippen hing.
„Ich lecke es heil. Was soll ich sonst machen? Ich konnte keinen sauberen Fetzen mehr finden.“
Lecken? „Und... Und da denkst du dir einfach, dass du einfach einmal so darüber leckst?“ Stieß ich erschrocken hervor. „Heute haben mir schon genug Leute über die Wunde gelenkt, langsam reicht es!“ Entschied ich und wollte aufstehen, doch Elth hielt mich wie immer gekonnt zurück. „Bei mir ist es aber anders, Tiermenschspeichel kann heilen.“
Heilen? Nun, ja eine schmerzlindernde Wirkung hatte es auf alle Fälle, daher ließ ich wieder einmal nach und wurde dafür nur noch fester gehalten.
„Sei wenigstens nicht so grob, du erdrückst mich.“ Nuschelte ich leicht beschämt. Ich hatte Elth erlaubt, an meiner Wunde herum zu lecken! Igitt! „Dann halt still.“ Fauchte er an mein Ohr, während seine linke Hand in mein offenes Haar glitt und er mich daran zurückzog. Zu meinem eigenen Bedauern fügte ich mich sogar.
Provokativ glitten Elths Lippen über meinen Hals hinunter über mein meine Schulter, zu meinem Schulterblatt, wobei er meinen Kopf an den Haaren so zur Seite legte, dass es etwas unterwerfendes hatte. Etwas dass ich nicht richtig verstehen konnte, doch unmissverständlich in der Luft zwischen Elth und Malic stand. Demonstrativ leckte er wieder über meine Schulter, wobei sein rechter Arm direkt unter meiner Brust lag, als würde er Malic unbedingt seinen Stand demonstrieren wollen.
Wieso kam ich mir dabei nur so gedemütigt vor? Es fühlte sich viel zu intensiv und Vertraut an was Elth tat und das gefiel mir... trauriger weise.
Mit rasendem Herzen wartete ich eine weitere Minute, die mir wie eine Stunde vor kam, bevor der Katzenmensch endlich zufrieden mit der Heilung meiner Wunde war und mein Haar losließ um sie vorsichtig abzutasten.
Erst danach nahm er endlich seinen Arm von meinen Rippen und ich sprang so schnell auf, dass Malic mühe hatte mir auszuweichen, doch ich wollte nicht an ihm vorbei, sondern drehte mich mit Schwung um und nutzte diesen um meine Hand schnellen zu lassen. So laut, dass sämtliche Blicke sich mit einem Mal auf uns richtete und mir der Schlag peinlich wurde, traf ich Elth im Gesicht, dessen Wange rot anschwoll. „Ich warne dich dieses eine Mal. Wage es ja, niemals wieder deine ekelhafte Zunge auf meinen Körper zu richten, oder mich als deine persönliche Belustigung zu benutzen, sonst schwöre ich dir, dass ich dir die Zunge aus dem Mund reiße und sie dir einführen werde, sodass deine Verdauung ab diesem Moment rückwärts funktioniert!“ Ich schrie so laut, dass sogar Gael, der vollkommen vertieft in seinem Element gewesen war, sofort zu mir kam und besorgt zwischen den knurrenden Elth und mir hin und her sah.
„Was ist hier los?“ Verlangte er, sofort zu wissen. „Nichts, wenn Elth seine Finger dort lässt, wo sie hingehören!“ Drohte ich, stieß Malic zur Seite, was mir leichter fiel, als erwartete, vermutlich weil er freiwillig zurückwich und ich rauschte die Treppen zu meinem Zimmer hinauf, nur lief ich nicht durch diese Türe, sondern ging den Flur hinunter ins Badezimmer. Ich brauchte ganz dringend ein heißes Bad.
„Meine Königin wartet! Geht nicht in das Zimmer!“ Bat Malic, der mir mühelos folgen konnte.
„Was?“ Wieso sollte ich nicht in das Badezimmer.
„Lasst es mich erst kontrollieren, nicht dass Euch jemand auflauert.“
Frustriert schlug ich mir auf die Stirn. „Verschwinde sofort ins Erdgeschoss, oder ich stecke dich in den Fleischwolf! Und vertrau darauf, dass ich einen finden kann, der groß genug für dich ist!“
Mit buchstäblich eingezogenen Schwanz, huschte Malic die Treppen hinab und verschwand aus meinem Sichtfeld. Darauf achtend, dass mir auch wirklich niemand auflauerte in dem Zimmer, nur um mein eigenes Gewissen zu erleichtern, sah ich mich sorgfältig im Zimmer um, bevor ich hinter mir abschloss, kaltes Wasser aufdrehte und meinen erhitzten Körper darunter kühlte.
Elths Aktion hatte mich mehr getroffen als gedacht. Erst als mein Körper vor Kälte zitterte ließ ich heißes Wasser ein, fügte etwas Schaummittel hinzu und vergrub mich im heißen, dampfenden Wasser für die nächste Stunde.

15. Neue Verbündete

„Fühlst du dich besser?“ Erschrocken erstarrte ich, als ich aus meinem Zimmer, frisch angekleidet mit Corias Kleidung, kam und Gael vor mir stehen sah. Vorbei war es mit meinem Frieden. Irgendjemand musste unten gehört haben, dass ich aus dem Badezimmer geschlichen bin und Gael, der penetrante Friedensstifter, hatte sich durchsetzen können alleine zu mir zu kommen.
„Solltest du nicht unten Frieden wahren?“
„Der ist gewahrt, zumindest solange jeder von ihnen sein Schweigegelübde ernst nimmt.“ Scherzte Gael und brachte mich zum Lächeln
„Ich hoffe doch, du hast sie geknebelt und gefesselt, bevor du hinauf gekommen bist.“
„Nein, ich habe sie eingeteilt ihren Dreck wegzuräumen, da ich Menschen zwar gerne Helfe, doch ganz bestimmt kein Werwolfdienstmädchen bin.“
Werwolf... was? „Wovon redest du?“ Wollte ich verwirrt wissen. „Es sind alle fünfzehn Werwölfe da, die du mächtig gemacht hast. Sie verlangen, dich zu sehen und zu beschützen.“
Mich? Wieso, es waren doch noch zwei Monate hin zu meinem Geburtstag. „Heißt das, dass ich jetzt ein Werwolf bin?“ Fragte ich ängstlich.
„Nein, natürlich nicht. Du hast dich doch auch in einen Vampir verwandelt und bist deshalb noch lange keiner.“
„Aber Vampir war ich nur für ein paar Minuten, nicht gleich für eine halbe Nacht.“
Mitfühlend umarmte mich Gael. „Schon gut, Dell. Du hast immer noch die freie Wahl. Egal wie viel Blut du auch zu dir nimmst, oder hergibst. Das Einzige was zählt, ist, was in deiner letzten Nacht geschieht.“ Oder wessen Blut ich in dieser Zeitspanne in mir drinnen haben werde. Nur ist damit nicht mein Mund gemeint. Nicht unbedingt, was ich verstanden hatte.
„Ich weiß, ich weiß. Trotzdem... sie denken, dass ich ihre Königin sein werde, oder was weiß ich, was sie sich einbilden. Bitte, Gael!“ Ich umklammerte ihn fester. „Sag mir, was ich tun soll, ich habe... ich weiß es nicht.“ Wollte ich eben sagen, dass ich Angst habe? Doch wovor? Das sie mich hassen könnten? Eigentlich sollten mir diese Werwölfe dort unten doch gänzlich egal sein. Oder lag das noch am Mondeinfluss?
„Ich habe bereits mit ihnen gesprochen und ihnen erklärt, dass du noch nicht erweckt wurdest und es noch zwei Monate zu deinem Geburtstag hin sind. Sie verstehen es, doch wollen an deiner Seite bleiben, für den Fall, dass du dich für die Werwölfe entscheidest.“
Für sie? Aber es standen doch noch, wie viele? Sechzehn andere Arten zur Wahl? Oder mehr? Ich könnte auch einfach ein normal sterblicher Mensch bleiben und sobald meine Zeit abgelaufen ist, würden neue Zwillinge geboren werden. Vielleicht dauerte es auch noch hundert weitere Jahre, bis sie geboren werden, wer konnte das schon sagen. Es ist kein Naturgesetz. Wir sind nicht natürlich entstanden, sondern ein Fluch. Und jetzt musste ich wählen. Was würde ich werden?
„Das bedeutet, ich habe jetzt sechzehn Wächter?“ Fragte ich irritiert.
Gael lachte. „Nein, nicht jeder von ihnen ist so zuversichtlich. Einige wollen es selbst probieren, oder alte Konflikte lösen. Sie wollen dich bitten gehen zu dürfen.“
„Dafür brauchen sie doch meine Erlaubnis nicht.“
„Zur Zeit empfinden sie es aber so.“ Gael strich mir mit den Fingern die Haare zurecht, die er verwuschelt hatte, durch seine Umarmung.
„Ich wage es, zu raten, das Malic bleiben möchte?“
Genervt nickte Gael. „Und dabei dachte ich schon, das Elth unser größtes Problem sein würde. Hoffentlich gehen sie sich zu mindestens Nachts aus dem Weg.“
Grinsend trat ich von einem Bein auf das andere. „Jetzt weiß ich ja wenigstens, welche Schwachstelle Elth hat.“ Scherzte ich und brachte Gael kurz zum Lachen, bevor er wieder ernst wurde.
„Wegen Elth... hat er dir viel Angst gemacht? Du weißt schon, wegen deiner Schulter und... Nun, ja. Seinem verhalten.“
Angst? Eher hatte ich Angst, dass Elth und Malic aneinander geräten, was bestimmt nicht lange dauern wird, doch Elths so plötzliches anhängliches Verhalten... verwirrte mich.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, sein Verhalten war nur... überraschend und hat mich ein wenig überfordert.“ Mein Herz brach in Panik aus, nur wenn ich daran dachte. Diese vertrauten Berührungen, das intensive Gefühl... Nein! Das wollte ich einfach nur vergessen.
„Edelle? Ist wirklich alles in Ordnung? Du siehst nämlich nicht danach aus.“
„Es war... einfach peinlich, wie er mich behandelt hat. Und dann... habe ich gut hundert Werwölfe zurück in Menschen verwandelt, fünfzehn Super-Werwölfe erschaffen und dann... dann... Jetzt weiß ich nicht, was ich tun soll, oder mich verhalten. Was erwarten sie von mir? Will ich denn ein Werwolf sein? Was könnte ich sonst sein? Wird mich so etwas wie letzte Nacht noch einmal übermannen? Oder was...“
„Edelle! Ruhig. Wir besprechen das alles gleich in meinem Büro, verstanden. Jetzt gehen wir jedoch zuerst einmal hinunter und reden mit den Werwölfen. Wir können jetzt einfach keinen Streit riskieren, dafür bist du viel zu wichtig für uns alle.“
Nickend folgte ich verunsichert Gael hinunter in das Wohnzimmer. Der Anblick, der sich mir hier jedoch bot, brachte mich sofort zum Schmunzeln. Elth saß störrisch mitten im Zimmer, das jetzt wieder bewohnbar aussah und alle fünfzehn Werwölfe standen um ihn herum, als wäre er ein gefangener Schwerverbrecher, dem man nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken durfte.
„Die Königin!“ Rief eine Frau aus und kam sofort auf mich zu, um vor mir auf ihre Knie zu fallen. Vier andere taten es ihr gleich, darunter auch Malic, doch die restlichen zehn, wirkten eher nervös und nicht unterwürfig, doch beugten sich ihren Gesetzen, die ich nicht verstand.
„Ähm... bitte steht auf, das ist wirklich peinlich!“ Bat ich und blickte unsicher von einem zum anderen. „Ihr habt die >Königin< gehört.“ Bei Elth klang es eher wie ein Scherz, als ein Titel.
„Bewegt euch lieber, bevor sie euch köpfen lässt.“
Sofort fiel die Anspannung von mir und ich war nur noch genervt. „Halt den Mund, Elth.“ Keifte ich ihn an, während sich alle fünfzehn teilweise langsam, teilweise steif erhoben.
„Wie wir erfahren duften, seid ihr noch überhaupt nicht zur Königin geworden?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, zur Zeit bin ich noch ein Mensch, der unfreiwillig von einem Wesen zum anderen wird.“ Gab ich vor der Frau zu, die als erstes gerufen hatte, dass ich mich im selben Raum befand. „Und gleich einmal vorne weg. Ihr seid mir zu nichts verpflichtet, in Ordnung? Es steht euch frei zu gehen und euer Leben zu leben. Was ich heute Nacht getan habe... ich hatte keine richtige Kontrolle darüber, zumindest habe ich nicht so gehandelt, wie ich es normalerweise tun würde.“ Was in diesem Fall vermutlich eher >in Panick ausbrechen< gewesen wäre.
„Gael hat mir bereits gesagt, dass einige von euch gehen wollen, dann bitte tut es. Selbst wenn ich später entscheiden würde, eure Königin zu werde, würde ich euch das niemals vor halten.“ Schwor ich.
Malic trat vor und ging vor mir auf die Knie. „Auch wenn Ihr noch eine Prinzessin seid, Eure Macht hat meine Seele erfüllt und mein Herz geraubt. Vier von uns geht es so und wir habe nicht vor Euch mit einer solch wichtigen Entscheidung alleine zu lassen. Ich denke mit, uns könnt Ihr bestimmt lernen, unsere Art zu lieben. Ich weiß um uns ranken sich hunderte von verschiedenen Legenden, dass wir Bestien und Verwunschene sind, doch ich schwöre auf meine Seele, dass nicht alle von uns so sind. Die meisten haben sich nicht entschieden das zu sein, was wir sind, sie wurden gemacht, aber wie fünfzehn, wir sind Geborene und reinrassig. Jeder... männliche anwesende hier, ist bereit, Euch zu dienen, auf jegliche Weise, wenn Ihr euch entscheiden solltet in Eurer Geburtstagsnacht unsere Art zu wählen.“
Okay... Das war ein sehr >eindeutiges< Angebot. Und ich verstand deutlich, was er damit sagen wollte, das war unmissverständlich. Im Gesicht eines jeden anderen las ich dasselbe. Sie wollten mir zur >Verfügung< stehen, wenn ich mich tatsächlich entschied ein Werwolf zu werden. Nun, ja die Frauen hier konnten mir dabei nicht wirklich helfen. Versuchte ich, in meinem Kopf zu scherzen, damit ich meine Gedanken etwas von dem Ernst der Situation ablenken konnte, doch es funktionierte nicht.
„Ähm... danke für das... ähm, Angebot?“ Es klang wohl eher wie eine Frage, als eine Aussage, doch der Anfang war zumindest einmal geschafft. „Aber ich denke ihr missversteht hier etwas grundsätzlich. Gael hat bereits mit euch gesprochen, dass ich... so gut wie keine Ahnung habe was genau ich tue.“ Und so plapperte ich einfach verzweifelt darauf los. „Meine Schwester, wusste was sie tut und Gael, stand ihr als Lehrer, Vertrauter und Freund zur Verfügung, doch dabei wurde ich vollkommen außen vor gelassen. Wieso auch nicht? Mich hatte das Ganze bisher nicht betroffen und vor zwei Wochen noch hätte ich Gael in eine Irrenanstalt einweisen lassen, wenn er mir erzählt hätte, dass ich an Vollmond Werwölfe zurückverwandle. Ich bin... Ich habe keine Ahnung, was von mir erwartet wird. Ich habe keine Ahnung, für was ich mich entscheiden soll. Ich habe keine Ahnung von den einzelnen Gesetzen. Ich habe keine Ahnung über die vielfältigen Rassen und am aller wenigsten verstehe ich die Verhaltensweisen von euch. Ich bin... am Verzweifeln. Gerade eben bin ich aufgewacht, nackt, unter hundert anderen Menschen, die offensichtlich genau wussten, dass sie endlich wieder normal sind. Dann... ganz plötzlich stehen fünfzehn Werwölfe vor mir und erwarten dass ich jetzt >Herrgott und die Welt< mit ihnen spiele! Das kann doch nicht...“ Unerwartet legte sich ein Arm um mich und zog meinen Kopf an eine weiche pelzige Brust. Durch den Geruch und natürlich der Fellfarbe, wusste ich sofort, um wen es sich handelte, doch war zum ersten Mal nicht meine instinktive Reaktion ihn für seine Frechheiten auszuschimpfen, sondern erleichtert tief nach Luft zu schnappen und sie seufzend wieder auszustoßen.
Gael übernahm für mich das Wort. „Ich denke was Edelle damit sagen möchte, ist, dass sie noch immer lernen muss. Ihr bleiben nur noch drei Monate um alle Rassen kennen zu lernen, sich zwischen ihnen zu entscheiden was sie wirklich sein möchte und dann auch noch mit der auserwählten zurechtzukommen. Sie braucht einfach noch Zeit und ihr überfordert sie, auch wenn sie weiß, dass ihr es nett meint.“
Da Gael besser sagen konnte was ich versuchte hier über tausend ecken zu erklären, drehte ich mich nun vollkommen zu Elth um und drückte mein Gesicht an seine Brust.
Unsicher, oder war er vielleicht sogar überrascht, schlang er seine Arme nun beschützend um mich und streichelte mir sanft über den Kopf.
„Ja, ich weiß, ich war vorhin etwas zu aufdringlich, aber nicht nur aus einer Laune heraus. Wir Werwölfe reagieren in dieser Phase des Mondes eher... intuitiv. Wir verlassen uns, ohne es zu hinterfragen, auf unseren Wolf, da er immer weiß, was zu tun ist. Diejenigen die jedoch zu menschlich sind, verstehen es nicht, sie können nicht so loslassen wie wir Reinrassigen.“ Das war Malic, der anscheinend zu Gael sprach.
„Ja, wir sind Edelles Sog gefolgt. Wir konnten sie plötzlich riechen und fühlen... es war einfach so überwältigend, dass nicht einmal unser Jagdtrieb uns ablenken konnte.“ Stimmte nun eine Frau zu und einige tauschten ihre Erfahrung aus oder bestätigten das eben gesagte.
„Ich weiß wir erwarten vermutlich zu viel und wir wollen auch Edelle zu nichts zwingen, doch um unsere Rasse steht es schlecht. Nicht nur weil wir falsch verstanden werden, sondern auch, weil unsere Alphas frustriert werden. Sie beißen mehr Menschen, als das für uns gut ist und keiner nimmt sich auch nur ansatzweise, die Zeit die neuen aufzuklären. Ihnen alles bei zu bringen.“
Bei Malics Worten erfasste mich Mitleid. Ich hatte die Macht gespürt, den Trieb in die Wälder zu laufen und einfach mit allen zu toben, die einzigartigen Gerüche und vor allem die Anwesenheit des Mondes. Mutter. So hatte ich sie genannt. Aber wieso?
Neugierig geworden drehte ich mich etwas aus Elths Arme, die er deshalb nicht von mir nahm und blickte zu den Werwölfen. „Entschuldigt, wenn ich euch unterbreche, aber habt ihr schon einmal etwas von >Mutter< gehört?“ Fragend blickte ich von einem zum anderen, während einige verwirrte, andere unsichere Blicke teilten. Malic schien jedoch die Ansprechperson hier zu sein, daher blieb mein Blick an ihm hängen.
„Die ältesten erwähnte immer wieder so etwas, aber ich denke wir sind alle noch zu jung, um sie hören zu können.“
Zu jung? Wovon redete er da? Keiner sah jünger als fünfundzwanzig aus. „Nun, ja. Als kleine Kinder würde ich euch nun auch nicht mehr bezeichnen.“
Grinsend wurde er rot. „Nein, damit sind Wolfsjahre gemeint. Werwesen verwandeln sich ab dem ersten Vollmond, ihrer Geschlechtsreife, was bei jedem selbstverständlich anders ausfällt. Erst ab da zählt das Alter bei uns.“
Erstaunt nickte ich. Okay, das war neu.
„Das ist auch bei Gebissenen so. Das alter, egal ob fünfzehn, vierzig oder siebzig, zählt ab dann nicht mehr. Sie sind Wölfe und wir besitzen eine eigene Zeitrechnung.“ Klärte er weiter auf. „Würdest du also beschließen mit achtzehn dann ein Werwolf zu werden und es auch zu bleiben, so wird dann ab deiner ersten Mondphase wieder gerechnet.“
Also zählte man wieder als kleines Kind? Ein Kind das nichts mit seinen Kräften anzufangen wusste und keine Kontrolle darüber hatte, da es sie nicht verstand? Kein Wunder, dass gebissene Angst vor jedem Mond bekommen mussten. Einmal im Monat vollkommen die Kontrolle über seinen eigenen Körper auf zu geben, machte sogar mir Angst, wobei ich sagen musste, dass ich in dem Moment, als ich vor dem Fenster so auf die immer größer werdende Masse an Werwölfen hinab geblickt hatte, absolut keine Angst mehr verspüren konnte. Verwirrung darüber, wieso ich tat was ich tat, ja. Aber andererseits wusste ich auch sofort, dass es das Richtige war. Dass es genau so sein musste.
„Du denkst doch wohl jetzt nicht im ernst daran, alleine aus Mitleid mit ihnen die Kontrolle über die Werwölfe zu übernehmen, oder? Jeder andere Alpha, der sich bewusst ist über seine Kräfte und seinen Stand liebt, wird dich herausfordern und dir das Leben zur Hölle machen. Du wirst mitten in einem Krieg mit deiner eigenen Rasse zur Königin, das ist dir doch bewusst?“ Knurrte Elth hinter mir. Dadurch dass ich an ihm lehnte, spürte ich durch seinen Brustkorb, das verärgerte Vibrieren, direkt in mein Rückenmark fließen.
Moment... an wem lehnte ich denn bitte da? Wie von einem Insekt gestochen, flüchtete ich regelrecht aus seinen Armen, was ihn jedoch nicht zu stören schien, denn jetzt verschränkte er diese bedrohlich vor seinem Brustkorb und wirkte dadurch noch viel größer, als er es generell bereits war.
„Ich? Also... wenn dann nicht aus Mitleid.“ Murmelte ich verunsichert. Okay, vielleicht hatte ich einige Sekunden daran gedacht ihnen wirklich helfen zu können, doch Elth hatte recht, so ungern ich dies auch zugab. „Ich verstehe, was du meinst und du hast... nun, ja sagen wir, ich stimme mit deiner Meinung ziemlich überein.“ Wich ich der Bestätigung aus, doch er lächelte plötzlich wissend. Das würde er mir bestimmt später wieder unter die Nase reiben müssen.
Seufz!
„Ich bin weder dazu in der Lage, noch besitze ich die Möglichkeiten aus heiterem Himmel mehreren Rudeln verärgerten Werwölfen gegenüber zu treten, da ich ihnen die Show stehle. Egal wie ich es drehe und wende... vielleicht können wir noch eine Möglichkeit finden, doch unter keinen Umständen will ich sämtliche Regeln und Gesetze einfach aus einer Laune heraus durch den Dreck ziehen.“ So bin ich einfach nicht. Und >Krieg spielen< konnte ich noch weniger.
„Was schlagt Ihr dann vor?“ Erkundigte sich Malic, da er irgendwie der Einzige mit intakten Stimmbändern zu sein schien, denn irgendwie wagte es sonst niemand das Wort an mich zu richten.
Ein Akt der Unterwerfung?
„Dass ihr frei verfügen könnt. Ich werde mich weder heute, noch morgen entscheiden. Vermutlich werde ich eine... gewisse Vorstellung haben, sobald der nächste Vollmond auf gegangen ist, denn bis dahin habe ich viel Zeit zum Lernen und mir mehr mit der neuen Situation klar zu werden.“ Bisher hatte ich nur zwei Mal aus Versehen eine andere Gestalt angenommen, doch nur für wenige Minuten. Letzte Nacht, während des Vollmondes, das war etwas ganz anderes gewesen. Ich war jemand ganz anderes zu diesem Zeitpunkt.
Aber wollte ich das sein?
Natürlich, in dieser Gestalt hatte ich mich stark, schnell und unbesiegbar gefühlt. Berauscht von den Gefühlen meiner Wölfe, den Instinkten, die mir ohne Umschweife zeigten, was ich zu tun hatte und erstaunt von dem völlig neuen Blickwinkel auf die Welt.
Ein Mädchen, das jünger wirkte, als die anderen trat vor und ich erkannte, meinen Biss an ihrer Schulter, gut sichtbar für alle andere. „Entschuldigt, dass ich Euch einfach so anspreche, doch was bedeutete es, wenn Ihr sagt, dass wir >frei verfügen< dürfen?“
Das Mädchen wirkte eingeschüchtert von mir. Von mir! „Das es euch freisteht zu gehen. Ich will nicht, dass ihr, wegen dieser Nacht denkt, dass ihr jetzt meine Sklaven, oder Angestellten seid. Ich weiß ihr habt dort draußen Familien, seid die Niedersten eures Rudels gewesen, trotz eurer reinen Blutlinie...“ das hatte ich gefühlt, während ihre Königin gewesen bin „Aber jetzt seit ihr Stark, habt Angelegenheiten zu klären und vermutlich auch offene Rechnungen.“ Manche warfen sich vielsagende Blicke zu, doch versuchten, nicht allzu offensichtlich auf meine Worte zu reagieren.
„Macht das, zu was ihr bestimmt seid.“ Ich ging instinktiv auf das Mädchen zu, legte meine Hände auf ihre Schultern und lächelte sie freundlich an. „Lebt, so wie es euch vorbestimmt ist.“ Ihre Augen glühten genau in dem Moment in einem hellen Bernsteinbraun auf, in dem ich ein kribbeln in meinem Gesicht fühlte und wusste, dass auch ich meinen Wolf zeigte. Demütig neigte sie ihren Kopf und ließ dabei ihre Haare zur Seite rutschen, als würde sie ihren Nacken vor mir preisgeben wollen.
„Ich komme dennoch zurück. Zum nächsten Vollmond, möchte ich an Eurer Seite sein, meine Königin.“ Flüsterte sie mit zittriger Stimme, als würde sie gegen ihre Tränen ankämpfen. Als sie ihren Kopf jedoch wieder hob, strahlte sie über das ganze Gesicht, als hätte ich ihr eben den Weg in den Himmel gezeigt.
Ich ging einen Schritt zurück und stellte mich an Gael Seite, während sich neun weitere Wölfe vor mir verbeugten, ihren Nacken preisgaben und dann ein dankendes Wort von sich gaben, bevor sie sich endgültig von mir abwandten und dem Mädchen, von eben aus dem Haus folgten.
Ein kühler Windzug, wehte durch das, bereits mit Brettern, notdürftig versiegelte große Wohnzimmerfenster, das die gesamte Westwand einnahm und ließ mich frösteln. Eine kleine weiße Wolke stieg von meinem Gesicht auf, während ich meine Arme schützend um mich schloss und den Atem seufzend ausstieß. Wieso hatte ich nur das Gefühl, dass die nächsten zwei Monate nicht direkt meinen Vorstellungen entsprechen würden?

16. Nächtliche Verführung

„Nein nicht so. Edelle! Du schielst jetzt!“ Gael lachte laut und musste sich sogar eine gelöste Träne aus dem Augenwinkel wischen.
„Du sagst doch, ich soll mich auf die Ader konzentrieren!“ Schimpfte ich mit Gael, der sich kaum noch zusammen reißen konnte.
Malic inzwischen seufzte genervt und wischte sich das Blut vom Handgelenk. „Das wird so nichts. Vielleicht wäre es ja einfacher, wenn sie einfach mit einem Vampir spräche?“ Schlug er nun vor, da wir bereits seit einer halben Stunde versuchten, unter Gael Anleitung, einen Blutdurst in mir zu wecken, der nicht kommen wollte, das nervte Malic mittlerweile, da er als Versuchskaninchen her halten musste und dies weit unterhalb seiner Toleranzgrenze lag.
„So gerne ich es auch täte, bezweifle ich, dass sich auch nur ein Vampir freiwillig melden würde um uns zu helfen, ihnen eine neue Königin aufzuzwingen. Du weißt doch, wie sie auf Bedrohungen reagieren.“
„Ja, ja. Ich weiß. >So wie es schon immer war, ist es am besten.< Den Satz hasse ich mittlerweile an ihnen.“ Beschwerte sich nun Malic und schien jemanden nachäffen zu wollen.
„Sei nicht so streng mit ihnen. Jeder von uns hat seine Eigenheiten.“ Versuchte Gael ihn, höflich zu beschwichtigen.
„Und ihr Engel seit einfach viel zu nett. Das kotzt mich auch an!“ Malic schien eben in Rage zu kommen und mittlerweile verstand ich es auch. So war er eben. Das ist seine Art und weise, wie er mit anderen umging, ob man sich an sie gewöhnte, oder nicht, war ihm dabei völlig egal, selbst wenn man ihn nur missverstand. Gael wusste dies, daher nahm er es ihm nicht übel, wenn er über die Stränge schlug und mir war es so wie so egal, denn bei mir fiel er auf die Knie und betete geradezu jeden meiner Schritte an, sobald ich auch nur ansatzweise meinen Blick auf ihn richtete. Das machte mir Angst!
„Ach, Malic. Du siehst alles viel zu streng.“ Gael ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Zurück zum Thema, Edelle muss zudem nicht auch gleich die Denkweise der Vampire annehmen nur um eine gute Königin zu sein.“ Mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt, dass man mich nur noch als die Zukünftige >Königin von allen< ansah. „Vorerst muss sie doch nur lernen, wie sie in eine andere Rolle schlüpfen kann, damit alle sie akzeptieren lernen.“
„Es reicht doch, wenn sie alles Wissenswertes über eine Rasse lernt, oder? Dann kommt die Verwandlung schon ganz von selbst.“ Beharrte Malic auf seinen Standpunkt von vor einigen Stunden zuvor.
Ich konnte überhaupt nicht mehr zählen, wie oft sich die beiden wegen mir bereits in die Haare bekommen hatten. Alle beide schienen besser über mich bescheid zu wissen, als der andere, doch dabei vergaß man völlig auf mich. Selbst jetzt konnte ich einfach in die Küche gehen und mir etwas zum Trinken holen, da ich tatsächlich Durst bekommen hatte. Jedoch enttäuschenderweise nicht auf Blut.
Andererseits, war ich auch ehrlich froh darüber, da ich mir nicht vorstellen konnte mein restliches Leben alleine von Blut zu leben. Das war... nun, ja nicht mein Ding. Um es diplomatisch auszudrücken.
Seufzend sah ich durch die offene Küchentüre hinaus ins Wohnzimmer, wo Gael und Malic immer noch dabei waren sich halb gereizt, halb beschwichtigend, Argumente gegen den Kopf zu werfen. Sollten die beiden jemals heiraten, würde ich bestimmt keine Brautjungfer sein. Gab es die bei Schwulenhochzeiten überhaupt? Immerhin brauchten Frauen Brautjungfern und Männer Trauzeugen. Dann würde es bei zwei Männern überhaupt keine...
„An was denkst du?“
Überrascht zuckte ich zusammen und erkannte Bilal. Mit seinen dunklen forschenden Augen blickte er mich, so durchdringen an, dass ich mir sogar ein wenig ertappt vorkam. „Ähm... nur an Hochzeiten.“ Da Werwölfe genau hören konnten, wann jemand log, musste ich zu mindestens ansatzweise die Wahrheit sagen.
Mit hochgezogenen Augenbrauen, folgte er meinem vorher abschweifenden Blick hinaus in das Wohnzimmer und grinste frech. „Du weißt, dass sich zwei Personen erst einmal sympathisch sein sollten, bevor sie überhaupt einmal eine Beziehung anfangen können? Erst danach darf man anfangen über Ehen und so etwas nachzudenken.“ Zog er mich auf und ich verdrehte die Augen.
„Ja, ja. Ich fand die Idee nur witzig.“ Gab ich zu und verbarg mein Schmunzeln, indem ich einen großen Schluck Pfirsichsaft nahm.
„Malic ist nicht unbedingt der Mann zum Heiraten, wenn man einmal davon absieht, dass er ein unverbesserlicher Frauenheld ist.“ Erklärte Bilal weiter und zerstörte damit endgültig meinen Traum jemals eine romantische Liebesgeschichte in der Realität aufgedeckt haben zu können. Wie eine Blase zerplatze der Traum.
„Wirklich? Das hätte ich Malic überhaupt nicht zugetraut.“ Nun, gut vielleicht ein bisschen.
„Im ernst. Er ist furchtbar. Einmal hatte er an einem Abend mit drei Freundinnen etwas, von denen jeweils die anderen jedoch nichts wussten. Der Kerl ist irre, wie schnell er Frauen herum bekommt.“
„Haben sie es heraus gefunden?“ Fragte ich erheitert und stellte mir das Szenario gerade vor.
„Natürlich, Frauen reden doch über jeden Unsinn, oder? Außerdem wollten sie sich ausstechen, indem sie damit angaben, einen, ich zitiere, >so heißen Typen< flachgelegt zu haben.“
„Lass mich raten. Schlussendlich waren sie sauer, dass nicht er, sondern sie alle drei am selben Abend flach gelegt und ausgetauscht worden sind, oder? Es ging bestimmt nicht gut für ihn aus.“
Lachend hielt sich Bilal den Bauch. „Machst du Witze? Er konnte drei Tage nicht sitzen, da sie ihm die... Oh!“ Verlegen schlug sich Bilal auf den Mund. Er war von Natur aus eine kleine Plaudertasche und bei jedem Klatsch sofort dabei war, doch in meiner Gegenwart, hatte er sich die letzten fünf Tage extrem zurückgenommen und lediglich auf Fragen meinerseits geantwortet. Das er jetzt einmal so aus sich hinaus ging, stimmte mich regelrecht glücklich.
„Schon gut. Ich finde dich echt süß, wenn du so vor dich hin quasselst.“ Versuchte ich, ihn zu beruhigen, und legte beschwichtigend meine Hand auf seinen Unterarm, drückte ihn kurz und ging dann aus der Küche, wo ich ihn hochrot zurückließ.
Insgesamt von meinen fünfzehn Wölfen, sind nur vier geblieben. Die drei Männer, die ich verwandelt habe und eine Frau, doch sie ist erst gestern Abend zurückgekommen und versuchte noch ihren Platz zu finden, doch das war nicht unbedingt einfach für sie. Elth fauchte sie nur an und einmal hatte er sie sogar aus dem Haus geworfen, Malic mochte sie nicht und die anderen beiden kannten sie nicht. Ich selbst versuchte zuvorkommend und herzlich zu ihr zu sein, was sie jedoch scheinbar überforderte und von Gael musste ich wohl überhaupt nicht erst anfangen. Er war zu allem und jedem unglaublich freundlich.
„Gitterbettsperre!“ Verkündete Elth lautstark, von der Treppe zu meinem und Bilals Zimmern herab.
Genervt wandte ich ihm meinen Blick zu. „Nicht schon wieder! Die Wölfe sind doch da, wieso soll ich ständig...“
„Das war die Abmachung, Prinzesschen. Jetzt beweg deinen Arsch, bevor ich ihn unsanft nach oben befördere!“ Warnte er mich mit peitschendem Schwanz, hinter sich. Dafür kassierte er sich jedoch das Knurren von vier Werwölfen, die keinesfalls begeistert über seine Wortwahl waren.
„Ja, ja. Ich komme schon.“ Nuschelte ich, da ich nicht schon wieder wollte, dass sich Malic und Elth an die Kehle gingen und ging zu Gael, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. „Gute Nacht.“ Wünschte ich ihm und den Wölfen, diese erwiderten den Wunsch und ich eilte die Treppen hinauf zu Elth.
Wie mein Gefangenenwärter, da ich mir mittlerweile tatsächlich wie eine Schwerverbrecherin vor kam, begleitete er mich zu meinem Zimmer. „Und wo bleibt mein Kuss?“ Fragte er mit einem gefährlichen Grinsen, als ich eben die Türe vor seiner Nase schließen wollte.
Ich blieb stehen und zog fragend die Augenbrauen hoch. „Ich küsse nur Wangen, keine Ärsche.“ Erklärte ich und lächelte dabei höflich.
„Dabei dachte ich auch nicht wirklich an meine Wange.“ Bemerkte Elth vielsagend und beugte sich erwartend zu mir hinab. Den Teufel würde ich tun!
Lautstark warf ich die Türe mit Schwung zu, sodass er schnell den Kopf zurückziehen musste, damit sein Gesicht nicht darunter litt, und hörte wie er sich von meiner Türe laut lachend entfernte.
Mein Herz schlug mir derweilen bis zum Hals. Wie kam Elth nur immer auf so dumme Gedanken? Außerdem, wie würde er reagieren, wenn ich plötzlich doch einmal das tat, wozu er mich so gerne provozierte? Weder mochte er mich, noch ich ihn, doch anstatt dass wir uns großteils aus dem Weg gingen, schien es sich Elth zur Lebensaufgabe gemacht zu haben, mich ärgern zu müssen. Aus dieser Logik wurde ich einfach nicht schlau.
Fünfzehn Minuten später, klopfte es leise an meiner Türe. „Herein.“ Forderte ich Gael auf, der auch sofort eintrat und mir deutete, dass ich hinaus kommen konnte. „Danke, wieso können wir ihn nicht einfach feuern?“ Bat ich, während ich ihm wieder hinunter ins Wohnzimmer folgte.
„Weil er der perfekte Wächter ist.“ Erklärte Gael schlicht. „Außerdem solltest du dich plötzlich entgültig gegen die Werwölfe aussprechen, bin nur noch ich da. Und ich kann dich nicht alleine beschützen.“
„Du bist ein Engel!“ Erinnerte ich ihn vielsagend. Immerhin hatte er ich auch fünfzig ängstlichen Werwölfen entgegengestellt. „Zudem scheint es bisher niemand darauf angelegt zu haben meinen Kopf rollen zu sehen.“
Gaels, ansonsten freundliches Gesicht wurde düster. „Das dachte ich bei Coria ebenfalls. Wieso sollte man einem solchen Glück etwas antun wollen? Damit würde sich doch jede Rasse schaden.“ Weiter musste er nicht sprechen, denn ich verstand, worauf er hinaus wollte. Und er hatte recht.
„Entschuldige, bitte.“ Die Stimmung war plötzlich so tief in den Keller gerutscht, dass ich innerlich vorzog, mich wieder in mein Bett zu verkriechen. So richtig hatten wir noch nie über Corias tot gesprochen, doch wurde mir immer mehr bewusst, dass er sie sehr gemocht haben musste. Ob als Freundin, oder sogar mehr, konnte ich nicht einschätzen, immerhin mochte Gael jeden, egal wie unhöflich man zu ihm war, oder ihn sogar beschimpfte. Gael war ein viel zu guter Mensch. Buchstäblich ein Engel eben.
„Schon gut. Möchtest du noch etwas lernen?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Heute werde ich mir nur einen Film aussuchen und etwas die Zeit mit einer dicken Decke, einem Becher Eis und vielleicht auch etwas Alkohol genießen.“
Sofort hellte sich seine Miene wieder auf. „Aber übertreib es nicht, sonst übergibst du dich wieder über meinen Teppich.“ Scherzte er, doch schien er müde zu sein.
„Keine Sorge, heute Nacht werde ich deinen Teppich nicht mit Blut einweichen, oder ein paar Werwölfe verwandeln.“ Versprach ich und hoffte dieses Versprechen auch halten zu können. Zum nächsten Vollmond hin jedoch waren es noch gut drei Wochen, also standen meinen Chancen gut nicht wieder im Pelz zu landen und durch ein Panoramafenster zu springen.
„Dann viel vergnügen und geh nicht zu spät ins Bett.“ Ja, ansonsten würde es Elth noch merken, dass ich meine Abende nicht wie versprochen in meinem Zimmer absaß.
Als Erstes plünderte ich Gaels umfangreiche Filmsammlung, die geradezu einer Videothek glich und suchte mir zwei Horrorstreifen heraus, danach suchte ich mir meinen zwei Kilo Kübel Vanilleeis heraus, eine großen Löffel, eine Flasche mit rotem Alkohol, den ich probieren wollte und natürlich einem Glas.
Zufrieden warf ich die CD ein und kuschelte mich unter die dicke Decke, da es hier unten immer noch beinahe Außentemperaturen hatte, obwohl das große Loch, das einst ein Fenster gewesen war, bereits gestopft worden ist.
Der erste Horrorfilm, schien nicht unbedingt ein besonders Guter zu sein, trotzdem hatte er meine Aufmerksamkeit bekommen, da es sich um Zombiebiber an einem Sumpf handelte. Mehr lachend, als ängstlich verfolgte ich den Film, obwohl er kaum gut aufgenommen worden war. Selbst als eines der Teenagermädchen zu einem Zombiebiber-Menschen mutierte, saß ich laut lachend auf dem Sofa und spülte meine gute Laune mit Alkohol hinunter, während diese versuchte ihre Freundin auf zu fressen. So etwas Idiotisches hatte ich noch nie gesehen.
Als Nächstes wählte ich einen richtigen Horrorstreifen, The Grudge und verfolgte diese, wesentlich bessere Handlung mit großem Interesse. Gespannt, wobei ich ihn bereits zwei Mal gesehen hatte, verfolgte ich jeden Schritt und versteifte mich, obwohl ich wusste, was passieren würde. Ja, solche Abende liebte ich. Eis, Alkohol, obwohl ich den eher selten genoss und gute Horrorfilme. Für mich gab es kaum etwas Schöneres.
Gerade eben, kam die Szene, als der Freund des Hauptcharakters das Haus betrat, als ich auch schon etwas in meinem Nacken fühlte. Zuerst dachte ich an einen Luftzug, doch von was sollte er erzeugt sein worden? Das Fenster war abgedichtet, die Werwölfe hatten sich in ihre Zimmer zurückgezogen, genauso wie Gael und Elth würde erst gegen Sonnenaufgang kommen. Abermals traf mich ein Luftzug im Nacken und ich erkannte, dass es sogar ein Warmer sein musste. Also ein Atem!
Langsam und gepackt von der Spannung des Filmes, drehte ich mich auf der Bank herum, um hinter mich zu sehen, auch wenn ich wusste, in jedem Horrorfilm bedeutete so etwas nichts gute, doch trotzdem tat ich es.
Plötzlich starrten mir zwei mehr als verärgerte goldene Augen entgegen, sodass ich lautlos schluckte. Ach, verdammt!
„Edelle!“ Knurrte er meinen Namen und sein betäubter Alkoholatem schlug mir entgegen.
„Ähm... Elth! Was... tust du denn schon hier?“ Es war gerade einmal Mitternacht, wieso war er schon wieder zurück? Mist, verdammter.
„Das geht dich nichts an, doch viel lieber würde ich wissen wollen, was du hier unten machst!“ Damit deutete er vielsagend auf die Bank, auf der ich nach Sonnenuntergang nicht mehr sitzen sollte.
„Also das... nun ja. Das ist weil...“ Wo versteckten sich bloß immer all diese Ausreden, wenn man sie einmal brauchte?
Plötzlich schrie jemand hinter mir, im Film und erregte Elths Aufmerksamkeit. „Wieso siehst du dir hier unten Horrorfilme an?“ Fragte er nun anstatt auf meine bestimmt schlechte Ausrede zu warten.
„Weil oben kein Fernseher im Zimmer ist.“ Antwortete ich wahrheitsgemäß.
Diese Antwort schien er nicht im Kopf gehabt zu haben, denn sein Blick fiel zurück auf mich und wieder löste sich etwas, das nach einem Knurren klang. Elth war so richtig sauer!
„Machst du das etwa jeden Abend?“
Ja... so ziemlich. „Nein, natürlich nicht, aber ich konnte nicht schlafen.“ Log ich.
Natürlich glaubte er mir kein Wort. Wütend griff er nach meinen nach oben gebunden Zopf und zog ihn unsanft zurück.
„Lüg mich ja nicht an, Prinzesschen!“ Knurrte er und legte seine Lippen an meine völlig entblößte Kehle. „Du weiß,t ich mag das nicht.“
Ich versuchte zu nicken, doch konnte mich nicht einmal bewegen, daher blieb ich einfach starr und hoffte, dass mir irgendjemand zur Hilfe kommen würde. Aber das würde niemand. Das wusste ich. Wieso auch? Elth ist mein Wächter. Es ist seine Aufgabe für meine Sicherheit zu sorgen, damit mich niemand anfasste, oder verletzte. Aber was war mir ihm? Wer beschützte mich vor ihm?
Elth, blieb nicht länger hinter mir an der Bank gelehnt stehen, sondern stieg über die Rückenlehne und schob meine Decke auf den Boden. Sofort umklammerte ich meinen Körper, während er seinen Griff in meinem Nacken lockerte. „Elth! Bitte hör auf du...“ bis betrunken? Durfte man so etwas zu einem Betrunkenen sagen, oder machte sie so etwas noch wütender? Ich entschied mich es, vorsichtshalber nicht auszusprechen. „... du tust mir weh.“ Sagte ich stattdessen, was auch der Wahrheit entsprach.
„Und du musst es endlich lernen. Du bist so dumm und naiv!“ Knurrte Elth, ließ endlich mein Haar los, doch dadurch kippte ich wie ein steifes Brett nach hinten und lag zusammen gerollt auf der Bank, während er bedrohlich über mir kniete. „Am liebsten würde ich dich irgendwo, in einem Keller einsperren, damit ich dich endlich beschützen kann. Immer musst du alles so kompliziert machen und nun holst du sogar Werwölfe dazu. Du dummes Ding!“ Bei jedem Wort kam er meinem Gesicht bedrohlich näher und ich wusste, dass er versuchte, mir Angst zu machen. Jedoch konnte ich keine Angst vor ihm haben. Nicht direkt zumindest.
Natürlich war ich unsicher, da ich seine Unberechenbarkeit nicht einschätzen konnte und das überforderte mich. Aber Angst? Nein, die konnte ich nicht vor Elth haben.
„Ich bin nicht dumm. Du alleine kannst mich aber nicht beschützen, sieh dir nur an wie betrunken du bist!“ Okay, jetzt war es doch raus.
„Du bist wohl oder übel nicht in der Lage mir zu sagen, was ich richtig oder falsch mache. Du bist ein kleiner... unwissender...“ Seine Lippen kamen den meinen ein bisschen zu nahe, doch als er es merkte, wich er schnell zu meiner Wange aus und rutschte zu meinem Hals hinab. „... schwacher Mensch.“ Beendete er seinen Satz und stieß seufzend die Luft aus.
Ein Frösteln, das nichts mit Kälte zu tun hatte, breitete sich durch meinen Körper aus, während ich darauf wartete, was er jetzt schon wieder tun würde. „Eigentlich hätte ich ja Besseres zu tun, als mich um ein kleines Kind zu kümmern.“ Schimpfte er und glitt mit den Lippen über mein Schlüsselbein. Verdammt fühlte sich das gut an!
Zwanghaft vermied ich, einen Laut von mir zu geben, der ihm verraten könnte, was ich empfand. Das wäre auch zu peinlich!
„Das ist regelrecht frustrierend.“ Flüsterte er so leise, dass ich ihn kaum Verstand und als er seine Lippen zu einem süßen Kuss auf meine Kehle legte, war es generell vorbei mit dem Denken.
Erschrocken stieß ich die Luft aus, während er den Nächsten ein Stück weiter oben platzierte. Dann noch einen und noch einen, bis er bei meinem Kinn ankam. Mit geweiteten Augen, da ich nicht fassen konnte, was diese winzige Geste an meinem Hals, in meinem ganzen Körper auslöste, blickte ich in Elths goldenen Katzenaugen, in denen sich mein Gesicht spiegelte. Ich konnte erkennen, wie sein Blick langsam über meine Lippen, über meine Nase zu meinen Augen glitt und darin hängen blieben.
Langsam senkte er seinen Bauch auf meinen Körper ab und ich wagte es nicht einmal mehr mich gegen ihn zu währen. Wieso denn auch? Es ist Elth. Er würde mir nichts antun. Nicht direkt.
Für Sekunden, die mir wie einige Stunden vorkamen, lag er einfach über mir und wir sahen uns nur an. Keiner sagte etwas. Keiner wagte es, sich zu bewegen. Wir verloren uns einfach im Anblick des anderen.
Was passierte hier nur? Wie lange war er überhaupt bereits da und wieso? Meine Gedanken ratterten im Kreis. Welche Erwartungen hatte ich bloß an ihn? Dass er mich beschützte? Das wir uns stritten, um auf Abstand zu bleiben? Aber wozu denn überhaupt, wenn doch die Lösung unseres Problems so einfach war.
Wie meine Hand plötzlich in mein Blickfeld geriet, obwohl sie doch eigentlich gerade eben noch schützend über meinen Bauch gelegen hatte, wusste ich nicht, auch nicht wann ich begonnen hatte sie zu bewegen, doch als ich jetzt mit ihr neugierig über sein Backenfell strich, musste ich sogar etwas schmunzeln. So nahe war ich ihm noch nie gekommen. Nicht freiwillig, zumindest.
Sein Fell war etwas spröde, doch fühlte sich so gut unter meinen Fingern an, dass ich es sogar wagte, meine gesamte Hand, an seine Wange zu legen. Vorsichtig zog ich eine seiner prachtvollen dunklen Flecken nach die sich deutlich von seinem ansonsten goldgelben Fell abzeichneten und glitt weiter zur nächst gelegenen, die jedoch von richtiger menschlichen Haut unterbrochen wurde, da sein Fell um den Mund, die Nase und unter den Augen herum endete. Überrascht stellte ich fest, dass meine Erkundung direkt an seinem Mundwinkel endete, doch das wollte ich noch nicht. Zögerlicher, doch nicht weniger neugierig, ließ ich meinen Finger über seine Unterlippe gleiten. Sie war weich wie meine eigenen, doch etwas spröde von der Kälte draußen. Ist er etwa gelaufen? Sein Fell zumindest, fühlte sich ziemlich kühl an, nicht so als wäre er eben erst aus einem beheizten Wagen gestiegen.
Plötzlich zogen sich seine Lippen zu einem kleinen Lächeln, die einzige Warnung, bevor er verspielt nach meinem Finger schnappte und einen zufriedenen Laut von sich gab, da ich nicht schnell genug reagierte. So verschwand das erste Glied meines Fingers zwischen seinen Lippen und leicht zugespitzte Zähne legten sich sanft an meine Haut, sodass ich ihn nicht wieder zurückziehen konnte, jedoch nicht stark genug, um mich ernsthaft zu verletzen.
Belustigt über dieses kindische Verhalten, musste ich auch lächeln und blickte wieder auf zu seinen strahlenden Augen, in denen sich meine eigenen Gefühle wieder spiegelten. Die ganze Zeit, hatte er mich genau betrachtete, während ich ihn bewundert hatte. Das war unglaublich peinlich und schon im nächsten Moment fühlte ich, wie sich das bisher gebündelte Blut in meinen Kopf ausbreitete. Meine Wangen nahmen eine zarte Röte an, was Elths Stimmung nur noch mehr anhob.
Wie gemein! Wieso konnte ihm so etwas nicht peinlich sein? Wieso immer mir?
Mein Herzschlag nahm noch einen Zahn zu, als Elth langsam meinen Finger wieder frei gab und ich den leicht geröteten Abdruck eines Zahnpaares auf meiner Haut erkennen konnte. Plötzlich trafen sich unsere Blicke ein drittes Mal, doch dieses war anders. Gänzlich anders.
Es schien einfach alles zu stoppen. Nichts schien mehr von Bedeutung zu sein. Keine Namen, keine Uhrzeit, keine Welt. Wer brauchte das schon alles? Wie von einem unsichtbaren Sog angezogen landeten unsere Blicke gleichzeitig auf den Lippen des jeweils anderen und wir wussten beide, dass wir exakt dasselbe wollten. Es brauchte doch nur flüchtig sein. Es sollte keine Ewigkeit dauern, oder irgendetwas bedeuten. Es ist nur ein Test. Eine Probe ohne irgendwelche großartigen Bedeutungen.
Elth wollte unbewusst mit seiner freien Hand, die meine aus dem Weg schieben, sodass nichts mehr zwischen uns stand, doch ich kam ihm zuvor. Ohne auf eine weitere Aufforderung zu warten, denn diese hatte ich nicht mehr nötig, legte ich meine Handfläche in seinen Nacken und schloss im selben Moment meine Augen, in denen unsere Lippen durch mein Zutun aufeinandertrafen.
Diese leicht und lediglich eine Sekunde lang dauernde Berührung, die absolut keine spezielle Bedeutung besaß, löste so plötzlich etwas in mir, etwas von dem ich überhaupt keine Ahnung hatte, dass es da gewesen war. Die Umklammerung, die scheinbar meine Lungenflügel so wie den kleinen Muskel, welcher direkt daneben lag, in seinem festen Griff behalten hatte, löste sich und ich fühlte mich unendlich viele Tonnen leichter.
Das alles geschah so schnell, dass kaum eine Sekunde vergangen war, bevor sich Elth wieder von meinen Lippen löste und nun mich mit geweiteten Augen anstarrte. Verunsichert, da Elth niemals meinen Erwartungen entsprechend reagierte, blickte ich zu ihm auf und wusste im selben Moment, dass diese >unbedeutende< Geste von zwei aufeinandertreffenden Lippenpaaren jetzt nicht mehr allzu gleichgültig abzutun war. Auch Elth wusste das.
Langsam setzte mein Denken wieder ein, doch ich kam nicht so weit, sodass es mir auch nur ansatzweise peinlich, oder unangenehm sein könnte, denn Elth ließ seine Lippen nun von sich aus auf die meinen treffen und kurzerhand entspannten wir uns beide wieder.
Seufzend ließ ich meine Hand von seinem Nacken in sein Haar gleiten, dass trotz der Verwandlung nichts an seiner Länge verloren hatte, abgesehen natürlich von der Farbe. Nun konnte ich auch endlich meine zweite Hand um ihn legen und zog ihn näher an mich, was er willig zuließ.
Wie von selbst passten sich unsere Körper aneinander an, als würde plötzlich ein Platz freiwerden, der schon immer mir gehört hatte. Zwei getrennte Körper, die sich zusammen viel besser ergänzten, als dass der äußere Schein es zu gelassen hätte.
Elth senkte sein ganzes Gewicht auf mich, jedoch ohne mich einzuquetschen, stattdessen konnte ich kaum genug davon bekommen ihm so nahe zu sein zu können und veränderte die bisher forschenden Küsse zu einem leidenschaftlichen, drängenderen. Sofort gab mir Elth, das was ich wollte und vertiefte den Kuss, indem er mit seiner Zunge zärtlich um Einlass bat.
Da ich noch nie mit jemanden geknutscht hatte, wusste ich jedoch nicht, was ich jetzt tun sollte, doch das änderte sich nur wenige Minuten später, da er mir die Zeit ließ, die ich brauchte um ihn nach zu ahmen.
Als ich mich an das neue Gefühl und besonders an seine leidenschaftlichen Küsse gewöhnt hatte, ergriff ich wieder Eigeninitiative. Ich wollte ihm noch näher sein. Das war geradezu wie eine Sucht, von der ich nicht wusste, dass ich ihr erlegen war, bevor ich ihr nicht nachgegeben hatte. Ihn dazu fordernd, mir noch näher zu sein, als bisweilen, versuchte ich mein Bein unter ihm hervor zu heben, doch traute mich nicht, es auch wirklich um ihn zu schlingen. Elth jedoch schien nicht darauf warten zu wollen, dass ich mich von selbst aus traute und strich daher meine Seite hinab, bis er bei meinem Schenkel ankam und schob mein Bein an seinen Rücken hoch. Neu motiviert von seiner sichtlichen Leidenschaft zu mir, zog ich auch mein zweites Bein hervor und schlang es, wie das erste um ihn. Was ich jedoch noch nicht durchdacht hatte, war, dass nun seiner Hüfte kein Hindernis mehr im Weg stand um gegen mein Becken zu stoßen, und entlockte mir mit dieser süßen Überraschung ein Stöhnen, ehe ich es verhindern konnte.
Mit seinen strahlenden Augen blickte Elth mich einige Sekunden forschend an, bevor seine Hüfte noch einmal gegen meine, drückte und ich peinlich berührt ein weiteres Stöhnen hinunter schluckte. Ich konnte seine gebündelte Begierde, ganz deutlich an einer Zone fühlen, wo mich bisher kein Mann jemals berührte, und bereute es ein wenig. Wieso bin ich nicht früher schon auf den Gedanken gekommen, mich jemanden so hinzugeben? Dieses Gefühl das meinen Körper erfüllte, die süßen Küsse von Elth und seine staunenden Blicke, wollte ich für den Rest meines Lebens nie wieder missen. Dafür fühlte sich das alles viel zu perfekt an. Und vor allem wesentlich besser, als >nur< mit ihm zu streiten.
Grinsend über meine Zurückhaltung, legte er seine Lippen an mein Ohr und biss neckisch in mein Ohrläppchen. „Mach das noch einmal.“ Flüsterte er mit einer unglaublich tiefen Stimme, so leise, dass ich ihn kaum verstand, doch wusste was er meinte. Abermals rieb er gegen mein Becken, sodass es mir schwerer als zuvor fiel, mein Stöhnen zurückzuhalten, doch ich schaffte es verbissen. Ich wollte nicht, dass er wusste, was er alleine dadurch in mir auslöste, obwohl wir beide nicht weiter als bis Küssen gehen durften.
Mit rasenden Herzen bemerkte ich, wie Elth nun das erste Mal anfing meinen Körper zu erkunden und geschickt mit der Hand unter meinen Pullover fuhr um dort weitere Gefühle in mir auszulösen. „Komm schon. Ich will dich noch einmal hören.“ Flüsterte er wieder so leise, dass es schwer war ihn zu verstehen, doch als er plötzlich anfing an meinem Hals zu knabbern und seine Handfläche meine Brüste umfasste, während er lockend seine Hüfte an mir rieb, konnte ich nicht anders. Ich stöhnte abermals, frei heraus und reckte mich ihm lustvoll entgegen. Dieser Moment sollte bloß niemals enden! Betete ich innerlich.
Trotzdem konnte ich es kaum fassen, wie der Druck an meine Hüfte sich zusammen mit seiner Erregung in seiner eigenen Hose vergrößerte. Konnte das wirklich wahr sein? So groß? Oder bildete ich es mir nur ein, dass er noch größer wurde?
Plötzlich spürte ich für Sekunden, wie der angenehme Druck, von Elths Körper von mir glitt, bevor ich auch schon hochgezogen wurde und rittlings auf seinem Schoß saß. Verwirrt, von der so raschen Positionsänderung, blickte ich nun nicht länger zu ihm >auf<, sonder >hinab<. Mit einem verführerischen Lächeln, zog er mich am Kragen meines Pullovers zu sich hinab, sodass das Spiel unserer Lippen von neuem begann, während Elth seine Handflächen über meinen Hintern legte und nun mein Becken gegen seine Hüfte zog.
Ich seufzte und ließ meine Arme über seinen Brustkorb wandern, während wir uns langsam aber beständig näher kamen. Wozu würde das nur führen? Wollte ich das überhaupt wissen?
Langsam beendete Elth den Lippenkontakt und zog eine feuchte Spur über meinen Hals hinab, während seine Arme sich forschend höher arbeiteten, da mein Becken sich perfekt an seinem anschmiegte und ich nicht vorhatte den scheinbar verbotenen Kontakt zu unterbrechen. Sinnlich entlockte er meinem Mund bestätigende Laute, während ich mich ermahnte, mich nicht so gehen zu lassen, und meine Finger über seinen Brustkorb tiefer tasteten, bis ich seinen muskulösen Bauch erreichte. Erstaunt wie gut sich sein Körper an meiner teilweisen nackten Haut anfühlte, da mein Pullover höher rutschte, unter Elths Streicheleinheiten, bog ich mich ihm besser entgegen. Sofort reagierte er auf meine Aufforderung und schob nun den Pullover bewusst höher, damit mein Bauch spürbarer an seinem anlag und seufzte seinerseits beinahe erleichtert.
Liebevoll blickte er zu mir auf und lächelte so herzergreifend, dass es mich dazu lockte ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen zu hauchen, der zwar nicht lange dauerte, doch mehr bedeutete, als die anderen tausend Küsse davor. Danach sahen wir uns wieder in die Augen und er rieb sanft seine Nase an meiner.
Das Nächste was passierte, verwirrte mich mehr als alles andere. Ein lauter Knall erklang, als würde irgendetwas zersplittern. Ich landete unsanft mit dem Gesicht auf dem Boden, während meine Beine fest eingewickelt in die Decke waren. Irgendwo im Hintergrund vernahm ich nur Gaels Stimme. „Puh, du hast mich beinahe zu Tode erschreckt! Bist du etwa hier unten eingeschlafen?“
Hä? Eingeschlafen? Ich verstand kein Wort. Verwirrt befreite ich mich aus der Decke und sah durch meinen wirren Haarvorhang zu Gael auf, der Scherben seiner Tasse einsammelte. „Eingeschlafen?“ Fragte ich unwissend. Aber ich hatte doch eben noch... Wo ist er nur hin? Oder... bedeutete einzuschlafen nicht auch zu träumen? „Verdammte Scheiße...“ Fluchte ich und schlug mir gegen die Stirn. Ich bin ja ein solcher Idiot!
Besorgt blickte Gael zu mir und ließ die bereits eingesammelten Scherben achtlos zurück auf den Boden fallen. Langsam kam er auf mich zu und legte seine Arme um mich, damit ich mit seiner Hilfe wieder auf die Beine kam. „Alles in Ordnung mit dir? Fühlst du dich... wieder irgendwie anders?“ Versuchte er zu fragen, ob ich schon wieder eine Verwandlung durch machte.
Seufzend ließ ich ihn stehen und machte mich auf den Weg zu meinem Zimmer. „Ja, ich verwandle mich eben in einen totalen Vollidioten.“ Schimpfte ich über mich selbst, doch Gael verstand berechtigterweise kein Wort. Zum Glück, denn ich wollte unter keinen Umständen, dass jemals irgendjemand etwas davon erfuhr. Das wäre mein pompöser Untergang.

 

- - - - -

 

Neugierig blickte ich ihr hinterher. Mit brummenden Kopf und taumelnden Schritten, ging sie die Treppen zu ihrem Zimmer hoch und ich konnte nicht anders, als breit zu Grinsen. Kleine Menschen zu beeinflussen, war immerhin bisher noch mein allerliebstes Hobby. Besonders wenn es um diese eine besondere Prinzessin ging. Jedoch bevor mich Gael noch entdeckte, musste ich mich zurück in mein Zimmer schleichen, ansonsten könnten mich bereits morgen schlechte Laune erwarten.

17. Wunsch erfüllt

 Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als ich mich aus meinem Bett wagte. Da ich nach meiner morgendlichen Dusche, meine Haare nicht ordentlich getrocknet hatte, standen sie nun in alle Richtungen ab und ließen mich wie ein verbrauchter Klobesen aussehen. Seufzend band ich mein >Gestrüpp< zu einem strengen Zopf, bevor ich die Türe zu meinem Zimmer wieder aufschloss und hinaus trat. Dabei lief ich geradewegs in einen angenehm festen Körper, dessen Geruch mir wohl bekannt war. Mit großen Augen blickte ich auf zu Elths gelben, die er hier im Haus lediglich selten versteckte, während er mich mit hochgezogenen Brauen musterte.
„Was starrst du denn so?“ Fragte er verwirrt, doch wich nicht vor mir zurück. Wieso auch? Immerhin bin auch ich in ihn gelaufen und stand nun mit offenen Mund vor ihm, wie eine Verrückte.
„Ähm...“ Begann ich, doch schloss eilig den Mund wieder. Also war es tatsächlich nur ein Traum?
„Solltest du deinen Verstand wieder finden, dann nimm ihn mit in Gaels Büro, er will irgendetwas von dir, deshalb sollte ich dich wecken.“ Stichelte er auf seine übliche >diskrete< Art und Weise, was mich dazu veranlasste die Augen zu verdrehen. Was hatte sich mein verdammter Verstand letzte Nacht nur zusammen gereimt? Ich und Elth? Leidenschaftlich miteinander einander verschlungen? Vermutlich würden wir eher in einem Feuergefecht, oder in einer Schlägerei landen, doch niemals im Bett. Das war wirklich viel zu absurd.
Obwohl... ich wollte das doch nicht einmal. Zugegeben, es hatte sich gut angefühlt. Richtig, richtig gut. Mein Herz raste sogar jetzt noch, wenn ich daran dachte, doch sobald ich mich daran erinnerte, wem dieses Gesicht, dieser Körper gehörte, der mir so gefallen... hatte, verging mir die Freude an diesem Traum sofort. Es war Elth. Ein Idiot, egoistischer Mistkerl und Lügner. Niemand mit dem ich mich auch nur über meine Leiche einlassen würde.
Erschrocken zuckte ich zusammen, als eine Hand an einer entflohenen Strähne zog und somit meine Aufmerksamkeit erregte. „Was ist los mit dir? Hast du einen Geist gesehen?“ Fragte Elth und blickte sich etwas unsicher im Gang um, als könnte hier etwas, oder jemand sein, den er noch nicht bemerkt hatte.
„Nein... denke ich. Ich hatte nur einen schrecklichen Albtraum.“ Musste ich zugeben und rieb mir frustriert die Stirn. Genau das war es nämlich. Nichts weiter als ein schrecklicher, frei erfundener, Albtraum!
Das belustigte Elth natürlich sofort. „Was hast du denn geträumt? Von dir selbst? Dann kann ich es durchaus verstehen.“ Lachte er und kassierte dafür einen Schlag gegen den Oberarm. „Ach, halt dein Maul, dummes Mistvieh.“ Murrte ich ihn beleidigt an und ging an ihm vorbei, die Treppen hinab. „Es war doch nur ein Traum, da musst du dir nicht gleich ins Höschen machen.“ Hörte ich seine Stimme direkt hinter mir.
„Ich mache mir nicht ins >Höschen<.“ Das tat ich wirklich nicht. Immerhin hatte ich doch keine Angst, ich war nur... ein Kleines wenig verwirrt.
„Wieso stehst du dann so neben dir? Du hast mich vorhin angestarrt, als hätte ich dir sonst was angetan.“
„Hast du doch auch, oder? Du bist gemein zu mir, beleidigst mich, verletzt mich mit Worten und körperlich. Da wundert es dich auch noch, wenn ich dich nicht leiden kann?“ Lenkte ich vom eigentlichen Thema ab, denn genau das war es, was ich brauchte. Gute alte Angewohnheiten.
„Du bist doch nur eine zickige, verwöhnte Prinzessin. Denkst du es interessiert mich, ob du mich leiden kannst, oder nicht?“ Nein, natürlich tat es das nicht.
Trotzdem blieb ich mitten auf der Treppe stehen, sodass Elth unsanft in mich hinein lief. „Jetzt hör einmal ganz genau zu!“ Schrie ich fuchsteufelswild und stieß mit dem Zeigefinger gegen seinen Brustkorb. „Ich hatte eine echt beschissene Nacht und das, was ich im Moment kein bisschen brauch, ist deine Gott verdammte Meinung. Sie interessiert mich nicht. Dazu interessiert es mich nicht, ob du anwesend bist, von einem Auto überfahren wirst, oder Drogen nimmst. Du bist in meinen Augen so ziemlich das dümmste, eigensinnigste und tyrannischste Wesen das jemals geboren wurde und in einem fairen Universum, müsste ich absolut nichts mit jemanden wie dir zu tun haben!“ Hatte nur ich dieses Gefühl, oder hielt im Moment jeder, der sich in Hörweite befand, die Luft an?
„Ausgerechnet du sprichst von einem >fairen Universum<? Du?“ Stieß Elth knurrend hervor. „Du hast keine Ahnung, wovon du mit deinen läppischen siebzehn Jahren sprichst. Von einem kleinen Kind, das nicht einmal ansatzweise die Hälfte von dem erlebt hat, was ich erleben musste, lasse ich mir doch keine Predigten halten! Du bist ein verzogenes Gör, genauso wie es deine Schwester davor war, deine Ahnen und Gott weiß was für dumme Zicken es sonst noch auf dieser Welt geben muss. Würde so etwas wie eine faire Welt existieren, dann würdest du auf irgendeinem Scheiterhaufen schmoren und ich müsste nicht länger deinen Anblick ertragen!“
Meinen Anblick? Für was hielt er mich denn? Für eine Hexe? Was mich jedoch mehr schockierte, war der Schmerz, den ich bei seinen Worten empfand. Im Grunde sollten sie mir egal sein. Alles sollte mir egal sein, doch vielleicht lag es noch an den Nachwirkungen dieses intensiven Traumes. Ja, genau das musste es sein, das war nämlich die einzige logische Erklärung. „Dann verschwinde doch, wenn dir etwas nicht passt. Ich zu meinem Teil werde, nur weil du hier wie ein kleines Baby herum heulst, plötzlich jeden deiner Launen folge leisten. Eher hänge ich mich selbst!“
„Gut, dann mach das auch! Dafür kaufe ich dir sogar einen Galgen!“ Schrie er zurück und schob meinen Zeigefinger von seinem Brustbein. Zu meinem Entsetzen wurde ich von einem Moment auf den anderen wieder in meinem Traum gezogen. Ich sah wieder wie Elth spielerisch in meinen Finger biss, mich mit seinem verführerischen Lächeln für sich gewann und sinnliche Küsse über meine Haut verteilte.
Als hätte ich mich an ihm verbrannt, zog ich meinen Finger aus seinem Griff und wich unweigerlich einen großen Schritt zurück. Was ich jedoch bei diesem Schreck vergaß, war, dass ich mich trotz allem noch auf einer Treppe befand, daher ging mein panisches Ausweichmanöver ins leere. Mit einem Schrei fiel ich rückwärts, versuchte mich noch an etwas fest zu halten, doch erreichte nichts mehr. Im selben Moment in dem ich fiel, sah ich Elth nach mir greifen, doch das wollte ich nicht. Ich wollte keine Berührungen von ihm. Keine Rettung. Kein Mitgefühl. Das einzige was ich mir wünschte, war, dass er endlich aus meinem Leben verschwand. Endgültig.
Trotz meiner Erwartungen, dass ich mir nun das Genick an den unnachgiebigen Kanten, der Steintreppe brechen würde, fühlte ich wie sich etwas um mich schloss, fühlte den Aufprall gehüllt in eine Dunkelheit die mich beschützte, fühlte etwas schweres, das auf mir lastete und die Welt, wie sie sich um mich drehte, bis ich nicht einmal mehr sagen konnte, wo genau sich oben und unten befand. Oder war das etwa schon das Ende? Hatte ich den erlösenden Schmerz etwa vollkommen verpasst und hatte mir den Schädel bereits am Stein gespalten? Das war doch gut, oder? So musste ich wenigstens nicht leiden.
Als sich nach mehreren Sekunden jedoch mein Kopf halbwegs geklärt hatte und ich sogar jemanden meinen Namen rufen hörte, wusste ich, dass ich doch nicht tot bin. Etwas schweres, das um meinen Körper geschlossen war, rutschte von mir und ich konnte wieder Farben erkennen. „Edelle! Hast du dir etwas gebrochen? Ist alles in Ordnung?“ Ich nickte schwach und sah von Malic zu dem warmen Körper neben mir. Ist das etwa...
Erschrocken sog ich die Luft ein und sprang auf die Beine. Zumindest versuchte ich es. Ich griff mit der Hand in etwas Warmes, Rutschiges und verlor das Gleichgewicht sofort wieder, wodurch ich unsanft auf Elth landete. Geschockt zog ich mich wieder von ihm zurück und hinterließ einen dunklen Handabdruck auf seinem bisher blauen Shirt. „Das... Blut... ist das... das...“ Stotterte ich zusammen, während mich Malic auf die Beine zog und eilig mit dem einem Tuch das Blut von meinen Finger wischte. „Schon gut, es ist alles in Ordnung.“ Versuchte er, meine aufkommende Panikattacke zu kontrollieren, doch schaffte es nicht. Neben mir lag immer noch Elth. Tod. Ich hatte ihn getötet! Ich hatte mir gewünscht, dass er wegging. Ich hatte ihn angeschrien. Ich war gestolpert. Ich hatte diesen verfluchten Traum, der mich die Treppe hinunter fallen ließ. Ich hatte... Ich hatte Elth getötet! „Ich bin... ein Mörder!“ Stellte ich fest und bekam dabei kaum Luft. „Ich... bin schuld. Ich...“ Stotterte ich weiter, während ich hyperventilierte, die drei Werwölfe sich um Elths Verletzungen kümmerten und Malic, immer und immer wieder versuchte mich wieder zu beruhigen. Aber das konnte er nicht.
Das habe ich getan! Ich hatte mir doch gewünscht, dass er verschwand. Jetzt ging er. Und ich hatte ihn auf dem Gewissen!

18. Weitere Enttäuschungen

Gähnend erwachte ich nach einer gefühlten zeitlosen Ewigkeit aus meinem angenehmen Traum und streckte mich ausgiebig. Ich musste schon wieder meiner Müdigkeit erlegen sein, denn mein Kopf lag auf dem Bett von Elths schlafenden Körper gebettet und mein Körper fühlte sich steif und ungelenk an. Seufzend richtete ich mich auf und fühlte, wie etwas von meinem Kopf rutschte und eine plötzliche Kälte hinterließ. „Elth?“ Fragte ich unsicher.
Hatte er etwa seine Hand nach mir ausgestreckt? Schmunzelnd musste ich zugeben, das dass echt süß war und legte meine Hand auf seine.
„Na, auch endlich wach?“ Fragte Elths kratzige Stimme und ich schrie erschrocken auf. „Ah... Schrei nicht so. Mein Kopf platzt noch!“ Murrte er, während ich erschrocken meine Hand von seiner wegzog und so tat, als hätte ich das niemals getan. Verdammt was ging jetzt ab? Ein weiterer Traum?
„Bist du... bist du wirklich wach?“ Fragte ich unsicher, als er die Augen öffnete. Anstatt mir zu Antworten deutete er auf ein Glas neben sich auf dem Nachttisch. Darin befand sich klares Wasser und ein Strohhalm. „Warst du etwa bereits wach?“ Stieß ich nun erschrocken hervor, doch reichte ihm wie gewünscht das Glas.
Nach mehren kurzen Schlucken nickte er langsam. „Schon seit ein paar Stunden, aber du hast so fest geschlafen und Gael hat mir erzählt, dass du dir große Vorwürfe gemacht hast, daher ließen wir dich weiter schlafen.“
Also war das doch kein Traum gewesen?
„Ihr hättet mich aufwecken sollen!“ Warf ich ihm vor, bevor ich wusste, was ich da überhaupt tat. „Ähm... vergiss das wieder. Viel wichtiger ist doch jetzt, wie es dir geht.“ Entschuldigte ich mich indirekt und besann mich zur Ruhe. Mit so einem dummen Streit war es doch erst zu dieser Situation gekommen.
„Mein Kopf tut weh, aber ansonsten fühle ich mich, als wäre ich eine Treppe hinunter gestürzt.“ Scherzte er, doch sein Lächeln erreichte seine Augen kaum.
Niedergeschlagen nahm ich auf dem Stück seines Bettes Platz, das frei war und legte meine Handfläche an seine Wange. Verwirrt blickte er zu mir auf. „Elth... ich kann dir überhaupt nicht sagen, wie leid es mir tut. Ich habe es nicht so gemeint. Alles. Natürlich ist es nicht einfach mit dir, aber mit mir genauso wenig. Außerdem... danke.“ Erst beim letzten Satz wagte ich es, Elth anzusehen und erkannte, dass er breit lächelte.
„Wofür denn?“ Fragte er und rückte sein Polster zurecht, doch sah mich weiterhin an.
„Dafür dass du mich gerettet hast. Das war nicht deine Aufgabe, ich bin selbst daran schuld gewesen. Hättest du nicht... hättest du mich nicht gefangen, dann würde ich jetzt bestimmt nicht mehr leben.“
Abwinkend tat Elth meine Worte ab. „Für zwei Millionen ist der eine oder andere, beinahe geglückte Anschlag auf mein Leben, gestattet.“
Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf. „Selbst am Totenbett wirst du noch an dein Geld denken, oder?“ Ich formulierte es zwar wie ein Scherz, doch innerlich war es viel mehr ein Vorwurf. Mit ein bisschen Geld konnte man doch so einen Sturz nicht einfach vergessen.
„Ach, die eine, oder andere Versicherung hier und da, dann darfst du mich sogar eine Klippe hinunter schubsen.“ Innerlich bekam ich sofort wieder das Gefühl ihn treten zu müssen oder ihm Konter zu geben, doch verkniff mir beides. Nicht jetzt. Nicht nachdem was er mir zu verdanken hatte.
Gut, objektiv betrachtet hatte er es ja auch verdient. Nach diesem verfluchten Jahr mit ihm so wie diese letzten besonderen Wochen, sollte ich ihm noch schlimmeres an den Kopf wünschen, aber ich konnte es einfach nicht.
„Aber... wenn es dir dann besser geht, ich habe einen guten Grund, weshalb du mich wieder hassen solltest.“
Neugierig geworden betrachtete ich ihn eingehend. „Wer sagt denn, dass ich plötzlich Sympathien für dich hege?“ Ich hatte bloß Mitleid. Und Schuldgefühle. Und war immer noch wegen diesem dummen Traum verwirrt.
„Vielleicht hat es ja dieselbe Ursache, weshalb du nicht wolltest, dass ich dich anfasse.“ Schlug er vor, doch grinste dabei weder, noch wirkte er wütend deshalb.
Misstrauisch verschränkte ich die Arme vor dem Oberkörper und wünschte mich auf meinen unbequemen Stuhl zurück. „Was versuchst du mir zu sagen?“ Forderte ich zu wissen.
„Du ahnst es schon, oder? Das es nicht wirklich ein Traum gewesen ist.“
Schockiert schlug ich mir die Hand vor den Mund und sprang vom Bett. Also war es Realität? „Es ist wirklich passiert... Ich meine... Das ist...“
Langsam bewegte er seinen Kopf von links nach rechts, um zu verneinen. „Es war bloß ein Traum, Dell. Aber ich habe ihn in die Richtung gelenkt, mit meiner...“
„Mit deiner Vampir-Sache.“ Ergänzte ich seinen Satz. Weil ich ein Mensch bin, konnte Elth mich auch beeinflussen. So hatte er sich auch als den Sohn dieser Familie ausgegeben. So hatte er es geschafft mir unbekannt zu bleiben. So hatte er... „Du hast mich die ganze Zeit manipuliert?“ Fragte ich schockiert. Schrie es beinahe hervor, als wäre es Abscheulich auch bloß darüber nach zu denken. Nein, er ist Abschaum!
„Edell... Warte, bitte.“ Aber ich wartete nicht. Ich ging rückwärts zur Türe bis ich einen unangenehmen Druck im Rücken spürte. „Dell, lass es mich wenigstens erklären.“
„Erklären?“ Fragte ich zynisch. „Danke, aber darauf verzichte ich ernsthaft. Du bist widerlich! Ein Dreckschwein!“ Spie ich ihm regelrecht an den Kopf. „Ich weiß ja das du zu vielem im Stande bist und das du keine persönlichen Grenzen kennst, aber das... das, Elth ging wirklich zu weit!“ Beim letzten Wort schlug ich die Türe lautstark hinter mir zu und war den Tränen nahe.
Wieso? Weshalb hatte ich mir überhaupt Sorgen gemacht? Um Elth! Ausgerechnet um ihn! Ich hatte sogar geweint, bittere Tränen. Meine Schuldgefühle hatten mich wahnsinnig gemacht, dabei war er sogar selbst an dem Sturz schuld. Er hatte mich manipuliert, von Anfang an.
„Wieso überrascht es mich überhaupt?“ Fragte ich in den Gang hinein. Niemand gab mir eine Antwort, wobei ich mir sicher war, dass uns das gesamte Haus hatte hören müssen. Vermutlich sogar gehört hat.
Im Wohnzimmer stieß ich auch bereits auf Gael, der die Wölfe hektisch aus dem Zimmer scheuchte, doch ich ignorierte sie einfach. Jetzt wollte ich im Moment nichts mit ihnen zu tun haben und verschwand in dem Zimmer, das ich bewohnte. Nicht mit ihnen, nicht mit Gael, oder sonst einen meiner Entführer. Nun, ja die Wölfe hatten mich nicht wirklich entführt, nicht so wie Gael und Elth, doch befreiten sie mich nicht wirklich. Würde ich es ihnen befehlen, täten sie es bestimmt sofort. Oder?
„Wah!“ Verzweifelt zog ich an meinen Haaren, da immer noch das kalte Gefühl an meinem Scheitel lag, das nicht weggehen wollte. Es ist ein Traum! Ein verdammter Traum, Illusion, Albtraum! Ja, ein verdammter Albtraum. Nichts von dem ist real gewesen. Nichts von dem was Elth und ich getan hatten, oder nicht getan hatten. Trotzdem bekam ich das Gefühl nicht los, dass ich mehr erwartet hatte. Ich wollte ihm doch näher kommen. Ich wollte all unsere Streitereien aus dem Weg haben, friedlich mit ihm leben. Vielleicht könnten wir ja sogar Freunde werden? Wer weiß das schon?
Aber er? Was tat Elth? Machte alles bloß Schlimmer um mich zu bestrafen. Dann bestrafte ich mich mehr und wir gehen uns halb an die Kehle. Wird das nun unsere Zukunft sein? Werden wir uns ewig so weiter im Kreis drehen, bis ich mich endlich entschieden hatte, was ich sein möchte? Eine Werwolfkönigin zu werden, erschien mir plötzlich gar nicht mehr so abwegig. Ein unzerstörbarer Golem? Ein gefühlskalter Engel? Eine unsichtbare Fee?
Unsichtbar... Es wäre jetzt schön, wenn ich dies sein könnte. Langsam wanderte mein Blick durch das Zimmer meiner Schwester. Mittlerweile roch es nach mir, es war nicht mehr so ordentlich, wie davor und einige ihrer Kleider hatte ich tief in dem endlosen Kasten verschwinden lassen. Wir besaßen unbestreitbar, nicht einmal ansatzweise den selben Geschmack. Zumindest was die Kleiderwahl anging.
Jedoch das was ich fand, war ein dicker Mantel, der gut an meinem Körper anlag und hohe Stiefel, die mich vor dem tiefen Schnee schützen würden. „Wo wollt Ihr hin?“ Erschrocken wandte ich mich zu Malic um. „Ich muss etwas raus hier.“ Erklärte ich bloß.
„Gut, dann werde ich Euch begleiten.“
Seufzend hörte ich auf an meinem Stiefel herum zu ziehen, da er sich mit meinen zittrigen Händen nicht schließen lassen wollte und rieb mir die Schläfen. „Bitte, Malic. Nicht jetzt. Ich kann mich jetzt nicht auch noch mit dir anlegen.“ Bat ich aufrichtig.
Langsam kam Malic auf mich zu, kniete sich vor mich auf den Boden und nahm meinen Fuß zwischen seine Hände. „Dann tut es nicht. Lasst mich Euch dienen.“
Mit geschickten Fingern, schloss er den Zipp meines Stiefels, stellte mein Bein zurück auf den Boden und tat mit dem anderen dasselbe. „Ich bin nicht hier um gegen Euch zu kämpfen. Ihr wisst nicht wie dankbar ich Euch bin, selbst wenn Ihr entscheiden würdet ein Vampir zu sein, oder noch schlimmer ein Katzenmensch...“ Ich verzog angeekelt das Gesicht. „... würde meine Schuld an Euch nicht einfach verblassen.“
Der zweite Stiefel war zu, doch er stand nicht auf. Malic blieb weiterhin vor mir Knien, unterwürfiger und geduldiger, wie ich ihn noch niemals in der Gegenwart der anderen erlebt hatte und nahm meine Hände in seine so viel wärmeren. „Ich weiß, Ihr seid ein guter Mensch. Aber denkt daran... Ihr seid auch eine Königin.“
Eine Königin? Innerlich sah ich mich hoch auf einem Thron sitzen mit einem weiten roten Mantel und einer dicken, goldenen Krone auf dem Kopf. Aber inwiefern unterschied mich dies nun von meinem Jetzigen ich? „Aber selbst wenn ich eine Königin werde, ändert das noch lange noch nichts an meinem Charakter. Vielleicht bleibe ich auch einfach ein Mensch.“
Schmunzelnd half er mir von meinem Bett auf, auch wenn es überhaupt nicht nötig gewesen wäre, und deutete auf meine Türe. „Selbst als Mensch hättet Ihr Eurem Volk vieles voraus.“ Scherzte er und brachte mich zum Lachen.
„Wenn es bloß so einfach wäre Königin über Menschen zu werden.“ Die Macht über ein paar Tausend Wesen zu übernehmen war vermutlich wesentlich einfacher als Diplomat über ein paar Milliarden Menschen zu sein.“
Malic fiel hinter mir zurück, als ich aus dem Zimmer meiner Schwester hinaus trat und die Treppe hinab stieg, welche direkt ins Wohnzimmer führte. Natürlich war Gael sofort an meiner Seite. „Edelle? Wo willst du hin?“ Sein Tonfall alleine klang bereits nach einem Verbot.
„Ich möchte bloß in den Garten. Ich muss etwas frische Luft tanken.“ Gab ich schlicht zurück und hörte Malic neben mir knurren, als Gael anstalt machte, mich aufhalten zu wollen.
„Edelle, du weißt was das Letzte mal geschehen ist, als du hinaus gegangen bist.“ Erinnerte er mich unnötig.
„Es war Vollmond und ich habe es ohne meinen eigenen Willen getan.“ Erinnerte nun ich ihn.
Ich war schon beinahe an der Eingangstüre, als er etwas erwähnte, was mich zum Stehenbleiben zwang. „Das hat Coria ebenfalls gesagt. Sie wollte bloß etwas in die Stadt gehen. Danach war sie fort. Gefoltert. Tot.“
Unbändige Wut wallte wieder in mir hoch und ich konnte bloß noch rot sehen. „Und wessen Schuld ist es? Wer hat sich denn eingebildet, jemanden beschützen zu können? Wem ist es denn egal, wie viele Qualen ich noch erleiden muss? Wer ist es...“ Ich war bereits auf Gael zu gegangen, und stieß ihm hart mit dem Finger gegen das Brustbein. „... der es nicht für nötig empfunden hat mich aufzuklären? Mich zu belügen! Jetzt ausnutzt und nichts weiter tut als auf seinem selbstgerechten Hintern zu sitzen, während ich hier leide?“
Stumm blickte er mir entgegen mit so viel Mitgefühl in den Augen, sodass mich das Bedürfnis beinahe übermannte ihn in den Arm zu nehmen und zu sagen, dass alles gut werden würde. „Ich sage es dir jetzt bloß ein einziges Mal. Ich bin nicht Coria!“ Wütend stürmte ich herum, lief auf die bereits von Malic geöffnete Türe zu und ging direkt die kurze Treppe hinab, auf tiefgefrorenen Kies. „Wo haben wir vor hinzugehen?“
Zu Gael hatte ich gesagt, dass ich bloß in den Garten gehen werde. Aber ich hatte das Bedürfnis mich noch viel weiter fortzubewegen. Vielleicht auf einen anderen Kontinent? Noch besser, einen anderen Planeten! Irgendwo mussten die Engel doch her kommen, oder? „Am liebsten weit fort, Malic.“ Antwortete ich nach einer ganzen Weile, aufrichtig.

19. Die Kontrolle verlieren

Gähnend streckte ich alle vier Glieder von mir. Samt schmiegt sich ein samtiges Gefühl an mich. Umschlang mich wie eine Decke und liebkoste meine Haut. Es fühlte sich herrlich an.
Erschrocken fuhr ich hoch und fühlte, wie dieses weiche Gefühl von mir hinab glitt. Im selben Moment realisierte ich, dass es sich bei dieser Umarmung um eine Decke handelte. Rasch zog ich sie wieder hoch, als ich meine eigenen blanken Brüste entdeckte und blickte mich suchend um. Was ich mit Sicherheit sagen konnte, ich befand mich nicht in Gaels Haus. Dieses Haus war viel dunkler gehalten, ein kühler Luftzug glitt wie eine eisige Handfläche über meinen Rücken und es roch irgendwie nach Wald. „Wo zur Hölle bin ich?“
Vor einer Minute befand ich mich doch noch vor dem Haus von Gael, oder? Mit Malic. Also wo ist Malic? Oder Gael? Hatte ich irgendetwas verpasst? Irgendetwas vergessen?
Fest wickelte ich das seidige Laken um meinen Körper, sodass es hinter mir her schleifte, während meine nackten Sohlen über kalten Stein tapsten. Der Raum war so dunkel gehalten, dass ich kaum sah wo ich hintrat, bloß der Mond, welcher durch ein Fenster eindrang, erleuchteten meinen Weg zu einer scheinbar verschlossenen Türe. Eigentlich hätte ich lieber erst einmal etwas zum Anziehen gehabt doch meinen Fluchtinstinkt konnte ich auch nicht einfach überhören.
Vorsichtig drehte ich den Knauf der Türe und hörte deutlich ein leises >Klick<. Sie ließ sich öffnen. Als ich durch einen kleinen Spalt hinaus spähte, drang helles Licht direkt in mein Zimmer und warf einen hellen Schatten quer durch. Nachdem sich meine Augen an den Lichtunterschied gewöhnt hatten, konnte ich erkennen, dass es sich um einen Gang handelte. Einen festlich erhellten Gang.
„Elth! Wenn das wieder so ein Trick ist, kastriere ich dich!“ Fluchte ich ganz leise, in der Hoffnung jetzt endlich aufzuwachen. Leider geschah nichts.
Mit tiefen Atemzügen sammelte ich meine Angst zusammen, schob sie weit nach hinten und wünschte mir ein lautloser Vampir zu werden. Irgendwie mussten mir diese verdammten Gaben doch zugutekommen, oder?
Mein erster Schritt hinaus auf den Flur war genauso lautlos, wie ich mich bisher bewegt hatte. Anders als in dem Zimmer, in welchem ich erwacht bin, trat ich nun auf warmes, dunkles Holz. Es war etwas unförmig und sah danach aus, als wäre es bereits seit einigen Jahrzehnten hier und hatte bereits mehr Fußpaare als alle anderen gesehen. Trotzdem knarrte es kaum unter meinen Schritten.
Der Gang ging in zwei Richtungen, die sich jeweils wieder aufteilten. Also in welche sollte ich gehen? Vielleicht konnte mir ja ein Fenster helfen? Ich hätte aus dem in meinem Zimmer sehen sollen.
Jetzt jedoch, steuerte ich das Nächste an, welches sich links von mir befand und traf gleichzeitig auf eine kunstvoll verzierte Treppe. Sie bestand aus dem selben Holz wie der Bakett hier oben, doch war von einem dunkelblauen Teppich behütet. Prüfend sah ich das Stockwerk hinab, doch es unterschied sich kaum von dem meinen. Mein Blick fiel durch das hohe Fenster, mit den dicken Vorhängen, wo ich jedoch nichts weiter als eine weiße Strecke sah. Bäume, die aussahen wie bei Gael mit weißen Hauben und ebenso weißen Flächen, die jedoch von Fußspuren unterbrochen wurden. „Wo bin ich bloß?“ Fragte ich beinahe in normaler Lautstärke die Aussicht, die ich definitiv aus dem vierten oder fünften Stockwerk haben musste, doch bekam keine Antwort. „Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt aufzuwachen.“ Erinnerte ich mich selbst, als könnte dieser Satz tatsächlich etwas verändern. Tat er aber nicht.
Fröstelnd zog ich die dünne Decke fester um mich und konnte eine Rauchschwade vor meinem Gesicht aufsteigen sehen. Hier würde ich mir noch eine Lungenentzündung holen, wenn ich nicht bald etwas zum Anziehen fand. „Oh!“
Erschrocken fuhr ich herum und blickte in die Augen eines ängstlichen Dienstmädchens. Ich wollte sie bereits ansprechen, um endlich zu erfahren wo ich mich befand, doch mit einem Aufschrei lief sie weg. Prüfend warf ich meinem Spiegelbild im Fenster einen Blick zu, doch konnte nichts Außergewöhnliches an mir finden. Hatte ich sie tatsächlich erschreckt? Ich!
Im nächsten Moment stand, anstatt eines altertümlich gekleideten Dienstmädchens, ein alter Mann, adrett gekleidet und mit grauem Haar an derselben Stelle. Jedoch wirkte er keineswegs ängstlich, sonder mehr beeindruckt von meinem Anblick. „Seid Ihr endlich wieder mit Eurem Verstand vereint, Prinzessin?“
Prinzessin? Wusste er, etwa wer ich bin? „Verstand?“ Fragte ich verwirrt zurück. Was sollte das denn wieder heißen?
„Hiermit muss ich mich aufrichtig bei Ihnen entschuldigen. Ich habe wohl bei meiner Kraft etwas zu viel von Euren Erinnerungen genommen, woraufhin Ihr nicht einmal mehr Euren eigenen Namen wusstet.“ Erklärte mir der hoch gewachsene Mann, mit der hellen Haut und dem grauen Anzug.
„Ich weiß wer ich bin und ich weiß, wo ich eigentlich sein sollte. Aber wer sind Sie?“ Langsam wich ich einen Schritt zurück, woraufhin der Mann sofort innehielt.
„Keine Sorge, Eure Erinnerungen werden schon zurückkehren. Da bin ich mir fast sicher.“ Wie beruhigend. „Aber wenn ich mich vorstellen dürfte, ich bin Rhage Thorn. Mir gehört dieses, beschauliche, Anwesen. Leider ist es noch nicht völlig wieder aufgebaut. Die meisten Zimmer besitzen noch keine Heizungen und manchmal spinnt das Heißwasser. Aber seid unbesorgt, Ihr seid hier vollkommen sicher.“
„Vor wem?“ Wollte ich sofort wissen. Bisher bedrohte mich doch niemand. Nun, ja außer eine Person die mich eigentlich beschützen sollte. „Natürlich vor Euren Feinden. Es wird niemand zu Euch gelassen, den ihr nicht sehen wollt.“
Jeder? Wirklich >jeder<? Dann würde ich es mir hier liebend gerne bequem machen, wenn es so ist. Aber das konnte ich doch auch nicht machen. Ich konnte Gael nicht im Stich lassen. „Wo ist Gael?“ Wollte ich wissen und packte mich besser in meine karge Bekleidung ein.
„Wisst Ihr, Ihr seid bestimmt hungrig und ihr schlottert am ganzen Körper. In dem Zimmer, in dem Ihr erwacht seid, hat meine Tochter Euch bereits Sachen von sich selbst bereits gelegt. Sucht Euch aus was Euch gefällt und kommt dann zwei Stockwerke hinunter, dort ist ein gewärmter Saal, in den wir zu Abend essen können.“
Wich er etwa meine Frage aus? „Ich will wissen, wo Gael ist.“ Erinnerte ich den Greis. „Er ist ein nutzloser Wächter. Er hatte keine Ahnung von seelischen Schmerzen, die Menschen empfinden können, daher mussten wir ihn auswechseln. Ihr wart nicht mehr sicher in seinen Händen.“ Sicher? Gael hat mich doch immer beschützt. Er tröstete mich, hatte Verständnis für alle meine Gefühlslagen. Außer einer einzigen und die nannte man >Elth<.
Nickend stimmte ich zu. „Zwei Stockwerke, sagtet Ihr?“ Der Greis nickte und wandte sich von mir ab. „Ich lasse derweile etwas zu Essen zusammen stellen. Wollt Ihr ein Menü, oder wollt Ihr etwas einfaches?“
„Etwas... einfaches.“ Bat ich und schlenderte zurück in das Zimmer, in dem angeblich Kleidung liegen sollte. Was ist das bloß für ein seltsamer Kerl? Oder das Haus? Wie bin ich hier her gekommen? Ist das Gaels Auftraggeber? Kannten Sie sich überhaupt, vielleicht belügt mich der Greis ja? Ich verstand überhaupt nichts mehr.
In das Zimmer von vorhin fand ich sehr einfach zurück. Es war die einzige offen stehende Türe, daher machte es mich neugierig, was wohl hinter den anderen zu finden sein würde. Zurück in dem Zimmer fand ich direkt neben der Türe einen Lichtschalter. Mehrere Lampen gingen an, welche im ganzen Zimmer verteilt waren und offenbarten mir sogar eine zusätzliche Türe, die mich direkt in ein Badezimmer führte. Unauffällig schnupperte ich an mir, doch roch noch nicht streng, daher ersparte ich mir den angeblichen Kampf mit warmen Wasser und ging direkt auf eine von drei Kisten mit einer geeigneten Kleiderwahl durch.
„Uh!“ Stieß ich erfreut hervor. In den ersten beiden Kisten befand sich bequeme Kleidung, die für gemütliche Zeiten wie gemacht war. Etwas das auch für draußen, bei Minusgraden, geeignet wäre, fand ich leider nicht vor. Aber das war auch irgendwie zu erwarten. In der dritten Kiste befanden sich Turnschuhe, Hausschuhe, Ballerina, Halbschuhe und Stöckelschuhe. Mit Letzteren wollte ich mich hier nicht unbedingt herum bewegen, nicht wenn ich mich so lautlos wie möglich verhalten wollte.
Ich wählte ein schwarz und weiß gestreiftes Top, ein rot kariertes Karohemd, das ich mir darüber zog, da es warm und flauschig war, so wie eine heiß ersehnte Jeanshose. Mit Turnschuhe war es bestimmt angenehm zu laufen, oder? Daher schnürte ich sie auch fest und wählte dicke Socken. Bloß, um sicher zu gehen.
Frisch eingekleidet verließ ich das Zimmer wieder, lehnte die Türe bloß hinter mir an und ging zur ersten Türe, welche sich auf dem Stockwerk befand. Verschlossen. Die Nächste genauso wie die Übernächste. Es gab elf Türen. Bloß eine davon war aufgeschlossen, meine. Seltsam.
Seufzend gab ich meinen vergeblichen Spionageversuch auf und schritt die beinahe endlose Treppe zwei Stockwerke tiefer. Ein endloser Flur erwartete mich, prächtig geschmückt mit Girlanden und Blumen so wie faszinierende Gemälden an den Wänden, welcher mich direkt durch einen zweistöckigen Bogeneingang in einem recht belebten Saal führte. Es standen leere Tische, um welche sich Dienstmädchen bemühten, in einem großflächig angelegten Kreis und nahm gut zwei Drittel des Raumes ein, was ihn dadurch jedoch nicht wirklich kleiner wirken ließ. Bloß ein einzelner Tisch, gemacht für drei Leute, war reichlich an Speisen und Teller vorbereitet worden. Wer sollte das denn alles essen?
Mein Magen meldete sich leise knurrend.
„Ah! Da ist ja unser Ehrengast. Willkommen in unserem bescheidenen Saal.“ Der Greis von vorhin kam mir entgegen, streckte einladend seine Arme aus, doch ich wich geschickt seinem Versuch, mich zu umarmen aus. Was sollte das? „Was ist hier los?“ Verlangte ich zu erfahren.
„Wir geben heute Nacht einen Ball. Einen Mitternachtsball, um genau zu sein.“ Mitternachtsball? Bin ich etwa in einem kitschigen Vampirfilm gelandet?
„Okay... dann sollte ich hier lieber nicht stören. Könntet Ihr mir endlich sagen, wie ich zurückkomme, zu Gael?“ Von Bällen hielt ich besonders viel und von diesen aufgetakelten Kleiderwahn noch weniger. Im großen und ganzen verstand ich ja noch nicht einmal, wofür diese Geldverschwendung gut sein sollte. Genau das selbe empfand ich, wenn es um Geburtstage ging oder generell, darum eine Feier zu veranstalten.
Grinsend winkte der alte Mann ab. „Edelle! Zu aller erst entspannen Sie sich jetzt einmal. Sobald Ihre Erinnerungen zurückkommen, wissen Sie wieder, weshalb Gael Sie uns überlassen musste. Auch das es bloß zu Ihrem Besten geschieht.“ Plötzlich klatschte er so laut in die Hände, das sich mehrere davor erschrecken. „Aber jetzt nehmen Sie erst einmal Platz und essen Sie. Heute Abend haben die besten Köche aus drei verschiedenen Ländern unvorstellbare Arbeit geleistet. Es wäre eine Schande das alles verkommen zu lassen.“
Drängend schob Rhage mich auf auf einen der bereits verzierten Stühle und reichte mir einen Teller weiter.
„Dad? Bist du hier?“ Ein Mädchen mit hellblonden Haar, welches halbherzig in ein Handtuch gewickelt war, trat in den Saal ein und stieß einen Laut der Erleichterung aus. „Also wirklich. Wann ist denn der Handwerker endlich fertig? Das verdammte Warmwasser macht, was es will.“ Schimpfte das Mädchen. Ich schätzte sie auf höchstens fünfzehn.
„Er muss jeden Moment fertig sein, mein Engel.“ Kopfschüttelnd zog das Mädchen wieder von dannen. Das ist seine Tochter? Aber... er sah aus wie achtzig. Konnten achtzigjährige, denn noch Kinder bekommen? Generell bewegte er sich mehr wie ein Dreißigjähriger, wobei er so jung unmöglich sein könnte.
„Das ist Ihre Tochter?“
Stolz nickte der Greis. „Mein ganzer Stolz. Mein Herzstück in der Sammlung der Perfektion.“ Perfektion? Ja, die kleine sah wunderschön aus, selbst völlig durchnässt und sichtlich wütend trug sie eine Aura um sich, welche einem dazu zwang sie anzuhimmeln. Ihre grünen Augen glänzten im Licht beinahe wie Edelsteine und ihre Bewegungen waren schwingend. Viel zu provokant in ihrem Alter.
Was dachte ich da überhaupt?
Kopfschüttelnd wandte ich mich meinem Essen zu. „Können Sie mir denn zumindest erklären, weshalb ich hier bin? Bitte.“ Fügte ich zögerlich hinzu.
„Natürlich kann ich das. Aber es wäre nicht mehr, so spannend Sie zu beobachten, wenn Sie alles wüssten, was auf dieser Welt vor sich geht.“
Spannend! Ernsthaft? Er findet mich spannend? Nun, ja nicht unbedingt das schlimmste Kompliment was ich jemals bekommen hatte. „Ich will ja überhaupt nicht >alles< wissen. Bloß den Weg zurück zu Gael.“ Versuchte ich, den Greis zu überreden. „Zu Gael? Weshalb wollen Sie so dringend zu ihm zurück?“ Die Frage überraschte mich und ich hielt für einen Moment inne. Ich konnte nicht behaupten, dass mir Gael nicht geholfen hätte. Er möchte mich beschützen, lügt mich nicht an und lehrt mir alles, was ich wissen muss oder möchte. Also weshalb sollte ich nicht zu ihm zurück?
„Gael ist wie ein Bruder für mich. Er hat einen Teil meiner Kindheit geprägt, bewiesen das er mich beschützen möchte und es auch kann. Ich liebe ihn. Außerdem ist er nicht ganz so schräg wie... das alles hier.“ Vielsagend deutete ich auf die immer eiliger wuselnden Dienstmädchen, während ich mich fragte, wie sie das alles in bloß ein paar Stunden noch auf die Beine stellen wollten. Und wer würden die Gäste sein?
„Zuneigung ist nicht das Einzige auf der Welt, für das man leben kann, Kind.“ Fragend blickte ich zu dem seltsamen Typen hoch, während er sich gemütlich gegen meinen Stuhl lehnte. „Gael genießt vielleicht dein Vertrauen und einen geprägten Teil deiner Vergangenheit, doch dies ist keineswegs wichtig. Nicht für dich. Du musst lernen, Edelle. Du musst herausfinden wo dein Platz, in der Zukunft sein wird. Bei den Tierwesen? Den Magiern? Oder gar beim versteckten Volk?“ Von diesen drei Arten hatte ich noch nie etwas gehört? Hatten sie vielleicht etwas mit denen zu tun, welche ich bereits kennen lernte? „Auf diesem Ball kannst du alles kennen lernen. Jede Art wurde eingeladen und muss sich an ein striktes Gesetz halten. Keine Magie. Kein Kräftemessen. Keine Verwandlungen. Keine Drohungen.“
Erstaunt verschluckte ich mich an einem Stück Fleisch. „Alle?“ Fragte ich nach kurzer zeit überrascht. „Wirklich alle Arten werden heute kommen?“
„Lediglich diejenigen, welche sich dir als Reinrassige anbieten können. Alle anderen sind unwichtig.“ Kam völlig unbeeindruckt zurück, als wäre es selbstverständlich.
„Das verstehe ich nicht.“
„Für eine Zweitgeborene ist es völlig ausgeschlossen sich mit einem Mischling zu verbinden. Es wäre unverantwortlich, da man unmöglich vorhersehen kann welche Art, als die dominanteste hervorstechen würde.“
„Aber wenn man weiß, dass diese Person zum Beispiel Halb und Halb ist? Dann kann doch überhaupt nicht viel passieren.“ Wäre jemand halb Engel und halb Fee, dann ist es doch klar eines von beiden zu werden und mir würde beides gefallen.
„Und was ist mit dessen Eltern? Und den Großeltern und die Gene die noch viel weiter zurückreichen? Vielleicht sind bloß zwei, bei manchen sogar drei verschiedene Arten aktiv, doch diejenigen die derweilen schlummern, würden sofort erwachen und das reinste Chaos verursachen.“
So gesehen verstand ich es natürlich. Was ich zum Beispiel über Gael wusste, ist, dass er zu einem großen Teil Engel ist, doch dank seiner Mutter zu einem kleinen Teil Fee. Sie ist jedoch nicht aktiv, was ihn zu einem drittel Engel, mit Gefühlen, macht. Aber Bloß weil sein Vater ein reiner Engel ist, sagte das noch nicht viel über seine Nachkommen aus. Ein schlummerndes Gen der Mutter könnte genauso plötzlich aktiv werden. Vermutlich hatten sich ihre Vorfahren in der Vergangenheit so wie alle anderen einmal, oder zweimal vermischt. Oder sogar noch öfters? Wer konnte da schon ahnen, welches Gen am stärksten hervortreten würde. „Also kommen bloß Männer für mich in Frage, deren Stammbaum genauesten überprüft worden sind?“ Fragte ich vorsichtig nach. „Natürlich. Es gab vor Jahrzehnten bereits einmal diesen Vorfall, wo sich eine Zweitgeborene sich mit einem Feenmischling einließ. Es endete katastrophal für sie.“
Katastrophal? Das konnte doch bloß eine Übertreibung sein, oder? „Was ist denn passiert?“ Wollte ich wissen.
„Ihr Körper spielte völlig verrückt. Sie konnte keine Art richtig erfassen und sprang von einer in die andere, woraufhin ihr Herz bei dieser Überanstrengung stehen blieb. Sie lag tagelang unter Qualen im Bett, bis man sich endlich dazu entschloss sie zu erlösen.“
Das arme Mädchen. Das bedeutete jedoch dann auch, dass Jahre vergingen, bevor wieder neue Zwillinge zur Welt kamen. „Und meine Schwester? Die Erstgeborenen? Wie ist es bei denen?“
„Sie können frei entscheiden. Jedoch kommen sie ihr restliches Leben nicht einmal für ein paar Monate aus der Mutterrolle heraus. Ich kann kaum sagen, welches Schicksal ich schlimmer finde. Alle zwei Jahre ein Kind bis zu meinem Lebensende gebären zu müssen, oder die Retterin von bloß einer einzigen Art unter Dutzenden zu sein.“
Diese Schuldgefühle mussten einen regelrecht zerfressen. Oder das Leid, bis zu seinem Lebensende bloß als Kinderspender zu dienen. Andererseits, konnte man in beiden Rollen gut und reich beschenkt leben, was jedoch nicht viel zurückgab, für das, was man in beiden Fällen opfern musste. Das wurde mir nun zum aller ersten Mal bewusst. Kein Mensch mehr zu sein, bedeutete sein Leben her zu geben. Seinen eigenen Willen zu opfern. Seine Träume zu vergessen. Und das alles für das Wohl vieler Wesen.
Ob ich wirklich mit diesem Wissen leben konnte?
„Viele konnten dies in deinem Alter.“ Hörte ich die samtige Stimme hinter mir erklingen. „Und noch mehr werden es nach dir tun. Du siehst also, das du genauso wenig etwas Besonderes bist wie alle anderen Wesen. Wir sind bloß >speziell< um zu überleben.“ Verwirrt drehte ich mich nach der Stimme um, doch wie aus dem nichts, befand ich mich in einem leeren Saal. Kein Wesen, keine Stühle, kein Essen. Als hätte man von einem Moment auf den anderen einfach alles gelöscht.
„Ich dachte, wir Zwillingsgeborenen wären etwas >besonderes<?“ Zumindest musste ich das bereits öfters hören.
„Kannst du einer Wohnungskatze den Jagdtrieb abgewöhnen? Einem Bären ohne Hilfsmittel das Tanzen lernen? Einer Hexe ohne Begabung das Zaubern?“ Diese Fragen ergaben überhaupt keinen Sinn für mich.
„Ich verstehe die Antwort auf meine Frage nicht.“ Warf ich in den immer dunkler werdenden Raum. Wieso sprach ich auch überhaupt mit einem Geist? Und wo sind plötzlich all die Leute hingekommen?
„Diese Fragen sind genauso sinnfrei, wie deine. Das ist es, was ich damit sagen möchte. Zwillinge sind nichts Besonderes für andere Menschen, außer füreinander. Zwei Liebende sind für andere lästig oder schön zum Ansehen. Jedoch wird niemals etwas ohne einen bestimmten Grund weiter gegeben.“ Stumm lauschte ich der Stimme, die von überall kommen, schien, während ich kaum noch einen Schritt weit sehen konnte. „Ein vermischtes Engelskind verliert nicht seine Flügel, weil er es verdient hat. Er verliert sie um anderen ein abschreckendes Beispiel zu sein. Sie müssen rein sein. Wir Wesen dürfen uns nicht vermischen und du, so wie deine Schwester, sollen dies verkörpern. Blut für Blut, meine Liebe. Die eine von euch kann nicht leben, während die andere überlebt. Deine Kräfte konnten sich nicht entfalten, solange sie lebte. Sie hätte niemals ein reinrassiges Kind geboren, während du lebst.“ Erstaunt öffnete ich den Mund, um etwas zu erwidern, doch wusste nicht was. Ja, die Mischlinge litten unter den Taten ihrer Eltern. Aber konnte man es liebenden, so wie Opfern verübeln? Egal ob Mischling, oder nicht. Jedes Leben ist kostbar. „Verstehst du denn zumindest, was ich versuche dir zu sagen?“
Ich wollte es schon bejahen, doch dann wurde mir bewusst, das ich vermutlich rein gar nichts verstanden hatte. „Ich bin mir nicht sicher.“
„Du brauchst bloß aufhören zu zweifeln, Kind. Coria hätte, so wie du es tun wirst Blut hergeben, damit die Heilung anfangen kann. Ohne Blut, kann keine Narbe entstehen, oder?“
Zustimmend nickte ich in die Dunkelheit. „Das bedeutet, wir Zwillinge sind nichts anderes als... Artenheiler?“
„Ihr seid die Reinkarnation von Heilung, ja. Gäbe es euch nicht, wären die meisten Rassen bereits vor Jahrhunderten ihrem Schicksal erlegen.“
„Und du? Was bist du? Wo bin ich wirklich?“
„Du befindest dich noch immer direkt vor dem Haus von deinem Lehrer, Edelle. Aber wie ich bereits sagte, ist Gael nicht wirklich am richtigen Pfad. Er verwirrt dich mehr, als das er dir das beibringt, was du wissen musst. Oder kannst du etwa bereits jede Art annehmen, über die du gelernt hast?“ Stumm schüttelte ich den Kopf. Nein. Ich hatte es bisher nicht freiwillig geschafft mich zu verändern. „Das liegt daran, das er es falsch angeht. Jedoch muss er, als zukünftiger Lehrer der Zwillingsgeborenen, seine Fehler selbst machen. Es gibt keinen direkten Weg, aber du kannst ihm helfen dir zu zeigen, wie es funktioniert.“
Okay, jetzt fühlte sich dieses Gespräch bereits kryptischer an. Was genau versuchte mir dieses... Wesen... beizubringen? „Gael soll in Zukunft alle Zwillingsgeborene unterrichten?“ Fragte ich nach. „Natürlich. Bloß Engel und Feen leben lang genug um sich mit den Problemen der Zwillinge auseinanderzusetzen. Die Elfen interessiert es nicht, da sie von solchen Problemen niemals betroffen waren, so wie einige andere Arten, die bereits lange aus den Geschichtsbüchern verschwunden sind, oder gar aus der Welt der Menschen. Jedoch diejenigen die geblieben sind und unerkannt hier leben... sie leben auch mit deren Problemen. Vergiss das bitte nicht, Edelle.“ Langsam wurde es um mich herum heller und ein sanfter Windhauch, wehte um meine Haare herum. Jedoch befand ich mich definitiv nicht mehr in dem festlichen Saal, den ich zu Anfang betreten hatte.
„Was soll das bedeuten? Und wer bist du?“ Langsam überkam mich Panik, als würde ich irgendetwas verlieren. „Ich bin der Sohn des letzten Erstgeborenen, daher keine Bedrohung für dich. Das einzige was du bis hier her wissen musst, ist, dass du dringend aufhören musst dir über unwichtige Dinge Gedanken zu machen. Vergiss diejenigen um dich herum. Entscheide dich endlich, die Wesen brauchen dich.“
Erschrocken schrie ich auf. Ein Windstoß so stark, dass ich einige Schritte zur Seite taumelte, traf mich und wirbelte eisige Splitter gegen mein Gesicht, sodass ich schützend meine Hände hochriss.
Jedoch konnte ich noch einen schwarzen Schemen erkennen, der unbemerkt einfach in einem Schatten verschwand, bevor mich zwei starke Arme schützend auffingen. „Alles in Ordnung, Prinzessin?“
Diese Stimme kannte ich. Sie war mir vertraut, stark und wild. Sanft erweckte sie ein Gefühl in mir, das ich bereits kannte. „Nicht nachdenken, Dell.“ Ermahnte ich mich. Das hatte er doch gesagt, oder? Ich solle aufhören zu denken und endlich handeln.
Wie ein heißer Schauder kroch das Gefühl von einem Moment auf den anderen in meinen Körper. Aus meinen Knochen schoss Energie, getränkt in Hitze und streckte meine Glieder. Schreiend fiel ich vornüber auf meine Fingerspitzen, aus welchem dunkles Fell spross und meine Nägel verzogen sich zu spitzen Krallen. Es passierte schon wieder. Ich wurde eine Wölfin. Etwas mit dem ich mich bereits identifizieren konnte. Ein Wesen, das mir vertraut war. Mit Kräften, die weit über meinen Verstand hinaus gingen, doch den benötigte ich hierbei nicht.
„Ich bekomme ihn!“ Schwor ich, bevor mein Mund sich zu einer langen Schnauze mit einer gefährlichen Reihe an Zähnen verzog.
„Edelle?“ Die Stimme hinter mir war ebenfalls vertraut. Ich kannte sie aus meiner Kindheit, vertraute ihr mehr als allen anderen, doch im Moment war sie völlig unwichtig.
Laut heulend rief ich diejenigen zu mir, die mich hören konnten. Auf meinen stillen Befehl hinaus verwandelten sie sich. Wurden zu einem unbändigen Tier, das einen überragenden Verstand besaß und im Nu standen fünf prächtige Wölfe kampfbereit neben mir. Werwölfe, gezwungen sich in jeder Vollmondnacht zu verwandeln, blickten sie verwirrt zu mir hoch. Ich überragte sie bei Weitem, doch ging keinerlei Bedrohung für sie von mir aus. Weshalb auch? Sie sind >Mein<.
Tastend reckte ich meine Nase in die Höhe, bis ich neben all dem Schnee einen unbekannten Geruch wahrnahm.
>Das ist der Wahnsinn< Hörte ich in meinem Kopf eine übermütige Stimme und sah mich instinktiv nach Bilal. Sein rötliches Fell glänzt herrlich, während er sich wütend durch den Schnee arbeitete. Seine fröhliche Stimmung und sein Gehüpfe steckte die anderen vier Wölfe an. Auch sie probierten ihre hoch empfindsamen Nasen aus, während ich der bereit schwindenden Spur zu einer nahen Baumreihe folgte.
Wie kleine Welpen wuselten sie durch den Bauchhohen Schnee, warfen sich gegenseitig um und jaulten, so laut sie konnten. Es sah richtig niedlich aus.
War es das etwa, was dieses Wesen gemeint hatte? Kontrolle? Ich brauchte bloß meine menschlichen Gedanken zu verlieren, um das Unmögliche zu erreichen?
„Edelle? Wo gehst du hin? Was hat das alles zu bedeuten?“ Gael stand nur knapp hinter mir, doch weit genug entfernt, sodass er Zeit hatte zu reagieren, sollte ich einen Angriff versuchen.
Uninteressiert ließ ich ihn stehen und entdeckte endlich Fußspuren. Definitiv Männergröße, auch der Geruch war männlich, doch verblasste so schnell, als wäre er bereits Stunden alt. Was sollte das? Meine Instinkte sagten mir, dass dieser Geruch definitiv frisch ist, doch die Spur sagte etwa völlig anderes.
Verwirrt zog ich die Nase kraus und sah mich um. Nichts ließ darauf schließen, dass sich eben noch jemand hier befunden hatte. Keine sich entfernenden Schritte, keine hektischen Laute, bloß die übermütigen Wölfe hinter mir.
„Wie hast du es geschafft dich zu verwandeln?“ Es war immer noch Gael, der mir auf Schritt und Tritt folgte, während ich versuchte, die Spur nicht endgültig zu verlieren. Knurrend hielt ich Gael auf Abstand. Wenn er mir weiter so auflief, würden sich die Spuren verfälschen und das wäre das Ende meiner Verfolgung.
Jedoch was genau verfolgte ich da? Wem gehörte diese Stimme, die ganz offensichtlich eine sehr gute Illusion erschaffen hatte? Er sagte, dass er der letzte Sohn einer Erstgeborenen ist. Zudem schien er viel mehr über Zwillingsgeborene zu wissen als Gael. Aber weshalb? Was bedeutete das alles?
„Da!“ Der Laut schlüpfte so schnell aus meinem Mund, dass ich erst jetzt bemerkte, nackt im Wald zu stehen. „Wo zum Teufel sind meine Kleider?“ Eilig hockte ich mich hin und umfasste mit den Armen meinen Körper, um mich bestmöglich abzuschirmen. Gael reichte sofort besorgt seinen knielangen Mantel, in dem ich völlig versank. „Verdammt. Ich hatte ihn beinahe!“ Schimpfte ich, während ich meinen schlotternden Körper einpackte.
„Wen? Was war denn überhaupt los, Edelle?“
Was los war? Das fragte er aus gerechnet mich? „Ich bin selbst überfragt.“ Gab ich zu und schnaufte.
„Komm erst einmal her. Deine Zehen frieren sonst noch ab.“ Ich schaffte es nicht einmal, einen Schritt auf Gael zu zumachen, denn so schnell konnte ich nicht einmal reagieren, hob er mich bereits auf seine Arme.
„Gael! Was tust du denn?“ Rief ich empört aus.
„Dich ins Haus tragen, was denkst du denn? Jedes Mal wenn ich nicht auf dich acht gebe, stellst du irgendetwas Dummes an.“ Sollte das eine Erinnerung oder ein Vorwurf sein? Vermutlich ein bisschen von beidem.
>Du denkst schon wieder Edelle. Denken ist menschlich. <
„Hörst du das?“
Gael blieb stehen und sah sich.
Unsicher um. „Nein, aber ich bin mir sicher, dass es nichts Gutes bedeuten kann.“ Eilig beschleunigte der Halbengel seine Schritte und drückte mich dabei enger an seinen Körper, damit ich nicht so stark fror. >Du fühlst es, oder? Er verschweigt schon wieder etwas vor dir.< Ja, das bemerkte ich durchaus. Aber andererseits machte es mir angst, wenn irgendjemand in meinem Kopf herum spukte. „Gael, du sagtest, du würdest ehrlich zu mir sein. Wer ist das?“
Gael blieb stehen und sah sich hektisch um. „Eine Fee. Aber ich kann nicht sagen wer genau.“ Gael war tatsächlich ehrlich zu mir?
„Er hat gesagt, er ist der letzte Sohn einer Erstgeborenen.“
Nachdenklich legte er die Stirn in Falten. „So sagt mir das überhaupt nichts. Er ist eine Fee, also kann er tausend Jahre bereits alt sein, Dell.“
„Dann lass mich runter und wir sprechen mit ihm. Er will irgendetwas, ansonsten wäre er wohl kaum in meinem Kopf.“ Versuchte ich, Gael zu überreden. Weshalb wusste ich nicht so recht. Einerseits machte mir die Stimme in meinem Kopf Angst, andererseits auch neugierig. Vermutlich hatte er tausend mehr Antworten für mich als alle lebenden Menschen auf dieser Welt.
Kopfschüttelnd setzte Gael seinen Rückweg fort. „Nein, Edelle. Irgendjemand hier draußen hat bereits Coria auf dem Gewissen. Ich lasse sie dich nicht auch noch holen.“ Wir erreichten Gaels Haus, vor dem fünf nackte Menschen lagen und stumm vor sich hin schlummerten. Verwirrt musterten wir die drei Werwölfe, bevor Gael sichtlich genervt seufzte und mich in das Haus brachte. „Nimm erst einmal ein Bad und zieh dir etwas an. Ich rette die fünf Dummköpfe dort draußen.“ Ich konnte schwören ein >schon wieder einmal< zu hören, doch beschloss, es einfach zu überhören. Fröstelnd lief ich die Treppe zu meinem Zimmer hoch, kramte kurz nach etwas warmen zum Anziehen, dann verschwand ich auch bereits im Badezimmer. Zitternd ließ ich heißes Wasser ein. Meine Zehen fühlten sich bereits taub an, meine Lippen spröde und mein Haar war gefroren.
Hier in diesen Wäldern konnte es unsagbar kalt werden. Ausschließlich mein dicker Pelz hatte mich auf meinem kurzen Ausflug gewärmt, wobei ich mich mittlerweile ernsthaft fragte... was ist passiert?
In einem Moment raste ich wie der Teufel aus dem Haus, stand von einer Sekunde auf die andere in irgendeinem uralten Schloss, ein alter Greis sprach mich an und organisierte einen Ball für mich, während ich plötzlich wie aus dem nichts im dunklen versinke und erneut vor Gaels Haus stand. Zu alldem hatte ich es sogar durch meinen eigenen Willen geschafft, ein Werwolf zu werden und hatte dabei aus versehen irgendwie die richtigen fünf Werwölfe mit mir gezogen. Es war, als hätte irgendjemand einfach aus dem Nichts einen Schalter in mir umgelegt.
Selbst jetzt noch, konnte ich die ungestüme Kraft in mir fühlen. Wie sie pulsierend durch meinen Körper glitt und jede meiner Zellen erfüllte, als könne sie überhaupt nicht anders, als mich mächtig zu machen. War es etwa das? Wollte mir diese Fee eigen, was in mir schlummert? Aber wieso dann auf einen solch unkonventionellen Weg? Weshalb konnte diese Person nicht einfach zu mir kommen und mit mir sprechen?
Nun, ja ich musste ich zugeben, dass ich die letzten Tage nicht wirklich viele an mich herangelassen hatte. Seit dem Unfall von Elth, war ich kaum zurechnungsfähig gewesen. Wie konnte ich denn auch so dumm sein? Ich hätte es wissen müssen, von Anfang an. Elth trieb nichts weiter als seine dummen Spielchen mit mir. Eine Katze die mit ihrer Beute spielt, bevor sie diese schlussendlich tötete. Obwohl es bei mir nicht zwangsläufig zum Tod führen würde.
Das alles durfte ich nicht mehr zu lassen. Ich benahm mich wie ein törichtes Mädchen, das hoffte ein >Happy End< zu erleben. Ein Happy End, das niemals kommen würde. Daher musste ich mein Ende so gut wie möglich in den Griff bekommen.
Aufgewärmt sprang ich regelrecht aus dem Badezimmer und glitt von selbst in die Form eines Tiermenschen. Ich wählte die Gestalt eines Fuchses, während meine Haut, ähnlich wie bei Elth einfach abperlte und samtiges Fell darunter zum Vorschein kam. Im Gegensatz zu seinem gelblichen mit den dunklen Streifen und Punkten, war meine beinahe einheitlich. In einem dunklen Orange, das zum Schwanzende hin schwarz wurde, zeichnete sich mein Fell ganz deutlich von den hellen Wänden ab, meine gespitzten Ohren, ragten hoch über mir, auf meiner langen Schnauze thronte eine feuchte Nase, die unsicher schnüffelte. Es war beinahe so wie sich in einen Werwolf zu verwandeln. Jedoch spürte ich hierbei nicht, wie sich mein Körper veränderte. Es passierte einfach. Meine Haut fiel ab, mein Fell kam zum Vorschein und sobald ich mich vornüberbeugte, fiel ich in die wahre Gestalt eines menschgroßen Fuchses. Verblüfft betrachtete ich mein elegantes Aussehen in einem der mehr als zwei Meter hohen Spiegel im Raum.
Grinsend streckte ich die Zunge heraus. So könnte ich doch glatt jemanden erschrecken, oder? Andererseits, wenn ich mich aus Versehen zurückverwandelte, dann stünde ich nackt vor Elth. Ein Erlebnis, das ich mir dann doch lieber ersparte.
Ein zögerliches Klopfen an der Türe erschreckte mich und entlockte mir unfreiwillig ein Knurren. „Edelle? Ist alles in Ordnung?“ Hörte ich Gaels unsichere Stimme. „Ja.“ Antwortete ich etwas ungeschickt durch meinen deutlich veränderten Mund. „Ich glaube bloß, dass ich den Bogen heraußen habe.“
„Kann ich hinein kommen?“
„Klar.“ Kurz darauf ging die Türe langsam auf und Gael, der Halbengel, blickte mir verwirrt in meine noch menschlichen Augen. Dies und der deutliche Größenunterschied, machte deutlich, dass ich kein gewöhnlicher wilder Fuchs sein konnte. „Du hast es tatsächlich geschafft? Aber wie?“
Unwissend hob ich die Schultern und senkte sie wieder. „Diese Fee hat mir geholfen. Deshalb habe ich auch versucht ihm zu folgen, doch dadurch das du mir auf die Pelle gerückt bist, ist der Geruch verfälscht worden.“ Warf ich ihm vor, doch bereute es sogleich wieder. Er konnte es doch nicht wissen.
„Was hat er sonst noch gesagt? Du wirkst... etwas verändert.“ Schnaufend reckte ich meine Nase höher. Das konnte ihm doch egal sein. „Nichts das mir nicht geholfen hätte mich selbst zu finden. Er war in wenigen Minuten wesentlich hilfreicher als du in den letzten Wochen.“ Mit einem Knurren scheuchte ich den Engel aus den Weg und lief durch die Türe hinaus auf den Flur. „Jetzt muss ich bloß noch lernen die Kontrolle nicht ständig zu verlieren. Dann hält mich eigentlich nichts mehr davon ab, das zu sein, was ich sein möchte.“ Was dies jedoch sein würde, stand noch in den Sternen.
„Und was wirst du sein?“ Die Frage klang sehr vorsichtig, als würde er sich vor der Antwort fürchten.
„Mal sehen. Werwolf klingt wirklich sehr interessant. Vielleicht auch Fee, oder Gargoyle. Alle diese Arten sind recht stark. Zumindest wenn man die Königin ist.“ Kam es arrogant aus meinem Maul. Unten im Wohnzimmer fand ich die fünf, immer noch schlafenden Werwölfe vor und schüttelte genervt den Kopf. „So schwach.“
„Sie haben sich auch gegen ihre Natur verwandelt. Sie sind nicht so stark wie du. Du kannst sie nicht so fern des Vollmondes dazu zwingen sich zu verwandeln.“ Das wiederum klang wie ein Vorwurf. Knurrend stellte ich mich vor die fünf Werwölfe. „Das hat ein schwacher Halbengel nicht zu entscheiden. Sobald sie den nächsten Vollmond erlebt haben, werden sie stärker sein, als alle Werwölfe zu vor. Sie werden mächtig sein, sich mit mir zusammen verwandeln und wie Königskinder leben. Mit ihnen und den Kindern, die ich bekomme, wird die Werwolfrasse sich weit an die Spitze erheben.“ Ich konnte es schon vor meinem inneren Auge sehen. Wir werden stärker und schneller werden als jeder Menschwandler, der derzeit noch über uns steht. Wir werden die Gargoyle von ihren Türmen aus auf dem Boden zerschmettern. Selbst die Feen werden vor Angst erzittern. Nur noch der nächste Vollmond. Es muss bloß noch dieser eine sein, dann haben sie ihr volles Potenzial. Dann sind sie keine schwachen Welpen mehr, sondern stolze Wölfe!
„Edelle? Deine Nase!“ Im selben Moment roch ich selbst das Blut, welches mir aus der Schnauze sickerte, gleichzeitig wurden meine Ohren unnatürlich feucht und Schwindel erfasste mich.
„Was... was ist los?“ Stotterte ich zusammen und bemerkte, wie ich meine Gestalt verlor. Finger, anstatt Pfoten kamen in mein Blickfeld, so wie weiches, vertrautes, dunkles Haar, verhang meinen Blick. „Verdammt. Er muss dich vergiftet haben.“ Sanft umfingen mich Gaels Hände, bevor alles um mich herum endgültig schwarz wurde und ich in einen tiefen Schlaf fiel.

20. Der Besitz einer Katze

„Na, auch endlich wach?“ Diese vertraute Stimme war das Erste. was ich wahrnahm, bevor mein Kopf wieder richtig begann zu arbeiten. So verlockend wie die Frühlingssonne nach einem viel zu langen Winter strich ein warmer Atem sanft über meine Haut und etwas festes hielt meine beinahe tauben Finger warm. Ohne zu wissen, weshalb, zauberte dieser erste Gedanken, ein Lächeln auf meine viel zu schweren Lippen. Auch konnte ich noch überhaupt nicht sagen, woher die Stimme kam. Sie fühlte sich fern an und doch wusste ich, dass sie sich direkt neben mir befinden musste.
„Du solltest eigentlich noch etwas schlafen.“ Dieses Mal klang die Stimme vorwurfsvoll und innerlich seufzte ich. Als ob ich das könnte. Etwas anderes zog aus diesem tiefen, dunklen Nichts, in dem ich bisher geschwebt hatte und lockte meine Sinne in eine viel buntere Welt hinaus. „Kannst du mich hören?“ Ich versuchte zu nicken, doch meine Muskeln versagten selbst bei dieser schwachen Geste. Stattdessen kam ein verzweifeltes Wimmern aus meiner Kehle. „Schon gut. Du musst bloß noch etwas ruhen. Dann geht auch die Lähmung vorbei.“ Lähmung? Was? Ich bin gelähmt? Das erklärte auch, weshalb ich kaum etwas fühlen konnte, obwohl mein Herz regelrecht in meinem Brustkorb tobte und ich ängstlich versuchte etwas anderes als Wimmern aus meinem Mund zu bekommen. Nicht einmal meine Augen wollten sich öffnen lassen. Was gab es Schlimmeres als gefangen in seinem eigenen Körper zu sein?
„Elth! Du machst ihr Angst!“ Das war eine Stimme, die ich ebenfalls kannte. Ich hatte sie bloß wenige Male gehört und sie hatte niemals freudig geklungen. Die einzige Werwölfin, die ich stärker gemacht hatte.
„Sie sollte wissen, was passiert ist.“
„Gael will aber, das sie sich schont. Sie muss noch schlafen.“ Schimpfte die Wölfin und ich hörte genau, wie sie etwas in irgendwelchen Laden suchte.
Wollte sie mich etwa wieder in den Schlaf schicken? In dieses endlose Nichts? Aber dort wollte ich nicht hin zurück. Ich wusste nicht, wie lange ich darin gehangen hatte, bloß das es friedlich und still gewesen ist. Jetzt jedoch konnte ich mir nichts Schlimmeres vorstellen, als wieder dorthin zurückzukommen.
Mit allem was ich konnte, versuchte ich, meine Hand zu bewegen. Einen Finger zumindest. Am besten einen von denen, die sich so warm und geborgen anfühlten. Obwohl... wärme ist doch ein Gefühl, oder? Gelähmte konnte doch nicht einmal das Fühlen, aber ich konnte es.
„Ich gebe dir etwas zum Schlafen.“ Hörte ich wieder die Stimme der Werwölfin. Wie war noch mal ihr Name? Irgendetwas mit einem >i< oder?
„Nein! Lass sie. Ihr Herz rast wie verrückt, du machst ihr bloß noch mehr Angst.“ Das einzige was ich fühlen konnte, verschwand von meiner Hand und ließ mich in diesem Meer aus Nichts zurück. Mit aller Kraft wünschte ich mir diese Wärme wieder zurück. Ich wollte es weiter spüren. Versichern das ich mich noch immer in meinem, sich regenerierenden, Körper befand.
„Hörst du wohl auf, dummes Katzenvieh! Gib deine Hände da weg, sonst machst du es kaputt!“ Ein Knurren erklang im Raum, während Kampfgeräusche deutlicher wurden.
„Blöde Töle, sag mir nicht was ich machen soll und was nicht.“ Gab Elth, hörbar gereizt, zurück.
Kämpfte er jetzt etwa mit der Wölfin?
„Was macht ihr denn? Wenn ihr zanken wollt, Ihr wisst, wo die Trainingshalle ist.“ Das war Malics Stimme. Ich erinnerte mich an seinen Namen viel schneller als an den der Wölfin. Wieso? Hatte sie ihn mir überhaupt genannt?
„Der Haufen Flohscheiße will Dell betäuben! Vermutlich vergiftet dieses unfähige Weibsstück sie auch noch!“ Fauchte Elth und ich konnte mir deutlich vorstellen, wie sich seine Augen in ein lebhaftes Gold veränderten.
„Hörst du, wie herablassend diese tote Ratte von mir spricht? Malic! Du bist unser Anführer, also sag diesem Kastrierten Schwein, wo sein Platz ist. Unbedeutender Mischling.“ Der letzte Satz galt wohl wieder Elth, denn ich hörte, wie seine Krallen sich am Boden abstießen und irgendetwas zu Bruch ging.
„Hört ihr gefälligst auf. Geht in den Trainingsraum! Alle beide!“ Die donnernde Stimme kam wieder von Malic, der überhaupt nicht auf das bisher vorgeworfene einging. Was war hier bloß los? Ich mochte es viel lieber, als ich bloß diese angenehme Wärme gespürt hatte.
„Soll sie doch gehen. Ich bleibe bei Dell, ihr seid ja alle offensichtlich zu unfähig sie zu beschützen.“
Nun knurrten beide Wölfe und Elths Schritte kamen auf mich zu. Im nächsten Moment quietschte ein Stuhl, während er über den Boden fortgeschoben wurde und etwas schweres drückte die Matratze, oder auf was auch immer ich im Moment lag, zur Seite. Plötzlich ruckelte es für einen Moment und die Wärme von vorhin ruhte nicht mehr bloß auf meiner Hand, sondern zog sich von meinen Schienbeinen, hoch zu meinem Bauch und ließ mich erbeben.
„Willst du jetzt wirklich in dieser Gestalt auf ihr liegen bleiben, bis die Lähmung nach lässt?“ Debby! Das ist ihr Name! Debby klang regelrecht ungläubig über das, was Elth getan hatte. Zwar konnte ich es nicht sehen, doch ahnen. Er lag in seiner Tiergestalt auf mir, um mich zu beschützen. Bloß vor wem? Die Wölfe gehörten doch zu mir.
„Lass ihn doch, Debby.“ Malic klang dabei vollkommen erschöpft. Bestimmt machte er sich unendlich viele Vorwürfe. Immerhin hatte er ja geschworen mich zu beschützen. Und nun lag ich hier, gelähmt.
„Prinzessin, ich weiß Ihr seid wach. Wir werden nicht zulassen, dass so etwas wie letzte Woche noch einmal passiert. Ab jetzt wird sich hier einiges ändern.“ Für einen Moment schwieg er, als wolle er noch etwas sagen, doch schnaufte und verschwand aus dem Zimmer. Ebby folgte ihm offenbar, da ich bloß noch Elths gleichmäßigen Atem im Raum hören konnte.
Das war für einige Zeit auch das Einzige was passierte.
Wie viele Stunden vergangen sein mussten, bis ich wieder erwachte, konnte ich nicht einmal schätzen. Jedoch was mich weckte, wusste ich wiederum genau. Es waren lange weiche Ohren, welche mich am Kinn kitzelten. Da es mir zu unangenehm wurde, wandte ich den Kopf ab und schmiegte meine einzige freie Hand in das leicht raue, kurze Fell auf meiner Schulter und kraulte es. Sofort begann mein ganzer Körper zu vibrieren und brachte mich zum Schmunzeln.
Jedoch verging mir das sofort, als mir etwas bewusst wurde. „Ich kann mich bewegen!“ Meine Stimme erklang rau und völlig unnatürlich leise, als wäre ich heiser.
Es dauerte noch einen Moment länger, dann sprang Elths Tierkopf so schnell in die Höhe, sodass ich erschrocken Luft holen musste. Da der bereits gewohnte Druck von meinem Brustkorb verschwand, begann ich zu Husten und sah mich hektisch nach etwas trinkbaren um. Auf dem Nachttisch, bloß eine Handlänge von mir entfernt, fand ich einen Trinkbecher mit einer klaren Flüssigkeit darin. Ich trank es eilig aus und seufzte zufrieden.
„Wird auch Zeit, dass du endlich wieder zu Kräften kommst. Mit dir im Bett zu sein, ist sogar noch langweiliger als dich zu bewachen.“ Knurrte Elth gereizt, doch ausnahmsweise ärgerte mich das nicht einmal. Es rührte mich viel mehr. „Halt deine vorlaute Schnauze.“ Schimpfte ich, legte meine Arme um das viel zu große Raubtier, das hier bloß Platz fand, da Corias Bett doppelt so groß war wie meines in meinem alten Haus und drückte den Kopf der übergroßen Katze auf meinen Brustkorb zurück. Anstatt sich zu wehren oder mich weiter zu ärgern, nahm Elth meinen Befehl hin und kuschelte sich wieder auf mich zurück.
Dem Bedürfnis nach gehend, die vorherigen Streicheleinheiten wieder aufzunehmen, begann ich damit, seine Wange mit den Fingerspitzen zu streicheln, zumindest dauerte es nicht lange, denn Elth bewegte seinen Kopf, sodass ich besser an seine Ohren heran kam. Schnurrend seufzte er.
„Wie lange habe ich geschlafen?“ Fragte ich nach einiger Zeit.
Eines seiner Ohren zuckte, dann streckte er eine Pfote über meinen Bauch aus und gähnte genüsslich. Langsam aber sicher begann er mich zu erdrücken. Wie konnte eine so geschmeidige und elegante Katze bloß so schwer sein? „Für Gael bestimmt noch nicht lange genug.“
Das konnte ich mir bereits denken, doch half mir diese Aussage kein bisschen weiter. „Du bist ja beinahe noch Informativer als eine Gratiszeitung.“
Ich konnte so etwas wie ein Lachen hören, insofern eine Katze lachen konnte und er blickte treuherzig zu mir auf. „Von mir aus hättest du ruhig bis zu deiner Geburtstagsnacht durch schlafen können. Vermisst habe ich dich kein Stück.“
Grinsend stieß ich ihm mit dem Zeigefinger gegen die feuchte Nase. „Lügner. Mein Körper fühlt sich an, als hätte eine Woche lang ein Laster auf ihm geparkt. Du bist keine Sekunde von mir weggegangen, also hast du mich vermisst.“ Es sollte mehr ein Scherz sein, aber dennoch war es auch die Wahrheit. Ich wusste einfach irgendwie, dass er tatsächlich nicht von mir weggegangen ist. Bestimmt nicht, weil er Angst um mich gehabt hat und vielleicht hatte er mich auch nicht richtig vermisst, aber er hat meinen Körper die ganze Zeit beschützt.
„Als ob ich eine unreife Göre wie dich vermissen würde. Wegen dir hätte ich beinahe meine zweieinhalb Millionen verloren. Du musst mehr auf mich hören, sonst haben wir beide nichts davon.“
Prustend brach ich in lautes Gelächter aus. Zu meinem erstaunen fand ich es sogar beruhigend, das er wieder bloß an sein Geld dachte. Somit wusste ich, dass sich zwischen uns rein gar nichts verändert hatte. Elth ist immer noch das geldgierige Schwein, das ich nicht ausstehen konnte und ich Dell, die Prinzessin, die er nicht leiden konnte. Mehr wollte ich überhaupt nicht. Außer vielleicht noch etwas hier mit ihm zu kuscheln.
Ich atmete einmal tief durch, schloss meine Augen und legte mein Kinn an den Kopf einer übergroßen Katze, welche vermutlich versuchte mich zu erdrücken. Ich konnte mir vorstellen, dass morgen wieder alles beim Alten sein würde. Jedoch heute, oder zumindest so lange, bis jemand bemerkte, dass ich bereits wach bin, wollte ich diesen halbwegs friedlichen Moment mit meinem Wächter genießen. Obwohl er mir in dieser Tiergestalt wesentlich lieber war, als in seiner menschlichen.

 

- - - - -

 

Nach einer gefühlten Stunde, wo wir einfach nur aneinander gekuschelt schliefen, erklang ein kurzes und leises Klopfen. Es war definitiv für Elth bestimmt, dann trat auch bereits Gael ein und schlich in das Zimmer von Coria, das ich derzeit bewohnte.
„Oh! Du bist ja wach!“ Begeisterung schwang in seinen überraschten Worten mit und ich fühlte, wie die Raubkatze unbemerkt ein wenig von mir hinab rutschte. „Wie fühlst du dich?“ Gael trat an die Bettseite, auf der ich gut eingehüllt in eine dicke Decke, lag und nahm meine Hand in seine.
„Das kommt darauf an, was genau jetzt eigentlich passiert ist.“
„Was ist es, denn an was du dich noch erinnerst?“ Gael legte seine Hand auf meine Stirn, um meine Temperatur zu überprüfen. Als er zufrieden zu sein schien, zog er einen Stuhl heran und ließ sich darauf sinken.
„Das Elth die Treppe hinab gestürzt ist. Ich war die ganze Zeit bei ihm und habe mich nach seinem Erwachen ziemlich mit ihm gestritten.“ Erst jetzt erinnerte ich mich wieder daran, das Elth mich manipuliert hatte, sodass ich einen unanständigen Traum von uns beiden erleben musste und Stunden damit verbringen musste über meine Gefühle klar zu werden. Zu allem Überfluss war ich tatsächlich kurz davor zu denken, dass dieser Traum eine Bedeutung haben hätte können.
Wie konnte ich so eine Grausamkeit bloß vergessen und mit dem Verantwortlichen sogar kuscheln? Empört schob ich Elth von mir hinunter. „Das hatte ich ja völlig vergessen, du mieses Schwein!“ Schimpfte ich mit der Raubkatze, die sich sichtlich freiwillig zurückzog und meiner geringen Reichweite zu allem Überfluss auch noch entging. „Was ist denn? An was hast du dich erinnert?“ Wollte Gael sofort wissen, woraufhin ich rot anlief. „Nichts das du wissen brauchst.“ Dann wandte ich mich an Elth und drohte ihm mit dem Zeigefinger. „Wenn du so etwas noch einmal versuchst, dann lass ich dich in den nächstbesten Hochsicherheitszoo sperren und noch dazu kastrieren! Verstanden?“
Glucksend ging Elth den Rückzug an und verschwand aus dem Zimmer. Nachdem Elth sich aus unserer Hörweite zurückgezogen hatte, besah mich Gael besorgt. „Es tut mir so leid, Edelle. Ich weiß Elth ist nicht der... netteste Wächter und ihr hasst euch. Aber er ist der beste den ich finden konnte. Und er ist sehr loyal, was mir persönlich wichtig war.“
„Solange der Preis stimmt.“ Erinnerte ich Gael.
„Ja, das auch.“ Missmutig lies er seinen Blick durch den Raum gleiten und fand ganz plötzlich die Wand recht interessant.
„Wie lange habe ich denn noch zu meinem Geburtstag?“ Lenkte ich von diesem sensiblen Thema ab. Nicht das ich Elth gerne als meinen Wächter hatte, aber es stimmte. Er beschützt mich sogar mit dem hohen Risiko sein Leben zu verlieren. Das rechnete ich ihm hoch an.
„Noch mehr als drei Wochen.“ Das ist nicht mehr viel.
„Die Zeit vergeht wie im Flug.“ Vor ein Paar >Tagen< hatte ich mich das erste Mal in einen Werwolf verwandelt. Und jetzt würde ich schon sehr bald eine mehr als bloß >wichtige< Entscheidung treffen müssen.
„Ja das ist wahr. Aber kannst du dich eigentlich noch erinnern, wie du es geschafft hast dich zu verwandeln?“ Betroffen schüttelte ich den Kopf. Ich weiß bloß noch wie wütend ich gewesen bin, als ich die Sache von Elth erfahren hatte. Danach war alles schwarz. „War es denn so schlimm?“ Gael sah so sorgenvoll aus, dass ich dies einfach fragen musste.
„Du warst wie ausgewechselt. Ich wünsche dir wirklich, dass du deine Persönlichkeit bewahren kannst.“
Meine Persönlichkeit? Nun, ja als Werwolf hatte ich mich auch viel aggressiver verhalten. Auch gingen meine Gedanken ständig in völlig andere Richtungen. Anstatt angst vor so vielen wilden Wölfen zu haben, fand ich sie einfach bloß schwach und zudem lächerlich.
„Aber die Rasse sagt doch überhaupt nichts über den Charakter aus. Ich werde doch immer dieselbe sein. So etwas ändert sich doch nicht von heute auf morgen.“
Betroffen schüttelte Gael den Kopf. „So einfach ist das nicht, Edelle. Du änderst nicht einfach bloß deine Hautfarbe oder deine Sprache. Du wirst ein völlig neues Geschöpf, mit neuen, besseren Fähigkeiten. So etwas verändert einen, egal wie sehr man sich bemüht.“
„War das bei allen so? Ich meine bei allen Zweitgeborenen?“ Diese Frage interessierte mich einfach. Es klang so... falsch.
Unwissend hob er die Schultern und lehnte sich nachdenklich im Stuhl zurück. „Wenn du ein Engel wirst, dann verlierst du die Fähigkeit zu fühlen. Bei einem Werwolf, wirst du ganz offensichtlich aggressiver und reizvoller.“ Das war wirklich unverblümt formuliert. Typisch Gael. „Ein Gargoyle könntest du zum Beispiel niemals werden. Sie besitzen kein Blut, nicht so wie wir es kennen.“
„Ich würde auch niemals mit einem Stein schlafen!“ Erinnerte ich Gael, der daraufhin schmunzelte. „Davon bin ich bereits aus gegangen.“ Witzelte er. „Du könntest noch ein Gestaltwandler sein. Von ihnen weiß ich, dass sie dem Menschen am ähnlichsten sind.“
„Sie können auch bloß das Aussehen von Menschen annehmen.“ Ergänzte ich ganz dem Lehrbuch entsprechend.
„Sehr gut. Dann gibt es noch Elfen, doch die gibt es, so weit ich weiß, in unserer Welt nicht mehr. Oder eine Fee, nur würdest du, ähnlich wie bei den Werwölfen, mitten in einem Krieg landen. Und Vampire würde ich keinesfalls empfehlen. Vermutlich ist es verlockend ewig zu leben, aber auch langweilig. Vampire hassen Krieg ,sie interessieren sich bloß für ihre Geschäfte und studieren alles was sie in die Finger bekommen.“
„Also sind sie reine Gelehrte und Geschäftsleute. Du hast recht, das ist nichts für mich. Wie sieht es bei den Menschwesen aus?“
Gael schwieg länger, als das es mir lieb war. Wieso verstand ich nicht recht, immerhin gingen wir gerade eben so ziemlich alles durch, was ich sein könnte. Natürlich gab es noch solche Möglichkeit ein Wesen zu werden, das die Menschen unter den Namen Orc, Riese, oder eine Chimäre wie Kentaur, Greif und Meerjungfrau. Jedoch gab es von denen ausschließlich reinrassige Wesen und sie lebten in einer völlig anderen Welt. Damit wäre niemandem geholfen.
„Das ist kompliziert.“ Bekam ich plötzlich die mehr als verwirrende Antwort. Was sollte das denn bedeuten?
„Wieso ist das kompliziert?“ Wollte ich wissen.
„Es ist nichts Schlimmes, aber viel wichtiger ist es, dass du endlich etwas isst. Etwas Festes zumindest.“
Vorsichtig half mir Gael mich aufzusetzen und reichte mir Kleidung, die ich mir recht steif über zog. Zwar konnte ich wieder jeden Muskel und Knochen fühlen, doch motorisch hatte ich noch lange nicht meine ganzen Fähigkeit zurück. „Mist.“ Schimpfte ich leise, als mein Socken sich nicht über streifen lassen wollte. „Sag, was war das überhaupt. Wieso war ich überhaupt so stark an das Bett gefesselt?“
„Ein dunkler Fae war das. Es gibt zwei Feenarten. Die Dunklen und die Hellen. Im Normalfall sind sie recht einfach zu erkennen und gehen sich gründlich aus den Weg, doch manchmal versuchen sie sich gegenseitig auszustechen. Meist müssen dann die Menschen darunter leiden, ohne zu wissen, was nun eigentlich los ist.“
„Und so eine dunkle Fee, hat was getan?“ Lenkte ich wieder auf das eigentliche Thema.
„Er hat dich manipuliert. Vermutlich mittels eines bestimmten Tons. Feen haben bestimmte Fähigkeiten. Sie reichen weit über Manipulation so wie Gedanken lesen hinaus, was sie gefährlich macht, doch die meisten sind friedlich.“
Das erklärte auch die beiden Fraktionen.
„Er hat mich also manipuliert?“ Hakte ich weiter nach. Langsam nervte es mich, dass Gael versuchte mich zu beschützen. Ich musste doch wissen, was ich getan hatte.
Kurz erzählte er mir von meinem Verhalten und den kontrollierten Verwandlungen, woraufhin mir nichts mehr einfiel. Ich hatte mich ganz ohne Mühe verwandelt? Wie das denn? „Mist, und jetzt kann ich mich an nichts mehr erinnern! Das ist ja scheiße.“
Vorsichtig half mir Gael auf die Beine, die mich überraschend einfach trugen. Wobei sie sich jedoch etwas Kühler als bisher anfühlten. Mir fehlte irgendwie das Schwergewicht.
Verdammt was dachte ich denn da?
„Ja es ist auch für mich sehr enttäuschend. Ich hatte die Hoffnung, dass du endlich einen Einfachen weg für dich gefunden hättest. Zumindest wünsche ich dir, dass du dir endlich sicher sein kannst, was du sein möchtest.
>Möchte< Das wollen war in diesem Fall ein falsches Gerücht. Dessen war ich mir durchaus bewusst. Würde ich mich dazu entscheiden eine Fee zu sein, würde es nicht vielen Wesen helfen. Reinrassige Feen gibt es zwar nicht überschwänglich viele, aber durchaus genug, besonders da sie ausgesprochen langlebig sind. Die einzigen die meine Hilfe dringend brauchen könnten, sind die Hexen, welche es noch dazu in drei Untergruppen gibt, die Werwesen, die sich jedoch sofort mit mir teilweise im Krieg befinden würden, die Menschwesen, obwohl ich mir nicht sicher war, was genau Gael versuchte zu verbergen und natürlich die Engel. Diese vier Arten benötigten meine Hilfe sehr dringend.
Jedoch für wen sollte ich mich entscheiden? Wenn ich eine Wahl traf, konnte es das aus für die anderen drei sein. Zu hoffen, dass in nächster Zeit, insofern ich starb, neue Zwillinge geboren werden, grenzte beinahe an einem Hirngespinst.
„Was möchtest du denn essen? Ich dachte an etwas Leichtes.“ Gael schob mich auf einen Stuhl der geräumigen Küche und begann verschiedene Gemüsesorten vor sich hin zu schneiden. War es denn überhaupt keine Frage, die an mich gerichtet gewesen ist?
Grinsend sah ich ihm dabei zu, während ich mich in der Küche umsah. Viel verändert hatte sich ja nicht. „Wo sind denn die anderen?“
„Die Wölfe halten draußen Wache. Sie lassen nicht einmal ein Eichhörnchen in die Nähe des Hauses.“ Scherzte Gael.
„Und was machen wir jetzt die letzten Wochen? Einfach herum sitzen und die Zeit vertrödeln?“ Es war eine mehr oder weniger ernst gemeinte Frage.
„Du könntest zu aller erst einmal wieder zu Kräften kommen, bevor du dir irgendetwas Neues vornimmst.“ Schlug er stattdessen vor.
„Ach, Gael. Ich will überhaupt nicht weiter machen. Wieso muss ich überhaupt wählen? Das ist nicht fair.“ Beklagte ich mich, legte meinen Kopf auf der Küchenplatte ab und seufzte genervt.
„Jede musste sich entscheiden.“
„Jede Zweitgeborene, meinst du. Die Erstgeborenen haben es was das angeht viel einfacher.“ Was jedoch den Rest anging... darüber ließ sich streiten.
„Ich weiß, was du empfindest. Und ich weiß auch das es nicht fair ist. Eine Art zu retten und alle anderen zu verlieren... Also, nicht das alle aussterben. Das wäre absurd. Nein, wenn nach dir die Nächste...
„Gael!“ Unterbrach ich ihn unsanft. „Du musst mir nicht vorlügen. Ich verstehe es bereits. Für die drei, die übrig bleiben, wird jede weitere Hilfe zu spät kommen. Deshalb hast du auch so verzweifelt Coria beschützt und mich ausgeschlossen. Das verstehe ich. Es wäre mir auch wesentlich lieber gewesen.“ Nicht das ich es meiner Schwester gewünscht hätte für ihr restliches Leben als Kinderspender zu dienen, aber für die bereits aussterbenden Rassen, wäre es ein notwendiges Opfer gewesen.
Unvermittelt zuckte ich zusammen, als mir etwas hartes gegen das Bein peitschte. „Au!“ Elth schritt auf allen vieren gemütlich an mir vorbei und knurrte einmal kurz, bevor er seine Vorderbeine auf die Tischplatte stellte und von einem Moment auf, den anderen in seine halb menschliche Form zurückglitt. „Das hat weh getan.“ Beschwerte ich mich halblaut, während ich versuchte zu ignorieren, dass er zwar Fell hatte, doch keine Hose. Und sein kurzes Fell verbarg nicht wirklich seine Körperformen. Oder andere Teile.
„Du denkst zu viel.“ Warf mir der Katzenmensch plötzlich vor und blickte mich direkt an. An irgendetwas erinnerte mich dieser Satz. Bloß an was?
„Und du solltest dir etwas anziehen. Deinen Anblick sollte niemand ertragen müssen.“ Ich wandte mich demonstrativ ab, obwohl ich zugeben musste, dass er wirklich gut aussah. Dreckskerl.
„Sag bloß, mein nackter Körper macht dich nervös.“ Stichelte Elth weiter, nur um im nächsten Moment seine Arme provokativ, um mich zu legen. Jedoch berührte er mich dabei nicht, sondern stützte sich bloß an der Tischplatte ab.
„Nein, mehr widert es mich an.“ Murrte ich und sah hilfesuchend zu Gael.
„Elth, hör auf damit. Edelle ist keine Maus, mit der du spielen kannst. Sie ist eine Prinzessin. Zoll ihr in Zukunft den nötigen Respekt.“ Gaels Worte hallten regelrecht durch den Raum, als würden wir uns in einem Saal befinden. Ganz offen gesagt, hätte ich mich vermutlich in diesem Moment vor ihm auf die Knie geworfen und angebettelt nicht mehr wütend zu werden, doch da ich vermeiden wollte mit bestimmten Bereichen von Elth in Berührung zu kommen, starrte ich einfach auf die Küchenplatte.
Leider entkam ich dieser Sache nicht viel länger. „Schon vergessen. Dell gehört mir.“ Fauchte Elth Gael unvermittelt an. Unsanft schloss er seine Arme um meinen Oberkörper und knurrte aus tiefster Kehle.
Also, das mit dem Besitzen sah ich ein kleines Bisschen anders. Jedoch kam ich nicht dazu, etwas zu erwidern. „Jemanden zu beschützen oder jemanden zu besitzen sind zwei verschiedene Dinge, Elth.“ Gael wirkte überraschend wütend. So hatte ich ihn Elth gegenüber noch nie gesehen.
Unbehaglich versuchte ich mich, aus Elths Griff zu befreien, doch sein Mund neben meinem Ohr und vor allem die spitzen Zähne die dahinter lagen, brachten mich zum Innehalten. „Das was ich besitze, beschütze ich auch. Der Rest ist mir vollkommen egal. Du hast mich gebeten ihr Wächter zu sein. Ich habe gesagt, dass ich es bloß gegen ein gewisses entgelt tue. Also hast du mir ihr Leben verkauft, so lange bis die Frist abläuft.“ So hatte ich das noch überhaupt nicht gesehen und Gael offensichtlich auch nicht. Jedenfalls wirkte er ein wenig verunsichert über Elths Worte. „Wenn du sie wieder haben willst, oder das ich sie anders behandle, musst du mich entlassen und für meine bisherigen Dienste bezahlen, oder noch etwas Geld oben drauf legen.“
Kopfschüttelnd schimpfte Gael etwas in einer flüssigen Sprache, die ich nicht verstand. Gab er etwa so schnell auf? „Ich werde dich bestimmt nicht entlassen, aber ich möchte dass du dich in Zukunft mehr, wie ein Wächter verhältst, anstatt wie eine eifersüchtige Katze.“ Klirrend zersplitterte etwas und ich konnte mir vorstellen, dass es das Glas mit Kichererbsen gewesen ist, dass Gael eben abwiegen hatte wollen.
Ohne auf Elths Erwiderung zu warten, verschwand Gael so schnell aus dem Raum, das man nicht einmal sehen konnte wie er sich bewegte. Ungläubig starrte ich die Küchentüre an. Hatte er mich eben wirklich alleine gelassen?
„Engelmischlinge hassen Konfrontationen, Streit und Hass.“ Hörte ich Elth an meinem Ohr. „Und du solltest eigentlich noch im Bett sein. Ich will nicht das du auch nur einen einzigen Schritt auf die Toilette ohne mich machst. Verstanden?“
Mehr zornig auf Gael, dass er mich schon wieder im Stich ließ, zumindest was diese verrückte Raubkatze anging, als auf Elth, ließ ich meine Gefühle freien lauf. „Was du willst ist mir völlig egal. Denkst du, ich spiele dein krankes Spielchen ernsthaft auch nur noch eine einzige Sekunde mit? Du bist verrückt! Geistig gestört!“ Zornig schaffte ich es irgendwie, Elth von mir zu stoßen, und taumelte nach Atem ringend zur Küchentüre. Ich hatte endgültig genug davon. Ich bin doch nicht sein Spielzeug. Und noch weniger sein Besitz.
„Dell? Dell was hast du?“ Meine Beine gaben nach und ich sank nach Atem ringend zu Boden. Mein ganzer Körper fühlte sich plötzlich schwer wie Blei an. Immer mehr zog es mich zu Boden. Meine Sinne gerieten durcheinander und selbst als Elth mein Gesicht zwischen seine Hände nahm und irgendetwas zu mir sagen schien, konnte ich ihn nicht klar erkennen. Es war, als würde mein Körper einfach aufhören zu arbeiten. Selbst mein Herzschlag fühlte sich schwer und langsam an. Als ob ihn irgendetwas aufhalten würde. Ihn langsamer machte.
„... ust... andeln...“ Hörte ich aus weiter Ferne Elths Stimme. Ich muss handeln? Hatte er das gesagt? Vergebens versuchte ich, ihn zu fragen, doch mein Mund ließ sich nicht richtig öffnen. Langsam sank ich immer mehr in mich zusammen. Elth hielt mich derweilen. Ich fühlte es. Diese wohl bekannte wärme. Der Geruch... dieser Herzschlag. Wenn dies das Letzte sein solle, was ich jemals als >herrlich< oder gar >perfekt< empfinde, dann muss ich wohl oder übel verdammt worden sein.

21. Verrücktes Blut

 „Ich will ihn aber zurück! Er muss zurückkommen!“ Schrie ich, so laut ich konnte.
„Finde dich damit ab, Kleines. Ab jetzt wird es nur noch uns drei geben.“
Strikt weigerte ich mich, das zu glauben. Aber es ist doch bereits so lange her, oder nicht? „Er muss zurückkommen. Das hat er versprochen. Er hat es... geschworen! Geschworen!“ Ich schrie mir regelrecht die Seele aus meinem noch so kleinen Leib.
„Delle! Halt endlich deinen verfluchten Mund!“ Ein Schlag so laut, dass er wie ein Echo durch den Raum hallte, schallte, als meine Mutter die Hand gegen mich erhob und meine Wange rot färbte.
Ihr dunkles Haar, so eigen wie mein eigenes und das meiner Zwillingsschwester hing ihr wild im Gesicht, Schweiß stand ihr auf der Stirn, denn sie hatte Fieber, so wie Coria und ihr bebender Körper ging langsam vor mir zusammen. „Ich hasse dich!“ Das sollten die letzten Worte sein, welche ich jemals mit meiner Mutter sprach. Ich brüllte sie ihr in das müde Gesicht. Versuchte, meine trotzigen Tränen zurückzuhalten, zumindest so lange bis ich knallend die Haustüre hinter mir zuwarf.
Während ich die Treppe unseres alten, bereits abblätternden Hauses, hinab lief und darüber fluchte, keine Schuhe angezogen zu haben. Wie konnte sie es bloß wagen? Papa hatte es doch versprochen. Nein, noch wichtiger, er hatte es mir mit seinem Leben geschworen. Er würde wieder kommen. Zurück zu uns. Er liebt uns. Das weiß ich. Immerhin sind wir seine Familie. Und das ist doch das Wichtigste, oder nicht? Wieso kam er also nicht? Er wollte doch bloß für eine Woche fortbleiben. Jetzt sind es bereits beinahe zwei Monate, an denen ich vor dem Fenster saß, das hinaus zeigte, zum Eingang unserer Türe und hoffte, dass er endlich zurückkäme.
Vor ein paar Tagen hatte meine Mutter begonnen mich wieder einzuspannen. Gebeten ihr und Coria etwas zu helfen, damit sie schnell wieder gesund würden. Immerhin bin ich nicht so anfällig wie Coria.
Mama hat gesagt, dass Coria von Gott einen schwachen Körper erhalten hätte, genauso wie sie selbst. Aber ich bin stark, hatte sie gesagt. Ich bin diejenige Mama und Coria immer beschützen würde, hatte Papa gesagt.
Und jetzt... jetzt sind sie alle Tod und bloß ich auf diesem ewigen Schiff in die Verdammnis unterwegs.

 

„Sehr gut. Bloß noch ein wenig mehr, Mädchen. Fast hast du es geschafft.“ Diese Stimme kannte ich nicht. Sie erklang fremd und sanft, während irgendetwas zärtlich meine Kehle hinab lief. Süß wie eine Blume, dessen Namen ich unmöglich nennen konnte und süchtig machend wie eine Droge ergoss sich dieser Duft in meinem Hals, erfüllte nicht bloß meinen Magen, sondern ebenfalls meinen Geruchssinn. Betört sog ich diese einzigartige Substanz tiefer ein. Sog jeden einzelnen Tropfen, den ich finden konnte in mich ein, verschlang ihn wie eine ausgehungerte Bestie.
„Langsam, Schätzchen. Du blutest dich sonst voll.“ Jemand strich mir so liebevoll die Haare zurück, sodass mich beinahe das Bedürfnis überkam, freudig zu seufzen.
Was war das bloß? Diese Süße, dieses starke Bedürfnis nach mehr und die aufwallenden Gelüste in meinem Körper, waren mir völlig fremd. Woher kam das? Das konnte doch bloß ein Traum sein.
Ja! Ein Traum. Immerhin hatte ich gerade eben Mutter gesehen. Dies konnte also bloß ein Traum sein. Genüsslich sank ich in den fordernden Traum zurück und genoss ihn. Ließ mich von dieser einzigartigen Wärme erfüllen und wurde eins mit ihr. Was wollte man schon mehr im Leben? Nichts anderes zählte für mich.
„Ist es rechten so, oder wünschen Sie noch etwas, Miss Nanina?“ Eine andere Stimme riss mich aus meiner Trance. Nanina? Wer ist das? Diese Namen hatte ich noch nie in meinem Leben gehört.
„Alles bestens. Danke, du kannst jetzt gehen.“ Entließ besagte Nanina irgendjemanden und ich hörte, wie sich eine Türe schloss. Langsam entspannte ich mich wieder und mein bisher verhangener Blick klärte sich etwas. Dass was ich jedoch sah, wirkte keinesfalls wie >zuhause<. Falls ich Gaels Unterschlupf als >Zuhause< definieren konnte.
„Hach, du bist wach. Das ist erlösend.“ Die feine und vor allem helle Stimme eines Mädchens erweckte meine Aufmerksamkeit. „Ich dachte schon, ich müsse dir noch eine meiner Spender überlassen. Das wäre ernsthaft nervtötend geworden.“
Spender? Ich verstand kein Wort.
Jedoch verstand ich es, sobald ich den >Beutel< den ich bisher umklammert hatte, genauer betrachtete. „Was? Verdammt!“ Kreischend ließ ich von dem Körper ab, der bloß noch schlaff alleine von meinen Händen aufrecht gehalten wurde und krabbelte rückwärts davon fort. Gleichzeitig kam mir mit Abstand das hübscheste Mädchen in den Blick, das ich jemals gesehen hatte. Ihre beinahe porzellanartige Haut saß geschwungen über ihren wohl geformten Körper, welchen sie mit der richtigen Kleidung perfekt zur Geltung brachte. Gleichzeitig befiel mich Neid, so wie Bewunderung. Wie konnte jemand bloß so schön sein? Ihre feinen Wangenknochen, die leicht zugespitzte Nase, die funkelnd hellen Augen und das beinahe weißliche Haar, ließ sie alles in allem wie eine Göttin wirken. Nein, wie ein Engel. So kaltherzig und berechnend wie dieser Blick in ihrem Auge lag, konnte diese Person keine Seele besitzen. Zumindest keine vollauf Lebende.
„Du bist ein Engel...“ Ob man es als Frage oder Erkenntnis auffassen konnte, wusste selbst ich nicht.
Unwirklich zauberte sich ein verführerisches Lächeln über das so grausam schöne Gesicht, das es mir kalt den Rücken hinunter lief. „Schlimmer. Ich bin ein Vampir. Genauer gesagt, die derzeitige Vampirkönigin von dem derzeitig reichlich bevölkerten Nordamerika. Du hast jedoch die Erlaubnis mich persönlicher anzusprechen. Mein Name ist Nanina Tesla. Vierte Regentin in Folge.“
Ich verstand kein Wort mehr. Vampir? Aber sie wirkte so... so... Moment, wieso bin ich bei einer Vampirkönigin? Und vor allem weshalb hielt ich einen beinahe blutleeren Mann im Arm?
Verunsichert sah ich an mir hinab. Ach... deshalb!
Über und über von Blut musste ich zu meinem Bedauern feststellen, das dieser Mann nicht das einzige Opfer gewesen ist. Offenbar hatte ich mich glatt von drei Menschen unterschiedlichen Alters ernährt und das traurigste an allem war, dass ich es sogar noch wusste. Ja, je länger ich das Blut anstarrte, umso klarer kam mein Blutrausch zurück. Auch wie mich Nanina aufgefordert hatte weit den Mund zu öffnen, bloß Sekunden später, als mich der erste süße Blutstropfen berührte, konnte ich meine frisch entwickelten Fänge nicht mehr von der zarten Kehle des ersten Mannes nehmen. „Was... Was ist hier los?“ Und vor allem weshalb verspürte ich noch immer diese große Freude, irgendjemanden an die Kehle zu gehen? Das ist doch... vollkommen abscheulich!
„Du wurdest von einer dunklen Fee vergiftet. Leider half deinem noch menschlichen Körper die Verwandlung in ein Menschwesen nicht wirklich viel. Ab jetzt stehst du unter meinem Schutz, Edelle Black.“ Wie sie meinen Namen sagte... das klang beinahe wie ein Bannspruch.
Außerdem, unter ihrem Schutz? Was sollte da denn bitte für ein Schutz sein, wenn ich mich unfreiwillig von anderen Menschen ernährte? Obwohl, meinem Hunger nach zu urteilen, war diese Nahrungsaufnahme, nicht unbedingt >unfreiwillig< „Was hast du mir angetan?“ Angeekelt versuchte ich mir, das verdammte Blut von den Lippen und meiner Haut zu wischen, doch erreichte nicht wirklich viel, außer das es sich noch weiter verteilte.
„Ich habe dein Leben gerettet. Außerdem deinen Freund zu einem recht reichen Mann gemacht, du solltest ihm dankbar sein.“
Was! „Elth? Wo ist er?“ Ich wollte schon aufspringen und selbst nach ihm suchen um ihm das Fell über die Ohren zu ziehen, doch ein unbändiger Schmerz zog mich wieder auf den Boden. Stöhnend fiel ich zurück und fasste an meine Hüfte. Frisches Blut, von mir selbst, sickerte aus einer Wunde an derselben Stelle, wo sich bereits Elth verewigt hatte. Geschockt stellte ich fest, dass es sich abermals um eine Bisswunde handelte, und zwar exakt über der Stelle, die er bereits schon einmal gekennzeichnet hatte. „Dieser verfluchte kleine Dreckskerl. Wenn ich den in die Finger... Ah!“ Mit dieser frischen Wunde konnte ich mich kaum bewegen. So unglaublich es auch klang, diese Wunde tat noch viel mehr weh, als die davor.
„Oh, wie entzückend. Das hatte ich nicht erwartet.“ Die blondhaarige Todesgöttin, ließ sich in ihrem langen gebauschten Kleid neben mich auf den Boden sinken und betrachtete die Verletzung genauer. „Sie schließt sich nicht, doch deine bereits sterbenden Organe sind wieder vollkommen hergestellt. Er muss dich nicht nur verletzt, sondern gekennzeichnet haben. Wie romantisch.“ Jedes ihrer Worte klang kühl und keinerlei Gefühl schwang darin mit. Ich konnte nicht einmal schätzen, ob sie scherzte, oder verärgert war.
„Romantisch? Was ist an einer körperlichen Verletzung >romantisch<?“ fauchte ich sie regelrecht an, obwohl mein Zorn eigentlich Elth galt. Wen wunderte das überhaupt noch?
„Wenn es ein Liebesbiss ist, dann hat es etwas von Romantik. Zumindest der eines Menschwesen. Sie sind genauso Tier, wie sie Mensch sind. Wenn sie dich kennzeichnen, egal auf welche Weise, sei es ein Duft, oder offensichtlicheres Zeichen,“ Sie deutete vielsagend auf meine noch schwach blutende Fleischwunde „dann bedeutet es, dass dich besser kein anderes männliches Wesen anfasst, wenn ihm sein Leben lieb ist.“
Ich wusste nicht, was mehr Entsetzen in mir frei setzte, dass Elth >das< getan hatte, oder das man mir bisher niemals etwas davon erzählt hatte. „Das heißt... Elth liebt mich?“ So einen quatsch konnte ich nicht glauben.
Plötzlich brach die viel zu jung aussehende Vampirkönigin in schallendes Gelächter aus. Bloß das dieses Lächeln ihre wunderschönen rubinroten Augen nicht erreichte. „So anmaßen vermöchte nicht einmal ich zu sein. Würde er dich lieben, wärst du bereits sein. Nein, ich denke, dieser Biss soll lediglich verhindern, dass dich irgendein Mann auf unsittliche weise, anfasst. Er würde es sofort spüren und sich sogar mit einem Reinblütigen Engel anlegen, wenn es darauf ankäme.“
Langsam erhob sie sich wieder, während ihr scharlachrotes Kleid verstörend raschelte. „Komm, ich mache dich besser einmal frisch.“ So unvermittelt, dass mir das Herz stehen blieb, streckte mir die Vampirkönigin Nanina, ihre Hand aus und schenkte mir ein auffallend ehrliches Lächeln. Nervös schlug mein gepeinigtes Herz weiter, während ich mir von Nanina auf die Beine helfen ließ und stützte mich sogar an ihr ab. „Ich werde ihn umbringen, wenn er mir noch einmal unter die Augen kommt.“ Schon wieder hatte er mich verkauft. Nur dieses mal zu einer höheren Summe und auch noch an eine Person, die ich überhaupt nicht kannte.
Oder gar verstand. Königin Nanina, ließ für mein eine große Badewanne mit heißem Wasser und etwas warmer Milch befüllen. Sogar ganze Rosenköpfe schwammen in dieser Wanne und zu allem Überfluss entkleidete sie sich noch vor mir, da einer Königin immer der Vortritt gebührte.
Anfänglich weigerte ich mich, mit ihr eine Badewanne zu teilen, doch ihrer Überredungskünste waren kaum Grenzen gesetzt. Schlussendlich wusch sie mich sogar, während ich mich in Grund und Boden schämte. Wenigstens biss sich das Waschmitteln, oder das Wasser nicht mit meiner frischen Wunde. Zudem duftete ich auf eine Art angenehm, dass ich am liebsten mit mir selbst kuscheln würde, wenn das möglich wäre.
Nachdem ich es geschafft hatte, dass sie mir bloß den Rücken, so wie die Arme wusch und nicht intimere Stellen auch noch, denn so aufdringlich war diese Vampirin gar, musste ich sie auch noch waschen. Jedoch je mehr ich mich mit ihrem Körper beschäftigen musste, umso betrübter wurde ich. Ihre Haare fühlten sich so weich und leicht an, als bestünden sie aus der feinsten Seide. Die Haut, so glatt und ohne jeglichen Makel, würden jeden Mann auf die Knie gehen, lassen, damit er sie bloß ein einziges Mal anfassen dürfte. Auch der natürliche Geruch, der von ihr aus ging, lullte mich ein. Wäre ich ein Mann dann, könnte ich ihr bestimmt nicht lange widerstehen. Und das ärgerte mich. Ich bin kein Mensch, der schnell auf eine hübsche Person eifersüchtig wird. Obwohl >hübsch< bei ihr wohl stark untertrieben war.
Wie konnte Elth mir bloß so etwas antun? Im Moment wusste ich nicht einmal, was schlimmer war. Er, oder diese Situation, in welcher ich mich befand.
Nach dem beinahe einstündigen Bad, trockneten wir uns >selbst< ab und ich bekam frische Kleidung, da meine bloß noch für den Müll zu gebrauchen war. Leider war es Kleidung der Königin, die ich mir borgen musste, zum Glück war ich ähnlich dünn gebaut wie sie, bloß die Rundungen an einigen Stellen fehlten mir sichtlich, stellte ich fest, als ich versuchte die Bluse vorne enger zu ziehen. „Wieso hat man bloß solche Kleidung?“ Im Normalfall war ich mit meinem durchschnittlichen B Körbchen recht zufrieden, jetzt jedoch ärgerte es mich bloß. Die Bluse lag vollkommen locker über den oberen Bereich meines Oberkörpers und betonte damit den offensichtlichen Unterschied zwischen diesem verrückten Vampir und mir.
„Bist du fertig?“ Die Vampirkönigin trat ein, in ein Zimmer, das offenbar für mich her gerichtet worden war und betrachtete mein Gefummel. „Du musst deine Brüste noch etwas wachsen lassen, wenn du mit mir mithalten willst, Liebes.“ Beschwerte sie sich in einem beinahe gelangweilten Ton und begann nun selbst an der Bluse herum zu ziehen. Was stimmte bloß nicht mit der?
„Es wäre nicht so, als könnte ich beeinflussen, was mein Körper tut.“ Erinnerte ich sie überflüssiger weise und fühlte zugleich wieder den stechenden Schmerz in der Hüfte. Nanina hatte mir eine leichte Hose zur Verfügung gestellt, damit der Bund nicht zu fest saß und ihr Butler Herold, stellte mir ein geeignetes Pflaster zur Verfügung.
„Ja, das ist wirklich schade. Mit einem etwas lieblicheren Gesicht und einem größeren Busen, würde ich mich sogar in die verlieben können.“ Genervt verdrehte ich ungesehen die Augen. So viel dazu, dass es nicht auf Äußerlichkeiten ging.
„Ähm... danke, schätze ich.“ Ich glaubte zwar nicht, dass es ein Kompliment sein sollte, doch frech wollte ich auch nicht werden. „Sagen Sie, wie viele Leben eigentlich hier in diesem Schloss?“ Bisher hatte ich bloß Butler Herold und die Königin gesehen.
„Herold und ich. Mehr brauche ich auch überhaupt nicht.“ Erklärte sie, als wäre es selbstverständlich.
„Ihr lebt ganz alleine in diesem riesigen Schloss?“ Fragte ich verblüfft. Das konnte ich mir kaum vorstellen. Immerhin hatte ich bereits riesige Gärten, Pools, etliche Gästezimmer und angeblich befanden sich auf diesem Grund noch einige Sportanlagen. Das solle alles ein Einziger pflegen? Schwachsinn.
„Herold ist doch bei mir. Mehr brauche ich nicht. Jetzt wirst du einige Zeit hier wohnen, du wirst bestimmt menschliches Essen brauchen, daher werde ich einen Koch einstellen, der auch gleichzeitig dein Diener wird. Sieh ihn als Geschenk an. Welchen Typ Mann bevorzugst du?“ Forschend sah Nanina mir in die Augen, als würde sie mich ernsthaft nach meinem Lieblingsessen fragen. Obwohl diese Frage wesentlich angebrachter wäre, als >mein Typ Mann<.
Rot werdend blickte ich zu Boden. „Ich... Ich weiß nicht recht. Was hat das mit dem Essen zu tun?“ Wollte ich diese Frage überhaupt beantwortet haben?
Nachdenklich legte sie den Kopf schräg. „Mit dem Essen? Nichts, denke ich.“ Dabei klang sie mehr als verwirrt. „Ich bezweifle das man seinen Butler, oder Diener als Essen ansehen kann. Immerhin sind sie bloß arbeitende Ameisen, oder?“
Ruckartig zuckte ihr Kopf zu mir zurück und erzeugte einen unangenehmen Schauder, der sich über meinen Rücken zu meinen Zehenspitzen zog.
„Ich denke eher, dass sie fleißig arbeitende Wesen sind. Immerhin haben sie ebenfalls Bedürfnisse wie Nahrungsaufnahme und einen Schlafrhythmus.“
Das brachte die Königin offensichtlich wieder zum Nachdenken. Plötzlich verzog sie das Gesicht und wirkte angewidert. „Nein, ich kann einfach Herold nicht als Person sehen. Sonst esse ich ihn noch und dann bin ich wieder alleine.“
Mit hüpfenden Locken schritt sie aus dem Ankleidezimmer und ich folgte ihr. Je öfter ich mit diesem Vampir sprach, umso weniger verstand ich sie.
„Herold begleitet mich bereits seit gut dreihundert Jahren. Zwar ist er bloß zu einem Dreiviertel ein Vampir, doch steht er mir in kaum etwas nach. Natürlich was die angeborenen Fähigkeiten angeht, versteht sich.“ Kichernd wandte sie sich mir im Gehen zu und wirkte dabei in dem bauschigen Kleid, als würde sie schweben. Wie zum Teufel konnte sie pinkeln gehen in dem Kleid? Und ja, dieser Gedanke beschäftigte mich, so traurig es auch klang.
„Dafür wirkt ihr aber... noch recht jung.“ Also für eine dreihundert jährige Greisin wirkte sie kaum älter als höchstens zwanzig Jahre. Wenn man großzügig war.
Zwinkernd, schlug die Vampirkönigin einen neuen Weg ein. „Ich weiß. Das liegt in meinen Genen, immerhin bin ich eine Reinblüterin. Herold ist mit seinen siebenhundert Jahren bereits alt und wird mir höchstens noch ein, oder zwei Jahrhunderte zur Seite stehen.“ Sieben... Was? Siebenhundert Jahre? „Der Körper von Mischlingen zerfällt viel zu schnell. Richtig schade um ihn. Ich respektiere ihn.“ Murmelt die Königin weiter vor sich hin, als würde sie mit sich selbst sprechen. „Wenn ich fragen dürfte, wie lange leben reinrassige Vampire?“ Das hatte mich schon immer interessiert.
„Gut eintausend und mehr. Je nachdem ob man hin und wieder einen Tiefschlaf hält und später wieder weiter lebt. Ich hattet noch nicht das Vergnügen, dafür sind die Menschen noch nicht langweilig genug.“ Es klang beinahe wie ein Scherz aus ihrem Mund. Aber trotzdem... eintausend Jahre? Wer wollte schon so lange leben? Obwohl, mit Naninas Aussehen, könnte ich mir das schon vorstellen. Trotzdem würde alles irgendwann einmal langweilig werden, wenn man alles bereits erlebt hat und trotzdem immer wieder erleben könnte. Das Leben wäre überhaupt nicht mehr spannend und überraschend.
„Und seit wann seid Ihr Königin?“ „Seit ich meinen Vater getötet habe. Ich glaube, das war irgendwann... neunzehnhundert vierzig? Vielleicht auch etwas Später.“ Versuchte sie sich, fast schon gleichgültig zu erinnern.
„Du hast deinen Vater ermordet?“ Fragte ich ungläubig. Wie konnte man so etwas bloß jemanden antun, der einem das Leben eingehaucht hat?
„Natürlich, das ist Tradition. Nachdem ich auf die Welt gekommen bin, hat er sich nicht mehr um ein Königreich, sondern bloß noch um die Wissenschaft gekümmert. Er war besessen von dieser verdammten Elektrizität und dachte damit uns Vampire noch stärker zu machen. Stattdessen hat er bloß diese lästigen Menschen voran geschubst mit seinen Entdeckungen.“ Die Augen verdrehend winkte sie ab. Tesla, Elektrizität und Erfindungen? Da klingelte doch etwas bei mir.
„Aber er ist dein Vater!“
„Und ein schlechter König. Die Vampire brauchen eine autoritär regierende Hand, sonst tun sie noch was sie wollen. Daher tötete ich ihn und nahm seinen Platz ein. Das ist alles, was unter Vampiren gilt, das Gesetz des stärkeren. Sie sind immer zufrieden, wenn nicht sie die Krone tragen müssen, wenn jedoch plötzlich einzelne beginnen sich aus dem Takt des Gesetzes zu bewegen, dann werden sie natürlich unruhig, fordern das etwas getan wird, oder übernehmen selbst. Ruhe ist für uns das Wichtigste.“
Okay... also keine Vampirkrone für mich. Definitiv nicht!
Jedoch verstand ich allmählich, weshalb sie noch nicht vom Aussterben bedroht waren. Natürlich gab es unter ihnen Mischlinge wie Herold, Elth und Elths Vater, doch schienen sie kaum an Bedeutung zu haben. Die Elite, konnte ich mir vorstellen, hielt sich streng an ihre Traditionen und lebte gemütlich in den Tag hinein.
„Jetzt zu dir. Du hast meine Frage nicht beantwortet. Welchen Typ Mann bevorzugst du, dann kann ich Herold losschicken einen geeigneten Kandidaten für dich zu finden.“
Was? Schon wieder dieser Unsinn? Wie lange gingen wir denn eigentlich noch? Meine Beine fühlten sich bereits schwer an und ich unterdrückte ein erschöpftes Gähnen, da es unhöflich wäre jetzt zu nörgeln. „Darüber habe ich mir wohl noch nie Gedanken gemacht. Bevor ich in das Haus... meiner letzten Pflegeeltern kam, machte ich mir bloß sorgen, irgendwo zu bleiben und zu hoffen Freunde zu finden. Im Haus meiner Pflegeeltern gab es da... Elth...“ Schon alleine bei seinen Namen wurde ich wieder wütend. „Er hat es seitdem nicht zugelassen, das mir irgendjemand zu nahe kommt.“
„Dann ist er ein überraschend guter Wächter. Immerhin hat er deine Jungfräulichkeit bewahrt.“
Danke! Das wollte ich nicht unbedingt von einer Wildfremden hören. „Was ist mit dir? Woher kennst du Elth und weshalb hast du mich einfach so aufgenommen? Ich könnte eine Größenwahnsinnige sein, die versucht dir die Krone wegzunehmen.“ Nicht das es für mich in Frage käme, doch für ganz Helle hielt ich sie auch wieder nicht.
„Elth kenne ich seit gut … dreißig Jahren, denke ich. Vielleicht auch bereits vierzig, ich habe es nicht so mit den Jahren. Sie verfliegen viel zu schnell, wenn man ist wie ich.“
Was? Noch so eine verrückte Überraschung. Dabei wusste ich doch, das Menschwesen ebenfalls ziemlich alt werden konnte, jedoch niemals älter als dreihundert Jahre. Mischlinge vermutlich noch weniger.
„Ich lernte ihn durch seinen Vater kennen, er ist so etwas wie eine verlängerte Urteilshand der Adeligen.“ Was das bedeutete, konnte ich mir gut vorstellen. „Er wollte seinen Sohn ebenfalls in diesen Reihen wissen, doch verschaffte ich ihm einen besseren Job. Und zwar mich zu unterhalten. Das tat er einige Jahre, doch dann langweilte er mich. Ich mochte seine Art und vor allem seine Bettfähigkeiten, doch schlussendlich ist er bloß ein Mischling. Nichts mit dem ich mich lange aufhalten möchte. Kurz danach wurde er dein Wächter, soweit ich informiert bin. Er bat mich dich zu retten, da er dachte, dass Menschenblut dir bestimmt helfen kann. So wie Menschwesen heilen, wenn sie sich verwandeln, heilen Vampire, wenn sie trinken. Wie man sieht, hat es gut funktioniert. Ich rieche keinen Verfall mehr an dir.“
Elth hatte mich... gerettet? Wieder einmal. Und zu allem Überfluss war er auch einmal das Betthäschen der Vampirkönigin? Verdammt, ich wusste wirklich rein gar nichts über diese bösartige Katze. „Welcher Verfall?“
„Deine Organe. Das Gift hat zuerst dein Gehirn angegriffen, dich verändert. Gael wusste offenbar das zu verhindern, oder vielleicht hat auch eine deiner Verwandlungen geholfen, jedenfalls wich das Gift aus deinem Gehirn, doch setzte sich in deinen Organen fest. Sie versagten Tag um Tag immer mehr. Jetzt bist du hier und Kern gesund.“
Offensichtlich. Trotzdem bin ich noch wütend. „Ja, ich wurde wie eine Ware herum gereicht, das ist sehr tröstend.“ Spottete ich und bereute es sogleich. Wieso hielt ich nicht einfach meine Klappe?
Forschend wandte sich Nanina mir zu und achtete dabei scheinbar überhaupt nicht mehr auf ihren Weg. Erst als ich verlegen zu Boden sah, blickte sie wieder nach vorne. „Du bist verletzt. Das überrascht mich.“
Wie bitte?
„Für meine Wenigkeit würde man überhaupt nichts zahlen. Man würde mich einfach ersetzen. Freu dich, dass du jemandem so viel Wert bist.“ Das verstand ich nicht. Ich dachte, die Königin hätte mich Elth abgekauft?
„Ihr sagtet doch, dass Elth euch an mich verkauft hat, oder stimmt das etwa nicht?“
Sie nickte bestimmend.“ Natürlich. Er hat seine versprochen vier Millionen erhalten, für den Schutz der letzten Jahre. Ich werde es von Gael zurückerstatten müssen.“
Von einem Moment auf den anderen musste ich lachen. Es klang aufrichtig, laut und ließ meinen gesamten Körper beben, während Bauchkrämpfe dank dieser verdammten Narbe einsetzten. Vier Millionen? Diese Katze hatte wirklich Talent dafür Geld zu verdienen. „Was ist so lustig?“ Nanina hatte mein Gelächter mir offenen Interesse verfolgt und auch jetzt stand sie noch da, versuchte, mich zu verstehen.
Als auch der letzte Lachkrampf nach gelassen hatte, strich ich mir eine gelöste Träne aus dem Augenwinkel und strahlte diese verrückte Vampirkönigin an. „Da hat er Sie ganz schön über den Tisch gezogen.“
Fragend legte sie ihr hübsches Köpfchen schräg und verstand wie ich kein einziges Wort.

Der Chat

Drei Tage später, saß ich immer noch bei Nanina fest. Ich hatte einen beinahe reinrassigen Vampir zur Verfügung gestellt bekommen, damit er sich um meine Ernährung und andere Dinge kümmert, die ich benötigen würde. Zudem, das aller beste, ich hatte wieder Internet! Ich fasste es kaum, Internet! Das hatte ich bereits seit beinahe zwei Monaten nicht mehr gehabt. Wie die Zeit verging, beinahe als wäre sie spurlos an mir vorbei gezogen, doch das ist sie nicht. Ich fühle sie, jeden einzelnen Moment. Jede Verwirrung, jeder Ärger, jede Trauer. Und alles musste ich ohne Coria bestreiten.
Sie fehlt mir, sehr sogar. Auch wenn sich im Grunde nichts geändert hat, da ich sie ja bereits seit einigen Jahren nicht mehr sehen konnte, jedoch das hier war etwas völlig anderes. Sie ist tot. Endgültig und für immer. Nichts konnte sie jemals zurückholen, egal was ich versuchen würde. Zudem würde es kaum etwas ändern. Ich bezweifelte, würde sie zurückkehren, dass ich ganz plötzlich wieder ein normaler Mensch werden würde.
Ein Mensch zu sein, das vermisste ich eigentlich sogar, wenn ich ehrlich war. Doch bin ich offensichtlich nicht besonders gut darin. Ich gehörte nirgendwo dazu, die einzigen die mich einfach akzeptierten, waren meine besten Freunde. Um sie war es mir ganz ehrlich schade. Was sie wohl trieben?
Da kam mir ein Gedanke! Ich konnte mich nicht auf meinen alten Accounts anmelden, sondern machte einen neuen auf einer Chatseite, wo sich Nadja beinahe immer befunden hatte. Es handelte sich dabei um eine Metalseite, da sie mit vielen kleineren Bands befreundet sind. Wenn ich da vielleicht... Geschafft! Ich konnte einen neuen Account, unter falschem Namen und falschen Daten erschaffen.
Nanina saß einige Meter weiter von mir abgewandt, vor ihrem alten, bereits rußigen Kamin und trug aus einem ihrer vielen kristallenen Gläser eine dunkelrote Flüssigkeit. Natürlich befand sich kein Wein darin. Währenddessen las sie ein Buch, welches sich um Poesie handelte und sehr schwer zu verstehen sei. Zumindest gab sie für einen Moment damit an, bevor sie sich in den Seiten verlor.
Grinsend suchte ich meine beste Freundin heraus. Schnell fand ich sie in einer Standartgruppe und schrieb ihr eine recht informative Nachricht. >Hi< Mehr fiel mir einfach nicht ein. Ich konnte kaum damit beginnen, das es mir gut ginge. Das geht es mir noch lange nicht.
>Wer bist du?< kam sofort zurück.
>Dein schlimmster Albtraum< Kichernd schrieb ich ihr das zurück und wartete geduldig auf eine Antwort.
Es dauerte etwas, doch dann kam etwas das mich überraschte. >Kann deinen Namen nicht eingeben, Handschellenheinis überprüfen vermutlich immer noch unsere Chats. Sorry, für diesen Test, aber muss sein. Was war das letz,t über das wir uns unterhielten?<
Ja! Sie ist es. Nadja! Meine beste Freundin, sie ist es. Mein Herz sprang mir beinahe aus der Brust und in meine Augenwinkel traten Tränen. >Meinst du die Sache mit dem heißen Boy, oder die Sache mit der Infektion?< Ich konnte mich selbst nicht mehr so gut daran erinnern, was unser letztes Thema gewesen ist. Verdammt, jetzt weinte ich doch.
>Scheiß verdammte! Du bist es wirklich! Wo bist du? Wie geht es dir? Ich vermisse dich so sehr, Babe.<
>Vergiss das -wo- sonst stecken wir ebenfalls in der Scheiße drin. Beantworte bloß die andere Frage.<
Ich unterdrückte ein Lachen und dachte über die anderen beiden nach. Die Erste konnte ich so wie so unmöglich beantworten. Wer würde mir das schon glauben? Aber die anderen? >Ich weiß es nicht. Ich fühle mich... überfordert. Aber viel wichtiger, wie geht es dir? Wie geht es Denis? Ich vermisse euch so sehr, wünschte ich könnte euch sehen und knuddeln und... nie wieder loslassen Mittlerweile hatten sich die ersten Tränen gelöst.
>Hi, Vogelscheuche. Nadja kann vor weinen nicht mehr schreiben. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Du bist einfach in einer Nacht und Neben aktion abgehauen. Wieso hast du uns nichts gesagt? Wir haben drei Wochen darauf gewartet, dass du bei uns erscheinst.<
Tatsächlich? Sie dachten wirklich, ich würde mich bei ihnen verstecken und sie einer solchen Gefahr durch die Polizei aussetzen? Anders gesehen, sie wollten mich tatsächlich verstecken? >Ihr geistesgestörten Idioten! Ich würde euch doch niemals in eine solche Scheiße hinein ziehen. Ihr seid meine besten Freunde, ich liebe euch<
Jetzt sah ich selbst kaum noch etwas vor Tränen. >Was ist denn jetzt eigentlich passiert? Wieso bist du abgehauen?<
Puh, schwer zu beantworten. Es wäre ja nicht so, als hätte ich es freiwillig gemacht. >Wenn man es genau nimmt, bin ich mit Sam abgehauen. Oder eher, er hat mich einfach mitgenommen.< Gab ich zu. Ich musste ja nichts über seine wahre Identität ausspucken.
>Igitt! Ich dachte, ich hätte dich besser erzogen, Süße. Tatsächlich? Sam?<
Für einen Moment stockte ich, bevor ich realisierte, was sie verstanden hatten. >Was?! Nein! Igitt, nein natürlich nicht – deshalb - Das wäre doch... Igitt!< Schrieb ich erheitert zurück.
>Wieso seid ihr dann beide verschwunden? Wir haben gehört, dass Sam ausgezogen ist und das bereits länger geplant war. Jedoch fand ihn die Polizei nirgendwo. Nicht einmal in irgendeiner Geburtsakte! Wo bist du da bloß hinein geraten, Süße?<
Oh... Wundern sollte es mich eigentlich nicht, das die Polizei seinen Hintergrund natürlich ebenfalls überprüft. Und einen Sam konnten sie wohl kaum finden.
>In etwas Kompliziertes, aber keine Sorge, mir geht es gut.< So mehr oder weniger. >Mit Sam habe ich überhaupt keinen Kontakt mehr, er ist einfach verschwunden.< das stimmte doch auch. >Und jetzt lebe ich bei einer Freundin.<
>Wieso hast du dich dann so lange nicht gemeldet?<
>Ich konnte nicht wegen Ermangelung an Internet< Scherzte ich.
>Wir vermissen dich so sehr, wann kommst du nach Hause? Wann kannst du zu uns?<
>Wenn alles gut geht, dann ein paar Tage nach meinem Geburtstag. Ich vermisse euch ebenfalls.<
>Was? So spät erst. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Du tauchst jetzt innerhalb der nächsten Sekunden vor meiner Haustüre auf, damit ich dich umbringen kann!<
Wenn da bloß möglich wäre.
>Ich wünschte, es wäre so einfach. Aber zuerst muss ich nach meinem Geburtstag, das mit diesen dämlichen Behörden regeln, dann komme ich ganz sicher zu euch.<
Ob ich dieses Versprechen halten konnte?
„Kannst du so etwas denn versprechen?“ Mit einem erschrockenen Schrei fuhr ich aus dem gemütlichen Ohrensessel hoch und verlor dabei beinahe den geliehen Laptop. Bestürzt sah ich Nanina an. „Das ist privat, verdammt!“ Schimpfte ich. Mist, eigentlich bin ich doch selbst schuld, ich hatte mich bloß noch auf die Worte meiner Freund konzentriert.
„Ich habe dich weinen gehört, da wurde ich neugierig. Wenigstens bist du nicht so dumm etwas auszuplaudern.“ Man konnte unmöglich sagen, ob es sich dabei um ein Lob handelte, doch ließ ich mich wieder in den Sessel zurücksinken und beendete das Gespräch.
>Es tut mir leid, ich muss Schluss machen. Meine Mitbewohnerin und ich haben noch etwas zu erledigen. Ich liebe euch, bis bald.<
Sie schrieben noch total viel, abwechselnd, zurück, das ich mich ja wieder melden solle bis zu meinem Geburtstag und aufpassen soll und, und, und. Gerührt schloss ich den Chat und surfte weiter auf der Shoppingseite, die ich eigentlich besuchen solle. Natürlich konnte ich mir nicht ewig etwas von Nanina leihen, daher hatte sie beschlossen, ich solle auf ihre Kosten einkaufen. Möbel, Kleidung, alles was ich einfach brauchen würde. Sobald ich selbst Königin sei, würde sie es mir einfach in Rechnung stellen und wenn ich ein interessantes Wesen werden solle, würde ich es auf >jede erdenkliche Weise< zurückzahlen dürfen.
Was ich jedoch davon halten sollte, wusste ich nicht recht.
Das Zimmer das ich bekommen hatte und in den nächsten Wochen wirklich mir gehört, bis ich endlich hier ausziehen konnte, besaß bloß ein Bett und ein geräumiges Badezimmer. Den Rest musste ich mir nun selbst besorgen, da sie ja meinen Stil nicht kennt. Zumindest behauptete sie es immer. Eigentlich ist sie einfach faul. Und ja! Es gibt tatsächlich faule Vampire!
Na gut, vielleicht konnte man nicht unbedingt >faul< sagen, doch eine besonders motivierte Person ist sie jedenfalls nicht.
Zu Mittagessen hin, wurde ich fertig mit meinen Bestellungen, gerade rechtzeitig, um von meinem Diener Alex gerufen zu werden. Stumm folgte ich ihm in das Esszimmer, welches sich im selben Stockwerk wie das Wohnzimmer befand, in dem sich Nanina beinahe rund um die Uhr aufhielt. Genüsslich, doch nicht besonders energiegeladen, aß ich meine Suppe, meine Hauptspeise und kostete ein paar bissen von der Nachspeise. Alles in allem war es überhaupt nicht übel, auch wenn größtenteils der Geschmack einfach fehlte. Auch als Vampirmischling besaß mein Koch keine ausgeprägten Geschmacksknospen und etwas anderes wollte Nanina nicht in ihrem Schloss beherbergen.
Jemand Reinrassiges war zu gefährlich für mich und die restlichen Arten wollte Naina nicht hier haben, da es sich für eine Königin nicht gehörte. Ich jedoch galt als große Ausnahme. Immerhin bin ich eine Prinzessin.
Als ich wieder in das Wohnzimmer zurückkam, hatte sich Nanina nicht einen Zentimeter bewegt. Viel mehr sah es danach aus, als wäre sie einfach in der Zeit erstarrt. Ist so etwas überhaupt möglich? Für Vampire offensichtlich, immerhin alterten sie langsamer als jede andere bekannte Art. Mit Ausnahme von Engel, die alterten überhaupt nicht. Und bei Feen war ich mir nicht sicher. Sie alterten ebenfalls nicht, doch weder hatte man jemals von Kinderfeen gehört, noch von Greisen.
„Herrin! Besuch für Euch.“ Der Butler erschien wie aus dem Nichts ganz plötzlich neben Nanina, doch sie schien sich nicht einmal ansatzweise so sehr zu erschrecken, wie ich es tat. Wäre er neben mir auf diese Weise erschienen, hätte ich bestimmt einen Herzinfarkt erlitten.
„Um wen handelt es sich?“
„Um einen Gast, meine Herrin.“ Langsam fiel der Blick des Butlers auf mich, bevor er sich zur Königin hinab beugte und ihr etwas in das Ohr flüsterte, das von kräftigen Locken verhangen wurde.
„Ich verstehe. Führe sie in ihr Zimmer.“ Der Butler verschwand so schnell, wie er gekommen war und Nanina kam auf die Beine. „Nun, denn. Es wird Zeit, dass wir uns zurechtmachen, meine Liebste.“
Zurechtmachen? „Für was denn?“

22. Meine kaltherzige Opernerfahrung

„Das ist wirklich in Ordnung? Ich fühle mich so... eingeengt.“ Zweifelnd besah ich mein Kleid im Spiegel und drehte mich zweifelnd um mich selbst.
Nachdenklich musterte Nanina mich von oben bis unten, bevor sie zögerlich nickte. „Nur gegen dein langweiliges Haar müssen wir etwas unternehmen.“ Beschloss sie und machte sich direkt daran, Hendric verschiedene Utensilien aus ihrem Ankleidezimmer zu besorgen.
Mein gelbes, trägerloses Kleid rechte von meiner Brust, bis hinunter zum Boden und wurde hinten mittels eines schwarzen Bandes in Form gebracht. Um einen Kontrast zu erstellen, wurde außerdem ein schwarzes Band um den Bauch gebunden und vorne kam eine niedliche Masche daran. Eigentlich mochte ich niedlich überhaupt nicht und in diesem Kleid sah ich fürchterlich danach aus. Jedoch wurde dieses ganze Bild von mehreren schwarzen Applikationen zerstört, in Form von Fledermäusen mit ausgebreiteten Flügel. Sie zogen sich von meiner Brust bis hinunter zur Knie, wobei sie immer weniger wurden. Insofern wirkte ich gruselig, niedlich? Konnte man das so benennen?
Nanina wiederum wirkte schaurig in ihrem weinroten Kleid. Ihre Schultern wurden zum Teil von breiten Trägern verdeckt, doch wie zu erwarten, trug sie nichts anderes als einen tiefen Ausschnitt. Der Stoff bestand, im Gegensatz zu meinem, aus Polymer und Satin und war wesentlich stärker aufgebauscht als mein eigenes. Zum Ende hin, den ihr Kleid, reichte genauso wie meines, bis zum fein säuberlich polierten Boden, wurde die oberste Stoffschicht nach oben genäht und drei wunderschöne, echte, Rosen zierten diesen einmaligen Anblick. Weis endete das Kleid auf dem Boden, wobei ich mir vorstellen konnte, das es nicht den ganzen Abend weiß bleiben würde.
Damit der Stoff nicht zu stark auf dem Boden streifte, trugen wir beide hohe Schuhe, wobei ich mich darin nicht ganz so sicher fühlte wie Nanina.
„Ich habe mir erlaubt, Ihnen sogleich das gesamte Kästchen mit zu nehmen, falls Ihr einen Inspirationsschub erleben solltet. Langsam neigte sich Herold tief vor seiner Herrin und reichte ihr einen silbernen Koffer. Als sie ihn öffnete, stellte ich überrascht fest, das in dieses kleine Teil unglaublich viel hinein passte. Über prachtvolle Spangen, Federn, einfache Spangen um die Haare zurechtzumachen, Zöpfe so wie einige Haarreifen, die hier noch Platz fanden. „Oh! Das ist... viel Zeug.“ Stellte ich fest.
Mit einem verschwörerischen Grinsen, steckte Nanina den Lockenstab an und wirkte dabei, als hätte sie einige gefährliche Waffe in der Hand. „Dann lass uns aus >langweilig< etwas >besonderes< machen.“
Ich ahnte Böses! Normalerweise trug ich meine Haare zu einem leichten Zopf, oder einfach offen, ohne sie besonders zu stylen. Dafür hatte ich bisher niemals einen Grund gehabt.
Als ich jedoch sah, was sie aus meinem >langweiligen< Haar machte, war selbst ich beeindruckt. Nicht das Nanina viel verändert hätte, denn sie teilte meine Haare in drei Teile. Den vordersten Teil kämmte sie nach hinten und ließ bloß einzelne Strähnen heraus hängen, band den obersten Teil zu einem Zopf und drehte einige Zöpfchen hinein. Wie es hinten aussah, konnte ich nicht erkennen, doch ich spürte, dass ich viel zu viele Spangen an meiner Kopfhaut trug. Den unteren Teil, im Nacken, ließ sie glatt meinen Rücken hinab hängen und lockte noch einige Strähnen, damit sie luftiger sprangen.
„Siehst du? Wenn du dir mehr Mühe machen würdest, könntest du jeden Tag zur jeder Stunde so hübsch herum laufen.“
Dabei musste man jedoch hinzufügen, dass sie diese ganze Frisur, in weniger als einer Minute zusammen gedreht hatte, mittels Vampirgeschwindigkeit. Hätte ich diese Geschwindigkeit ebenfalls drauf, würde ich es vermutlich sogar so machen, wie Nanina sagte. „Das sieht... anders aus.“ Nuschelte ich begeistert, während Nanina ihre eigenen Haare natürlich von Herold herrichten ließ.
„Danke, Herold.“
„Selbstverständlich, Herrin.“ Wie ein Lufthauch verschwand der Butler der Königin einfach aus dem Zimmer, mitsamt aller Haarutensilien.
Wie zu erwarten, war trotzdem noch immer Nanina die schönere von uns beiden. Neben mir wirkte, sie beinahe wie die Ballkönigin. Bloß das sie genau das war. Die Königin auf einem angeblich wichtigen Ball. Auf ihrer erhöhten Frisur, war eine goldene Krone eingearbeitet. Die restlichen blonden Haare, trug sie zu einem ausgefransten Seitenzopf auf ihrer linken Seite. Einige lose Strähnen ließen das alles nicht so steif wirken, sondern viel mehr verspielt.
„Ich bin unzufrieden. Aber wir sollten los. Smiths ist immer so launisch, wenn ich später als eine Stunde zu spät komme.“
Eine Stunde? Wer kam schon eine Stunde absichtlich zu spät? Ach, bei Nanina sollte mich so etwas vermutlich überhaupt nicht wundern. Aber das sie mich da auch noch mit hinein zog?
Ergeben folgte ich der seltsamen Vampirkönigin drei Stockwerke höher. Bisher bin ich noch nicht dahinter gekommen, wie viele Stockwerke dieses Schloss besitzt, aber mir war klar, das sie ohne mich wesentlich schneller unterwegs sein würde. Jeder Raum, soviel ich wusste, war großzügig angelegt und die Gänge daher ziemlich langwierig. Für Vampire war es ein Weg, den sie innerhalb von Sekunden zurücklegen konnte, doch bei meiner menschlichen Geschwindigkeit, gingen wir beinahe fünfzehn Minuten durch das Anwesen.
Wer zum Teufel baut so ein Schloss? Das ist doch wahnsinnig!
Als wir endlich vor einer noch verschlossenen Türe ankamen, standen zwei Vampirwächter davor und erwarteten die Anweisungen ihrer Königin. Das hier noch mehr Vampire waren? Nanina hatte doch gesagt, das es normalerweise bloß sie und ihren Butler hier gab. Andererseits, wenn man Gäste hatte, konnte der Butler nicht an jedem Ort gleichzeitig sein und gleichzeitig für die Sicherheit, der Reinrassigen garantieren. Vermutlich sind es engagierte Wächter so wie die persönlichen, die unter der Hand der Reinrassigen dienten.
Mit einem Wink deutete Nanina das Tor zu öffnen, nachdem sie ihre >Pose< noch einmal in einem der vielen Spiegel hier im Gang überprüft hatte, daraufhin erklang ein >Gong<.
Langsam, ungewöhnlich langsam für Vampire, schwang die Türe auf. Vermutlich wollte sie nichts lieber als einen dramatischen Auftritt. Jedoch das wovor wir standen, war keinesfalls ein Saal, in dem sich mehrere Gäste befanden, sondern etwas völlig verblüffendes. Es handelte sich um eine Oper!
Wer zum Teufel besaß eine Oper >in seinem Haus<? Im selben Moment in dem sich die Königin gemäß ihres Standes auf den großen prunkvollen Thron setzte, über dem ein Sichelmond so wie Raben und Fledermäuse aus Metall, oder Silber, geschmiedet waren, gingen die Lichter aus. Überall wo ihr zierlicher Körper den äußerlich prachtvollen und scheinbar unbequemen Thron berührte, war alles weich gepolstert, sodass sie sich sogar gemütlich darauf zusammen rollen könnte. Herold brachte mir ein Paar Ferngläser, die ich dankend entgegennahm. Mit ihnen konnte ich ganz klar unterscheiden, welchen Stand, wer bekleidete. Alle Frauen trugen solche elegante und mühsam bereiteten Kleider wie Nanina und ich, während die Männer teure Smokings an hatten, die ihrem Körper schmeichelten.
Um mit mir selbst ehrlich zu bleiben, sah ich hier keinen Einzigen, den ich als >normal< bezeichnen würde. Selbst ohne diese teuren Kleider, den Schmuck so wie feinen Frisuren, sähen all diese Leute atemberaubend schön aus. Ich korrigiere... diese Vampire.
Die Oper begann.
Anfänglich war noch alles still. Niemand sprach, selbstverständlich, niemand bewegte sich, das überraschte mich ebenfalls nicht mehr, bloß das Arbeiten der Maschinen über uns konnte ich hören. Eines der Lichter, die ich durch meine Blickwinkel, irgendwo über mir, nicht sehen konnte, ging an und der erste Akt begann.
Ich war bisher niemals in einer Oper. Mit wem denn auch? Oder gar wann?
Noch einmal berührte mich Herold, um auf sich aufmerksam zu machen, und reichte mir so etwas wie ein kleines Buch. Mit einem Nicken dankte ich. Überrascht das es kein Buch, sondern eine Programmübersicht war, verstand ich plötzlich auch weshalb.
„Das ist ja auf rumänisch.“ Flüsterte ich so leise, wie ich konnte, da Vampire ein übernatürliches Gehör besaßen.
Nanina nickte bestätigend, ohne einen Laut von sich zu geben. Zum Glück besaß ich dieses Programm, worin sich die volle Übersetzung befand. Trotzdem wurden dies die langweiligsten Stunden, die ich bisher erlebt hatte. Irgendwann während des Geschehens, schloss ich die Augen und träumte ein wenig vor mich hin, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben.
Die rhythmischen Klänge von unten machten mich zwar etwas schläfrig, doch ich konnte nicht einschlafen. Dafür fürchtete ich mich viel zu sehr davor mich lächerlich zu machen, oder noch schlimmer den Zorn der Königin auf mich zu ziehen. Jedoch musste ich zugeben, dass mir die Musik einigermaßen gefiel. Trotzdem kam ich mit dem Stück nicht wirklich mit, selbst als ich meine Übersetzung das zweite Mal durch hatte. Natürlich verstand ich, um was es ging, doch es interessierte mich nicht wirklich. Aber die Bühnenbilder gefielen mir.
So suchte ich die nächsten Stunden immer wieder irgendwelche positiven Argumente mit denen ich eventuell, mit etwas Glück argumentieren könnte. Nach einer solchen Veranstaltung, unterhielt man sich doch darüber, oder nicht?
Als es endlich zu einem Ende kam und die Lichter wieder im ganzen Saal angingen, konnte man erkennen, wie in die lebenden Leichen ganz plötzlich das Leben ausbrach. Von allen Seiten hörte man wie Stühle verschoben und Türen geöffnet wurden.
„Ein wunderbares Stück Heimat, nicht wahr?“
Überrascht blickte ich zu Nanina, welche ihr Kleid glättete. „Ihr kommt aus Rumänien?“
Still lächelnd verließ Nanina unseren kleinen Raum und ließ mich mit dieser Frage alleine. Kamen etwa alle Vampire daher? Oder war es wie bei den Menschen, das es sie einfach überall gab und es galt bloß für Naninas Verwandtschaft?
Zwei Stockwerke tiefer, trafen wir auf eine relativ große Ansammlung von Vampire. Alle waren definitiv älter als ich, doch wirkten sie jung und frisch, als hätte eine Fabrik sie gerade eben ausgespuckt. Gruselig dieses Volk.
„Ah! Meine verehrte Königin. Wie schön Euch endlich wieder einmal anzutreffen.“ Mit einem Kniefall verneigte sich der schwarzhaarige Vampir vor Nanina und küsste galant ihren Handrücken. „Wie immer war Ihre Vorstellung einfach einmalig. Sie stecken voller Überraschungen, meine Angebetete.“ Mit einem Lächeln für Gewinner kam er wieder hoch, doch Nanina schien ihn kaum zu beachten. „Leopold Stradin. Darf ich dir Prinzessin Edelle vorstellen?“
Mit einer eleganten Geste deutete sie auf mich, woraufhin besagter Leopold Stradin einen Kniefall vor mir machte. „Verehrte, ich wusste überhaupt nicht, dass Ihr eine solch bezaubernde Tochter besitzt. Noch regelrecht ein Baby.“ Mitten im Handkuss verharrte er und hob seine Nase. „Ein Mensch?“ Das schien den Vampir ernsthaft zu überraschen.
„Ach, Stradin, wie immer seid Ihr viel zu Hitzköpfig. Das sollte doch meine Überraschung werden.“
Eine junge Dame in Blau und ebenfalls dunklem Haar, erschien neben uns und machte einen damenhaften Knicks vor der Königin, bevor sie ihr ebenfalls einen Handkuss gab.
„Fahr ruhig fort, Samina.“ Forderte die Königin ihre Untergebene auf, die Situation aufzuklären.
„Nett Sie persönlich kennen zu lernen, mein Name ist Samina Rugrez. Ich bin eine alte Freundin von unserer allseits geliebten Königin und entschuldigen Sie bitte den Überfall.“ Bevor ich es schaffte den Mund zu öffnen, wandte sich Samina bereits den anderen Vampiren zu. „Darf ich vorstellen? Das hier ist nicht irgendeine Prinzessin. Es ist >die< Prinzessin<.“
Einstimmiges Murmeln breitete sich in dem Flur aus und dauerte eine gefühlte Ewigkeit an. Peinlich berührt, versuchte ich, höflich zu lächeln, doch Vermutete, dass es stark erzwungen aussah.
„Sie ist die Zweitgeborene, meinen letzten Ermittlungen zufolge ist die Erstgeborene vor zwei Monaten tragisch verstorben. Dass sich jedoch >die< Prinzessin in dem noblen Schloss unserer Majestät nieder gelassen hat, ist noch viel beeindruckender.“
„Und dennoch hast du es herausgefunden, meine Liebe.“ Lobte Nanina, wobei es beinahe wie ein Vorwurf klang, und legte eine Hand auf meine Schulter. „Wegen tragischen Umständen musste Edelle bei mir Unterschlupf suchen. Eine dunkle Fee hat einen Anschlag auf sie verübt, deshalb benötigte man meinen allseits geschätzten Rat.“
So konnte man es natürlich ebenfalls ausdrücken, wenn man mich kaufte. Aber wie könnte ich mich beschweren, nachdem sie es irgendwie geschafft hatte, dass ich mich verwandle.
„Miss, wie lange habt Ihr denn noch bis zu Eurem Geburtstag?“
„Ist es wahr? Habt Ihr Eure Schwester getötet?“
„Zweitgeborene sind unzuverlässig. Weshalb löscht man sie nicht aus und wartet auf die nächste Generation?“
„Ach, seien Sie nicht so, Verehrteste.“
„Habt Ihr bereits Favoriten?“
Allmählich kam ich mir vor, als würde ein Haufen Journalisten sich um mich versammelt haben. Sobald ein Blitzlichtgewitter Anfänge, würde ich die Beine in die Hand nehmen und weglaufen.
„Aber, aber! Jetzt bitte ich um Ruhe! Wir sind zum Vergnügen hier, nicht um ein verängstigtes Lamm in die Ecke zu drängen.“ Beschwerte sich Samina lachend und deutete auf die Königin. „Bestimmt hat unsere Königin völlig andere Pläne mit uns, wir sollten Sie sprechen lassen.“
Bestimmt nickte Nanina und deutete in die Richtung der Treppen. „Wenn Ihr nun bitte alle im silbernen Salon Platz nehmen würdet, wäre ich Ihnen allen recht verbunden.“
Wie Geister lösten sich die Vampire nacheinander einfach in Luft auf, bis lediglich Mr. Stradin und die Königin sich in meiner Nähe befanden. „Meine Königin, erweist Ihr mir die Ehre, euch zu begleiten?“
Die Königin nickte. „Wenn Ihr es wünscht Euch im menschlichen Tempo fortzubewegen, dann werde ich euch nicht davon abhalten.“
Kurzerhand hakte sich die Königin bei mir unter und begann einen Plausch, während sie unsere Begleitung einfach ignorierte. Mr. Stradin schien das jedoch keinesfalls zu stören. „Und, Edelle meine Liebe, wie hat dir mein Programm gefallen? Es stammt von einem berühmten menschlichen Künstler Mihai Eminescu aus Rumänien. Die Großeltern meines Vaters stammen von dort her, bevor sie in die Neue Welt kamen um sich hier einen gänzlich neuen Platz zu sichern.
„Euer Vater ist doch der berühmte Elektrotechniker, nicht wahr? Unter den Menschen zumindest war er bekannt für seine Forschungen so wie Erfindungen.“
Nanina nickte bestätigend. „Ja, Nikola Tesla nannte er sich zu dieser Zeit. Wenn du mich fragst ein lächerlicher Name für einen ehrenvollen Rumänischen Mann wie meinen Vater.“
Nachdenklich knabberte ich auf meiner Unterlippe herum. Tesla, ein gefürchteter Vampir? So etwas hatte ich im Physikunterricht nicht gelernt, was wohl die anderen Schüler über diesen Fakt halten würden? Es wunderte mich generell, dass ich seinen Namen nicht vergessen hatte. Ansonsten vergaß ich so gut wie alles, was ich im Unterricht können musste.
„Gab es eigentlich noch mehr Solcher >menschlichen< Berühmtheiten, die eigentlich übernatürliche Wesen sind?“ Es war bloß so ein Gedanke, aber das eine oder andere würde dadurch erklärt werden.“
Nanina lächelte aufrichtig. „Hin und wieder, vielleicht.“
Mit dieser Information konnte ich zwar nicht viel anfangen, doch ich stellte mir vor, dass es sich wohl um ein >Ja< handeln musste, doch sie nicht näher darauf eingehen wollte. Wie gemein. Trotzdem lächelte ich zurück.
Einige Minuten später standen wir vor einer großen zweiflügeligen Türe, auf welchem sich ein Wappen befand, das ich nicht kannte. Ich überlegte ob ich Nanina darauf ansprechen sollte, doch als sich die silberne Türe öffnete, empfing uns bereits ein recht gemütlicher Raum.
Der so genannte >Salon< war nicht unbedingt etwas, was ich mir so vorgestellt hätte. Gemütliche Bänke, Sitzecken so wie unzählige Regal mit verschiedenen Materialien darin. Einige konnte ich als Weinsorten identifizieren, doch bezweifelte ich dass sich hinter den Etiketten >A<, >B<, >AB< so wie >0< etwas alkoholisches befand.
Mit hochgezogenen Augenbrauen ignorierte ich die gekühlten flüssigen Nahrungsmittel der Vampire und ließ meinw Augen weiter durch den Raum schweifen. Auf dem gesamten Boden lagen weiche Teppiche und grenzten je nach Zeichnung darauf bestimmte Bereiche ab. So zum Beispiel gab es eine weiße Sitzgruppe mit weißem Teppich und schwarzen Mustern. Eine gräuliche Sitzecke mit goldenen Muster und etliche mehr.
„Entschuldigt unsere Verspätung meine Freunde.“ Entschuldige sich Stradin für uns alle und schien jemanden zu entdecken, den er ganz dringen sprechen musste. Was für ein seltsamer Typ.
„Haben wir etwas verpasst?“ Fragte Nanina und wandte sich an die nächste Gruppe, die in einem hellblauen Bereich saß. Bestehend aus sieben Leuten, deutete sie uns näher zu kommen. Sofort lagen wieder alle Blicke auf mir. Selbst aus dem hintersten Eckchen konnte ich bohrende Nadeln fühlen. Offenbar hatte sie alle einen Narren an mir gefressen, doch die Unterstellung meine eigene Schwester getötet zu haben, nagte tief in mir. Aber andererseits, konnte ich ihnen es verübeln? Besonders nachdem wie mein Fluch überhaupt entstanden ist.
„Wir sind neugierig. Wie habt Ihr den Weg zu unserer Königin gefunden?“
„Ähm...“ Unsicher blickte ich zu Nanina, die mir scheinbar nicht nachhelfen wollte. „Ich wurde von einer dunklen Fae verflucht. Mein... Ich wurde hier her gebracht, in der Hoffnung, dass die Königin in ihrer unendlichen Weisheit mich retten könnte.“
Manche wechselten einen vielsagenden Blick, doch meine Worte schienen durchaus positiv aufgenommen zu werden.
„Eine dunkle Fae?“ Fragte eine von den Frauen, die bereits vorhin skeptisch auf mich reagiert hatten. „Wieso sollte es eine dunkle Fee auf Sie abgezielt haben? Diese nervigen Eintagsfliegen haben doch überhaupt nichts mehr zu befürchten.“ Erinnerte die grün gewandete mich und wirkte durch und durch abweisend. „Das müsstet Ihr ihn wohl selbst fragen. Ich stand anscheinend für kurze Zeit mit ihm in Kontakt und verwandelte mich kontrolliert, doch dann schlug die Wirkung um, meine Organe versagten und ich verlor sämtliche Erinnerungen an diese Stunden. Vermutlich beabsichtigt herbei geführt.“ Anders konnte ich es mir eben einfach nicht erklären.
„Erinnert Ihr Euch denn noch an den Namen dieser Fee?“
Angestrengt dachte ich nach. Ja, das tat ich tatsächlich, zumindest an den Wortlaut. „Irgendwie klang es wie Dornen. Rage Dornen, oder so irgendwie. Er sagte, er wäre der zuletzt geborene einer Erstgeborenen. Ob das stimmt, kann ich allerdings nicht beurteilen.“
Plötzlich fuhr ein Zittern durch die Königin neben mir und eine kalte Aura ging von ihr aus. Ihre ansonsten hellen Augen, wurden zu einem blutgetränkten Rot und aus ihrem Mund ragten weiße spitze Zähne. „Rhage Thorn. Verfluchte Missgeburt! Eigentlich sollte dieses Schwein in der Hölle schmoren.“
Wie Luft verschwand die Königin einfach vor aller Augen. Verwirrt sah ich zu den Gästen, die ebenfalls verstimmt aussahen. „Habe... Habe ich etwas Falsches gesagt?“
Die Frau, die eben noch schnippisch zu gewesen war, wirkte plötzlich viel zu freundlich. „Nein, nein. Das ist bloß der Königin ihre erste Liebe. Sie fanden sich, bevor sie den Thron bestieg. Es war eine junge und leidenschaftliche Beziehung, die genauso schnell verwelkte, wie erblühte. Er nutzte sie bloß aus um ihre Linie zu beschmutzen, als sie dahinter kam, riss sie ihm den Kopf ab.“
„Ihm wahrsten Sinne des Wortes, meine Liebe.“ Kicherte eine andere Frau mit kunstvoll geflochtenen Haar.
„Was bedeutet es, eine Linie zu beschmutzen?“ Fragte ich völlig unverblümt.
„Sie empfing ein Kind von ihm. Es wäre ein Mischling gewesen.“
Entsetzt klappte mir der Mund auf. Die Königin besaß ein Mischlingskind? Das kam unerwartet. „Moment, hätte?“
„Ja, sie riss es sich aus dem Leib mithilfe ihres Vater. Er verbrannte es und danach wurde alles einfach verschwiegen.“
„Aber niemals vergessen.“ Erinnerte ein junger Herr die plappernden Damen.
Scheinbar liebten diese Tratschtanten solche Geschichten. „Ihr eigenes Kind? Wieso?“
„Es gibt einige Wesen, die sich nicht mischen sollten, da es bloß übel ausgeht. Wie zum Beispiel Vampire und Meerjungfrauen.“
„Hexen mit Werwölfen“
Mehrere sogen die Luft ein, als hätten sie sich verbrannt.
„Oh, nicht zu vergessen die Gorgonen! Niemand, wirklich niemand sollte sich mit einem solchen Wesen vermischen!“
Neugierig hakte ich sofort nach. „Was sind Gorgonen?“
„Hach, du weißt ja wirklich gar nichts über diese Welt. Sie kommen hier auf unserem Kontinent zwar nicht vor, doch im Süden von Europa tauchen sie immer wieder auf. Es sind Wesen die exakt Aussehen wie Menschen, sie wachsen auch als solche auf, doch erblinden ab einem bestimmten Alter einfach. Wer ihnen danach in die Augen sieht, erstarrt zu Stein und dafür gibt es bis heute kein Heilmittel.“
Okay, das sagte mir schon mehr. „Davon habe ich doch schon gehört. IN der menschlichen Geschichte wird Medusa als schlangenköpfige Frau dargestellt, die ihre Feinde zu Stein erstarren lässt.“
Wieder lachten einige, als hätte ich etwas Lustiges gesagt. „Der Name ist völlig absurd. Die Menschen haben wirklich eine blühende Fantasie.“
Jetzt verstand ich überhaupt nichts mehr. Die Vampire machten sich doch über mich lustig, oder nicht? „Was meinen Sie?“
„Es gab einmal einen Poeten der sich in eine blinde Priesterin verliebte. Sie genoss das Ansehen, indem sie ständig log, doch meistens mit ihren Prognosen recht hatte.“
„Sie war zur Hälfte Fee.“
„Genau, deshalb hat sie die meisten Unwetter selbst erschaffen, um gut dazustehen.“ Kicherte wieder eine andere in einem teils grünen, teils goldenen Kleid. Irgendwie erinnerte sie mich an eine Sonnenblume. „Jedenfalls der Poet verliebte sich in diese Priesterin, trug ihr andächtige Gedichte vor und betete ihre die Sterne vom Himmel.“
„Kitschig.“
„Ekelerregend.“ Stimmten zwei Weitere zu. „Irgendwann gab sie nach, gab sich dem Mann hin, doch als er ihr zu langweilig wurde, ließ sie ihn zu Stein erstarren. Leider gab es dafür Zeugen, die sie nicht erwartet hatte. Danach wurde sie ganz wild dargestellt. Lächerlich das Ganze.“
Unglaublich was die Vampire alles wussten. Wie alt die alle hier wohl waren? Hunderte von Jahre? Älter? Gruselig diese Vorstellung was sie alles bereits durch gemacht hatten, oder gesehen. Was man wohl für eine Person sein musste um so viele Jahre zu überleben? Obwohl Nanina ja etwas angedeutet hatte, dass einige Vampire in so etwas wie einen Winterschlaf glitten, wenn ihnen das Leben zu langweilig wurde. Wie das wohl funktionierte? Ich stellte mir vor, dass es gefährlich für den Vampir sein konnte dermaßen ungeschützt zu sein.
Es dauerte gut zwei Stunden, bis die Königin unbemerkt zurückkam. Sie wirkte nicht mehr so verärgert und ungefasst wie bisher, sondern stoisch und eitel. Natürlich die übliche Priese Langeweile nicht zu vergessen.
Nach der dritten Stunde wurden Gläser ausgeteilt, auf denen verschiedene Blutgruppen aufgeführt waren und an die Gäste verteilt wurden. Gezielt griffen alle nach bestimmten Gläser und seufzten scheinbar erleichtert. Genüsslich wurde überall über >Geschmack< gesprochen und >Jahrgänge<
Mir grauste es davor. Jedoch bekam ich allmählich Hunger so wie Durst. Als hätte man meine Gedanken gelesen, servierte mir mein >Diener< wie Nanina ihn immer nannte eine kalte Platte, an der ich mich genüsslich labte, bis sie leer war. Selbst das kühle Wasser genoss ich kaum, sondern schlang es hinunter, so schnell ich konnte. Jedoch nutzte das alles nichts. Ich fühlte mich schwer, beinahe bleiig, als hätte ich mich als Pflanzenfresser von Fleisch ernährt. Auch wenn es fabelhaft schmeckte, konnte mein Hals sich einfach nicht beruhigen. „Hier, probiert das, dann geht es Ihnen besser.“ Unerwartet drückte Herold mir unbemerkt ein Kristallglas mit dunkler Flüssigkeit hin. Ohne weitere Umschweife schluckte ich den Inhalt.
Fort war er. Nicht bloß Herold, sondern auch meine unerklärliche Gier. Sie war wie fortgewischt und das bloß von... einem Glas >B negativ<? Angeekelt stellte ich den Behälter auf den Tisch und lief regelrecht davor fort. Bei Herold bedanken konnte ich mich nicht, da er nicht auffindbar war, jedoch verwickelte mich bald Mr. Stradin wieder in ein Gespräch. „Ah, Miss Black, gut dass Sie wieder einmal hier vorbei kommen. Es scheint als würden Sie von einer Konversation in die nächste stolpern.“ Witzelte der gutaussehende Vampir und grinste mit einem unwiderstehlichen Lächeln.
„Das tut mir leid. Wollen Sie etwas Bestimmtes?“
„Ja, tatsächlich. Ich wollte mich erkundigen, ob es wahr ist, dass Sie mit Werwölfen gelebt haben so wie einem Katzen Menschwesen.“
Ich nickte bestätigend. „Ja, fünf Werwölfe und mein persönlicher Wächter. Und ein Engel ist für mich zuständig gewesen. Wie das alles zusammen gehört, habe ich nicht recht verstanden.“ Den letzten Satz murmelte ich bloß, doch natürlich verstand man mich sogar vom anderen Ende des geräumigen Zimmers aus.
„Ich schätze, es waren alles Alphas, oder? Werwölfe können nämlich höchst gefährlich sein, besonders in den Vollmondnächten.“
Wieder nickte ich bestätigend. „Ja, das habe ich bereits mehrfach gehört. Aber es sind fünf reinrassige Werwölfe gewesen, die bloß Beta waren, bevor sie zu mir kamen.“
Interessiert horchte der halbe Raum auf. „Was? Ihnen sind Beta zu geteilt worden? Diese Schwächlinge?“
Einige kicherten, was mich dazu brachte, meine Werwölfe zu verteidigen. „Meine Werwölfe sind keine Schwächlinge. Sie sind reinrassig und seit dem letzten Vollmond Alphas.“
Ein Funke, den ich nicht zuteilen konnte, blitzte in Stradins Augen auf. „Wie konnten Beta innerhalb einer Vollmondnacht Alpha werden? Das ergibt ja nicht wirklich Sinn.“ Soweit ich wusste, mussten reinrassige Beta, Alpha töten, damit sie deren Macht übernehmen. Selten wurden reinrassige geboren, die von Natur aus Alphas sind, doch das geschieht bloß, wenn es bloß noch wenige von ihnen gibt. Mischlinge haben keine Chance jemals Alpha zu werden, das war unmöglich, selbst wenn alle Alpha ausgelöscht wären, würde ihr Körper nicht die Kraft dazu aufbringen können. Zumindest laut Malic.
„Ich habe sie einen Vollmond davor dazu gemacht.“ Ungläubige Stille herrschte im Raum.
„Das ist doch unmöglich.“ Das war wieder einmal Samina, die dazwischen ging und sich groß aufspielte. Daher erzählte ich alles, was ich mit den Werwölfen erlebt hatte. Ihre untergebene Geste, das Blut, die Verwandlung zurück in einen Menschen und zum Schluss die fünf Werwölfe, die mir Treue geschworen hatten, aus Gründen, die ich nicht verstand. Belal, so selten er auch den Mund öffnete, hatte einmal angedeutet, dass ein Rudelleben für Reinrassige nicht immer ganz einfach ist. Was auch immer das bedeuten soll?
„Könnt Ihr das auch mit anderen Wesen? Wie Vampire zum Beispiel?“
Ich hob unwissend die Schultern. „Nein... Ich bezweifle es zumindest stark. Immerhin bin ich eine Zweitgeborene.“
Nachdenklich tuschelten alle. Einige in einer Sprache, die ich nicht verstand, andere waren zu weit weg, um irgendetwas zu verstehen. „Entschuldigen Sie, doch ich Hoffe Sie verstehen, wie unwahrscheinlich das alles klingt.“ Ich nickte bestätigend.
„Es war einfach ein Instinkt, nichts das ich kontrollieren konnte. Auch wenn ich mich verwandle, nehme ich einen gänzlich anderen Charakter an. Niemand, von meinen Wächter, auch nicht mein Lehrer, verstanden weshalb es so passiert, oder wann. Es kommt einfach... spontan.“
„Und Ihr besitzt keine Kontrolle darüber?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein.“ Alleine die Erinnerung daran wie ich mich als Werwolf verhalten hatte, ängstigte, so wie beeindruckte mich gleichermaßen. In dieser Gestalt bin ich arrogant und hochtrabend gewesen. Ich fühlte mich mächtig, unzerstörbar und denn noch hatte ich den anderen geholfen. Nicht weil ich Mitleid empfand, sondern weil ich sie als jämmerlich und unwürdig ansah. Trotzdem hatte ich sie nicht einfach ausgelöscht!
„Aber die Werwölfe haben von Ihrem Blut getrunken um geheilt zu werden, und Sie haben die Wölfe gebissen, damit sie stärker werden, verstehe ich das richtig?“ Hakte Stradin interessiert nach. „Ja, für mich klingt es genauso.“ Hörte ich jemanden sagen.
„Vielleicht ist es bei jeder Art anders.“ Schlug wieder jemand anderes vor.
Vieles der gemurmelten Worte verstand ich nicht, doch fühlte ich mich zunehmend unbehaglich.
Wo war Elth wenn man ihn... Nein! Ich werde mich jetzt ganz bestimmt nicht an Elth erinnern. Dieser Idiot hat mich verkauft. Punkt aus. Er ist es nicht Wert, dass ich noch einen einzigen Gedanken an ihn verschwende!
Zunehmend wurde mir immer mehr Raum zum Atmen genommen. Ich fühlte mich, als würde der Raum dunkler werden und die Stimmen zu einem Unheilsamen Grummeln anschwellen. Wie das bedrohliche Knurren einer Bestie, bevor sie sich auf einen stürzte.

23. Illusionen mit einem Hauch Motivation

 Mit surrendem Kopf erwachte ich in einem Bett, das ich noch nicht kannte. Mein Körper fühlte sich betäubt, schwach und schmerzhaft. Auch mein Blick klärte sich kaum und das Zimmer drehte sich um mich, als würde es mich verhöhnen. „Scheiße... was ist hier los?“
Etwas ziehendes an meinem Arm verschwand, erst da viel mir auf, dass sich jemand mit mir im Raum befand. „Herold?“ Fragte ich überrascht. „Entschuldigt, es wurde mir aufgetragen.“ Überrascht starrte ich auf meinen blutenden Unterarm, an dessen Unterseite sich eine Einstichstelle befand. Mit jeder Sekunde wurde mir klarer >was< genau mich da gestochen hatte.
Fein säuberlich trocknete Herold seine Lippen, kam auf die Beine, verbeugte sich kurz, dann verschwand er auch schon aus dem Zimmer. Ungläubig starrte ich ihm hinterher. Was geht hier vor sich?
Ich zerrte an den Handfesseln, die mir irgendjemand um beide Arme links und rechts von mir fixiert hatte, sodass ich mich kaum bewegen konnte. Immer noch versuchte ich, die Situation zu verstehen. Weshalb hatte man mich hier in diesem staubigen Zimmer angebunden? Und dann noch so unbequem? Was habe ich schon wieder verpasst?
Erschöpft ließ ich meinen Kopf zurück auf den Kopfpolster fallen und hörte, wie die Türe abermals geöffnet wurde. Samina Rugrez trat ein. „Ah, Ihr seid wach, das trifft sich hervorragend. Hier eine kleine Stärkung für Euch.“ Mitfühlend steckte die Vampirin einen Strohhalm in ein Fläschchen, in das gut ein halber Liter Flüssigkeit hinein ging und hielt ihn mir an den Mund. Gierig trank ich daraus, doch bereut es sofort. Es befand sich irgendeine Medizin darin, da es unglaublich bitter und ekelerregend schmeckte. Nur Medizin konnte so schmecken.
„Tut mir leid, doch Ihr müsst alles austrinken. Um euretwillen.“
Undankbar lehnte ich ab. Lieber verdurstete ich vorher. „Was ist hier los? Wieso bin ich angebunden?“
„Weil Ihr anscheinend eine einzigartige Gabe besitzt. Euer Lehrer hat es nicht genutzt, daher werden wir es tun und uns Vampire weiter aufschwingen. Was denkst du wohl wie viele Mischlinge von uns bereits existieren? Eine unaussprechliche Menge.“
Genervt seufzte ich. Plötzlich wünschte ich mir mein unwissendes Menschenleben zurück. Meine Freunde, meine... tote Familie. Wieso musste das auch immer alles mir passieren?
„Jetzt seid mal nicht so. Seht es als eine gute Tat eurerseits.“
Wütend funkelte ich den Vampir an. „Eine gute Tat vollbringt man, weil man es >will<, nicht weil man es >muss<!“
„Wollen? Müssen? Das ist doch alles dasselbe.“ Spottete sie. „Sobald Ihr alle Reinrassigen geheilt habt, darunter auch mein Kind, könnt Ihr es als... Befreiung versklavter ansehen.“
Befreiung? So einen Unsinn konnte man sich unmöglich schön reden! „Das wird nicht funktionieren. Egal was ihr plant, es ist nichts Weiter als Unsinn! Ich kann keine genetische Vererbung >heilen< das ist... einfach bloß dämlich!“
Ich konnte nicht einmal einen Virus heilen, noch konnte ich mit Bakterien großartig aus. Weshalb denken diese Verrückten also, dass ich eine genetische Vererbung >kurieren< könnte?
„Das werden wir wohl erst testen müssen.“ Unsanft öffnete Rugrez meinen Mund, schüttete einen großen Schluck von dieser Medizin hinein und ließ ihn mich erst wieder öffnen, als ich hinunter geschluckt hatte. „Braves Mädchen.“ Lobte sie überflüssig und verschwand wieder aus dem Zimmer.
Hustend und verschmiert von dieser braunen Flüssigkeit blieb ich am Bett gefesselt liegen. Na toll, jetzt müsste ich zur Toilette. Hätte ich vorhin bloß nicht so viel getrunken! Obwohl, das könnte eigentlich auch mein Glück sein. „He! Komm zurück! Jetzt muss ich Pinkeln!“ Rief ich, so laut ich konnte, und war mir sehr sicher, dass mich ein Vampir hören musste. Jedoch kam in der nächsten Halben Stunde niemand mehr.
Als sich die Türe wieder öffnete, schaute die Königin höchst persönlich in das Zimmer. „Na endlich! Ich muss ganz dringend auf die Toilette!“ Schimpfte ich und wackelte mit meinen freien Beinen herum.
„Du kannst jetzt nicht zur Toilette.“ Sagte sie schlicht.
„Fünf Minuten länger und ich hinterlasse hier in diesem Bett eine Lacke, die später unangenehm riechen wird.“ Forderte ich sie auf.
Nickend verschwand sie aus dem Zimmer, kurz darauf kam Herold herein. „Na endlich!“ Fluchte ich. Mit geschickten Finger öffnete Herold meine Fesseln, half mir auf die Beine und führte mich durch eine andere Türe in ein winziges Badezimmer. Vor ihm warf ich die Türe zu und schaffte es gerade noch so auf die Toilette. „Blöder Plüsch.“ Schimpfte ich über meinen Unterrock, der zwar hübsch aussah, aber im Moment bloß störte.
Während ich mir Zeit auf der Toilette ließ, betrachtete ich meine Wunde am Arm. Die Blutung hatte zwar gestoppt, doch das machte das Gesamtbild nicht wirklich besser. Herold hatte sich Mühe gegeben keine allzu große Bissspur zu hinterlassen, doch bei jeder Bewegung brannte mein Handgelenk, als wäre es verbrannt. Am Waschbecken reinigte ich die Wunde ein wenig, sodass es nicht mehr allzu schlimm aussah, und öffnete die Badezimmertüre wieder. „Wenn ich schon eingeschlossen werde und ekelhafte Medizin schlucken muss, kann ich dann wenigstens einen Verband bekommen? Das tut höllisch weh.“ Ich plapperte einfach darauf los, während mein Herz wie verrückt raste vor Angst und mein Kopf tausend Möglichkeiten in Betracht zog, wie ich mich selbst retten könnte.
Leider hatte ich kaum die Chance wiederholt darüber nachzudenken, wie ich meine Verwandlung kontrolliere, da biss mir Herold unverblümt in den Hals. Schreiend wehrte ich mich, verkrampfte meinen Hals damit ihm Muskeln im Weg waren, doch einen Vampir, egal ob reinrassig oder Mischling, hielt so etwas nicht auf. Er zog meinen Nacken unsanft zur Seite, riss an meinem Haar, sodass ich bloß noch lauter schrie, aber helfen taten alle meine Bemühungen nichts. „Bitte!“ Flehte ich. „Hör auf. Ich will das nicht!“ Er hörte mir nicht einmal zu.
Erst als mir schwummrig wurde und ich in mich zusammen fiel, legte er mich behutsam ins Bett, kettete mich mit den Lederbändern wieder an und säuberte meine frische Bisswunde. „Es tut mir herzlich Leid. Es war ein Befehl der Reinrassigen.“
Damit verschwand er einfach wieder. Wenigstens konnte ich mich nun ganz der Dunkelheit widmen, die ihre Klauen nach mir ausstreckte.

 

- - - - -

 

Immer und immer wieder wurde ich aus ihr heraus gezerrt. Jedes Mal wenn ich davon träumte in Sicherheit zu sein, bei Gael und Coria, die sich auf einem Spielplatz vergnügten, wurde ich davon fortgerissen.
Wieder starrte ich verschiedene Fangzähne an, die sich abwechselnd in meinen Hals, oder meinen Arm bohrten um Blut aufzunehmen. Danach segelte ich wieder durch die Dunkelheit ohne einen Anhaltspunkt darauf zu haben, wo ich mich befand.
Hin und wieder befreite mich Herold von meinen Fesseln, nahm sich Zeit für mich um mich zu Waschen oder auf die Toilette zu begleiten. Doch jedes Mal verabschiedete er sich mit einem unsanften Biss. Ob ich ihn dafür hasste, konnte ich im Moment überhaupt nicht sagen, denn dafür fühlte ich mich zu breiig. Als hätte man mich durchgehend betäubt, was vermutlich ebenso an der Medizin lag, die mich stärkte und gleichzeitig schläfrig zu machen schien. Oder lag es einfach am Blutverlust?
Wieder einmal kam jemand zu mir. Wieder ein neues Gesicht legte sich an meinen Hals und biss zu. Mit Tränen in den Augen weigerte ich mich, einen Mucks von mir zu geben. Manche fanden es nämlich sogar recht witzig, wenn ich schrie, oder mich wehrte.
Barbarische Vollidioten! Sollten sie doch aussterben. Was ging es mich schon an? Zumindest dachte ich dies über einzelne Personen, nicht über alle Vampire, denn die meisten wurden gezwungen von ihren Herren mir dies anzutun.
Ob es ihnen half mich dermaßen auszunehmen? Offenbar nicht, denn dann hätte das alles doch bereits ein Ende, nicht wahr? Wie lange lag ich denn hier bereits? Eine Woche? Zwei?
Als ich wieder einmal aus meiner ruhigen Dunkelheit gerissen wurde, säuberte jemand meinen Arm. Ich saß aufrecht in meinem blutverschmierten Bett und blickte mit glasigen Augen auf den staubigen Boden. Hatte hier etwa noch immer keiner geputzt? Bin ich bereits ebenso dreckig wie dieses Zimmer? Verstaubt von den Jahren?
„Hier, öffne deinen Mund.“ Widerwillig wich ich aus, denn ich wollte nicht noch mehr von dieser betäubenden Droge. Ich wollte weg hier. Nach Haus. Zu Elth. Zu Gael. Zu meinen Werwölfen. Ich vermisse sie. Ja sogar Elth! Zwar hatte er mich erst hierher gebracht, doch wie immer hatte ich mich in irgendeine vollkommen absurde Situation befördert.
Ob er sich bereits ein schönes Leben machte? Ohne auf meine Probleme achten zu müssen? Bestimmt, immerhin besaß er nun vier Millionen mit denen er tun und lassen konnte, was immer er wollte. Dieser Idiot. Dieser Arsch. Ich vermisse ihn. Was würde ich geben um wieder mit ihm zu streiten, oder mich beißen zu lassen von ihm, bloß um diesem Irrsinn hier zu entkommen.
„Schon gut. Es ist bald vorbei, Liebes.“ Ich kannte die Stimme nicht. Sie ist neu und männlich. Wem sie jedoch gehörte, interessierte mich nicht. „Bloß einen Schluck. Es wird das Gift in deinem Körper neutralisieren.“
Nun war ich doch ganz Ohr. Was hat er gesagt? Das Gift neutralisieren?
Etwas zog sanft meinen Nacken zurück, dann tropfte auch bereits eine warme Flüssigkeit in meinen Mund. Ich erkannte sie sofort, obwohl sie sonderbar schmeckte. Nicht mehr so lebendig und sättigend wie sie es eigentlich sein sollte.
Angewidert schob ich die Handfläche von meinem Mund fort. „Igitt.“ Ich wollte es schon ausspucken, doch wer auch immer der Vampir war, er hielt mich davon ab und zwang mich es zu schlucken.
„Vampirblut heilt. Jetzt mach schon, bevor ich dich wieder anketten muss.“
Verunsichert ließ ich es zu, dass der unbekannte, den ich dank meiner Schlechten Augen so wie dem spärlich beleuchteten Raum nicht erkennen konnte, mir noch mehr von seinem Blut einflösse.
Vorsichtig legte er mich wieder zurück und richtete mein wirres Haar. „Schon gut. Es dauert etwas, bis du geheilt bist. Mehr kann ich dir leider nicht anbieten, außer dass du es den Reinrassigen nicht übel nimmst. Sie haben bloß Angst.“ Sanft streichelte mir der Fremde über die Wange und redete so sanft zu mir, dass mir das Herz schmerzte.
Also halluzinierte ich. Ich sah bereits Elth vor mir, wie er an meinem Bett saß, mit seinen glühenden Augen zu mir hinab blickte und sein weiches Fell kitzelte mich an der Wange.
Bloß ein alberner Traum.
Trotzdem klammerte ich mich an diesen Traum. Hing mich wie eine Klette daran, während sich abermals ein reißender Schmerz in meinem Unterarm ausbreitete und zählte in Gedanken meine Herzschläge um zumindest irgendetwas zu tun.
Irgendwann kehrte dieser Traum wieder. Abermals saß Elth an meinem Bett, sprach fürsorgliche Worte, dann war er wieder fort. Wieso blieb dieser Traum immer bloß so kurz?
Immerhin lag ich hier für Stunden und Tage.
Jedoch musste ich mir eingestehen, dass mir diese Illusion wirklich half. Mittels meiner Gedanken zwang ich diesen falschen Elth fort. Ich zwang mich bei Besinnung zu bleiben, drehte meinen Kopf fort wenn wieder irgendjemand in den Raum kam und belauschte sogar das eine oder andere Gespräch. Sie schienen es nicht einmal zu bemerken.
Oftmals sah ich die Königin, wie sie wiederholte wie egal ihr diese Mischlinge waren. Dass es offensichtlich nichts brachte, mich dermaßen zu foltern, und sogar die anderen reinrassigen über die letzten vier verschwendeten Tage verspottete.
Also waren es vier Tage gewesen? Bloß vier verdammte Tage hatte ich in diesem schäbigen Zimmer verbracht, dabei fühlte es sich an wie Wochen so wie Monate. Mein Körper war steif und schwer.
Ich sprach kein Wort, hielt meinen Blick starr an einen Punkt gerichtet und gab mich ganz meinen geschmiedeten Plänen hin. Da die Vampire so ungestört neben mir sprachen, oder in dem Raum vor meinem, wusste ich, dass alle zwei ein Mischling zu mir geschickt wurde um etwas Blut von mir zu nehmen.
Man hatte Wächter in der ganzen Umgebung verteilt, für den Fall dass jemand eine größere Versammlung hier bei den Vampiren feststellen sollte und niemand, weder reinrassig, noch Mischling durfte über das geschehene hier sprechen.
Mittlerweile konnte ich sogar wieder genervt die Augen verdrehen, ich schätzte, es war der fünfte Tag. Mein Zeitgefühl war vollkommen durcheinander. Herold brachte mit sogar mehr zum Essen, doch sagte offensichtlich nichts dazu. Auch vermied er es, mir zu viel Blut abzunehmen, oder gar mit mir zu sprechen. Er ignorierte einfach sämtliche Besserungen, die er an mir feststellte. Ob er etwas damit zu tun hatte? Befand sich irgendetwas im Essen, das mir half, so schnell wieder auf die Beine zu kommen?
Jedenfalls fühlte ich mich endlich wohler, denn gerade als ich mir sicher war, dass der letzte Mischling den Raum verließ, schlüpfte ich aus der gelockerten Fessel, stellte meine Beine auf den Boden und sprang den Typen an. Überrascht von meinem Angriff, kam der Halbvampir nicht dazu sich zu wehren, stolperte mit meinem zusätzlichen Gewicht und fiel der Länge nach hin. Ohne einen Mucks blieb er am Boden liegen. Überrascht wie leicht ich den Mischling überwältigt hatte, betrachtete ich mein Umfeld. Sein Sturz, so kurz und schmerzlos er wohl gewesen war, hatte ein jähes Ende an der Tischkante gefunden. Das nannte ich Deppenglück!
Angetrieben von diesem Hochgefühl, schnappte ich mir den Krug mit Wasser, den Herold vergessen hatte mit hinaus zu nehmen und benutzte ihn als meine neue Waffe. Eilig tapste ich zur Türe, zog sie einen Spalt weit auf und spähte hinaus. Niemand zu sehen, doch anscheinend handelte es sich bei meinem Raum um ein sicheres Versteck. Ich zog die Türe noch weiter auf und bemerkte überrascht, dass es für die andere Seite überhaupt kein einfaches Öffnungssystem gab, wie zum Beispiel eine Türklinke. Es handelte sich allgemein um ein ganzes Bücherregal! Vom Inneren hatte es ausgesehen wie eine ganz normale Zimmertüre, bloß das diese Türe bis an die Decke ging und ich unten kleine Rollen befanden, damit die Türe kaum ein Geräusch von sich gab. Wie unheimlich!
„Prinzessin!“ Stieß jemand erschrocken hervor. Zum Glück hielt ich meinen Krug hinter dem Rücken versteckt und tat als wäre ich noch immer auf Drogen. „Ich... wo bin... ich...“ Vermutlich klang ich, als wäre ich völlig besoffen und nicht vollgepumpt mit irgendeiner Medizin, doch das schien der junge Vampir überhaupt nicht zu bemerken.
Zufällig stolperte ich, woraufhin der Vampir galant zu meiner Hilfe eilte, damit ich nicht hart auf dem Boden aufschlagen musste. Eine Sekunde später zog ich ihm den Krug über den Kopf.
Mit einem spitzen Aufschrei sank meine Rettung, welche ich überhaupt nicht benötigt hatte, zu Boden und alarmierte die anderen. Mist! Wenigstens konnte ich sagen, dass ich es versucht hatte.
Schnell eilte ich zur nächsten Türe, dort spähte ich bloß eilig hinaus, doch erkannte einen Gang. Gänge sind immerhin gut, sie führen immer irgendwo hin. Hoffentlich würde mich dieser zu so etwas wie einem Neonschild mit der Aufschrift >Notausgang< führen.
Da ich vom Gang aus mehrere hektische Stimmen hören konnte, hielt ich mich nicht lange mit irgendwelchen inneren Fragen auf, sondern stolperte einfach aus den Raum hinaus, nichts hielt mich hier mehr. Aus dem Augenwinkel erkannte ich Bewegungen, daher suchte ich mir das erste Versteck, das ich finden konnte, wobei es sich um einen gut zwei Meter großen, aus Stein gehauenen Greifen handelte. Dort dahinter würde mich doch niemand suchen, oder? Zumindest erlaubte mir dieses Versteck für einen Moment durchzuatmen und meine nächsten Schritte zu überdenken.
Zwar hatte ich es tatsächlich aus den Raum geschafft, bloß wie kam ich nun an diesen verdammten Wächtern vorbei? Sie alle waren bereits informiert und hielten Ausschau nach mir. Wie bin ich da bloß wieder hinein geraten? Es scheint, als könne ich tatsächlich nirgendwo zur Ruhe kommen. Immer derselbe Scheiß, verdammt! Bei Gael die Werwölfe, der dunkle Fae und hier die Vampire.
Mit angehaltenen Atem wartete ich hinter der Statue, bis ein Wächter an mir vorüber war. Als er fort war, konnte ich jedoch noch lange nicht durchatmen. Wie denn auch? Ich steckte in einem Labyrinth voller Vampire fest, ohne Chance auf Rettung. Wie sollte ich das bloß überleben? Besonders mit diesem Blutverlust. Selbst jetzt wollte mein Körper nichts lieber als sich irgendwo in einer Ecke zusammen rollen und einfach alles vergessen. In der Dunkelheit versinken. Dort wo es sicher für mich ist, wo mich niemand sehen kann, oder gar mir schaden.
Nein, verdammt! Ich durfte jetzt nicht einschlafen! Ich riss mich zusammen und blickte durch einen immer schwächer werdenden Blick durch den Gang.
Niemand zu sehen.
Vielleicht konnte ich es ja zumindest in das Erdgeschoss schaffen? Doch wo befand es sich? Über mir? Unter mir? Es gab hier so viele Treppen und noch mehr Etagen, dass ich nicht einmal sagen konnte ob ich mich im fünften, oder im fünfzigsten befand.
Vielleicht bekam ich ja doch noch eine Verwandlung zusammen? Ich brauchte ja nichts Besonderes werden. Bloß ein furchterregendes Monster, das sogar Vampire in die Flucht schlägt. Mehr verlange ich ja überhaupt nicht.
Gerade versuchte ich mein Glück zum anderen Ende des Ganges, wo ich wusste, dass sich die Treppe befand, doch weiter als knapp zehn kurze Schritte schaffte ich nicht. „Da ist sie! Ich habe sie!“ Verkündete Ferdinand? Marcus? Leopold? Wie war noch einmal sein Name?
Hektisch machte ich kehrt, nahm meine Beine in die Hand und lief, das was meine Beine her gaben, doch kam nicht weit. Von einem Moment auf den anderen landete ich an einer Wand. Fluchend versuchte ich mich, von ihr zu befreien, doch schon in wenigen Sekunden wurde mir bewusst, dass es sich weder um eine Wand, noch um einen Vampir handelte. Ungläubig starrte ich auf den freien Oberkörper, über den sich weiches, goldenes Fell zog. Dunkle Flecken bestätigten mir, was ich sah. „Elth!“
Knurrend beugte sich die Wildkatze zu mir hinab, legte seine Lippen an meinen Hals und leckte so sanft über eine meiner zahlreichen Wunden, das mir doch glatt Tränen in die Augen stiegen. Als er sich wieder zurückzog stellte ich erschrocken fest, wie viel Blut sich auf seinem Mund befand. Das konnte unmöglich alles von meiner Wunde sein.
„Sobald wir hier draußen sind, werden wir uns noch einmal über deinen gedankenlosen Umgang mit Vampiren unterhalten müssen!“ Drohte mir Elth mit vor Zorn glühenden Augen, doch diese Laune galt zum Glück überhaupt nicht mir. Moment... sagte er eben >mein Umgang<?
„Dazu wird es wohl niemals kommen. Wir werden Sie behalten, bis sie Volljährig wird.“
„Bleib hier stehen, Liebste.“ Erschrocken zuckte ich zusammen. Was hatte er eben gesagt?
Es passierte so schnell. In einem Moment stand Elth noch mit blutverschmierten Mund vor mir, im nächsten baute sich eine teils gestreifte, teils gepunktete Raubkatze mit weißem Schwanzende vor mir auf und brüllte so laut, dass selbst der Vampir für einen Moment zusammen zuckte.
Im nächsten Moment jedoch schon, so unerwartet, dass ich ängstlich aufschrie, bohrten sich dutzende weiße Zähne, so spitz wie kleine Dolche in die Kehle des Vampirs und er fiel blutend zu Boden.
Entsetzt starrte ich in die beiden blutrotem Augen des schwarzen Wolfes, der einfach so die Treppe hinunter gesprungen war. „Los, jetzt schnell.“ Befahl der Wolf, kurz darauf stand Elth wieder in seiner halb verwandelten Form auf beiden Beinen und hielt mir seine ebenfalls blutige Hand hin. „Willst du etwa noch länger hierbleiben?“
Mit Tränen in den Augen nahm ich seine Hand und ließ mich von ihm führen.

24. Die kalte Hand des Todes

Der schwarze Werwolf lief direkt vor uns. Führte uns einen bloß für ihn sichtbaren Weg durch das Schloss, obwohl ich die beiden ganz offensichtlich dabei aufhielt. Zwei weitere Stockwerke tiefer, trafen wir auf zwei weitere, ebenfalls blutverschmierte, Werwölfe. Sie hatten die Vampire ausgeschaltet, doch nicht getötet. Hilflos lagen, selbst die reinrassigen, vor den knurrenden Wölfen und wagten sich nicht einmal einen Zentimeter zu bewegen. „Ach du meine Güte! Zu dem habe ich euch gemacht?“ Fragte ich schockiert.
Ohne viel nachzudenken, wusste ich, das der ganz schwarze Wolf eindeutig Malic war. Die beiden dunkelgrauen bis braunen Wölfe, Belial und die Werwölfin, welche immer so grimmig dreinblickte. Fehlten bloß noch zwei weitere Wölfe.
Da ich von überall Kampfgeräusche wahrnahm, konnte ich mir vorstellen, dass sie sich ebenfalls irgendwo hier befanden. Sie retteten mich. Mich!
„Scht, Edelle.“ Sanft umfing Elth mein Gesicht und wischte einige Tränen mit seinem Fell fort. „Nicht weinen. Wir haben es gleich geschafft. Wir warten nur noch auf den Rest, dann sind wir auch bereits fort von hier, in Ordnung?“
Schniefend nickte ich und erwiderte Elths Blick. Lächelnd glitt sein Blick tiefer, bis er zu den etlichen Bisswunden an meinem Hals kam, da wurde er schon wieder bitter. „Das werde ich auch noch verschwinden lassen, verstanden?“
Darauf erwiderte ich nichts. Was sollte ich denn auch? Ich bin selbst schuld. Wäre mir das bloß nicht mit den Werwölfen heraus gerutscht. Andererseits gab es jetzt ein paar reinrassige Vampire mehr. Oder hatte sich schlussendlich der ganze Aufwand überhaupt nicht gelohnt?
Ohne darüber noch weiter nachzudenken, tat ich einfach das, was ich im Moment brauchte. Und das dringend. Ich legte meine Arme um Elth, zog ihn an den Schultern zu mir hinab und drückte ihn einfach. Stumme Tränen tränkten dabei sein dichtes Fell, doch das schien ihn nicht zu stören. Genauso wenig, wie die Tatsache, dass ich ebenso weiter Blut auf ihm verteilte.
Er hielt mich. Ich wusste nicht wie lange, doch es fühlte sich für mich wie eine Ewigkeit an. Aber es war etwas, das ich gebraucht hatte. Jemanden den ich kannte, den ich mochte und Vertraute. Das hatte mir all die Tage so sehr gefehlt, dabei ist es mir nicht einmal bewusst gewesen. Zärtlich strich er über meinen Rücken, säuselte dabei immer wieder beruhigende Worte, doch machte keine falschen Versprechungen. Er war einfach bei mir. Das alleine zählte.
Irgendwann, zumindest erschreckte es mich, stupste eine dunkle Nase an mein Bein. Sofort ließ ich Elth los und sah hinab zu dem graubraunen Wolf zu meiner Rechten. „Belial?“ Fragte ich, doch noch bevor er nickte, fiel ich auf die Knie und umarmte auch ihn. Zuerst wirkte er noch überrascht, als hätte er eigentlich etwas sagen wollen, doch dann genoss er es einfach.
„Debby, Malic. Kommt her.“ Bat ich. Und sie kamen. Abwechselnd drückte ich auch die beiden, wobei es Malic offenbar am Unangenehmsten zu sein schien. Grinsend gab ich ihm noch einen Kuss auf die Stirn, dann fand ich mich auch schon wieder in Elths Armen.
„Das reicht jetzt. Wir müssen langsam weiter, wo sind die anderen Alphas?“ Alphas? Aus ihnen sind Alphas geworden? Das war mir überhaupt nicht bewusst gewesen. Es muss in der Zeit meiner ersten Genesung passiert sein und das machte mich unerklärlich stolz. Als wären ganz plötzlich Freunde erwachsen geworden, auf die ich schon immer gewartet hätte.
„Sie sollten längst da sein. Vermutlich ist irgendetwas passiert.“ Malic blickte unsicher den Flur auf und ab, doch man hörte nichts außer die verblutenden Vampire. Wenigstens würden sie nicht sterben an diesen Wunden, sondern einfach eine Zeit lang geschwächt sein.
„Ich werde sie rufen.“ Beschloss Debby noch eilig, dann stieß sie auch schon ein hallendes Heulen aus. Ein Heulen, das man bestimmt bis zum nächstgelegenen Kontinent hören konnte, so laut war es. Elth und ich hielten uns schützend die Ohren zu, während die drei Wölfe auf eine Antwort lauschten. Keine kam.
Nach einer Minute wiederholte Belial das Heulen und abermals warteten sie. Nichts kam.
„Irgendetwas stimmt da nicht.“ Flüsterte ich an Elth gewandt. Er nickte stumm. „Sollen wir sie suchen?“ Fragte Debby nun Malic, der nicht wirklich überzeugt aussah.
„Wir laufen noch einige Stockwerke, wenn wir sie nicht finden, dann war es das. Die Prinzessin hat Vorrang.“ Entschied er und deutete, den beiden grauen Wölfen auszuschwärmen. So schnell wie ihre vier Beine sie trugen, liefen sie durch die Gänge. Bloß Elth und Malic blieben bei mir. Elth trug mich sogar, da ich es einfach nicht mehr schaffte. Es war zu viel. Der stetige Blutverlust, das ewige Laufen, die Sorgen in mir. All das war bereits zu viel. Ich konnte einfach nicht mehr so weiter machen.
„Los schneller, Kätzchen. Die Königin darf uns nicht...“ Schlitternd kam der rotäugige Wolf zu stehen und Elth direkt hinter ihm. Entsetzt hielt ich die Luft an. Was sich hier abspielte, war alles andere als normal.
Blut. Egal wo man hinsah. An der Decke. Auf den Teppichen. Selbst jedes einzelne Gemälde im Raum war vollgespritzt mit Blut. An einigen Stellen klebte rotbraunes und rotsilbernes Fell. Wie die Fellfarbe davor gewesen war, konnte man bloß noch erahnen. „Ich denke wir haben deine Freunde gefunden.“ Bemerkte Elth, selbst erschrocken über diese Gräueltat. Und die Königin war definitiv zuerst bei ihnen gewesen. Fügte ich in Gedanken hinzu. Aber konnte das tatsächlich wahr sein?
Die Wölfe hatten nicht einen einzigen Vampir getötet, bloß außer Gefecht gesetzt. Aber das hier... „Das ist eine Botschaft.“ Hörte ich Malic sagen.
„Die Königin ist eben eine Person, die sich recht klar ausdrückt.“ Ergänzte Elth, dann bemerkte er wohl auch endlich, das ich mir dieses Schlachtfeld mindestens genauso gut einprägte wie die anderen beiden und schirmte meine Augen ab. „Sieh nicht hin, Edelle.“
Ungläubig schob ich seine Hand aus meinem Gesichtsfeld. „Lass das!“ Schimpfte ich halbherzig und legte seine Hand zurück an meine Seite. Jetzt war es auch nicht mehr zu ändern. Ich hatte alles gesehen. Aber trotzdem verstand ich es nicht ganz. Wieso tat dies die Königin? Um ihr Gesicht zu wahren?
„Los pfeif die anderen beiden zurück, damit wir hier wegkönnen.“ Elth drehte sich fort von dem Gang, sodass auch ich nun keinen Blick mehr darauf werfen konnte, und lief eine Treppe tiefer, während Malic hinter uns laut heulte. Sofort kam eine Antwort, direkt vor uns und wir liefen darauf zu.
„Debby?“ Fragte Malic außer Atem. „Wo ist...“
Betroffen schüttelte Debby den Kopf. „Ich konnte ihn nicht mehr retten. Wir müssen uns beeilen, sie muss gleich hier sein.“
„Dann nehmen wir wohl besser den direkten Weg. Vampire springen nicht so gut wie wir.“
Drei von meinen fünf Wölfe. Sie hatte drei von ihnen erwischt. Sogar den süßen, beinahe, unschuldigen Belial! „Meine Wölfe...“ Flüsterte ich, ohne es zu bemerken. Sie hat sie mir einfach genommen.
„Los jetzt!“ Befahl Debby an Elth gewandt.
Nickend stellte mich Elth wieder auf meine eigenen beiden Beine ab. „So hör mich jetzt gut zu.“ Mit Tränen in den Augen wurde ich von Elth gezwungen ihm direkt in das Gesicht zu sehen. „Du musst dich, so gut du kannst an mir festhalten, verstanden?“ An ihm festhalten? Was meinte er damit?
„Das Areal ist groß und Vampire sind im Springen nicht so begabt wie Wölfe oder ich, das heißt, sie wird langsamer werden. Das ist unser einziger Vorteil. Wenn wir als erstes den Wald erreichen, können wir aus ihrem Reich verschwinden und sie wird es nicht wagen uns zu folgen. Verstanden?“
Stumm nickte ich, auch wenn es eine Lüge war. Ja, da Schloss ist groß, das war mir bewusst, aber was meinte er mit Springen? „Gut, leg deine Beine um mich.“
Überrascht zuckte ich zurück, als Elth mein Kleid packte und einfach hochzog. „Was soll das?“
„Mit dem Kleid kannst du dich doch nicht ordentlich festhalten. Jetzt zick nicht, sondern beeil dich.“ Er hatte recht. Ich konnte nicht noch meine letzten beiden Wölfe verlieren!
Kurzerhand zog ich selbst mein Kleid hoch, zumindest bis über die Knie, dann hob Elth mich auch schon hoch und ich schlang Arme so wie Beine um seinen Körper. Da sich mein Gesicht nun direkt vor Elth befand, starrten wir uns eine Sekunde überrascht an. Willkürlich erinnerte ich mich daran, wie ich ihn das letzte Mal auf eine ähnliche Weise überragt hatte. Doch das war bloß eine Illusion gewesen. Ein gemeiner Trick von Elth. Nichts von Bedeutung!
Räuspernd fuhr er die Krallen aus. „Egal was jetzt passiert, halt dich fest und halt deinen Kopf so nahe wie möglich bei mir.“
Nickend kuschelte ich meinen Kopf in seine Halsbeuge, doch dabei wurde mir peinlich bewusst, dass ich mich wie ein kleines Kind verhielt. Zumindest kam es mir so vor. Keine Frau der Welt wurde wie ein kleines Kind von irgendeinem Mann herum getragen. Trotzdem war es unsere einzige Chance zu überleben.
„Ich springe als erstes.“ Debby lief los, zu meiner Überraschung, verstand ich nun auch was mit >springen< gemeint war. Sie zielte auf eines der Fenster, welche es bloß bei den Treppen gab, und sprang einfach hindurch. Ohne sich zu schneiden, sprang sie hindurch und segelte einige Meter durch die Luft, bevor sie ihren Körper herum riss, und offenbar auf irgendetwas zu steuerte. Malic folgte ihr eilig, und wesentlich geschickter. Kurz darauf stand Elth auf dem Sims. „Gut festhalten, ja?“ Sofort schlang ich meine Arme noch fester um Elths Hals und legte meine Lippen an sein Ohr.
„Wenn du noch einmal von mir fortgehst, oder mich verkaufst... töte ich dich, koste es, was es wolle.“ Diese Drohung meinte ich ernst. Immer wenn er nicht bei mir war, passierte irgendetwas. Und jetzt sind sogar meine Wölfe tot. Das würde ich mir selbst niemals verzeihen.
Für einen Moment erwiderte Elth meine Umarmung, ohne etwas auf meine Drohung zu erwidern. Dann sprang er in die schwarze Dunkelheit unter uns.

 

- - - - -

 

Erstaunt wurde mir bewusst, dass es sich bei diesem >Vampirschloss< nicht um das handelte, was ich darunter verstand. Es gab weder Burggräben, noch irgendwelche Pferdeställe, oder gar Metallgitter welche die Zugänge blockieren konnten.
Es gab viel mehr. >Schloss< war hierbei sogar untertrieben, denn dieses >Schloss< war mindestens so groß wie eine Stadt.
Eine Stadt, die in den Himmel gebaut worden war! Steinern reckten sich einzelne Türme, so breit wie mindestens drei Wohnhäuser, abwechselnd abgerundet, teilweise gerundet, in den Himmel. Es gab auch abgeflachte >Türme<, überhänge zwischen einzelnen >Gebäude< in der Form von Gärten, oder sogar angelegten Teiche, über die man sich bewegen musste.
Ich konnte es überhaupt nicht fassen. So weit das Auge reichte, erhob sich dieses Vampirschloss bis hoch hinaus in die Wolken. Dicke Steinwände trennte einzelne Abschnitte, oder sorgten dafür, dass man nicht in eine der zahlreichen Tiefen fallen konnten, die es einfach überall zu geben schien, wo die Burg anfing, konnte man nicht erkennen, nicht bei dieser Dunkelheit. Aber wo sie endete, war unmöglich zu sagen. Dunkle Wolken sammelten sich um die Türme und verdeckten deren Ende. Außerdem gab es immer einen Turm, der den höchsten überragte, ohne das sie ein bestimmtes Muster zu haben schienen.
Alles in allem war es, einfach atemberaubend anzusehen. Insofern man dazu kam. Elth sprang, so wie die Wölfe vor ihm, gut zwanzig Meter in die Tiefe, wo er auf einem brüchigen Vorsprung landete, sich abstieß und getrennt von den anderen beiden über die zahlreichen Dächer und Abgründe sprang. Wie er sich dabei orientierte, verstand ich nicht ganz, doch blieben die drei immer zumindest in Sichtweite zusammen.
Knurrend lief Malic eine der Mauern entlang und schien dabei irgendetwas im Auge zu haben. Das Einzige was ich erkannte, war ein roter Schemen, der sich so schnell bewegte, dass man unmöglich erkennen konnte, um was es sich dabei handelte. Ich selbst konnte mir jedoch vorstellen, dass es sich um die verärgerte Vampirkönigin handelte.
Mit einem Hechtsprung rettete er sich gerade noch rechtzeitig vor ihren ausgefahrenen Fänge und schien sich darüber sogar noch zu amüsieren, als sie sich fluchend wieder in Bewegung setzte.
Elth behielt recht. Vampire sind zwar schnell, doch beim Springen so gut wie nutzlos. Solange wir uns von den flachen Ebenen fernhielten, bestand die Chance, dass wir entkamen. Immer mit dem Blick der in Rot gewandeten Vampirkönigin im Rücken.
Auf einem recht steilen Dach, mit einem sehr weiten Vorsprung, auf den man unmöglich von unten hinauf kam, verschnaufte Elth einen Moment. Ich fühlte seinen bebenden Körper an meinem und wusste, dass er bereits schwitzen musste, doch sein Fell war keineswegs nass.
Konnten Menschwesen überhaupt schwitzen?
„Ist alles in Ordnung?“ Fragte ich und ließ von Elth ab, damit er sich etwa ausruhen konnte. Zitternd sank er auf den Ziegeln zusammen und holte tief Luft, die er genauso hastig wieder ausstieß. Da er nicht auf meine Frage reagierte und generell recht abwesend wirkte, ließ ich meine Finger unter sein Kinn gleiten und hob sein Kinn an, bis er mir, mit glühenden Augen, ins Gesicht sah. „Elth? Atme langsamer.“
Noch einmal atmete die Raubkatze durch, bevor er erschöpft nickte, doch tatsächlich endlich ruhiger wurde. „Es hat einfach keinen Sinn. Das ist ihr Anwesen, sie kann sich schneller fortbewegen als wir und holt uns ein, sobald wir in die Nähe einer flachen Ebene kommen.“
Tatsächlich? Das ist mir überhaupt nicht aufgefallen. Aber vermutlich hatte er recht. Immerhin sind seine Sinne besser ausgebildet als meine. Mit einem verstehenden Lächeln, legte ich auch meine zweite Hand an sein Gesicht und strich mit den Daumen langsam über seine weichen Wangen. „Ich dachte, du bist mein Wächter, Elth?“
Vermutlich war es nicht die beste Taktik ihn ausgerechnet jetzt zu provozieren, aber ich hatte vertrauen in ihn. Wir würden es zusammen schaffen. „Also wenn du jetzt so einfach aufgibst, um zu sterben, dann werde ich dich davor küssen müssen, verstanden?“ Es hatte doch auch bereits einmal mit knuddeln funktioniert. Und so wenig wie wir uns mochten, sollte diese Drohung Motivation genug sein um uns alle hier wegzubringen.
Für einen Moment starrte mir Elth einfach nur in die Augen, als würde er versuchen herauszufinden, ob dies auch wirklich mein ernst ist. Als er zu realisieren schien, das ich es ernst meine, oder einfach bloß den Trick dahinter verstand, lachte er. So laut und klangvoll das mein Herz erleichtert höher schlug. Er lachte und schien endlich wieder zur alten Form zu kommen. „Na dann sollten wir wohl so schnell wie möglich weg von hier, oder?“
Bloß wenige Sekunden später, hing ich wie eine Klette an Elths Körper und er sprang auf die beiden, ebenfalls rasteten Wölfe zu. Irgendwo in der Ferne erkannte man eine recht schnell laufende Königin.
„Das hat keinen Sinn, Malic. Sie ist viel zu schnell. Ich denke, ich habe einen besseren Plan.“
Immerhin konnte sie nicht jedem von uns folgen und hatte es vermutlich eher auf mich, als auf die Wölfe abgesehen. Somit waren Elth und ich ihre primären Ziele.
Nach einer etwas längeren Verschnaufpause, die allen guttat, legten wir also los. Ich auf dem Rücken von Malic und Debby, so wie Elth lenkten, so gut es ging die Königin ab. Sie lockten sie in eine andere Richtung, behielten sie jedoch immer in einem großzügigen Abstand zu sich. Auf dem Weg traf Malic und ich wieder auf bereits erholte Vampire, die sich noch einmal in den Kampf stürzen wollten, doch weit kamen sie nicht. Noch immer geschwächt, versuchten sie zwar, ihre Königin zu unterstützen, doch waren bereits nach einem Schlag wieder kampfunfähig. Malic wusste einfach, was er tat, auch wenn die Königin bereits drei seiner Freunde getötet hatte, konnte er keinen Krieg riskieren.
Dafür beneidete ich ihn, denn am liebsten würde ich ihr derzeit den Kopf abhacken, auch wenn ich ihre Beweggründe sehr wohl verstand. Der Königin blieb einfach keine andere Wahl.
Gerade als wir endlich die Wipfel einiger Bäume erkennen konnten und definitiv aus dem schlimmsten heraußen waren, geschah es. Ein Knall ertönte.
Man musste es nicht sehen, man wusste es einfach. Jeder kannte das Geräusch, aus Filmen oder eigener Erfahrungen, wie ein Schuss klang, den man aus einer Pistole abfeuerte.
Mitten im Flug wendete Malic, riss seinen Körper unangenehm herum und wir purzelten übereinander auf ein halbwegs flaches Dach. Noch immer unter Schock musste ich erst tief Luft holen, während Malic bereits nach dem Schützen Ausschau hielt. Was wir jedoch beide fanden, war etwas, womit wir nicht gerechnet hatten.
Wein dunkelgrauer Körper fiel leblos zwischen zwei Türmen in die dunkle Tiefe. Selbst wenn sie noch am Leben wäre... so einen Sturz konnte nicht einmal ein Alpha, den ich erschaffen hatte überleben. „Nein!“ Schrie ich panisch und wünschte irgendetwas tun zu können, doch unnachgiebige Arme hielten mich fest. Es dauerte noch eine gute Minute, bis ich realisierte, dass es sich um Elth handelte. Schluchzend ließ ich mich in seine Arme sinken.
„Los wir müssen schnell von hier fort.“ Befahl Elth beinahe kalt, doch ich wusste, das er e nicht böse meinte. Wir konnten nichts mehr für sie tun. Vier meiner Wölfe waren tot und ich würde nicht zulassen, dass es noch jemandem so erging.
So schnell wie bisher noch nicht, lag mein Körper wieder an dem von Elth und er sprang gemeinsam mit mir direkt auf die Wipfel zu. Malic stand uns beiden in nichts nach. Er wollte genauso dringend fort von hier, wie wir.
Unglaublicherweise sah es sogar so aus, als würden wir drei es schaffen. Ja! Wir werden es schaffen. Ganz bestimmt. Bloß noch zwei Dächer, dann kämen wir auf einer Wiese an und mussten bloß noch in den Wald hinein. Da endete der Einfluss der Königin. Dann wäre es eine unwiderrufliche Kriegserklärung an die Werwölfe uns noch zu töten.
Zu früh gefreut. Vom letzten Dach aus auf den Boden springend versammelten sie sich. Blutverschmiert, teilweise noch immer verletzt und mit zerrissener Abendkleidung standen sie alle da. Gebeugt, humpelnd, oder gar mit fehlenden Fleischstücken, erschienen sie aus dem Nichts direkt vor uns und sperrten uns den einzigen Weg zu unserer Flucht ab und lächelten dabei sogar noch stolz.
„Es ist vorbei, Prinzessin Edelle. Ergebt euch, dann werden wir Eure Wachhunde ziehen lassen.“
Fauchend stellte Elth mich auf dem Boden ab und schob mich schützend hinter sich. „Einen Scheiß wird sie!“
Malic sah das genauso, er griff einfach an. Räumte die ersten drei Vampire ohne viel Gegenwehr um und schüttelte dabei vier andere, ziemlich anhängliche ab. Elth, der mich nicht alleine lassen wollte, drehte sich immer wieder um mich herum, verscheuchte mittels kratzen oder beißen die Vampire, die versuchten mich von ihm fortzuzerren, doch sie waren dermaßen erschöpft, dass selbst diese Halbkatze mit Leichtigkeit gegen sie ankam. Auf dem Boden kauern, damit Elth auch über mich springen konnte, deutete ich immer wieder auf Vampire, die er übersah, während Malic sich durch die stärkeren von ihnen arbeitete, kurz davor zu siegen.
Okay, wir schafften es doch. Wir schaffen es, ganz sicher!
Peng! Da erklang es wieder. Gefolgt von einem schmerzerfüllten Jaulen. „Malic!“ Schrie ich erschrocken, nicht achtend auf die am Boden liegenden Vampire, sprang ich an ihnen vorbei, direkt auf den schwarzen Wolf zu. „Malic!“ Ich rüttelte an ihm. „Malic!“ Meine Stimme überschlug sich beinahe. „Malic... Nein, nein, nein. Tu mir das nicht an...“ Bettelte ich. Das konnte nicht wahr sein. Ein schlechter Traum. Wieso konnte sie meine Wölfe bloß so einfach töten? Das ist unmöglich. Sie sind stark, schnell, wild! „Malic... bitte.“ Er durfte mich nicht auch noch verlassen. Nicht Malic! „S... fer...“ Hörte ich Malic stöhnen.
„Was? Was hast du gesagt?“ Ich beugte mich über seine Schnauze, die feucht vor noch warmen Blut war. „Sil... ber.“ Stammelte er.
Silber? Etwa Silberkugeln? Aber das ist doch unmöglich, bloß etwas das die Menschen erfunden hatten, oder etwa nicht? Ich konnte mich schwach daran erinnern, Gael einmal danach gefragt zu haben, doch er hatte es lachend abgetan.
„Das ist nicht möglich, Malic. Rede jetzt nicht mehr, wir kümmern uns um dich.“
„Es ist wahr. Silber tötet Werwölfe nicht, aber es paralysiert sie. Wenn der Schuss nah genug am Herzen trifft...“ Mehr brauchte Nanina überhaupt nicht mehr zusagen.
Wo kam sie überhaupt her?
„Du kleines verlogenes Miststück!“ Rief Elth und legte dabei eine Hand auf meine Schulter. „Ich habe sie dir anvertraut! Ich dachte, du beschützt sie.“
„Das hätte ich ja auch. Aber wer konnte schon ahnen, wie speziell dieses kleine Mädchen ist. So unwissend. So... entzückend.“ Schwärmte sie etwa jetzt für mich?
„Ich habe dir doch gesagt, wer sie ist.“ Erinnerte Elth die Königin.
„Ja, du hast gesagt, dass sie eine Langweilige Zweitgeborene ist.“ Ich konnte mir vorstellen, dass es sogar derselbe Wortlaut war. „Aber du hast nicht erwähnt, was sie so Besonderes kann, mein Lieber.“
Nicht bloß ich war ganz offensichtlich verwirrt. Bloß wegen dieser dummen Geschichte, dachten sie, dass es bei ihnen genauso funktionieren würde? Dass sie Reinrassige und starke Wesen werden könnten, so wie ihre Königin? Hatten etwa nicht bloß Mischlinge von mir getrunken? Nein! Daran wollte ich überhaupt nicht erst denken.
„Du wirst sie nicht bekommen. Sie ist viel zu wertvoll um bei etwas wie euch zu bleiben.“ Abfällig betrachtete Elth die völlig erschöpften Vampire. Viel hatte der ständige Blutverlust offensichtlich nicht gebracht.
„Aber du darfst sie behalten, oder wie sehe ich das? Nutzt du sie etwa aus? Trinkst von ihr um dich zu stärken und versuchst sie vielleicht sogar mit dem ältesten Trick der Welt bei dir zu halten?“
„Wovon redest du? Ich bin Dells Wächter. Ich beschütze sie, bis sie volljährig ist, das ist meine einzige Aufgabe.“
„Oh, und das sie sich in dich verliebt und du sie in ihrer letzten Nacht fickst um sie zu zerstören, das ist bloß ein Bonus oben drauf, oder sehe ich das falsch.“
Gleichermaßen angewidert gaben Elth und ich denselben Laut von uns. „Du spinnst ja!“ Warf ich Nanina vor. „Als ob ich auch nur ansatzweise auf so einen irrsinnigen Gedanken kommen würde.“ Drohend nahm Elth eine Kampfstellung ein. Ihm reichte es und ich konnte es durchaus verstehen. „Mach dich auf deinen Untergang gefasst, dummes Weibsbild.“ „Elth! Nein!“ Nicht noch er. Malic hatte bereits seinen letzten Atemzug ausgehaucht, ohne das ich mich bedanken bei ihm konnte, ohne dass ich ihn wegen der plötzlichen Stärke fragen konnte, oder zumindest ein letztes mal mit ihm sprach. Mit einem Freund, nicht mit einem Untergebenen. Sein normalerweise stark klopfendes Herz, war für eine Ewigkeit verstummt und sein Blick vollkommen leer.
Aber Elth kämpfte. Um mich. Um mein zukünftiges Leben. Und vor allem um sein Eigenes. Im Gegensatz zu den bereits von den Werwölfen verwundeten Vampiren, stand Nanina ihm um nichts nach. Sie besaß kein Handykap, ist durch und durch reinrassig, vermutlich sogar älter als er und eine mehr als erfahrene Kämpferin. „Elth...“ Schaudernd so ich die Luft ein und hielt mir die blutverschmierten Hände vor das Gesicht. Elth kämpfte, wie ich noch nie jemanden zuvor hatte, kämpfen sehen. Hechtete der viel zu schnellen Königin hinterher, schlug nach ihr, schnappte nach ihr und versuchte mehrfach sie in die Enge zu treiben, doch nichts klappte bei ihr. Sie ist zu stark, zu schnell, unerschöpflich.
Ganz im Gegensatz zu Elth. Er zitterte von der ständigen Anstrengung beinahe so stark wie vor einiger Zeit noch auf dem Dach. Seine Muskeln begannen ihm zu versagen und hektische Rauchschwaden stiegen aus seinem verzerrten Mund auf. Er verzweifelte und ich mit ihm.
So konnte er das unmöglich gewinnen.
Erschrocken zuckte ich zusammen, als warmer Atem meine Haut strich und Elth sich suchend nach Nanina umsah. „Lässt du ihn etwa genauso nutzlos sterben, wie die anderen fünf?“
Ich drehte mich um, um Nanina von mir zu stoßen, doch sie war bereits fort. Jaulend ging Elth zu Boden. „Elth!“
Ich wollte zu ihm laufen, seine blutende Wunde abdrücken, doch Nanina stand so schnell vor mir, dass ich nicht einmal einen Schritt schaffte und es lagen auch noch so viele Meter zwischen uns. Das konnte unmöglich gut ausgehen.
„Siehst du? Er ist doch bloß ein Mischling. Ein Nichts im Gegensatz zu uns.“ Wieder verschwand sie und packte Elth an den Haaren im Nacken. Zog ihn auf die schwachen Beine und entlockte ihm noch einen qualvollen Schrei.
Wieso konnte sich dieses Miststück bloß so schnell bewegen? Das ist einfach nicht fair! „Na komm schon, Edelle. Rette dein Schoßkätzchen.“ Ruckartig zog sie Elths Kopf zurück, um seine Kehle zu entblößen. Im nächsten Moment erkannte ich, etwas silbernes aufblitzen. „Oder ist er dir so wenig Wert? Du weißt doch. Eine Königin stirbt für ihr Volk.“
Mein Volk? Aber ich gehöre doch niemandem an. Ich konnte doch kaum selbstständig irgendwelche Wesenzügen annehmen, wie also sollte ich jetzt bereits zu einem Volk gehören? Und die Sache mit den Werwölfen? Das war reiner Zufall, immerhin hatte es bei den Vampiren nicht geklappt. Ganz offensichtlich, sonst wäre der Angriff der Werwölfe ganz anders ausgegangen.
„Na, gut. Dann entledige ich dich wohl lieber einmal dieser Last.“ Der Dolch in ihrer freien Hand bewegte sich zügig auf die Kehle von Elth zu, legte ihre kalte Schneide an seine warme, zarte Haut und ritzte sie, ohne zu zögern, ein.
Doch weit kam sie nicht. Bereits als der erste Blutstropfen aus der noch oberflächlichen Wunde sickerte, geschah es. Mein Körper wurde weiß wie Schnee, mein Puls so schwach, das er wie im Ruhezustand wirkte und lange spitze Eckzähne stachen durch meinen Oberkiefer hervor, direkt in meine Unterlippe.
Wie ich die gut hundertfünfzig Meter, welche uns getrennt hatten, überwand, bekam ich nicht mit. Aber mit einem geschickten Schlag auf die Kehle der Königin, riss sich sie von Elth fort, wobei sie das Messer verlor. „Fass ihn nie wieder an!“
Elth fiel vornüber. Bloß die Königin hatte ihn noch aufrecht gehalten, er musste mehr abbekommen haben, als mein bisher menschliches Auge hatte wahrnehmen können. Überall an seinem Körper befanden sich zahllose Schnittwunden. Im einzelnen vielleicht kaum einer Beachtung wert, doch sie zogen sich über seinen gesamten Körper, hinab bis zu seinen Füßen. Die blauen Flecke und Blutergüsse unter dem Fell, wollte ich mir nicht einmal ausmalen.
„Ich wusste doch, das zwischen euch mehr ist.“ Ärgerte sie mich verblüfft weiter, als ich Elth vorsichtig auf dem Boden ablegte.
„Schon gut. Alles kommt in Ordnung.“ Versprach ich Elth. Wie wusste ich jedoch noch nicht. Wie konnte ich all diese Wunden heilen? Obwohl, ich bin doch ein Vampir und in meiner Illusion hatte man mich mit solchem Blut mehrfach geheilt. Eilig griff ich nach der Klinge, die sogar in meiner Reichweite lag und legte an meinem Handgelenk an.
Elth jedoch verhinderte das. Sanft, aber nachdrücklich legte er seine Hand auf mein Gelenk und zog es an seinen Mund. „Mach die Schlampe fertig.“ Hauchte er sanft mit einem kurzen Kuss in meine Handfläche, bevor er bewusstlos wurde.
Mach die Schlampe fertig, das hatte er doch gesagt, oder nicht? Ungläubig betrachtete ich meine Handfläche. Nein, so etwas wie Liebe existierte zwischen uns nicht. Davon bin ich überzeugt. Wir streiten uns bloß. Wir haben nichts gemeinsam. Und ich bin nicht mehr als eine Last für ihn.
Aber wieso klappte es ausgerechnet jetzt? Die ganze Zeit hatte mich Elths Anwesenheit gestört. Ich hasse ihn. Ich habe ihm den Tod gewünscht. Doch trotzdem verwandelte ich mich für ihn. Um ihn zu retten.
Das alles ergab überhaupt keinen Sinn, aber ich hatte jetzt keine Zeit für meine Gedanken. Während ich von Elth abgelenkt gewesen war, hatte sich die Königin unbemerkt angeschlichen und zielte mit einem großen Stück Ast auf meinen Kopf. Wo hatte sie das denn her?
So schnell wie es meine neuen Fähigkeiten erlaubten, kam ich auf die Beine, blockte den hinterhältigen Angriff, indem ich meine Faust gegen das gebrechliche Holz schlug und es zersplitterte krachend in tausend Teile. „Du hast ihn gehört. Ich mache dich fertig!“ Für meine Wölfe. Für Elth. Für meine Freiheit.
Dieses Mal musste Nanina zugeben, das sie einen würdigen Gegner gefunden hatte. Mit schnellen, starken Schlägen, die alle auf ihr Gesicht abzielten, folgte ein Hagel aus Schlägen und teilweise sogar aus Tritte um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Nicht einmal ein überdurchschnittliches menschliches Augen könnte uns in diesem Moment folgen, denn wir waren so schnell, das wir sogar durch Regentropfen laufen könnten. In nichts stand ich ihr nach und das machte ich Nanina klar.
Sie ist eine Königin, ich in diesem Modus auch. Bloß das sie leider die erfahrene Kämpferin von uns beiden war und ich schnell feststellte, denselben Fehler wie Elth zu begehen. Ich nutzte zu viel Kraft und zu schnell, während sie entweder blockte, oder einfach auswich. Es war ein Tanz, der schnell entschieden sein würde, wenn ich mich nicht ein bremste. Aber was sollte ich sonst machen? Einfach dastehen und warten, dass Nanina aufgab? Das würde sie niemals. Dafür war ihr die Krone einfach zu wichtig. Ein Kampf zwischen Vampir und Vampir wurde immer so entschieden, dass der Überlebende seinen Stand annehmen konnte, insofern er das wollte. Und mir würde sie niemals ihre Stellung überlassen wollen.
Ich kam außer Atem. Fühlte, das mein Energieverbrauch an mir zehrte und langsam begann ich zu schwitzen. Aber Nanina erging es nicht anders. Für mich benötigte sie mehr Geschick, als für ihre bisherigen Gegner und das verunsicherte sie. Ihre Krone wurde durch mich durchaus gefährdet. Sie sollte auch Angst haben. Ich konnte sie ihr stehlen, einfach den Kopf abreisen, und sie könnte kaum etwas dagegen tun. Immerhin bin ich mächtiger als sie. Schneller. Klüger. Genau das ließ ich sie auch spüren. Mein Körper war vollkommen egal. Alles was zählte, war das zu rechen, was sie mir ohne zu zögern genommen hatte. „Verfluchte Schlange!“
Mit diesem Wutschrei sammelte ich alle Kraft, die ich aufbieten konnte, konzentrierte sie auf einen einzigen Punkt und schlug zu. Meine Faust fuhr so schnell durch die Luft, das es sich anfühlte, als würde ich etwas zerreißen, das bisher zwischen uns gestanden hatte und schleudere sie mit all dieser Kraft quer über das Feld. Mehrere hundert Meter weit flog die Vampirkönigin, bis sie durch eine der Steinwände krachte und sie darunter verschüttet wurde.
Instinktiv wollte ich ihr hinterher springen und sichergehen, dass sie auch wirklich tot war, doch eine Bewegung aus dem Augenwinkel erregte meine Aufmerksamkeit. Es war goldenes Fell, das sich gerade an dem Fuß eines qualvoll schreienden Vampirs ernährte. Nachdem er das genüssliche Fleisch herunter gerissen hatte, jedoch ohne den Knochen zu beschädigen, schlich er gemütlich zu dem nächsten und knabberte auch an ihm herum.
„Wirklich, Elth? Jetzt isst du?“ Entgeistert warf ich die Hände in die Höhe. Das konnte doch bloß ein Scherz sein. Eben noch dachte ich, dass er stirbt. Jetzt strotzte er vor Energie und versuchte sich sogar als Kannibale.
„Waf?“ fragte er mit vollem Mund, doch ließ artig von dem bereits bewusstlosen Vampir ab. „Es wächst doch nach und ich musste mich regenerieren.“ Auf allen vieren trabte Elth auf mich zu, wenige Meter vor mir, kam er wieder auf die Hinterbeine und schlang ohne groß zu Fragen seine Arme um mich.
„Zum Glück geht es dir gut.“ Darüber, dass er sich eben als Kannibale heraus gestellt hatte, sah ich in diesem Moment einfach hinweg. Liebevoll drückte er mich an sich und atmete erleichtert durch. „Aber einen auf Hulk hättest du bereits vor Stunden machen können.“ Mit diesen vorwurfsvollen Worten schob er mich wieder von sich, was ich aber überhaupt nicht wollte. In Elths Armen fühlte es sich einfach so warm und gemütlich an.
„Ich weiß.“ Hauchte ich leise in die kalte Nachtluft und besah den toten Körper von Malic. So weit hätte es niemals kommen müssen, wenn ich bloß stärker gewesen wäre. Wenn ich meine Fähigkeiten kontrollieren könnte.
„Los jetzt. Bevor sie sich erholt hat, müssen wir durch die Wälder gekommen sein.“ Elth fiel wieder zurück auf seine weichen, doch gefährlichen Tatzen und deutete mir ihm zu folgen. Mit einem letzten Blick auf den letzten meiner Wölfe, lief ich los. Ich musste ihn hier lassen, ob ich wollte oder nicht. Mit dem letzten Schlag hatte ich meine restliche Kraft ausgeschöpft. Wie lange ich noch den Vampir in mir aufrecht erhalten konnte, wusste ich nicht, aber klar war, dass mir nicht viel Zeit blieb, daher musste ich schleunigst hier fort, bevor das geschah und ich wieder einmal zur Last von Elth wurde.

25. Verschwiegene Tatsachen

 Der dunkle, nebelige Wald zog sich gut über mehrere Kilometer hin. Ich konnte das Ende nicht einmal erahnen, bis wir ganz plötzlich und unvermittelt einfach vor einer Straße ankamen, die recht unbenutzt aussah. „Richtung Westen liegt Gaels Haus. Es wird eine lange Reise werden, Dell.“
Stumm nickte ich. Ob ich nach alldem Gael überhaupt noch unter die Augen treten konnte? Wollte er mich überhaupt sehen?
„Dann los. Wir erreichen die Stadt bestimmt vor Sonnenaufgang noch.“ Die Stadt? Welche Stadt? Wortlos folgte ich Elth, doch auf meine Vampirschnelligkeit konnte ich nicht mehr zählen. Da mein Körper sich bereits wieder erholt hatte und bloß noch das getrocknete Blut von den letzten grauenhaften Tagen zeugt. So viel zu meinem gelben Kleid. Aber Nanina ihres hatte auch nicht besonders viel besser ausgesehen, so zerrissen und dreckig wie sie gewesen ist.
„Vermutlich willst du das jetzt nicht hören, aber du schuldest mir etwas.“ Elth etwas schulden? J
a das tat ich durchaus.
Da jedoch mein Gehirn zu erschöpft war, um besonders viel zu denken, murrte ich bloß ein gelangweiltes „Was meinst du?“
Elth, dessen Nähe mich in dieser kalten Region durchaus wärmte, rückte näher an mich heran und beugte sich sogar zu meinem Ohr hinab. „Du schuldest mir einen Kuss.“
Einen... Verdammt, er hatte recht! Den hatte ich ihm versprochen, falls er uns nicht von dem Schloss fortbrächte, dass ich ihn zur Strafe küssen würde. Es sollte als eine Drohung wirken. Eine recht fiese, wenn ich an unsere Vergangenheit dachte. „Aber du hast uns doch hinaus gebracht.“ Erwiderte ich.
Wir sind in Sicherheit, ich zwar hungrig und müde, aber weit fort vom Schloss. Das alleine zählte.
„Nein, dass wir vom Gelände gekommen sind, ist ganz alleine dein Verdienst. Hättest du nicht gegen die Königin gekämpft, hätte sie mich getötet. Also habe ich uns nicht gerettet. Das bedeutet, du musst mich wohl oder übel bestrafen.“
Erschrocken blickte ich zu dem gut gelaunten Menschwesen auf. Er hatte wieder seine menschliche Gestalt angenommen und lief nackt neben mir. Was sagte das über meine derzeitige Aufnahmefähigkeit aus, wenn mir das nicht einmal aufgefallen ist.
„Igitt, ich werde dich bestimmt nicht küssen. Vorher friert die Hölle zu.“ Aufgebracht beschleunigte ich meine Schritte, doch wollte Elth natürlich nicht abhängen, sondern bloß etwas Abstand zu ihm bekommen. Wie konnte er in einer solchen Trauerzeit bloß so gut gelaunt und mit einem Scherz auf den Lippen über an dieser Straße entlang gehen.
War ihm denn nicht bewusst, was ich verloren hatte? Meine Freunde hatten sich für mich geopfert, nachdem ich ihnen Macht geschenkt hatte. Sie sind mir treu, bis in den Tod geblieben. Dafür würde ich etwas für sie machen müssen, denn vergessen könnte ich ihnen das niemals.
Hinter mir hörte ich Elth gelangweilt seufzen, doch ignorierte ihn einfach. Egal was er eben wollte, ich hatte schon wieder die Lust auf ihn verloren. Es enttäuschte mich tiefer als ich erwartete, dass ihn der Tod der fünf Wölfe so wenig interessierte, aber wem machte ich etwas vor. Katzenmenschen und Werwölfe vertrugen sich einfach nicht und diese Feindschaft hatte nicht einmal etwas mit diesem >wie Hund und Katz< Mythos zu tun. So viel wusste ich zumindest. Gael meinte, dass es etwas Biologisches sei, aber nicht zurückzuführen auf ihre inneren Tiere selbst.
Nach gut einer Stunde erreichten wir endlich eine Kreuzung. Dabei handelte es sich um eine gut befahrene Straße, selbst in den frühen Morgenstunden.
„Noch gut zwanzig Kilometer, dann sind wir in Regina.“
„Und ich, völlig erfroren.“ Fügte ich hinzu. Bisher wollte ich es mir nicht anmerken lassen, doch zwanzig Kilometer! Wie sollte ich das schaffen? Jedenfalls schien Elth sein natürliches >Menschenkleid< bei diesen Temperaturen überhaupt nicht zu stören, während meine Arme sich bereits eiskalt anfühlten. Schützend legte Elth seinen Arm um mich und drückte mich für einen Moment. „Ich halte ein Auto an.“
Wirklich? Wie wollte er das schaffen? Wer nimmt schon einen nackten furchteinflößenden Kerl und ein blutverschmiertes Mädchen mit? „Na da bin ich aber gespannt.“
Als ein einzelner Pkw auf unserer Seite näher kam, visierte Elth das Auto an. Ohne viel nachzudenken, sprang er dem Fahrer einfach davor und deutete ihm stehen zu bleiben. Schlitternd blieb der Fahrer, zum Glück war er alleine, stehen und stieg wild schimpfend aus. Es war sichtlich eine Frau in ihren Vierzigern, doch wirkte sie nicht alt, sondern gepflegt und etwas eitel.
„Sie bringen uns beide bis zum Flughafen. Dort lassen Sie uns aussteigen und vergessen das Sie danach einfach unsere Gesichter, so wie die Fahrt dorthin.“ Befahl Elth mit monotoner Stimme.
Die Frau nickte ruhig, stieg in ihr Auto und schloss die Türe. „Bitte schön, verehrte Prinzessin.“ Dankend nahm ich auf der Rückbank des Autos platz und Elth kuschelte sich sofort an mich. „Sie haben nicht noch zufällig Bargeld einstecken, oder?“ Elth lehnte sich bis zum Fahrersitz vor und nahm sich die Handtasche selbst nach hinten. „Elth! Du kannst ihr doch kein Geld stehlen.“ Schimpfte ich. „Ich müsste noch beinahe siebzig in Bar haben.“ Antwortete die Frau monoton auf Elths Frage. Wie machte er das? Er sah ihr nicht einmal in die Augen.
„Gut dann halten wir am Weg bei einem Kleidergeschäft. Ich kann eine Hose und ein Shirt brauchen.“ Das stimmte. Nackt in der Stadt wäre er doch ein gewisser Blickfang. Mit einem kurzen Blick auf mich, überdachte er Gesagtes noch einmal. „Würden Sie uns auch bitte ihren Mantel leihen? Sagen Sie einfach, Sie haben ihn irgendwo verlegt.“
Ungläubig beobachtete ich, wie die Frau ihren Mantel auszog, ihn mir nach hinten reichte und den Wagen startete.
„Elth! Das reicht jetzt.“ Na gut, ich nahm den Mantel an, aber damit war es auch wirklich genug. Der schwarze Stoff war mir zwar etwas zu groß, doch es wärmte mich endlich, genauso wie die Autoheizung.
„Ja, ja. Sei froh, dass ich überhaupt diese Fähigkeit besitze. Andernfalls müssten wir laufen und du würdest weiterhin frieren.“
Verärgert warf ich ihm nur einen kurzen Blick zu, da mich sein >natürliches Kleid< vollkommen durcheinanderbrachte.
Das jedoch mit der Kleidung stellte sich etwas Schwieriger als gedacht heraus. Bisher war noch alles geschlossen. „Es gibt noch einen vierundzwanzig Stunden Markt, er sollte zumindest mit einer Hose und einem Shirt dienen können.“ Schlug unsere Fahrerin vor. Gesagt getan, fuhr sie uns direkt dort hin. Kurz lief sie hinein, um uns etwas zum Ankleiden zu bringen, dann fuhren wir auch bereits weiter, bis wir den Flughafen erreichten.
Nachdem sich Elth wieder angezogen hatte, wagte ich es, auch ihn genauer anzusehen. Er war wieder ganz Mensch und >Vollblut Elth<. Frech, gemein und überheblich. So kannte ich ihn. Aber weshalb eigentlich? „Sag mal. Veränderst du bei einer Verwandlung eigentlich auch deinen Charakter, so wie ich?“
Als Vampir war ich genauso übermütig geworden wie als Werwolf arrogant. Es schien, als würde ich einfach eine völlig andere Persönlichkeit anlegen, und konnte sie bloß teilweise kontrollieren.
Nachdenklich schüttelte Elth den Kopf. „Nein, wie kommst du darauf?“
Natürlich wollte ich ihm nicht sagen, dass ich ihn bei meiner Rettung wesentlich lieber gemocht hatte, oder als er als Gepard mit mir im Bett gekuschelt hatte. Da war er schon irgendwie... süß? Diesen Elth mochte ich wirklich sehr gerne.
Aber jetzt? Arrogant und unausstehlich. „Nur so ein Gedanke.“
Verwirrt erwiderte Elth nichts mehr und ich war auch froh darüber. Vermutlich dachte er, dass ich dies bloß fragte, da ich mich ja selbst vollkommen verändere. Gut so, ansonsten würde es bloß peinlich für mich ausgehen. Immerhin mochte ich Elth nicht. Kein bisschen. Zumindest nicht so wie meine Werwölfe.
Sind jetzt bereits gut drei Stunden tot. Das zerriss mir beinahe das Herz. Die im ganzen Flur verteilten Körper, Debbys Sturz in die Tiefe und Malics tragischer Abgang durch Paralyse. Mit einem Schlag hatte sie mir beinahe alles genommen, was mir wichtig ist.
„Denkst du an die Werwölfe?“ Flüchtig trocknete ich meine Tränen und log.
„Nein, ich vermisse Gael.“ Natürlich war es keine direkt Lüge, aber mir gefiel es nicht, wie er so einfach meine Gedanken las.
„Hättest du ihn lieber als mich hier?“ Überrascht starrte ich ihn an. „Natürlich. Du nervst mich schon wieder. Gael würde mich trösten und... einfach nett zu mir sein.“
Seufzend lehnte Elth sich gemütlich zurück, legte seine Knie an den Rücken Vordersitz und entspannte sich. „Wie gut das ich nicht Gael bin und mich diese Hunde niemals interessiert haben.“
Plötzlich dämmerte mir etwas. Wie von selbst ging meine Hand zu der schlecht heilenden Bisswunde. „Daher wusstest du es.“
Fragend musterte mich Elth. „Was meinst du?“
„Nanina hat mir erklärt, wie das mit dem Biss wirkt. Du hast meine Not gespürt! Du hast die Wölfe um Hilfe gebeten, nicht wahr?“ Forschend sah ich Elth ins Gesicht und erkannte ganz genau, wie er rot wurde.
„Das war Teil des Planes. Falls etwas schief geht und wie sich zeigte, war es auch gut so. Natürlich sind mir diese Tölen sofort nach gelaufen, als sie gehört haben, dass ihre >wertvolle Prinzessin< in Not steckt.“ Elth klang zwar höhnisch, doch ich hatte recht.
Er war nicht bei den Wölfen. Bis dahin hatte er das Geld bestimmt schon, vielleicht war er auch gerade dabei sich abzusetzen, doch er kam zurück. Er kam um die Wölfe, um Hilfe zu bitten, mit ihren neuen Kräften. Meinetwegen...
Abermals traten mir Tränen in die Augen. So egal war ihm das alles überhaupt nicht. Das er sogar die Wölfe anbettelte mir zur Hilfe zu kommen, obwohl sie vermutlich sofort kampfbereit gewesen sein müssten, als mein Name fiel. „Idiot.“ Schimpfte ich, wischte noch einige Tränen aus meinem Augenwinkel und lehnte mich zu Elth hinüber. Verwirrt wich er etwas zurück, doch viel Spielraum hatte er nicht mehr. Schnell schob ich mein Gesicht neben seines und hauchte ihm einen kurzen Kuss auf die Wange, bevor ich regelrecht auf meine Seite des Sitzes zurückschnellte. „Das war deine versprochene Strafe.“

 

- - - - -

 

Den Flughafen erreichten wir rasch. Unsere Fahrerin setzte uns eine Straße davor ab, wo sich noch keine Sicherheitskameras befanden und Elth löste den Bann. Ohne sich an uns zu erinnern und mit dem Wissen sich aus Versehen verfahren zu haben, zog sie wieder ihre Wege.
„Jetzt müssen wir etwas gehen.“ Verkündete Elth warnend. „Wieso? Ich dachte, wir gehen zu Gael?“ Soweit ich wusste, befand sich sein Haus irgendwo in den Tiefen irgendwelcher Wälder. Zwar bezweifelte ich, dass wir mit einem Flugzeug dort hinkämen, doch hatte angenommen, dass Elth ein Taxi nehmen möchte.
Stattdessen schleifte er mich nun ewig lange, Zickzack, durch irgendwelche Gassen. Heruntergekommene, fein säuberliche, Hinterstraßen. Ich erkannte sogar ein Gebäude, an dem wir bereits zwei Mal vorbei gekommen waren. Hatte er sich etwa verlaufen?
„Bleib einen Moment hier stehen.“ Verwirrt ließ ich mich von Elth hinter eine Eckwand schieben, während er dahinter verschwand. Ich verstand kein Wort. Was wollten wir hier? Wo sind wir überhaupt?
Ich konnte bloß froh sein, dass das getrocknete Blut bereits aussah, wie Dreck, sodass es nicht allzu komisch wirkte, wie ich hier vor einer Straßenecke stand und mir die bereits geschwollenen Beine, welche bereits unangenehme Blasen an den Sohlen bildeten, in den Bauch stand. Vermutlich hielten mich die Leute bloß für irgend so ein Partygirl, welches letzte Nacht zu viel gebechert haben musste. Nicht das diese Spekulation irgendetwas besser machte, denn ich wollte auch nicht, dass jemand von mir dachte, dass ich irgend so ein Versagermädchen bin. Obwohl ich das ja auch irgendwie bin. Ich kann Werwölfe verwandeln, aber keine Vampire. Ich kann super stark werden, doch nie gerade dann, wenn ich es bräuchte.
Ich bin ein totaler Versager.
„Komm, sie sind endlich zuhause.“
Sie? Von wem sprach Elth? „Was? Zu wem gehen wir?“ Misstrauisch beäugte ich Elth. Wollte er mich etwa schon wieder an irgendjemanden verkaufen? Das würde ich nicht zulassen. „Ich will zu Gael. Sofort!“ Entschied ich streng.
„Was? Keine Sorge. Dort bist du sicher und wir können uns vielleicht sogar ein Auto leihen.“
Das war mir dann doch, etwas zu wage. „Nein! Ich lasse mich von dir nicht schon wieder an jemanden verkaufen!“
Als hätte ich ihn plötzlich verletzt, wurde Elth still. Sein auffordernder Gesichtsausdruck wurde enttäuscht und ich fühlte mich willkürlich schuldig. Was redete ich denn da?
„Dell, deine Hände zittern.“ Fragend besah ich meine Hände und er hatte recht. „Als wir aus dem Auto gestiegen sind, konntest du dich kaum auf den Beinen halten und wenn wir nicht bald deine Füße behandeln, wird sich noch eine Blase entzünden.“ Was? Woher wusste Elth das alles? Beobachtete er mich etwa?
„Aber...“ Kopfschüttelnd verhinderte er, dass ich etwas sagte und legte eine Hand an meinen Hals. „Dell, ich schwöre dir, dass ich dich nicht noch einmal verkaufen werde. Aber du bist müde, genauso wie ich. Wir haben beide Hunger und brauchen einen sichern Platz, wo wir weitere Pläne machen können, verstanden?“ Ich nickte beschämt. Wie konnte ich ihm so etwas Gemeines vorwerfen? Ich bin so eine Niete. Wieso gab er sich überhaupt noch mit mir ab?
Schniefend folgte ich Elth, der seinen Arm nicht wieder zurücknahm, sondern um meinen Rücken legte. Von ihm ließ ich mich auch nun den restlichen Weg führen. Ich achtete weder auf die verschneite Umgebung, die süßen Schneemänner im Garten der Wohnhäuser, oder den verwüsteten Spielplatz, der kaum noch als ein solcher zu betrachten war.
Mit einem Lift fuhren wir in den siebten Stock und klopften dort gleich an die erste von drei Türen die sich links, rechts und gegenüber vom Lift auftaten. Niemand öffnete sie, doch es drang lautstark das Dröhnen eines Fernsehers und Kindergelächter auf den Flur. Wo sind wir hier bloß wieder?
Fluchend öffnete Elth die Türe von selbst. Sie war nicht einmal abgeschlossen! Schweigend folgte ich ihm... in das totale Chaos. Und ich dachte schon, mein Zimmer wäre unordentlich, aber der Flur in den wir kamen, war von Jacken, Hauben, Handschuhe und Stiefel über Stiefel nur so belegt. Man konnte kaum einen Schritt vor den anderen machen, ohne aus Versehen auf irgendetwas zu steigen. „Am besten ziehst du die Schuhe aus. Sonst brichst du dir noch irgendetwas.“ Nicht das von meinen hohen Schuhen noch viel übrig geblieben wäre.
Wie gewünscht streifte ich die Schuhe ab und nahm sie in die Hand. Wer wusste schon, ob sie in diesem Getümmel an Kleidung nicht auch noch verloren gingen?
„Jemand zuhause?“ Fragte Elth überflüssig. Kopfschüttelnd dachte ich an die Schuhsammlung, die Gael ständig fein säuberlich wieder herstellen musste, da die Wölfe ihre Sachen einfach immer in irgendeine Ecke warfen und Dreck in das Haus brachten. Gael hätte hier bestimmt seine Freude.
„Pa!“ Erklang es von drei Kindern gleichzeitig.
Pa? Wiederholte ich still dieses einzelne Wort, bestehend aus zwei Buchstaben. Pa?
Wie aus dem nichts landeten zwei kleine Kinder in Elths ausgestreckten Armen und ein dritter Junge stellte sich breit grinsend vor ihn. „Na, alter Mann. Auch einmal wieder zuhause?“ Elth drückte den Teenager ebenfalls an seine Brust, auch wenn dieser es sichtlich nicht wollte, doch zu freuen schien er sich trotzdem. „Sei mal nicht so frech, sonst muss dich deine Mutter bestrafen.“
Pa. Mutter. Das konnte doch nicht... Nein... Ich musste etwas falsch verstehen.
„Wer ist denn da?“ Erklang eine weibliche Stimme aus einem Raum, den wir noch nicht gesehen hatten und standen zusammen mit den drei Burschen in so etwas wie einem Wohnzimmer. Auch dieses sah nicht besser aus, als der Vorraum. Wenn möglich sah es sogar noch schlimmer aus. „Pa ist da. Er hat auch jemanden mit genommen!“ Rief der Junge zurück, der aussah wie sieben, oder vielleicht war er auch etwas älter.
„Pa? Was macht der denn hier?“ Lissy! Ich erinnerte mich sofort an sie. Die rothaarige, welche sie jetzt blau trug, kam mit einem Teller aus einem Nebenraum, vermutlich der Küche, denn sie trocknete eben ein nasses Glas ab.
„Das kannst du mich doch selbst fragen, oder?“ Scherzte Elth und drehte sich mit dem jüngsten im Kreis. Lachend quiekte er. „Mist, ihr seid alle schon so groß geworden. Ich verpasse ja irgendwie alles.“ Mit einem dicken Kuss auf die Wange stellte er den kleinen wieder auf seine dürren Beinchen, jedoch wollte dieser noch einmal >Flugzeug< spielen.
„Später, mein Großer. Erst mal muss ich eure Mama gebührend begrüßen.“
Angewidert verzog Lissy das Gesicht. „Bleib mir bloß fern, du stinkst bis hier rüber.“ Schimpfte sie und schien mich erst jetzt zu bemerken. „Edelle! Du lebst ja!“
Im ernst? Das überraschte mich ehrlich gesagt selbst. Aber noch mehr, als mein bisheriges knappes Überleben, überraschte es mich, Lissy wieder zu sehen. Ganz offensichtlich Elths Frau und die Mutter seiner Kinder.
Wieso nur fühlte ich mich plötzlich innerlich zerstört und so leer? Immerhin ist das Elth, über den ich hier sprach. Unausstehlich. Arrogant. Hat mich verkauft! Mehrfach! Und trotzdem konnte ich nach dieser Erkenntnis weit weniger Empfinden, als nach allem, was in den letzten Tagen passiert ist. Es war geradezu, als hätte man sämtliche Gefühle einfach so aus mir heraus gezogen, bis ich leer und alleine in mir zurückblieb.
„Ist alles mit dir in Ordnung? Du bist so bleich.“ Lissy nahm mir besorgt die Jacke ab und ignorierte dabei gekonnt Elths versuche, sie zu begrüßen.
„Alles in Ordnung.“ Gab ich monoton von mir. Ja es stimmte. Alles war fort. Meine Trauer, meine kurzweilige Freude, einfach alles was mich aus machte. Genauso wie ich meinen eigenen Worten nicht glaubte, tat es Lissy ebenfalls nicht. „Komm, geh am besten gleich einmal heiß duschen, du bist ganz kalt. Ich lege dir Sachen raus. Die hier kann ich wohl wegwerfen, oder?“
Ich nickte bloß und ließ mich von ihr in ein kleines Badezimmer bringen, fort von acht besorgten Augen. Dankbar nahm ich frische Kleidung so wie ein Badetuch entgegen. „Such dir etwas aus, das meiste ist leider für Jungs. Ich trenne mittlerweile nicht mehr sonderlich streng, da ich die einzige Frau im Haushalt bin.“ Damit deutete sie auf die verschiedenen Shampoos und Seifen, die sich im Badezimmer befanden. Selbst eine noch, in der Verpackung, eingeschlossene Zahnbürste stellte sie mir zur Verfügung.
Dankend sagte ich, dass es mich nicht störte, und schloss mich im Badezimmer ein. Nach einer kurzen Dusche, da das Wasser nicht richtig warm werden wollte, hatte ich endlich frische Kleidung an und das Badetuch über meinen Kopf gewickelt.
„Elth hat erzählt, dass du viele Verluste erlitten hast. Das tut mir sehr leid für dich.“ Kaum das ich die Türe offen hatte, stand der Siebenjährige vor mir und sah mich voller Mitleid in den Augen an.
„Ähm... Danke?“ Ich wusste darauf nicht wirklich etwas zu erwidern und zudem verschwand er so schnell in einem der vielen Türen, sodass ich nicht wusste, ob er mich noch gehört hatte.
Zurück im Wohnzimmer empfing mich das vollkommene Familienglück. Elth saß neben Lissy auf der Bank, hatte einen Arm hinter ihr auf der Lehne und kuschelte mit dem kleinsten Jungen hier im Raum, während der Teenager ein Spiel auf der Playstation spielte. Ich kannte es nicht und es interessierte mich auch nicht wirklich.
Alleine der Anblick erregte Übelkeit in mir. Oder war es Neid? Konnte ich doch noch etwas fühlen?
„Ah! Dell, komm her. Setzt dich und iss etwas. Du musst ja am Verhungern sein.“ Lissy zog mich ohne Umschweife neben sich und drückte mir ein Brot mit viel zu viel Belag in die Hand. Daneben stand auch noch ein Teller mit Rührei, von dem bereits jemand eine kleine Lücke genascht hatte.
„Tut mir leid, ich hatte immer noch Hunger.“ Entschuldigte sich Elth, doch ich winkte ab. „Iss es ruhig. Mir wird das Brot reichen.“ Mehr brauchte es auch nicht, da stopfte er sich auch bereits voll. Lissy rügte ihn sofort dafür.
Da mir jetzt von dem lauwarmen Wasser, wieder kalt war, zog ich meine Beine hoch und versteckte sie unter meinem Po um mich zu wärmen. Zudem hielt ich Abstand zu der kleinen Familie. Nicht das mir noch irgendetwas Unbedachtes heraus rutschte.
„Fühlst du dich schon besser?“ Nach dem Brot und dem Glas Zitronenwasser fühlte ich mich tatsächlich etwas besser. Körperlich, nicht emotional.
Der Tag verging langsam. Immer wieder musste ich mir anhören, wie Elth und Lissy sich gegenseitig an zickten, oder verspotteten. Vermutlich sollte ich froh sein, einmal nicht diejenige zu sein, auf der er herum stochert, aber jetzt, in diesem Moment wünschte ich es mir sogar schon wieder. Aber war das nicht jedes Mal so? Als Elth von dem Sturz für einige Tage im Koma gelegen hatte, fehlte mir diese Streiterein. Als ich mich in der Gefangenschaft der Vampire befand, hatte mich eine Illusion an ihn gestärkt. Und jetzt? Mittlerweile wusste ich schon überhaupt nicht mehr, wie ich fühlen sollte, in den kurzen Momenten wo mich ein Stich durchfuhr, oder mein Herz noch schwerer als davor wurde.

26. Midnight-Talk

Nun ist es offiziell. Elth besitzt eine Familie. Aber was hatte ich denn erwartet? Soviel ich wusste, war er gut über hundert Jahre alt. Jung für ein Menschwesen, gerade mit Vampirblut in den Genen, trotzdem kam es unerwartet. Wieso hatte er niemals über sie gesprochen? Trennte er etwa Familie von >Arbeit<, also mir, dermaßen streng? Vermutlich hätte ich niemals etwas über sie erfahren und das wurmte mich. Wieso nur? Weshalb hat er nie etwas gesagt. Zum Beispiel als ich Lissy das erste Mal traf. Da hätte ja so etwas wie >ach, ja das ist übrigens meine Frau und mit ihr habe ich drei Kinder< kommen können, oder nicht?
Na gut, vielleicht nicht unbedingt zu dieser Zeit, aber... irgendwann? Oder ging es mich schlicht und ergreifend nichts an? Ja, vermutlich lag es einfach daran.
Mehrfach versuchten mich, die Menschwesen hier in ein Gespräch zu verwickeln, doch ich blieb eintönig und lehnte sämtliche weitere Aufforderungen einfach kalt ab.
Natürlich war ich weder zornig auf Lissy, noch auf ihre Kinder, aber auf Elth. Das alles hier verletzt mich zutiefst, doch ich verstand nicht weshalb. Das ist so untypisch für mich.
Nicht einmal als ich von Gael erfuhr, dass er mit meiner Schwester so gut wie verlobt war, hatte ich mich jemals dermaßen verletzt gefühlt.
„Kommt, morgen ist wieder Schule, Kinder. Ab in die Dusche.“ Erst nach Stunden bemerkte ich, dass ich mich überhaupt nicht bewegt hatte. Ich saß noch immer mit demselben Glas Zitronenwasser auf demselben Fleck des Sofas, auf den mich Lissy gezogen hatte. In der Zwischenzeit hatte sie mehrmals nachgefüllt, aber ich konnte es nicht wagen sie direkt anzusehen. Das schmerzte einfach zu sehr.
Lissy ist wirklich hübsch. Mit ihrem langen Körper, der typisch auch für Menschwesen ist, ihrem eleganten Hüftschwung, den langen Wimpern, das frech gefärbte Haar. Mochte Elth so etwas etwa?
Nein, nein, nein. Das interessiert mich überhaupt nicht! Wieso auch? So ein Unsinn!
Das >Schlafzimmer< stellte sich als etwas verblüffendes heraus. Es handelte sich zwar um ein >Zimmer< das zum Schlafen diente, doch war es einfach nur das. Ein großer Kasten, vollgestopft mit Kleidung, von oben bis unten, zog sich über die gesamte Seite des Zimmers, wo sich im besten Fall auch ein Fenster befand, doch damit war es blockiert. Auf dem Boden lagen drei Matratzen, die zu einer umfunktioniert worden war. Darauf lag eine ganze Ansammlung von Polster und Decken. Irgendwie schaffte es Lissy sogar, noch mehr davon aus ihrem Kleiderschrank zu angeln. Dabei musste es sich um ein Prinzip des >Schwarzen Loches< handeln, denn anders konnte ich mir nicht erklären, wie das alles dort hinein passen sollte. Oder sie hatte sich dank Tetris das perfekte Sortiersystem angeeignet?
„Du solltest lieber nicht neben den Kindern schlafen. Die beiden kleinsten Verwandeln sich nachts noch unkontrolliert und könnten dich aus Versehen kratzen.“
Nickend ließ ich mir einen Platz neben Lissy zuweisen, der sich so ziemlich neben der Türe befand, während Elth schön ausgebreitet in der Mitte lag und alle drei Kinder teils neben, teils auf ihm drauf. Eigentlich sah das sogar richtig niedlich aus, wenn ich ehrlich war.
„Schlaft schön, ja?“ Gab Lissy in die Runde. Eine einstimmige Antwort kam zurück. Es dauerte daraufhin noch gut eine Stunde, bis endlich alles schlief, zumindest verstand ich nun, weshalb sie bereits um halb acht alle im Bett haben wollte.
Ich jedoch schaffte es nicht zu schlafen. Entweder trat mich irgendjemand, etwas lag auf meinen Haaren, oder abwechselnd wurde geschnarcht. Das ist doch furchtbar! Wer konnte hierbei bitte schlafen? Man musste wirklich die Engelsgeduld eines Elternteils besitzen um das hier über Jahre hinweg zu überleben. Andererseits, kannte ich nun den Grund für Elths gieriges Verhalten. Es ist nicht für ihn. Das alles tat er alleine für seine Familie.
Alleine dieser Gedanken und meiner schrecklichen Eifersucht war es zu verdanken, dass ich kein Auge zu tat. Irgendwann nach Elf hielt ich es nicht mehr aus. Ich schlich mich, mit dem innerlichen Vorwand bloß die Toilette aufzusuchen, aus dem Zimmer, schloss lautlos die Türe hinter mir und dankte für die plötzlich einkehrende Ruhe. Wieso habe ich das nicht bereits eher getan?
Obwohl ich kaum noch die Augen offen halten konnte, verspürte ich nicht das Bedürfnis zu schlafen. Was erwartete mich da schon? Nach all dem Blut und dem Tod konnte ich kaum damit rechnen, dass ich von etwas schönem träumte, oder?
Nach einem wirklich bloß kurzen Besuch auf der Toilette ging ich noch in die relativ gepflegte Küche und trank ein Schluck Wasser.
Mit dem Bestreben, endlich zu schlafen und einfach für die nächsten Stunden alles zu vergessen, ging ich zurück. Es änderte doch auch nichts die ganze Nacht wach zu bleiben. Ich brauche den Schlaf dringend.
Das durfte doch nicht... Ihr ernst? Ich fand überhaupt keinen Platz mehr. Jeder lag kreuz und quer, mit Beinen oder Polstern kuschelnd über die Matratzen verteilt. Wenn ich mich dazu legen wollte, müsste ich mich schon teilweise über Gesichter ausbreiten. Kopfschüttelnd gab ich auf. Dann eben auf die Bank mit mir, etwas anderes blieb wohl kaum. Wenigstens hatte ich da meine Ruhe.
Mürrisch legte ich mich in das kalte Wohnzimmer, da der Heizstrahler natürlich im Schlafzimmer stand und kauerte mich zusammen. Morgen würde ich zwar vermutlich krank sein, doch daran ließ sich nichts ändern.
Müde schloss ich die Augen und spielte mich mit einer der Falten am Sofa. Es war bereits ganz durch gelegen und man merkte, dass viel Zeit darauf verbracht wurde. Gerade deshalb wurde es im Liegen noch viel ungemütlicher. Aber vermutlich merkten sie das überhaupt nicht mehr. Der Mensch, egal wie viel davon in einem verbleibt, ist nun mal ein Gewohnheitstier.
Erschrocken zuckte ich zusammen, als sich die Schlafzimmertüre öffnete. Unbemerkt versteckte ich meinen Kopf in einer Ecke und tat als würde ich schlafen. Vermutlich war es bloß irgendjemand, der einmal auf die Toilette musste. Vielleicht bemerkte man mich ja noch nicht einmal. Dank der Lehne musste ich ohnehin vollkommen im Schatten liegen.
Jedoch visierten die Beine weder die Toilette, noch die Küche an. Sie kamen direkt auf mich zu und breiteten sogar etwas über mir aus. Verwirrt sah ich doch auf. „Elth?“ Flüsterte ich leise. Hatte er mich etwa bemerkt?
„Hier draußen ist es kalt. Hier ist noch ein Polster. Ich konnte ihn stehlen.“
Dankend nahm ich beides entgegen und wärmte mich auf. „Jetzt rutsch ein bisschen.“ Befahl Elth und ich nahm meine Beine ein wenig zurück, da ich sie beim Aufsetzen ausgestreckt hatte. „Nein, ganz rüber. Ich schlafe bei dir.“
Okay, das kam überraschend! „Was? Nein, geh wieder ins Schlafzimmer. Ich werde im Pyjama schon nicht abhauen.“ Versprach ich. Jetzt mit Polster, Decke und vor allem herrlicher Ruhe, war ich mir sicher endlich schlafen zu können.
„Ist mir egal, was du im Pyjama machst. Drinnen ist kein Platz mehr, sobald man auch nur ein Bein aus dem Bett bewegt. Das beutetet, ich bleibe heute Nacht bei dir, oder liege unbequem auf undefinierbaren Körperteilen.“
Verdammt, wie würde das aussehen? Ich konnte doch nicht mit dem Mann eines anderen auf dem Sofa kuscheln. Na, gut. In manchen Beziehungen ist es vermutlich in Ordnung, aber hier hatte ich nicht unbedingt das Gefühl.
„Jetzt mach schon, ich friere hier ohne Pelz.“
„Wir haben hier zu zweit keinen Platz und ich mag es viel lieber alleine zu schlafen.“ Das hatte ich bisher immer. Zumindest seit Coria und ich getrennt worden waren. Obwohl mit Gael hatte ich mir früher schon das Bett geteilt, aber da war ich noch ein Kind und in ihm sah ich mehr etwas wie eine Familie. Aber Elth, der hatte seine Familie den Flur runter und die erste Türe links.
„Wirst du jetzt auch schon pingelig?“
Pingelig? „Spinnst du? Lass mich einfach schlafen, ich bin vollkommen erschöpft.“ Demonstrativ ließ ich mich auf >mein Bett< fallen und breitete mich aus, damit er ja keinen Platz fand. Jedoch war ich nicht breit genug um zu verhindern, was Elth wieder einmal im Kopf herum spuckte. Dafür müsste ich vermutlich erst eine Tonne wiegen, dann könnte ich seine Dämlichkeit vielleicht einigermaßen ertragen.
„Du hast in den letzten Stunden kein Auge zu getan.“ Kurzerhand kniete die Katze über mir und wirkte verärgert. Was stimmt bloß nicht mit ihm?
„Ja, das ist mir ebenfalls aufgefallen.“ Gab ich barsch zurück, doch erhob nicht meine Stimme, um niemanden zu wecken.
„Außerdem weichst du mir aus, als hätte ich irgendeine Krankheit, du sprichst mit niemanden, isst überhaupt nichts. Was ist los mit dir, Dell? Sonst bist du auch nicht so.“
Da ich ihn nicht ansah und er über meiner Seite kniete wie ein großer Hund, versteckte ich meinen Kopf noch tiefer unter der Bettdecke. „Ich bin bloß müde, das ist alles.“
„Nein, das ist es nicht!“ Grob riss, mir Elt die Bettdecke vom Kopf und zwang mich ihn anzusehen. „Magst du Lissy und ihre Kinder nicht?“
„Was? Natürlich mag ich sie. Lissy ist wirklich toll... und hübsch.“ Ja, darauf konnte ich nicht aufhören herum zu stochern. „Auch deine Kinder sind niedlich, aber ich bin einfach so erschöpft, dass ich einfach niemanden zu nahe kommen wollte. Heute ist einfach viel zu viel...“
„Stopp, warte.“ Elth blickte mich noch forschender an, während er aussah, als würde ihm ein Licht aufgehen. „Das sind nicht >meine Kinder<.“ Was? „Also, sind sie schon, irgendwie. Lissy ist meine ältere Schwester.“
Auf einem Schlag kehrte alles zurück. Meine Trauer, meine Wut, meine Angst. Doch alles wurde übertönt von einem einzigen Gefühl, Erleichterung. „Sie ist deine Schwester? Aber... die Kinder nennen dich doch Papa.“
Grinsend ließ er sich neben mich auf die Bank fallen, woraufhin ich unweigerlich zwischen der Lehne und ihm eingezwängt wurde. Eigentlich sollte mich das ärgern und ich mit ihm schimpfen, doch war ich gerade eben so glücklich, dass ich darüber einfach einmal hinweg sah. „Sie nennen mich >Pa<. Das ist ein Unterschied bei uns Menschwesen. Eigentlich leben wir immer eng zusammen, Großeltern, Tanten Onkeln, Mütter, Väter...“
„Ja, ja. Das verstehe ich schon.“ Lachend verdrehte ich die Augen.
„Jedenfalls gibt es jeweils bloß eine Person, die sie >Mama< und >Papa< rufen. Großeltern so wie die Geschwister der Eltern, werden als >Pa< und >Ma< gerufen. Der Rest bei ihren Namen. Aber es kommt auch immer darauf an, wem die Kinder näher stehen. Den Geschwistern der Eltern, oder ihren Großeltern.“
Ach deshalb! Das ergab natürlich Sinn. Na, toll jetzt fühle ich mich wieder schäbig. „Zum Glück. Ich hatte schon gedacht...“ Rapide stoppte ich mich, zum Glück konnte er in dieser Dunkelheit nicht mein rot werdendes Gesicht sehen. „Du weißt schon... irgendwie weißt du einfach alles über mich. Mein ganzes Leben war eine Lüge und so viel hat man mir verheimlicht. Jetzt dachte ich, dass obwohl du so viel über mich weißt... also, ich weiß überhaupt nichts über dich...“
„Und das hat dich verletzt. Das verstehe ich.“ Sanft strich Elth mir einige zerwühlte Strähnen von der Wange. „Du kannst mich alles Fragen, was du willst. Wirklich.“ Seine Hand glitt langsam zu meinem Hals und über meine Schulter hinweg, bis er sie an meinem Ellenbogen liegen ließ.
„Eigentlich... würde ich viel lieber später auf das Thema zurückkommen. Ich bin viel zu Müde, um noch weiter zu denken.“ Zum ersten Mal an diesem Tag entglitt mir ein Gähnen und meine Augen fielen von selbst zu.
Ich fühlte wie sich irgendetwas bequemes, warmes, unter meinen Kopf schob und die Hand an meinem Ellenbogen, ihren Weg zu meinem Rücken fand. Dort drückte sie mich näher an Elths Körper und mir wurde sofort wieder richtig warm, es war beinahe so, als wäre er selbst ein Heizstrahler, bloß gemacht für meinen Körper.
So fand ich schlussendlich doch den erlösenden Schlaf, den ich so dringend benötigte.

27. Wendungen

Nach mehreren Stunden, wobei ich nicht sagen konnte, um wie viele es sich dabei handelte, weckte mich ein Lästiges vibrieren. Zuerst dachte ich, es wäre mein Handy, doch das hatte ich doch bereits seit Monaten nicht mehr gesehen. Vielleicht etwas anderes?
Langsam setzte ich mich auf und starte gelben Augen entgegen. „Mein Gott! Elth, du kannst mich doch nicht so erschrecken!“
Grinsend streckte die Raubkatze alle viere von sich und reckte mir ihren Bauch entgegen. „>Mein Gott< ist nicht nötig. Fürs Erste reicht es, wenn du mich >Meister< nennst.“
„Was?“ So ein Idiot. Grinsend schubste ich das lange Tier von meinen Beinen und wartete darauf, das wieder Blut seinen Weg dorthin fand. So eine riesige Katze konnte schon schwer werden. „Wie lange habe ich geschlafen?“
„Es ist fast vier. Die anderen kommen sicher bald nach Hause.“ Vier? Und wann bin ich eingeschlafen? Irgendwann um Mitternacht, oder? Anscheinend hatte ich endlich nachgeholt, was mir gefehlt hatte.
„Wah... Ich habe so gut geschlafen. Das habe ich wirklich gebraucht.“ Vorsichtig kam ich auf meine noch steifen Beine und streckte mich. „Wie bin ich denn in das Schlafzimmer gekommen?“ Ich bin doch auf dem Sofa eingeschlafen, mit Elth!
„Ich habe dich heute Morgen hinein getragen, da es immer recht laut wird mit den Kindern.“ Tatsächlich? Ich konnte mich an nichts erinnern.
Lachend winkte ich ab. „Vermutlich hätte eine Bombe neben mir explodieren können, ich hätte mich einfach umgedreht und weiter geschlafen.“ Elth grinste ebenfalls, wechselte seine Form und wurde zum Menschen. Schnell wandte ich mich ab, da er nun nackt, bloß mit einer Decke über der Hüfte im Bett saß und nach seiner Hose angelte. „Ich gehe dann einmal das Bad benutzen. Nach so vielen Stunden Schlaf, muss ich aussehen wie eine Vogelscheuche.“ Woher kam bloß meine gute Laune? Gestern noch hatte ich mich gefühlt wie ein depressiver Engel, gänzlich ohne positiven Gefühle. Jetzt jedoch, strotzte ich vor Energie.
Kopfschüttelnd verwarf ich den Gedanken. Vermutlich lag es einfach an dem langen Schlaf, und öffnete die Türe. Im nächsten Moment krachte sie wieder ins Schloss. „Elth?“ Ich wandte mich ihm zu, da seine Hand die Türe blockierte. „Dürfte ich bitte einmal?“ Bat ich und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.
„Erst wenn du mir eine Frage beantwortest.“
Seufzend lehnte ich mich mit dem Rücken gegen die Türe und deutete ihm schnell weiter zu machen. Auch wenn ich ausgeschlafen war, hieß das noch lange noch nicht, dass ich lust hatte mich mit ihm herum zu schlagen. „Du warst gestern eifersüchtig, oder?“
Eifersüchtig? Wovon sprach er? „Auf wen oder was denn?“ Fragte ich völlig unwissend.
Knurrend kam sein Gesicht näher und seine menschlichen schwarzen Augen, wechselten auf ein verärgertes Orange. „Du weißt ganz genau, wovon ich spreche, Dell. Du hast dich gestern den ganzen Tag so komisch verhalten, weil du eifersüchtig warst, auf Lissy.“
Ja, Lissy fand ich natürlich hübscher als mich, oder gar Nanina und ihre Vampire. Aber >Eifersucht< war etwas übertrieben. Vielleicht neidisch? „Hör zu. Keine Ahnung was du gerade zusammen fantasierst, aber Lissy ist eine wirklich nette Person und heute werde ich mich gewiss für gestern entschuldigen. Ich war einfach müde und...“
„Harch! Dell, mach es nicht noch schwieriger als es so wie so bereits für mich ist.“
Was wollte er von mir? Dreht er jetzt durch? „Du dachtest, dass Lissy meine Frau und die Jungs meine Söhne sind, das hat dich fertig gemacht, oder?“
„Oh...“ Jetzt fiel der Groschen und mit ihm stieg die Röte in meinem Gesicht. Stimmte das denn?
Sobald ich das Wort >Pa< gehört hatte, waren meine Gefühle zu Eis gefroren. Mein ganzes Denken fiel in ein schwarzes negatives Loch und davor hatte ich auch noch meine Werwölfe verloren. „Das verstehst du falsch. Ich war müde... meine Wölfe... und...“ Stotterte ich zusammen, aber wem machte ich hier etwas vor? Ich glaubte mir im Moment nicht einmal selbst.
Aber ich? Eifersüchtig! Wegen Elth?
„Rede dich jetzt ja nicht heraus! Ich habe mir beinahe die ganze Nacht den Kopf zerbrochen über deine unlogischen Reaktionen. Also sei ehrlich. Hast du dich in mich verliebt?“
Geschockt kam es mir vor, als würde die Zeit stehen bleiben. Was war noch einmal die Frage? Ich glaube, ich habe sie nicht ganz deutlich verstanden. Irgendetwas mit >verlieben<? Ausgerechnet in Elth? Das ist doch... lächerlich!
Nach einer gefühlten Ewigkeit kehrte meine Fähigkeit zum Sprechen zurück. „In... Was? Das ist lächerlich. Ich war noch nie... >das<“ Ich brachte das Wort nicht einmal über die Lippen. „Wieso sollte ich...? Das ist unmöglich!“ Oder vielleicht doch? Elth hatte recht. Ich hatte mich tatsächlich vollkommen daneben benommen, selbst für die Tatsache dass ich einige Stunden davor wichtige Freunde verloren hatte und gegen eine Vampirkönigin kämpfte.
„Da war kein >Nein< darunter.“
Kein was? Mein Gehirn schien überhaupt nicht mehr richtig zu funktionieren und mein Gesicht brannte wie ein Kochtopf. Vielleicht kochte es ja gerade in meinem Schädel, da wäre eine >sehr logische< Erklärung. Ganz bestimmt!
„Du machst dich doch lächerlich.“ Zum Glück. Mein Zorn brachte mich wieder zur Vernunft. Ein gutes Zeichen. Aber trotzdem hörte ich immer noch diesen einen Satz im Kopf, als wäre ein Band hängen geblieben. >Hast du dich in mich verliebt?<
Habe ich das denn? Nanina hatte doch so etwas Ähnliches doch ebenfalls gesagt, oder? Konnte es sein, dass sie es sogar vor mir selbst bemerkt hatte? Oder hatte sie mich bloß ärgern wollen?
Unsinn! Ich bin nicht in Elth verliebt. Das ist... unmöglich!
Verärgert wandte ich mich von Elth ab, wollte die Türe mit Gewalt öffnen, doch versagte kläglich. Ach, Mist Verdammter! Wieso musste ich immer so schwach sein?
>Eine Versagerin< Genau das bin ich. Eine Versagerin, die sich in eine Raubkatze verliebte?
Frustriert schlug ich gegen das Holz der Türe, doch als ich zum zweiten Schlag ausholte, bekam mich die Realität kaltherzig in ihre Fänge. „Ruhig, Dell. Entschuldige, ich war zu barsch zu dir.“
Elths Wärme lehnte sich an meinen Rücken, den ich ihm zu gewandt hatte, während ich verzweifelt versuchte, Tränen zurückzudrängen. Nein, das ist nicht wahr! „Es tut mir wirklich leid, Dell.“ Flüsterte er sanft an meinem Ohr um mich zu beruhigen, doch das machte alles bloß schlimmer. Mein Herz raste, wie es das immer tat bei Elth. Wärme breitete sich in meinem Brustbereich aus und Frieden umfing mich.
Wieso hatte er diesen Einfluss auf mich? Wie schaffte er das bloß immer wieder. „Ich kann doch überhaupt nicht verliebt sein. Das war ich noch nie. Wie geht so etwas überhaupt?“
Diese Fragen galten zwar eher meinem Gewissen, doch Elth schien sie trotzdem beantworten zu wollen. „Manchmal kann man es sich nicht aussuchen. Ich wusste es anfänglich auch nicht, vielleicht war ich ja deshalb so bissig zu dir. Weil ich es nicht verstand. Aber als du dann zusammen gebrochen bist... ich dachte, mein Herz zerreißt.“
Mit großen Augen erstarrte ich. Was war das denn? Was sollte das heißen? Ich verstand schon wieder nichts mehr.
„Was? Wann meinst du...“
„Das Einzige was ich tun konnte, war dich zur Vampirkönigin zu bringen. Ich glaube das war das schwerste, was ich jemals in meinem Leben getan habe.“ Mich wegzugeben? Zu verkaufen, tatsächlich? Dafür dass er diese Worte über die Zunge brachte, war er recht schnell mit seinem Scheck auf nie mehr wiedersehen verschwunden.
Ich glaubte ihm nicht. Bestimmt verhöhnte er mich bloß. „Ja, klar. Dafür das es dir so >schwer< gefallen ist, hast du mich recht schnell verkauft.“ Elth drehte mich herum, sodass ich ihm wütend entgegen funkeln konnte. „Verdammt!“ Fauchte er mir ins Gesicht. „Ich habe diesen verdammten Scheck aus Frust zerrissen und in den nächsten Mülleimer geworfen!“
Okay, das überraschte mich nun.
„Danach habe ich überlegt, wie ich wieder mit dir in Kontakt kommen kann, doch mir fiel nichts ein. Als du plötzlich so große Schmerzen und Angst hattest, war es vollkommen hinüber mit mir.“
Den Rest kannte ich ja bereits, auch wenn er ihn abstritt. „Du bist zu den Wölfen, damit sie dir helfen.“
Beschämt nickte er. „Sie wollten mich aber nicht mitnehmen, da ich zu schwach bin. Trotzdem bin ich ihnen gefolgt.“ Verlegen sah er neben meinen Kopf an die Türe, als wäre sie plötzlich interessanter als ich.
Mein Herz wurde schwer und es fühlte sich an, als würde es schmelzen. Okay, vielleicht mochte ich Elth. Aber bloß ein kleines Bisschen! „Selbst wenn... es würde nichts ändern. Ich bin eine Zweitgeborene, Elth.“
„Ich weiß.“
Schweigend standen wir bloß wenige Zentimeter voneinander getrennt und sahen überall hin, bloß nicht uns an. Wer würde nun den ersten Schritt machen? Oder viel wichtiger war doch, was wollte ich? Wäre Elth derjenige in meiner Geburtstagsnacht, würde ich sterben. Würde ich mit jemandem anderen schlafen, würde es mich auf eine ganz andere Weise zerstören.
Was sollte ich also tun? Am besten, zumindest längerfristig gesehen, wäre es ihn einfach von mir zu stoßen. Ihm zu sagen wie lächerlich das Ganze war und das zwischen uns beiden niemals etwas sein könnte. Dann würde ich zwar in Trauer leben, doch Elth konnte sich neu orientieren. Ja. Das war das Gesündeste. Längerfristig gesehen.
Entschlossen das zu tun, was ich nun einmal tun musste, legte ich meine Hand an Elths Schulter um ihn fortzuschieben, doch erstarrte. Ja, es war definitiv das Beste für uns beide. So konnten wir beide weiter machen. Es würde sich ja nichts ändern!
Unsere Blicke trafen sich und mein Herzschlag stolperte schon wieder vor sich hin. Unwillkürlich zuckte mein Blick zu seinen Lippen. Es ist wirklich das Beste so. Ich brauchte ihn bloß fortstoßen und sagen, wie lächerlich er sich dabei anhörte. Oder vielleicht einfach sagen, dass meine Gefühle nicht dieselben wie seine waren. Das wäre viel netter, ja.
Ohne mein Zutun bewegte sich meine Hand von seiner Schulter aufwärts zu seinem Hals. Strich zärtlich über die zarte Haut, bis meine Finger auf seine Wange traf, wo sie schlussendlich liegen blieb. So, jetzt musste ich es tun. Kurz und schmerzlos. Einfach raus damit, Dell! Du kannst das.
Ich tat es. Ich öffnete den Mund um zu sagen, wie es in Zukunft zwischen uns ablaufen würde, doch anstatt eines >Es tut mir leid< oder etwas ähnlichem, kam etwas völlig Unerwartetes. „Küss mich, bitte.“ Das ließ sich Elth kein zweites Mal sagen. Drängend eroberten seine Lippen meine unsicheren und seine Arme zogen mich fester an seinen Körper. Wann waren die denn dort hingekommen? Oder gar meine eigenen um seinen Hals? Wieso tat mein Körper eigenmächtig irgendwelchen Unsinn?
Genüsslich seufzte ich an Elth Lippen und ließ mir von ihm lehren, wie man richtig küsste. Bisher hatte ich das noch nie gemacht, doch bei ihm fühlte es sich so einfach an, als müsste ich nichts anderes tun, als seinem Beispiel zu folgen. So kam es, dass ich nach kurzer Zeit bereits selbst die Führung übernahm. Als würde ich etwas nachholen müssen, drängte ich meinen Körper an den von Elth. Das alles fühlte sich so gut an, so richtig. Beinahe wie ein Traum.
Erschrocken riss ich mich los und schob Elth von mir. „Moment, trickst du mich schon wieder aus? Wenn das schon wieder so ein verrückter Traum ist, dann...“
Beschwichtigend hob er die Hände. „Schon gut. Nein, das ist keiner. Du bist wirklich wach, Dell.“
Einen Moment noch sah ich mich um, doch wenn er es sagte, musste es doch stimmen, oder? „O... Okay.“ Nickend kam ich zu dem Entschluss, ihm zu vertrauen.
„Hey, Liebste. Alles ist gut. Es ist real. Das alles.“ Sanft umfing Elth mein Gesicht mit seinen Händen und küsste mich liebevoll auf die Lippen. „Siehst du. Das ist real.“ Versprach er.
„Das hast du schon einmal zu mir gesagt. Im Vampirschloss.“ >Liebste< daran erinnerte ich mich sogar noch.
Verlegen grinste er. „Ja, das ist mir einfach so entkommen. Ich hatte eigentlich gehofft, dass du es in dem Stress vergessen hättest.“
Nun grinste auch ich und zog Elth im Nacken für einen weiteren Kuss zu mir hinab. „Als würde ich so etwas vergessen.“
Strafend knurrte Elth und mich an und zog mich mit einem Ruck wieder an sich. „Sei nicht so frech, Prinzesschen.“ Liebevoller als zuvor küsste er mich noch einmal und noch einmal und noch einmal. Seufzend gab ich mich seinen Küssen voll hin. Es war einfach zu herrlich ihn endlich zu spüren. Ganz ohne Hemmungen, mit dem klaren Gewissen wie mein Herz tatsächlich empfand. Jedoch seit wann? Wann hatte es begonnen dermaßen aus dem Ruder zu laufen?
„Autsch.“ Die Ecke eines Regals, das direkt neben der Türe stand, stach mir unangenehm in den Rücken, daher rutschte ich noch weiter zur Seite.
„Hast du dir weh getan?“ Besorgt schob Elth mein Shirt hoch und fuhr vorsichtig über die angeschlagene Stelle.
„Nicht der Rede wert. Ich habe im Moment besseres zu tun.“ Lächelnd ließ er sich nicht noch einmal dazu auffordern mich zu küssen, jedoch wieder einmal veränderte er den Kuss. Aus liebevoll wurde drängender. Seine Zunge strich einladend über meine Lippen und brachten sie von zärtlichem Kribbeln zu einem leidenschaftlichen Brennen. Ich hatte noch nie etwas Vergleichbares gefühlt. Mein Körper entfachte eine ungewohnte Hitze, dort wo Elths Hände mich berührten, meine Lippen fühlten sich an wie geschmolzene Hitze und mein Herz war vollkommen aus dem Takt geraten. Das alles ergab eigentlich überhaupt keinen Sinn. Ich sollte so überhaupt nicht empfinden.
Trotzdem tat ich es. Mit ganzem Herzen gab ich mich dem hin, was ich mir bisher selbst untersagt hatte. Jedoch lag dieses Gefühl bloß an Elth, oder war es immer so, wenn man geküsst wurde?
Das machte mich irgendwie neugierig. Wieso Elth? Weshalb hatte ich mir nie einen Freund gesucht? Irgendwie blieb alles bloß an ihm hängen, als wäre er mein Dreh und Angelpunkt. Meine Vergangenheit und selbst in der Zukunft wollte ich ihn nicht missen.
Ja, ich hatte mich definitiv verliebt.
„Hey, ihr beide. Seid ihr...Oh verdammt.“ Lissy kam so unerwartet in das Zimmer, sodass weder Elth noch ich Zeit hatten zu reagieren. Nun, ja. Wie redete man sich hier wieder hinaus?
„Also... Lissy...“ Begann Elth und trat einen Schritt von mir zurück, während ich mein verschobenes Shirt wieder richtete.
„Vergiss es. Ich wollte nicht stören.“ Sichtlich verwirrt schloss Lissy die Türe zum Schlafzimmer wieder. Verzweifelt rieb sich Elth die Schläfen, während ich unbehaglich auf meine Zehen starrte. Was dachte sie wohl jetzt von mir? Wie peinlich!
Plötzlich ging die Türe wieder auf und Lissy stürmte dieses Mal verärgert in das Zimmer. „Nein! Wisst ihr was... Dell hilf bitte meinen Kindern, den Einkauf auszuräumen. Ich muss Elth alleine sprechen.“
Elth und ich wusste beide, dass Unheil drohte. So zornig wie seine Schwester ihn anstarrte, konnte es bloß blutig ausgehen. Jedoch da ich nicht auch noch den Zorn von Lissy auf mir haben wollte und ja, auch dieser furchtbaren Situation entkommen, schlich ich mich hinter ihr aus dem Zimmer und schloss die Türe leise. Es dauerte keine Sekunde und das Gewitter ging los.
„Bist du von allen guten Geistern verlassen? Du bist ein Mischling, du hirnloses, Testosteron gesteuertes Mistvieh!“
Okay, ich glaube, ich gehe jetzt lieber, bevor es noch unschöner wurde. „Hallo Jungs.“ Begrüßte ich die drei in der Küche und erwischte sie sogar beim Naschen. Peinlich wurde mir bewusst, dass ich nicht einmal ihre Namen kannte.
Der älteste packte eilig die Chips weg und grinste frech. Woher kannte ich dieses Verhalten bloß? „Okay... eure Mutter schickt mich euch zu helfen.“ Gemeinsam packten wir die drei Tüten aus und räumten alles fein säuberlich ein.
„Wann ist Mama fertig? Ich habe Hunger.“ Murrte der Jüngste in der Runde.
„Gleich Matty. Willst du noch ein wenig Spielen bis dahin?“ Der jüngste Matty, nickte und ließ sich vom ältesten in das Wohnzimmer führen, wo sofort der Fernseher angeschaltet wurde.
Seufzend betrachtete ich das übrig gebliebene Chaos, während ich froh war, dass ich Elth und Lissy durch den Lärm des Fernsehers nicht hören musste. Verdammt, wie hatte es bloß so weit kommen können? Ich wollte ihm doch sagen, dass aus uns nichts wurde, oder? Wie konnte dann etwas so völlig Falsches heraus kommen?
Um mich zu beschäftigen und vor allem, da ich den Überblick über die Essensauswahl bereits hatte, begann ich damit eine Suppe zu kochen. Da ich mir vorstellen konnte, dass die kleinen bestimmt gerne naschten, welches Kind tat dies denn nicht, backte ich noch einen Schokoladenkuchen, bevor ich etwas Fleisch briet und Reis dazu. Das sollte für alle eigentlich ausreichen. Besonders vom Kuchen konnte man dann später viel naschen.
Nach einer Stunde, in der ich öfters Türen fliegen hörte, doch es nicht wagte einen Schritt aus dem Raum zu machen, war ich mir sicher, das Elth nun die Wohnung verlassen hatte. Weshalb? Ich konnte mir gut vorstellen, dass er sich nicht gerne Befehle geben ließ. Auch nicht von seiner älteren Schwester.
„Oh, das riecht aber gut.“ Hörte ich Lissy mit erhobener Nase in die Küche kommen. Ihre Augen waren noch gerötet und sie wirkte nervös. „Nun, ja. Ich dachte mir, weil die kleinen Hunger haben, dass ich mein Verhalten von gestern wieder gut machen könnte und ich habe auch wirklich nicht viel verbraucht.“ Schwor ich und zeigte ihr, wie wenig ich für so viel gebraucht hatte.
„Das wäre überhaupt nicht nötig gewesen. Wir verstehen das, du hast Freunde verloren.“
Wenn es bloß daran gelegen hätte. „Es fühlt sich aber nicht danach an. Ich meine... ich habe sie zu diesen... starken Wesen gemacht. Ich kann immer noch nicht glauben wie sie meine Wölfe... einfach, ohne mit der Wimper zu zucken....“ Tränen stiegen wieder auf und Lissy nahm mich in den Arm. Tröstend strich sie mir über mein noch immer zerwühltes Haar und redete beruhigend auf mich ein.
Sie wollten doch nicht mehr, als mich zu beschützen. Sie waren mir treu ergeben. Ich denke, dass ich es sogar in Betracht gezogen hätte für sie die Werwolfkönigin zu werden. Ich weiß wie glücklich das Malic, Belal, Debby, Tim und Soraz gemacht hätte. Meine Wölfe...
„Schon gut. Sch, Dell. Du hast ja noch uns. Du wirst hier immer ein offenes Ohr finden, ja?“
Nickend bedankte ich mich. „Aber... du kennst mich ja noch nicht einmal.“ Gab ich trotzdem zurück. Wie konnte sie nach alldem so nett zu mir sein.
Verständnisvoll sah Lissy mir mit ihren hellblauen Augen in die meinen und reichte mit Küchenrolle für meine Tränen. „Süße, so verrückt wie Elth nach dir ist, kann ich dich doch bloß mögen. Vielleicht werden wir ja eines Tages wie Schwestern sein. Aber bloß wenn du... das alles wirklich überlebst.“
Das war aber eine schöne Umschreibung für die kommenden zwei Wochen. „Ich... ich weiß bloß nicht wie. Vor einer Stunde bemerke ich, dass Elth recht hat und ich mich tatsächlich, entgegen aller Logik, in ihn verliebt hatte. Dann beschließe ich ihm zu sagen, dass aus ihm und mir niemals etwas werden kann... weil... weil eben wegen allem..“
Verstehend vervollständigte Lissy meinen Satz. „Weil du eben eine Königin sein wirst und durch einen Mischling würdest du bloß sterben. Das verstehe ich vollkommen, Süße.“
„Aber... dann küsse ich ihn. Wie dumm bin ich eigentlich. Das hätte ich nicht tun sollen.“
Wieder musste sie mich trösten, da ich abermals in Tränen aus brach. Es war beinahe so, als würde ein Damm brechen und endlich alle meine Sorgen hinaus spülen.
„Sag mir, was hast du empfunden, bei Elth?“
Nachdenklich betrachtete ich das vor sich hin bratende Fleisch. „Es war... erleichternd.“ Meinte ich ehrlich.
„Erleichternd?“ Kicherte Lissy und ich merkte wie dumm das klang.
„Nun, ja was ich meine, ist, dass auch wenn er mich wirklich zur Weißglut treibt, ich mich sicher und wohl bei ihm fühle. Auch gestern Nacht. Ich konnte nicht schlafen, war unruhig und nervös. Doch als Elth sich neben mich gelegt hat... bin ich sofort eingeschlafen.“
Grinsend stimmte Lissy mir zu. „Ja, heute Morgen haben wir euch beide kaum wach bekommen. Ich musste Elth seinen stinkenden Schuh unter die Nase halten, damit er dich endlich in das Schlafzimmer bringt. Ich glaube nicht, einmal eine Bombe hätte dich geweckt.“
Lachend stimmte ich zu. „Das habe ich auch gesagt.“ So standen wir nun. Lachend wie man es bloß unter Mädchen konnte, redeten wir über dies und das. Es tat gut, dass jemand verstand, was Elth für einen Charakter besitzt und dass er nicht einfach ist. Sie war zudem auch froh, dass ich ihm Kontra gab, wenn er zu weit ging. Bei Gael war es jedoch überhaupt nicht so gewesen, da er immer darauf fixiert zu sein schien, dass sich alle vertrugen.
Schlussendlich erzählte ich ihr sogar von dem Biss, den er mir bereits ein zweites Mal zu gefügt hatte und das er mich durch diesen hatte retten können. Das alles von der Seele zu reden war beinahe so, als würde eine Last von mir genommen werden.
Während die Jungs im Wohnzimmer einen Cartoon schauten und sich genüsslich vollstopften, saßen wir beiden Mädels in der Küche und plapperten einfach. Die Jungs holten sich sogar bereits die Nachspeise, während wir noch vor der unberührten Suppenschüssel saßen und weinten vor lachen.
Lissy ist einfach wundervoll. Sie verstand mich so gut und erzählte mir sogar alles, was sie wusste über Menschwesen. Es gab sie natürlich nicht bloß als Katzen, sondern auch als Hunde, Wölfe, Füchse, Stiere, Raubvögel und selten sogar vereinzelte Hasen oder Mäuse.
Irgendwann verstand ich auch, weshalb Gael vor einigen Tagen nicht mit mir über Menschwesen sprechen wollte. Es gab keine Reinrassigen mehr, unter dieser speziellen Art. Sie waren auf dem direkten Weg auszusterben. Niemand konnte ihnen mehr helfen, vielleicht noch eine Erstgeborene, doch diese würde nicht geboren werden, bevor diese Rasse ausstarb.
Das stimmte mich sofort wieder traurig. Als die letzten ihrer Art, überlebten sie bloß in großen Familienverbände, um sich gegenseitig zu beschützen. Daher lebten auch die beiden Geschwister und Elths Neffen zusammen.
Es verging noch eine weitere Stunde, ich saß bereits mit Lissy bei den Jungs im Wohnzimmer und naschte bloß ein kleines wenig von dem Schokoladenkuchen, da ich satt war. Obwohl die Lautstärke des Fernsehers beinahe alles übertönte, hörte ich als erstes, wie die Eingangstüre geschlossen wurde. Lissy bemerkte meine Reaktion natürlich sofort, als ich mich umwandte, um zu sehen, ob es auch wirklich Elth war. Ihr Gesichtsausdruck wurde ein wenig strenger und sie musterte ihren kleinen Bruder mit skeptischen Augen. Für sie jedoch hatte er kaum mehr als ein Schnaufen übrig, nahm neben mir Platz und legte den Arm um meinen Rücken, ohne etwas zu sagen.
Ich mochte das überhaupt nicht. Elth war normalerweise immer derjenige der seinen Gedanken und Worten freien Lauf ließ. Wieso schwieg er nun so eisern? Um mein Unbehagen zu lockern, deutete ich auf die Küche. „Willst du etwas Suppe? Ich habe gekocht und...“
„Nein, danke.“ Murrte Elth und ließ seinen Blick starr auf dem Fernseher ruhen.
Was war zwischen den beiden passiert? Natürlich war ich vorhin neugierig darauf gewesen, doch hatte ich irgendwie Angst davor Lissy danach zu fragen. In deren Familienangelegenheiten hatte ich einfach nichts zu suchen. Andererseits ging es auch um mich.
Seufzend ließ ich mich zurücksinken und fühlte sofort, wie Elths Finger sich unbemerkt in mein Haar stahlen. Gedankenverloren, wickelte er sich eine Strähne um seine Finger, oder drehte sie dazwischen. Dann ließ er sie wieder los und griff zu einer anderen.
Irgendwie beruhigte mich diese Geste, auch wenn er mich nicht direkt anfasste. Sein Knie lag an meinem und seine Körperwärme strahlte angenehm zu mir. Mehr konnte ich im Moment wohl nicht erwarten.
Kein bisschen vom Programm eingenommen, starrte ich überall hin, bloß nicht auf Elth. Schlussendlich wandte ich mich sogar zu Lissy, doch sie war beinahe so wortkarg wie ihr Bruder, nur wesentlich höflicher. Genervt gab ich auf. Ich konnte im Moment wohl nichts ändern. Egal was zwischen ihnen vor gefallen war, es ist ihre Sache.
Zumindest redete ich mir das, so gut es ging ein.
Als ich etwas später auf die Toilette ging, um mich aus dem offensichtlichen stillen Krieg welchen die beiden führten, davon zu stehlen, stand Elth direkt vor der Türe, als ich sie wieder öffnete. „Oh. Entschuldige, ich wusste...“
Unerwartet legte Elth seine Lippen an meine und sämtliche Anspannung war einfach wie fortgewischt. Mein Denken endete und ich seufzte glücklich. Von mir aus konnte er das zu so gut wie jeder Zeit machen.
Leider löste er sich nach wenigen Sekunden wieder und sah mindestens genauso erlöst aus, wie ich mich fühlte. „Entschuldige.“ Sagte er bloß und ging selbst auf die Toilette.
Einen Moment blieb ich vor der verschlossenen Türe stehen, ehe ich begriff, was hier vor sich ging.
„Diese beiden Idioten.“ Ich schlug mir frustriert gegen die Stirn, öffnete die Türe zur Toilette, da sie nicht abgeschlossen war, und starrte überrascht schon wieder auf denselben Rücken, den ich noch vor Monaten als >ekelig< befunden, hatte.
Irgendwie war dieser Rücken aber nicht mehr derselbe, den ich kennen gelernt hatte. Mittlerweile war mir klar, welche Kräfte unter dieser dünnen Schicht Haut lag, wie viel Kraft diese Arme und Beine besaßen und wie außerordentlich tödlich dieser Körper sein konnte, wenn es darauf ankam.
„Edelle? Ist alles in Ordnung?“
Verlegen nickte ich. „Ja, das... ähm... Ich hatte wohl ein Deja vu.“ Erklärte ich mich grinsend.
„Nicht direkt, beim letzten Mal hat dich mein blanker Hintern begrüßt.“ Schmunzelnd trat Elth auf mich zu, schloss die Türe hinter mir und küsste mich wieder.
Zwar war es weder das erste Mal, dass ich Elths nackten Oberkörper sah, oder ihn gar spürte, doch zum ersten Mal nahm ich ihn ganz anders wahr. Meine Finger brannten, als ich sie über seine Schultern gleiten ließ, meinen Mund öffnete sich eigenständig und ließ Elths Zunge wieder ein.
Dieses Mal roch ich ihn auch. Mir war noch nie aufgefallen, wie angenehm er duftet. So männlich und... natürlich. Auch ein wenig verschwitzt, weshalb er, vermutlich eben unter die Dusche gewollt hatte, doch das störte mich seltsamer weise überhaupt nicht. Da war bloß er. Sein Körper. Sein Geruch. Sein ganzes Wesen. Das war das Einzige, was für mich zählte.

28. Dämonische Leidenschaft

Unangenehm landete mein nackter Rücken an den kalten Fliesen der Dusche, doch das warme Wasser machte dies schnell wieder wett. Zudem war mein Körper bereits so aufgeheizt, dass ich den Temperaturunterschied bloß wenige Sekunden bemerkte.
Stöhnend zog ich Elth noch näher an mich, da wir den Kontakt verloren hatten, nachdem er beinahe unter der Dusche ausgerutscht wäre. Lachend half ich ihm, das Gleichgewicht zu waren und im nächsten Moment wurde mein Körper bereits gegen die Wand gedrückt.
Schmunzelnd zahlte ich ihm diese Frechheit mit einem Biss in die Unterlippe heim, doch das gefiel ihm bloß, wie ich sehr deutlich an meinem Bauch fühlen konnte. In dem Wissen das Elth mich genauso begehrte wie ich ihn, hörte ich auf, weiterhin zu zögern und ließ nicht mehr bloß meine Hände über seinen Bauch gleiten, der sich unvergleichlich gut anfühlte, sondern tiefer, über seinen Hintern hinweg und tastend über seine Hüfte vor.
Verdammt fühlte sich das gut an!
Stöhnend erbebte Elth unter meiner Hand, drückte sie sich auffordernd dagegen, doch behielt seine Hände ständig in meiner Brusthöhe, was mich so wie so um den Verstand brachte.
Doch ich wollte ihn nicht mehr bloß dort. „Wir müssen die Hosen loswerden.“ Nuschelte ich leise an Elths Ohr und saugte danach sinnlich daran. Von Leidenschaft angetrieben packte er meinen Po, hob mich hoch, sodass seine Hüfte nun an meinem Becken anlag, und entlockte mir einen erregten Aufschrei.
Alleine diese Berührung, obwohl noch immer viel zu viel Stoff zwischen uns lag, brachte mich fast zum Kommen. Wie konnte sich ein Mann bloß so gut anfühlen?
Polternd krachte etwas hinter Elth.
Verwirrt sah ich mich in dem nebeligen Badezimmer um und erkannte Lissy im zerbrochenen Türrahmen stehen. Mit einem verärgerten Blick und gehüllt in goldbrauen Fell knurrte sie in den Raum hinein, doch Elth schien das überhaupt nicht zu bemerken, er küsste immer noch meine Brust. Wohin ist überhaupt mein Shirt verschwunden?
„Elth was denkst du was du zum Teufel... Verdammt Edelle! Hör sofort damit auf.“
Was? Hä? Ich verstand kein Wort.
Jedoch langsam schien Elth ebenfalls eine Störung zu bemerken und ließ mich wieder auf meine Beine hinab.
„Dell, verwandle dich sofort zurück, sonst tust du etwas, das du später bereust!“ Befahl Lissy, zog ihren Bruder grob von mir fort und hüllte mich sorgsam in ein Badetuch. Aber... was hatte sie denn? Was Elth und ich taten, war doch vollkommen normal. Er ist ein Mann und ich eine Frau. Das war das Einzige was im Moment zählte.
„Ich brauche ihn aber...“
„Nein! Edelle, sieh mich an.“ Ich wollte zu Elth, um dort weiter zu machen wo wir aufgehört hatten, doch Lissy hielt mich fest. „Dell! Zur Hölle sieh dich im Spiegel an.“ Unsanft schob sie mich zum Waschbecken und wischte mit der Handfläche eilig etwas Dampf davon ab, sodass mir ein gerötetes Gesicht entgegen starrte.
Doch nicht auf diese Weise rot, wie man wurde, wenn einem etwas peinlich war, sondern auf die >übernatürliche< Art und weise. „Scheiße, verdammt.“ Stieß ich erschrocken hervor. Zirka zwei Fingerbreiten über meiner Augenbrauen, hatten sich zwei spitze Hörner gebildet, welche sich über meinen Kopf gut einen Unterarm lang geformt hatten. Meine Haut hatte einen dunkelroten Farbton abgenommen, meine Finger waren schwarz und viel länger, als ich sie in Erinnerung hatte. Zudem konnte ich schwören, dass sich über meinem Hintern irgendetwas bewegte.
Vorsichtig drehte ich mich um und stieß einen erschrockenen Schrei aus. Über meinem Hosenbund ragte ein gut ein Meter langer Schwanz heraus, der sich ängstlich um mein Bein wand. Sofort wollte ich ihn loswerden, doch erinnerte mich rechtzeitig daran, dass dieses >Ding< ein Teil von meiner Verwandlung war.
„Mist... mein Kopf.“ Hörte ich Elth vom Fußboden her.
„Stopp. Sieh ihr nicht in die Augen!“ Rief Lissy und schirmte meine Augen mit ihrer Hand ab.
„Oh, nein. Dell! Wann ist das denn passiert?“
Unwissend hob ich die Schultern, während ich mich ungläubig meinem Spiegelbild wieder zu wandte. „Ich weiß es nicht. Was bin ich überhaupt? Ein Dämon oder so etwas?“ Fragte ich vorsichtig, während ich mit meinen leicht verlängerten Fingern die harten Hörner abtastete.
„So ähnlich. Ein Lustdämon, würden die einen dich bezeichnen. Im Volksmund jedoch nennt man Wesen wie dich einfach Sukkubus. Sie ernähren sich einmal im Monat von Männer, die sie während... nun, ja...“
Ich winkte ab. „Ja, ich weiß schon, was sie sind. Aber das sie existieren, ist mir neu.“ Verdammt wann hatte ich mich verwandelt? Und weshalb in... so etwas? Was ich über Sukkubus wusste, war bloß das, was man aus Geschichten kannte.
„Ja, sie existieren, jedoch kann man sie nicht wirklich als einen von uns bezeichnen. Sie wissen nicht, was sie sind. Im Grunde sind sie völlig normale Menschen, mit einem völlig normalen Leben, Kinder, Enkel, was auch immer. Aber jede Nacht zu Neumond, verwandeln sie sich. Unkontrolliert, ziehen sie durch die Straßen, meist weit entfernt von ihrem Zuhause und nähren sich vom anderen Geschlecht um ein weiteres Monat zu überleben. Bloß Sukkubus, die im vorherigen Monat nichts zum Essen gefunden haben, was recht selten vorkommt besonders, wenn man bedenkt, wie heiß sie sind, bekommen die Folgen zu spüren. Sie werden plötzlich älter, erkranken, oder erleiden einfach aus dem Nichts einen Herzinfarkt.“
Das klang ja furchtbar! „Ist etwa heute Neumond?“
Lissy sah aus dem kleinen Fenster, das sie gekippt hatte, damit der Dampf abzog, und schüttelte den Kopf. „Nein, ich verstehe so wie so nicht, weshalb du dich in … eines dieser Biester verwandeln konntest.“
Das klang ja beinahe so, als könne Lissy diese Wesen nicht leiden. Ob da mehr dahinter steckte?
„Du musst bedenken, dass sich Dell in wirklich jedes reinrassige Wesen auf dieser Welt verwandeln kann, Lissy.“ Erinnerte Elth seine Schwester.
„Aber sie gehören ja nicht einmal zu uns.“ Erwiderte diese.
„Das sieht wohl Dells Körper anders.“
Betroffen sah ich an mir hinab, währen Elth seine Augen mit den Händen abschirmte und konzentriert dabei auf den Boden sah, wo sich meine Augen zum Glück nicht befanden. „Diese... Wesen... verführen ihre potenzielle Beute mit den Augen?“ Hakte ich nach, doch kannte bereits die Antwort.
„Ja, sie wählen damit ihr Opfer aus und mit ihrem Atem ziehen sie es in ihren Bann.“ Wie grausam. Und das bloß, um zu überleben. Aber andererseits, können sie es sich auch nicht groß aussuchen, wenn sie nicht einmal von ihrer zweiten Existenz wissen.
„Das... Das tut mir so leid, Elth. Ich wollte das wirklich nicht...“
„Schon gut, Dell. Ich bin bloß froh, das nicht mehr passiert ist. Ich will mir überhaupt nicht ausmalen...“ Ihm versagte die Stimme genauso wie mir. „Wir sollten dringend zu Gael zurück. Am besten heute Nacht noch.“
„Ihr könnt doch nicht die ganze Nacht durch fahren. Irgendwo müsst ihr spätestens morgen früh halt machen, Elth. Gaels Hütte ist doch viel zu weit entfernt.“
Viel zu weit? Weshalb weiß Lissy wo sich Gaels >Hütte< befindet und ich nicht? Bisher hatte ich nicht einmal einen blassen Schimmer, wo es sein könnte. Andererseits, wenn man bedachte, dass ich das letzte Mal von Lissys Arbeitsstelle aus zu Gael drei Stunden gebraucht hatte, sollte es machbar sein, oder nicht?
„Ohne Feenzauber haben wir keine Chance, du hast recht. Aber das ist nicht so wichtig. Das Einzige was derzeit wichtig ist, ist es Dell zurückzubringen. Ich weiß er wartet bestimmt bereits auf sie.“
Okay, offenbar hatte ich absolut kein Mitspracherecht. „Ähm... kann ich einmal...“ Begann ich, doch wurde einfach ignoriert. „Sei nicht so eingebildet, dummes Kätzchen.“ Schimpfte Lissy „Du kannst den Bann einer Fee nicht einfach so umgehen. Ja, er ist recht schnell in seiner Hütte, aber solche wie wir? Ohne Magie? Der Verlangsamkeitszauber hat seinen Namen nicht wegen seiner >Schnelligkeit< erhalten.“
Genervt knurrte Elth. „Ach, was du nicht sagst. Ich bin mir sicher, dass Gael uns da schon heraus holen wird. Außerdem kann ich ihn ja kontaktieren, damit er uns abholt.“
„Hey, Leute. Falls ihr es vergess...“
„Ach, hätte das zahme Kätzchen die Nummer seines Herrchens, hätte es doch schon längst angerufen, oder nicht?“
„Das spielt überhaupt keine Rolle, der Zauber wirkt bloß innerhalb eines gewissen Areals, ich werde es einfach umgehen.“
„Ich könnte doch einfach...“ Niemand hörte mir zu. Die beiden Raubkatzen fauchten sich direkt vor mir an, ich stand wieder als Mensch direkt vor ihnen und hielt das Handtuch fest um meinen Körper gewickelt, während die beiden sich an die Gurgel gingen. Dabei könnte es bereits losgehen, wenn mir bloß jemand zuhören würde.
„Nenn mich nie wieder ein zahmes Kätzchen, oder ich mache gleich eines aus dir!“
Spöttisch verzog Lissy die Stimme. „Habe dich das arme schwarze Katerchen etwa gekränkt?“
Das war wohl genug. Elth stürzte sich mit einem Aufschrei, den bloß eine Raubkatze von sich geben konnte auf Lissy, während die, bereits in ihrer Zwischenform, schon darauf vorbereitet gewesen war. Ohne sich gröberen Schaden zuzufügen, versuchte der eine den anderen auf den Boden zu bekommen, doch fürs Erste sah es so aus, als würde niemand der beiden siegen können.
Genervt verdrehte ich die Augen und ging einfach aus dem Bad. Wieso hatte ich mich noch einmal schuldig gefühlt?
Ja, na gut, es hätte tatsächlich das Schlimmste passieren können, wenn Lissy uns nicht gestoppt hätte. Wer weiß wie weit wir gegangen wären... Nein! Das wusste ich. Ich hatte es gefühlt. Ich wollte es, obwohl dieses >ich< nicht unbedingt das >Originale ich< gewesen ist.
Verdammt, das alles fühlte sich so falsch an.
„Tante Dell?“
Überrascht blickte ich hinab zum jüngsten von Lissys Söhnen, der vollgeschmiert mit Schokolade zu mir auf sah. „Ähm... Ja? Was hast du denn?“
Auffordernd hielt er mir beide Hände hin. „Ich komme nicht alleine hinauf zum Waschbecken und Mama sagt, ich darf die Stühle im Haus nicht verschieben.“
Verstehend nickte ich und führte ihn in die Küche, dort schob ich einen Stuhl zurecht, hob ihn darauf und drehte ihm das warme Wasser auf. Geduldig wartete ich darauf, dass der kleine fertig wurde, bevor ich ihn wieder hinunter hob und er sich die nassen Finger im Shirt abwischte.
Lächelnd schüttelte ich den Kopf. Wenn das Leben bloß für mich ebenfalls noch so einfach wäre. Einfach jemandem meine Hände hinhalten und sagen >bitte hilf mir dabei<. Ein Kind müsste man sein Leben lang bleiben, dann würde man niemals den Sinn für die Realität entwickeln.
Andererseits... da kam mir ein völlig neuer Gedanke. Die beiden Raubkatzen waren so sehr aufeinander fixiert, dass sie mich einfach ausblendeten. Doch einen Mutterinstinkt konnte man nicht einfach so ausblenden.
„Ähm... Matty?“ Der kleine Junge blieb stehen und blickte lächelnd zu mir auf. „Würdest du mir einen winzigen Gefallen tun?“
Mittlerweile hatte sich der Kampf der beiden Geschwister aus dem Badezimmer hinaus, in den Flur verlegt, daher war es, einfach Lissys Aufmerksamkeit zu erhalten. Matty stellte sich neben mich hin.... und begann herzhaft zu weinen. Es klang so überzeugend, dass sogar ich kurz davor war mich zu ihm hinunter zu beugen, doch als ich sah, dass es tatsächlich funktionierte, Lissy von Elth abließ und sich zurückverwandelte, hörte auch Elth mit diesem Unsinn auf. Wieso hier noch immer nichts in Schutt und Asche lag, verstand ich so wie so nicht. „Oh, verdammt, Matty! Was ist denn passiert, mein Süßer?“
Sofort hörte Matty auf zu weinen und lächelte zu seiner Mama hoch. „Entschuldigung Mami, Dell hat mich darum gebeten.“ Sichtlich verwirrt nahm sie ihren Sohn hoch und blickte mich forschend an. Elth stellte sich neben seine Schwester und schien ebenfalls eine Erklärung haben zu wollen.
„Ich entschuldige mich ebenfalls, aber ihr Idioten habt mir wieder einmal nicht zugehört.“
Verlegen blickten die beiden zu Boden.
„Also... wir haben bloß...“
„Wir wollten...“
Lächelnd ignorierte ich ihre Ausflüchte einfach, immerhin hatte ich doch alles gesehen. „Das ist jetzt nicht wichtig. Was ich sagen wollte, ist, dass ich liebend gerne darauf hinweisen würde, dass uns doch eine Fee zur Verfügung steht.“
Beide sahen mich an, als hätte ich ihnen einen Esel vor die Nase gesetzt.
„Mich!“ Erinnerte ich die beiden und winkte auffällig. „Aber, Dell. Du kannst es doch noch überhaupt nicht kontrollieren.“ Belehrte mich Lissy, doch das wusste ich bereits.
„Lissy hat recht. Und selbst wenn du es schaffen würdest, wir wissen nicht wann es vorbei geht oder wie sich dein Charakter verändert. Vielleicht läufst du ja wieder fort, wie damals Werwolf.“
Wow, dieses Vertrauen in mich war schon beinahe unvorstellbar. Und mich wollte irgendeine Rasse tatsächlich als Königin? Andererseits, hatte Elth auch recht. Ich konnte mich nicht kontrollieren, was das anging.
„Obwohl... das müsste eigentlich klappen.“ Begann ich, ohne darüber genauer nachzudenken was jetzt gleich aus meinem Mund sprudeln würde. „Ihr kennt nicht zufällig irgendjemanden, der zirka zu dreiviertel Fee ist?“
Die beiden Geschwister wirkten stark verunsichert, doch sagten nicht unbedingt >Nein< Ich ahnte schlimmes.

29. Imaginäre Teeparty in einer Bibliothek

Von Lissy hatten wir uns ein Auto geliehen. Ein kleiner Dreitürer, in diesem Elth einfach lächerlich groß aussah und genau das sagte ich ihm auch. Mehr als ein geknurrtes „Gib eine Ruhe.“ bekam ich nicht, doch das verletzte mich keinesfalls. Ich fand es sogar noch witziger.
Als ihm der Wagen bereits an der dritte Ampel ab starb, hörte Elth überhaupt nicht mehr zum Fluchen auf. Es schien beinahe sogar so, als hätte er einen neun, kleinen roten Erzfeind gefunden. Also in kurz: Ich liebe dieses Auto. Und nein, ich bin keinesfalls schadenfroh oder so etwas.
Nachdem wir Lissy in ihrer Nachtschicht abgesetzt hatten, fuhren wir hinaus aus Regina. Nach einer gut fünfzigminütigen fahrt,, trafen wir in der nächsten Kleinstadt ein. In Moose Jaw überquerte Elth zwei Mal einen Fluss, der seine Arme weitreichend durch die Stadt zog und so zu sagen regelrecht überall war. Der Geruch nach Wasser lag, neben dem wohl bekannten Smog, erfrischend in der Luft.
Als wir vor einem kleinen Häuschen anhielten, mit einem kleinen Garten davor, musste ich schmunzeln. Ungefähr so stellte ich mir den absoluten Familientraum vor. Nicht den pompösen Traum von wegen einer Villa am Strand zu besitzen, sondern das gemütliche kleine Nest. Die rosa Fassade schien frisch zu sein, der Garten recht gepflegt, doch mittlerweile von einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Es führte ein gerader Weg direkt bis zur Veranda an welcher mühsam, bearbeitete Kunstwerke hinein geritzt worden waren. So klein und detailreich, sodass ich mir sofort die Nummer des Erbauers wünschte. „Dell? Was ist los?“
Ich wurde leicht rot im Gesicht und vergrub meine Nase dankbar im Schal. „Nichts.“ Log ich und holte Elth auf.
Kopfschüttelnd klopfte er an die massive Holztüre, sogar mit einem klassischen Löwenkopf darauf und biss mir stark auf die Lippe, um nicht zu lachen. Irgendjemand hatte mir hier meinen Traum gestohlen.
„Verpiss dich.“ Kam es von der anderen Seite der Türe und ich wich unweigerlich einen Schritt zurück.
„Komm schon, ich bin nicht wegen mir hier.“ Versprach Elth und nun bemerkte ich erst, dass ich vielleicht zuerst fragen hätte sollen, woher Elth diese Fee kannte.
„Du bist ja richtig beliebt.“ Stichelte ich und fing mir einen verärgerten Blick seinerseits ein.
„Komm schon! Ich habe hier eine Freundin, die dir vielleicht einen Deal anbieten könnte.“ Quietschend wurde die Eingangstüre geöffnet und der Lauf einer Schrotflinte deutete genau auf Elths Schritt. „He! Stopp! Leg das Ding weg, bevor du noch irgendjemandem weh tust!“ Schimpfte Elth sichtlich nervös und schob sich vor mich, als würde die Waffe mich bedrohen.
„Verschwinde hier, sonst tue ich dir weh!“ Drohte ein recht dürres Mädchen. Sie trug eine kurze Hose und bloß ein lockeres Trägershirt, dabei hatte es hier draußen minus fünf Grad. Ihre hellbraunen Haare trug sie zu einem festen Zopf und auf ihrer Nase thronte eine dicke Brille.
Was hatte Elth bloß wieder angestellt?
„Bitte, hör zumindest sie an.“
Der wilde Blick der Frau richtete sich langsam an Elth vorbei auf mich. Vorsichtig ging er einen Schritt zurück und legte meine Wenigkeit wieder frei. Für einen Moment musterte die verärgerte Furie mich, bevor sie die Waffe etwas senkte. „Egal was die dieser Verrückte versprochen hat, glaube ihm nicht. Und solltest du schwanger von jemandem wie ihm sein, dann lauf so schnell du kannst und so weit du kommst fort. Ich halte ihn gerne für dich eine weile hin.“ Als wären wir plötzlich verbündete, zwinkerte sie mir mit ihren grünlichen Augen zu, bevor ihre Waffe sich wieder auf Elth richtete.
Panisch sprang ich dazwischen. „Warte Selena, hör mich bitte zu aller erst an, danach kannst du immer noch auf ihn schießen, wenn du möchtest.“
„Was?“ Stieß Elth beleidigt hervor.
„Bitte, bloß fünf Minuten.“ Bat ich weiter und ignorierte Elth gekonnt.
Skeptisch legte Selena den Kopf schräg und musterte mich abermals eine Weile, als würde sie irgendetwas an mir suchen das ihr erklärte, was zum Teufel ich von ihr wollte. „Na, gut. Einen Tee, dann verschwindet ihr beide.“ Selena ließ mich ein und Elth folgte mir auf den Schritt.
Kurz legte er seine Hand an meinen Bauch, um mich für einen Moment innehalten zu lassen, und beugte sich so tief vor, dass seine Lippen, meine kaltes Ohr streifte und es sofort warm wurde. „Wehe sie schießt später auf mich.“ Drohte Elth, dann zog er sich auch schon wieder zurück.
Lächelnd betrachtete ich sein aufmerksames Profil und unterdrückte eine Seufzen. Obwohl wir uns heute Nachmittag heftig geküsst hatten und später im Bad beinahe etwas getan hätten, was wir beide bereuen, hätten können, bekam ich seitdem kaum noch irgendwelche Botschaften von ihm. Ja, zufällige Berührungen und prüfende Blicke seinerseits fielen mir tatsächlich auf, doch seitdem wir auf diese Mission gegangen sind, lag so etwas wie eine undurchdringbare Mauer zwischen uns. Wir stritten uns zwar nicht richtig, doch man konnte auch nicht davon sprechen, dass wir uns wie ein frisch verliebtes Pärchen verhielten. Viel mehr sind wir Bekannte, die einfach zufällig denselben Weg gingen. Zumindest fühlte es sich so an.
„Also, was wollt ihr?“ Selena kam direkt auf das Thema zu sprechen, was ich erleichternd empfand. Wenigstens mussten wir keinen Smaltalk führen.
„Mein Name ist Edelle Black. Ich bin...“
Erschrocken blieb Selena stehen und starrte mich fassungslos an. „Du bist die Zweitgeborene. Ich habe mitbekommen, was deiner Schwester zu gestoßen ist. Dein Verlust tut mir leid.“ Ehrliches Mitgefühl stand in Selenas Augen, was mich sogar berührte.
„Danke, kanntest du sie?“
Selena schüttelte den Kopf. „Nein, ich hörte bloß von ihr.“ So wie sie es sagte, klang es nicht nach einfachem Dorfklatsch.
Nachdem Elth und ich unsere Sachen säuberlich aufgehängt und zur Seite gelegt hatten, führe uns Selena in eine Bücherei. Erstaunt das man ein Wohnzimmer ebenfalls als Bücherei benutzen konnte, brachte ich bloß ein „Wow, das sind ja viele Bücher.“ Heraus. Stolz grinste Selena „Ja, sie sind mein ganzer Stolz.“ Verkündete sie und wirkte, als hätte ihr überaus begabtes Kind gelobt.
Die Wände, die Stühle, Tisch so wie der Boden waren vollgestopft mit Büchern. Dicke, dünne, Alte und bereits recht verstaubte lagen, kippten und lehnten so gut wie überall. „In meinem Zimmer und meinem Arbeitsraum habe ich noch mehr, wenn du dich für so etwas interessierst.“
Begeisterung überkam mich. Bisher hatte ich niemals die Gelegenheit gehabt mir Bücher zuzulegen. Ich konnte sie schwer in die verschiedenen Familien mitnehmen, die mich für kurze Zeit groß zogen. Ein, oder zwei ganz sicher, doch nicht so viele, wie ich gerne bisher gelesen hätte. „Bevor ihr beiden jetzt gleich die Bücher wälzt, sollten wir zum eigentlichen Thema de Besuchs kommen.“ Beschwor Elth uns und schob mich auf eine freie Sitzfläche zu, die Selena offenbar zum schlafen benutzte. Sorgfältig schob ich die raue Decke zur Seite und Elth quetschte sich sofort neben mich, als hätte er Angst, dass ich hier in diesem Bücherland verschollen gehen könnte. Obwohl, so abwegig fand ich das überhaupt nicht.
Manche Stapel bildeten regelrecht Türme und sahen nicht so stabil aus, wie zuerst angenommen. Unsicher rutschte ich noch näher an Elth, dem das sichtbar auffiel, doch sagte er nichts. „Du hast recht, Elth.“ Mein Blick galt nun bloß noch der Mischlingsfee, die neugierig abermals ihren Blick über mich schweifen ließ. Langsam wurde das unangenehm. „Vor einiger Zeit schaffte ich es zu einem Vollmond, unkontrolliert eine Verwandlung zu vollziehen. Es war die Erste, die ich auch einigermaßen bemerkte und in welcher ich nicht bloß meinen Körper, sondern auch meine Gedanken änderten. In dieser Nacht kamen hunderte von Werwölfe. Gebissene, Mischlinge und Verstoßene gleichermaßen, erschienen vor mir und unterwarfen sich.“
Neugierig lehnte sich Selena vor und schob ihre Brille zurecht, als würde sie einer spannenden Geschichte lauschen. „In dieser Nacht tranken so gut wie alle von meinem Blut. Nur einen Moment später fielen diese Wölfe in sich zusammen und verwandelten sich augenblicklich in ihre menschliche Form zurück. Ich heilte sie.“
Erstaunte klappte ihr plötzlich der Mund auf. „Du hast was? Das ist unmöglich!“ Hektisch wedelte Selena mit ihrer Hand herum und ihr Blick sprang zu den einzelnen Buchbände. „Niemand kann einen gebissenen Heilen und Mischlinge schon gar nicht.“ Belehrte sie mich, doch das wusste ich bereits.
„Das dachten wir bisher auch, doch irgendwie hat es funktioniert. Sie bekamen alle ihren menschlichen Verstand wieder und soviel ich bisher weiß, hat sich niemand zurückverwandelt.“ Nicht das ich danach noch Kontakt zu irgendjemanden hatte, doch das wusste Selena natürlich nicht.
„Aber... Mit deinem Blut? Bist du sicher? Das klingt absurd.“
Ich nickte bestätigend. „Ja, aber es wird noch verrückter.“ Schon wieder rückte Selena ein Stück näher und schien regelrecht in mich hinein kriechen zu wollen, um meine Gedanken zu lesen. „Unter ihnen befanden sich fünf reinrassige Werwölfe. Beta in ihrem Rang und auch ein Verstoßener.“ Tim hatte nie erwähnt weshalb, doch mich hatte es auch niemals wirklich interessiert. Ich war viel zu beschäftigt mit viel verrückteren Dingen, die mein Leben bisher bestimmten, gewesen. Mittlerweile bereute ich es, ihnen immer dermaßen ausgewichen zu sein. „Diese Werwölfe habe ich gebissen, was sie zum nächsten Vollmond hin stärker machte. Zu Alpha, um genau zu sein. Sie konnten sich sogar außerhalb des Vollmondes verwandeln und haben ein eigenes Rudel gebildet, um mich zu beschützen.“ Das war ihnen schlussendlich auch zum Verhängnis geworden. Mehr als vierundzwanzig Stunden war es nun her, wo wir die Vampirkönigin versuchten auszutricksen.
Ungläubig klappte der Mund von Selena auf und sie griff sich bestürzt ans Herz. „Das ist ein Scherz, oder?“ Unsicher blickte sie zu Elth, der ziemlich ruhig zu sein schien. „Leider nein. Sie schworen mir Loyalität und den... hatten sie auch bis in ihren Tod.“ Alleine das letzte Wort brachte mich schon wieder zum Weinen. Für mich hatten sie sich geopfert. Um mich zu beschützen.
„Schon gut, Dell. Sie haben das alles für dich getan.“ Elth streichelte tröstend meinen Rücken, während ich entschlossen nickte, und versuchte meine Trauer zurückzudrängen. Jetzt war nicht der passende Zeitpunkt um deren Tod zu verarbeiten. „Entschuldige. Ihr... Ableben geht mir nahe.“
„Wann sind sie denn gestorben?“ Fragte Selena interessiert nach. „Vor fünfundzwanzig Stunden, oder etwas mehr. Ich weiß es nicht mehr so genau.“ Jedenfalls lag noch nicht genug Zeit zwischen alldem.
„Das tut mir wirklich leid für dich.“
Dankbar nickte ich, trocknete die letzten Tränen und holte mir mit einem Blick auf Elth die Kraft, die ich für den nächsten Schritt benötigte. „Jedenfalls, der Grund weshalb wir hier sind, ist der, dass wir deine Hilfe brauchen.“
Sichtlich misstrauisch geworden, lehnte sich Selena zurück und verschränkte die Arme vor dem Brustkorb. „Wie könnte ich euch helfen?“
„Mein Lehrer, Gael, ist ein Halbengel und eine Halbfee.“ Fragend zog die Fee eine Augenbraue hoch. „Elth hat mich an einen Ort gebracht, von dem er dachte, dass ich dort sicher sei und an dem man mir geholfen hat. Beinahe wäre ich an einem Fluch von einer dunklen Fee gestorben. Man hat mich, offensichtlich, geheilt, doch dort war ich leider nicht allzu lang sicher. Jetzt muss ich zurück zu meinem Lehrer. Ich weiß er macht sich große Sorgen um mich, doch können wir nicht einfach so zu ihm zurück spazieren.“
Den nächsten Teil überließ ich Elth, denn er kannte sich mit dem Schutz über Gaels Haus besser aus. „Gael ist großteils ein Engel, doch besitzt er wie beinahe jede Fee eine Gabe. Seine erzeugt ein Störfeld um ihn herum, oder an einem Platz, wo er genug Energie aufrecht erhält. Sie verzerrt die Zeitzone, sodass man sich entweder langsamer, oder schneller fortbewegt.“
„Er manipuliert die Zeit? Das ist eine ausgesprochen kräftige Gabe, besonders für einen Mischling. Jedoch weißt du auch, dass ich niemals eine Gabe ausgebildet habe, ich bin keine richtige Fee, dank meinem Vater. Daher sehe ich auch nicht ein, wie ich euch helfen könnte?“
Elth überließ wieder mir das Sprechen, da es ja auch meine Idee gewesen ist. Aufmunternd zog er unbemerkt an meinem Zopf. „Ich hätte da vielleicht eine Idee. Bis auf die Wölfe habe ich es niemals ausprobiert. Wie gesagt ich habe die Verwandlungen nicht unter Kontrolle, doch offensichtlich bin ich mächtig genug um Mischlinge, menschlich zu machen, oder stärker. Also, wenn ich es schaffen könnte mich in eine Fee zu verwandeln und wenn ich es schaffe dich dann zu einer reinrassigen zu machen, dann würde ich dich als Gegenleistung darum bitten, uns durch dieses Störfeld zu bringen.“
Ja, das war meine Idee gewesen. Zwar hatte ich im Vampirschloss nicht alles richtig verstanden, aber so viel war sicher: Während meiner unkontrollierten Verwandlung zum Werwolf, konnte ich mit einem Biss andere stärker machen. Mittels eines Bisses geben die Wölfe auch ihren >Fluch< weiter, wie es viele nannten und ich hatte ihn mit diesem >Werwolfbiss< verstärkt.
Die Vampire hatten die These aufgestellt, dass wenn Werwölfe über diesen Biss stärker werden, sie über Bluttransfer stärker würden. Vampire können ebenfalls >Gebissene< erzeugen. Sie mussten jedoch dem Wirt beinahe sein ganzes Blut nehmen und danach ein Stück ihres Fangzahnes im Körper hinterlassen. Dieser wird vom Körper des Gebissenen aufgenommen und dient als >Kern< eines neuen Fangzahnpaares. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden verwandelte dieser Gebissene sich dann selbst in einen Vampir, wobei er danach nicht stärker als ein gewöhnlicher Mischling ist und wird von dem typischen Blutdurst gequält. Geborene Mischlinge jedoch besaßen nicht die Gabe solche >Gebissene< zu erzeugen, wieso, wusste niemand.
Sie testeten diese These an mir, ließen mich leer bluten, hinterließen ein Stück ihres Zahnes, ohne dass ich es bemerkte, und hofften dass somit die Macht auf sie über gehen würde. Erfolglos wie sich herausstellte.
„Das sind aber viele >wenn<“ Bemerkte Selena und wirkte nicht besonders überzeugt. „Wäre es da nicht wesentlich einfacher, dich wie gesagt in eine Fee zu verwandeln und dann selbst das Störfeld zu durchbrechen?“
Das war der eigentliche Punkt. „Wie gesagt, ich beherrsche meine Verwandlung nicht. Außerdem kann ich nicht garantierten, dass wenn ich erst einmal in diesem Störfeld bin, ich mich nicht zurück in einen Menschen verwandle und wir dann für eine viel zu lange Zeit in diesem Feststecken.“
„Aber wenn Gael es selbst erschaffen hat, dann würde er sofort spüren, dass sich jemand in seinem Zauber befindet und nachsehen, oder?“
Elth und ich warfen uns einen zweifelnden Blick zu. „Nicht das ich Gael zutrauen würde Leute in seinem Bann verschluckt zu lassen, doch ich bezweifle, dass sein erster Gedanke sein wird, dass wir so dämlich sind und in einen Bann laufen, der die Zeit verschiebt. Dell hat keine Zeit für weitere Verzögerungen. Ihr bleiben gerade einmal eineinhalb Wochen.“ Elth klang mittlerweile richtig gereizt, als würden wir hier bloß unsere Zeit verschwenden. Vermutlich taten wir dies auch.
„Sag, Edelle. Welche Rasse wirst du bevorzugen?“ Dass sich Selena so unverblümt an mich wendet, überraschte mich ein wenig, besonders die Frage.
„Ich... also... Bisher hatte ich noch nicht wirklich...“
„Also du läufst durch die Gegend, versuchst deine Verwandlung auf die Reihe zu bekommen, obwohl du nicht einmal weißt, was du sein willst? Ist das nicht etwas kontraproduktiv?“
Kontraproduktiv? Ich verstand nicht. Und wieso war sie auf einmal so wütend? „Nun, ja.. Gael sagte, dass ich zuerst einmal alle Verwandlungen durch gehen muss, um zu wissen, was ich sein will.“ Und um alle Verwandlungen zu vollziehen, sollte ich doch erst einmal herausfinden wie ich das am besten anstelle, oder nicht?
„Ich weiß nicht, von wem euer Mischling ausgewählt wurde, aber er ist ein absoluter Vollidiot.“ Unverschämt spottete sie über die Mühen, die sich Gael über die Jahre angenommen hatte. Das verstand ich nicht. „Ich bezweifle dass du weißt, wovon du sprichst, Selena. Also achte auf dein loses Mundwerk.“ Knurrte Elth, obwohl man ihn darauf auch des Öfteren aufmerksam machen könnte. Besonders wenn es um mich ging.
„Elth, ist schon in Ordnung. Wir sind nicht hier, um ihr Vorschriften zu machen.“ Erinnerte ich ihn und legte meine Hand auf die seine, damit er sich beruhigte. Beleidigt begann er zu schmollen.
„Selena, ich weiß...“
„Du weißt überhaupt nichts, Prinzessin. Es gab hunderte vor dir, die uns Wesen geholfen haben. Sobald du stirbst, werden neue Zwillinge geboren werden, also Spiel dich lieber nicht als jemand wichtiges auf.“
Getroffen öffnete ich den Mund um etwas zu erwidern und Elth sprang so schnell auf die Beine, dass ich schwören konnte, einen der Büchertürme neben ihm gefährlich wackeln zu sehen, doch Selena war es, die uns beide zur Ruhe zwang. Mit erhobener Hand deutete sie uns still zu schweigen. „Traurig muss ich jedoch gestehen, dass ihr beide wohl oder übel zur richtigen Adresse gekommen seid. Ich kenne jemanden, der euch beiden helfen kann. Jemandem dem ihr mehr vertrauen werdet als mir.“
„Eher friert die Hölle zu!“ Fauchte Elth und ich sah, wie langsam Staub aus seinem Fell flog.
„Tut mir ehrlich leid. Aber es ist nun mal so. Bloß >sie< kann euch die Antworten liefern, die ihr beide wollt.“
„Elth? Wovon spricht sie?“ Verlangte ich zu wissen.
„Du lässt wirklich deine Chance vergehen, endlich wie >sie< zu werden? Genauso stark. Reinrassig!“
Beleidigt verschloss sich Selena. Sie überkreuzte ihre Arme vor dem Oberkörper, knirschte mit den Zähnen und blickte stur auf einen Buchstapel, obwohl ihr Blick wo anders zu liegen schien. „Ich muss nicht wie >sie< sein. Wie ich bin, ist es in Ordnung.“
Ich verstand kein Wort mehr. Wie viel hatte ich wohl verpasst?
„Also wirst du uns zu ihr bringen? Du weißt, du bekommst dann nichts mehr von uns.“
Selena lehnte sich vor, riss ein Stück Papier von einem der voll gekitzelten Blöcke auf dem Wohnzimmertisch und schrieb eine kurze Notiz darauf. „Ihr müsst dort hin. Sie hilft euch. Jetzt verlasst mein Haus, die Teeparty ist vorbei.“
Obwohl sie uns überhaupt keinen Tee angeboten hatte, warf sie uns regelrecht durch ihre Türe hinaus, kaum dass ich meinen Schal fest ziehen konnte. Fürsorglich hüllte mich Elth in den geliehenen grauen Mantel und setzte mir sogar die warme Haube auf.
„Entschuldige. Ich hätte dich nicht zu ihr bringen sollen.“
Eigentlich war Selena mir recht egal, auch wenn ich liebend gerne etwas für sie getan hätte. Andererseits, war es auch meine eigene Idee gewesen. Ich hätte wissen müssen, dass sie dumm ist.
„Schon gut. Wer ist >sie< überhaupt?“ Ich deutete Anführungszeichen in der Luft, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen. Immerhin ist mein Interesse nun durchaus geweckt. „>Sie< ist eine... recht seltsame Person. Wenn wir jetzt losfahren, erreichen wie sie morgen Abend. Zumindest laut dieser Adresse.“ Nachdenklich betrachtete Elth das Stück Papier, während ich genervt die Augen verdrehte.
„Elth!“ Schrie ich so laut, dass er erschrocken zusammen zuckte und sich panisch nach einer Bedrohung umsah.
„Was ist denn? Weshalb schreist du so?“ Zornig schob ich meinen Hintern in das Auto und knallte die Türe neben mir zu um meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Das er mir auch nie zuhören konnte!
„Edelle?“ Fragend steckte er zuerst seinen Kopf vorsichtig ins Auto, bevor er es wagte sich neben mich zu setzen. „Was ist denn los?“
„Du hörst mir überhaupt nicht zu. Ich versuche dir bereits die ganz Zeit, eine Frage zu stellen.“
Ich hörte ihn seufzen, bevor er den Wagen startete. „>Sie< ist eine reinrassige Fee. Eine von den Guten. Aber sie ist sehr streng... und vor allem eigenwillig. Seit einigen Jahren leider auch verbittert, da ihr Gefährte im Sterben liegt.“
Ihr Gefährte? „Feen haben Gefährten?“ Fragte ich irritiert.
„Eigentlich nicht, aber Selenas Vater und ihre Mutter waren sehr lange zusammen. Er ist zwar ein Mensch, doch dank Feenmagie bereits hundertzwanzig Jahre alt.“ Vor Überraschung stockte mir der Atem. „So alt!“ Stieß ich hervor. Wie konnte ein Mensch so alt werden?
„Feen besitzen viele Gaben. Manche setzen sie für Gutes, andere für Schlechtes ein. >Sie< machte niemals einen Hehl daraus, dass sie einen Menschen liebt, und wurde von ihrer Art verstoßen. Das sie auch noch eine Halbfee gebar, ohne magische Gabe, machte die Sachen nicht unbedingt besser.“
Trotzdem klang es irgendwie romantisch. Zumindest für mich. Sie hat ihr eigenes Ansehen, dass sie Jahrhunderte tragen könnte, für ein flüchtiges Menschliches Leben geopfert. Aus liebe! Irgendwie rührte mich das. „An was denkst du? Du grinst so seltsam.“
Wir standen an einer Ampel, daher beugte ich mich zu Elth und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Du bist ein Arschloch.“ Damit lehnte ich mich wieder zurück auf meinen Sitz und sah, wie sich ein Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete.
„Also bist du Sauer auf mich?“
Ich nickte.
„Wieso bist du sauer? Ich habe nichts getan.“ Einen Moment später konnte ich schwören >Frauen versteh einmal einer< gemurmelt zu höhren, doch war mir ziemlich sicher es mir bloß eingebildet zu haben. Dieses mal...

 

- - - - -

  

Ich schwieg auf der Rückfahrt eisern und ließ meinen Blick aus dem Fenster schweifen; während ich darauf wartete, dass wir wieder in Lissys Wohnung ankamen. Die drei Jungs schliefen bereits. Zweimal die Woche hatte Lissy Nachtschicht, was bedeutete sie kam nicht vor sechs Uhr morgens nach Hause. Leise schlichen wir uns in die kleine Wohnung und stahlen wieder Bettdecke, so wie Polster aus dem Schlafzimmer. Keiner der Jungs erwachte, als wir uns wieder hinaus schlichen, was mich erleichterte. Eigentlich hatten wir länger fort sein wollen und danach Lissy morgens von der Arbeit abholen. Jetzt mussten wir uns eben den Wecker stellen, um nicht zu verschlafen.
Besonders für Elth konnte es schlecht ausgehen, wenn er seine Schwester in der Arbeit vergaß, sie war immer noch sehr wütend auf ihn.
Gähnend streckte ich mich auf dem Sofa aus und genoss das Gefühl, als sich Elth neben mich kuschelte. „Bist du immer noch wütend?“
Zärtlich ließ er seine Hand über meinen Bauch gleiten, bis seine Finger die Stelle fand, die endlich langsam zu heilen begann. „Vielleicht noch ein Kleines wenig.“ Gab ich zu, obwohl mein plötzlich aufkeimender Zorn bereits verflogen war. „Sag, wieso ist Lissy eigentlich so wütend auf dich?“ Ich spürte, wie sich Elth veränderte. Nicht körperlich, doch eben war er noch in Kuschellaune gewesen. Plötzlich wirkte er eher, als würden wir einen Trauermarsch veranstalten.
„Sie ist bloß etwas... überempfindlich.“
Ich wusste, dass es nicht die Wahrheit ist, daher boxte ich ihn in den Magen und drehte mich auf die Seite, um ihn besser ansehen zu können. „Das muss wohl in der Familie liegen.“
Ich hörte wie er leise Lachte. „Na, gut. Sie ist dermaßen wütend gewesen, weil... sie sich einfach Sorgen um dich macht.“
Um mich? „Und da ist sie wütend auf dich?“
„Ja, sie denkt ich, würde dich zerstören. Dir das Nehmen, was dich ausmacht und dich auf falsche Wege bringe.“
Das klang so gar nicht nach Lissy. „Wieso solltest du so etwas tun?“
„Wegen deinem Erbe!“ Erinnerte mich Elth. Da hatte er wohl recht. Und besonders Lissy.
Seufzend legte ich meinen freien Arm um Elth und bemerkte erst da, dass sein Shirt fehlte. Verdammt fühlte sich das gut an! „Weißt du... das ich mich eigentlich versprochen habe?“
Elth wirkte verwirrt. „Wovon sprichst du?“
„Gestern Nachmittag, als ich eigentlich auf die Toilette gehen wollte.“
Fragend zog Elth eine Augenbraue hoch. „Was hat das mit der anderen Sache zu tun?“
Ich verdrehte abermals die Augen und vergrub mein Gesicht an Elth Brust. Dort hätte ich ewig verweilen können. „Statt >küss mich< wollte ich eigentlich etwas ganz anders sagen.“
Lachend zog mich Elth in eine Umarmung. „Ach? Wie kann man sich denn bei so einem Satz versprechen?“
Ich zuckte kurz mit den Schultern. „Frag mich etwas Leichteres. Ich habe ganz logisch über >das< alles nachgedacht.“ Damit deutete ich zwischen ihm und mir hin und her. „Wir mögen uns doch überhaupt nicht. Wir streiten bloß. Wir gehen uns auf die Nerven. Ich habe dir den Tod gewünscht und dich zum Teufel verflucht. Du hast mich unendlich mies behandelt. Mich gebissen. Gemobbt. Beleidigt...“
Etwas notdürftig schob mich Elth von sich, um mir in die Augen sehen zu können. „Schon gut, ich habe es verstanden! Worauf willst du hinaus?“
„Jedenfalls, fand ich es völlig absurd, dass ich Gefühle... oder so etwas für dich haben kann. Du bist ein Mischling und ich weiß was in meiner Geburtstagsnacht passieren könnte, wenn... du weißt schon... du und ich...“
Lachend bejahte er, damit ich weiter sprach. „Aber das würde ich dir niemals antun. Versprochen.“
Ich nickte und redete endlich weiter. „Das weiß ich. Aber selbst wenn wir... zusammen wären... uns wirklich mögen... oder Schlimmeres,...“ Wider lachte Elth, obwohl mir das Thema wirklich ernst war. „dann müsste ich mit einem Reinrassigen schlafen, um länger leben zu können und dazu auch noch eine einzelne Art zu retten. Verstehst du, auf was ich hinaus möchte?“
Elth nickte und küsste mich so plötzlich, sodass ich kaum folgen konnte. Gerade als ich mich überreden ließ seinem leidenschaftlichen Tempo zu folgen, löste er seine Lippen von den meinen und zog mich einfach in eine Umarmung. „Jetzt verstehe ich weshalb das >küss mich< aus deinem Mund gekommen ist.“ Scherzte Elth, doch brachte es mich nicht wirklich weiter. Ich verstand es immer noch nicht. Es ist doch so falsch, oder nicht?
Zweifelnd schlief ich ein.

30. Gefühle mit Markenzeichen

„Jetzt wollt ihr dort hinfahren? Dann seid ihr gut drei Tage unterwegs. Ist es das wirklich Wert?“
Lissy, welche auf dem Beifahrersitz ihres Autos saß, neben Elth und ich auf der Rückbank, waren eben auf dem Weg zurück zur Wohnung, während wir ihr von letzten Abend erzählten.
„Besser wir verschwenden keine Zeit. Sie ist eine Fee, daher wird sie es schon schaffen das sich Dell verwandelt. Immerhin hat es bei den Werwölfen funktioniert und bei den Vampiren.“ Elth klang richtig entschlossen, was diese Sache anging.
„Einmal abgesehen von dieser Verwandlungssache, soweit ich informiert bin, ist >sie< nicht gerade in einem stabilen Zustand. Ihr Gefährte stirbt, wer weiß schon, ob sie überhaupt noch zurechnungsfähig ist.“
Beruhigend legte ich meine Hand auf Lissys Schulter und drückte sie sanft. „Keine Angst. Solange Elth bei mir ist, bin ich sicher.“
Durch den Rückspiegel konnte ich sehen, wie er rot wurde und plötzlich die Straße noch interessanter fand als bisher, während Lissy ein Grinsen versuchte zu verbergen. „Okay, Süße. Aber pass auf dich auf, verstanden? Lass ihn ja nichts Dummes anstellen.“
Verärgert knurrte Elth. „Was denkst du denn, was ich vorhabe? Sie irgendwo auf dem Straßenrand aussetzen?“
Gleichgültig zuckte Lissy mit den Schultern. „Es gibt Schlimmeres. Daher denk einfach daran was ich gestern gesagt habe und wenn du ihr irgendetwas antust... und damit meine ich so ziemlich alles, dann werde ich dich bei lebendigen Leibe ausstopfen, verstanden?“
Offensichtlich verärgert, hielt Elth mit quietschenden Reifen vor dem Zugang von Lissys Wohngebäude. „Verschwinde und halt deine Schnauze.“
Seit wann war den Elth so kleinlaut? Ich sollte dringend etwas mehr von Lissy lernen, denn niemand ging so gut mit Elth um wie sie.
Schnaufend öffnete sie die Türe. „Ich meine es ernst... Flohschleuder.“ Damit warf sie die Türe hinter sich zu, doch winkte mir zum Abschied noch einmal freundschaftlich.
Noch während Elth wegfuhr, quetschte ich mich über die Hinterbank nach vorne auf den Beifahrersitz und schnallte mich an. Nicht weil ich es gewohnt war, eigentlich tat ich dies kaum. Jedoch fuhr Elth so zornig, dass ich lieber auf Nummer sicher ging. Ich bin eine Zweitgeborene, nicht unsterblich!
„Musstest du so gemein zu ihr sein? Sie macht sich doch bloß Sorgen. Um uns beide!“ Fügte ich extra hinzu.
„Ich weiß, aber sie nervt. Sie wiederholt ständig die Dinge, die ich so wie so bereits weiß.“
Da war wieder das Thema, dem er so geschickt bisher ausgewichen war. „Und die da wären?“
Ich fühlte wie er noch mehr beschleunigte um schnell aus der Stadt draußen zu sein. „Nichts neues.“
„Elth!“ Stieß ich entnervt hervor. Die Anspannung konnte doch nicht bloß daher kommen, dass sie ihrem Bruder nicht vertraute, wenn er sagte, er würde mir in der Geburtstagsnacht nichts antun. „Jetzt mach es mir doch nicht so schwer. Sag mir endlich, worum ihr streitet... Bitte!“ Nachdrücklich starrte ich sein Profil an, während ich erkannte, dass seine Verteidigung immer mehr bröckelte.
„Sie ist nichts Weiter als eine verrückte alte Frau. Mehr steckt hinter alldem nicht.“ Redete er sich heraus.
Wieso nur konnte ich ihm nicht glauben. Irgendetwas musste sie doch zu ihm gesagt haben. „Elth, wir haben eine achtzehn stündige Fahrt vor uns! Das ist eine sehr lange Zeit, mein Lieber.“
Wütend funkelte Elth mich an, doch ich wich seinem Blick nicht aus. Für einen Moment schien er mich wieder anfahren zu wollen, doch achtete dann doch lieber wieder auf die Straße. „Sie ist verrückt.“ Begann er.
„Sie ist deine Schwester, also musst du es auch sein.“ Erinnerte ich ihn.
Mit einem Schmunzeln brach der Rest seines Widerstandes. „Sie hat etwas gesagt... von dem sie einfach keine Ahnung hat.“
„Wer, außer Lissy, könnte dich denn besser kennen?“ Hakte ich nach und streckte meine Hand nach der seinen, die auf der Gangschaltung lag, aus.
„Niemand. Deshalb macht es ja auch so wenig Sinn, dass sie regelrecht besessen von dieser... absurden Vorstellung ist.“
Musste ich ihm etwa nun ernsthaft alles aus der Nase ziehen? „Von was denn?“
Mit knirschenden Zähnen schwieg Elth eisern. Es fühlte sich an, als wollte er es mir einerseits sagen, doch vertraute mir offensichtlich noch nicht genug dafür.
Mit einem enttäuschten Stich im Brustkorb, zog ich meine Hand zurück und gähnte einfach gelangweilt. „Okay, jetzt interessiert es mich irgendwie überhaupt nicht mehr.“ Ich stellte meine Rückenlehne etwas zurück und streckte mich genüsslich aus. Wenn ich eines aus meinem >Besuch< im >Schloss< der Vampirkönigin gelernt hatte, dann wie man Leute um den Verstand brachte.
„Wie nun? Zuerst löcherst du mich mit Fragen und jetzt interessiert es dich nicht mehr?“
Mit geschlossenen Augen schüttelte ich langsam den Kopf. „Weshalb auch? Es ist doch bloß ein alberner Familienstreit. Der geht mich nichts an.“
Ich fühlte mehr, als dass ich hörte, wie er begann zu knurren. „Das ist kein >alberner Familienstreit<!“ tobte er neben mir.
„Wie auch immer.“ Gähnend lehnte ich meinen Kopf zum Fenster hin und tat, als würde ich versuchen noch etwas zu schlafen. „Lissy wird schon wissen, weshalb sie dir Vorwürfe macht.“ Trieb ich ihn, scheinbar gelangweilt, weiter an.
„Sie hat mir überhaupt keine Vorwürfe zu machen! Ich bin kein kleines Kätzchen mehr. Nur weil sie bereits drei Kinder, mit drei verschiedenen Männern hat, heißt das noch lange nicht, dass ich dasselbe mache! Sie liebt viel zu schnell und zu stark. Danach wird ihr immer das Herz gebrochen. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich niemals an irgendeine Frau binde. Bisher wusste dies jede... wirklich jede! Egal ob ich mich öfters mit ihnen traf oder nicht, nach wenigen Tagen ließ ich sie fallen.“
Hellhörig von seinen persönlichen Gefühlen setzte ich mich wieder etwas hoch, doch passte auf, mich nicht zu schnell zu bewegen und ihm aus den Gedanken heraus zu reißen. „Mehr als für Sex habe ich Frauen niemals gebraucht. Außer natürlich Lissy. Sie ist wunderbar, einfühlsam und die perfekte Frau in meinen Augen. Aber dann bekam ich diesen verdammten vielversprechenden Auftrag. Ich dachte: Drei Jahre? Kein Problem! Falsch gedacht. Es wurde zu einem Problem! >Du< wurdest zu einem Problem in meinem Kopf! Immer wenn irgendein Grünschnabel damit begann von dir zu schwärmen, musste ich ihn zurechtweisen. Ich zog mit dir unter ein Dach und konnte kaum noch schlafen! Selbst die jungen aktiven Mädchen, die ich manchmal mit ins Haus gebracht habe, langweilten mich, weil meine Gedanken einfach jedes verdammte Mal abschweifen mussten! Und dann kommt Lissy und meinst, ich nehme meinen Auftrag nicht ernst? Wie kommt sie überhaupt dazu? Ich tue seit drei Jahren nichts anderes, als mich um dich zu kümmern. Ich passe auf dich auf, beschütze dich, rette dich, versuch dir Dinge beizubringen, dich abzuhärten... und dann kann ich mir so einen Unsinn anhören? Danke... aber da habe ich lieber überhaupt keine Schwester!“
Die Stille sank so plötzlich in den kleinen Innenraum des Autos, dass ich mein Herz so plötzlich hochspringen hörte, als würde ein Laster neben mir hupen. Immer noch konnte ich meine Augen nicht von Elth nehmen und mein Mund stand ebenfalls etwas offen. Hatte ich das eben wirklich alles richtig verstanden? Bin ich vielleicht doch eingeschlafen und in einem schrecklich irritierenden Traum aufgewacht?
Als würde Elth erst jetzt merken, dass er der Einzige war, der gesprochen hatte, fuhr er quietschend auf den Pannenstreifen und bremste so stark ab, dass ich unsanft gegen den Sicherheitsgurt schlug.
„Scheiße...“ Fluchte ich und hielt meine Hand auf die Schulter. Elth zog gleichzeitig die Luft zischend ein und griff sich selbst ebenfalls auf die rechte Seite. „Das gibt bestimmt einen Bluterguss. Zeig her.“ Ohne auf seinen eigenen Schmerz zu achten, schnallte Elth mich ab und öffnete meine Jacke, damit er sich die schmerzende Stelle besser ansehen konnte.
Den Schmerz ignorierend, streckte ich meine linke Hand aus und legte sie auf Elths Wange. Überrascht sah er mir in die Augen und wurde sofort rot. „Vergiss bitte, was ich eben gesagt habe. Das war... einfach bloß...“ Ohne Rücksicht auf meine verletzte Schulter presste ich meine Lippen auf die seinen. Zuerst schien er sich zurückziehen zu wollen, doch entschied sich doch für die bessere Wahl. Sanft nahm er mein Gesicht zwischen seine Hände und vertiefte den Kuss. Nun fühlte ich, dass ich nicht mehr bloß meinen Schmerz mit ihm teilte, sondern viel mehr. Das was er mir eben gestanden hatte... das alles war viel mehr, als das ich jemals erwartet hätte.
Außerdem war er alles in allem... nicht mehr als ein riesengroßer Dummkopf.
Ich fühlte wie Elth eine Hand langsam , meinen Arm entlang, immer tiefer bewegte und sie sanft auf seinem Mal an meiner Hüfte ablegte. Zärtlich strich er über die Wunde, die einfach nicht verschwinden wollte und drängte gleichzeitig meine Zunge zu einem Spiel an, welches ich liebend gerne mit ihm spielte.
Elth war mir einfach in so vielen Dingen überlegen. Er sah unglaublich gut aus, besaß Kraft und Geschick, welches ich bisher noch nicht einmal erahnen konnte. Seine dunklen Augen verbargen so viele Gefühle, die er mir bis heute noch überhaupt nicht gezeigt hatte und sein Temperament trieb mein Herz zu Höchstleistungen an, welche außerhalb meines Verständnisses lagen.
Vielleicht mochte er mich am Anfang wirklich nicht. Ärgerte mich um mich von sich fernzuhalten, doch im großen und ganzen, war ich sein bisher größtes Versagen. Zumindest was seinen eigenen Willen anging.
„Du bist die überwältigende Frau, die ich jemals kennen gelernt habe.“ Sanft löste Elth sich von mir, legte seine Stirn an meine und flüsterte leise diese wenigen Worte.
„Hast du nicht eben noch genau dasselbe über Lissy gesagt?“ Grinste ich frech.
„Nein, ich sagte, sie ist >perfekt<. Du jedoch gehst weit über alle Maßstäbe hinaus. Neben dir erscheint >perfekt und makellos< regelrecht langweilig.“
Kichernd legte ich wieder meine Lippen auf seine, doch dehnte dieses Mal meine Küsse aus. Sanft ließ ich sie über seine Wange hinweg, zu seinem Hals gleiten und tat etwas das ich bisher noch nie getan hatte. Ich formte meine Lippen zu einem Kreis und saugte, so fest ich konnte an Elth Hals. Für einen Moment schien er sogar überrascht zu sein, doch als er bemerkte, was ich vor hatte lachte er so erheitert, dass mir ganz schwindlig wurde.
Vielleicht lag es auch an der ungewohnten Tätigkeit, welche ich eben versuchte offensichtlich an seinem Hals zu hinterlassen. „Langsam tut das weh.“ Raunzte er nach kurzer Zeit, doch zog sich immer noch nicht zurück.
Als ich fertig war und mein >Produkt< begutachtete, grinste ich schon wieder frech. „Bestimmt nicht einmal ansatzweise so sehr, wie die beiden Bisse, die du mir zugefügt hast.“ Erinnerte ich ihn, während er selbst den wahrlich gelungenen Bluterguss an seinem Hals begutachtete. „Du weißt, dass er weg ist, sobald ich mich verwandle?“ Erinnerte Elth mich.
Lächelnd lehnte ich mich etwas vor und küsste seine Wange. „Dann werde ich ihn wohl wieder und wieder machen müssen. Oder du verwandelst dich die nächsten Wochen nicht.“
Liebevoll bekam ich einen Kuss auf die Nasenspitze, bevor er den Wagen wieder startete. „Ich werde mich wohl niemals wieder verwandeln, damit man ihn jederzeit gut sehen kann.“
Das was sich an meinem Becken befand, war ebenfalls so etwas wie ein >Knutschfleck<, wie der den ich ihm eben verpasst hatte. Nur mit dem Unterschied, dass sich in Elths Knutschfleck etwas mehr übernatürliches befand, was ihn sogar fühlen ließ, wenn ich ernsthaft verletzt wurde, oder ein intensives negatives Gefühl hatte. Dieser Biss ließ ihn zu jeder Zeit, egal wo er sich eben befand, spüren, sobald etwas nicht mit mir in Ordnung war.
Mein Knutschfleck war jedoch nicht mehr als ein kleiner Bluterguss, der anderen Signalisieren sollte, das dieses Menschwesen bereits zu jemandem gehörte. Mir ganz alleine.

31. Das Motel

Nach vier Pausen und einer recht schweigsamen Fahrt, kamen wir endlich an unserem Ziel an. Es dauerte knapp sechzehn Stunden, bis wir es endlich schafften und es fühlte sich an, als befänden wir uns in einer vollkommen anderen Zeitzone. Je näher wir Idaho kamen, umso wärmer wurde es. Welchen Monat hatten wir überhaupt bereits? Ende Dezember?
„Weißt du, welcher Tag heute ist?“ Ich stellte diese Frage als erste, seit Stunden. Vor zirka drei hatten wir unsere letzte Pause und mein Hals fühlte sich bereits wieder heiser an.
Überrascht überlegte Elth. „Ehrlich gesagt weiß ich das nicht einmal. Irgendwann Anfang Dezember sind wir verschwunden... also müsste jetzt Februar sein.“ Überlegte er angestrengt.
Februar! „Was? Wir haben Weihnachten und Neujahr verpasst?“ Irgendwie machte mir das Angst. Wie konnte die Zeit bloß so unbemerkt an uns vorbei fliegen? Ja, gut ich war ziemlich lange in einem großen Haus mitten im Wald eingesperrt gewesen, dazwischen lag ich auch noch im Tiefschlaf... Oh! Dahin ist die Zeit also verschwunden.
„Ist das schlimm für dich? Du magst Weihnachten doch überhaupt nicht. Und zu Silvester konntest du...“ Elth verstummte und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Irgendwie war es süß, dass er so viel über mich wusste, andererseits... ich wusste weit weniger über ihn.
Was wusste ich denn schon? Bloß dass er männlich ist, gut einen Meter fünfundneunzig groß, zumindest sobald er seine Zwischenform annahm. Er ist ein begnadeter Kämpfer, launisch, störrisch, ein Angeber und am aller wichtigsten natürlich, er mochte mich sehr gerne. Auch wenn er es nicht so gerne zugab, oder direkt ausdrückte. Nicht zu vergessen, dass er eine starke Schwester, drei kluge Neffen und einen... recht seltsamen Vater besitzt. Aber ist das wirklich das, was ich über ihn wissen wollte? Natürlich, Lissy und die Kinder interessierten mich selbstverständlich, doch wie ist er aufgewachsen? Wer ist seine Mutter? Gerade von ihr hatte ich noch nicht ein Wort gehört. Hatten Lissy und er dieselbe?
„Wir halten für heute an einem Motel, um noch etwas zu schlafen.“ Entschied Elth.
Verwirrt sah ich auf die Uhr des Autos. „Es ist halb Zehn! Morgens!“ Erinnerte ich ihn.
Genervt warf er mir einen vielsagenden Blick zu. „Schön für dich. DU konntest auch schlafen, ich nicht!“
Versehend nickte ich. „Okay, du hast recht. Lass uns eine Pause machen.“ Dankend hielt Elth an einem kleinen Markt, wo er uns etwas für den Alltag kaufte, dann erst visierte er ein kleines Motel an. Während ich unsere Sachen in einer Tasche verstaute, besorgte Elth uns Schlüssel für den ersten Stock.
„Schade, zwei Einzelbetten.“ Beschwerte sich Elth, während ich ihn leicht mit dem Ellenbogen hinein stieß.
„Sei lieber froh, dann kannst du in Ruhe schlafen.“ Grinsend, doch ohne auf meine Aussage etwas zu erwidern, räumte er einige Duschutensilien aus der neuen Reisetasche und lieh sich ein Handtuch.
„Ich gehe zuerst duschen.“ Verkündete er, was mir recht war. Immerhin war er hier derjenige, der bisher nicht eine Minute geschlafen hatte.
Ich selbst richtete mir frische Kleidung her. Von Lissy hatte ich mir für diese kleine Reise gestern früh noch etwas ausgeliehen, da sie meinte, ich solle mir nehmen, was ich brauchte. Überraschend dass sie überhaupt so viel Kleidung besaß. Natürlich waren es keine Markenklamotten, worüber ich mich sehr freute. So etwas hatte ich noch nie getragen. Von welchem Geld denn auch?
„Du kannst mitkommen, wenn du möchtest.“ Erschrocken blickte ich von der frischen Wäsche auf, die ich in meinen Händen hielt und begann zu grinsen. „Danke für das Angebot, aber ich bin bereits alt genug, um alleine zu duschen.“
Lachend verschwand er im Badezimmer, doch schloss die Türe nicht einmal. Vermutlich, um besser hören zu können, falls mir etwas passieren sollte. Gelangweilt ließ ich mich auf das Bett sinken und schloss meine Augen für einen Moment.
Hier also, in Idaho soll ich meine Antworten finden? Zumindest die, wie ich mich in eine Fee verwandle? Zumindest falls unsere Zielperson noch nicht allzu labil war und mit uns sprechen wollte. Ja, ja >Zumindest<.
Eine langlebige Fee die einen einfachen Menschen liebte. Ob Elth mich immer noch mögen würde, falls ich ein Mensch bliebe? Mittlerweile hatte ich sogar das Gefühl, dass es das Letzte war, was ich wollte. Ein Mensch zu sein. Natürlich ist es einfacher gewesen, insofern Elth es nicht gerade beeinflusst hat, aber es war einfach nicht dasselbe.
Ich hörte ihn nicht, wie er aus dem Bad kam, doch fühlte als sich plötzlich eine angenehme Wärme über meinem Körper ausbreitete und sich langsam das Gewicht der Matratze verlagerte. Lächelnd öffnete ich die Augen und wurde sofort von einigen warmen Tropfen Wasser getroffen. „Du warst flott.“
Erstaunt betrachtete ich das beeindruckende Kunstwerk über mir. Er hatte sich nicht verwandelt, seine Haut war noch immer da, der Knutschfleck ebenfalls, doch seine ansonsten dunklen Augen, leuchteten in einem hellen Gelb. Fasziniert von seinem nassen Anblick streckte ich meine Arme nach ihm aus und legte sie um seinen Nacken. „Du bist noch ganz nass.“
„Stört es dich? Du gehst doch auch gleich duschen, oder nicht?“ Schmunzelnd beugte er seine weichen Lippen auf meine herab und betonte damit das >oder nicht< noch besser.
„Besser wäre es, ansonsten stinke ich dir noch den Wagen voll.“ Scherzte ich und genoss es, als Elth seinen Körper auf meinen sinken ließ. Da er bloß mit einem Handtuch an seiner Hüfte bekleidet war, konnte ich seinen Oberkörper richtig erkunden. Sanft ließ ich meine Finger über seinen muskulösen Rücken gleiten, während er liebevoll meinen Hals liebkoste.
„Du kannst überhaupt nicht stinken. Für mich riechst du immer herrlich.“ Flüsterte er sanft in mein Ohr, wofür er einen liebevollen Kuss auf die Schulter bekam.
„Ach! Jetzt auf einmal? Als du dich noch als Sam ausgegeben hast, hattest du noch eine völlig andere Meinung über mich.“ Schimpfte ich und entlockte ihm ein noch breiteres Grinsen.
„Sam wusste einfach nicht, was er an dir hat, doch ich weiß das viel besser.“ Nuschelte er zärtlich an meinen Lippen, bevor er sie wieder besetzte. Lachend gab ich mich seinem Spiel etwas hin und genoss auch das kitzelnde Gefühl, als er seine Hand über meinen Bauch gleiten ließ. Vorsichtig schob er mein Shirt etwas höher und seinen Kopf tiefer. „Elth? Was tust du denn?“ Kicherte ich, während er auf meinem ganzen Bauch Küsse verteilte. Das kitzelte nun wirklich.
„Dich auf andere Gedanken bringen. Sam mochte ich nicht wirklich.“ Scherzte er und biss sogar sanft in ein Stück Haut.
„Autsch! Du große dicke Nervensäge! Ich wollte eigentlich duschen gehen. Jetzt kann ich mich sauber schrubben, nachdem du mir deinen Schleim am ganzen Körper verteilt hast.“ Lachte ich und schob ihn sanft auf das Bett, wo er sich stolz lächelnd nieder ließ.
„Von mir aus kann ich dich auch sauber lecken.“ Schlug er völlig unschuldig vor und bekam dafür einen Polster ins Gesicht.
„Du bist ekelhaft.“ Immer noch grinsend schnappte ich meine Sachen und sperrte mich im Badezimmer ein. Im Gegensatz zu ihm, benötigte ich Privatsphäre.
Es war klein, ziemlich schäbig eingerichtet und der Spiegel bereits zersplittert, als hätte etwas darauf eingeschlagen, doch wenigstens wirkte es alles in allem nicht wirklich schmutzig. Schnell sprang ich unter die Dusche, gönnte mir einige Minuten mit dem heißen Wasser, bevor ich mich wieder dazu zwang damit zu sparen.
Nach dem erfrischenden Bad schlüpfte ich in bequeme frische Kleidung und trocknete mein nasses Haar vor dem Spiegel ab. Prüfend besah ich mich genauer.
Das bin ich? Zwar zogen sich über den gesamten Spiegel etliche Linien, doch größtenteils konnte man sich darin noch erkennen. Die Splitter waren auch relativ groß, daher gab es nicht allzu viele Linien welche mein Spiegelbild verzerren könnten.
Feucht und strähnig fiel mein rotbraunes Haar über meine Schultern. Als ich sie das Letzte mal schneiden ließ, reichten meine Spitzen mir gerade einmal bis zur Schulter, doch jetzt besaßen sie bereits eine völlig ungewohnte Länge, und reichte mittlerweile bis über diese hinaus. So lange hatte ich sie bisher noch nie wachsen lassen, selbst meine Stirnfransen konnte ich bereits hinter meine Ohren klemmen.
Ob ich sie wieder einmal schneiden sollte? Bereits seit ich begonnen hatte in das System zu fallen, hatte ich mir ein paar kleinere Fähigkeiten angelernt. Wie zum Beispiel mir selbst die Haare zu schneiden, nicht viele Pflegeprodukte zu benötigen, meine Besitztümer auf das nötigste zu beschränken und wie man am besten Problemen ausweicht.
Elth war ebenfalls so ein >Problem< gewesen. Oder sollte ich besser sagen >Sam< war es? Zwischen Sam damals, und Elth heute, erkannte ich kaum noch irgendeinen Zusammenhang. Es schien, als wären die beiden völlig fremde Personen, die nichts miteinander zu tun hatten. Nun, ja größtenteils.
Elth war eher... etwas, für mich, Magisches. Einzigartig. Während Sam wiederum bloß ein großkotziger Angeber gewesen ist, der es auf schwächere abgezielt hatte.
Nein! Entschied ich. Weder dieser falsche Name Sam hatte etwas mit dem heutigen >ich< zu tun, noch mein Haarstil wie ich ihn früher trug. Ich bin jemand anderes. Mit jeder Faser meines Körpers konnte ich es fühlen. Mehr als jemals zuvor war ich mir sicher den richtigen Weg gewählt zu haben.
Ich kann einfach kein Mensch sein. Niemals konnte ich dort glücklich werden in dieser... scheinbar, harmlosen Welt. Mein Platz ist unter den Wesen. Dort würde er immer sein, egal was ich versuchen würde, es wäre nicht richtig.
Mit einer ungewohnten positiven Energie, verließ ich das Badezimmer und grinste über Elths seltsame Angewohnheit zu liegen. Quer über das ganze Bett hatte er sich ausgestreckt, Arme und Beine hinge dabei deutlich über den Rand hinab und er schnarchte leise vor sich hin. Mittlerweile trug er eine Unterhose, in der er unglaublich sexy aussah. Was hatte er bloß mit mir gemacht, dass ich so sehr auf seinen schmalen Rücken und diesen anziehenden Knackpo stand? Das ist doch verrückt!
Leise schlich ich mich an sein Bett heran und krabbelte neben seinem Körper zu einer freien Stelle. Sanft ließ ich meine Hände über seinen erhitzten Körper streichen und bettete meinen Kopf auf seiner Schulter. Keine Ahnung was Elth mit mir machte... aber ich genoss es sehr.

 

- - - - -

 

Ich erwachte, als sich das Bett unter mir drehte. Sofort bemerkte, ich dass ich doch überhaupt nicht hatte schlafen wollen, sondern bloß etwas von der Wärme, welche Elth besaß aufnehmen, doch jetzt fühlte ich mich, als hätte ich bereits über Stunden geschlafen.
„Bist du endlich wach?“ Hörte ich Elth unter meinem Ohr brummen und grinste sofort.
„Nein.“ Log ich unverschämt und kuschelte mich noch besser auf seinen Rücken. „Würdest du noch schlafen, hättest du mir nicht geantwortet.“ Witzelte Elth und drehte sich nun ganz herum, woraufhin ich beleidigt murrte.
Liebevoll zog er mich in eine Umarmung, doch ich öffnete meine Augen noch immer nicht. „Ich bin eine von denen die im Schlaf sprechen.“ Log ich noch einmal.
„Nein das tust du... beinahe nie. Bloß wenn du wieder von deiner Mutter träumst.“
Nun öffnete ich doch die Augen. „Woher weißt du das?“ Wollte ich wissen.
„Wir haben ziemlich lange zusammen gelebt und davor habe ich dich beschattet.“ Erinnerte er mich, woraufhin ich genervt die Augen verdrehte.
„Ach... diese Zeit.“ Verwarf ich und bekam einen tröstenden Kuss auf die Schläfe.
„So gerne ich auch mit dir in der Vergangenheit schwelge, sollten wir doch endlich aufstehen.“
Sofort klammerte ich mich fester an Elth und schloss die Augen wieder. „Ich schlafe noch.“
Lachend bebte sein Körper unter mir und steckte mich bloß einen Moment später an. Es tat gut ihn so unbekümmert zu sehen, dabei beinahe fühlte es sich... normal an. Beinahe wirkte es so, als wären wir bloß irgendeines unter tausend anderen Pärchen welche ihre Zeit miteinander verbrachten.
„Komm jetzt, sonst beginne ich wieder zu Beißen.“ Säuselte er verspielt.
„Pass, auf was du sagst, deine Genitalien sind ungeschützt.“ Sofort kniff er seine Beine enger aneinander, was mich nun endgültig auf etwas aufmerksam machte. Etwas was erklärte, weshalb sich Elth so eilig umgedreht hatte und vor allem Begründete, wieso er mich loshaben wollte.
„Die solltest du besser in Ruhe lassen, wenn du keinen Ärger riskieren möchtest.“ Knurrte er leise unter mir, doch wirkte dadurch nicht bedrohend. Eher erheiterte mich seine Reaktion viel mehr.
„Was dann? Lösen sich deine wichtigen Teile da unten und greifen mich an wie Killertomaten?“ Ich hatte keine Ahnung, wie ich auf so einen absurden Gedanken kam, doch seit mir klar geworden ist, wie nahe mein Bein dieser Stelle war, konnte ich kaum an etwas anderes denken. Damit meinte ich seine Teile, nicht die Killertomaten!
„Bloß du, Edelle Black, kannst aus einer so erotischen Stelle etwas völlig Lächerliches machen.“ Hörte ich da etwa stolz heraus?
Schmunzelnd blickte ich zu ihm auf und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Das war so ziemlich das süßeste Kompliment, das ich jemals von dir bekommen habe.“ Meinte ich frech, während sich Elth auf die Seite drehte, um mich besser ansehen zu können.
„Was hältst du, wenn wir einfach hierblieben?“
Fragend zog ich die Augenbrauen hoch. „Was meinst du?“
Etwas verlegen ließ Elth seinen Blick tiefer sinken und streichelte sanft meine Schulter, welche durch den Gurt noch etwas mitgenommen war. Jedoch störte mich das nicht sonderlich. „Es ist das Dritte mal jetzt, dass ich mit dir im Arm aufwache.“ Begann er fast so leise, dass ich kaum noch verstand. „Wir haben noch elf Tage. Wir könnten doch... ein paar einfach... verstreichen lassen?“
Innerlich wandte ich mich. Einige Tage verstreichen lassen? Mich nicht verwandeln? Einmal abschalten von diesem ständigen Drang mich entscheiden zu müssen. Alles schweifen lassen. Mit Elth alleine sein.
Einige dieser Dinge sprachen stark dafür, andere dagegen. Irgendwie hatte er ja recht. Hier hätten wir einmal nichts zu befürchten. Niemand wusste, wo wir uns aufhielten und wir mussten unser Lager mit niemandem teilen.
Mit einem letzten schweifenden Blick durch das Zimmer entschied ich mich. „Nein.“ Kam es schlicht aus meinem Mund. Schon sah ich die Enttäuschung in seinem Gesicht, doch die blieb nicht lange beständig. „Ich mag das Zimmer nicht, ich mag eines mit einem größeren Bett. Dann überlege ich es mir vielleicht noch einmal.“
Sofort leuchteten seine Augen auf und er bedeckte meine Lippen mit seinen eigenen. Lachend erwiderte ich den Kuss, während er mich unter sich begrub und meinen Verstand bedrohlich aus dem Gleichgewicht brachte.
Eine Stunde später checkten wir um. Es war tatsächlich endlich eines der wenigen Zweibettzimmer frei geworden und dieses Mal räumten wir unsere Sachen sogar richtig aus. Nicht bloß das was wir im Moment benötigten, sondern alles was wir besaßen, auch wenn es sich nicht um viel handelte.
Kaum dass wir fertig waren, schaltete Elth den Fernseher ein, schob die Bettdecke zurück und klopfte neben sich. „Ich habe vorhin etwas Schokolade unten gekauft.“
Begeistert sprang ich ins Bett und kuschelte mich in seinen Arm. „Mein Held!“ Eilig riss ich die Verpackung auf. Wie lange hatte ich bereits keine Schokolade mehr gegessen? Beinahe drei Monate?
Vorsichtig schob ich ein Stück zwischen meine Zähne und blickte auf zu Elth. Grinsend schnappte er sich das Stück und biss eine große Stelle ab. Den Rest nahm ich für mich selbst und legte meine Beine über seine. „Okay. Also... was machen wir jetzt? Bloß hier im Hotelzimmer herum sitzen?“ Während des Umcheckens hatten wir uns zwar darauf geeinigt, nicht allzu viele Tage verstreichen zu lassen, aber einen mindestens.
Elth schien ebenfalls ratlos zu sein. Nachdenklich griff er nach einem weiteren Stück Schokolade und schob ihn sich in den Mund. „Daran habe ich noch überhaupt nicht gedacht. Eigentlich... war es bloß so ein... spontaner Einfall.“
Für meinen Geschmack ein recht... interessanter. Lächelnd schwieg ich, was Elth natürlich sofort auffiel. „An was denkst du?“
„Im Moment?“ Fragte ich um Zeit zu schinden, und wartete, bis er auffordernd nickte. „Ich denke eigentlich daran, dass ich... nicht recht weiß wie ich mit dieser Situation umgehen soll.“
„Was meinst du?“ Hinterfragte er neugierig.
„Du weißt schon. Die Elf-Tage-Sache. Du und ich. Was sind wir überhaupt jetzt zueinander?“ Der letzte Satz kam einfach aus meinem Mund, ohne das ich es verhindern konnte und mein Gesicht lief rot an.
Lächelnd nahm Elth mir meine Schokolade weg, ließ sie achtlos auf den Boden fallen und schob seinen langen Körper über mich. „Ich weiß nicht. Was denkst du, denn was wir sind?“
Mist! Schon wieder saß ich in seiner Falle fest. Immer und immer wieder schaffte er es, mich in eine unangenehme Situation zu bringen oder gar mich zur Weißglut zu treiben.
„Ich habe ja keine Ahnung. Sonst würde ich je nicht so blöd fragen!“ Stichelte ich, da ich mich in die Ecke gedrängt fühlte. Es war ja immerhin nicht mehr so, als könnte ich ihn nicht ausstehen. Mittlerweile nervte er mich bloß noch und ein wenig... mochte ich Elth vielleicht sogar? Mein Herz machte einen bestätigenden Sprung bei diesem Gedanken.
Zärtlich wanderte sein Blick über mich hinweg. Vermutlich machte ich im Moment nicht unbedingt den Eindruck eines Models, oder zumindest einer gepflegten Teenagerin, doch etwas in diesem Blick ließ mich fühlen, als wäre ich die einzige Frau auf dieser Welt, die er noch ansah. „Ich bin dein Wächter.“ Erinnerte er mich.
„Ich würde es ja eher als >mein Stalker< und >mein Peiniger< beschreiben, aber bitte, wie auch immer.“ Klang meine Stimme vielleicht ein wenig zu zynisch? Das lag bloß an der Situation! Trotzdem entsprachen meine Worte der Wahrheit, zumindest auf die letzten paar Jahre bezogen.
Unter einem verärgerten Knurren leuchteten seine Augen auf. „Du weißt, dass ich es nicht getan habe, weil ich böse bin.“
Sofort verrauchte mein aufkeimender Zorn und ich streichelte liebevoll seine Wange. „Das weiß ich doch, du wolltest mich beschützen. Auch wenn es auf eine völlig verdrehte Art und Weise war, verstehe ich es mittlerweile. Ganz ehrlich.“ Versicherte ich Elth aufrichtig.
„Und du weißt auch, wie sehr ich das alles bereue? Nun, ja bis auf die Sache mit dem Biss?“
Ich nickte und zog Elth zu einem Kuss herab. „Dir wird aber klar sein müssen, dass ich weiterhin darauf herum haken werde.“ Grinste ich, während einigen zärtlichen Küssen, was auch seine Stimmung wieder hob.
Lächelnd weitete er seine Küsse aus. „Du bist wirklich eine verwöhnte Göre.“ Schnurrte er an meinem Hals und biss liebevoll hinein.
„Und du ein arroganter Arsch.“
„Ich wusste, doch dass du auf meinen Arsch stehst.“
Lachend schlang ich Arme so wie Beine um Elth und warf ihn um, damit ich auch einmal oben war. Rittlings auf seinem Bauch fühlte ich mich plötzlich ganz anders. Von dieser Position aus, welcher er zuließ, ansonsten wäre es mir vermutlich niemals möglich gewesen, durfte ich ihn nun einmal von oben herab bewundern. Eigentlich war es sogar das erste Mal, dass ich ihn wirklich ansah, so wie eine Frau einen Mann ansah, den sie anziehend fand. Nicht bloß seine Augen, seine Verwandlung, oder seine verführerische Rückseite. Nein, dieses Mal sah ich ganz und gar Elth. Seine goldgelben Augen stachen regelrecht provozierend hervor. Seine Haut besaß einen angenehmen Sonnenton und die dunkelbraunen Haare hingen ihm bereits teilweise über die Stirn. Sie waren zwar noch nicht lang genug für Zöpfchen zu flechten, aber wenn er noch ein paar Monate wartete, konnte ich ihm vielleicht eine Masche hinein machen.
Schmunzelnd schob ich einige der zu langen Haare zur Seite, damit seine Stirn frei lag, und ließ meine Finger weiter wandern. Eigentlich war es das erste Mal, dass ich einen Mann freiwillig anfasste. Also, richtig anfasste, genauso wie ich ihn nun das erste Mal richtig ansah.
Irgendwie konnte ich es nun überhaupt nicht glauben, wie gut er aussah. Natürlich ist es mir bereits vorher aufgefallen, dass Mutter Natur bei seinem Aussehen nicht unbedingt gespart hatte, doch mittlerweile fragte ich mich ernsthaft weshalb er noch nicht etliche Frauen und ein dutzend Kinder besaß. „Wie alt bist du eigentlich?“
Elth besaß das Aussehen eines höchsten Zwanzigjährigen, doch wenn man ihn kennen lernte, verhielt er sich viel mehr wie ein dreißig Jähriger. Zumindest seine Ausstrahlung ließ darauf schließen. „Wieso willst du das plötzlich wissen?“
„Bloß so ein Gedanke.“ Erwiderte ich und strich mit den Finger weiter über seinen Hals hinab.
„Ich bin bereits über hundert.“ Antwortete er ausweichend.
Vor Überraschung hielt ich inne. Über hundert Jahre alt? Unvorstellbar, doch in dieser Welt vollkommen normal. „Wie viele genau?“ Hakte ich sofort nach. „Einhundert und dreiundzwanzig Jahre.“ Sagte er schlicht, als würde er eine Zahl zwischen eins und zweihundert wählen.
„Wo wurdest du geboren?“ Keine Ahnung weshalb mich das plötzlich interessierte, aber ich wollte es einfach wissen. Wie bereits die Tage davor wurde mir abermals bewusst, wie wenig ich überhaupt von Elth wusste. „In Island. Meine Mutter ist von dort.“
Da war es! Das erste Mal dass er sie erwähnte und dann so beiläufig, als stamme er einfach aus irgendeinem Reagenzglas. „Du hast sie bisher nie erwähnt. Wieso?“
Aus irgendeinem Grund wurde er traurig und wandte den Blick ab. „Das liegt daran, dass ich zum Teil Vampir bin. Bei meiner Geburt... habe ich sie getötet.“
Völlig überrumpelt von dieser Antwort, wusste ich nichts zu sagen. Eigentlich wollte ich noch mehr wissen. Erfahren wieso das passiert ist, doch etwas anderes, der Vernünftige Teil in mir, hielt mich davon ab.
Liebevoll kuschelte ich mich nun an ihn und streichelte tröstend seinen Brustkorb. „Es tut mir leid. Ich wollte dir nicht zu...“
„Schon gut. Das ist Jahre her, Dell. Was möchtest du noch über mich wissen? Du mich alles Fragen.“
Nach der letzten Erkenntnis war mir die Lust auf irgendwelche Antworten auf eine meiner Millionen Fragen in meinem Kopf vergangen. Nun, ja Elth ist über hundert Jahre alt, bestimmt hatte er die eine oder andere traurige Story zu erzählen. Bestimmt aber auch Lustige, oder gar Verwegene. Daher, auch wenn mir unwohl dabei wurde, stellte ich ihm lieber einige etwas andere Fragen. „Wie alt warst du, als du dein erstes Mal gehabt hast?“
Sichtlich überrascht dachte Elth angestrengt nach. Erst nach einem sehr langen Moment schien er die Frage zu verstehen und schmunzelte frech. „Ich glaube, ich war... vierzehn, oder so.“
Okay, das war doch etwas schräg. „Was! So früh?“ Stieß ich hervor und er begann zu lachen. Wollte er etwa prahlen?
„Alle sind eben nicht so prüde wie du.“ Grinste er und zog mich auf seine Schulter.
„Das hat doch damit nichts zu tun! Aber mit vierzehn? Da warst du doch noch ein halbes Kind!“
„Mit sieben habe ich meine erste Zielperson getötet, Dell. So abwegig ist das also überhaupt nicht. Mein Vater war nie sonderlich... väterlich.“ Das Wort klang beinahe abwertend bei ihm. „Also als ich sieben war, habe ich mit Puppen gespielt. Nicht mit abgetrennten Körperteilen.“ Das sagte ich mehr zu mir selbst, als zu ihm, doch merkte es kaum. „Manche erziehen ihre Kinder nach irgendwelchem Glauben, andere in einem sterilen Umfeld. Ich hielt meine erste Waffe, noch bevor ich richtig stehen konnte, als meine erste Verwandlung einsetzte, musste ich das jagen lernen und als andere in die Schule kamen, begann ich Aufträge zu übernehmen. Mein Vater war kein bisschen traditionell.“
Das klingt grausam! Plötzlich hasste ich Elths Vater für das was er seinem Sohn angetan hatte. „Wieso ist dann Lissy nicht wie du?“
„Weil sie kein bisschen Vampir ist.“ Das war eine einfache und klare Antwort, doch ich verstand sie nicht. Offensichtlich sah er es mir an. „Lissy kam bloß dreißig Jahre vor mir auf die Welt, sie war mehr... ein Unfall einer betrunkenen Nacht. Er erfuhr erst, als sie sechzig wurde von ihr. Zu dieser Zeit hatte er mich bereits ausgebildet und setzte mich auf Lissy an. Ich wusste nicht, wer sie ist, doch ich solle sie beschatten und alles über sie heraus finden. In ihrer Lebensgeschichte fand ich nichts Überraschendes, bis eben mein Vater mir erklärte, wer genau sie ist. Nach einer DNA-Probe war er sich gänzlich sicher, dass es seine Tochter ist und gab sich ihr zu erkennen.“
Elth schien in seiner eigenen Welt zu versinken, so als wolle er das endlich alles loswerden. Daher machte ich es mir bequem und lauschte seinen spannenden Worten. „Lissy war von Anfang an eine unglaubliche Person in meinen Augen. Sie kann einfach mit jeder Art Mensch umgehen, jeder mag und schätzt sie. Ich kenne niemand, der gemein über sie spricht und selbst mir hat sie das eine oder andere Mal aus der Patsche geholfen. Leider jedoch geriet sie häufig an falsche Männer, die sie schlugen, ausnutzten, oder einmal sogar beinahe zu Tode tranken. Anfänglich hatte ich deshalb beinahe täglich ein Auge auf sie, beschützte sie und bekam dafür, jedes Mal einen zusammenschiss.“
Grinsend malte ich mir aus, wie es wohl gewesen sein musste für ihn, eine solch starke und lebensfrohe Frau kennen zu lernen. „Irgendwie wurde sie zu meinem Vorbild. Ich war so zu sagen, der kleine Bruder der zu seiner großen Schwester aufsah, obwohl wir beide rechtlich gesehen bereits erwachsen waren. Irgendwann begann ich mich mit ihren Freundinnen zu treffen, manchmal etwas Ernstes, weniger Male eine flüchtige Affäre. Plötzlich hielt sie mir auch das vor. Lissy wurde für mich immer mehr zu einem... Rätsel. Mein Vater interessierte sich kein Stück für sie, vielleicht war sie damals auch einfach eifersüchtig auf mich, doch nachdem sie erfuhr, wie ich aufgewachsen bin, nicht wie sie selbst in einer gemütlichen Kleinstadt, wurde Lissy zunehmend besitzergreifend. Sie begann mich zu beschützen und versuchte mir verschiedene Dinge beizubringen. Einmal besorgte sie mir sogar einen legalen Job, in dem ich gut verdiente.“
Elth in einem vollkommen legalen Beruf? Hinter irgendeiner Theke oder auf einem Bürostuhl? So etwas konnte nicht gut ausgehen. „Vater fand das überhaupt nicht gut. Er spannte mich wieder mehr ein und meinte >diese Art< von Familie bräuchten wir beide nicht. Einerseits wollte ich bei meiner Schwester bleiben um sie noch besser kennen lernen, andererseits wollte ich Vater nicht enttäuschen. Schlussendlich jedoch, entschied ich mich für meinen Vater.“
Überrascht davon musste ich ihn unterbrechen. „Was? Wieso das denn?“
„Zum einen, weil ich in einem >normalen< Job einfach keine Befriedigung finden konnte. Es war so langweilig und eintönig. Zum anderen... weiß ich es ehrlich gesagt nicht. Vater ruft mich und ich bin gesprungen. Damals... wusste ich es einfach nicht besser und lebte einige Zeit nach seinen Vorstellungen. Als ich jedoch erfuhr, dass Lissy bei ihrem zweiten Kind Komplikationen bekam, ließ ich das alles hinter mir. Meinen bisherigen Lebensstil, meine Vorsätze... so gut wie alles einfach. Und als dann ihr jüngster auf die Welt kam, bekam ich von Gael dieses einfache und vor allem gut bezahlte Angebot.“
Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich diese Geschichte traurig, oder enttäuschend finden sollte. Ein bisschen süß fand ich sie natürlich schon auch, besonders da er für seine Neffen wieder zurück zu ihr gekommen ist. „Sie ist also jetzt alles, was du noch an Familie hast.“ Stellte ich überrascht fest.
„Ja, sie und die Jungs. Mein Vater möchte nichts mehr mit mir zu tun haben.“ Die Bitterkeit in seiner Stimme war unverkennbar. Jetzt konnte ich auch endlich verstehen, wieso er so auf das Geld versessen war. Ja, schon alleine mit einer Millionen konnte er sich für seine kleine Familie ein schönes Haus und eine gute Ausbildung für die drei Jungs leisten. Nie mehr müssten sie in einer so kleinen Wohnung zusammen gequetscht leben, oder gar falls der schlimmsten Fall eintreten sollte, im Auto. Sie hätten eine Freiheit, welche sie bisher nie gekannt hatten. Niemand von ihnen. Aber Elth als Hausmann? Als ein Geschäftsleiter? Student oder gar in einem Beautysalon? Furchtbare Vorstellungen.
„Also ich mag dich so, wie du bist.“ Ich nuschelte diese Worte mehr und wollte eigentlich überhaupt nicht, dass er sie hörte.
„Ach? Jetzt auf einmal, gnädige Prinzessin?“
„Bloß wenn du schläfst, also bilde dir lieber nichts darauf ein.“ Grinste ich frech, als Elth sich plötzlich herum drehte und wieder über mir thronte. Sofort sehnte ich mich wieder nach einen Positionstausch.

32. Was im Motel passiert, bleibt im Motel

„Gut, das war für heute mehr als genug über mich. Wir sollten lieber...“ Dankbar für seine Ehrlichkeit, zog ich ihn zu mir hinab, küsste ihn und hielt ihn davon ab sich wieder von mir zurückzuziehen. „Oder wir könnten auch das tun...“ Nuschelte Elth zwischen zwei Küssen und ließ sich vollkommen auf mich sinken. Er war nicht schwer, zumindest belastete er mich nicht mit seinem vollen Gewicht, trotzdem fühlte es sich gut an von ihm so bedeckt zu werden. Als Menschwesen besaß er von Natur aus eine leicht erhöhte Körpertemperatur als ein Mensch und ich liebte diese Wärme. Ich konnte kaum genug davon bekommen und fühlte mich jedes Mal nach einem Schlaf neben ihm vollkommen ausgeruht. Er war nicht mein Wärmekissen, sondern viel mehr mein Energiespender.
Seine Wärme, meine Energiequelle. Eine die ich nicht vorhatte allzu schnell wieder loszulassen.
Seufzend ließ ich meine Hände von seinem Nacken, über seine Schultern gleiten und genoss es, wie sich sein Körper unter meiner Berührung veränderte. Aber nicht bloß sein Körper fühlte sich unter meinen Fingern viel weicher an, sondern auch seine Küsse drängender. Leidenschaft drang in mir, immer mehr an die Oberfläche und etwas begann seltsam an meiner Brust zu vibrieren.
Überrascht zog sich Elth zurück und räusperte sich verlegen. „Entschuldige. Das passiert mir... eigentlich nie.“ stammelte er und wirkte dabei, als wäre es ihm fürchterlich peinlich.
Zwar hatte ich ihn davor bereits schnurren gehört, doch immer bloß in seiner Gepardengestalt. „Mach es noch einmal.“ Bat ich und legte meine Handfläche an seinen Brustkorb.
„Was? Ganz bestimmt nicht. Ich schnurre niemals.“ Log er und zog sich völlig von mir zurück. „Doch, als Gepard.“ Erinnerte ich ihn.
Elth winkte ab. „Das ist etwas anderes. Eine Katze schnurrt, aber ein Mensch doch nicht.“ Schnippisch kamen diese Worte aus dem Mund.
Etwas enttäuscht dass er mir in dieser Hinsicht nicht vertraute, seufzte ich. Dann kam ich auf eine ganz andere Idee. „Ziehst du dein Hemd wieder aus?“
Neugierig suchte Elth in meinem Blick etwas, bevor er sichtlich verspielt wurde. „Wenn du deines ausziehst.“
Verlegen legte ich schützend meine Arme um meinen Körper. „So etwas fragt man nicht einfach so...“ Beschwerte ich mich, woraufhin er amüsiert lachte. „Aber du hast doch genau dasselbe gefragt.“ Erinnerte er mich unnötig.
„Das ist was anderes. Du siehst gut aus und... du bist einfach ein Kerl, da ist das normal.“ Keine Ahnung was ich da redete, aber ich fühlte, dass ich mich verteidigen musste.
„Wie wäre es mit einem kleinen Spiel. So etwas wie Strippoker?“
Erschrocken starrte ich ihn an. „Was?“
„Kennst du >ich hab noch nie<?“
Skeptisch nickte ich. Irgendwie fand ich es interessant. Zumindest solange ich mich nicht ganz ausziehen musste.
„Willst du es spielen?“
„Mit Alkohol?“ Hoffte ich mit rasendem Herzen und fühlte mich etwas unbehaglich. Ich würde viel, viel Alkohol benötigen.
„Natürlich nicht!“ Knurrend verdrehte er die Augen. „Immer wenn du es einer von uns beiden bereits einmal getan hat, muss ein Kleidungsstück fallen. Egal was.“ Lockte er mich weiter.
Nach einer kurzen Abwägung meiner Möglichkeiten, entschied ich mich es zu versuchen. Ich konnte ja immer noch aufhören, wenn es mir zu viel wurde. „Wehe du trickst mich aus!“ Warnte ich ihn mit erhobenen Finger, dann schob ich ihn von mir hinunter und ging zu den Vorhängen um sie zuzuziehen.
Als ich mich wieder zu Elth umdrehte, zog er sich gerade die Jacke an. „He! Was tust du denn da?“ Lachend schüttelte ich den Kopf. „Du hast Socken und einen BH an, so ist es bloß Fair.“ Verteidigte er sich, wobei ich mir jedoch bereits denken konnte, wie schnell er seine Entscheidung mit der dicken Jacke bereuen würde.
Draußen hatte es gut zwanzig Grad und herinnen war es nicht viel kühler. Ich ließ ihm den Spaß. „Na gut. Aber ohne gucken!“
„Was?“ Demonstrativ setzte ich mich auf die Seite der Polster und wandte Elth den Rücken zu. „So willst du spielen?“
Ich nickte. „Ich will ja immerhin nicht, dass du mich bespannst.“
Hinter mir hörte ich ihn seufzen, dann bewegte sich das Bett, er rutschte zurück und lehnte seinen Rücken sanft gegen meinen. „Ich will nicht alles verpassen.“ Scherzte er und ich hörte ganz deutlich das freche Grinsen heraus.
Ich gab natürlich nach und dachte über meine erste Aussage nach. Mit was sollte ich beginnen? „Na, gut. Also... Eine Testrunde. Ich habe noch nie ein Auto gefahren.“
„Jetzt müsste ich mich ausziehen.“
„Genau. Jetzt du auch noch eine Runde.“ Forderte ich ihn auf. „Hm...“ Schnaufte er. „Ich habe noch nie eine Mutter gehabt.“ Bei diesem Satz klang er nicht einmal bitter, sondern war ganz auf das Spiel fixiert.
„Gut, dann kommen wir jetzt zum richtigen Spiel.“ Entschied ich und suchte den Rest meines Mutes zusammen.
„Moment!“ Unterbrach Elth mich.
„Was denn noch?“ Ich bemerkte überhaupt nicht, das ich die Frage laut stellte, doch er schien es nicht einmal zu bemerken. Oder ignorierte meine Ungeduld einfach.
„Wenn ich dir schon nicht beim Ausziehen zusehen darf, dann machen wir es zumindest so, dass ich dich und du mich ausziehst. Aber wir entscheiden, selbst was der andere ausziehen darf.“
Auch wenn mir der Gedanke nicht behagte von jemanden >bemuttert< zu werden, musste ich mir zudem eingestehen, dass von Elth ausgezogen zu werden nicht unbedingt als >mütterlich< zu betrachten war.
Somit starte ich das Spiel. „Ich habe noch nie... Drogen genommen.“
„Du musst genauer sein, immerhin zählt Alkohol streng genommen auch dazu.“
Dabei musste ich ihm zustimmen und Alkohol hatte ich bereits mehrfach probiert. Natürlich nicht ausgiebig, aber ausgetestet. „Na gut, ich habe noch nie...“ Ich überlegte mir etwas anderes. Etwas das genauer wäre. „Ich habe noch nie zu einem Kerl gesagt, dass ich ihn liebe.“
Hinter mir hörte ich Elth lachen. „Ich auch noch nie.“
Mist, das hätte mir eigentlich klar sein sollen. „Aber bestimmt einer Frau.“ Erinnerte ich ihn.
„Schätzchen, du verstehst wohl die Spielregeln nicht. Du hast von einem Typen gesprochen, nicht von Frauen.“
Das verwirrte mich. Also hatte er es jetzt bereits getan, oder nicht? Kopfschüttelnd gab ich auf. „Klappe. Du bist dran.“
„Ich habe noch nie ein so freches Gör wie dich getroffen.“ Zum Glück konnte er nicht sehen, wie ich rot wurde, und stieß leicht meinen Rücken gegen seinen.
„Dann kennst du meine beste Freundin nicht. Also... zieh meinen rechten Socken aus, Klugscheißer.“
Hinter mir bewegte sich das Bett, dann kam ein dunkler Schatten über mich, welcher mir jedoch keinerlei Angst einjagte. Es beruhigte mich sogar, als er seine Arme um mich schlang und löste ein Gefühl aus, als wäre ich bei ihm vollkommen sicher. Betont langsam ließ er seine rechte Hand über meinen Bauch zu meinem Schenkel gleiten und zog ein angenehm kribbelndes Gefühl hinter sich her. Seufzend lehnte ich mich entspannt an ihn und wartete, bis seine Finger meinen Socken erreichten. Nebenher küsste er liebevoll meinen Nacken, wodurch die anfängliche Spannung völlig von mir abfiel.
Als der Socken abgestreift war, zog er sich so schnell zurück, sodass ich beinahe umkippte und einen enttäuschten laut von mir gab.
Kichernd wies er mich an, weiter zu spielen. „Du bist dran.“ Ich unterdrückte ihm zu sagen, was ich von diesem Spiel hielt und machte weiter. Dieses Mal würde ich ihn dran bekommen.
„Ich habe noch nie mit meinem alter den dreistelligen Bereich erreicht.“
Ich konnte förmlich spüren, wie er die Augen verdrehte. „Zieh meine Jacke aus, bevor ich zerfließe.“
Grinsend gestaltete ich das Ausziehen nicht einmal ansatzweise so spannend wie er, streifte einfach seine Jacke von den Schultern und warf sie unbeachtete auf den Boden.
Leise knurrte Elth, sagte jedoch nichts dazu. Diesen, zwar kindischen, doch dringend benötigten Trumpf gönnte ich mir. „Ich habe noch nie einen Zwilling gehabt.“ Der Seitenhieb, auch wenn er bestimmt nicht beabsichtigt war, saß. Nachdenklich ließ ich einige Zeit, bevor ich ihn dazu brachte den zweiten Socken zu entfernen.
Dies Tat er artig und achtete penibel darauf, seinen Körper ja an meinen zu pressen dabei.
„Ich habe noch nie eine feste Freundin oder Freund gehabt.“ Damit hatte ich ihn wieder. „Zieh meine Hose aus.“
Überrascht das er die Hose loswerden wollte, krabbelte ich um ihn herum und überlegte, ob ich das tatsächlich tun sollte. Stark verunsichert, raste mein Herz in meinem Brustkorb, während ich zögerlich die Hand ausstreckte und sie bloß wenige Zentimeter davor innehalten ließ. So viel Intimität war mir dann doch ein wenig zuviel. Wieso habe ich das davor noch nicht bedacht gehabt? Elth ließ gerne seine Hand auf meine Hüfte wandern, dort wo sein Biss gut deutlich abgebildet war, doch erschien mir diese Geste nicht annähernd so peinlich, wie das, was ich nun tun musste.
Elth bemerkte natürlich meine Unsicherheit und beseitigte sie, indem er mein Gesicht an seines zog. Sanft öffnete er meine Lippen mit seiner Zunge und forderte sie zu einem heißen Duell heraus. Während ich von dieser Geste abgelenkt war, führte er meine ausgestreckte Hand zu seinem Hosenbund, wo ich einige Zeit benötigte um den Knopf aufzubekommen. Schlussendlich gab ich auf und nahm beide Hände, um den Verschluss zu öffnen.
Jetzt kam der wirklich schräge Teil. Zumindest für meine Verhältnisse. Elth lehnte sich auf seine Ellenbogen zurück und hob seinen Hintern ein Stück weit hoch. Den ersten Schritt hatte ich ja bereits geschafft. Da würde ich es auch noch über mich bringen ihm die Hose auszuziehen.
In Elths Augen sah ich ganz deutlich, wie amüsiert er über meine sichtlich hilfsbedürftigen Bewegungen war, doch wagte es kein Wort darüber zu verlieren. Als er nun so da lehnte, ohne Jeanshose, musste ich für einen Moment schlucken.
Mein Elth. Mein Wächter und Beschützer, sollte man annehmen. Im Moment fühlte ich mich vollkommen verunsichert, obwohl ich zugleich wusste, es mit jeder Faser meines Körpers fühlen konnte, dass Elth mich ernst nahm. Das alles hier. Es war nicht bloß irgendein Spiel, da war viel mehr. Die körperliche Anziehung konnte ich, nebenbei gesagt, ebenfalls nicht abstreiten.
Neben Elth blieb ich sitzen und genoss seinen Anblick. „Ich habe noch nie, dieses Spiel mit jemandem gespielt.“
Damit hatte er mich schon wieder. Bei einem Geburtstag einer Freundin in der Vorschule hatte ich es gelernt. Nur was sollte ich mir jetzt ausziehen lassen? Mir blieb nicht mehr viel bis auf Unterwäsche so wie Shirt und Hose. Trotzdem fühlte ich mich jetzt bereits nackt unter seinem durchdringenden Blick. Mir war klar, dass er wollte, dass ich endlich das Shirt auszog. Aber so einfach wollte ich es ihm nicht machen. „Dann jetzt der BH.“
„Du könntest ruhig endlich ein wenig mehr Haut raus rücken.“ Murrte er, während er sich wieder aufsetzte um an meinen Rücken zu greifen. Tastend nach dem Verschluss ließ er seine Hand unter mein Shirt gleiten, was mir für einen Moment die Luft zum Atem raubte. Als er feststellte, dass sich der Verschluss dort nicht befand und ich belustigt grinste, strichen seine Hände sanft über meinen Körper nach vorne und umfassten dort den Schalen-BH.
Wieder verunsichert, da ich nicht wusste, ob ihm meine Brüste gefallen würden, wartete ich ab. Bei Königin Nanina war mir erstmals wirklich aufgefallen, dass meine Brüste bei weitem nicht an eine solche >besondere< Größe heranreichte, doch hatte mich das bis zu diesem Moment niemals gestört.
Unweigerlich drückte ich meinen Rücken durch und hoffte, sie damit ein wenig größer wirken zu lassen. Als Elth jedoch unerwartet meinen BH nach oben schob und seine warmen Hände direkt über sie gleiten ließ, entfuhr mir ein erschrockener Aufschrei. „Elth! Du sollst ihn bloß ausziehen, nicht mich...“ Ich verstummte, da Elth mich mit intensiven Küssen wieder einmal zum Schweigen brachte. Seufzend gab ich meinen kurzweiligen Widerstand auf und genoss das vollkommen neue Gefühl, als er meine Brüste liebevoll knetete.
Überrascht davon wie gut sich alleine schon diese Berührung anfühlte, bemerkte ich überhaupt nicht, wie mein BH verschwand und seine Hände, dessen Dienst erfüllten. Mit einem kleinen Zusatz versteht sich.
Ungeduldig werdend zog er mich näher an sich heran, woraufhin ich unweigerlich feststellte, dass ihm meine Brüste ganz offensichtlich gefallen mussten. An meinem Oberschenkel, da ich nun zwischen seinen Beinen saß, drückte sich etwas, von dem ich sofort wusste, um was es sich handelte. Instinktiv wollte ich zurückweichen, da es mir peinlich war, doch Elth ließ mich nicht. Während er mit einer Hand eine Brust reizte, schob er mit der anderen mein Shirt hoch und ließ seine Küsse von meinen Lippen aus tiefer wandern.
Nervosität machte sich zwar deutlich in mir breit, doch gleichzeitig gab es dieses freudige Gefühl in mir, was mir den Sinn für so etwas wie >Nervosität< nahm. Wer brauchte schon so etwas wie Nervosität oder Unsicherheiten? Lächerlich! Elth gab mir einfach das Gefühl, dass ich so etwas nicht nötig hatte. Nicht bei ihm, da war ich vollkommen sicher.
Erwartend beugte ich meinen Rücken durch, während Elths Lippen sich liebevoll über meine rechte Brust bewegte. Zärtlich biss er in ein Stück Fleisch hinein und entlockte mir dabei einen Schauder.
Stöhnend vergrub ich meine Hand in seinem Haar, drängte, ihn regelrecht dazu weiter zu machen, als er mit seinen Lippen meinen Nippel erreichte und zärtlich daran saugte.
Vom logischen Denken völlig abgeschottet bemerkte ich das Verschwinden des Shirts nicht und auch erst als sich Elths nackter Oberkörper auf meinem darauf schob, wurde mir bewusst, dass ich bereits auf dem Rücken lag und mein Höschen nicht mehr ganz so frisch war, wie vor noch wenigen Minuten.
Langsam kehrte wieder Blut in mein Gehirn zurück und Besorgnis drängte sich in mir auf. „Warte... Elth, ich kann nicht.... wir können nicht... du weißt schon...“ Stotterte ich zusammen, während ich gegen den Verlust meines Verstandes ankämpfte, doch ganz offensichtlich langsam diesen Kampf verlor. Während ich gegen die aufkeimende Unsicherheit ankämpfte, ließ Elth von meinen Brüsten ab und schob sein Gesicht wieder in mein Blickfeld.
„Schon gut, Dell. Ich würde niemals riskieren, dass dir etwas Schlimmes passiert.“ Schwor er.
Vor einiger Zeit hätte Elth noch seine Witze über mich gemacht, oder meine Bedenken als lächerlich empfunden. Jetzt jedoch, sah ich nichts anderes als aufrichtiges Verständnis in seinen Augen. „Außerdem würde ich niemals >so< weit gehen. Das könnte ich dir niemals antun.“ Zärtlich gab er mir einen dermaßen verwirrenden Kuss, sodass ich das Gefühl bekam gleich weinen zu müssen. In diesem einen Kuss lagen so viele unausgesprochene Dinge, die ich vermutlich niemals hören würde. Zumindest nicht aus seinem Mund und doch bedeutete sie mir in diesem Moment die Welt.
Dies war der erste Abend, an dem ich irgendwelche Erfahrungen im Bett machte, auch wenn Elth pingelig genau darauf achtete, dass meine Hose schön artig an blieb, wobei er sie jedoch ein Stück über meine Hüfte hinab schob um mit seiner Hand besser arbeiten zu können. Motiviert von den heißen Gefühlen, welche er mit jeder Bewegung, jedem Kuss und jedem zärtlich gehauchten Wort mehr anfachte, schaffte ich es auch über meine Schüchternheit, was den männlichen Körper anging, hinaus und war recht zufrieden mit mir, als ich herausfand, wie ich Elth am besten um den Verstand bringen konnte.
Schade das es nicht noch etwas anderes gab, was ich in der Öffentlichkeit gegen ihn verwenden konnte, wenn er wieder einmal versuchen sollte mich zu kontrollieren, oder verkaufen.
Nun, ja. Vielleicht würde sich ja irgendetwas finden lassen.

33. Weil ich dich Liebe

Verschwitzt, aber mehr als zufrieden, wobei ich nicht sagen konnte ob mein Körper glücklicher war, als mein Stolz, erwachte ich als zärtliche Lippen meine Schulter küssten. „Schon wieder?“ Hauchte ich verschlafen, als sich etwas an meinen Po drückte. Mittlerweile taten mir die Hände bereits von dieser ungewohnten Arbeit weh.

Ich fühlte das Schmunzeln auf meiner Haut. „Wenn du wüstest.“ Schnurrte Elth glücklich, während sein kurzes Fell mich leicht kitzelte. Irgendwann, während meinen ersten nächtlichen Erfahrungen, hatte er die Kontrolle über seine Verwandlung verloren und Fell war einfach erschienen. Anfänglich hatte er versucht menschlich zu bleiben, doch ich sagte ihm, dass es egal sei. Ob als Katzenmensch, oder Mensch, ich mochte es wie er sich anfühlte.
Seine Krallen waren zwar etwas problematisch geworden, doch zu diesem Zeitpunkt war ich bereits zufrieden genug gewesen, sodass ich einfach seine liebevollen Küsse genoss, während er zusehends mit seiner Beherrschung kämpfte.

Seufzend drehte ich mich zu ihm um, sodass ich Elth ansehen konnte und wurde sofort mit einem hungrigen Kuss begrüßt. „Du hast beim Spiel geschummelt.“

Erinnerte ich mich plötzlich wieder.

Nach der körperlichen Anstrengung war ich sofort wieder eingeschlafen in Elths Armen, doch wir hatten bestimmt nicht länger als zwei oder drei Stunden geschlafen.

„Ich weiß nicht was du meinst.“ grinste er frech und rieb seine Stirn verschmust an meiner.

Lachend gab ich ihm einen Kuss auf die menschliche Nase. „Ich werde nie wieder mit einer Katze ein Spiel spielen. Erinnere mich in Zukunft daran.“

„Verlass dich nicht darauf.“ Scherzte er amüsiert.

Sein Lächeln wurde jedoch noch breiter, als mein Magen leise vor sich hin grummelte. „Da ist jemand wohl noch nicht befriedigt genug.“ Zog er mich auf.

Wie zur Strafe grummelte bloß ein Moment später auch sein Magen, doch deutlich lauter als meiner. „Was hast du eben gesagt? Das habe ich nicht so wirklich verstanden.“

Grummelnd warf sich Elth auf mich und begrub mich unter sich, während er mich gnadenlos kitzelte. Laut rufend, dass er mir vergab, wehrte ich mich so gut ich konnte, doch hatte keine Chance. Er war einfach viel zu stark.

Nach einigen Minuten wurde ich endlich erlöst und streckte mich erschöpft aus. „Ich hasse dich.“

Versöhnlich gab Elth mir einen Kuss auf den Bauch, bevor er seinen Kopf dort ablegte. „Sei nicht immer so frech.“ Beschwerte er sich, doch verbarg dabei sein Lächeln kein bisschen.

„Ich hab Hunger!“

„Das ist etwas neues.“ Seufzte er provokant, wofür er einen sanften Schlag auf die Schulter kassierte.
„Zieh dich an und hol Futter, Kätzchen.“ Neckte ich ihn weiter, doch das einzige was ich mir einfing dafür, war eine kleine Bissstelle über meinem Bauchnabel.

„Überlege dir lieber ob du mit mir streiten möchtest.“ Drohte er halbherzig, doch da sein Magen sich bereits wieder meldete, hievte er sich ächzend auf und verschwand mit blanken Po im Badezimmer. Fasziniert blickte ich ihm hinterher.

Wie hatte mich dieser Körper noch vor zwei Monaten dermaßen anwidern können?

Es dauerte bloß eine kurze Dusche, da kam er, mit einem Handtuch bekleidet, wieder heraus und knirschte verärgert mit den Zähnen.

Mit hochgezogenen Augenbrauen, so wie in die Decke eingewickelt, da ich mein Shirt vom Bett aus nicht erreichen konnte, blickte ich ihn fragend an. „Wieso verwandelst du dich nicht zurück? So können wir schlecht essen gehen.“ Erinnerte ich ihn.

Genervt warf er mir einen vielsagenden Blick zu. „Denkst du ich würde immer noch so herum laufen, wenn ich mich verwandeln könnte? Ich habe zu großen Hunger.“

Dieses Thema hatte ich bereits einmal mit Gael. Da hatte er mir erklärt, dass es den Mischlingen der Menschwesen oft schwer fiel sich zu verwandeln, wenn sie Hunger hatten. Oder geschweige ihre menschliche Tarnung aufrecht zu erhalten. In Elths Fall gab es bloß zwei Dinge die ihm helfen könnten. Fleisch, oder Blut, da er ja auch zum Teil ein Vampir ist.

„Reich mir bitte das Shirt.“ Verwirrt von dem Themenwechsel warf er mir mein geliehenes Shirt zu und schnell schlüpfte ich hinein. Da es ziemlich weit geschnitten war, konnte man nicht erkennen, dass ich keinen BH trug, schloss meine Hose, die ich immer noch nicht ausgezogen hatte, ich artiges Mädchen, und griff nach dem Zimmerschlüssel.

Ich wandte mich bloß der Türe zu, stand Elth bereits in ungeheurer Geschwindigkeit davor und blockierte sie. „Wo gehst du hin?“
„Bloß hinunter zum Vermieter. Ich bin gleich wieder da.“ Versprach ich ihm.

„Aber bloß dorthin, ja?“

Lächelnd reckte ich mich seinem besorgten Gesicht entgegen und gab ihm einen langen Kuss. „Bloß drei Minuten.“ Versprach ich, öffnete schnell die Türe, weshalb Elth ausweichen musste, damit ihn niemand zufällig sah und lief auch schon, beinahe hüpfend, die Treppe zum Erdgeschoss hinunter.

In der spärlich eingerichteten >Lobby<, falls man es so nennen konnte, klopfte ich einmal laut und deutlich auf die kleine Glocke am Empfang, woraufhin ein sichtlich genervt aussehende Frau aus einem Nebenzimmer kam und ausgiebig gähnte. Ihren dicken Bauch schob sie dabei etwas ungelenk vor sich hin. Ich schätzte sie dabei auf gut den siebten Monat, wenn sie nicht bereits weiter war. „Bitte?“

„Zimmer Zwölf. Mein... Freund...“ Ich sprach das Wort zum ersten Mal in meinem Leben mit einer ganz anderen Bedeutung aus. Früher hatte ich bloß Gael zu meinen Freunden gezählt, oder später dann Dennis, doch beide hatten niemals in dem Zusammenhang wie Elth mit diesem einen Wort gestanden. Leicht errötend da ich gestockt hatte, redete ich schnell weiter. „Er hat sich mit dem Rasierer geschnitten. Haben Sie zufällig einen...“

Die Frau griff bereits grinsend unter die Theke, hinter welcher sie stand und reichte mir einen roten Kasten mit einem weisen Kreuz darauf. „Dankeschön, ich bringe ihn gleich wieder hinunter.“ Versprach ich und lief wieder hinauf in den ersten Stock, wo Elth mich, sichtlich ungeduldig, direkt hinter der Türe erwartete. Überrascht stockte ich einen Moment, da mir nicht bewusst gewesen war, dass er sich nicht einen Zentimeter hatte bewegen wollen.
„Fungierst du plötzlich als Türstopper?“

„Eher als Einbruchssicherheit.“ Sein Blick fiel skeptisch auf den Kasten in meiner Hand. „Was hast du damit vor? So wild waren wir doch überhaupt nicht.“ Auch wenn es offenbar ein Witz sein sollte, schien er kein bisschen zu scherzen aufgelegt zu sein.

 „Das was jeder Wächter für seinen Schützling tun würde.“ An ihm vorbei drängend, hielt ich auf das Bett zu und schlug den Kasten auf. Daraus entnahm ich mir einen weisen Verband, Klebeband, zwei Wundkompressen und eine Schere. 

„Dell? Keiner von uns beiden hat eine Verletzung.“ Erinnerte er mich unnötig und hielt mein werken auf, indem er mich zu sich dreht. Dass ich dabei immer noch die Schere in der Hand hielt, schien ihm zu entfallen.
„Du lässt mich bestimmt nicht in einen Supermarkt gehen um dort Fleisch für dich zu holen, oder?“ Fragte ich, doch kannte die Antwort bereits.

Als wäre es selbstverständlich schüttelte er den Kopf. „Erinnerst du dich was das letzte Mal passiert ist, als ich bloß für einen einfachen Anruf in einen Markt geschickt habe?“

Frech lächelte ich. „Ja, ich habe deine Schwester kennen gelernt.“ Obwohl ich damals noch dachte, dass sie seine Ex sei.
„Also? Was soll das alles?“

„Da ich dir nichts zu Essen besorgen kann, auf herkömmliche weise, kann ich dir bloß so helfen.“

Ich legte unbemerkt die Klinge in meiner Handfläche an und zog mit festen Ruck eine blutige Spur. Ein Messer hätte dies vielleicht sauberer zustande gebracht, doch das hätte Elth noch viel schneller durchschaut.

Fluchend darüber wie weh der Schnitt tat, hob ich die Handfläche nach oben, damit Elth das Blut sehen konnte.

„Scheiße! Dell du kannst doch nicht...“ Im nächsten Moment zuckte er schmerzhaft zusammen und seine vampirische Seite meldete sich sichtlich. „Ich werde ganz bestimmt nicht von dir trinken!“ Schimpfte er eindeutig am Rande seiner Selbstbeherrschung. Zumindest was seine Wut auf mich anging.
„Das heißt ich habe mich jetzt völlig umsonst geschnitten?“ Warf ich ihm halb herausfordernd vor. Ich hatte keine Ahnung woher der plötzliche Antrieb kam, doch ich wollte ihn bloß stärken.

„Das hättest du überhaupt nicht zu tun brauchen, ich könnte mir auch einfach irgendwo ein Opfer suchen.“

Beleidigt funkelte ich ihm entgegen und Eifersucht regte sich ungewollt in mir. „Ach, wirklich? Ist dir mein Blut etwa nicht gut genug? Bin ich dir so zuwider, dass du für Blut lieber zu einer wildfremden rennst? Aber fürs Bett reicht es, oder wie soll ich das verstehen.“

Knurrend packte Elth mein Handgelenk und versuchte nicht mehr seine Fangzähne zu verbergen. „Denk ja nicht, ich hätte nicht herausgehört, dass du mich bloß mit diesem Vorwurf manipuliert hast.“ Danach leckte er einen Moment über die geschnittene Stelle in meiner Handfläche, bevor er etwas unsanft in mein Handgelenk biss. Fluchend vor Schmerz, schon wieder, ließ ich mich auf das Bett sinken, wohin mir Elth sofort folgte. Drängend schob er mich höher, bis auch meine Beine und sein rechtlicher Körper genug Platz fanden. Dabei bemerkte ich kaum wie der Ersthilfekoffer auf den Boden fiel und seinen Inhalt dabei großzügig verteilte.

„Elth...“ Stöhnte ich, als er noch fester in mein Handgelenk biss. Das würde bestimmt einen bleibenden Abdruck hinterlassen. Den nächsten! „Das tut weh... Bitte.“ Bat ich. Elth ließ zwar wie gewünscht einen Moment später von mir ab, jedoch visierte sein gieriger Blick sofort eine Stelle an, an der Blut viel leichter zu hohlen war.
„Wehe! Nein.. Elth... Tu das nic... Ah!“ Er schien mich überhaupt nicht mehr zu hören. Knurrend und mit blutroten Augen, wie ich sie noch nie bei ihm gesehen hatte, versenkte der Mischling seine langen Fangzähne ebenso unsanft in meinem Hals, wie kurz zuvor in meinem Handgelenk.

Verzweifelt schrie ich. Hoffte das irgendein Wort von mir zu ihm durchdringen würde und trat so fest ich konnte gegen ihn, kratzte ihn... Nichts half. Bereits mit Tränen in den Augen, da mein bisher klarer Blick immer schneller schwand, bettelte ich dass er aufhören solle, dass es weh täte. Aber er hörte nicht.

Niemand kam um mich zu retten, aber wer sollte auch schon kommen? Die hochschwangere Vermieterin? Lächerlich. Sie würde bloß als nächstes Opfer her halten.

Gerade als mein Körper mich in eine erlösende Dunkelheit ziehen wollte, fühlte ich wie der Körper von Elth von einen Moment auf den anderen einfach von mir verschwand. Etwas krachte in der Ferne, doch konnte ich es nicht bestimmen woher es kam. Aus dem Nachbarstaat? Vom Nachttisch? Es schien von überall zu kommen.

Für einen Moment bemerkte ich tatsächlich wie ich die Besinnung verlor und in einer dunklen Leere schwebte, dann sah ich auch schon wieder Elths starre Gesichtszüge direkt über mir und fühlte wie er mein Handgelenk leckte.

Zuerst wollte ich es angewidert weg ziehen, da niemand an jemandes Handgelenk herum lecken sollte, doch als ein sanftes kribbeln einsetzt, verwarf ich diesen Gedanken wieder. Seufzend genoss ich es wie sich die Wärme ausbreitete und mir den Schmerz nahm.

Nachdem er geschickt einen dünnen Verband darum gewickelt hatte, lehnte er sich immer noch mit dem selben Gesichtsausdruck über mein Gesicht. Mein erster Instinkt war es ihn zu küssen, doch als er meinen Kopf vorsichtig zur Seite drehte, vergaß ich das sofort wieder, die Erinnerungen der letzten Minuten mich unvorbereitet trafen.

Ängstlich wich ich vor ihm zurück, schob ihn von mir fort und wollte einfach bloß noch weg von hier.
„Schon gut. Ich muss es heilen, Edelle.“

Edelle? Diese kalte und berechnende Stimme hatte ich ja noch nie bei ihm gehört. Und so abweisend wie er meinen vollen Namen aussprach... Ein Schauder glitt dabei über meinen Körper und irgendetwas in meinem Brustkorb schien noch mehr zu schmerzen, als mein Hals in diesem Moment.

Nickend ließ ich zu, dass er seine Lippen an meinem Hals legte und vorsichtig mit der Zunge auch dort über die noch leicht blutenden Stelle strich. Anfänglich zuckte ich noch zusammen, doch es dauerte keine zwei Sekunden und es begann genauso zu kribbeln, wie in meinem Handgelenk.

Schnell zog er sich zurück und sammelte blutige Verbände ein und legte sie zu einem kleinen Haufen zusammen. Wie viel Blut ich wohl verloren hatte? „Bleib noch etwas liegen, ich hole dir etwas zu trinken.“ Abermals brach der Schmerz in meinem Brustkorb aus, als er so gefühlskalt mit mir sprach.

Normalerweise lag immer ein Lächeln, oder meistens Ärger in seiner Stimme. Aber dieses Mal schien es, als würde er jeden der seinen persönlichen Raum überschritt, mit einer Handbewegung zerteilen.
Schweigend beobachtete ich Elth wie er im Badezimmer verschwand und einen Moment später mit einem Plastikbecher, gefüllt voller klaren Wasser, zurück kam. Fürsorglich griff er an meine Stirn, während ich dankbar trank. Als der Becher leer war nahm er ihn schweigend wieder entgegen und packte die übrig gebliebenen Sachen des Ersthilfekoffers zusammen.

Noch einmal glitt ein kalter Schauer über meinen Rücken, als er sagte, er bringe die Sachen zurück und kaufe etwas zum Essen. Als er aus der Türe verschwand, konnte ich meine Gefühle nicht mehr zurück halten.
Ich hatte es kaputt gemacht. Alles, was zwischen uns war. Das fühlte ich ganz deutlich. Deutlicher ging es kaum noch, denn Elth war wütend auf mich. Nicht bloß verärgert, oder zur Weißglut getrieben, sondern regelrechte Abscheu hatte ich in seinen Augen erkennen können.

Schniefend schlug ich die Decke über mich und blieb dort zitternd liegen. Meinen Schmerz aus der Brust weinend, lernte ich zum aller ersten Mal, was es bedeutete ein gebrochenes Herz zu haben. Es fühlte sich an als würde es Stück für Stück auseinander brechen und die Splitter würden versuchen, sich ein Loch durch meinen Brustkorb zu graben.

„Dell? Dell!“ Erschrocken zuckte ich zusammen, als die Türe des Zimmers polternd gegen die dahinter liegende Wand schlug und Elth die Decke von meinem Körper zog. Für einen Moment starrten wir uns entsetzt an. Ich, da ich nicht fassen konnte, dass er schon wieder hier war. Er, da er nicht fassen konnte, dass ich weinte.

Sofort wurde sein Blick sanfter und er ließ sich neben mich auf das Bett sinken. „Oh, Dell. Was ist denn los? Was ist passiert?“ Liebevoll strich er mir Tränen aus den Augen und ließ dabei seinen Blick prüfend über meinen Körper schweifen.

Schniefend setzte ich mich auf, sodass mein Rücken an der Wand des Bettes lehnte und wich schniefend seinem Blick aus, welcher bereits wieder in meinen Augen nach Antworten suchte.

Peinlich berührt verstand ich weshalb er so schnell wieder da gewesen ist. Unsicher legte ich meine Hand auf die Bissstelle an meiner Hüfte und verzog das Gesicht. Selbst so etwas wie Herzschmerz konnte Elth dadurch spüren? Wie peinlich!

„Liebling... Sprich mit mir.“ Bat er und zog mich an seinen Körper.

Alleine das erste Wort brachte mein Herz in eine seltsame Schwere, zwischen Verletzt und Erfreut, was die ganze Situation nicht unbedingt besser machte. „Bitte... Dell, sprich wieder mit mir. Sag mir was los ist, ich fühle doch deinen Schmerz.“ Liebevoll gab er mir einen Kuss aufs Haar und wiegte mich in seinen Armen, während ich mich um eine annehmbare Stimme bemühte.
Als ich es endlich schaffte den Klos im Hals zu entfernen, kam nicht sonderlich viel heraus. „... tut mir leid....“ Nuschelte ich an seinem Brustkorb und wurde dafür noch fester gedrückt.
„Mein geliebter Schatz... Es gibt nichts was dir leid tun muss. Sch... Nicht mehr weinen.“ Bat er mich so liebevoll und streichelte meinen Kopf fürsorglich, sodass ich nichts lieber tun würde, als ihm diesen kleinen Wunsch zu erfüllen. Jedoch spielten meine Selbstvorwürfe dabei nicht ganz mit.
„Aber... ich habe dich... Und...“ Stotterte ich schluchzend zusammen, trotzdem verstand Elth mich besser als geahnt.

„Nein, Liebling. Du trägst überhaupt keine Schuld. Ganz alleine ich war das. Ich habe absolut keine Kontrolle über meine Vampirseite, zumindest was das Blut angeht. Das hätte ich dir sagen müssen. Bitte verzeih mir. Bitte vergib mir. Bitte...“ Elth drückte mich bereits so stark an sich, dass ich kaum noch Platz fand zwischen seinen Armen und dem Brustkorb. Auch ließ er es nicht zu, dass ich aufsah, einzig das Gefühl einen Tropfen auf der Kopfhaut zu spüren, sagte mir, weshalb ich nicht aufsehen durfte.

Schniefend schlang auch ich meine Arme um ihn und streichelte liebevoll seinen Rücken, so wie er meinen Kopf. „Es tut mir so leid. Ich wollte dir nicht... ich wollte ja aufhören, ich zwang mich sogar dazu, aber dein Blut! Ich habe noch nie etwas vergleichbares getrunken.“

Das verstand ich nicht. Er hatte doch bereits einmal meine Wunde geheilt, die an meiner Schulter. „Aber beim letzten Mal, war das nicht so.“

„Was meinst du?“

„Als ich die Werwölfe verwandelt habe.“ Erklärte ich.

„Das war etwas anderes. Als Menschwesen bin ich auf andere Weise sensibel, aber mit dem Blut hast du meine Vampirseite gelockt... es war... der Wahnsinn.“ Ob auf gute, oder schlechte Weise, konnte ich bloß ahnen. Jedoch hatte ich einen leisen verdacht.
„Es tut mir trotzdem leid, dass ich dich gezwungen habe.“ Nie wieder würde ich so etwas machen. „Ich dachte nicht dass... dass...“

„Sch...“ Machte er wieder. „Ganz ruhig.“ Ich begann schon wieder zu weinen, doch Elth unterband dies mit einem liebevollen Kuss, der mich dahin schmelzen ließ. Zwar konnte ich kein Indiz auf eine Träne mehr in Elths Gesicht sehen, doch dass seine Augen gerötet waren, nicht vergleichbar mit der vampirischen Verwandlung, als hätte er geweint, verriet ihn.

Seufzend küsste er mich ein weiters Mal, dann legte er seine Stirn an meine und seufzte ungläubig. „Weißt du eigentlich was du mit mir anstellst?“ Fragte er völlig unerwartet.
Ich verstand kein Wort, doch bezog es automatisch auf die Schmerzen, die ich ihm verursacht hatte. „Entschuldige... Nur... es hat so weh getan, als du so kalt weg gegangen bist und... ich habe vergessen das du doch noch immer...“

Mit einem Lächeln auf den Lippen brachte er mich zum schweigen und stupste mich auffordernd mit der Nase an. „Das meinte ich nicht, Prinzesschen.“ Über den alten Kosenamen musste ich schmunzeln. So hatte er mich schon lange nicht mehr genannt. Etwas ernster nahm er seinen Kopf zurück und sah mir eingehend in die Augen. „Dell, ich will nie wieder, dass du glaubst, ich wäre gefühlskalt dir gegenüber. Selbst wenn ich einmal richtig wütend bin... es wird sich niemals etwas an der Tatsache ändern, dass ich dich Liebe."

 

- - - - -

 

Da waren sie. Das erste Mal, dass ich diese drei Worte von jemanden hörte. Zumindest jemandem dem ich mehr bedeute, als eine Tochter, oder Schwester. Ungläubig öffnete ich den Mund um etwas zu sagen, doch Elth verschloss ihn mit einem Finger. Unfähig etwas aus meiner Kehle heraus zu bekommen, sah ich ihm zu, wie er die letzten Reste meines Blutes entsorgte, und starrte ihm unentwegt hinterher. Nachdem er das nötigste entsorgt hatte, schickte er mich auffordernd unter die Dusche, da er noch eine Besorgung für unser recht verspätetes Essen machen wollte. Stumm nickte ich zustimmend und packte frische Sachen aus, meine letzten.
Seufzend wollte ich im Badezimmer verschwinden, als er seine Arme um mich legte und meinen Körper schon wieder an seinen presste. Da meine linke Halsseite noch nicht ganz verheilt war, legte er seine Lippen an die rechte Seite und gab mir dorthin einen kurzen Kuss. „Und nur damit du es weist... ich fühle nicht bloß deine Schmerzen, sondern auch alle anderen Gefühle, die stark hervortreten.“
Mit diesen vielsagenden Worten verschwand er aus dem Zimmer und ließ mich alleine in meinem völlig erhitzten Körper zurück. Um meine Gedanken abzuschütteln, was genau er wohl alles damit gemeint haben könnte, stieg ich unter die Dusche und wusch die letzten schrecklichen Minuten von mir ab.
Mit nassen Haaren, schaltete ich den Fernseher einige Zeit später ein und versuchte das geschehene auszublenden. Trotzdem bekam ich diesen einen Satz einfach nicht aus meinem Kopf >dass ich dich liebe.
Quietschend um meine Freude gebündelter heraus zu lassen, vergrub ich das Gesicht im Polster und schaltete den Fernseher lauter, damit man mich von draußen nicht hörte.
Ich konnte es nicht glauben. Wie lange hatten Elth und ich uns angiftetet? Wie oft sind wir aneinandergeraten? Wie viele Gelegenheiten hatte er ergriffen, um mich zu verletzen, oder ich, um ihm eines auszuwischen?
Wann ist es bloß passiert, dass unsere Gefühle sich derart gewendet haben? Wann hatten wir uns verliebt? Ist es bei dem Sturz von der Treppe passiert? Oder als ich eifersüchtig auf Lissy gewesen bin?
Okay, ich gab zu, dass ich seit dem Traum, welchen er mir vor einiger Zeit aufgezwungen hatte, bereits unerwartet etwas für ihn empfand, oder zumindest nicht abgeneigt von seinen fiktiven Küssen gewesen bin. Vielleicht war es sogar der ausschlaggebende Moment gewesen, dass das Unerwartete uns völlig unvorbereitet getroffen hatte?
Jedenfalls konnte spätestens jetzt keiner von uns beiden mehr abstreiten, dass zwischen uns wesentlich mehr war, als wir jemals erwartet hätten.
„Seit wann bist du denn taub?“ Fragte Elth übertrieben über die Lautstärke des Fernsehers hinweg.
Eilig versuchte ich mein Grinsen zu unterbinden, doch wusste, dass Elth es bereits gespürt haben musste. Mit einem verräterischen Lächeln, stellte er mehrere Packungen voller Essen auf dem kleinen Esstisch des Zimmers ab und ließ sich zu mir ins Bett fallen, noch bevor ich aufstehen konnte, um endlich meinen Hunger zu stillen. „hiergeblieben.“ Befahl er und drückte mich zurück ins Bett.
„Ich habe aber Hunger!“ Beschwerte ich mich, da der Duft des Essens bereits im Raum lag. Essen!
„Vergiss es, zuerst musst du mich bezahlen.“ Mit einem breiten Grinsen senkte er sich auf mir herab und nahm meine Lippen in Besitz. Schmunzelnd bezahlte ich ihn so ausgiebig, wie es mein hungriger Magen zuließ, und quetschte mich dann ungeduldig unter ihm hervor.
Neugierig durchsuchte ich die Verpackungen nach etwas essbaren, für mich, während Elth, wesentlich geduldiger als ich, seine Arme wieder von hinten um mich legte und meinen Hals liebkoste. „Hast du auch etwas gekauft, dass nicht unbedingt für einen Fleischfresser gedacht ist?“ Hakte ich nach.
Ich hörte ihn lachen, kurz darauf beugte er sich unter den Tisch und hielt mit ein Päckchen mit Burger hin. Mein Herz ging abermals auf. Wie lange hatte ich schon keine Burger mehr gegessen?
Seltsam... solche Fragen stellte ich mir in letzter Zeit häufig.
Genüsslich steckte ich mir drei Fritten in den Mund und öffnete nebenbei das Päckchen mit dem Ketchup. „Verdammt ist das Lecker!“ Seufzte ich und richtete mir das Essen ordentlich her.
„Was hältst du von einem nächtlichen Spaziergang?“
Schmunzelnd gab ich ihm einen leicht fettigen Kuss. „Pass auf, sonst wirst du mich nie wieder los.“ Drohte ich frech, was ihn jedoch alles andere als zu beunruhigen schien.

34. Die Fee

Diese Nacht und den nächsten Vormittag vertrödelten wir noch in seliger Zweisamkeit, dann entschied ich, dass es Zeit wurde, endlich unser eigentliches Ziel aufzusuchen.

Elth war alles andere als begeistert, besonders da er viel lieber Nackt durch das gemietete Zimmer lief, was mich natürlich wesentlich weniger störte, doch hatten wir uns beide vorgenommen, die Zeit nicht allzu sehr zu vergessen.

Diese Nacht und den nächsten Vormittag vertrödelten wir noch in seliger Zweisamkeit, dann entschied ich, dass es Zeit wurde, endlich unser eigentliches Ziel aufzusuchen.
Elth war alles andere als begeistert, besonders da er viel lieber nackt durch das gemietete Zimmer lief, was mich natürlich wesentlich weniger störte, doch hatten wir uns beide vorgenommen, die Zeit nicht allzu sehr zu vergessen.
Ich hätte zwar niemals angenommen, dass Elth so anhänglich sein könnte, doch nach einem ausgiebigen Mittagessen, wieder einmal im Hotelzimmer, gab er meinem Drängen endlich nach.
Kurz nach zwei Uhr saßen wir vollgepackt im roten Dreitürer und ließen uns die warme Sonne ins Gesicht scheinen. Neben der Fahrt, suchte Elth immer wieder Körperkontakt zu mir, strich mir eine Strähne aus dem Gesicht, oder drückte einfach kurz meine Hand. Einmal mussten wir noch tanken, da bekam ich wieder einen Kuss, bevor er zum Bezahlen verschwand.
Schmunzelnd sah ich seinem sexy Hintern hinterher und dachte schwärmerisch daran, dass ich ihm so wichtig war. Sogar als ich wieder daran dachte, dass er mich aufrichtig liebt, wollte mein Herz nichts Lieber als aufgeregt in meinem Brustkorb herum zu hüpfen.
Eilig ermahnte ich mich zur Ruhe, da ich wusste, dass Elth genau fühlte, was gerade in mir vor ging, und das war mehr als peinlich!
Mit einem wissenden Lächeln kam Elth zurück zum Auto, stieg ein und drückte mir ohne ein einziges Wort zu verlieren einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen. Seufzend genoss ich die Gefühle, welche er ständig in mir auslöste. Wie hatte ich bloß denken können, dass er mich hasst? Mir hätte gleich klar sein müssen, dass dieser Idiot sich unnötige Gedanken darüber machte, was er mir angetan hatte. Zugegeben, hatte es mich durchaus erschreckt, als Elth plötzlich an meine Kehle ging und das auch noch alles andere als vorsichtig, doch mittlerweile sah man nichts mehr von den Bissstellen.
Mit einem letzten Blick der mir genauso viel sagte wie sein Kuss, konnte ich mich noch einmal davon versichern, dass zwischen uns beiden wieder alles in Ordnung war. Was konnte man sich mehr wünschen? Natürlich abgesehen von etwas Schicksal hier und etwas Pause dort.
Nach weiteren zehn Minuten erreichten wir unser Ziel. Vom Osten her, hatten wir Moose Jaw vollkommen durchfahren und ein kleines Randgebiet im Westen gefunden, in dem, etwas abseits und von hohen Bäumen umgeben, ein rotes teilweise zweistöckiges Haus stand. Als meine Turnschuhe den roten Pflasterstein berührte, genoss ich für einen Moment die kühlende Luft, welche durch die umstehenden Bäume abgekühlter war, als in der Stadt selbst.
Seufzend schloss ich die Türe des Wagens und folgte Elth zu der dunklen Eingangstüre des weitläufigen Hauses. Es war in einem >U< angelegt, wobei der linke Teil offenbar als große Garage fungierte. Rechts, so wie der kurze Mittelteil, schienen demnach das Haupthaus zu sein.
Mit seiner kräftigen Hand klopfte mein Wächter zwei Mal an die Türe, doch als er zum dritten Mal ausholte, wurde sie bereits geöffnet. Verwirrt blickte uns ein Mann entgegen, der optisch gesehen wie Mitte zwanzig wirkte.
„Wie kann ich helfen?“ Er sah nicht unbedingt wie eine Haushaltshilfe aus, sondern mehr wie ein Bewohner des Hauses, oder viel mehr Gast.
Kurz wechselten Elth und ich einen verwirrten Blick, einen Moment später kam Elth sofort auf den Punkt. „Wir suchen die hier lebende Fee.“
Stirnrunzelnd musterte uns der Mann in den dunklen Klamotten uns eingehender. „Ich denke Sie irren sich an der Türe.“ Der Mann in der Türe wollte besagte eben schließen, da hielt mein Wächter ihn knurrend auf, zeigte seine wahren Augen und knurrte genervt.
„Ihre Tochter schickt uns hier her. Wir sind bestimmt an der richtigen Adresse.“
Dem Mann an der Türe schien Elth kein bisschen zu imponieren, er wirkte regelrecht gelangweilt von uns. „Meine Herrin hat keine Tochter mehr. Sie muss sich ausruhen, kommen Sie am besten in einigen Wochen wieder.“ Wimmelte er uns völlig arrogant ab und wollte wieder die Türe schließen. Dieses Mal trat ich vor. „Bitte! Ich bin Edelle Black, die Zweitgeborene. Ich brauche ganz...“
Erschrocken riss der Mann die Augen auf, wirkte geradezu ängstlich. „Scheiße...“ Fluchte er. Im nächsten Moment tat sich aus dem Nichts ein Loch unter ihm auf und verschwunden war er.
Jetzt war ich erschrocken und Elth sichtlich verblüfft. „Wo... Wo ist er hin?“ Schrie ich panisch auf, während ich das Loch im Boden suchte, das eben ganz gewiss noch da gewesen ist. „Das... ist überraschend.“ Kam von Elth, welcher nun die Türe vollkommen öffnete und unerlaubt einfach eintrat. „Elth! Warte! Wir können doch nicht einfach hinein gehen!“ Protestierte ich, doch folgte ihm neugierig. „Das eben war ein Schwarzmagier. Kein Wunder, das er abgehauen ist.“ Stellte Elth fest. „Schwarzmagier?“ Wiederholte ich irritiert. Darunter konnte ich mir nicht wirklich viel vorstellen. „Du weißt ja, dass es Hexen in verschiedenen Ausführungen gibt.“ Hinter ihm nickte ich, während ich ihm in so etwas wie ein Wohnzimmer folgte. „Es gab sie früher als Druiden, doch die sind bereits ausgestorben, soweit ich weiß. Dann gibt es noch einfacher Heiler, Alchemisten oder Kräuterhexen.“
Grinsend stieß ich ihn sanft mit dem Ellenbogen hinein. „Kräuterhexen ist diskriminierend.“ Schimpfte ich. Über Hexen hatte ich natürlich bereits einiges gelesen, vor allem den Teil über >Kräuterhexen< Sie nannte man eigentlich Naturheiler, oder Wicca, manchmal auch Geisterhexen, da sie, in recht seltenen Fällen, mit solchen Kommunizieren konnten. Mittels Kräuter versteht sich.
Grinsend warf er mir einen Blick zu der, mir sagte, dass ihm das reichlich egal war und deutete dann auf die Treppe. „Sehen wir oben nach.“
Auch wenn ich immer noch fand, dass es uns nicht zustand einfach, so in ein Haus einzudringen, folgte ich Elth. „Worauf ich hinaus wollte, ist, dass Schwarzmagier diejenigen sind, die ihre Fähigkeiten für schlechtes einsetzen. Sie beschwören, zumindest glaubte man das früher, Dämonen. Aber das ist Unsinn. Auch sollen sie Satan anbeten und diesen ganzen Stuss. Glaub dem nicht.“ Ermahnte er mich, trotzdem beantwortete dies nicht so wirklich meine Frage.
„Und was machen sie stattdessen?“ „Die Hexen haben sozusagen einen Kodex. Sie benutzen ihre Gaben niemals um jemanden zu Schaden. Sie Missbrauchen ihre Macht niemals um ihren Stand zu erhöhen. Und Sie lassen ihre Finger von allem, was über den Tod hinaus geht.“ Fasste er kurz zusammen.
„Also hat er gegen eines der Gesetze verstoßen und ist somit zu einem Schwarzmagier geworden?“ Hakte ich neugierig nach. „Ja, es gibt zwar noch viele Gesetze mehr, an welche sie sich halten, doch anscheinend muss er gegen eines, oder mehrere verstoßen haben, wenn er so schnell abhaut.“
Trotzdem verstand ich nicht was, ich damit zu tun haben sollte? Ich wollte ihm doch überhaupt nichts Schlechtes, noch dazu, dass ich bis jetzt nicht einmal etwas von der Existenz von jemanden wie ihm gewusst habe. Ein seltsamer Kauz. „Hier höre ich Stimmen.“ Flüsterte Elth leise, wodurch auch ich meine Konzentration wieder in die Realität zurückholte. Stumm nickte ich, Elth klopfte vorsichtig an die Türe des Zimmers, um niemanden zu erschrecken. Wir warteten, doch nichts tat sich. „Ich weiß, dass dahinter jemand ist.“ Flüsterte Elth und klopfte noch einmal. Ich wusste ja nicht wirklich allzu viel über Feen, doch hatte ich gelernt, dass sie definitiv nicht taub waren, auch wenn ihr Gehörsinn dem der Menschen glich.
Als wieder niemand antwortete, öffnete Elth langsam die Türe. „Entschuldigt bitte die Störun...“ Abrupt hielt er inne, doch da Elth mit seinem Körper den Blick ins Zimmer blockierte, konnte ich nicht erkennen, wovor er erstarrt war. „Das könnte ein Problem sein.“ Nuschelte er leise, sodass ich schon hoffte, mich verhört zu haben.
Ungeduldig wartete ich, bis er sich umdrehte und mir deutete leise zu sein.
„Was ist denn?“ Flüsterte ich und spürte Anspannung in mir hoch kommen.
Elth sagte nichts, sondern betrat das Zimmer, dessen Boden einen nervlich fertig machen konnte, besonders wenn man versuchte sich leise fortzubewegen. Es war schier unmöglich, da er bei jeder Gewichtsverlagerung bedrohlich quietschte, als wäre er eine hölzerne Alarmanlage.
Jedoch war nun zu meinem Glück endlich der Blick ins Zimmer frei, was ich leider auch sofort bereute. Erschrocken sog ich die Luft ein und Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkel. Eigentlich weine ich ja überhaupt nicht besonders schnell, oder leicht, doch das hier, dieser Anblick, versetzte mir einen Stich.
Ich befand mich mit Elth in einem recht großen Zimmer. Er nahm beinahe das ganze Obergeschoss des Mittelteiles ein und war dementsprechend gut durchleuchtet, was die Fenster anging. Dicke Vorhänge hingen an deren Seiten, welche einem eine dunkle Nacht versprach und weiche Teppiche konnten jeden Sturz abfangen. Es gab sonst eigentlich kaum etwas in diesem Raum, außer einem großen Doppelbett, welches von allen Seiten gut begehbar war und unzählige Polster betteten einen alten dürren Mann, der aussah, als hätte er die Hundert längst hinter sich gelassen.
Er hing an einem Atemgerät, piepsende Anzeigen, bestätigten einem die stabilen Vitalwerte des Greises und in seinen Armen hingen Schläuche, welche ihn mit notwendigen Flüssigkeiten versorgten.
Der Raum, so sauber und unangetastet er war, schien regelrecht in der Zeit stehen geblieben zu sein. Das Bett hatte keine einzige Falte, kein Staubkorn berührte auch nur ansatzweise den Boden und der Geruch vom Meer lag in der Luft.
Offenbar schien die Fee diesen Mann mehr zu lieben, als man es sich vorstellen konnte. Sie hatte ihm alle Annehmlichkeiten beschaffen, welche sie auftreiben hatte können, pflegte ganz offensichtlich zu jeder Zeit ihn, so wie seine Umgebung, während sie selbst in einem Schaukelstuhl neben seinem Bett saß und ihren Blick liebevoll auf ihrem Seelenverwandten liegen ließ.
„En... Entschuldigen Sie?“ Elth hob seine Stimme ein wenig, damit die Frau im Schaukelstuhl auf ihn aufmerksam wurde. Sie reagierte jedoch kein bisschen, sondern schaukelte in einem gemächlichen Tempo vor und zurück.
„Elth, ich denke wir sollten gehen.“ Ich sprach zwar nicht laut, doch trotzdem zuckte genau in diesem Moment der Kopf der Frau im Schaukelstuhl herum und unheimliche eingefallene Augen starrten mich blicklos an. Sie musste blind sein.
Erschrocken dämpfte ich einen Aufschrei, indem ich mir den Mund zuhielt. „Edelle Black...“ Kam es lang gezogen aus ihrem Mund.
Vor Angst ging ich sofort einen Schritt zurück, doch hinter mir fiel die Türe dermaßen krachend in das Schloss, dass es sogar tote geweckt hätte.
„Sag etwas zu ihr!“ Forderte Elth, anscheinend war ich die einzig, auf welche die Fee reagierte.
Kopfschüttelnd lief ich zu ihm und ließ mich von ihm wie ein kleines Kind beschützen. So etwas hatte ich noch nie gefühlt. Dieses... dunkle >etwas< was ich um sie herum fühlen konnte. Das war keinesfalls normal. Dieser Nebel, oder Schatten, welchen ich nun im ganzen Raum fühlen konnte, lag kalt auf meiner Haut und tastete ihn nach Leben ab. Schaudernd ließ ich mich von Elth in eine Umarmung ziehen.
„Schon gut, Liebes. Beruhige dich. Sie tut dir nichts.“ Schwor er, doch sein Blick war alles andere als überzeugend.
>Edelle... Black...< Kam es schon wieder von der Fee, was in mir das Bedürfnis hervorrief mir die Ohren auszuspülen. Was hatte sie bloß getan? Was hat diese verbitterte Fee bloß ihrem Mann angetan?
„Dell, wir kommen hier nicht hinaus, sprich bitte zu ihr.“
Kopfschüttelnd schlang ich mein Arm um Elths Körper. „Spürst du das nicht? Es ist... so kalt...“ Den letzten Satz flüsterte ich mehr und konnte dabei kleine Rauchschwaden meinen Mund hochsteigen sehen.
>Hier ist es immer kalt.< Krächzte die Fee durch selten benutzte Stimmbänder. Sie klang viel freundlicher, als es die Situation vermuten ließe.
>Dann... sollten Sie die Heizung höher drehen.< Schlug ich zitternd vor und kuschelte mich noch enger an Elth.
„Was ist los? Du bist eiskalt, Dell.“ Stellte dieser besorgt fest. Wie konnte er diese Kälte bloß nicht spüren? Ja, als Menschwesen ist er von Natur aus wesentlich geschützter vor Kälte als ich, aber diese Kälte hier drinnen war alles andere als natürlich.
>Das ist der Tod, mein Kind. Merk es dir. So wird es uns eines Tages allen ergehen.< Dies war der Moment, in dem ich erkannte, dass Elth überhaupt nichts von unserer Konversation mit bekommen konnte. Die Fee bewegte ihren Mund überhaupt nicht. >Telepathie?< Fragte ich erschrocken. Sie wich meiner Frage einfach aus, oder hatte sie überhaupt nicht gehört. >Du bist die Zweitgeborene. Coria sprach über dich. Sie wusste, dass du kommen würdest.“
Coria? Aber das konnte nicht sein. >Coria ist … tot.< Erklärte ich ihr und überwand mich dabei das letzte Wort auszusprechen. >Das hat sie mir erzählt auch, dass du sie besucht hast.<
Ich? Was? Wann sollte das gewesen sein? >Coria ist tod und ich... offensichtlich nicht. Ich kann sie nicht besucht haben.<
Lachend warf sie ihren Kopf nach hinten, doch aus ihrem Mund kam kein einziges Wort >Natürlich kannst du das nicht. Du wurdest dazu gebracht sie zu besuchen. Aber viel wichtiger ist... wieso suchst du mich auf? Ich kann dir nicht helfen mit deiner Schwester zu sprechen.<
Die Fee verwirrte mich nun zu sehr. Ich soll meine Schwester besucht haben? Aber nicht von selbst? Was? Das ergab doch überhaupt keinen Sinn. Obwohl die Fee äußerlich kaum älter als vierzig wirkte, sprach ihre Haut und vor allem ihre Augen ganz andere Worte. Diese wirkten, als hätte man ihnen die Lebenslust bereits seit Jahren genommen. Vielleicht lag es daran? Sie ist einfach... geistig verwirrt. Wenn man es nett ausdrückte.
Innerlich bedauernd wechselte ich auf das gewünschte Thema. >Ihre Tochter sagte, dass Sie mir vielleicht helfen könnten, eine Fee zu werden.< Das war zwar ziemlich aus dem Zusammenhang gerissen, doch die Fee schien keinesfalls verwirrt zu sein. >Weißt du... wir geraten in Vergessenheit. Wir alle. Einzeln, doch nacheinander, wird man sich nicht einmal mehr an unsere Namen erinnern.< Philosophierte die Frau und verwirrte mich damit bloß noch mehr. >Aber, ja sie hat recht. Ich kann das. Komm zu mir liebes.<
Zögerlich warf ich Elth einen Blick zu und erkannte, dass er bereits etwas von dem Telepathie Austausch mitbekommen hatte. Kurz nickte ich ihm zu, dass wieder alles in Ordnung sei, dann machte ich langsam einen Schritt nach dem anderen auf die Fee zu.
Jetzt wo ich näher auf sie zu ging, konnte ich dünne Fäden sehen, weiß, beinahe unsichtbare, welche sich von ihren Armen und Beinen aus, in Richtung Bett bewegten.
Unsicher was ich davon halten sollte, ging ich noch näher auf sie zu, bis mich bloß noch zwei Schritte von der Fee trennten. >Mein... Freund und Mentor, Gael, ich muss zu ihm gelangen, doch er hat einen Bann an der Vorderseite seines Hauses, welcher die Zeit verzerrt. Als Fee kann ich ihn überwinden, verstehen Sie?“
Ihr Kopf legte sich leicht schräg und sie deutete mir mit einem Finger noch näher zu kommen.
Ängstlich warf ich einen Blick zu Elth zurück, der bereits in Lauerstellung war, falls etwas sein sollte, würde er sich darum kümmern. So weit konnte ich ihm vertrauen. Selbst gegen eine Jahrhunderte alte Fee würde er kämpfen wie eine tollwütige Bestie.
Okay... es ist ja bloß ein einziger Schritt auf eine gebrechliche uralte Fee zu. Mehr steckte dahinter doch überhaupt nicht, trotzdem graute es mich davor ihr auch bloß noch einen Zentimeter zu nahe zu kommen. >Gael war ebenfalls hier.<
Erschrocken wurde ich hellhörig. >Was?< Fragte ich schockiert.
>Er sagte... er freut sich schon, wenn du wieder zum spielen kommst.< Zum Spielen? Das ergab doch genauso wenig Sinn wie das davor...
Aus dem Nichts öffnete sich zwischen der Fee und mir ein Loch. Noch bevor die Gestalt heraus geschleudert wurde, wusste ich bereits, um wen es sich handeln musste, doch das was er tat überraschte mich trotzdem. Schützend breitete er seine Arme um mich aus, zog mich fest an seine Brust und schirmte mich vor der Fee ab, welche unnatürlich ungelenk auf ihre Beine gesprungen kam um nach meinem Körper zu greifen.
Stattdessen erwischte sie bloß den Umhang des Schwarzmagiers und kreischte, dieses Mal mit ihrer richtigen Stimme, ebenfalls unnatürlich laut auf vor Zorn.
Ohne das ich verstand, was hier vor sich ging, wurde ich Elth wieder in die Arme gedrückt und wir beide starrten uns bloß vollkommen überrumpelt an, trotzdem hielt er mich weiterhin fest.
Hinter mir hörte ich, wie der Magier irgendwelche Worte von sich gab. Die Fee, welche mittlerweile wieder voller Leben steckte, kreischte und kratze mit ihren gebrechlichen Arme gegen eine unsichtbare Barriere vor sich an, doch erreichte überhaupt nichts.
Schreiend vor Zorn und Frust versuchte, sie sich dagegen zu stemmen, schlug mit ihren Armen dagegen, so lange bis die plötzlich aufgekeimte Kraft sie verließ und ihr Körper erschöpft wieder auf den Schaukelstuhl zurück sank.
Scheinbar leblos blieb sie darin hängen, als wäre nie etwas geschehen und der Schaukelstuhl bewegte sich wieder in einem ruhigen Takt vor und zurück.
„Was zur Hölle war das?“ Stieß Elth schockiert hervor und schob mich dabei hinter sich.
„Ich sagte doch... ihr seid an der falschen Adresse. Diese Fee wird nichts mehr tun in den nächsten Jahren. Vergesst sie.“
Vergessen? Der Schock würde mir noch Jahrhunderte in den Knochen sitzen. „Was hast du mit ihr getan? Was soll das Ganze hier, Nekromant?“ Knurrte Elth und verwandelte sich in seine Zwischengestalt.
Kopfschüttelnd wandte sich der Magier von der bereits wieder betäubten Fee ab und warf einen prüfenden Blick auf den immer noch schlafenden Mann im Doppelbett. „Das übersteigt deinen Verstand, Menschwesen. Geht, bevor sie noch einmal versucht, deine Prinzessin zu absorbieren.“
Absorbieren? „Aber... sie muss mir helfen.“ Verärgert trat ich neben Elth, der nicht sonderlich erfreut darüber zu sein schien. Das interessierte mich jedoch nicht.
Wütend drehte sich der Magier zu mir um und funkelte mich mit dunkelblauen Augen dermaßen intensiv an, dass ich das Gefühl bekam gleich von einem Lehrer ausgeschimpften zu werden. „Sie kann es nicht!“ Schrie er zornig. „Das siehst du doch, oder? Siehst so eine Fee aus, die alle Sinne beieinander hat?“ Vielsagend deutete er auf die, wieder Ruhige, Fee.
Kopfschüttelnd gestand ich ein, dass er recht hatte. „Aber... ich brauche trotzdem ihre Hilfe.“ Blieb ich entschlossen.
Seufzend griff er sich an die Stirn. „Was brauchst du denn so Dringendes, dass du sogar deine Lebensenergie verschwenden willst, an... so etwas.“ Damit war wohl wieder die Fee gemeint.
„Mein Mentor...“
Ungeduldig winkte er ab. „Ja, ja. Das habe ich gehört. Sag mir, um welchen Zauber es sich handelt, dann sehen wir weiter.“ Gab er endlich nach. Elth erzählte ihm von Gaels Fähigkeit die Zeit auf eine gewisse Weise zu manipulieren, was den Magier die Augenbrauen hochziehen ließ. „Eine starke Fähigkeit für einen Mischling.“ Stellte er überrascht fest. „Aber vermutlich plump in seinem Aufbau.“
So wie er Mischling sagte, konnte ich erahnen, dass dieser Magier reinrassig sein musste, ansonsten wäre er nicht dermaßen abfällig. „Kannst du uns nun helfen, oder nicht?“ Hakte ich genervt nach.
„Natürlich. So etwas wie Zeit kann jemanden wie mir nichts anhaben.“
Schön für ihn. Stellte ich innerlich fest und verdrehte die Augen. „Wie umgehen wir diesen Zauber?“ Zögerte er das alles mit purer Absicht hinaus?
„Schön für dich!“ Bemerkte Elth und sprach damit meine eigenen Gedanken aus. „Aber uns behindert es am Weiterkommen.“
Kurz sah sich der Magier im Raum um, ging zu dem einzigen Kasten welcher sich im Raum befand, offenbar gefüllt mit medizinischen Hilfsmittel und zog eine Nagelschere heraus. „Ich kann hier nicht fort.“ Sprach er und wirkte bei etwas abgelenkt, da er irgendetwas mit seiner Hand an der Nagelschere herum werkte. „Aber für einen Moment kann ich entbehrlich hier sein. Ihr braucht mich bloß zu... Fertig. Hier.“ Der Magier kam auf mich zu und hielt mir die Nagelschere hin. „Zerbrecht sie und ich werde an eure Seite kommen.“ Was? Wann? Ich verstand schon wieder nichts. Ich musste dringend aus diesem verdammten Haus hinaus!
„Du meinst, wir sollen dich...“ Elth nahm ungläubig die Nagelschere in die Hand und drehte sie zwischen den Fingern. „Mit diesem Ding rufen, sobald wir in der Nähe des Zaubers sind?“
Nicht bloß Elth starrte den Magier ungläubig an. Was war das denn für ein Angebot?
„Benutzt es, oder tut es nicht. Jetzt verschwindet von hier, bevor sie wieder aktiv wird.“
Der Magier wollte wieder zurück zur Fee gehen, doch ich hielt ihn am Ärmel auf. „Moment! Was ist mit ihr?“ Das interessierte mich bereits die ganze Zeit, doch dieses Mal wagte ich es zu hinterfragen. Kurz sah der Magier zwischen der Fee und mir hin und her, bevor er ergeben seufzte. „Sie hat vor Jahren auf einen Zauber zurückgegriffen, als ihr Mann seinen dritten Schlaganfall hatte und nicht mehr aufgewacht ist. Sie verlängerte sein Leben, indem sie ihm ihre eigene Lebensenergie gab. Etwas was zwar von Fee zu Fee kein Problem darstellt, doch über die eigene Spezies hinaus, hat es fatale Folgen.“
Der Magier brauchte überhaupt nicht auf die Fee zu deuten, damit ich begriff, was er meinte. „Sie hat sich an ihn gebunden? Aber was erreicht sie damit?“
Unwissend hob er die Schultern und ließ sie sichtlich erschöpft wieder sinken. „Tut mir leid Prinzessin, doch ich kann mich in den Kopf einer verliebten Fee nicht hinein versetzen. Vor Jahren, als sie es das erste Mal tat, bat sie mich um Hilfe, da wir alte Freunde sind. Ich half ihr, doch es veränderte sie ein jedes Mal mehr. Sie muss auch immer häufiger ihre Lebensenergie an ihn abgeben, sie hat sogar bereits andere Körper dessen Energie gestohlen, deshalb habe ich sie fort gesperrt. Bevor ihre eigne Energie nicht verbraucht ist, wird sie sich nicht von ihm lösen.“
Abermals traten mir Tränen in die Augen. Selbst halbtot wollte sie sich nicht von ihm lösen. „Wäre es da nicht Sinnvoller... es einfach zu beenden?“ Der Magier verstand, was ich meinte, doch in seiner Miene fand ich bloß Zweifel. „Ich bin mir nicht sicher was passiert, wenn sie stirbt. Natürlich stirbt ihr Mann dann auch und findet dann den Frieden, welchen sie beide endlich verdienen, aber irgendetwas ist bereits hier.“
Ich blickte wieder in den Schatten, der sich bereits wieder auf den Boden gesenkt hatte und ruhig schlummerte. „Es ist auf dem Boden.“ Half ich dem Magier nach. „Was ist da?“ Hakte er sofort interessiert nach. „Der Schatten. Er ist... kalt...“
Verstehend hob er beide Augenbrauen und schien diesen Schatten nun zum ersten Mal endlich zu sehen. Seine Instinkte hatten ihn gewarnt, doch richtig verstanden hat er die Mahnung nie.
„Geht jetzt. Die Zeit hier drinnen vergeht ebenfalls etwas anders. Ihr habt vielleicht bereits einen Tag verloren.“
Bestürzt wechselten Elth und ich einen Blick. Trotzdem musste ich noch einmal die Frage stellen. „Du kommst wirklich, wenn wir die Nagelschere brechen?“
Ungeduldig nickte er. „Jetzt verschwindet endlich.“
Hinter Elth öffnete sich die Türe zum Zimmer und wir verschwanden sofort hindurch. Nicht das wir noch einmal eingesperrt wurden. Das konnten wir uns wirklich nicht leisten.
„Ich vertraue dem Magier nicht.“ Stellte Elth klar, sobald wir im Auto saßen und im Morgengrauen vom Haus fortfuhren. Der Magier hatte recht behalten. Wir haben einen Nachmittag und eine Nacht hier verbracht. Dabei konnte ich schwören, nicht länger als höchstens zwanzig Minuten in dem Haus verbracht zu haben.
„Ich weiß, aber was haben wir denn für eine andere Wahl?“

35. Der letzte Weg

Siebzehn Stunden und eine kleine Pause später, standen wir wieder einmal vor Lissys Wohnung. Elth stellte den Motor ab, während ich bereits die Türe öffnete.
„Warte, Dell.“ Verwirrt schloss ich sie wieder und war froh nicht aussteigen zu müssen. Es hatte schon wieder geschneit in Regina, was ich fürchterlich fand, denn eigentlich sollten wir bereits dem Frühling entgegen blicken, nicht dem tiefsten Winter.
„Alles in Ordnung?“ Elth war erschöpft, das sah ich ihm an und konnte es durchaus nachempfinden. Zwar hatte ich versucht, kollegial zu sein und mit ihm wach zu bleiben, doch das gleichmäßige Rattern des Wagens hatte mich in den Schlaf gezogen. „Ich muss dir etwas gestehen.“ Mir? Dafür das wir am Rückweg jetzt eigentlich kaum etwas miteinander geredet hatten, abgesehen wie wir unsere Pausen verbrachten, wirkte Elth jetzt umso gesprächiger. Um ehrlich zu sein, bin ich sogar recht froh über das Schweigen gewesen. Es hatte mir die Zeit gegeben über alles nachzudenken. Die Worte der Fee, die Ereignisse im Motel, Elths und meine Gefühle.
„Was ist denn los?“ Besorgt griff ich nach seiner Hand, sofort drückte er die meine liebevoll.
„Du wirst mir bestimmt jetzt böse sein, aber ich denke, ich sollte besser nicht mit dir mit gehen.“
Mit gehen? Okay, jetzt stand ich definitiv auf der Leitung. Seit wann war ich denn bitte dermaßen schwer von Begriff? „Wohin? Zu Lissy?“ Innerlich kannte ich die Antwort bereits.
„Nein, zu Gael. Ich werde hier bei den Kindern bleiben.“ Entsetzt klappte mein Mund auf, doch es kam kein Ton heraus. Was hätte ich denn auch erwidern sollen? Natürlich konnte ich ihn nicht dazu zwingen mit mir quer durch die ganze Welt zu reisen. „Versteh das jetzt nicht falsch, Dell. Was ich im Motel gesagt habe, meinte ich... meine ich vollkommen ernst.“ Zärtlich zog er mich zu sich und küsste mich auf eine weise, die keine Worte benötigte. „Ich liebe dich. Sehr sogar, aber...“ Er verstummte und blickte unsicher auf unserer ineinander verschränkten Finger. „Ich werde in nächster Zeit nicht wirklich sicher für dich sein.“
Jup, ich stand definitiv auf irgendeiner Leitung, denn mein Hirn konnte kein Wort mehr verarbeiten, von denen welche er von sich gab. „Elth... Du bist für mich die einzige Person, der ich vertraue, dass sie mich niemals hintergehen würde. Du bist... ich kann es überhaupt nicht beschreiben, was ich für dich...“
Schon wieder hielt er mir den Mund zu, damit ich nicht aussprach, was er bereits wusste. „Dell, bitte. Vertrau mir einfach. Das was im Motel passiert ist, was wir getan haben, ist bereits etwas, zu was ich die niemals hätte drängen sollen. Es hat alles bloß noch komplizierter gemacht und wenn ich mit dir gehe... und du musst dann...“ Elth sprach nicht zu ende, doch mir war bereits mehr als klar, was genau er meinte. Ich würde kein Mensch bleiben, das war uns beiden bewusst. Ergo musste ich mit einem reinrassigen Blut austauschen, genauer gesagt mit ihm schlafen, doch das wird uns beiden zu einem gewissen Teil zerstören.
Es stimmte, besser er war nicht dabei. Die Schuldgefühle, welche ich hätte, den Zorn, den er hätte. Das würde bestimmt alles zwischen uns kaputt machen. „Aber, ich kann doch nicht allein zu Gael.“ Erinnerte ich ihn, doch konnte mir bereits denken, was sein Pläne dafür sein würden. „Lissy wird dich hin bringen. Sie ist stärker als ich, zumindest was das Kämpfen angeht. Sie liebt dich wie eine Schwester, oder zumindest wird sie das sehr bald.“ Ein gewisser Funke, den ich nicht deuten konnte, zuckte durch seine Augen. Irgendetwas verbarg er doch noch immer vor mir, oder? „Du bist bei ihr so sicher, wie du es unter normalen Umständen bei mir wärst.“ Versicherte er mir noch einmal, doch das wusste ich doch bereits.
„Aber... du kommst nach, sobald der ganze Albtraum sein Ende gefunden hat, oder?“
Lächelnd nickte er und zog mich an sich. Liebevoll vergrub er sein Gesicht in meinen Haaren und atmete tief ein. Was ich nicht bereits alles mit ihm durch gemacht hatte. Unsere vielen Höhen und Tiefen, obwohl Letzteres bisher überwiegt. Ebenfalls lächelnd legte ich meine Lippen an Elths Hals, wie bereits vor ein paar Tagen und saugte an seiner Haut. Anstatt etwas zu sagen oder gar mich schon wieder auszulachen, streichelte er sanft meinen Kopf und genoss es.
Als ich fertig war, grinste ich ihn einfach bloß frech an. „Eigentlich dachte ich ja viel mehr, dass du einen Aufstand machen wirst. Aber anscheinend willst du mich regelrecht loshaben.“ Scherzte er.
Seltsam schwer verging mir das Lachen wieder. „Ich... weiß einfach, dass es kein Abschied für immer ist. Vor allem weiß ich, dass uns diese Trennung mehr bringen wird, als wenn du mit gehst und wir uns beide mit dem was passieren wird kaputt machen.“
Stolz lehnte er seine Stirn an meine. „Versprich mir einfach, dass du kein Werwolf wirst.“
Nun musste ich doch wieder lachen. „Und du versprich mir, dass du hier sein wirst. Dass wir von neuem anfangen werden. Zusammen.“
Elth umfasste mein Gesicht mit seinen Händen und sah mich ernst an. „Ich liebe dich, mein Schatz.“
Liebevoll lächelnd schmiegte ich mich in seine Hände. „Ich liebe dich auch.“ Mit einem langen Kuss besiegelten wir unser Versprechen.

 

- - - - - 

 

„Bist du sicher?“ Fragte Lissy, als sie mir einen kleinen grünen Stein in die Hand drückte, der sich unnatürlich warm auf meiner Haut anfühlte. Sie selbst hielt einen Identischen in ihrer Hand.
„Nun, ja... Ich habe so etwas noch nie gemacht.“ Gab ich zu und betrachtete den kleinen Zauberstein. Während wir unterwegs quer durch die Staaten gewesen sind, war Lissy auf ihre eigene Art und Weise tätig gewesen. Sie hatte, ursprünglich für Elth und mich, zwei Reisestein gekauft, doch jetzt ging sie an Stelle ihres Bruders. Die Steine funktionierten ganz einfach. Eine Hexe hatte mittels ihrer Magie einen Reisezauber auf zwei völlig normale Flusssteine gelegt. Sobald man ihn auf den Boden wirft und dabei an den Ort denkt, welchen man Erreichen möchte, brachte einem der Stein dorthin.
Leichter gesagt als getan, wie sich herausstellte.
Da Elth das Gebiet um Gaels Haus herum besser kannte, als Lissy oder gar ich, mussten wir uns einen Zwischenstopp in dem letzten Dorf, welches man durchquerte, bevor man Gael erreichte, anvisieren. Über das Internet hatten wir uns einen geeigenten Platz gesucht, uns das Bild eingeprägt und blickten uns nun zweifelnd an.
Elth hatte gut eine halbe Stunde damit verbracht Lissy über ihre Pflichten aufzuklären und ihr geschworen jeden Knochen nacheinander zu brechen, insofern mir irgendetwas passieren sollte.
Dafür hatte er zwar Schläge kassiert, aber er meinte, dies wollte er schon immer einmal zu seiner Schwester sagen. Kopfschüttelnd hatte ich mich daran gemacht die Wäsche zu machen, so zu sagen um mich bei ihr für ihre geborgte Kleidung zu bedanken.
Nun standen wir zu zweit im Badezimmer, da man so etwas in einem geschlossenen Raum machen sollte und hielten uns an den Händen.
Die Verabschiedung, besonders bei Lissy von ihren Kindern, hatte viel länger gedauert als beabsichtigt, jetzt hatten wir etwas Zeitdruck. Noch einmal betrachtete ich den Stein in meiner Hand und hob ihn zweifelnd an. Ob das gut gehen wird?
Fest drückte Lissy meine Hand noch einmal, bevor sie bis drei Zählte. „Eins.“ Begann sie. Ich schloss die Augen und dachte, so stark ich konnte an das Bild, welches wir bereisen mussten. „Zwei.“ Dabei wussten wir nicht einmal, ob es so auch funktioniert. Die Hexe meinte, es funktioniere, bloß wenn man diesen Ort bereits einmal gesehen hat. Ob das auch für Bilder aus dem Internet galt? Immerhin waren sie doch sehr detailreich. „Drei.“ Gleichzeitig warfen wir die Steine auf den Boden. Anstatt eines vermuteten Knalles, wie es eben bei >Stein trifft hart auf Fliese< sein sollte, erklang ein reißendes Geräusch. Zuerst schienen die Steine einfach >zersprungen in ihre Einzelteile und an Glanz verloren< da zu liegen, völlig zu nichts zu gebrauchen, als sich bloß einen Moment später grüner Rauch unsere Beine hinauf bewegten. Es ging also doch los. Noch einmal und noch stärker dachten Lissy und ich an den Ort, an welchen wir wollten, eine gefühlte Sekunde später verlor ich auch bereits ihre Hand aus meiner.
Als ich nun die Augen öffnete und verwirrt auf die Stelle wo sich eigentlich die fehlende Hand befinden sollte, starrte, wurde mir bewusst, dass es geklappt hatte. Zumindest bei mir.
„Lissy?“ Fragte ich und kontrollierte nebenbei, ob mein Rucksack auch noch wirklich auf meinen Schultern saß. „Hier oben!“ kam es gut über drei Meter von mir entfernt. Lachend winkte ich zu ihr hoch.
„Was zum... Wie bist du denn da rauf gekommen?“ Lissy saß, sichtlich verärgert, hoch oben in den Bäumen und machte ihren eigenen Rucksack von Ästen frei. „Was denkst du denn? Ich Idiot habe mir die Bäume gemerkt und fest an sie als Orientierungspunkt gedacht.“
Lachend hielt ich mir den Bauch. Gut, dass ich eher an die freie Stelle >zwischen< den Baumreihen gedacht hatte, denn nun stand ich, gut zwei Meter, von der Straße entfernt und lachte genüsslich Lissy aus, die sich bereits an den Abstieg machte.
Zornig geworden verwandelte sie sich, riss den gesamten Ast, auf dem sie bis eben noch gehockt hatte, entzwei und sprang elegant auf den Boden.
Selbstzufrieden klopfte sie ihre Hose ab. „Erinnere mich so etwas nie wieder zu machen.“
Ich half ihr dabei den restlichen Baum aus ihrem dünnen Haar zu pflücken, dann machten wir uns auch bereits auf den Weg zur Vorderseite des Gasthauses, welches wir uns ausgesucht hatten.
Von dort aus waren es bloß noch zwanzig Kilometer Luftlinie bis wir in die Nähe von Gael Anwesen kamen. Näher hatten wir uns einfach nicht herangewagt.
Da wir jedoch leider nicht den Weg per >Luftlinie< einschlagen konnten, sondern Wanderpfade und Ähnliches zur Orientierung nehmen mussten, konnten es gut mehr als zwanzig Kilometer sein, bis wir endlich auf den Zauber trafen. Sicherheit ging eben vor, oder nicht?
Wir hatten bereits gut einen Kilometer zwischen uns und das kleine Dorf gebracht, als Lissy ein Gespräch begann. „Also... ich will ja nicht neugierig sein, oder so etwas, aber du und mein Bruder?“
Völlig überrumpelt von dieser indirekten Frage, wurde ich rot im Gesicht und fand plötzlich großen Gefallen an der Straße, auf welcher meine Beine sich gemächlich vorwärts bewegten.
„Also... ja.. Na, ja...“ Stammelte ich. Was sollte ich auch groß darauf sagen?
„Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich es schon geahnt habe?“ Fragend blickte ich die blauhaarige Raubkatze an.
„Wie meinst du das?“
„Damals, als Elth dich zu mir in den Markt geschickt hat. Glaube mir, er hat nicht irgendeinen ausgesucht. Er wusste, dass ich zu dieser Zeit dort gearbeitet habe.“
Verblüfft wusste ich nicht recht, was ich darauf erwidern sollte. Aber vermutlich hatte sie recht. Elth hätte mich niemals alleine irgendwo hingeschickt, wenn er keine Ahnung hat >wer< genau sich dort herum trieb, oder >was<. „Damals waren wir aber noch lange nicht so weit.“ Erinnerte ich sie. „Du vielleicht nicht. Elth schon.“
Was? Nein, sie musste sich irren. Das ist doch ein Blödsinn, als ich Lissy traf, hatte ich gerade einmal vor ein paar Stunden etwas von Elths wahren Identität erfahren. Das war direkt nach meinem >Unfall< mit dem Motorrad. „Elth hatte damals noch keine Gefühle für mich. Du musst dich irren.“
Schmunzelnd schenkte sie mir einen vielsagenden Blick. „Er ist mein Bruder. Denkst du nicht, ich sehe nicht, wenn er sich wie ein Idiot aufführt?“
„Tut er das nicht immer?“ Fragte ich scherzend. Lissy lachte begeistert auf. „Du hast recht. Elth ist nicht unbedingt einfach. Vielleicht habe ich es auch bloß gesehen, weil ich ihn bereits seit Jahrzehnten kenne. Er war dir gegenüber einfach so... süß.“
Süß? Gut, jetzt war es offiziell. Lissy und ich hatten definitiv verschiedene Definitionen von dem, sichtlich dehnbaren, Begriff >süß<. „So ein Unsinn. Elth war damals... nervig, störrisch, arrogant, aufdringlich, teilweise sogar ein Tyrann und...“ Okay... wenn ich Genauer darüber nachdachte, stimmte es wirklich.
Wie ich bereits feststellen musste, hatte Elth einfach eine eigene Ansicht davon, wie er jemanden beschützt. Zudem brauchte ich bloß daran zu denken, was er bereits alles über mich gesagt hat, wie er über mich dachte, dass er von Anfang an besitzergreifend und fürchterlich eifersüchtig gewesen ist. „Gut, ich gebe auf, du hast recht.“ Gab ich nach.
„Ich bin froh, das ihr endlich zueinandergefunden habt, auch wenn es mir lieber wäre, ihr hättet noch etwas gewartet.“
Schmunzelnd dachte ich an die letzten drei Jahre zurück. Zwei davon wusste ich zwar nichts von seiner Existenz und eines davon hatte ich ihn verabscheut. Aber gut, jeder hatte ein anderes Zeitgefühl, was die Vergangenheit anging.
„Hast du dich eigentlich bereits entschieden? Bleibst du ein Mensch?“ So offen hatte ich eigentlich noch nie mit jemanden darüber gesprochen.
„Nein, ich möchte kein Mensch bleiben.“ Antwortete ich ehrlich. „Aber ich weiß auch nicht, was ich sonst werden soll. Elth sagte mir, ich solle bloß keinen Werwolf wählen.“
Lissy grinste und stimmte ihrem Bruder zu. „Ja, das könnte durchaus zu einem Interessenskonflikt führen.“
„Ich dachte etwas in die Richtung von einer Hexe, oder etwas ähnlich langlebigen.“
„Kein Vampir? Vielleicht Fee?“ Schlug Lissy vor. Sofort verzog ich das Gesicht. Die Aussicht, mein ganzes Leben durch Blut bestimmen zu lassen, behagte mir kein Stück. Jedoch wenn ich daran dachte eines Tages, denn dies würde zutreffen, so zu enden wie die Fee aus Idaho, sobald Elth alterte, kam mir das Grauen. „Nein, danke. Auf beides verzichte ich liebend gerne.“
„Vieles bleibt dir dann so wie so nicht mehr übrig. Kreischer sind Menschenähnlich, das würde an deiner Langlebigkeit nichts ändern, genauso wie Sukkubi, damit würdest du Elth töten.“ Nickend stimmte ich ihr zu, während sie weiter überlegte.
„Ein Engel ohne Gefühle wäre ebenfalls etwas kompliziert.“ Half ich ihr weiter.
„Stimmt. Dann bleiben dir so wie so bloß noch Hexe, oder Werwolf. Gestaltwandler leben genauso lange wie Menschen.“ Fügte sie noch hinzu.
„Was ist der Unterschied von euch, zu Gestaltwandler?“
Knurrend warf mir Lissy einen vorwurfsvollen Blick zu. „Vergleich mich ja nicht mit diesen Kreaturen. Sie können jegliche menschliche Gestalt annehmen, egal welches alter oder Geschlecht die Person besitzt. Sie brauchen dafür nichts weiter als deren Bild. Sie sind nervige und hinterhältige Biester.“ Meine neue Freundin kam regelrecht in Rage.
„Wo ist dann der Unterschied zu euch? Ihr tarnt euch doch auch als Menschen.“ Ich wollte nicht beleidigend klingen, doch ganz ehrlich waren Menschwandler mit ihrer Herkunft doch auch nicht. „Gib eine Ruhe, ich mag sie einfach nicht.“
Kichernd gab ich auf. „Na gut, wir sollten so wie so eine Pause machen.“
Wir erreichten eine Kreuzung, auf welcher wir uns nun endgültig von der Zivilisation verabschieden würden. Einen Moment verschwanden wir beide, nacheinander im Gebüsch, um uns zu erleichtern, dann saßen wir noch ein paar Minuten im kalten Gras, um zu trinken und uns zu erholen.
„Machen wir uns besser auf den Weg, sonst ist es dunkel, bis wir bei Gael sind.“ Beschloss Lissy. Gehörig kam ich ihrer Aufforderung nach, vor allem da ich bereits zitterte und hoffte in der Bewegung wieder etwas Wärme zu finden.

 

- - - - - 

 

Nach gut fünf Stunden legten wir die nächste Pause ein. Ich ergriff sofort die Chance, um Lissy ihr Handy abzuluchsen. „Kann ich es mir für einen Moment ausleihen?“ Fragte ich und hob es hoch, damit sie verstand, wovon ich sprach.
Sofort bekam ich einen Blick, der mir sagte, dass sie genau wusste, wofür ich es brauchen würde und grinste dabei schief. „Hast du bereits solche Sehnsucht?“ Zog sie mich auf, doch nickte dabei.
Murrend ging ich einige Schritte abseits, sie musste ja nicht unbedingt alles hören. Da Lissy Elths Nummer eingespeichert hatte, fiel es mir leicht ihn, mit der Kurzwahltaste zu erreichen. Woher hatte Elth übrigens schon wieder ein Handy? Aus ihm wurde ich einfach nicht schlau.
„Hi, Schatz.“ Erklang Elths Stimme regelrecht erleichtert.
„Woher wusstest du, dass ich es bin?“ Wollte ich sofort wissen.
„Weil du nervös bist, zumindest seit einer Minute und plötzlich ruft mich Lissys Nummer an. Ich kenne dich wohl einfach zu gut.“ Ja, die Befürchtung hatte ich auch. Aber war natürlich nicht abgeneigt dagegen. Im Gegenteil, ich fühlte mich wohl bei der Vorstellung.
„Vielleicht rufe ich ja an, um dir zu sagen, dass ich einen anderen Typen habe und war deswegen nervös?“ Zog ich ihn auf, obwohl es völliger Unsinn war. Er lachte begeistert und ich hörte, wie er den Deckel eines Topfes schloss. Kochte Elth etwa schon wieder? Die letzten Male hatte ich keine guten Erfahrungen damit gemacht. Ich brauchte bloß an den riesigen rohen Fisch, gefüllt mit Fischpastete denken. Alleine bei der Erinnerung wurde mir übel. Manches würde ich einfach niemals verstehen.
„Das würdest du nicht.“ Hörte ich da etwa einen bedrohlichen Unterton heraus?
„Du traust mir wohl nicht zu, dass ich mehrere Männer auch gleichzeitig haben könnte. Immerhin stehe ich hier nicht unter deiner eifersüchtigen Hand.“ Stichelte ich weiter, da es mir Spaß machte einmal die Zügel zu halten.
„Natürlich traue ich dir das nicht zu, außer du willst einen Massenmord provozieren.“ Schmunzelnd lehnte ich mich an eine alte Tanne und scharrte mit dem Schuh in einem der letzten verbliebenen Schneehaufen. Vermutlich ist er erst vor Kurzem von der Tanne gerutscht, doch nicht fertig geschmolzen.
„Du bist ein Idiot.“
Jetzt hörte ich auch wieder ihn lachen. „Und du verzogen.“
Tiefe Entspannung breitete sich in meinem Körper aus. Alleine dieser kleine Schlagabtausch quittierte die viel zu vielen Stunden, welche ich bereits ohne ihn war, glichen es regelrecht aus. Wie konnte es bloß so weit kommen, dass ich ihn jetzt schon so unsagbar vermisste? Ständig ging mein Blick suchend nach ihm durch die Baumreihen, als würde er mich jeden Moment mit seiner Anwesenheit überraschen. „Ich vermisse dich.“ Auch wenn es eigentlich ein Eingeständnis meiner Schwäche war, musste ich ihm das einfach sagen. Vermutlich wusste er es so wie so bereits.
„Ich dich auch. Bloß noch acht Tage, Schatz.“
Ich nickte zustimmend, bevor ich realisierte, dass er es doch überhaupt nicht sehen konnte. „Bald beginne ich die Stunden zu zählen, dabei sind die letzten Monate beinahe wie im Flug vergangen.“
„Das war bloß, weil ich bei dir war, da musstest du an nichts anderes als mich denken.“ Okay, jetzt wurde er wieder übermütig, doch er hatte recht.
„Stell keinen Unsinn an.“ Verabschiedete ich mich.
„Und du hör gefälligst auf Lissy, sonst muss ich sie bestrafen.“ Drohte er knurrend.
„Wir hören uns.“
„Bye, Dell.“
Wehmütig legte ich auf, doch bereute es sofort, nicht noch gesagt zu haben, dass ich ihn liebe. Sollte ich ihn jetzt noch einmal anrufen?
Ach! So ein Quatsch. Das war doch lächerlich. Er wusste, wie ich für ihn fühle. Das alleine zählte doch, außerdem würde er mich ja doch bloß wieder aufziehen, oder mich irgendwann nervig und anhänglich finden.
„Schau doch nicht so traurig. Sobald alles vorbei ist, könnt ihr euch die Zeit nehmen, die ihr braucht.“ Begrüßte mich Lissy, als ich mich neben sie auf einen Stein setzte und dankend ein belegtes Brot entgegennahm.
„Hast du gelauscht?“
Sie hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Sonst gibt es hier nicht wirklich etwas interessantes.“ Zog sie mich auf, wofür sie einen verärgerten Blick kassierte.
„Du hättest derweilen einen Hasen fangen können oder so etwas.“ gab ich zurück, wofür nun ich denselben Blick kassierte. Kurz daraufhin lachten wir erheitert, bevor Lissy ihren Kopf auf meine Schulter sinken ließ. „Ich bin froh, dass du meinem Bruder den Kopf verdreht hast.“
„Wieso das denn?“ Hakte ich belustigt nach. „Sonst würde ich mich noch in dich verlieben und das könnte durchaus problematisch werden.“
Die Augen verdrehend legte ich meinen Kopf an ihren. Kurz kuschelten wir so aneinander, was mich daran erinnerte, dass ich dies früher eigentlich bloß mit Nadja getan habe. Schwermütig dachte ich an diese Zeit zurück, meine erste und richtige beste Freundin, welche ich jemals gehabt habe. Jetzt hatte ich wohl noch eine zweite gefunden, die bald noch mehr wie eine Schwester für mich sein würde, Alleine schon, da sie nichts von dieser anderen Welt wusste und ich ihr niemals davon erzählen würde. Ich wollte sie hier nicht mit hinein ziehen. Sie ist ein Mensch. Vor so etwas wie das hier musste ich sie unbedingt beschützen.

 

- - - - -

 

"Okay, ich denke, von hier aus sollten wir nicht mehr weiter gehen.“ Lissy ließ ihre Sachen auf den Boden fallen, verwandelte sich in ihre Halbgestalt und witterte in der Luft. Ich selbst griff in meiner Jackentasche nach der Nagelschere, von welcher ich bisher noch immer irritiert war. Schon klar, er hatte einfach nichts anderes Handliche in der Nähe gefunden. Trotzdem war es seltsam einen Magier mit einer Nagelschere zu rufen. Okay, so etwas sollte ich wohl besser niemals laut aussprechen.
„Und wie erreichen wir deinen Magier jetzt?“
Meinen? Was sollte der Unterton? „Ich weiß es klingt dämlich, aber mit dem hier.“ Vielsagend hob ich die Nagelschere zwischen uns, woraufhin Lissy eine Augenbraue ungläubig hochzog. „Im ernst? Dell, ich zweifle zwar nicht an deinem Urteilsvermögen, aber das ist eine Nagelschere!“ Sie nahm mir besagtes Utensil aus der Hand und betrachtete sie eingehender. „Der hat euch doch aufs Kreuz gelegt.“ Schimpfte sie nun. „Probieren wir es einfach.“ Schlug ich vor. Was anderes konnten wir doch an diesem Punkt so wie so nicht tun.
„Aber wehe es funktioniert nicht, dann besuche ich diesen Idioten persönlich!“ Knurrend gab sie mir die Nagelschere zurück. Für einen Moment betrachtete ich sie ungläubig und schickte ein stummes Stoßgebet zum Himmel, dass der Magier uns nicht >aufs Kreuz gelegt<.
Mit geschickten Fingern zog ich die Schere auseinander und benutzte etwas >liebevollen< Nachdruck, damit ein leises >Knack< entstand und ich jeweils ein Teil der Schere in jeder Hand hielt. Dabei verlor ich zwar den winzigen Schrauben, der beide Teile gehalten hatte, doch selbst wenn ich ihn wieder finden würde, wäre er nutzlos für mich.
Eine geschlagene Minute standen Lissy und ich uns unsicher umsehend, gegenüber, während wir warteten, dass der Himmel über uns hinein brach. Im besten Fall zumindest.
Als nach eineinhalb Minuten noch immer nichts geschah, knurrte Lissy verärgert. „Ihr seid wirklich zwei Narren. Eigentlich habe ich euch eine wesentlich bessere Menschenkenn...“ Lissy verstummte und wir traten gleichzeitig einige große Schritte zurück, als sich aus dem Nichts ein dunkles Loch vor uns auftat. Auch wenn ich es bereits zwei Mal gesehen hatte, erschreckte mich diese Art der Fortbewegung mehr als so einiges anderes.
Aus dem Loch hob sich wie durch Geisterhand eine vollkommen in schwarz verhüllte Gestalt, bevor sich unter ihm einfach wieder der Erdboden zu tat, als wäre niemals etwas geschehen. „Ihr solltet besser weiter zurück treten.“ Der Hexer zeigte sein Gesicht nicht, denn mit dem dicken Umhang, verdeckte er sein Gesicht bis zum Kinn hinter einer riesigen Kapuze, die leicht für zwei Köpfe gereicht hätte.
Sofort trat Lissy auf mich zu, packte mich am Unterarm und zog mich fort von dem Schwarzmagier. „Ihr habt euer Vertrauen in einen Schwarzmagier gelegt? Seid ihr beiden von allen guten Geistern verlassen?“ Schimpfte sie mich aus. Hatte Elth sie etwas selbst über das nicht aufgeklärt? Wieso musste ich es denn ausbaden? Dieser Feigling!
„Ich dachte eigentlich, dass Elth es dir erzählt...“
„Hier geht es nicht darum, was er mir erzählt, oder nicht, er hätte dich gar nicht erst dieser Gefahr aussetzen dürfen.“ Schimpfte sie weiter, wobei ich mir richtig dumm vorkam.
„Er ist unsere letzte Hoffnung. Uns gingen die Optionen aus.“ Verteidigte ich mich.
Bloß im Augenwinkel nahm ich wahr, wie die dunkle Gestalt bedrohlich auf uns zu trat.
Lissy drehte sich sofort knurrend um und musterte ihn abschätzig. „Seid Ihr sicher, dass hier der Bann ist?“ Fragte der Hexer nach.
Ich nickte etwas verunsichert. Lissy hatte ja recht. Ich kannte diesen Mann nicht. „Zumindest hier in der Nähe. Wir haben es nicht gewagt noch näher heranzugehen, sonst wären wir noch in der Störung gelandet.“ Erklärte ich wahrheitsgemäß.
Ich konnte zwar seinen Blick nicht sehen, doch drehte sich der Magier wieder um, in die Richtung, in welche Gaels Haus lag, und deutete uns ihm zu folgen. „Kommt mit.“
Lissy wechselte einen mahnenden Blick mit mir, bevor sie nach ihrem Rucksack griff und der Gestalt in einigem Abstand folgte. „Willst du unbedingt in den Zauber hinein laufen?“ Fragte sie provokant, als wir gut einen Kilometer stumm zurückgelegt hatten und immer mehr Abstand zwischen den Hexer und uns brachten, ohne dies zu merken.
Er wandte sich nicht um, sondern stapfte weiter durch die winterliche Landschaft. „Wir sind bereits mittendrin, falls du es nicht bemerkt haben solltest.“
Fauchend sah sich Lissy um, selbst mir stockte der Atem. Hatte er uns etwa ausgetrickst?
„Beruhige dich, Menschwesen.“ Kam es von unserem Führer, als Lissy begann ihn knurrend zu beschimpfen. „Der Zauber ist so schwach gewesen, dass er alleine schon unter meinem Tasten zusammen gebrochen ist. Offensichtlich hat es euer geschätzter Freund vernachlässigt den Schutz zu erneuern.“ Beruhigte er uns wieder.
Zumindest beruhigte er damit die kampflustige Raubkatze, die zwischen uns beiden ging. Mir machte er damit bloß noch mehr Angst. Wie konnte Gael denn so etwa vergessen? Das konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Vielleicht war er überhaupt nicht hier, suchte nach Elth und mir, während wir hier unsere Zeit verschwendeten. „Wie lange hält so ein Zauber?“ Fragte ich nach.
„Kommt auf die Fee an. Auf ihr Talent, welche Hilfsmittel sie benutzt hat. Besonders bei Mischlingen kann man bloß von Stunden bis hin zu Wochen ausgehen.“
Stunden, oder Wochen? Ersteres gefiel mir besser. Vielleicht hatte er einfach einen Mittagsschlaf gemacht und auf so etwas banales vergessen? Ja, das musste es sein.
„Bestimmt ist er bloß unterwegs. Wir warten einfach auf ihn in seinem Haus.“ Schlug ich Lissy vor, doch sie beachtete mich überhaupt nicht. Überrascht stellte ich fest, dass sie sogar den Magier einholte, an ihm vorbei lief und irgendetwas vor uns anvisiert hatte.
Sofort beschleunigte ich meine Schritte, bis ich gleichauf mit dem Magier war. Zwar konnte er mit seinen langen Beinen wesentlich größere Schritte machen, doch das Gewicht seiner Kleidung und der Schuhe zog ihn definitiv etwas hinunter. „Lissy? Wo läufst du denn hin?“ Rief ich ihr hinterher, als ich sie nicht mehr sehen konnte, fand jedoch bloß einige Meter weiter ihren abgeworfenen Rucksack, so wie ihre Jacke. „Bleibt lieber zurück, Prinzessin. Offenbar hat Eure Wächterin etwas gewittert.“ Eine schwere Hand legte sich auf meine Schulter, als ich zum Rucksack laufen wollte und hielt mich zurück. Fragend sah ich zu dem Magier auf, welcher seine Kapuze etwas zurückgeschoben hatte, doch immer noch konnte ich nicht mehr als seine Kinnpartie erkennen. Ob er dies mit Absicht tat? Damit ihn niemand erkannte? Aber wer sollte das hier schon?
„Was denkst du, hat sie gerochen?“ Fragte ich verunsichert nach. Der Magier griff unter seinen dicken Mantel und zog etwas hervor, das wie ein eiserner Schlagstock aussah. Er sagte etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand, im nächsten Moment >klappte< sich der >Schlagstock< aus und ein Schwert, mit einer sehr ungleichmäßigen Schneide, welche beinahe wie Zähne wirkte, erschien.
„Das werden wir gleich herausfinden.“
Zusammen traten wir durch das letzte Gebüsch und mir klappte der Mund auf.
Ich konnte es nicht glauben. Oder zumindest wollte ich es nicht. Viel zu furchtbar war die Realität. Im Grunde hatte sich kaum etwas verändert, abgesehen, dass wesentlich weniger Schnee als noch vor einer Woche auf der weiten Ebene vor Gaels Haus lag.
Dass was sich jedoch radikal verändert hatte, war Gaels Haus selbst. Ein dunkler Schatten lag über dem, ehemalig, dreistöckigen Gebäude. Es war vollkommen in sich eingefallen, Ruß hatte sich an den Wänden zu schaffen gemacht, sämtliche Fenster waren zerborsten und dicke Löcher hatten sich in den Wänden gebildet.
Ungläubig versuchte ich, einen Ton heraus zu bringen, doch war unfähig dazu. Lissy kniete vor einem Toten, der bereits tief gefroren war und suchte etwas in seinen Taschen. Ihr Körper war bedeckt von goldenen Fell mit dunklen Flecken, bloß ihr Schwanz, der nicht wie bei anderen Geparden weiß an der Spitze endete, sondern rotbraun, ließ darauf vermuten, dass sie ein Mischling ist. Auch die Tränenzeichnungen unter den Augen fehlten ihr, genauso wie Elth.
„Sie sind bereits seit Tagen tot.“ Erklärte sie, als wir näher traten. Der Hexer hielt immer noch sein magisches Schwert gezogen, während er sich das Feld der toten genauer ansah. „Was ist hier passiert?“ Fragte ich nach, auch wenn mir bestimmt keiner, der hier anwesenden Sagen konnte, was hier geschehen ist. „Gael scheint sich ausgetobt zu haben.“ Versuchte Lissy mich aufzumuntern. Ja, alle waren eindeutig durch eine Klinge gestorben. Große Einstichstellen, Enthauptungen und Verluste einzelner Gliedmaßen machte deutlich, wie stark Gale hier gewütet haben muss.
Jetzt blieben bloß noch die Fragen offen: >Was für Wesen hatten sich mit Gaeln angelegt?< >Wieso< und natürlich >Wo befand sich Gael nun?<
„Gael!“ Schrie ich mir die Seele aus dem Leib und sah dabei, dass der Magier erschrocken zusammen zuckte, als ich meine Stimme dermaßen erhob. Kurz konnte ich schwören einen vorwurfsvollen Blick von der Seite zu kassieren, doch ignorierte diesen einfach. Über die Leichen hinweg springend, lief ich auf die ehemalige, vollkommen abgebrannte, Eingangstüre zu. „Gael! Ich bin es Dell!“ Schrie ich, hörte, wie mein Echo davon getragen wurde, in die Wälder hinein, doch nichts kam zurück.
Gemächlich, doch mit prüfenden Blicke auf die Bäume werfend, folgten mir der Hexer und meine Wächterin, während ich nervös um das abgebrannte Gebäude herum lief. „Dell! Warte doch.“ Rief mir Lissy hinterher, doch ich wusste, dass meine beiden Gefährten mich mühelos einholen konnten, wenn sie es darauf anlegten.
„Dell, es könnten noch Feinde in der Nähe sein!“ Schrie Lissy noch einmal. Zwar drosselte ich mein Tempo, damit sie mich nicht aus den Augen verloren, doch hielt deshalb noch lange nicht an.
Gerade bog ich um die hintere Hausecke, zumindest darum, was noch übrig war, um im verschneiten Hintergarten nach Gael zu suchen, oder zumindest einer Spur von ihm, als ich diesen auch schon fand.
Jedoch keinesfalls so wie ich es erwartet hätte. Stolpernd kam ich zum Stehen und betrachtete ungläubig den Leichenberg von gut über dreißig Toten. Sie lagen geschlachtet und ausgeweidet vor meinem schlimmsten Albtraum. Gehäuft und teilweise bereits verbrannt, lagen sie auf so etwas wie einem Scheiterhaufen und brutzelten unbeaufsichtigt vor sich hin. Allzu lang konnten sie noch nicht brennen, doch lag mein Augenmerk nicht unbedingt auf ihnen. Eigentlich waren mir die toten Feinde herzlich egal. Das Einzige was ich sah, war der Rest des einst so schönen Engels.
Zitternd gaben meine Beine nach und ich sank langsam zu Boden, wo bereits die weiße Kälte auf mich wartete und versuchte, das Bild aus meinen Augen zu verdrängen. Blut. Überall wo ich hinsah und das sogar noch schlimmer als vor einigen Tagen im Schloss der Vampirkönigin.
Unfähig etwas zu sagen, als mich Lissy abermals rief, nahm ich diesen schrecklichen Anblick unwiderruflich auf. Selbst wenn ich bloß eine Sekunde auf diese Mahnung geblickt hätte, wäre mir der Anblick niemals wieder aus den Gedanken gegangen. Alles fühlte sich so falsch daran an. Niemand sollte dermaßen hingerichtet sein.
So etwas wie eine Art Speer streckte sich aus Gaels Bauchraum und war das Einzige, was den toten Halbengel noch aufrecht hielt. Seine einst weißen Flügel hatten ein ihren Glanz verloren, zeigten etliche Löcher auf und waren alles andere als zum fliegen geeignet. Zu allem Überfluss kam auch noch die Tatsache, dass ich Gaels Herz ganz genau erkennen konnte. Still hing es da, aus seinem blutigen Brustkorb heraus, festgefroren an seinem ehemaligen weißen Hemd und auch einige andere Organe, die ich überhaupt nicht besonders genau beäugen wollte, lagen vor ihm herum, als wären sie zufällig dort platziert worden.
Das Letzte was ich wahr nahm, war ein spitzer Schrei, der sämtliche Vögel in der Umgebung aufschreckte und selbst meine beiden neuen Gefährten zu Boden zwang aus Schmerzen.
Danach brach die Hölle einfach aus den Wäldern hervor und stürzte sich mit lauten Schüssen auf uns.

 

 

- - Ende des 1. Teils - -

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 03.02.2016

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /