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Tag 1 Donnerstag

Lektion 1: Sei deinen Freunden nah, doch deinen Feinden noch näher!

 

 

Mit langen Schritten ging ich gemütlich durch den Gang, der Schule, an der ich mich vor kurzer Zeit neu eingetragen hatte. Meine niederen Absätze klapperten laut auf dem Schulflur und erregten die Aufmerksamkeit der anderen Schüler. Einige Mädchen am Eingang fingen wie gackernde Hühner an zu tuscheln und ich schüttelte genervt den Kopf. Einige Meter weiter standen Jungs aus einer Sportgruppe und checkten mich ab. Demonstrativ richtete ich meinen Blick hinunter auf mein Notizheft und suchte nach der Notiz, die mich an mein Ziel führen würde.
Eigentlich wusste ich es so wie so, da ich bereits den Grundriss der ganzen Schule in meinem Kopf abgespeichert hatte, doch somit konnte ich den Blicken der anderen ausweichen.
Im Grunde empfand ich dies ja als eine schlechte Idee, da ich somit nicht sehen konnte, wenn ich dem oder derjenigen über den Weg lief, die ich suchen musste. Hinter mir ertönte ein anerkennender Pfiff von einem der Jungen aus der Sportgruppen und ich drehte mich elegant zurück. Meine schwarz gefärbten Haare, flogen um mein Gesicht und enthüllten es langsam, während ich ihnen ein strahlendes Lächeln zuwarf.
Sofort fingen sie an wie pubertäre Kinder, die sie ja im Gegensatz zu mir auch waren, zu lachen und ich wandte mich kopfschüttelnd ab.
Ich hasste Schulen. Gerade einmal von ihnen heraus gewachsen, so musste ich unbedingt einen Auftrag in einer finden. Wie lästig.
Ich blieb an meinem Spind dreiundsiebzig stehen und gab den Code ein, den jeder Spind trug. Als ich wieder abschloss, änderte ich ihn und ging in das Klassenzimmer, das sich genau daneben befand.
Bereits waren alle Stühle besetzt und über mir erklang das Leuten der Schulglocke.
Sie dröhnte schrill in meinen Ohren und ich betrachtete sie genervt. „Wie lästig...“ Meine Stimme klang für andere angenehm, zumindest hatten mir das bereits genug Leute bestätigt. Also musste es stimmen.
Hinter mir hörte ich ein räuspern. „Sie sind also die Neue? Mein Name ist Herr Lasten. Bitte kommen Sie mit. Ihr Stundenplan liegt bereits auf meinem Tisch.“
Natürlich besaß ich bereits einen Auszug meines Stundenplans, da ich mich in die Schulcomputer eingehackt hatte, doch ich nickte freundlich und folgte ihm zum Lehrertisch. Mister Lasten war ein grau köpfiger Mann, Mitte fünfzig. Das sah man ihm auch an. Schon das Register an seinen täglichen Besuchen beim Psychiater waren erschreckend, doch das ging mich nichts an. Ich hatte größere Pläne.
Dankend nahm ich den überflüssigen Stundenplan in die Hand und tat so als würde ich diesen studieren. „Stell dich noch schnell vor und dann setzt dich auf einen freien Platz.“
Ich drehte mich nun zum ersten Mal zu meinen dreiundzwanzig Mitschülern um und lächelte alle herzlichst an.
„Hallo! Ich bin Schirin. Schirin Tabea. Meine Eltern und ich sind vor wenigen Wochen in die Nachbarschaft gezogen. Ich hoffe auf gute Zusammenarbeit und das wir uns alle mögen.“
Irgendwo in der Ferne vernahm ich das Gekicher mehrere Mädchen und zwinkerte ihnen zu. Während ich meinen Blick schweifen ließ, um das zu finden, wegen dem ich hier war, setzte ich mich auf meine Schulbank und legte die Beine übereinander.
Der Lehrer begann mit der Einführung in den Unterricht und ich musterte die Schüler. Die Gruppen in der Klasse ließen sich ziemlich einfach ausfindig machen, da sie sich immer im Blick hatte, oder in einer Reihe saßen.
Ganz oben in der Schulrangordnung schienen vier aufgetakelte Mädchen zu sein, die mich ständig wütend anfunkelten. Anscheinend sahen sie mich als Konkurrentin an.
Nun ja mit meinen einen Meter siebenundsiebzig war ich nicht gerade klein. Meine Wangenknochen ließen mein Gesicht zarter erscheinen, als ihres jemals sein würde, das lag in der Familie. Meine Starken und durchtrainierten Arme und Beine ergaben den perfekten Kontrast und die roten Röcke, die zu unserer Uniform gehörten, unterstrichen das auch noch. Meine schwarzen Haare hatte ich seitlich an meiner Schulter wild gelockt herunter hängen und spielte mich gelangweilt mit einer Locke, während ich weiter blickte. An der Seite der Wand saßen die typischen ober klugen und ausgeschlossenen.
Mit ihnen würde ich bei meiner Suche anfangen. Was ich suchte?
Wölfe.
Und da erblickte ich ihn auch schon. Ein männliches Exemplar. Es saß rechts schräg vor mir, es würde einen erfahrenen Sucher wie mir nur wenige Sekunden abnehmen, bis der Wolf überrascht und tot am Boden lag, doch da meldeten sich meine Rezeptoren. Es waren mindestens fünf von ihnen hier an der Schule. Also ein ansässiges Rudel.
Das war natürlich viel besser.
Das männliche Tier, das eindeutig ein Beta war, blickte in meine Richtung und schnupperte unsicher. Wahrscheinlich konnte er meinen Geruch nicht wahrnehmen, da er unter der frischen Schicht an Haarfarbe übertönt wurde.
Seine blitzblauen Augen fixierten mich und ich lächelte ihm höflich zu. Sofort wandte er sich wieder ab und ich sah, wie er etwas in sein Handy eintippte.
Oh... Moderne Wölfe. Interessant.
Ich holte meine Schulsachen aus der Tasche und bemerkte wie er zu einem Mädchen hinüber blickte. Noch ein Wolf, nur weiblich.
Seufzend schrieb ich den Text von der Tafel ab, der mittlerweile jede Aufmerksamkeit im Klassenzimmer in Anspruch nahm und erfreute mich der kleinen Ablenkung.
Am Ende der ersten drei Stunden fingen mich die Typen aus dem Sportunterricht ab und begrüßten mich höflich.
Natürlich charmant, wie ich war, nahm ich ihre Einladung an, dass sie mich in den Hof führen durften, und hackte mich im Arm des eindeutigen Anführers der kleinen Gruppe unter.
Der Wolf, der sich ebenfalls in meiner Klasse befand, folgte der Sportgruppe und mir hinaus. Anscheinend gehörte er ebenfalls dazu. Interessant...
Lachend verdrückte ich mich mit den Sportlern in eine Ecke der Schule und ließ mir diese und jene Prahlereien aufzwingen, über die ich übertrieben lachte, während ich mir wünschte, ihm einfach die Stimmbänder heraus reißen zu dürfen.
Also noch einmal zu mir. Ich heiße tatsächlich Schirin Tabea. Wegen der Namenswahl war meine Mutter eine ziemlich lustige gewesen. Sie wusste schon immer, dass ich eine Sucherin werden würde wie sie.
Abgesehen von Suchern wie mir, in deren Natur es lag, Wölfe aufzuspüren, gab es auch noch Jäger. Diese waren dazu ausgebildet Wölfe zu töten. Ihrer Ansicht nach hatten Wölfe nichts bei Menschen zu suchen, auch wenn dies ihr IQ zuließ. Für sie waren die Wölfe Verbrechen an der Natur und mussten ausgelöscht werden.
Wir Sucher hatten Jahrhunderte an ihrer Seite gekämpft als Ebenbürtige, bis einige der Sucher aufgehört hatten zu suchen und stattdessen zu lernen. Sie lernten die Gepflogenheiten und verschiedenen Angewohnheiten von wilden so wie domestizierten Wölfen. Sie lernten von ihnen, wie sie sich verhielten und wie sie dachten. Manche verliebten sich auch in diese und verursachten dadurch einen Krieg.
Lange dauerte er nicht, da sich Wölfe an ihrer Kraft und die Jäger an ihrer Anzahl ebenbürtig waren.
Ich war eine dieser, die lieber die Wölfe fanden, ausspionierten und selbst entschieden, ob sie eine Gefahr für die Menschen darstellten.
Lachend bemerkte ich, dass die vier Mädchen sich mit noch drei jüngeren zusammen gerottet hatten und allesamt mich missbilligend anstarrten. Ich deutete auf die Mädchen und erkundigte mich nach ihnen.
Anscheinend waren es Cheerleader der hier ansässigen Fußballgruppe. Sie symbolisierten den Verein und waren bei jedem Spiel tatkräftig und lautstark dabei. Interessant... Darunter befand sich eine jüngere Wölfin, als der Wolf, der sich in meiner Klasse befand und gesellte sich zu ihm. Nach ihrer Ähnlichkeit zu schätzen waren es Geschwister.
Ich verwickelte das Mädchen das sich als Mensch Joleen nannte in ein Gespräch und wir lachten ausgiebig.
Sei deinen Freunden nahe, doch deinen Feinden noch näher. Die Devise der Sucher.
„Wenn du möchtest zeige ich dir nach der Schule die Umgebung. Ich glaube du hast noch nicht viel hier gesehen, oder?“
Ich verneinte und sie erzählte mir ausgiebig, was ihre Lieblingsplätze waren.
Als es läutete ließ ich mich noch von den Jungs hinein geleiten und verabschiedete mich mit einem Augenzwinkern, während ich hörte, dass sie sich stritten wer wohl mehr Chancen bei mir hatte.
Natürlich hatte das niemand dieser kleinen Kinder.

Nach der Schule wartete bereits Joleen mit ihrem älteren Bruder im Hof und Joleen umarmte mich begeistert. Huch... Das war mir etwas zu viel Kontakt mit einem Wolf, auch wenn er eindeutig noch nicht erwacht war. Sie ließ mich los und quasselte sofort los.
Zuerst gingen wir zu einer strandbar etwas essen und genossen die warme Sonne auf unseren Körpern.
„Es muss nachts echt schön hier sein.“ Murmelte ich begeistert und vergaß dabei, dass sie mich ja hören konnte, erwacht oder nicht.
„Es ist unglaublich. Die Wellen, die Spiegelungen vom Mond und den Sternen und der unglaubliche Geruch vom Salzwasser dazu. Es ist einfach einmalig.“
Ich betrachtete das Meer und bemühte mich, ehrlich meinen Charme spielen zu lassen. Wie konnte ich am besten, was über das Rudel erfahren, wenn nicht über jemanden der das Rudel kannte.
Plötzlich sah ich drei Jungs in Badehosen und Schweißarmbänder den Strand entlang laufen. Sie strahlten so viel Dominanz aus, dass sogar ich sie spüren konnte. Die beiden Wölfe neben mir betrachtete die Gruppe voller Abscheu. Ein benachbartes Rudel, also musste hier am Strand das Territorium geöffnet sein, wahrscheinlich aus Sozialen gründen.
„Wow! Ihr habt hier aber echt heiße Jungs. Hast du eigentlich einen Freund Joey?“ Sie schüttelte den braunen Schopf, sodass ihre Haare wild flogen.
„Nein! Natürlich nicht.“
Ich lehnte mich sehr wohl wissen, dass er uns hören konnte zu Joleen rüber und flüsterte. „Sagst du das nur, weil es dein älterer Bruder nicht wissen soll?“ Und grinste verschwörerisch.
Sie kicherte und verneinte.
„Nein, natürlich nicht. Es gibt da schon einige die ich süß finde, aber die haben kein Interesse an mir.“
Ich dachte an die Sportlergruppe aus meiner Parallelklasse. „Sind sie etwa älter als du.“ Sie wurde sofort rot. „Einige ja...“
Sie blickte wieder hinunter zu dem fremden Rudel und im selben Moment blickten sie wie eine Einheit nach oben. Konnte das sein? Drei Alphas? War das überhaupt möglich? Eher unwahrscheinlich. Etwas war seltsam an ihnen. Hatte mich mein sechster Sinn etwa wegen ihnen hier her geschickt.
Der erste, der vor den anderen lief, deutete hinauf zu unserer Bar und sie bogen wie eine Person hinauf. Der Junge aus meiner Klasse wandte den Blick ab und betrachtete seinen Cocktail genauer. Joleen drehte sich ebenfalls weg und ich tat es ihnen gleich. Die Jungs bestellten lachend einige harte Getränke, die ihr Körper so wie so, so schnell verarbeitete, dass sie den Alkohol überhaupt nicht spürten, und lästerten über irgendjemanden.
Seufzend besah ich den Barkeeper, der eindeutig nervös wirkte, als könnte er spüren, dass die Jungs vor ihm wilde Tiere waren. Wölfe konnten sich perfekt anpassen und nur wenige bemerkten jemals, was sie wirklich waren. Es gab zwar welche, die hatten so etwas wie ein Bauchgefühl, doch für Menschen die nicht daran glaubten und die nichts von der anderen Welt wussten, war es nichts weiter als ein ungutes Gefühl, das sich regte.
Der Mann musste wohl auch ein drittes Auge besitzen, wenn er so reagierte.
„Hi, sieh mal. Eine neue.“ Ich blickte sie direkt, an was ihnen anscheinend gefiel.
„Na, Süße. Bist du auf der Mädchenschule? Wie ich hörte sollen eure Mädels bald wieder gegen uns verlieren.“
Im Augenwinkel sah ich, wie der Junge aus meiner Klasse unruhig wurde. Sie provozierten ihn mit Absicht.
Lässig lehnte ich mich an meinen Schulkollegen, wie es eine feste Freundin tun würde, und lächelte sie spöttisch an.
„Also ich habe ja eher gehört, das wir dieses Jahr gegen einen pubertären Kindergarten spielen. Für mich klingt das, wie ein unnötiges Spiel. Kindergartenkinder können doch niemals gegen erwachsene Mädchen gewinnen. Besonders wenn sie so hübsch sind.“
Ich strich ihm zärtlich durchs Haar und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Ein spöttisches Lächeln legte sich auf sein Gesicht und er legte einen Arm um mich, um das Spiel komplett zu machen. Von der anderen Seite der Bar erklang so etwas wie ein leises knurren und der größerer der Wölfe schlug ihm gegen das Bein.
Der was geknurrt hatte verstummte und betrachtete interessiert seinen Cocktail, während der dritte zu uns herüber kam.
„Süße, du bist neu, daher solltest du wissen, dass man sich mit uns dreien nicht anlegt. Wir können deinem hübschen Gesicht einiges zufügen.“
Ich lächelte ihn mit meinem charmantesten Lächeln an und legte ihm eine Hand auf den nackten Brustkorb.
„Oh, wie niedlich. Modetrips von einem so maskulinen Kerl wie dir. Zumindest hoffe ich, dass es ein Kompliment war, denn wenn nicht dann müsste ich wegen dieser Drohung die Polizei rufen, das sie euch vierundzwanzig Stunden zur Sicherheit in Gewahrsam nehmen.“
Er fing meinen Finger ab und lächelte noch breiter.
„Natürlich war das ein Kompliment. Wie könnte man so einer Schönheit drohen?“ Er ließ meinen Finger los und sein Blick glitt zu Joleen.
Diese erwiderte seinen Blick nur kurz und betrachtete dann ergeben den Boden unter ihren Füßen. Zufrieden glitt sein Blick zu meiner Schulkollegen, auf dessen Schoß ich fast saß, doch der erwiderte seinen Blick starr.
„Nun, denn. Wir sehen uns... Nachbarn.“
Ich winkte ihm feminin und er verschwand wieder Richtung Strand mit seinen Freunden.
Als sie außer hör weite waren, fing Joleen begeistert an zu schreien: „Das war so cool. Du bist einfach die beste. Habt ihr seinen Blick gesehen. Er war so was von sauer. Boah, Nate. Der wird dir so etwas von in den Arsch treten beim nächsten Match.“
Ich angelte derweilen nach meinem Drink und setzte mich auf meinen Hocker zurück. Nate... Das war ein gewöhnlicher Name, eigentlich.
„Danke Schirin. Die sind von einer Sportschule und dem entsprechend... aggressiv.“
Ich warf ihm einen freundschaftlichen Blick zu und schlürfte an meinem Drink.
„Nate, vergiss nicht. Hunde die bellen, beißen nicht.“
Er wirkte etwas überrascht, doch lächelte über die Redewendung.

Tag 2 Freitag

 Lektion 2: Halte dich mit Sport immer fit, auch wenn es sich nur um eine Observation handelt!

 

 

Als ich diesen Morgen durch die Eingangshalle trat, waren die Blicke verändert. Manche waren bewundert, andere fühlten sich zu mir hingezogen, was für mich normal war, doch etwas in den Blicken war intensiver geworden.
Die vier Mädchen aus meiner Klasse wirkten ziemlich aufgebracht und tuschelten freudig.
Als ich zu meinem Spind kam, roch ich schon den braten.
Jemand war eingebrochen. Ich tat so, als würde ich mein Schloss entriegeln und trat zur Seite, als die Türe aufsprang und eine braune stinkende Flüssigkeit heraus spritzte.
Einige auf der anderen Seite des Ganges schimpften lautstark und wirkten überhaupt nicht begeistert.
Ich warf den vier Mädels, die allesamt entrüstet dreinsahen einen spöttischen Blick zu und sie trotteten wie eine Einheit davon.
Es schien ihnen überhaupt nicht zu gefallen, dass ihre Falle nach hinten losgegangen war.
Sofort blickte ein Lehrer um die Ecke und seufzte genervt.
„Tut mir Leid, Schirin. Das muss so ein Typische Strich für Neulinge sein.“
Ich lächelte ihn freundlich an. „Ach das macht doch nichts. Ich verstehe das schon. Trotzdem wische ich das nicht auf. Vielleicht sollten die Witzbolde nächstes Mal Streiche verwenden, die weniger Dreck machen.“
Der Lehrer, der noch ziemlich neu wirkte, kratzte sich lachend am Kopf. „Du hast vermutlich recht. Wenn ich nur wüsste wer diese Streiche immer veranstaltet.“
Ich sprach noch wenige Sekunden mit dem Lehrer, bis es läutete und dann schickte er mich höflichst in die Klasse.
Sofort checkte ich meinen Pult, ob dort auch irgendetwas manipuliert worden war, und seufzte zufrieden.
Ich setzte mich und folgte wie immer dem Unterricht.
Zumindest teilweise. Heute konzentrierte ich mich auf die weibliche Wölfin. Sie und Nate warfen sich ständig funkelnde Blicke zu, als hätten sie einen Streit gehabt.
Ich fragte mich, um was es dort ging. Sie trug ihre Haare kürzer als ich, fast schulterlang, und hatte sie zu kleinen Zöpfen geflochten. Als es läutete, folgte ich ihnen in einem sicher Abstand und lauschte ihrem Gespräch. Zum Glück wussten sie nicht, das ich sie sehr wohl verstand, denn es ging tatsächlich um mich.
„... ist mir aber egal. Du riechst nach ihr. Und das kommt nicht nur vom Trinken gehen. Sie hat dich bestimmt angefasst. Du weißt nicht wer sie ist. Also pass gefälligst auf.“
Nate legte ihr einen Arm um die Schulter um sie näher zu sich zu ziehen und sie eindeutig zu beschwichtigen. „Susi, ich hab es dir schon erklärt. Reg dich bitte nicht so auf. Da läuft nichts. Sie riecht nicht nach Wolf. Außerdem hat sie Rick und seiner Gruppe ordentlich eingeheizt.“
Sie warf ihm nach oben einen finsteren Blick zu und raunte noch „Und du darfst es beim Mach ausbaden dann...“ Bevor sie sich losriss und in die andere Richtung des Ganges verschwand.
Als ich nun auf den Flur trat, erwartete mich die kleine Sportgruppe wieder. Ich begrüßte sie herzlichst und sehnte mich schon nach meinem freien Nachmittag. Nun, ja. So frei war er nun auch nicht, denn ich hatte mir vorgenommen etwas durch den Wald zu joggen, der hinter der kleinen Stadt lag. Natürlich nicht zum Entspannen, sondern um zu sehen, ob ich draußen auf Wolfsspuren stoßen würde.
Einer der Sportler fragte mich ob ich später mit ihm an die Strandbar gehen wollt, doch ich erklärte ihm natürlich höflichst, das ich bereits etwas vor hatte und betrachtete Joleen, die zu uns geschwebt kam.
Ihre kindliche Ausstrahlung und ihr feenhaftes Aussehen machte es einem schwer sie nicht zu mögen. Auch wenn sie eine Wölfin war, war sie dennoch viel menschlicher als die anderen. Ob sie sich überhaupt verwandeln würde, war hier nun die Frage. Sie schien bereits dreizehn oder vierzehn zu sein, doch hatte sich noch immer nicht verwandelt.
Bei jedem Wolfsblüter war es anders, doch in der Regel, immer wenn die Pubertät anfing.
Eine Spätzünderin.
Dieses Mal schwebte sie nicht zu ihrem Bruder Nate, sondern zu mir und umarmte mich freundschaftlich.
„Oh, Schirin. Es tut mir so Leid wegen heute Morgen. Ich hatte absolut keine Ahnung, das sie deinen Spind manipuliert haben.“
Ich strich ihr durchs Haar, um sie zu beruhigen, und lächelte sanft. „Ist schon Okay. Es ist ja nichts passiert. Ich habe den Spind so wie so weder eingerichtet noch sonst etwas. Ich brauche ihn eigentlich gar nicht.“
Sie wirkte sofort wieder glücklich und fragte mich, ob ich am Nachmittag etwas vor hätte, doch ich verneinte abermals.
Dieser Nachmittag gehörte ganz mir und meiner Feldforschung.
Einige Stunden später, dehnte ich meine Muskeln und stöpselte mir meine Kopfhörer in die Ohren. So laut ich konnte, drehte ich die Musik auf, um das lästige Gezwitscher der Vögel nicht hören zu müssen, und lief in einem großen Bogen Richtung Wald. Sollte mich jemand beobachten, dann würde er vermuten, dass ich nur zufällig Richtung Wald abbog.
Eigentlich war ich nicht sonderlich ein Naturfreund, sondern eher ein Stadtmensch. Dort konnte man viel besser verschwinden und eins mit der Masse werden.
Doch Wölfe bevorzugten weite Felder, tiefen Schnee oder bewaldete Gebiete. Niemals würden sie freiwillig zu mir in die Städte kommen. Somit musste ich mich überwinden, um zu ihnen zu kommen.
Ich lief mittlerweile bereits eine Stunde gemütlich dahin und bog nun in ein kleines Waldgebiet ab. Der Geruch von Nadelholz und Farnen breitete sich in meiner Nase aus und ich nieste einmal. Fürchterlich lästig...
Ich folgte dem holprigen Waldweg tiefer hinein, als ich merkte, dass mir jemand folgte. Ob zufällig oder absichtlich wusste ich nicht.
Natürlich ließ ich mir nichts anmerken, sondern warf aus Versehen meinen iPod hinunter. Fluchend griff ich danach und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Gespielt erschöpft dehnte ich mich an einem Holzstamm und tat so als würde mein iPod nicht anspringen wollen.
„Na, toll. Jetzt kann ich nach Hause gehen. Blöde Technik.“
Plötzlich schlug mir eine Testosteronwolke entgegen und ich blickte in die Richtung, aus der ich gekommen war. Im selben Moment liefen die drei von gestern in meine Richtung und ich lächelte ihnen breit zu.
Mit breitem und vor allem gefährlichem Grinsen blieben sie vor mir stehen und blickten mich von oben bis unten an.
„Ist es nicht etwas frisch für Shorts?“
Da ich gerade mein Bein dehnte, fuhr ich über meine nackte glatte Haut am Oberschenkel und hob die Schultern. „Ach, was. Wenn ich laufe, kann mir gar nicht kalt werden. Außerdem lauft ihr doch auch ohne Hemd und Hose herum. Also beschwert euch nicht, wenn ein scharfer Körper mehr durch die Gegend läuft.“
Der, der gestern geknurrt hatte und blonde Haare über die Schultern fallen hatte, wie ein Hippie trat vor und streckte sich auf der anderen Seite des Holzstammes.
„Stimmt, doch oder Ricki? Es wird so wie so zeit das einmal scharfe Mädels mit nackter Haut hier herum laufen. Vielleicht werden ja einige neidisch, wenn sie dich so sehen.“
Ich zwinkerte ihm zu und dehnte meine Oberkörper, sodass meine Rundungen gut zur Geltung kamen. „He, dann muss ich ja Angst haben, denn ich möchte nicht unbedingt jedes weibliche Wesen halbnackt durch die Gegend rennen sehen.“
Nun gesellte sich auch der zweite neben mich, der ebenfalls blond war und deutete auf seinen Kumpel. „Du meinst sicher die Cheerleader aus der Mittelschule. Das wäre echt erschreckend die mit ihrer braunen Kriegsbemalung im Gesicht und ihren weißen Bodys zu sehen. Bestimmt ein erschreckender Anblick.“
Ich lachte mit ihnen, da ich mir das tatsächlich vorstellen konnte. Der Anführer der Gruppe, den ich gestern gereizt hatte, sah von einem zum anderen und schüttelte den Kopf.
„He, Rick, sag mal. Wen würdest du am liebsten aus der Mittelschule in Shorts sehen?“
Er hob die Schultern und seufzte theatralisch. „Die einzige die man von der Schule wirklich als hübsch bezeichnen kann bist du und die Kleine von gestern. Zumindest wenn sie älter wäre.“
Ich dachte an Joleen und wie sie ihn angesehen hatte. Ob sie wussten, dass auch Joleen eine Wölfin war? Würde er dann immer noch so über sie sprechen?
„Nun, ja. Joleen ist erst vierzehn, ich denke da musst du noch etwas warten.“ Kicherte ich und warf dem niedlicheren der dreien einen wissenden Blick zu.“
Er reagiert sofort und legte einen Arm um mich. „Ach, was. Warum auf ein Kind warten, wenn hier doch so etwas heißes wie du herum läuft?“
Ich zupfte gespielt beschämt an meinem Zopf herum und kicherte. „Ach, was. Es gibt so viele Mädels bei mir an der Schule und einige davon werden doch hübsch genug für euch sein, oder?“
Ich strich ihm mit den Fingern über den Brustkorb und er schmiegte sich sofort enger an mich. Auch wenn er mich einen ganzen Kopf nur überragte, fühlte ich mich wie eine Puppe in seinen Händen. „Sag mal. Wie heißt du eigentlich?“
„Schirin Tabea. Und ihr?“
Rick deutete auf den Hippie Typen „Das ist Ferenc und der Klugscheißer neben dir ist Viktor. Mein Name ist Ritchi, doch nenn mich einfach Rick. Woher kommst du eigentlich wenn ich fragen darf?“
Ich setzte mich auf den Baumstumpf, da ich wusste, dass dies nun etwas länger dauern würde.
Ich erzählte ihnen, dass ich ursprünglich aus der Stadt käme und meine Eltern, dadurch das sie Künstler waren hier her, auf das Land gezogen sind. Hier konnten sie nach Lust und Laune malen, ohne ständig beraubt zu werden.
Das meiste davon war zwar gelogen, doch was sollte ich ihnen sonst erzählen? Das meiner Mutter sämtliche Erinnerungen an ihr früheres Leben als Sucherin vor wenigen Jahren genommen worden waren und sie einen anderen geheiratet hatte, weil mein Vater es vorzog, als Jäger tätig zu bleiben? Denke nicht, dass das gut ankam.
Gemeinsam liefen wir etwas später bis an den Strand und ich erfreute mich der männlichen Eleganz um mich herum. Die Bewegungen der Muskeln, die deutlich zu sehen waren und die Bewunderung, die mir andere zuwarfen, da ich mit drei heißen Jungs am Strand lief. Auch wenn es Wölfe waren, tat es gut so angesehen zu werden. Obwohl ich mir bewusst war, wie schnell diese trainierten Muskeln mir den Hals umdrehen konnten.
So jetzt blieb nur mehr die Frage, weswegen war ich hier?
Ich hatte nun sechs junge Wölfe getroffen und deren Familien schienen sich auch lieber um sich selbst zu kümmern.
Viktor lief neben mir her und deutete auf das Meer. Wölfe liebten es, zu schwimmen, daher stimmte ich sofort zu ins Meer zu springen. Es war zwar eiskalt, doch auf meinem erhitzten Körper hinauf war es ehrlich angenehm.
Meine Mutter würde es nicht freuen, wenn ich voller Salzwasser heimkam, doch was störte mich das schon?
Lachend tauchte ich Viktor unter, obwohl ich das nur schaffte, da er es zuließ, und ließ mich von ihnen ins tiefere Wasser schmeißen.
Sofort zog ich Ferenc mit mir und lachte ihn aus, als ihm eine größere Welle mitten im Gesicht traf.
„Schirin!“ Joleen stand mit ihrem Bruder und dem weiblichen Wolf am Strand und sie winkte mir eifrig zu.
„Okay, Jungs. Ich werde gerufen. Wir sehen uns.“ Ich winkte ihnen zum Abschied und tauchte Richtung Strand zurück.
Als ich aus dem Wasser kam, hielt mir Nate seine Schulweste hin und ich schlüpfte gespielt zitternd hinein.
„Hallo! Na was macht ihr den hier?“ Joleen strahlte wie ein frisch gestrichenes Hutschpferd über meine Schulter und betrachtete die drei Wölfe, die sich am anderen Ufer aus dem Wasser zogen. Es war, als würde sie jeden Moment dahin schmelzen, als sich Rick angeberisch an einem kleinen steinernen Vorsprung aus dem Wasser zog und man somit stark seine beeindruckenden Muskeln sehen konnte.
Junge Liebe konnte doch mit den Augen einer erwachsenen ziemlich schweinisch werden...
Rick drehte sich genau in dem Moment um, als seine Kumpels im Wald verschwanden, und blickte für einen Sekundenbruchteil zu uns herüber. Man konnte den Zorn beinahe angreifen, den er ausstrahlte. Ob er persönlich etwas mit einem der dreien zu klären hatte?
Joleen wurde Purpurrot im Gesicht und suchte Schutz, indem sie die Hand ihres Bruders ergriff und schnell zu sprechen begann. „Ach, wir wollten eigentlich etwas die Sonne genießen, als wir dich im Wasser planschen gesehen haben. Wie bist du den bitte mit denen in Kontakt gekommen?“ Ich blickte von Joleen zum Vorsprung, wo mittlerweile kein Rick mehr stand, und lächelte innerlich. „Ich war gerade Joggen und da bin ich ihnen im Wald begegnet. Wir haben etwas getratscht und haben dann gemeinsam weiter gejoggt. Viktor hat mich gefragt ob ich ins Wasser mich etwas abkühlen möchte und dann etwas kaltes Wasser hier und etwas feuchter Trainingsanzug da… Sie sind mir verfallen wie Motten dem Lich.“
Joleens Augen bekamen einen träumerischen Ausdruck.
„Du bist echt beeindruckend. Ich wünschte ich könnte einmal mit ihnen in Kontakt kommen.“
Ihr Bruder schnaubte lachend. „Und was würde dann passieren? Sobald dich einer der dreien anspricht, wirst du rot und kippst in Ohnmacht. Sehr beeindruckend.“
Joleen, schlug ihm halbherzig auf den Oberarm und er lachte gespielt.
Zusammen gingen wir hinauf noch auf einen Drink. Ehrlich gesagt wunderte es mich etwas, dass der Barkeeper niemals nach Ausweisen fragte. Bei mir war es ja egal, da ich bereits neunzehn bin, doch mich als fünfzehn ausgab. Also dürfte ich eigentlich gar nichts trinken.
Als der Abend näher schlich, beschloss ich, nach Hause zu gehen. Meine Kleidung war noch nass und mir wurde langsam kalt.
Obwohl die Insel zwar in einer warmen Region lag, war es trotzdem immer ungewöhnlich kühl auf der Insel. Das lag am Wind, der vom Meer her abgekühlt zu uns kam.
„Sehen wir uns morgen?“ Fragte Joleen mit hoffnungsvollen großen Augen. Ich streckte ihr eine Serviette zu mit meiner Nummer darauf und grinste höflich.
„Ruf mich einfach an, wenn ich scharf bin, hebe ich auch ab.“ Scherzte ich und sie freute sich, über die maßen darüber. Wie kam es, dass eine dreizehnjährige so schnell zu mir aufsah?
Nate warf mir einen entschuldigenden Blick zu und Susi ignorierte mich völlig. Es war nicht zu übersehen, dass sie mich nicht ausstehen konnte.

Tag 3 Samstag

 Lektion 3: Das Küssen eines Wolfes ist strengstens untersagt!

 

 

Als ich an diesem Morgen aufwachte, hatte ich bereits drei Nachrichten auf meinem Handy. Normalerweise beachtete ich es überhaupt nicht abends und somit hatte ich auch die >Gute Nacht< Nachricht von Joleen nicht gelesen... Seufzend las ich die zweite Nachricht, in der sie mir, um sechs Uhr morgens einen >Guten Morgen< wünschte und um sieben Uhr fünfunddreißig war noch eine gekommen, und zwar.
Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich noch fünfzehn Minuten hatte und schrieb ihr eine Bestätigungsnachricht.
Sofort kam die Antwort, das wir uns in der Stadtmitte treffen würden vor einem Lokal das „Happy´s“ hieß.
Kopfschüttelnd über den lächerlichen Namen packte ich meine Blackcard ein und zog bequeme Kleidung an, da es bestimmt heute ein langer, langer Tag werden würde.
„Schirin! Wo gehst du denn schon wieder hin?“
Meine Mutter saß gerade mit meinem Ersatzvater am Tisch und sie spielten ein Kartenspiel. „Nirgends Mutter. Ich komm bald wieder.“
So schnell konnte sie, nicht einmal mehr reagiere, war ich bereits aus der Türe draußen und auf dem Weg zur Bushaltestelle. Ich liebte meine Mutter, doch sie war im Ruhestand und ich ertrug es einfach nicht sie so zu sehen. Sie war so unwissend, so hilflos. Natürlich reagierte sie immer noch total geschickt wie früher, doch sie schob es auf Intuition oder Talente. Sie wusste nichts mehr von ihrem jahrelangen Training, von den vielen Kämpfen von den Versteckspielen. Doch trotzdem war ich noch immer bei ihr. Sie ist doch meine Mutter, ich konnte sie unmöglich alleine lassen.
Zum Glück stellte sie nur wenige Fragen. Das war ein Teil ihrer Neuaufsetzung gewesen.
Im Bus wischte ich mir eine Träne weg und betrachtete die bunte Natur hinter der Glasscheibe. Es war Herbst und die Bäume verfärbten sich. Eigentlich gab es nur in den Siedlungen Blätterbäume, da die Wälder vollkommen aus Tannen bestanden. Sie waren viel widerstandsfähiger und sprossen hier wie Gras.
Als mich jemand an der Schulter berührte, zuckte ich zusammen. „Ferenc! Erschreck mich doch nicht so!“
Lächelnd nahm er neben mir Platz und folgte meinen Blick hinaus. „Tut mir Leid. Du sahst so geistesabwesend drein, ich dachte mir ich heitere dich mit meinem Aussehen etwas auf.“
Seine offene Art entlockte, mir tatsächlich ein lächeln und ich erlaubte mir ihn einmal mit Kleidung zu betrachten.
Seine Hände waren so warm, wie es nur die Körpertemperatur eines Wolfes aufbrachte, sein lächeln so bissig und seine braunen Augen mitfühlend und klug. Zu meiner Überraschung trug er seine Haare nach hinten gekämmt mit einer grauen Mütze, die ihm ein lässiges Aussehen verlieh. Bestimmt würde Joleen sofort umkippen, wenn sie wüsste, dass mir einer ihrer Schwärme so nahe war.
„Alles in Ordnung?“
Ich nickte. „Ja. Klar. Ich bin nur etwas müde. Das Wetter ist so deprimierend hier. Gibt es den niemals Regen, oder Wolken? Jedes Mal wenn ich die Augen aufmache sehe ich die Sonne und wenn ich schlafen gehe hängt der Mond über uns. Das ist echt eintönig.“
Ferenc lächeln wurde breiter und er legte einen Arm um meine Lehne. Eindeutig um seinen Besitzanspruch klar zu machen.
Doch da war er bei mir eindeutig falsch.
„He, das liegt alleine an dir Süße. Wohin du auch gehst, erstrahlst du hell wie Sonnenlicht in meinen Augen.“
Kotz... „Funktioniert der Spruch überhaupt?“
Er lachte und hob die Schultern. „Kommt auf die Braut an.“ Na toll... Eindeutig ein Spinner!
„Ach, Ferenc. Du bist zwar echt heiß, doch an deinem Mundwerk solltest du noch etwas feilen. Du hast da vielleicht noch so ein, oder zwei Macken!“
Er griff sich ans Herz und tat betroffen. „Oh, Schirin. Deine Worte treffen mich echt tief.“
Lachend drückte ich auf den Stopp-Knopf. „Das will ich auch meinen. So, ich muss hier raus.“
Er machte sich nicht die Mühe, um aufzustehen, sondern zog nur etwas seine viel zu langen Beine ein und deutete mir daran vorbei zu gehen. Ich ahnte schon, worauf das hinaus führte.
Mit den Augen rollend, stieg ich elegant und extra darauf bedacht ihn nicht zu berühren, über seine Beine, doch wurde sofort an ihn gepresst, als der Bus quietschend anhielt.
Ferenc lächelte, als ich mich aus seinen Armen fluchend über den Busfahrer befreite und legte beide Hände um meine Taille. Verdammt... Ich wollte doch nur aussteigen.
„Sehen wir uns heute noch einmal?“
Ergeben ließ ich mich auf seine Beine fallen und er hob entzückt eine Augenbraue. „Solltest du mich irgendwo dort unter einem Wäscheberg finden, dann gerne. Jedoch habe ich mit Joleen einen Mädchentag geplant. Also wenn du noch schnell einen guten Chirurgen auftreibst, dann sicher gerne.“
Ferenc zog ein trauriges Gesicht und zupfte an meinen zurückgebunden Zopf. Wie ich es hasste, wenn sich andere mit meinem Haar spielten! Gerade Wölfe waren ein ultimatives Tabuthema in sämtlichen Regionen von mir. „Schade, bekomme ich dafür vielleicht einen Kuss? Als kleine Entschädigung.“
Ich lachte gespielt. „Also, gleich einmal vorne weg. Einen Kuss muss man sich erst bei mir verdienen. Also stell dich hinten an.“
Der Bus fuhr um eine Kurve und er zog mich wieder fester an sich um mir halt zu geben. Dankend dass ich alleine auf dieser Mission war, spürte ich im nächsten Moment feste Lippen auf meinen. Ich war gerade so abgelenkt gewesen, das ich gar nicht bemerkt hatte, dass er sich mir entgegengebeugt hatte, um mich zu küssen.
Seine Hände wanderten derweilen über meinen Körper und ich konnte die deutliche Wolfsnote in seinem Mund schmecken.
Gierig zog er mich enger an sich. Ich musste ehrlich zugeben, dass er ein echt guter Küsser war. Trotzdem war er ein Wolf und Wölfe waren sehr sinnliche und bewundernswerte Jäger. Sie waren muskulös, flink und ausdauernd. Außerdem wussten sie immer, was sie wollten und waren um es zu bekommen sehr geduldig.
Ich hatte zwar schon gehört, dass Wölfe auch sehr hingebungswürdige Liebhaber wären, doch ausprobieren wollte ich es trotzdem nicht. Auch wenn sein Kuss alleine schon reichte, um mich schneller Atmen zu lassen.
Ob aus schock oder aus Verzweiflung wusste ich nicht genau.
Als er von mir abließ und mich stolz anlächelte, konnte ich einfach nicht anders, als zurückzulächeln. Egal wie menschlich sie sich doch verhielten und sich anpassten. Sie waren trotzdem tierisch gefährlich und eigensinnig.
„Spinner.“ Bemerkte ich spöttisch und eilte zur Türe, um noch auszusteigen.
An der Bushaltestelle stand bereits Joleen mit knallrotem Kopf und offenem Mund. Anscheinend hatte sie den Kuss noch gesehen. Sie trug heute ihre Haare offen und sie fielen in wilden ungebändigten Locken um ihren Kopf.
„Hi, Joleen. Bin ich zu spät?“ Es war mir fürchterlich unangenehm, doch ich wusste, dass sie darüber reden würde. Immerhin war sie dreizehn...
„Was... Was war das den! Knutscht herum im Bus! Mit dem heißen Typen! Ich fasse es nicht. Okay, verrate mir dein Geheimnis! Sofort!“
Lachend fiel sie mir in den Arm und ich ertappte mich dabei, dass ich überhaupt keine Gänsehaut mehr bekam, wenn sie mich berührte.
Verdammt ich begann Bindungen zu schließen. Doch das durfte ich nicht. Wenn ich sie töten musste, dann durfte ich nicht zögern.
Strahlend vor Freude zog sie mich durch die Geschäfte und fragte mich aus von, wie der Kuss war, bis hin zu, ob ich mit ihm ging.
Kopfschüttelnd versuchte ich, mich zu erinnern, ob ich genauso gewesen war, doch das hatte mein Training niemals zugelassen. Genauso wie Bindungen schließen. Diese Dinge waren ultimative Tabus in meinem Job.
„Nein! Himmel noch einer. Natürlich bin ich nicht mit ihm zusammen. Ich kann nichts dafür wenn er sich einbildet mich küssen zu müssen. Ich wollte nur aussteigen.“
Joleen reichte mir ein Shirt, das echt süß war, und ich hob den Daumen. „Aber du kannst nicht behaupten das es dir nicht gefallen hätte, oder?“
Niemand konnte behaupten, dass ein Kuss von einem Wolf einem nicht gefällt. Wölfe waren sogar im Küssen perfekt.
„Nun, ja das nicht...“
„Also empfindest du etwas für ihn?“ Wölfe banden sich grundsätzlich nicht an Menschen, da die Kinder immer als Wölfe auf die Welt kamen und nur wenige Mütter diese Strapazen überlebten. Außerdem nahmen die meisten Menschen die Beine in die Hand, wenn sich die Wölfe zu Vollmond zwischen Mitternacht und ein Uhr morgens in ihre Ursprungsform verwandeln mussten. Dafür aber verloren sie zu Neumond sämtliche Fähigkeiten und ihre Tendenz zu wandeln.
„Nein! Ich kenne ihn nicht einmal.“ Das war zu Teil gelogen. Ich hatte seine Familie bereits am ersten Tag durchleuchtet und wusste dass Viktor und Ferenc Zweieiige Zwillinge waren. Das kam selten bei Wolfswandlern vor. Richtige Wölfe konnten zwar mehrere Junge auf einmal gebären, doch der Körper eines Menschen machte das nicht mit. Somit hatten sie die Fähigkeit auf Mehrlingsgeburten verloren.
Ich hielt Joleen einen hübschen Rock hin, der ihre Beine sehr zu ihrem Gunsten zur Geltung brachte und machte ihr ein Angebot. „Okay, sag mal Joleen. Was hältst du davon, wenn du aufhörst mich über Ferenc und meine niemals existierende Beziehung auszufragen und dafür style ich dich.“ Joleens blick wurde kurz glasig, dass ich schon Angst hatte, dass sie gleich umkippte, doch dann fing sie sich wieder und viel mir laut kreischend um den Hals.
„Und ich werde dann so cool aussehen wie du?“ Okay, mit der Frage hatte ich nicht gerechnet.
„Nein, so hübsch wie ich ist niemand.“ Belächelte ich meinen schwarzen Humor und begann in den Regalen zu stöbern. Ich hatte schon ein klares Bild, wie sie bezaubernd aussehen würde.
Wenige Stunden später kamen wir aus dem Frisörladen, wo ich mit einer Frisörin ewig lang diskutiert hatte, was ich genau möchte und als wir an einem Schaufenster vorbei kamen, hielt sich Joleen an meinem Arm fest. „Wow... Ich sehe... So...Ich sehe älter aus. Und so hübsch!“ Sie nuschelte noch einiges vor sich her, als ich in einem Cafe jemanden erblickte.
„Du siehst einfach bezaubernd aus.“ Ihre braunen Haare fielen ihr Glatt über die rechte Schultern und wurden von einem weißen Band zur seite Gehalten. Von der linken Seite aus, hatte sie eine geflechtete Strähne, die die andere Seite nicht so fade aussehen ließ. Außerdem trug sie etwas Wimperntusche, da das ihre langen echt beneidenswerten Wimpern betonte.
Als Kleidung hatte ich ihr ein schwarzes Longshirt ausgesucht, das einen kleinen roten Wolf auf der Seite trug und darunter hatte sie ein weißes Trägershirt an, wegen dem Kontrast. Dazu hatte sie einen Rock mit einem breiten weißen Gürtel an, der um ihre Oberschenkel bauschte, sodass erst jetzt auffiel, wie lange schlanke Beine sie hatte. Da sie ja noch ein Kind war, hatte ich ihr keine hochhackigen Schuhe erlaubt, so wie ich sie gerne trug, doch einen kleinen Absatz, damit man sie hörte, hatte ich mir dann doch durchgehen lassen.
Alles im allem sah sie einfach umwerfend aus. Ihre feenhafte Ausstrahlung unterstrich ihr Outfit noch dazu und ihr Lächeln, das von einem billigen, doch effizienten Lipgloss voller wirkte, ließ sie erwachsener aussehen.
Sie trug kein Make-up, nur Lipgloss und Wimperntusche und doch wirkte sie beinahe wie sechzehn mit ihrer Größe. Welcher Type konnte ihr erst widerstehen, wenn sie größere Brüste hatte und achtzehn wurde.
Da wurde sogar ich als Frau neidisch.
Verträumt wie sie war, drehte sie sich im Kreis und mehrere Passanten warfen ihr bewundernde Blicke zu.
„Was hältst du von einem Kuchen um das zu feiern?“ Sie nickte eifrig und hackte sich bei mir unter. Lachend gingen wir hinunter, zu dem Café indem ich gerade eine bekannte Gestalt verschwinden hatte sehen und öffnete die Türe.
Joleen schwebte beinahe durch den Eingang und stellte sich zur Kassa. Sie bestellte eine heiße Schokolade und einen Erdbeerkuchen, während ich Rick zuwinkte. Als auch ich bestellt hatte, deutete ich auf die drei Jungs. Joleen schleifte ich hinter mir her, während ich einen der beiden freien Sesseln besetzte. Einer war neben Ferenc frei und der andere neben Rick. Ich schob die völlig erstarrte Joleen auf den Sessel und begrüßte alle herzlichst.
„Hallo, Süße. Dachte ich mir doch, das wir uns heute wieder sehen.“ Ferenc legte sofort einen Arm auf meine Lehne und hauchte mir einen Kuss auf die Wange, bevor er sich wieder seinem Cocktail zuwandte. Ich musste zugeben, dass der Cocktail echt interessant roch. „Du stalkst mich, das ist alles.“
Rick lachte und deutete auf Ferenc. „Jetzt weiß ich wenigstens warum du unbedingt hier auf einen Cocktail gehen wolltest.“
Viktor stand auf und murmelte, dass er gleich wieder käme, und verschwand zu den Toiletten.
„So war das überhaupt nicht. Ich dachte nur, dass es einmal eine gute Ablenkung wäre. An der Strandbar, gibt es den Kiwicocktail mit Zuckermelonen Stückchen nicht.“
Ich langte hinüber zu seinem Cocktail und nahm einen Schluck. Der Alkohol war sehr stark präsent, doch der Kiwigeschmack und der Zucker übertönten diesen schnell wieder. Angetan zog ich die Brauen hoch. „Ich will auch so einen.“
Ferenc schien begeistert und hob einen Arm. Sofort kam eine verliebt dreinsehende Kellnerin und zwinkerte ihm zu. Auf der Serviette konnte ich deutlich eine Zahlennummer und einen Namen erkennen und lachte.
„Oh, sieh mal, was du als zusätzliches Geschenk bekommen hast.“ Joleen neben mir, die langsam wieder zu Bewusstsein kam, griff nach dem Zucker und berührte dabei zufällig den Arm von Rick, der im selben Moment nach einem Zahnstocher griff, um seinen Fruchtcocktail weiter zu essen, da Viktor mit seiner Gabel verschwunden war. Warum Viktor die Gabel hatte, wollte ich besser nicht wissen.
Als sie sich berührten, schwang die Stimmung von einem unbekümmerten Level zu einem bedrohlichen. Joleen wirkte plötzlich nicht mehr wie ein kleines Mädchen, sondern eher wie eine wütende Wölfin.
Als würden sie nicht bemerkten, dass wir da wären, funkelten sie sich so wütend an, dass ich befürchtete, dass gleich einer der beiden in Flammen auf ginge.
Ferenc und ich blickten sich verwirrt an, doch er hob bloß die Schultern unwissend. Okay, dann gab es also zwischen Rick und Joleen böses Blut. Was hatte er ihr den angetan? Oder sie ihm?
Schnaufend wandte sie mit erhobenem Kopf den Blick zu dem Zuckerstreuer und leerte viel zu viel davon in ihr Getränk.
Wenn es zwischen ihnen böses Blut gab, dann waren sie beide etwa die Bedrohung, die mich hergeführt hatte? Ich wusste immer noch zu wenig über die Wölfe hier um mir ein Urteil zu bilden.
Rick stand plötzlich auf und ging ebenfalls auf die Toilette. Als er um die Ecke bog, kam ein verwirrt aussehender Viktor, gefolgt von einer Blondine zu unserem Tisch zurück. Ich beugte mich zu Joleen und flüsterte. „Hat er die jetzt am Klo gefunden?“
Joleen kicherte, als wäre nichts passiert und nickte eifrig. „Nun, ja. Vielleicht eine Rettungsaktion.“ Witzelte Joleen und wir stellten uns das bildlich vor.
Ferenc rückte näher zu mir, als würde er es nicht mögen, dass ich ihm nicht meine volle Aufmerksamkeit schenkte, doch mir war das egal. Ich war nicht für seinen Stolz verantwortlich.
Viktor stellte uns seine neue Eroberung vor, doch ich merkte mir ihren Namen überhaupt nicht. Dafür war ich viel zu angespannt, da Ferenc mit meinem Zopf spielte. Ich hasste das wirklich!
Als Rick kurz darauf zurückkam und zahlte, standen die anderen beiden sofort ebenfalls auf. „Na gut wir müssen gehen.“ Rick nahm seine dunkelblaue Weste vom Sessel und stupste Joleen an. Sie blickte völlig entgeistert zu ihm hoch. „Trinkst du das noch?“
Joleen hatte nur daran genippt, doch es dann stehen gelassen, da es ihr zu süß war. Sie schüttelte den Kopf und beobachtete Rick dabei, wie er die viel zu süße Schokolade hinunter kippte. Zucker und Schokolade vertrugen sich bei erwachsenen Wölfen normalerweise nicht so gut, wie bei jungen Wölfen, die noch menschlicher waren, doch das schien ihn nicht aufzuhalten. Im Gegensatz. Rick stellte die Tasse leer getrunken wieder auf den Teller zurück und leckte sich über die Lippen. „Du hast zu viel Zucker genommen.“ Ich stand ebenfalls auf, da ich noch vor hatte etwas spazieren zu gehen und Joleen auszufragen. Joleen folgte meinem Beispiel und hob die Schultern abweisend. „Kann schon sein. Sie hat mir so wie so nicht geschmeckt.“ Gemeinsam gingen wir zur Türe und Viktor ließ seine Eroberung verdutzt und wütend zurück. Hatte er überhaupt mitbekommen, dass sie noch dort saß?
Als wir durch die Türe ins Freie traten, schlug mir der Geruch von Regen entgegen. Joleen war uns voraus und wollte direkt in den Regen gehen, doch Rick griff nach ihrem Arm und zog sie wieder unter die Überdachung. Ferenc währenddessen zog seine Kapuzenjacke aus und legte sie mir galant über die Schultern. Vor uns ergoss sich derweilen dicke Wolken und bildeten große Pfützen auf dem Boden. „Da hast du deinen Regen, Süße.“ Meinte Ferenc spöttisch und setzte mir die Kapuze über den Kopf. Ich gab ihm eine spöttische Antwort, doch mein Hauptaugenmerk lag auf Joleen. Rick hatte ihren Zopf um seine Hand gewickelt, sodass sie nicht wegkonnte und sie bleckte aufsässig die Zähne. Wahrscheinlich dachte sie, dass ich es nicht sähe, sonst wäre sie vorsichtiger.
Rick legte ihr mit seiner freien Hand seine Weste über die Schultern und sie schlüpfte hinein. Es sah etwas seltsam aus, da ihr die Weste bis zu den Knien ging.
Plötzlich zog Rick sie an den Haaren näher zu sich und beugte sich zu ihr hinunter, als würde er sie küssen wollen.
Entsetzt darüber, wollte ich schon dazwischen springen, als ich sah, dass sie sich auf die Unterlippe biss und er sich nur zu ihrem Ohr beugte. Was er ihr zuflüsterte, konnte ich nicht verstehen, doch ihr Blick, wich von einem zornigen und trotzigem, zu einem kleinem lächeln und roten Wangen.
Als er sich wieder aufrichtete strichen seine Lippen über ihre Wangen und er fuhr mit dem Daumen die Konturen ihrer Unterlippe nach, auf die sie so stark darauf biss, dass sie bestimmt schon Blut schmeckte. Dann ließ er ihren Zopf los und schob ihr die Kapuze über das Gesicht, sodass sie ihn nicht mehr sehen konnte. Mit einem genervten Danke wandte sie sich mir zu und nahm meine Hand in ihre. Ich drückte diese um ihr Kraft zu geben und Ferenc forderte meine Aufmerksamkeit.
„Morgen ist Sonntag.“
Lachend verdrehte ich die Augen. „Bist wohl ein Blitzmerker.“
Er lachte über meine spöttische Bemerkung und drückte mir unvermittelt einen Kuss auf. Danach wandte er sich mit einem Lächeln um und folgte Rick zu einem Geländewagen, die Straße hinunter. „Idiot.“ Murmelten Joleen und ich gleichzeitig wie aus einem Mund. Überrascht sahen wir uns an und lachten.
Sie war mir doch ähnlicher, als das ich jemals gedacht hätte.
Hand in Hand gingen wir zur überdachten Bushaltestelle zurück, jedoch schwieg sie ausnahmsweise einmal.
An der Bushaltestelle angekommen, zog sie die Beine unter die riesige Weste und lächelte stolz vor sich hin. Was wohl gerade in ihrem Kopf vor ging?
„Joleen? Was ist das zwischen Rick und dir? In einem Moment werft ihr euch Blicke zu, als würdet ihr euch gleich die Kehle heraus reißen und im nächsten ist er total liebevoll zu dir.“
Joleens Blick glitt in die Ferne, als würde sie sich an etwas erinnern, dann schüttelte sie den Kopf. „Glaubst du daran, dass man sich im Leben nur ein einziges Mal richtig verliebt?“
Bei Wölfen war es klar, da es für sie nur einen Gefährten jemals gab. Wenn dieser starb, starb der andere, nur kurze Zeit darauf. Man sagt sich, sie starben an gebrochenem Herzen. Doch da ich mehr Mensch war als Wolf, kam für mich so eine Beziehung niemals in Frage. Die Sucher und Jäger stammen zwar auch von wölfischem Blut ab, doch war unsere DNA so sehr mit dem Stamm der normalen Menschen verwachsen, dass uns sämtliche Fähigkeiten verloren gegangen waren. Doch das lag schon Jahrhunderte zurück.
„Kommt darauf an. Ich denke schon das es für jeden eine einzige Person auf der Welt gibt, die man mehr Liebt als sein eigenes Leben, doch das mit dem Finden dieser einen Person, ist so gut wie unmöglich. Ich habe auch schon in verschiedenen Religionen davon gehört. Es sind Zwillingsseelen, die einander bei ihrer Wiedergeburt verloren haben und sich als Menschen wieder suchen. Zumindest wenn man an so etwas glaubt.“
Sie lächelte schwach zu mir auf und schnupperte an Kragen der Weste. „Tja. Meine Zwillingsseele liegt weit, weit, weit von mir entfernt.“
„Denkst du denn Rick ist derjenige in den du verliebt bist? Du bist dreizehn Joleen. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir. Du bist hübsch, intelligent und faszinierend. Jeder Mann würde dir vor die Füße fallen um nur eine Sekunde mit dir zu verbringen. Du solltest dich auf das hier und jetzt konzentrieren und nicht auf das was wäre wenn. Entweder ist er in fünf Jahren immer noch da, oder er war es so wie so nicht wert.“
Joleen lächelte zu mir auf und kuschelte sich an meine Schulter. „Du bist eine gute Freundin, Schirin. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen würde.“
Freundin? Oh, je. Das klang echt schlecht.
Sie machte es mir ehrlich schwer, sie töten zu können. Trotzdem hoffte ich, dass das Thema mit Rick damit abgeschlossen war.

Tag 6 Dienstag

Lektion 4: Ein Sucher ist dazu verpflichtet seinem "Inneren Gefühl" immer folge zu leisten, um den Verlust von Menschenleben zu verhindern!

 

 

Mein vierter Schultag. Niemand betrachtete mich mehr als Neuling. Seltsames Gefühl... Manche winkten mir höflich, andere zwinkerten mir zu, doch die Sportlergruppe, war trotzdem wieder sofort an meiner Seite und textete mich über ihr gestriges Training zu.
Genervt blickte ich hoch zum Vollmond, der erst heute Nacht seine volle Größe haben würde und seufzte. Heute war das Match, auf das sie sich schon den ganzen Sommer vorbereitet hatten. Ausgerechnet zu einem Vollmond.
Seufzend ließ ich mich auf meine Schulbank nieder und kritzelte den ganzen Tag in meinen Kalender. Das würde heute ein Blutbad geben. Nate, der schon aufgebracht genug war, da er gegen drei Wölfe spielen musste. Susi, die ihn die ganze Zeit erklärte, dass er ja aufpassen sollte und Joleen, die nicht einen Moment still sitzen konnte. Heute würde ihr Erwachen sein, das sah man ihr ganz deutlich an.
Nate war das auch ganz bestimmt bewusst, denn er versuchte schon seit Stunden sie zu überreden, nicht zum Match zu kommen. Junge Wölfe die ihre erste Verwandlung erlebten, neigten dazu, sich nach Sonnenuntergang zu verwandeln. Erwachsene und erfahrene Wölfe konnten diesem Ruf bis Mitternacht ohne Probleme entkommen. Bei Nate war ich mir nicht so sicher. Zumindest wirkte er nicht so als, könnte er auch nur einen einzigen klaren Gedanken fassen.
Als es endlich zur letzten Stunde läutete, spürte ich die aufgeladene Spannung. Selbst wenn Nate sich beherrschen konnte, so würde ihm die erdrückende Stimmung, die über jedem Wolf lag, ihn dazu zwingen sich zu verwandeln.
Das Match war so angelegt, dass das Spiel um achtzehn Uhr dreißig begann. Davor würden sich die Spieler warmlaufen und sich gegenseitig auschecken. Danach würden sie neunzig Minuten spielen. Wenn die Wölfe es klug anstellten, mussten sie keine Verlängerung absitzen. Das Fest danach, würden sie zwar verpassen, doch die Wölfe hatten ihre eigenen Probleme. Und somit auch ich.
Mittlerweile war ich mir sicher, dass ich wegen dem Spiel von meinem Gefühl hier her gebracht worden war. Eine neue Wölfin würde erwachen und alle Wölfe spürten das. Es war wie eine ungebündelte Energie, die ständig auf sie einströmte. Erst wenn die Wölfin sich verwandelt hätte, so würde sich die Energie legen und die älteren Wölfe würden auch wieder klar denken können. Ich musste dafür sorgen, dass nichts bis dahin passierte.
Die Wolfeltern hatten sich den denkbar schlechtesten Moment für ihre Jungen ausgesucht. Doch das war nicht die Entscheidung der Wölfe, sondern die der Muttern Natur, der sie unterworfen waren. Es gab alle paar Jahre ein fruchtbares Jahr. Anscheinend hatte sich dieses über mehrere Jahre hingezogen. Nun war es meine Aufgabe, das wieder auszubügeln.
Wolfssucher waren eigentlich stille Beobachter. Sie griffen niemals ein. Sie informierten Jäger, die sich um das Problem kümmerten.
Doch wo sollte ich so schnell einen Jäger auftreiben?
Daheim angekommen packte ich einige Sachen zusammen, die ich brauchen würde. Und versteckte sie, bevor alle eintrafen rund um das Gelände. Ich suchte die besten Stellen, an denen man einen Wolf, wenn möglich verstecken konnte und hob Löcher aus. In diese würde ich die Wölfe hinein locken, wenn sie nicht mehr zu kontrollieren waren, und würde sie am Morgen herausholen.
Ein Wolf konnte zwar hochspringen, doch ich wusste bereits aus Erfahrung, wie ich meine Vorteile nutzen konnte.
Voll ausgerüstet und mit einer dünnen Silberkette versorgt, machte ich mich auf den Weg zum Sportplatz.
Innerlich schrie ich bereits um Hilfe, da ich es, wenn tatsächlich alle Wölfe verrücktspielen würden, absolut nichts machen konnte. Ich konnte mich gegen einen Wolf mit Leichtigkeit wehren, doch zwei waren schon gefährlicher, oder gar ein kleines Alpharudel. Das könnte mein Verhängnis werden.
Jedoch um die unwissenden und unschuldigen um mich herum, machte ich mir mehr sorgen. Ich fragte mich, ob die Wolfseltern überhaupt bewusst waren, wie gefährlich die Situation war.
Als die ersten eintrafen, wartete ich noch einige Minuten verborgen im Schatten, bevor ich mich zu ihnen gesellte. Ich umrundete den Sportplatz ein letztes Mal und schickte ein stilles Stoßgebet gegen den Himmel, denn der Sonnenuntergang brach heran.
„Hi, Joleen. Na ist unsere Sportgruppe schon bereit für ihr großes Spiel?“
Joleen lachte überdreht und nickte, während sie Kamillentee literweise hinunter kippte. Ein Nebeneffekt war, dass erwachende Wölfe in Vollmondnächten durch die übermäßige Energie, nicht anders konnten als ans Essen und Trinken zu denken. Erst wenn ihre erste Jagd im Wald beginnen würde, würde sie ruhe finden.
„Ja. Er ist etwas nervös, aber ja. Ich denke aber, das ihn Suzana nervöser gemacht hat als nötig.“ Ich lachte gespielt und nickte verstehend.
„Ich weiß was du meinst. Sie hat ihm heute ordentlich Druck gemacht.“ Joleen entleerte ihre Thermoskanne, schnaubte verächtlich und warf sie in den Mistkübel.
Mit hochgezogenen Augenbrauen holte ich die Kanne wieder heraus und steckte sie in meine eigene Tasche. Sie war hart und stabil genug, um jemanden bewusstlos zu schlagen. Lächelnd folgte ich ihr zum eigentlichen Ort des Geschehens und platzierte mich genau neben sich. Ich hatte noch nie eine erst Verwandlung gesehen und würde sie mir auch nicht entgehen lassen. Sollte ich diesen Tag überleben, so würde er als denkwürdigster von allen in mein Leben eingehen.
Der Startpfiff begann. Nate stand im Tor und hatte daher am wenigsten zu tun. Viktor stand ihm genau gegenüber im gegnerischen Tor. Rick war Kapitän der Mannschaft und hatte sich für den heutigen Tag als Stürmer eintauschen lassen… Ferenc saß auf der Ersatzbank. Wahrscheinlich hielten sie sich zurück, um einschreiten zu können, sobald die Sonne unter ging.
Minute um Minute zog sich das Spiel in die Länge. Nate und Viktor standen wie nervöse Hunde in ihren Toren und warteten, das etwas passierte.
Die gegnerischen Mannschaften kickten den Ball etliche Male von einer Seite zur anderen, während die Cheerleader meiner Klasse wie wilde gackernde Hühner hin und her hüpften, um ihre Mannschaft anfeuerten.
Joleen erklärte mir, dass der Direktor zwar erlaubt hatte, dass sie sie anfeuern durften, doch nicht ausbuhen, da das vor einigen Jahren einmal zu einem kleinen Aufstand ausgeartet war. Ich schätzte auf zirka vier Jahre zurück, da wahrscheinlich zu dieser Zeit ebenfalls Wölfe im richtigen Alter warum, um sich zu wandeln.
Joleen, aß bereits ihren sechsten Burger und die Leute um uns herum blickten sie immer wieder seltsam an. Ich legte Joleen eine Hand auf die Schulter und versuchte auf sie ein zu reden.
Irgendwann kam dann endlich eine Auszeit, da einer sich den Knöchel gebrochen hatte. So harmlos der Sport auch aussehen mochte, brachte er doch gefahren mit sich.
Nun musste Rick ebenfalls laufen. Er war einer der schnellsten und geschicktesten Läufer, die ich jemals gesehen hatte. Nate lief ihm entgegen, um ihm aufzuhalten, doch Rick hob ihn sich einfach über die Schulter. Ein Knacken erklang, das mir einen Schauder über den Rücken jagte. An Vollmondnächten an denen in einem Rudel ein neuer Wolf erwachte, war die Anziehung des Mondes besonders stark. Somit waren auch die Selbstheilungskräfte des Wolfes gestärkt. Nate, der seinen Arm in einer abgehakten Bewegung wieder in seine richtige Position brachte, knurrte so laut, dass sogar ich es bereits hören konnte. Als Rick wieder auf seine Seite des Feldes lief, schnellte Nate in die Höhe und griff an. Er rammte Rick brutal in der Seite, sodass bestimmt bei normalen Menschen, Knochen gebrochen wären, doch in dieser Situation war ich mir nicht so sicher.
So schnell das nicht einmal ich folgen konnte, kam Susi und Ferenc von den entgegengesetzten Seiten angelaufen und warfen sich beschwichtigend dazwischen. Was sie sagten, konnte ich nicht verstehen, da ich in Joleens Augen sah, dass der Ruf lauter wurde. Ihre Nägel zogen sich bereits zu Krallen in die Länge. Jetzt musste bald etwas passieren.
„Joleen! Beruhige dich. Es ist alles in Ordnung. Es ist nur das Adrenalin. Lass es nicht Besitz von dir ergreifen!“
Joleen schlug meine Hand weg und kratzte mir über den Unterarm. Entsetzt blickte sie auf ihre Hände, die mittlerweile zu Krallen verzogen waren, und ich sah eine Träne über ihre Wange laufen. Die Sonne stand knapp über dem Zenit. Warum dann jetzt schon? Es würde noch mindestens eine halbe Stunde dauern, wenn nicht mehr, bis der Mond in seiner vollen Pracht auferstanden war.
„Verdammt. Es tut mir Leid. Ich wollte das nicht.“ Ich achtete überhaupt nicht auf den Schmerz, denn die Wunde würde sich bald geschlossen haben und nur eine Narbe zurücklassen. Sucher und Jäger hatten zwar auch eine gute Heilung, doch Narben blieben uns immer, sowie Knochenbrüche bei uns länger brauchten, als bei Wölfen.
Joleen krümmte sich am Boden zusammen und fing an zu schluchzen. Auf dem Feld war mittlerweile eine Rauferei von Wölfen ausgebrochen. Ich schrie nach Viktor, da er als Einziges noch am Rande des Geschehens stand und fuchtelte wie wild mit den Händen. Irritiert blickte er mich an und ich deutete ihm her zu kommen. Als er die völlig verzweifelte Joleen am Boden sah, lief er sofort los.
„Ich kümmere mich um die anderen. Bring sie weg.“ Er blickte mich entsetzt an.
„Schirin! Du kannst da nichts machen. Das sind Jungs, die prügeln...“
Ich schlug ihm ins Gesicht und er knurrte zornig. Sofort riss er sich ein und blickte mich entschuldigend an. „Kümmere dich um Joleen. Ich weiß nicht wie eine Jungwölfin auf mich reagiert. Ich kümmere mich lieber um die dort vorne und locke sie in den Wald, dort sind sie sicher.“
Seinen Blick nach zu urteilen war er zerrissen zwischen, mich für mein zu Wissen töten und ungläubiges Entsetzen.
Ohne auf eine eindeutige Reaktion zu warten lief ich los und zog Nate weg, während ich auf ihn einredete. „Nate! Nate!“ Er schlug mir ins Gesicht, sodass ich mehrere Meter nach hinten flog und ungut auf meinem Hintern landete. „Okay, was zu viel ist zu viel.“
Ich nahm meine kleine Plastikphiole aus der Hosentasche und entleerte sie auf meinem Shirt.
Sofort wandten sich vier paar gelbe Augen auf mich und bleckten gleichzeitig die Zähne. Jetzt hatte ich ihre Aufmerksamkeit.
„Okay, jetzt ganz ruhig.“
Eigentlich sollte Eisenhut beruhigend auf Wölfe wirken, doch aus irgendeinem Grund sah an ihren sich langsam verwandelnden Gesichter nichts normal aus.
Ich warf einen Blick auf die Dächer des etwas weiter entfernten Dorfes und fluchte. Der Mond hatte den Zenit überschritten, während auf der anderen Seite die Sonne den Zenit ebenfalls im selben Moment berührt hatte.
Das war außergewöhnlich. „He! Leute! Alles in Ordnung. Ich bin es. Schirin. Ihr braucht euch nicht verwandeln!“
Da liefen sie los. Und ich ebenfalls.
So schnell wie mich meine Beine tragen konnten, lief ich in Richtung des angrenzenden Waldes und hielt auf ihn zu. Wildes Gekreische ertönte, als sich zwei Wölfe ebenfalls durch die Menge einen Weg bahnten, um mir zu folgen. Sechs Wölfe und eine Sucherin. Was hatte ich mir nur dabei gedacht. Ich bahnte mir einen Weg durchs Unterholz, sprang über eine Falle und hörte, wie der erste Wolf darin verschwand. Es waren nur mehr fünf Wölfe, die mich verfolgten, und keiner war mehr menschlich. Viktor und Joleen waren irgendwo weiter hinten. Ich konnte sie zwar nicht sehen, doch ich fühlte sie. Ich fühlte sie genauso, wie sie jetzt auch mich fühlen konnten.
Ein orangener Schleier legte sich über das ganze Waldgebiet, sodass es aussah, als würde es brennen. Ich befand mich mittlerweile in einem Gebiet des Waldes, in dem ich mich nicht auskannte, doch lief trotzdem weiter. Meine menschlichen Füße trugen mich zwar nicht so schnell über das Gelände, doch hielten meine Fallen sie etwas zurück. Es waren Stolperseile, Fußfesselfallen und Lochfallen. Nach der ersten Lochfalle fielen sie nicht mehr darauf herein und wichen ihnen geschickt aus. Eine Falle, die ich aus einem dünnen Seil und einem Holzbalken gebaut hatte, erregte meine Aufmerksamkeit. Ich zog ein kleines Messer aus meiner Jackentasche und schnitt im Vorbeilaufen das Seil durch. Nur wenige Sekunden später, hörte ich auch schon einen Wolf durch die Gegend fliegen und vor Schmerzen Jaulen. Wen es getroffen hatte, wusste ich nicht und auch nicht wie sehr. Aber um nachzusehen, war mir mein Leben zu lieb. Ich spürte einen Atem an meiner Wade und schrie auf. Einer der Wölfe war mir etwas näher als lieb. Er schnappte nach meiner Wade, doch ich wich aus, ich sprang gegen einen Baum und katapultierte mich mit meinem Schwung nach links. Der Wolf knallte jaulend dagegen und ich rollte mich vor einen weiteren Kiefer weg.
Fluchend schrie ich auf, als ich mitten in einem Brennsesselfeld landete. Das hatte mir noch gefehlt. Die Wölfe, die durch ihr dichtes Fell gut geschützt waren, liefen unbeirrt hindurch, während ich wie ein Hase durch die Gegend sprang, um ihnen so gut wie möglich auszuweichen. Einer der Wölfe sprang mich von der Seite an und ich riss meinen rechten Arm in die Höhe, um den ich meine Silberkette gebunden hatte.
Jaulend ließ er von mir ab und ich lief weiter, während die anderen mich eingeschüchtert betrachteten.
Sie wussten wohl, nicht wer ich bin. War das möglich? Hatten ihre Eltern sie etwa nicht eingeweiht? Wussten überhaupt ihre Eltern von Suchern und Jäger?
Wohl kaum. Sie kamen mir nach wenigen Metern wieder so nahe, das sie mich beinahe bissen, und mir blieb nichts anderes übrig, als meinen Stock zu ziehen. Ich bremste ab, indem ich auf einen Baum sprang und den Schwung nutzte, um einen nächsten zu erwischen. Die Wölfe hatten zum Glück keine Daumen mehr, daher viel es ihnen schwerer mir zu folgen. Zwar konnten sie sich mit ihren Krallen den Baum hinauf hangeln doch jedes Mal, wenn sie es versuchten, schlug ich mit dem versilberten Eisenrohr nach ihnen.
Nach Atem ringend, ließ ich mich gegen den großen Stamm sinken. Wieso reagierten sie so aggressiv auf mich? Ich betrachtete mein, vom Inhalt der Plastikphiole gerötete Shirt und fluchte. Die Flüssigkeit mit Eisenhut war lilafarben.
„Anfängerfehler! Verdammt!“ Ich schlug deprimiert meinen Kopf gegen Stamm und wünschte mir mit aller Kraft übel riechenden Matsch herbei. Wo war eine gute Fee, wenn man sie brauchte. Innerlich lachte ich, während ich äußerlich vollkommen erschöpft war.
Ich musste hier wegkommen. Dringend.
Ohne darauf zu achten, dass ich nichts außer einen BH unter dem Shirt trug, zog ich es mir über den Kopf und warf es weg in ein Gebüsch. Sofort folgten ihm die vier Wölfe, von denen zwei riesig waren. Erst jetzt hatte ich Gelegenheit, sie genauer zu betrachten. Rick und Ferenc die deutlich größer, als Nate und Susi waren, stritten sich um mein Shirt und zerrissen es. „He! Das ist mein Lieblingsshirt. Das bezahlt ihr, sobald euer Fell weg ist!“
Susi, welche hellbraunes Fell besaß mit einer wunderschönen weißen Zeichnung im Gesicht versuchte wieder nach meinen Beinen zu schnappen, doch schaffte es nicht. Ich streckte ihr demonstrativ die Zunge heraus, was sie nur noch wütender machte. Selbst ihr Wolf mochte mich nicht. Irgendwie deprimierend.
Nate der nichts vom Stoff abbekam, schnüffelte am Boden neugierig herum, während er seine Umgebung genau im Blick behielt. Ferenc warf sich wütend auf Rick, als dieser ihm den größeren Stofffetzen, den ich einst >mein Shirt< bezeichnete, wegnahm und sie kullerten wie zwei grauweiße Stoffballen am Boden herum, während sie immer brauner von der Erde wurden.
Plötzlich fiel mir auf, das irgendwie zwei Wölfe fehlten. Ob sie unsere Fährte verloren hatten? Ich bezweifelte es. Vielleicht waren sie schlauer und lauerten irgendwo. Oder sie saßen immer noch in ihren Fallen? Aber nein, ich spürte sie deutlich in meiner Umgebung. Ich konnte zwar nicht genau sagen, wo sie waren, doch ich fühlte, dass sie näher kamen. Aber langsamer.
Ob alles in Ordnung mit ihnen war?
Ich wandte meinen Blick von den vier verwandelten Wölfen ab und blickte in die Richtung, aus der ich die beiden verblieben, erspähte.
Nur kurz darauf, erschien Viktor tatsächlich in seiner menschlichen Gestalt und hielt für eine zweite einen Ast zur Seite.
Im nächsten Moment schob sich eine weiße Schnauze zwischen zwei Bäumen hindurch und setzte sich hechelnd neben Viktor. Mir stockte der Atem. Das war mit Abstand der schönste Wolf, den ich jemals gesehen hatte.
Joleen? Hörte ich eine Stimme in meinem Kopf, die sich stark nach Rick anhörte. Jedoch als ich zu seinem hellgrauen Wolf blickte, war er immer noch in Pelz gehüllt.
Joleen! Alles in Ordnung? Rick lief auf sie zu und stieß sie mit dem Kopf an. Sie rieb ebenfalls ihren Kopf an ihm und biss ihn spielerisch ins Bein.
Warum war Joleen ein weißer Wolf?
Joleen verwandelte sich in Nebel gehüllt wieder in ihre menschliche Form und stand nackt im Wald. Im selben Moment verwandelte sich auch Rick und zog sein Trikot aus. Da es ihr zu groß war, verdeckte es sie bis zu den Knien.
Erst als ich den Kontrast zwischen dem dunkelblauen Trikot und ihrem Haar erkannte verlor ich fast den Halt auf meinem Baum. Ihre Haare waren schneeweiß so wie ihre Wolfsgetalt.
„Joleen! Ist alles in Ordnung? Was ist mit deinen Haaren passiert?“ Ich kletterte vom Baum und lief auf sie zu, ohne auf das knurren neben mir zu achten. Nate lief an meiner Seite zu ihr und stupste sie liebevoll an. Rick hatte einen Arm um sie gelegt, als würde er sie wärmen wollen, doch ich wusste, dass sie nun keine wärmende Kleidung mehr brauchte. Nate war vor mir bei ihr und verwandelte sich um sie sofort in die Arme zu schließen.
„Oh, Joleen. Nein! Bitte nicht.“ Er brach vor ihr in Tränen aus und drückte sie noch fester. Das die anderen Jungs zusahen, schien ihn nicht zu stören.
Als ich meine Hand nach ihr ausstreckte, knurrte Rick und Joleen funkelte mich wütend an. Ups... Ich hatte mich gerade wieder einmal von meinen Gefühlen überwältigen lassen.
„Wer bist du!“ Rick packte mich am Hals und drückte zu. „Sehr geschickt demjenigen die Luft abzudrücken, der antworten sollte...“ Er drückte fester und ich spürte eine Menge Gewalt von ihm ausgehen. Er war wohl nicht mehr für Scherze aufgelegt...
„Antworte, oder ich reiße dir den Kopf ab!“
Joleen löste sich aus den Armen ihres Bruders und legte besänftigend ihre Hand auf die von Rick. Sofort zuckte sein Blick zu ihr und wurde traurig.
„Sie kann dir nicht antworten Ritchi. Lass sie los. Sie läuft nirgends mehr hin.“
Ferenc hatte sich auch wieder zurückverwandelt und stand hinter mir, um mir eine Fluchtmöglichkeit abzuschneiden. „Und was ist wenn sie wieder eine ihrer Fallen auslöst? Eine hätte mir vorhin beinahe den Kopf zertrümmert.“
Ach dann war es Ferenc gewesen, den der Baumstamm getroffen hatte.
„Und mir tut die Nase immer noch weh. Du hast mir voll ins Gesicht getreten!“ Beschwerte sich Susi und ich sah, dass ihr Gesicht rot vom Blut war.
„Tut mir Leid, aber ihr wolltet mich fressen. Nächstes Mal verteidige ich mich eben nicht...“ Gab ich trotzig zurück und Susi streckte mir die Zunge heraus.
„Rick knurrte wieder, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen, was auch gut funktionierte.
„Sag jetzt wer du bist. Du bist aus alle Fälle ein Mensch mit dem dritten Auge. Du wusstest von Anfang an was wir sind. Hast du dich deshalb mit uns angefreundet?“
Ich verschränkte die Arme abweisend und hob mein Kinn im Stolz getroffen. „Als würde ich mich jemals mit Wölfen anfreunden. Ich bin viel zu beschäftigt um mir mit so etwas die Zeit zu verschwenden. Warum ich hier bin ist eine längere Geschichte, doch ich kann euch sagen, dass meine Aufgabe erledigt ist. Meine Eltern und ich werden weiter ziehen.“
Nate war nun derjenige, der sprach. „Und was war deine Aufgabe?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich erst wenn es erledigt ist.“
Ferenc knurrte. „Das heißt du lässt dir von unbekannten einen unbekannten Auftrag in ein unbekanntes Gebiet geben um dort unbekannt lange zu sein?“
Ich hob die Schultern und verdrehte die Augen. „So ähnlich, Ferenc. Eigentlich gibt mir niemand diese Aufgaben. Ich weiß einfach wo ich hin muss um Menschen vor Wölfen zu beschützen. Als ihr mir gestern erzählt habt, dass heute das Mach wäre, wusste ich weswegen ich hier bin. Es war dumm von euch während einer Erstverwandlung und auch noch von so einer beeindruckenden, ein Mach zu spielen. Und das auch noch am späten Nachmittag! Wer hat euch da überhaupt ins Hirn geschissen? Wisst ihr eigentlich das ihr mit einem Schlag die halbe Inselbevölkerung hättet auslöschen können!“
Alle blickten gleichzeitig bedrückt zu Boden. Anscheinend war ihnen überhaupt nicht bewusst gewesen, wie verantwortungslos sie gehandelt hatten.
„Wir dachten, dass sich bis dahin Joleen schon verwandelt hätte. Wir hätten niemals gedacht, das sie so lange bräuchte.“
Joleens Kopf zuckte zu ihrem Bruder und sie funkelte ihn wütend an. „Pass auf wie du mit mir sprichst.“
Etwas an ihrer Stimme schaltete abermals meine innere Stimme ein. Ich hatte eine neue Aufgabe.

 

- - - - -

 

Als ich erwachte, lag ich in den Armen von Ferenc. Ich war wohl am Waldboden zusammen gebrochen und alle waren verschwunden. Nur Ferenc war hiergeblieben, um auf mich zu sehen. Oder um mich zu bewachen?
„Wo sind die anderen?“
Sein Kopf zuckte zu mir herunter und er lächelte freundlich.
„Sie sind heim sich waschen. Es dämmert bereits.“ Tatsächlich. Als ich meinen Kopf wandte, sah ich in der Ferne einen orangen Sonnenaufgang.
Erschöpft ließ ich meinen Kopf auf seine Schulter zurückfallen und er hauchte mir einen Kuss auf die Stirn.
„Du solltest langsam nach Hause. Deine Eltern machen sich bestimmt sorgen.“
Ich nickte und wollte aufstehen, als Ferenc seinen Griff verstärkte und mich zurückzog.
„Schirin... Sei ehrlich was bist du?“
Meine Gedanken schwirrten herum, wie ich das erklären sollte. „Ich bin eine Sucherin.“
Sein Kopf kippte nach links, wie bei einem Hund wenn er versuchte, etwas zu verstehen. „Was suchst du?“ Noch als er es aussprach, hellten sich seine Augen wissend auf. „Wölfe...“ Flüsterte er und ich nickte nur.
„Und was machst du wenn du sie gefunden hast?“
Seufzend löste ich mich aus seinen viel zu warmen Armen und setzte mich ihm gegenüber.
„Es gab vor langer, langer Zeit Menschen und Wölfe. Sie lebten als Jagdfeinde neben einander her. Irgendwann... So erzählte man es sich in unseren Legenden... Gab es eine Jagd auf Wölfe. Sie kostete vielen Menschen und Wölfen das Leben. Die Tochter des Stammesführers, weinte das ihr Vater dabei ebenso starb. Man sagt sie hätte einzigartige Fähigkeiten besessen.
Zur Strafe, für den Verstoß gegen die Natur, verfluchte sie ihre Familie und ihren ganzen Stamm. Diese wurden einmal im Monat zu bösartigen Kreaturen. Von da an, waren sie keine Menschen und keine Tiere mehr. Sie waren blutrünstige Bestien.
Es dauerte Generationen, bevor sie eins mit ihrem inneren Wolf wurden. Daraus entstanden in der heutigen modernen Welt die Halbwölfe. Sie passten sich an und wurden zahm. Sie vermehrten sich mit Menschen und diese wieder mit anderen Menschen. Sie hofften somit ihr Wolfsgen hinaus zu züchten. Natürlich dachten nicht alle so, doch einige taten das. Von Generation zu Generation wurde das Wolfsgen schwächer, bis die die keine Wölfe mehr sein wollten die Fähigkeit zum wandeln verloren.
Und von diesen Wölfen stamme ich ab.
Meine Vorfahren habe die Kraft des Wandelns, die Geschwindigkeit, die besonderen Sinne und das Wissen verloren. Aus denen entstanden wiederum besondere Menschen. Menschen die Finden und Menschen die Jagen.
Ich bin einer der Menschen die Wölfe spüren und finden kann. Sie es als Gabe oder als Fluch an. Ich kann nicht daran vorbei.
Gerade als ich in Ohnmacht gefallen bin, habe ich einen neuen Auftrag erhalten. Das heißt dass ich hier bleiben soll. Ich habe keine Ahnung was diese Aufgabe ist, doch ich weiß das ich euch vor etwas beschützen soll, nur...“
Ferenc hatte die ganze Zeit geschwiegen, doch nun unterbrach er mich. „Vor Joleen!“
Vor Joleen? Warum sollte ich die Wölfe vor Joleen beschützen? „Was redest du denn da? Warum sollte ich euch vor Joleen beschützen?“
Ferenc blickte sich unsicher um, als wüsste er nicht recht, ob er es mir sagen sollte. Ich horchte und wusste dass kein einziger Wolf, außer ihm in der Nähe war. Was verunsicherte ihn dann so?
„Joleen ist eine Ikooko mimo Olorium. Das bedeutet heiliger Wolfsgott. Sie ist unberechenbar und unglaublich mächtig. Wenn du in ihrer Nähe bist, dann denk nicht mehr an das kleine Mädchen, vor ein paar Stunden. Sie ist nicht mehr da was sie ihr Leben lang war. Sie ist verflucht.“
Was? Wie konnte so ein kleines, reines Wesen verflucht sein?
„Und was tut eine Wolfgöttin?
Er lächelte und blickte hinauf zu den aufziehenden Wolken. „Sie gebietet über ihre Gabe.“
„Über Wölfe?“
Er nickte. „Joleen... Sie hat nun die Fähigkeit andere Wölfe zu zwingen ihre Gestalt zu wechseln. Sogar um Mitternacht, kann sie andere zwingen sich nicht zu verwandeln. Sie kann uns zwingen unsere Wölfe nicht mehr zu spüren, oder mit ihnen zu kommunizieren. Und das könnte uns töten. Für uns Wolfswandler gibt es nichts Schlimmeres als keinen Kontakt zu unserem inneren Wolf zu haben.
Natürlich kann es auch sein, das sie sich gegen das Bedürfnis uns zu beherrschen währt, doch...“
Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn zu stützen.
„Ferenc... Wenn ich von was auch immer, einen Auftrag bekomme, dann werde ich ihn ausführen. Als Sucher bin ich zwar noch lange nicht so stark wie ein Jäger, doch wenn ich einen Jäger einschalten würde, dann würde er bestimmt euch alle auslöschen, um ihre Kraft zu nehmen. Aber du musst wissen. Wenn meine Innere stimme nichts anderes sagt... dann...“
Er zog mich so abrupt zu sich, dass ich mich an ihm festklammerte, da ich dachte das ich am Waldboden aufschlagen würde, doch stattdessen küsste er mich einfach. Vor Schreck, dass er mich in so einer ernsten Situation einfach überrumpelte, konnte ich mich nicht wehren, und er nahm das als Aufforderung.
Kaum das ich mich von meinem Schreck erholt hatte, lag ich auch schon am Boden und genoss seine Küsse an meinem Hals.
Auf einmal wurde ich mir peinlich bewusst, dass mein Shirt irgendwo in einem Gebüsch zerfetzt hing und schob ihn runter von mir.
„Warte! Ihr habt mein Shirt zerfetzt! Ich erwarte eine Entschädigung!“
Lachend drückte er mich wieder auf den Boden zurück und betrachtete mich eingehender. „Also, mich stört das überhaupt nicht.“
Grinsend schlug ich ihm halbherzig auf den Brustkorb, das ihm ein entzücktes Knurren entlockte.
„Ferenc, wir sollten vielleicht zurückgehen.“ Er nickte und fuhr mit seiner Hand über meinen Bauch.
„Hattest du schon viele Männer?“
Einerseits war ich überrascht über diese Frage, doch mir war schon seit ein paar Tagen klar, dass er mich sehr mochte.
„Das liegt im Auge des Betrachters, Ferenc. Und ja ich war hin und wieder mit jemand im Bett. Aber für Beziehungen habe ich keine Zeit. Genauso wenig wie für Freunde. Ich suche und beobachte. Das ist meine Rolle im Leben. Wenn ich einschreiten muss, dann rufe ich einen Jäger. So ist mein Leben.
Bitte versteh das nicht falsch, doch mehr als Bekannte können wir nicht sein. Ich werde gehen, wenn ich es nicht tue, dann...“
Ich wusste nicht, was war, wenn ich nicht auf mein Gefühl hörte. Aber ich wusste, wenn ich es tat, dann war es auch gut so.
„Was >dann<?“
Ich wandte meinen Blick ab. „Ich weiß es nicht. Aber immer wenn ein Sucher seiner Aufgabe nicht nachkommt, sterben viel Menschen und die Wölfe fliegen auf. Es ist einfach besser, wenn die meisten Menschen nicht wissen, dass es noch andere unter ihnen gibt. Was denkst du wie die Inselbewohner reagieren würden, wenn plötzlich ein Schultergroßer Wolf vor ihnen steht?“
Er lächelte. „Wenn sie dann noch etwas sagen können, dann wird es wohl nichts Gutes sein.“ Er streichelte meinen Bauch immer noch und ich genoss das Gefühl. Ich wusste jetzt schon, dass der Abschied schwer werden würde, wenn ich sie verließ. Sie alle.

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Tag 10 Samstag

Laktion 5:  Ein Sucher muss die Hilfe eines Jägers annehmen, wenn dieser Geschickt wird!

 

 

Die restliche Woche waren Joleen, die als neue Wolfsgöttin auferstanden war, Nate ihr älterer Bruder, Rick ein Alpha von der Sportschule, Susi, Viktor und Ferenc nicht mehr zur Schule gekommen. Die beiden Wölfe, die am Matchtag durch die Menge gelaufen waren, bezeichneten einige als ausgebrochene Hunde. Auch wenn eigentlich keiner vermisst wurde. Ferenc hatte mich jeden Tag sehen wollen seitdem und schien auch der einzige zu sein, der noch mit mir sprach.
In der Schule waren noch immer alle fasziniert von mir, doch das war nicht dasselbe. Es ging, darum die Wölfe zu beobachten, doch wie sollte ich das, wenn sie mir auswichen? Verstanden sie denn nicht, wie wichtig es für die anderen war?
In einem Trainingsanzug stand ich nun vor Nate und er funkelte mich nur zornig an. „Was suchst du hier?“
Ich betrachtete seine blaue Wange und fragte mich, ob die kleine Joleen das wohl gewesen war.
„Ich will zu Joleen.“
Er schloss die Türe, doch ich schob meinen Fuß dazwischen. „Ich dachte du kannst endlich weiterziehen. Warum verschwindest du nicht einfach?“
Ich drückte die Türe wieder auf und schob mich einfach an ihm vorbei. Mein Gefühl sagte mir, das sie in ihrem Zimmer war und ich lief sofort in die Richtung.
Ohne anzuklopfen, da sie mich bestimmt gehört hatte, trat ich ein und sah sie auf ihrem traumhaften Bett sitzen.
„Joleen!“ Sie blickte zu mir auf und lächelte. „Schirin.“
Nate ignorierend der mich anknurrte, setzte ich mich neben sie auf das Bett und wartete. Niemand von uns dreien sagte etwas. Ihr weißes Haar, lag wie ein Schleier um ihr Gesicht. Das weiß betonte ihre makellose Haut und ließ sie im Schein der Tischlampe noch älter wirken, als noch vor einigen Tagen.
Wenn man sie nicht davor gekannt hatte, dann würde man behaupten, sie wäre ein zu Mensch gewordener Engel.
„Es tut mir Leid, das ich dir nicht gesagt habe, das ich eine Sucherin bin.“ Nate zuckte zusammen und blickte mich eingehend an.
Joleen selbst nickte nur.
„Wie fühlst du dich, als Wölfin?“
Sie lächelte nun. „Besser. Ich habe noch etwas Probleme damit mich zu verwandeln, doch es wird besser. Nate hilft mir viel.“
Ich blickte zu ihm hinüber und zog die Brauen kraus. „Ist er deshalb so blau?“
Sie zuckte zusammen und knurrte. „Er hat es verdient, wenn er mich zu sehr nervt.“
Ich spürte einen Stich im Herzen. Er verkrampfte sich und zog sich schmerzhaft zusammen. Das kleine Mädchen war tatsächlich weg.
„Kannst du dich noch an den Tag erinnern, an dem wir Shoppen waren?“ Ihr lächeln kehrte wieder zurück. „Natürlich. Es war einer der schönsten Tage meines Welpenlebens. Wir müssen das bald wieder machen!“
Ich erwiderte ihr Lächeln und nickte. „Natürlich machen wir das.“
Joleen legte unvermittelt beide Arme um mich. „Danke, Schirin. Danke dass du da bist.“
Tränen drängten sich in meine Augenwinkel und ich drückte sie fester an mich. „Ich werde dich beschützen, Joleen. Ich werde dich vor dir selbst beschützen.“
Joleen nickte eifrig mit dem Kopf und schluchzte ihrerseits.
„Ich will nicht böse sein, Schirin.“
„Du bist viel zu rein um böse zu sein.“ Erwiderte ich und danach hörte ich nichts mehr als ihr Schluchzen.
Vielleicht war noch ein kleines bisschen von ihr da.
Ich blickte zu Nate, der unglaublich glücklich zu sein schien. Er nickte mir zu und ich schenkte ihm ein lächeln.
„Was hältst du davon, wenn wir etwas spazieren gehen?“
Nate antwortete prompt. „Nein. Wir haben gesagt, dass sie krank ist. Sie kann nicht hinaus.“
Ich lächelte Joleen verschwörerisch an. „Ihr wollt mir doch nicht weißt machen, das ein Wolf sich nicht ungesehen weg stehlen kann.“
Nate und Joleen lächelten gleichzeitig und nickten.
Nach nur wenigen Minuten kletterten Joleen und Nate aus dem Fenster und liefen zu mir zum Waldrand. Lachend liefen wir noch einige Meter hinein in den Wald und freuten uns einfach.
Vielleicht konnte ich ja das kleine Kind in ihr wecken. Mit viel Glück... oder Ähnlichem...
„Und erzähl, ist es nun anders als Wolf?“
Mehrere Stunden gingen wir gemütlich durch den Wald und redeten miteinander. Die meiste Zeit war sie normal. Man merkte nicht einmal, dass sie anders war, sofern man ihre Haare nicht beachtete. Hin und wieder kam die Göttin in ihr durch und zwang ihren Bruder sich vor meinen Augen schmerzhaft zu verwandeln.
Was ich so beobachtet hatte, verwandelten sich Wolf und Mensch als eine Einheit umgeben von Nebel, der sich aus Staub und Blättern unter ihnen erhob. Jedoch wenn sie gezwungen wurden, war es das Schlimmste, was man sich vorstellen konnte. Man hörte Knochen knacken, sah Fell sprießen, und den Körper sich unnatürlich verbiegen, bis das gewünschte, oder geforderte wie in diesem Fall, Ergebnis erreicht wurde.
Es war das schrecklichste das ich jemals zuvor gesehen oder gehört hatte. Natürlich hatte ich bereits mehrere Knochenbrüche hinter mir, doch bei solchen Zwangsverwandlungen, war das etwas ganz anderes.
Als die Sonne unter gegangen war, befand ich mich an der Strandar und wartete auf die Jungs.
Ferenc hatte mich angerufen, um mir mitzuteilen, dass sich alle Wölfe am Strand treffen würden um zu besprechen was nun weiter passieren würde. Natürlich war ich nicht offiziell eingeladen, doch das war mir egal.
Es ging immerhin um ein unschuldiges kleines Mädchen.
Als Rick mit Viktor und Ferenc um die Ecke kamen, entschlüpfte ihm ein zorniges Knurren. Jedoch nicht in meine Richtung, sondern in die von Ferenc.
„Was soll das? Sie hat hier nichts verloren.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte er sich wieder mir zu und fuhr fort mich böse anzustarren. „Und zu dir. Was suchst du noch hier?“
Ein Blick zu Ferenc sagte mir, dass sie nicht wussten, dass er noch mit mir gesprochen hatte.
„Das ist eine längere Geschichte. Ich muss hier dabei sein. Ihr habt kein Recht alleine über ein Leben zu bestimmen.“
Rick wollte sich gerade auf mich stürzen, als Viktor ihn am Arm fest hielt und zum Barkeeper nickte, der ziemlich fasziniert von seinem Mixer zu sein schien.
Rick schüttelte seine Hand ab und deutete zum Strand.
Unten wartete bereits Nate auf uns und nickte bloß.
Einige Zeit saßen wir da und warfen uns unterschiedliche Blicke zu. Nate mir freundliche, Ferenc verliebte und Rick zornige. Ich jedoch beachtete jeden nur mit einem kalten Blick. Was sollte ich sonst machen?
Als sich endlich Viktor genervt seufzend zu Wort meldete, atmeten wir alle gleichzeitig erleichtert aus. „Okay. Ich schätze mal, das du nicht ohne Grund noch hier bist?“
Ich nickte. „Jap.“
„Und warum bist du noch hier?“ Viktor klang ungeduldig, als würde er das alles ganz schnell klären wollen.
„Kurfassung. Ich bin eine Sucherin. Meine Urahnen stammen wie ihr von Wölfen ab, doch wir haben keine Fähigkeiten mehr wie ihr Wölfe. Wir Sucher sind keine Bedrohung mehr für euch.
Ich bin bloß eine Beobachterin. Wenn Gefahr für Normalsterbliche Besteht, oder das Auffliegen der Wölfe, dann müssen andere meiner Verwandten einschreiten. Noch Fragen?“
Rick hob die Schultern und musterte mich skeptisch. „Was meinst du mit >keine Bedrohung mehr<? Wart ihr... Sucher etwa einmal eine?“
Er sprach die Bezeichnung Sucher aus, als wäre es giftig. „Ja, aber das liegt Jahrzehnte zurück. Wir Sucher sind einfach zu sehr mit der Natur verbunden um großartig bei Massenmorden mitzuhelfen.“
Ferenc wirkte erschrocken. Das hatte ich ihm nicht erzählt.
„Du warst an Massenmorden beteiligt?“
Genervt verdrehte ich die Augen. „Danke, aber ich bin wesentlich jünger als zweihundert Jahre. Nein, ich war nicht dabei. Meine Urahnen haben damals mit Jägern zusammen gearbeitete, die so kräftig waren, das sie es mit drei Wölfen aufnehmen konnten. Mittlerweile sind sie nicht stärker als ich, doch wesentlich bösartiger und kaltherziger. Sie halten nicht viel von Wölfen wie euch. Sie mögen noch nicht einmal normale Wölfe oder Hunde.
Wir Sucher haben damals die Wölfe aufgespürt und die Jäger haben sie erledigt. Am Festland gibt es beinahe keine Wolfwandler mehr.
Als die Sucher ihren Fehler bemerkten, war es zu spät. Seitdem sind wir Beobachter und passen auf, dass kein Wolfsrudel aus der Reihe springt. Und vor allem ist uns die Geheimhaltung der Wölfe wichtig. Noch Fragen?“
Ferenc hob den Arm, als würde er warten, dass er sprechen dürfte, doch ließ ihn betroffen sinken, als Rick ihn wütend anstarrte.
„Gut, dann wäre das geklärt. Du sagtest im Wald, dass deine Aufgabe erfüllt wäre und dass du verschwindest. Warum bist du also noch hier?“
Ich dachte an das ungute Gefühl zurück und mich überkam ein frösteln. „Als ich zusammengebrochen bin, habe ich eine neue Aufgabe bekommen. Zuerst war meine Aufgabe die Leute beim Match zu beschützen. Als ich die Kaltherzigkeit in Joleen erblickte... habe ich eine neue Mission bekommen. Sie ist gefährlich, mit ihren Fähigkeiten. Sie könnte euch ohne Mitgefühl oder Gedanken was danach passiert einfach auffliegen lassen.
Trotzdem ist noch immer die kleine Joleen dort drinnen.“ Ich warf einen Blick zu Nate, der etwas rot geworden zu Boden sah. „Ich glaube dass wir sie retten können. Und das müssen wir auch. Nicht nur um euer Geheimnis zu bewahren, sondern auch weil es Joleen ist. Sie ist doch noch ein Kind. Sie hat es sich nicht ausgesucht.“
Rick stand auf und kehrte uns den Rücken zu. Wir sahen ihm alle hinterher, als er Richtung Meer ging und es so wütend anstarrte, dass es sich nur mehr um Sekunden handeln konnte, bevor es sich vor Schreck zurückzog.
Nate hob auf meinen fragenden Blick nur die Schultern. „Ich bin auch dafür das wir ihr helfen, auch wenn sie mich ständig zwingt mich zu verwandeln. Schirin, du hast einen echt guten Einfluss auf sie. Wenn du nicht da bist, ist sie voll und ganz die Wolfsgöttin, die in ihr steckt. Aber wenn du da bist, ist sie normal. Sie ist dann Joleen. Ich glaube auch daran, das noch etwas von ihr da ist.“
„Dann müssen wir sie nur daran erinnern wer sie ist.“ Beendet Ferenc den Satz und lächelte stolz.
Ich nickte ihm anerkennend zu und folgte Viktors besorgten Blick zu Rick.
Als würde er unsere Blicke spüren, wandte er sich wieder uns zu. „Okay, dann macht was ihr wollt. Ich werde mich von dieser Bestie fern halten.
Sie ist eine Wolfsgöttin und ihr habt absolut keine Chance gegen sie. Es ist so als würde ein Wolfsjunges versuchen gegen seine erste Verwandlung an zu kämpfen. Es ist ihre Natur und sie wird euch quälen. Kommt später nicht zu mir angerannt und bittet mich euch zu helfen sie zu töten. Mich könnt ihr echt vergessen!“
Mit stampfenden Schritten ging er weg und ich flüsterte. „Dann hole ich eben einen Jäger. Der wird es mit Freuden erledigen.“ Ich wusste, dass er es gehört hatte und bereute es auch etwas.
Als Rick weit genug weg war, blickte mich Nate unsicher an. „Ist das dein Ernst? Wirst du tatsächlich einen Jäger holen?“
Ich ging zu ihm hinüber und umarmte ihn fest. Zuerst war er noch etwas steif, doch dann legte er ebenfalls seine Arme um mich.
Tröstend streichelte ich ihm durchs Haar. Es war noch etwas feucht und er roch, als wäre er direkt von der Dusche hier her gelaufen. Ob er wohl vorspielte, noch in der Badewanne zu liegen, nur das es Joleen nicht mitbekam?
Ich gab ihm einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange und legte meine Lippen auf sein Ohr, um so leise zu flüstern, dass es auch wirklich nur er hörte. „Wenn es soweit kommen sollte. Wenn sie vorhat euch auffliegen zu lassen, oder euch alle zu töten, dann werde ich es selbst tun.“
Er schob mich etwas von sich und blickte mich ernst an. „Aber ich bin ihr Bruder. Ich sollte...“
„... es am aller wenigsten tun.“ Beendete ich seinen Satz. „Zerstör nicht deine vielen guten Erinnerungen an sie. Bitte. Ich bin eine Außenstehende. Ich kann einfach verschwinden. Du aber... Du müsstest deinen Eltern in die Augen sehen. Du müsstest erklären warum du sie getötet hast. Ich habe gute Kontakte, die verhindern dass ich jemals gefunden werde. Behalte sie einfach als die kleine Strahlende im Gedächtnis die sie auch immer war. Komm wir gehen zu ihr. Mal sehen wie es ihr geht. Die beiden haben sie ja noch nicht gesehen.“
Ich deutete mit einem nicken auf Viktor, der Ferenc kopfschüttelnd musterte, während Ferenc mich verliebt anblickte.
Ich hatte hier eindeutig noch sehr viel zu klären.
„Okay, ich muss aber vorher noch ins Bad zurück. Joleen denkt, dass ich Dusche. Ich wollte nicht...“
Viktor legte ihm freundschaftlich seine große Hand auf die Schulter und nickte verstehend.
„Wir kommen in einer halben Stunde zu dir.“ Nate nickte und lief los.
Mein Blick folgte den Arm hinauf zu Viktors Gesicht, der auf die Strandbar nickte, die noch in der Ferne zu sehen war. „Also ich wäre für einen Drink.“
Grinsend folgte ich ihm hinauf und wurde dabei Ferenc in den Arm gezogen. „Ich find das echt toll, was du tust.“
Ich blickte zu ihm hoch und nahm mir vor ihm noch genauer zu erklären, dass ich definitiv nicht so empfand, wie er dachte. „Was meinst du mache ich?“
„Das du Nate so ermutigst und uns den glauben an Joleen aufrecht erhältst.“
Ich dachte an die kleine braunhaarige Joleen mit ihrem süßen kindlichen Lächeln und an die heitere Stimmung, die sie verursachte.
„Sag, mal. Was wisst ihr eigentlich über Wolfsgötter? Sind sie immer so?“
Viktor schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Es gibt legenden über Wolfsgötter die auch Gutes tun. Natürlich sind das nur Geschichten. Wer weiß schon was in den Köpfen von Göttern vorgeht.“
Legenden hatten meistens einen wahren Kern, doch ob das auch hier zutraf? Ich bezweifelte es, doch wollte es dennoch glauben. „Wisst ihr denn, woher sie kommen? Oder wie lange es sie gibt und so etwas?“
Beide schüttelten synchron den Kopf. Dann musste ich es wohl über meine Kontakte herausfinden.
An der Bar bestellte ich mir einen alkoholfreien Cocktail und durchstöberte die Datenbank meiner Gemeinschaft online über mein Handy. Jeder Sucher und Jäger besaß Zugangs Daten, die jedoch regelmäßig geändert wurden, aus Sicherheitsgründen.
„Was suchst du?“ Ferenc streckte seine Nase über mein Handy und ich schob ihn weg. „Nichts, was neugierige Nasen wie dich etwas angeht. Das ist die offizielle Seite der Jäger und Sucher. Das geht einen Welpen wie dich nichts an.“
Er lachte glucksend und wandte sich wieder seinem Cocktail zu. Viktor beugte sich ebenfalls zu mir und las still mit, während ich recherchierte.
Viel fand ich nicht. Hin und wieder wurden sie erwähnt, jedoch schien es so, als würde man mit Absicht keine Informationen preisgeben. Das wichtigste was aus jedem Bericht herausstach, waren, dass sie gefährlich waren und wenn man einem ausgewachsenen Wolfsgott begegnete, sollte man ihn ohne Umstände eliminieren. Anscheinend waren sie nicht nur für andere Wölfe gefährlich.
„Klingt so als würden sie die Informationen mit Absicht zurückhalten.“ Meinte Viktor und nahm mir das Handy weg. Enttäuscht blickte ich auf meine leere Hand, zuckte mit den Schultern, da es so wie so egal war, denn es standen nur Informationen darin, die sie so wie so wussten. Ich widmete mich meinem Cocktail und genoss den fruchtigen Geschmack. Auch wenn es eine eher kleine Insel mit niedrigeren Temperaturen als in Tropengebieten. Zurzeit wünschte ich mir doch irgendwie, mich auf einer tropischen Insel zu befinden, mit heißen Strandboys und Bedienung. Aber nein, ich saß hier, auf einer Insel, umgeben von Tannen und dem Geruch von Ärger in der Nase.
„Schirin? Hörst du mir eigentlich zu?“
„Mit nem halben Ohr, ja.“ Antwortete ich und drehte mich zu Viktor um.
„Also ich habe gesagt, das eure Daten manipuliert sind.“ Überrascht stand ich auf und versuchte, irgendetwas über das Handy zu sehen. Doch das einzige, dass ich erkannte, waren dieselben Schriften, die ich schon vor einigen Jahren studiert hatte.
„Was meinst du damit. Wie erkennst du das?“
Viktor gab mir das Handy zurück und bezahlte. „Das erkläre ich dann bei Nate. Wir sollten jetzt los.“
Auf dem Weg in unser kleines Städtchen versuchte ich etwas aus Viktor heraus zu bekommen, doch er blockte total ab. Er meinte immer nur, dass er es später erklären würde, wenn wir alle zusammen saßen.
Ungeduldig klopften wir an der hellbraunen Haustüre an, die in ein gemütliches zweistöckiges Haus führte, und wurden seufzend von Nate empfangen.
Viktor schob ihn zur Seite und eilte ins Haus. „Nate wo ist dein Laptop?“
Nate schickte uns Richtung Küche, wo Joleen gerade einen riesigen Teller Spaghetti aß, während sie etwas zu schreiben schien. Viktor verscheuchte sie und schob mich vor den Laptop.
„Log dich noch einmal ein.“ Meckernd tat ich was er verlangte und spürte die neugierigen Blicke in meinem Rücken. Was hatte Viktor nur gefunden, dass ihn so sehr beschäftigte?
Ohne auf mich zu achten, tippte er auf den Tasten wie wild herum und öffnete einige Taps, die er genervt seufzend studierte. Ich schälte mich vom Stuhl und ließ Viktor meinen Platz einnehmen.
Joleen umarmte mich und lächelte schwach. „Was ist los? Warum seit ihr hier?“ Ich deutete auf den Laptop und erklärte ihr, was es mit der Seite auf sich hatte. Ihre Augen wurden ganz groß und sie versuchte verzweifelt, mehr zu sehen, doch Viktor versperrte das Bild.
Nach einer halben Stunde wurde es uns zu langweilig, einfach nur zu warten und Nate bot uns etwas zu trinken und essen an. Viktor reagierte auf überhaupt nichts und Ferenc lächelte über seinen Bruder.
„Ihr müsst wissen, dass wenn Vic einmal eine Spur hat, er niemals davon ablässt. Er ist zwar in der Wolfsjagd nicht so begabt und absolut nicht Team fähig, doch wenn es um Recherchen und Internet geht, dann macht ihm das niemand so schnell nach.“
Joleen kicherte „Also ist er ein Internetspürhund.“ Wir lachten über den Vergleich und Ferenc begann sofort neue Namen zu erfinden und etwas aus ihrer Kindheit zu erzählen. Anscheinend waren Ferenc und Viktor sehr unterschiedliche Kinder gewesen. Auch wenn sie zweieiige Zwillinge waren, waren sie doch nicht nur vom Aussehen verschieden. Jedoch verstanden sie sich ohne Worte und konnten spüren, wenn der andere in Gefahr war und Angst hatte. Irgendwie wünschte ich mir ebenfalls so eine Verbindung, doch andererseits, bin ich bis jetzt genauso gut über die Runden gekommen. Lächelnd ließ ich meinen Blick über die ungleichen Wölfe gleiten, die nur ihre Herkunft verband. Joleen hatte sich bis jetzt tatsächlich äußerst ruhig verhalten. Ich fragte mich, ob das tatsächlich an mir lag.
Oder vielleicht wollte auch nur die Wolfsgöttin in ihr, dass wir das dachten. So viele Fragen und so wenige Erklärungen. Wie sollten wir das nur schaffen.
Abermals ertappte ich mich dabei, wie ich mich nach Unterstützung sehnte.
Verdammt ich musste hier weg. Das bin einfach nicht ich!
„Ich geh mal kurz frische Luft schnappen.“ Sie nickten mir zu und Ferenc erklärte weiter ausführlich, wie Viktor einmal auf einem Baum sitzen geblieben war und sich nicht hinunter getraut hatte.
Ich ging hinaus in den Garten des Hauses und stahl mir eine Tomate, die ziemlich reif zu sein schien.
Freudig genoss ich den Geschmack und lehnte mich an einen Obstbaum. Diese sah man nur in den Gärten, zumindest kam es mir so vor. Ein Blick Richtung Wald, bestätigte mir dies. Außer Wald gab es hier nicht viel. Nur drei kleine Dörfer die Rund um den großen Berg in der Mitte der Insel in die Höhe ragte und eine kleine Stadt, in der ich mich eben befand. Die Insel war größten Teils Selbstversorger, doch Getreide, Kleidung, Gewürze und alles, was sie hier nicht anbauen konnten, musste importiert werden.
Im nächsten Moment wurden meine Gedanken gestört, da ein seltsamer Typ den Wald entlang ging. Ich konnte nicht erkennen, wer diese Person war, doch da sie einen Rucksack und Kapuze trug, konnte ich mir denken, dass sie nicht von hier stammte. Ich trat aus dem Schatten des Baumes und spähte über die Thujen, die einen blickdichten Zaun um das Grundstück bildeten.
Die Gestalt in Schwarz verschwand hinter einer Kurve und ich blinzelte verwirrt. Hatten mir meine Augen einen Streich gespielt?
„Schirin?“
Erschrocken holte ich aus und traf Rick an der Schläfe. Stöhnend vor Schmerzen, ging er zu Boden und lachte. „Guter tritt.“
„Oh, je. Das tut mir so leid Rick. Geht es dir gut?“
Er winkte einfach ab und kam wieder in die Höhe. „Für eine Sekunde habe ich schwarzgesehen, aber sonst ist alles in Ordnung, passt schon.“
Vor Schreck seufzend bemerkte ich erst jetzt, dass es doch tatsächlich Rick war. „Was tust du eigentlich hier? Hattest du nicht klar und deutlich gesagt, dass du nichts von unserer Mission hältst.“
Er lachte und betrachtete das Haus. „Jetzt ist es schon eure Mission? Ich dachte die hättest du dir selbst auferlegt.“
„Irgendwie bereue ich es gerade überhaupt nicht mehr, dass ich dich getroffen habe.“
Er zwinkerte und rieb sich noch einmal über die Stelle, an denen normale Menschen nun eine Prellung gehabt hätten.
„Vergiss es einfach. Ich wollte mich so wie so nicht anschließen. Ich will nur sicher gehen, dass jemand das tut was wir tun müssen, im Fall der Fälle.“
Ich nickte verstehend und riskierte noch einmal einen Blick hinter mich zu dem kleinen Schleichpfad am Waldrand. Die Bäume bewegten sich langsam im Wind und ich genoss den leichten Zug, der mir ins Gesicht wehte.
„Sind die anderen drinnen?“
Ich nickte.
„Und warum bist du dann hier?“
Ich hob die Schultern und deutete Richtung Haus. „Unwichtig. Gehen wir wieder hinein.“ Rick hielt mich am Arm fest und blickte mit seinem typischen finsteren und gleichzeitig forschenden Blick zu mir herab. „Schirin, wenn etwas ist was wir wissen müssen...“
Abweisend schüttelte ich seinen Arm ab. „Meine Gefühle gehören mir alleine. Ich muss nicht alles mit euch teilen.“
Rick knurrte warnend. „Ein Rudel teilt alles miteinander.“ Meinte er, als hätte der Satz eine große Bedeutung.
„Gut, dass ich niemals ein Teil eures Rudels sein werde.“
Ohne mich umzudrehen, öffnete ich die Terrassentüre und hüpfte ins Haus. Ich hatte keine Lust auf sentimentale Gespräche über meinen Geisteszustand, oder Ähnlichem. Ich wollte niemals so enden wie meine Mutter. Sie hatte sich mit den falschen angefreundet und lag als Labiles etwas in unserem Haus herum. Abgeschottet von ihren alten Freunden, ihrer großen Liebe und ihren Erinnerungen.
„He, seht mal wen ich gefunden habe.“ Rick folgte mir in die Küche und alle freuten sich, ihn zu sehen. Selbst Viktor, der immer noch mit dem Laptop verbunden war, blickte einmal kurz auf.
„Wo hast du denn den gefunden?“ Fragte Ferenc grinsend.
„Draußen im Garten.“
Nate grunzte. „Schirin, hat dir den keiner beigebracht Unkraut in die Tonne zu werfen und sie nicht unbedingt mit ins Haus zu nehmen.“
Rick knurrte ihn lachend an, während er ebenfalls ein Kommentar zu Nates und Ferenc plötzliche Verbrüderung abgab.
Männer... „Wo ist überhaupt Joleen?“
Nate deutete hinauf in den ersten Stock.
Plötzlich hörte man schon, flinke Schritte die Stiege hinunter liefen und ein kichern. „Ich habe alles. Es ist zwar noch von früher, als ich kleiner war und etwas verstaubt, aber Viktor...“ Joleen kam schlitternd zu stehen und ließ eine silberne Box mit Haarbändern und Spangen fallen. Für wenige Sekunden war dieses Geräusch das einzige, was wir alle vernahmen.
Ich blickte von Joleen, die schockiert dreinsah, zu Rick der dreinsah, als würde er auf der Stelle wandeln.
„Raus!“ Ertönte plötzlich eine helle feminine Stimme, die zwar von Joleen kam, doch irgendwie nicht passte.
Rick knurrte erbost und hielt drohend eine Hand in die Höhe, als ich zu Joleen gehen wollte. Vermutlich wäre das eine weniger gute Idee gewesen.
„Joleen, ich...“
Ungebändigtes Brüllen ertönte. Es war weder menschlich noch tierisch. Es klang wie ein von Schmerzen geplagtes Monster, das seiner Wut Ausdruck verlieh.
Nate, Viktor und Ferenc fielen sofort vom Sessel und wandten sich am Boden vor Schmerzen.
Ich hielt mir die Ohren zu, da das Brüllen mein Trommelfell erschütterte. Rick stemmte sich gegen ihre gewaltige Stimme und bellte unnatürlich.
„Niemals! Ich bin ein Alpha und ein Leitwolf. Du hast mir nichts zu bestimmen, Welpe!“ Joleen kam so nah zu ihm, das ihre unbändige Kraft die sie ausstrahlte ihn zu Boden zwang. Im Knien war er nur um wenige Zentimeter kleiner als sie und sie blickte auf ihn herab. Ferenc, Nate und Viktor kauerten mittlerweile als Wölfe mit eingezogenen Schwanz in der Ecke und jaulten vor Schmerzen. Anscheinend übte sie irgendeine mentale Kraft auf sie aus, die sie zwang, sich zu verwandeln und ihnen schmerzen bereitete. Ob sie dem Wolf oder dem Mann diese Schmerzen zufügte, konnte ich unmöglich bestimmen.
„Ach, ja. Habe ich das nicht. Ich bin eine Göttin. Ich kann dich zu einen einfachen Menschen machen, wenn ich das möchte.“
Das alleine zu hören klang grauenhaft. Wieso sollte man das jemanden antun wollen?
„Joleen, hör auf du...“
Ihr Blick, der die ganze Zeit auf Rick gerichtet war, zuckte zu mir und ich sah plötzlich in ihre gelben Augen. „Du sei still, renegarde Ikooko. Du hast hier am aller wenigsten zu melden.“
Danach beachtete sie mich überhaupt nicht mehr, als wäre ich es nicht würdig von ihr angesehen zu werden.
„Und zu dir. Du bist es nicht wert dich in meiner Nähe aufzuhalten. Verschwinde von hier. Das sind meine Wölfe!“ Ihre Stimme klang wie etwas zwischen Knurren und ihre unnatürliche Stimme, die mir eine Gänsehaut verursachte.
Rick wandte sich vor ihr, als würde er versuchen etwas aus seinem Kopf zu bekommen.
Sie jedoch, griff nach seinem Hemd und drehte seinen Kopf, sodass er sie ansehen musste. Ich konnte nichts anderes tun, als da zu stehen. Mitten in der Küche, links von mir verkrochen sich drei Wölfe in eine Nische, während Rick um sein Leben rang. Was soll ich nur tun?
Mein Körper verweigerte seinen Dienst. Ich konnte mich nicht bewegen, noch nicht einmal schreien konnte ich. Vor Angst brach ich in Tränen aus. Wie war so etwas möglich? Ich wollte nicht einfach nur da stehen und nichts tun können. Ich musste so stark sein, wie Rick, ich musste mich wehren.
Ein plötzlicher Schmerz brach in meinem Kopf aus und ließ mich zusammen brechen. So schnell, wie er gekommen war, war er auch wieder verschwunden. Eine kalte Schnauze stupste mich an. Ich blickte hinauf in Ferenc trauriges Wolfsgesicht und lächelte leicht. Ihm ging es gut. Mit Mühe setzte ich mich auf und betrachtete nacheinander die drei Wölfe, die sich um mich gestellt hatten. Ich saß in ihrer Mitte und fühlte mich etwas fehl am Platz.
Rick lag am Boden und nur zarte und zerbrechliche Beine sahen unter ihm hervor.
Vorsichtig und etwas skeptisch, ob wieder dieser Schmerz von gerade eben einsetzen würde, bewegte ich jedes Glied, erst dann rappelte ich mich hoch.
Rick hatte Joleen unter sich begraben, doch ich konnte nicht erkennen, ob sie noch lebte, oder was sie machte.
Nate, der wieder er selbst war, schob mich zurück zum Küchentisch und legte mir ein nasses kaltes Handtuch auf den Kopf. Erst als er es wegnahm, merkte ich, dass ich blutete. Ich musste wohl auf den Kopf gefallen sein.
„Danke, Nate.“
Er lächelte und holte einen neuen.
„Du solltest dir das Ansehen lassen.“ Meinte Ferenc und strich mir über den Rücken.
Ich winkte ab. „Meine Heilungskräfte sind zwar nicht so effektiv wie eure, doch besser als die von Menschen. In ein paar Minuten ist wieder alles in Ordnung.“ Er nickte und seufzte.
„Schirin?“ Joleen kam vollkommen rot im Gesicht zu mir und fiel mir um den Hals. „Es tut mir so leid. Ich wollte dich nicht beleidigen oder verletzen. Ich kann das nicht kontrollieren. Es über nimmt mich einfach...“
„Sch... Alles ist in Ordnung. Wir sind für dich da.“
Vorsichtig strich ich ihr durchs Haar und fragte mich, was Rick getan hatte um sie wieder auf den Boden zu holen. Mehr oder weniger. Sie wirkte zwar nicht mehr so wütend wie vorher, jedoch war sie mächtig aufgelöst.
Ich konnte mir schon vorstellen, dass der Wolf in ihr noch um Kontrolle ihres Körpers kämpfte. Ich konnte nur beten, dass er verlor.
„Okay, ich würde sagen, dass wir zurück zum Thema kommen.“ Viktor hatte seinen Posten am Computer wieder eingenommen und winkte uns zu sich. Joleen löste sich und wurde mir regelrecht entzogen. Rick zog sie an sich und schleifte sie mit zu Viktor. Die skeptischen Blicke ignorierte er einfach und war wieder ganz der Alpha und Leitwolf, der er immer war. Niemand verlor noch ein Wort über das, was gerade noch passiert war, und ich fragte mich, ob sie es mit Absicht verdrängten, oder ob sich niemand traute zuerst davon anzufangen.
Mit verwirrtem Kopf folgte ich ihnen und lehnte mich über die Schultern von Nate, um etwas zu sehen. Er lächelte kurz zu mir nach hinten, bevor er Viktor weiter zusah, der sich währenddessen durch verschiedene Ordner klickte. Rick stand mit Joleen an seiner Seite vor uns und hatte einen Finger in ihrer Rockschleife gehackt, die eigentlich für einen Gürtel bestimmt war. Sie stand vollkommen steif in seinem Arm und man sah ihr an, dass ihr Kopf verwirrt und überfordert ratterte.
Von dem Tollwütigen etwas von gerade eben war überhaupt nichts mehr zu erkennen. Auch das sie Rick auf die Knie gezwungen hatte, schien völlig an ihm vorbei zu gehen. Er hielt sie einfach so im Arm, als würde er davon ausgehen, dass sie jeden Moment weglaufen würde und sich wieder in das Monster von vorhin verwandeln würde.
Vielleicht hatte ich Joleen vor einer Woche Unrecht getan. Vielleicht war er tatsächlich ihr Seelenpartner. Der eine für sie. Auch wenn er älter war als sie, hieß das nicht, dass sie, wenn sie volljährig war, nicht doch zusammen kämen.
Wenn es so war, dann würde er noch fünfzig weitere Jahre auf sie warten. Auch wenn sie für immer so bösartig sein sollte, würde er für sie da sein und alles für sie hergeben, nur um sie zu beschützen.
Lächelnd schnaubte ich und versuchte Viktor zu folgen, da das Gespräch wichtig war.
„Ich denke dass die Daten manipuliert wurden. Man kann zwar nur in seinen eigenen Dateien etwas einfügen, oder mit Kommentaren denjenigen Verbessern, doch das war es dann auch schon. Schirin, gibt es Leute, die auf alle Daten zugreifen können?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Da ist ein Programm das uns ein zufälliges Passwort sendet und mit diesem können wir die nächsten drei Tage auf unser Profil zugreifen. Danach wird es ungültig und wir bekommen das nächste. Es ist immer eine Zahlen und Buchstabenfolge. Jedoch ist die Groß- und Kleinschreibung immer unterschiedlich.
Es gibt noch viele Schriften in einem geheimen Gebäude unter der Erde, das unzählige Schriften besitzt, doch bis jetzt sind alle Digitalisiert worden. Zumindest soviel offiziell sind. Wir können auch nur auf Daten zugreifen die unserem Rang entsprechen.
Ich bin zum Beispiel auf dem Rang C. Das ist nicht so bedeutend wie ein Rang A. Doch besser als ein F zu sein, mit dem jeder anfängt. Nach der Ausbildung besitzt man den Rang E und kann auswärts arbeiten. Mit Rang E darf man alleine Arbeiten und als Rang C so wie ich, kann man sich erst als richtiger Sucher, oder Jäger bezeichnen. Wir dürfen uns selbst Aufgaben suchen und werden ziemlich gut bezahlt.
Rang A und B sind diejenigen unter uns, die schon mehrere Jahre hinter sich haben.“
Viktor kicherte. „Und was sind dann diejenigen, die in Pension gehen?“
Ich blickte ihn ernst an. „Es gibt keine Pensionisten bei uns. Die meisten von uns sterben mit vierzig oder fünfzig in einem gefährlichen Einsatz, weil unser Körper alt wird, der Rest ist in Ungnade gefallen und lebt nur noch als Labiles etwas unter der Bevölkerung.“
Ferenc Blick glitt betroffen zu Boden und er entschuldigte sich. „Schon gut, konntest du ja nicht wissen.“
„Okay, und weißt du ob derjenige der das Programm erschaffen hat, darauf zugreifen kann, um die Daten zu manipulieren?“
Viktor schüttelte den Kopf auf Ricks Frage. „Aber er wäre der einzige, der einen Virus auf sein Programm bringen könnte, das die jeweiligen Daten abspeichert. Zumindest denke ich das.
Aber eigentlich ist das auch gar nicht die Frage. Die Frage ist, wer und warum manipuliert die Daten?“
Ich hob unwissend die Schultern. „Ich habe absolut keine Ahnung, Leute. Ich habe mit der Technik absolut nichts am Hut. Ich bin einzig und allein für das Reisen und niederschreiben verantwortlich. Das heißt ich tippe einige Informationen ein und logge mich wieder aus. Ich war noch nicht einmal, seit ich ausgelehrnt bin mehr im Büro.“
Ferenc Blick wurde wieder belustigt. „Seit wann bist du denn aus gelernt?“
Ich streckte ihm die Zunge heraus. „Seit ich fünfzehn bin. Wir sind mit unseren Studien fertig, bevor die normalen Kinder noch ihre Lehren Angefangen haben. Wir haben keine Schulferien und nur monotone Gartenausflüge. Der Rest besteht aus Training unserer Fähigkeiten und Wissensauffüllung.“
Ferenc war völlig verwirrt. „Aber du bist doch erst fünfzehn, oder?“
Genervt verdrehte ich die Augen. „Was redest du denn da? Ich bin bereits neunzehn. Ich bin so wie so bestürzt, dass du mich an baggerst, obwohl du dachtest, dass ich fünfzehn sei.“
Sein Gesicht wurde knallig rot und er betrachtete eingehend die gegenüberliegende Spüle, während es hinter seiner Stirn mächtig ratterte. „Okay, das erklärt einiges...“ Kopfschüttelnd folgte ich wieder Viktor. Zumindest so lange bis mein Handy mich nervte.
Mit einem Blick auf das Display steckte ich es wieder zurück.
Es vibrierte zwar weiter, doch ich ignorierte es, bis es aufhörte. Viktor erklärte gerade, dass er vielleicht herausfinden könnte, wer die Daten manipuliert, als mein Handy abermals läutete.
Eine Nachricht? >Komm sofort nach Hause, Schirin! Ich habe dir doch gesagt, dass wir heute einen Gast haben. Wehe, du bist nicht hier, wenn er eintrifft.<
Seufzend ließ ich mein Handy wieder in die Tasche gleiten und fing Joleens Blick auf.
„Was ist los?“ Ihr Blick verriet mir, dass sie dringend einen Grund brauchte um von Rick wegzukommen und ich deutete ihr mir in den Vorraum zu folgen.
Er ließ sie zwar los, doch nicht ohne ihr noch eine Warnung zu, zu murmeln. Sie lächelte schwach und folgte mir hinaus.
„Entschuldige, ich würde ja gerne länger bleiben, aber meine Mutter nervt mich. Ich muss nach Hause. Sie hat mir irgendetwas geschrieben, davon das heute ein Gast kommt.“
Joleen nickte verstehend. „In Ordnung. Die Jungs und ich klären das schon. Kümmere du dich um deinen Gast.“
Zum Abschied winkte ich noch, doch Nate hielt mich auf und folgte mir bis vor zur Straße. „Ist alles in Ordnung?“
Ich nickte und wiederholte was ich Joleen gesagt hatte. „Ach, so. Verstehe. Kommst du danach wieder?“
Ich hob die Schultern. Im Grunde konnten sie mich auch telefonisch erreichen, doch andererseits war es mir lieber, wenn wir alles persönlich besprachen, da mein Handy nicht abhörsicher war. „Ich weiß es nicht. Ich melde mich später. Und besprecht nichts, wenn ihr euch nicht sicher seid, dass euch auch niemand zuhört.“
Nate nicke und winkte mir zum Abschied.
Ich freute mich schon ungemein, wenn ich endlich hier alles erledigt hatte.
Danach würde ich mir frei nehmen und mir eine Wellnesswoche genehmigen. Ich hatte absolut keinen Bock mehr auf das ganze Grünzeug und Gefühlsding. Ich mochte die kleine Gruppe zwar, doch waren sie Wölfe. Wölfe waren natürliche Feinde von uns Suchern. Ich konnte nur hoffen, dass alles glattging, und wir eine gute Lösung für Joleen fanden.
Sie konnte doch unmöglich für immer zwei fürchterlich unterschiedliche Charaktere haben.

 

- - - - -

 

„Hi, Mum.“ Meine Mutter blickte aus der Küche und winkte mich zu sich.
„Geh sofort nach oben und zieh dich um. Wie siehst du denn schon wieder aus.“
Erst jetzt viel mir auf, das meine Kleidung sabberflecken von den Wölfen besaß und ärgerte mich darüber. Außerdem stank ich fürchterlich nach Hund. Das musste ich sofort ändern.
Unter ihrem wütenden Blick eilte ich die Treppe hoch und warf mich unter die Dusche. Es war lästig für mich, wenn mich meine Mutter wie eine Minderjährige behandelte, doch das war alles Teil meiner Tarnung. Nichts durfte in Frage gestellt werden.
Nach einer ausgiebig langen Dusche, um auch wirklich den Hundegeruch loszuwerden, schlüpfte ich in eine gemütliche Jean und ein bedrucktes Shirt, das mich jünger aussehen ließ, und schminkte mich dezent, bevor ich mein bestes Lächeln aufsetzte und die Stiegen hinunter sprang.
Im Esszimmer winkte meine Mutter mich in den Raum und hatte ein höfliches Lächeln aufgesetzt, dass mir verreit, dass unser Gast bereits hier war.
Ich trat ein und verzog innerlich das Gesicht. „Schirin, das ist mein Neffe Adrian. Er ist der Sohn von meinem Bruder aus den Staaten. Adrian, das ist meine älteste und einzige Tochter Schirin.“
Ich reichte ihm höflich die Hand und spürte schon beim ersten Händekontakt, das er kein Mensch war. „Hallo, Adrian. Ich denke wir kennen uns noch nicht, oder?“
Er verneinte „Nein, leider hatten wir noch nicht das Vergnügen. Ich bin erst seit heute auf der Insel. Onkel Leon war so nett, mich auf zu nehmen.“
Ich warf meinem Ziehvater einen fragenden Blick zu und dieser nickte bestätigend. „Ja, ich dachte mir, da er zur Verwandtschaft gehört, und er ja ein anständiger Kerl ist, warum nicht. Wir haben doch genug Platz.“
Ich dachte an das Dreizimmerhaus und hob die Brauen. Zwei Schlafzimmer waren belegt und das Wohnzimmer voll geräumt. Esszimmer und Küche gehörten zusammen, also blieb an sich nur mehr der Keller. Ehrlich musste ich gestehen, dass ich bis jetzt noch überhaupt nicht unten gewesen bin und daher nicht wusste, wie groß er war. Von den Bauplänen natürlich schon, aber ob meine Eltern auch etwas dort unten lagerte, war mir neu.
„Und wo soll er schlafen? Die Bank ist doch etwas zu ungemütlich und ich denke nicht das er sich ein Zimmer mit einer fünfzehnjährigen teilen möchte, Dad.“ Mein Vater lachte und schob mich Richtung Tisch. „Natürlich, das kommt überhaupt nicht in Frage, ich dachte eher an den Dachboden, ich habe ihn die letzten Tage ausgebaut und wollte ihn etwas heimeligere machen. Außerdem was ist heimeliger, als wenn man daraus ein Zimmer macht.“
Während des Essens tauschte mein Vater und Adrian Kindheitserinnerungen aus, die eigentlich überhaupt nicht echt waren. Ich war mir sogar fast sicher, dass Adrian entweder ein Sucher, oder ein Jäger war. Wenn einer dieser Fälle stimmte, dann fragte ich mich, was er hier machte. Ich hatte um keine Unterstützung gebeten, und dass jemand hier her verlegt wurde, war mir auch nicht gesagt worden.
Ich konnte also nur hoffen, dass ich in Ruhe meiner Aufgabe nachkommen konnte.
Nach dem Essen bezog meine Mutter die Bank, da Vater und Adrian morgen ein Bett besorgen würden, und ich zog mich nach oben in mein Zimmer zurück.
„Hi, Nate. Gibt es etwas neues?“
Nate seufzte auf der anderen Leitung und brüllte an jemand anderen gewandt etwas. „Nate?“
„Ja, ja. Sorry. Ich hasse Rick, einfach. Wie kann man es nur länger als fünf Minuten mit ihm im selben Raum aushalten?“
Ich verdrehte die Augen und seufzte theatralische. „Tja, weißt du. Wenn man keine Möpse hat, dann mag er einen nicht. Sieh dich damit ab, du wirst ihn nie bekommen, Nati.“
Er schimpfte lautstark, bevor er gereizt ins Telefon meckerte. „Was redest du denn da? Sei froh das du jetzt nicht da bist, sonst hättest du bestimmt schon einen Cocktail im Gesicht, für diese dumme Bemerkung.“
Ich kicherte und hörte Ferenc davon schwärmen, dass ich mich dann ausziehen müsste, und dass ihm das gefallen würde. „Sag ihm er soll sein Maul halten, oder ich schlag es ihm ein.“
Nate kicherte. „Was würde das bringe? Es würde innerhalb von Minuten wieder heilen.“ Da hatte er recht.
„Egal, es würde mir Genugtuung bescheren.“
Er lachte wieder und ich legte nach wenigen Minuten auf. Anscheinend gab es nichts Neues.
Ein klopfen an der Türe ließ mich herum fahren. Adrian stand in der Türe, mit einem Handtuch und einer Jogginghose in der Hand. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich wollte fragen ob du noch ins Bad musst?“
Ich schüttelte den Kopf und schloss die Türe vor seinem Gesicht.
Hinter der Türe entfernten sich seine Schritte und ich legte mich ins Bett. Ein Cocktail klang, eigentlich nicht so schlecht.
Ich zog mich um und steckte mein Messer in meinen Rockgürtel. Ich hatte es immer bei mir. Ohne dem, würde ich mich niemals fortbewegen.
Eilig flog ich die Stiegen hinunter und rief noch, dass ich noch wegginge. Meine Mutter stellte sich mir in den Weg und funkelte mich durch ihre grünen Augen an, die genauso aussahen wie meine. „Junge, Dame. Wir haben Besuch. Du kannst nicht einfach so herumlaufen, wie du willst.“
Ich nickte und griff nach dem Amnesiespray, das ich immer in meiner Tasche trug. Eine Hand hielt mich zurück und ich folgte dem feuchten Arm hinauf in ein Gesicht, das immer noch von einer Sonnenbrille verdeckt war. Adrian schüttelte unmerklich den Kopf. Also war er so wie ich...
„Also, ich würde noch gerne etwas die Umgebung ansehen. Wenn es dich nicht stört, würde ich mitkommen.“
Er lächelte mich freundlich an und seine nassen Haare standen wild ab. Anscheinend war er direkt wieder aus der Dusche gesprungen.
Ich betrachtete seinen gebräunten Körper, der auf viele Außeneinsätze schließen ließ und hob die Brauen. „Also, in dem Outfit, wirst du dir eine Erkältung holen.“ Entgegnete ich genauso freundlich.
„Gib mir eine Minute, und ich folge dir auf Schritt und Tritt.“
Meine Mutter schien zufrieden zu sein und wünschte uns einen schönen Ausflug.
Nur fünf Minuten später, war ich bereits am Weg zum Strand. Ich fühlte immer noch den viel zu kräftigen Griff seiner Hand auf meinem Handgelenk, als er mich zurück gehalten hatte, meiner Mutter eine Portion Amnesy ins Gesicht zu sprühen. Amnesy war eine Marke, die von meiner Firma hergestellt wurde, die uns helfen sollte das Geheimnis der Wölfe zu bewahren. Man konnte damit bis zu drei Minuten, des Gedächtnisses eines Menschen löschen. Das war schon oft nützlich gewesen.
Ich selbst benutzte es ziemlich oft bei meinen Eltern, da ich ihnen ja schlecht erklären konnte, was ich tatsächlich machte.
„Wo gehen wir hin?“
Ich warf Adrian einen genervten Blick zu. „Ich weiß ja nicht wo du hin gehst, doch ich gehe etwas trinken. Ich brauche Alkohol.“
Er hielt locker mit mir schritt und kicherte. „An minderjährige wird nicht ausgeschenkt.“
Ich warf ihm einen gereizten Blick zu. „Weißt, du... Ich habe heute schon viel durchgemacht. Sieh es einfach als einen Absacker, nach einem viel zu langen Arbeitstag.“
„Was? War es etwa so schwer plausibel Ausreden zu erfinden und stattdessen lieber die eigene Mutter unter Drogen zu setzten?“
Er wedelte mit der kleinen Dose Amnesy vor meinem Gesicht herum und ich nahm sie ihm wieder weg.
„Das geht dich absolut nichts an. Außerdem habe ich dich nicht nach deiner Meinung gefragt.“
Adrian fuhr sich durchs Haar und machte es dadurch noch wuscheliger, als das es so wie so schon war. Irgendwie sah er dadurch aus, als wäre er gerade erst aufgestanden. Der schwarze Pulli, so wie die Sonnenbrillen hingegen ließen darauf schließen, dass er einen Überfall begehen wollte.
„Sei froh. Meine Meinung würde dir ja doch nicht gefallen.“
Ich blickte zu ihm und versuchte, durch seine Sonnenbrille etwas von seinen Charakter zu erkennen.
„Es würde mir mindestens genauso wenige gefallen, deine Meinung zu kennen, wie das du mich verfolgst.“
„Ich verfolge dich nicht, ich soll lediglich auf dich aufpassen.“ Auf mich aufpassen? Das war also seine Aufgabe. Dann war er ein Jäger. Verdammt, genau das hatte mir noch gefehlt.
„Du weißt genauso gut wie ich, dass ich bereits Volljährig bin und gut genug auf mich aufpassen kann. Ich brauche weder deine Hilfe, noch die von irgendjemand anderen. Danke. Ich habe die Situation vollkommen unter Kontrolle.“
Plötzlich packte mich Adrian am Oberarm und zwang, mich ihn anzusehen. „Schirin! Hör gut zu. Ich wurde nicht geschickt um mich mit dir zu zanken, oder dir auf die Nerven zu gehen. Ich bin hier, da seit einer Woche die Wölfe auf dem Festland verrücktspielen, und anscheinend nur die Wölfe denen du zugewiesen bist, die hier auf dieser Insel leben, völlig normal zu sein scheinen. Daher wurde ich geschickt um zu kontrollieren ob du auch wirklich die Wahrheit schreibst. Irgendetwas hat sich seit dem letzten Vollmond verändert. Ich muss wissen was es ist!“
Sie spielten verrückt? Warum das? Und nur meine Wölfe waren verschont geblieben? Nein sie waren nicht meine Wölfe. Verdammt was dachte ich da überhaupt. Ich muss ihn loswerden.
Ich griff nach meinem Handy und wählte Nates Nummer.
Beim zweiten Klingeln hob er ab. „Nate! Ich komme zur Bar und bin nicht alleine. Ihr Jungs und ich haben etwas zu besprechen.“
„Verstanden.“ Erklang es von der anderen Seite. Nate legte auf ohne noch etwas zu sagen und ich hoffte nur, dass er den Wink verstanden hatte, das sie Joleen verschwinden lassen sollten.
„Gehen wir.“
An der Bar kam uns Rick entgegen und musterte Adrian skeptisch.
„Ist er wie du?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, er ist nur ein lächerlicher Spürhund. Sorry für den Wortwitz.“
Rick winkte ab und ging an meiner anderen Seite wieder zum Stammplatz an der Bar zurück. Viktor und Ferenc saßen wie zwei lebende Wände an der Bar, Rick setzte sich zwischen sie und vollendete das Alphadreieck. Nate saß daneben und ließ sich von mir umarmen.
„Hi, Leute. Das ist Adrian. Er meinte, ihr seid zur Zeit die bravsten Wölfe auf der Erde. Also, was habt ihr zu eurer Verteidigung zu sagen?“
Alle vier blicken Adrian durchdringend an, dieser währenddessen an einem Kaffee schlürfte.
„Ich weiß nicht was er meint.“ Antwortete Rick.
Ich hob lediglich die Schultern und musterte Adrian noch einmal. Er trug immer noch die viel zu dunkle Sonnenbrille und seine schwarzen Haare hingen ihm direkt ins Gesicht.
„Wie wäre es, wenn du uns erklärst was du meinst, anstatt still zu schweigen und die vier Wölfe hinter mir noch mehr zu reizen, als das sie es so wie so schon sind.“
Adrian musterte nun die Wölfe seiner seits und lächelte freundlich.
„Also es geht darum. Seit Vollmond verwandeln sich die Wölfe auf dem restlichen Planeten vollkommen Willkürlich. Niemand kann es sich erklären. Aus einer Laune heraus, haben sich an die hunderten von Wölfen zwischen Menschen, oder auch auf Partys und ähnlichem einfach verwandelt. Andere sind einfach verwandelt aufgewacht und wissen nicht warum. Aber eines haben sie alle gemeinsam, abgesehen von den willkürlichen Verwandlungen. Sie Schlafwandeln. Sie wachen einfach völlig verdreckt an einem anderen Ort hunderte von Kilometer weiter auf und wissen nicht wie sie dorthin gekommen sind. Manche sind sogar schon im Ozean erwacht. Alle jedoch weisen sie in die Richtung der Insel. Ihr jedoch verhaltet euch völlig normal. Und jetzt meine Fragen. Warum?“
Die Jungs und ich blickten uns gegenseitig mahnend an. Niemand von ihnen würde Joleen auch nur ansatzweise erwähnen. Es wäre wie sie einfach in ein Messer laufen zu lassen.
„Wir wissen es nicht. Wir haben uns normal an Vollmond verwandelt und das war es auch schon.“
Adrian hob mahnend die Hand. „Das ist nicht ganz wahr. Ich laß von einem Hundeangriff bei einem Match. Was ist passiert?“
Nate hob den Arm. „Das war meine Schuld. Ich konnte mich nicht beim Spiel zusammenreißen, da es sehr nervenaufreibend war und Rick und ich nicht immer derselben Meinung sind. Wir sind aufeinander losgegangen und haben uns vom Mond mitreißen lassen.“
Adrian notierte etwas auf einem kleinen Block. „Das hießt ihr wart alle schon vor Mitternacht verwandelt?“
Viktor nickte. „Ja. Wir sind in den Wald gelaufen und haben dort Dampf abgelassen, während Schirin alles geklärt hat.“
Nun, ja. So ganz stimmte das zwar nicht, da sie mich durch den halben Wald auf einen Baum gejagt hatten. Aber was zählte diese Heldentat schon...
Adrian blickte mich prüfend an. Eigentlich hatte sich das mit den streunenden Hunden von selbst irgendwie in Umlauf gebracht, doch mich hatte es nicht sonderlich gestört. Wenigsten glaubten die Menschen es.
„Ist danach sonst noch etwas passiert? Was hat es mit den Fehlstunden danach auf sich?“ Warum wusste er auch davon? Er musste sich wohl sehr gut erkundigt haben, bevor er hier her gekommen ist. Ich war mal gespannt wie sie sich da wieder herausredeten.
„Ich war wegen Knochenbrüche zuhause. Meine Eltern haben es mitbekommen und so musste ich etwas wehleidig mitspielen. Die drei Jungs,“ Nate nickte in die Richtung der drei Alpha „Haben das getan was Jungs in ihrem Alter nun mal so tun, wenn das Wetter schön ist.“
Adrian blickte die Drei fragend an und sie grinsten breit. „Natürlich Mädels am Strand abchecken. Das Wasser ist zwar kalt, aber die Süßen, kugeln sich trotzdem in der Sonne herum. Glaubst du denn, das wir uns genau das entgehen lassen?“ Sie klatschten sich protzig ab und lachten laut.
Was würde man anderes von Wölfen erwarten. Kichernd schüttelte ich den Kopf über diese viel zu einfachen und klaren Antworten.
Adrian schien nicht gerade begeistert zu sein, dass sie alle ein Alibi besaßen, doch klappte sein Notizbuch wieder zu.
„Wenn es sonst nichts ist... Ich werde euch noch einige Tage beobachten müssen.“ Das war so etwas von klar gewesen, was war sonst anderes von einem Jäger zu erwarten.
Genervt seufzte ich. „Willst du dir nicht derweilen eine Wohnung nehmen, ich lebe aus Prinzip nicht mit >mir nicht verwandten< zusammen.“
Ferenc blick wurde nun etwas unruhig. Ich konnte nur hoffen, dass er keine Szene machte.
„Tut mir Leid. Aber es ist viel einfacher, sich als deinen Cousin aus zugeben. Also, weiter im Text. Schirin, warum bist du eigentlich noch hier?“
Ich deutete auf meinen Cocktail und grinste breit. „Na weswegen denn. Wo könnte man sonst so einen guten Cocktail her bekommen. Du solltest dringend einen kosten.“
Adrian winkte ab. „Danke, aber da ich immer im Dienst bin, trinke ich nicht. Das drosselt nur das Urteilsvermögen und die Reflexe.“
Alle lachten wir laut auf. Da auch wir von den Wölfen abstammten, verbrannte unser Körper Fett, Alkohol und andere Drogen viel schneller als gewöhnliche Menschen. Alkoholisiert sein, war so gut wie unmöglich. So viel Füllvermögen hatten unsere Mägen überhaupt nicht.
„Also ehrlich jetzt. Die wissen so gut wie ich, dass du lügst. Sie sind unser Ursprung. Nur weil wir mehr menschlich sind, als sie, heißt das nicht das wir uns so arg unterscheiden.“
Adrians Kopf zuckte zu mir und sein Blick durchbohrte mich durch seine Sonnenbrille geradezu. Zum Glück hatte er sie auf, auch wenn ich nicht das Warum verstand. „Wir sind den Wölfen absolut nicht ähnlich. Ich als Jäger vielleicht sogar noch weniger als ihr Sucher.“
Oh, je. Der alte Streitpunkt. Einer der Gründe warum Sucher nicht mehr mit den Jägern jagten. „Wie bitte? Ist das jetzt dein Ernst? Hier möchtest du diesen alten Streitpunkt ausrollen?
Adrian verzog den Mund trotzig, aber schwieg. Anscheinend hatte er tatsächlich Lust auf eine Diskussion. „Lass es einfach.“ Ich verschränkte meine Beine übereinander und schlürfte genüsslich mit erhobenem Kopf an meinem Cocktail.
„Es ist nicht meine Schuld, dass das so ist. Finde dich damit ab.“ Ich sah ihn zwar nicht an, doch hob meine Handfläche ihm entgegen und nuschelte „Sprich mit der Hand.“
Ihm klappte der Mund durch diese kindische Geste herunter und ich glaubte kurz, so etwas wie Humor auf seinen dünnen Lippen zu sehen. Nate kicherte und bezahlte. „Na gut. Ich geh dann einmal. Gute Nacht, Kinder.“
Wir winkten ihm, als er mit schlürfenden Schritten im Dunkeln verschwand und auch Viktor und sein Zwilling Ferenc verschwanden still. Rick starrte noch eine weile schweigend auf seinen Cocktail, bevor er sich demonstrativ räusperte.
„Nun gut. Ich lasse euch einmal mit eurem peinlichen schweigen alleine. Bis die Tage, Schirin. Adrian.“
Er verschwand ebenfalls lautlos in eine andere Richtung und somit war ich alleine mit dem Jäger.
„Warum haben sie gelogen?“ Ich zuckte zusammen und betrachtete Adrian über mein fast leeres Glas hinweg.
„Was meinst du?“
Sein Kopf deutete in richtung der Jungs, die eben verschwunden sind. „Sie haben gelogen. Du als Sucherin wirst das auch erkannt haben. Da du es aber nicht korrigiert hast, denke ich das du auch in ihre Lügen verstrickt bist.“
Ich seufzte. Natürlich hatte er es bemerkt. Ich war zwar nie bei der Ausbildung eines Jägers dabei gewesen, doch es war doch irgendwie verständlich, dass auch sie eine ähnliche Ausbildung besaßen wie wir.
„Nun, ja. Ganz unschuldig bin ich nicht. Aber es ist nichts ernstes. Am Fußballplatz, haben sie sich tatsächlich verwandelt, da sie überreagiert haben und ich bin dazwischen gegangen. Dadurch habe ich meine Tarnung auffliegen lassen und sie haben mich durch den Wald gejagt. Wenn du willst kannst du dir die Fallen ansehen. Einige sind bereits ausgelöst. Andere habe ich abgebaut.“
Ich sagte zwar auch nicht die ganze Wahrheit, doch wenigstens war nichts von alldem gelogen und somit für ihn nicht ungeklärt.
„Schirin...“ Er wandte sich zu mir um und sah mir durch seine Brillen direkt in die Augen. „... wenn es irgendetwas gibt...“
Ich unterbrach ihn und verdrehte die Augen. „Keine Sorge. Ich bin weder von ihnen beeinflusst noch sonst was. Aber sie sind korrekte Wölfe. Sie sind Jung und unerfahren, doch habe sie den Willen sich durch zusetzen. Mach dir keine Sorgen um eine Sucherin. Das bringt dir nur Falten in dein jungen hübsches Gesicht.“
Ich bezahlte unsere Getränke und stellte mich neben seinen Hocker. Im selben Moment ließ er sich ebenfalls in meine Richtung von Hocker gleiten und legte einen Arm um mich, um mich zu stützen. „Denk nicht dass mich deine süßen Worte und dein Aussehen beeinflussen. Ich bin nicht so leicht zu überlisten wie Wölfe, und Leichtgläubig bin ich noch lange nicht.“
Mein Körper versteifte sich unter seiner unterschwelligen Drohung. Seine Hand fuhr über meinen Rücken in mein Haar und zupfte daran. „Ich weiß dass ihr Sucher auch euren meistens sehr bewundernswerten Körper benutzt um an Informationen zu bekommen. Ich jedoch bevorzuge meine Augen und Ohren.“
Ich entzog ihm meine Haare unter einem warnenden Blick und wünschte, er würde einfach tot umfallen. Es stimmte zwar, dass viele Sucher auch mit Wölfen ins Bett stiegen, doch das war ein Fehler, den ich niemals machen würde.
Ich zog mein Messer und drückte es leicht in seinen Schritt. Im Licht der Bar mussten wir wie zwei turtelnde Aussehen und das verärgerte mich noch mehr. „Du kannst mich halten für was du willst. Aber sei dir sicher, dass ich nur über meine Leiche, mich von einem Wolf auf so eine weise entweihen lassen würde. Ich bin nicht dumm und meine Finger sind flink. Pass also das nächste Mal auf wenn du jemanden beschuldigst. Am besten wäre es wenn du auch etwas deinen Mund trainieren würdest und somit in keine Fettnäpfchen mehr trittst.“
Ein belustigtes Lächeln kehrte in sein Gesicht, das nicht besonders ehrlich zu sein schien doch seine Hand glitt wieder von meinem Rücken.
„Oh, das war kein Fettnäpfchen. Ich wollte nur wissen, wie sehr man dich provozieren kann. Anscheinend ist das ziemlich einfach.“
Ich schüttelte den Kopf und ließ die flache Seite des Messers gegen seinen Oberschenkel klopfen.
„Wenn du meinst. Ich jedoch bin eher der Meinung, dass ich es nicht leiden kann, wenn man mich der Prostitution bezichtigt. Für so etwas Lächerliches Zeit verschwendendes habe ich ehrlich gesagt viel zu viel Arbeit. Arbeit, die uns voran bringt und keine Leben kostet.“
Ich wandte mich ab und ging mit schnellen Schritten nach Hause. Ich vernahm zwar seine Schritte einige Meter hinter mir, doch sprach er mich nicht mehr an. Zum Glück für ihn.

Tag 12 Montag

Lektion6: Jeder Sucher und Jäger hat die Traditionen eines Wolfsrudels zu beherzigen, außer es besteht ein besonderer Grund!

 

 

An diesem Tag zogen sich die Stunden nur so dahin. Alle Wölfe, bis auf Joleen waren zwar wieder an ihrem Platz, um keinen Verdacht zu erregen, doch trotzdem lag die Spannung beinahe zum Greifen in der Luft. Ich musste Nate mehrmals am Tag daran erinnern, warum er nicht einfach während dem Unterricht nach Hause gehen konnte, sehr zu seinem Missfallen.
„Sie wird schon klar kommen. Mach dir bitte nicht so viele Gedanken. Vielleicht ist es ganz gut, wenn sie einmal alleine ist. Dann kann sie sich ganz ihren Gedanken hingeben.“
Nate knurrte mich warnend an und Susi trat ihn dafür gegen das Bein. „Wir knurren nicht an der Schule Nate!“
Ich blickte mich zwar um, doch keiner schien uns in irgendeine weise Beachtung zu schenken.
„Na, und. Es gibt ja wohl schlimmeres als Teenager die Knurren.“ Sein Blick viel auf die Fußballergruppe, die noch ziemlich stinkig von dem versauten Match war. Zur Strafe, da ja Nate die Prügelei angefangen hatte, durfte er bis zum nächsten Match die Kleinarbeit erledigen. Normalerweise teilten sie sie fair auf, doch strafe war Strafe. Nur zu blöd das sie nicht wussten, dass sie damit einen pubertären und vor allem nervösen Wolf noch mehr unter Druck setzten.
„Riechst du das auch?“ Irritiert folgte ich Susis Blick, der plötzlich zu strahlen anfing. „Wer ist das denn?“ Nate und ich folgten ihrem Blick, und beobachteten fasziniert wie sie an uns beinahe vorbeischwebte. Noch bevor Susi an der Steinernen Mauer vorbei gehen konnte um den Geruch zu folgen, der übrigens Nate und mir nicht aufgefallen waren, zogen wir sie gleichzeitig zurück, schubsten sie hinter eine Plakatwand und blickten scheinheilig zu... jemanden mir sehr unbeliebten auf. „Adrian! Was machst du hier?“ Einige Mädchen in den hinteren Reihen im Garten begannen zu kichern. Adrian war heute in eine leichte Lederjacke gewandet, seine Haare standen wie üblich lässig ab und die Sonnenbrille, die er Tags und nachts trug, erzeugte den zusätzlichen Eindruck, er würde einer coolen Gang angehören.
„Darf ich meine überaus bezaubernde Cousine nicht von ihrer ach so wichtigen Schule abholen?“ Er küsste mich galant auf die Wange, wie es Leute taten, die sich nahe standen, und lächelte freundlich zu mir, die wenigen Zentimeter herab, die uns trennten.
„Nicht mit Hintergedanken, mein Lieber.“ Bestimmt war er hier, um zu erfahren, wie viele Wölfe es hier noch an der Schule gab. „Jedoch muss ich dich enttäuschen, ich habe erst in vier Stunden frei. Jetzt ist erst einmal Mittagspause angesagt.“
Adrians Blick glitt hinter mich zu den anderen Schülern, die alle in Gruppen zusammen saßen, und lächelte ein unglaublich bezauberndes Lächeln. Wenn ich eines der pubertären normalen Mädchen hinter mir wäre, würde ich bestimmt jetzt weiche Knie bekommen. Aber ich war weder normal, noch so wie normale Mädchen.
„Das macht nichts. Erstmal muss ich so wie so zu einem Vorstellungsgespräch.“
„Vorstellungsgespräch?“ Was hatte er denn jetzt vor?
„Ja. Gestern hatte einer eurer Lehrer einen unglücklichen Unfall im Wald, darum brauchen sie nun einen Ersatzlehrer. Natürlich bin ich mehr als Qualifiziert für diesen Job.“
Okay, das war gemein. Er ist vierundzwanzig und damit alt genug um als Lehrer durch zu gehen. Ich jedoch sah noch etwas jünger aus, wenn ich die richtigen Klamotten trug, und musste mich als Schüler durch die Schule angeln. Das Leben war so ungerecht. Er konnte an einem Tag alle Klassen durchgehen, doch ich musste mich jede Pause von neuem durcharbeiten, wenn ich Informationen brauchte.
„Das erklärt auch warum ich dich heute plötzlich so anziehend finde. Du weißt schon, dass du mit diesem Spray schummelst.“
Adrian trug ein Parfum aus ausgewählten Hormonen. Damit wirkte er auf das gegnerische Geschlecht anziehender. Aber man musste fürchterlich aufpassen. Meistens wenn ein weniger erfahrener weiblicher Wolf dabei war, dann konnte es schon zu Kurzschlüssen in ihren viel zu willigen Körper führen. Entweder wurden sie wild, oder sie stürzten sich, wie Susi eben wollte, bevor wir sie einfangen konnte, voller Vorfreude auf denjenigen, der das Parfum trug.
„Außerdem weißt du eigentlich wie dumm das war. Was würdest du machen, wenn dich nicht ich aufgehalten hätte, sondern eine wahnsinnige Wölfin?“
Er winkte lächelnd ab. „Ach, du sagtest doch, dass es nur männliche Wölfe hier gibt. Warum sollte ich mir dann Gedanken darüber machen? Außer du verheimlichst noch mehr Sachen.“
Ich trat bis auf wenige Zentimeter auf ihn zu und fixierte mit meinen Augen seine Sonnenbrille. Abermals kam in mir das Bedürfnis auf, sie ihm hinunter zu reißen, und ihm die enden in die Augen zu drücken.
„Meine Geheimnisse, sind meine. Und an wem ich mich wende, worum es auch immer geht, bestimme ich alleine.
Für einen Jäger bist du sehr unaufmerksam. Pass ins Zukunft besser auf, oder ich werde dich von dem Fall abziehen lassen.“
Ich drehte mich weg und er packte mich am Arm. Nate wollte dazwischen gehen, doch ich wehrte ab. Das fehlte mir noch, dass die beiden in einem Schulhof kämpften.
„Vergiss nicht dass ich älter bin. Ich bin hier der erfahrenere. Außerdem bin ich ein Jäger. Du wirst mir alles berichten müssen, oder ich werde dich von der Insel schicken.“
Ich blickte wieder auf und ließ mich von seinen aufeinandergepressten Lippen ablenken. Er meinte es eindeutig ernst.
„Dann vergiss dabei aber nicht, dass diese Wölfe mir vertrauen. Nicht dir, sondern mir. Wenn ich weg bin, werden sie dich auch wegbeißen. Das weißt du. Außerdem, Kinder sollten nicht mit dem Feuer spielen.“
Ich zog Susi von der Plakatwand hervor und schleifte sie auf die andere Seite des Geländes. Nate sprach ruhig auf sie ein, und sie schien langsam wütend zu werden. Anscheinend mochte sie es nicht so an der Nase herumgeführt zu werden. Besonders wenn es ein Nichtwolf war.

Später am Abend klopfte es an meiner Türe, als ich bereits eingeschlafen war. Erschöpft öffnete ich sie und blickte zu Nate auf.
„Nate? Was zur Hölle suchst du hier?“
Adrian kam vom Dachboden herunter und betrachtete den verstört wirkenden Jugendlichen Wolf.
Nate umarmte mich und drückte mich fast schon zu fest dabei. Was war nur passiert, dass ihn so reagieren ließ. Normalerweise war er nur seiner Schwester gegenüber gefühlsbetont. War etwa etwas mit ihr?
„Nate? Komm rein.“ Ich schob ihn auf das Bett und kniete mich vor ihn, damit wir auf einer Höhe waren. Zumindest ein bisschen mehr als sonst.
„Ich weiß gar nicht wie ich es beschreiben soll. Es war so grausam. Sie haben ihn einfach zerrissen. Als würde er nichts wiegen. Ich... Es war so brutal und endgültig... Und dann haben sie mich gesehen und ich wusste nicht wohin... Ich dachte...“
Adrian legte Nate eine Hand auf die Schulter. „Zeig uns was passiert ist. Komm.“
Nate nickte und Adrian reichte mir eine Weste, die über meinem Schreibtischstuhl gehängt war.
Nate ging wieder hinunter und Adrian schloss das geöffnete Fenster. Meine Mutter hatte anscheinend schon wieder nicht alle Fenster verriegelt. Glück für uns. Diesmal...
Nate führte uns hinaus in den Wald. Wir mussten beinahe eine Stunde gehen, bevor die ersten Blutspuren auftauchten.
„Ach du...“ Flüsterte ich. „Wer war das denn?“ Ich lief voraus, doch Nate hielt mich auf. „Nein, geh nicht. Bleib lieber hier und such nach Spuren von den Angreifern. Bitte. Das ist es doch was Sucher tun, oder? Bitte... ich möchte nicht...“
Ich stieß ihn weg. Es musste also jemand sein, den wir kannten. Alles was ich in dieser Dunkelheit erkennen konnte, waren Pfoten abdrücke und Blutspuren. Hin und wieder sah man zerbrochene Äste, als hätten hier tatsächlich zwei Wölfe gekämpft. Aber wer würde das hier machen? Susi war nicht der Typ zum Kämpfen, Viktor war eher einer, der zusah und lernte. Ferenc war zu gutmütig, um einen ernsthaften Streit anzufangen. Nate hatte angeblich nur zugesehen und Rick hatte so, wie so hier niemanden mit dem er Kämpfen musste. Zumindest nicht auf Leben und Tod. Sonst bleib nur mehr Joleen, doch die war zuhause eingesperrt, oder?
Mittlerweile in Panik, da das Opfer ja auch Joleen gewesen sein konnte, lief ich, so schnell ich konnte. Die Blutspuren führten noch mehrere Meter weiter. Weiter, als das sich jemals jemand wehren konnte. So viel Blut, und ein so weiter weg. Dieser Jemand konnte es nicht überlebt haben...
Bitte lass es niemanden von uns sein! War das einzige, das sich in meinem Kopf abspielte. Kaum war ich aus dem Dickicht heraußen, wehte mir auch schon der Geruch von Tod in die Nase.
Auf der kleinen Lichtung, die hell vom Mond beschienen wurde und dennoch einzig und alleine rot wirkte, lagen drei Körper verstreut.
Zwei Wölfe und ein Mensch. Nichts unterschied sich. Alles war nur rot und roch nach Tod. In der Mitte standen zwei Männer und blickten mich erschrocken an. Es waren Wölfe, das erkannte ich sofort. Aber wer sie waren, konnte ich nicht sagen. Sie schienen nicht aus dieser Umgebung zu kommen. Ob sie durchreisende waren? Zumindest sah es nicht danach aus. Es schien mehr so, als würden sie gerade die Körper einsammeln und auf einen Truck hieven.
Plötzlich wurde mein Blick auf eine silberne Pfote gelenkt. Ich trat näher heran und kniete mich neben den toten Wolf.
Ich strich durch das rot verfärbte Fell und erstarrte als mir das schöne Zeichen auffiel, das er im Gesicht trug. Es erinnerte an einen Baum und zog sich von der entstellten Schnauze aufwärts über seine Stirn. Dasselbe Zeichen trug auch Viktor nur etwas dunkler und weniger blutrot.
„Wart ihr das?“
Einer der menschlichen Wölfe ließ ein Bein fallen und räusperte sich. „War das etwa jemand den du kanntest junges Mädchen?“
Mein Blick zuckte zu ihm und tötete ihn innerhalb von Sekunden mehrere Male... zumindest in meiner Vorstellung.
Ich betete den schlappen Kopf wieder auf der roten Wiese unter ihm und erhob mich. Der Mann vor mir, lächelte mich verschmilzt an, als würde ihm gefallen das ich hier mit Nachtkleid und Weste stand.
Ohne darüber nachzudenken was ich tat, holte ich aus und traf ihn am Solarplexus. Ich spürte ihn unter meiner Hand brechen und nur eine Sekunde später spukte der beinahe tote Wolf Blut. Er sah mich entsetzt an und ich beobachtete voller Freude wie er langsam zu Boden sank und schmatzend mit dem Kopf voran in eine Pfütze fiel. Seine Atemzüge wurden notgedrungener und ein zucken ließ seinen Körper erbeben.
Als er ruhig wurde und das Herz aufhörte zu schlagen, erklang einige Meter vor mir ein wütendes Brüllen, und der Zweite, wesentlich größere Wolf lief auf mich zu. Er packte mich an der Kehle und hielt mich auf Augenhöhe, was von meiner Größe aus ziemlich weit oben war.
„Du Schlampe hast meinen Sohn getötet!“ Ich spuckte ihm zur Antwort ins Gesicht und er warf mich mit einer flüssigen Bewegung gegen den Baum.
Lachend kam ich auf und wischte mir das Blut, aus den Augen das von meiner Stirn rannte. „Ihr habt doch angefangen. Ihr habt meinen Freund, einen Bruder getötet. Jetzt seit ihr fällig!“ Ich sah Nate in seiner Wolfsgestallt auf den wuchtigen Wolf zulaufen. Er verbiss sich im Genick des überrumpelten Wolfes und brach es mit einer kleinen Bewegung. Nate blickte sich um, ob er noch jemanden sah, doch es waren anscheinend die Einzigen.
In einem kleinen Nebel, der diesmal mehr rot als grau war, verwandelte er sich wieder in seine menschliche Form und nahm mich in den Arm.
„Ich sagte doch du sollst nicht dort hin.“
Ich erwiderte seine Umarmung und krallte mich in sein Shirt, während ich Tränen vermied. Ich spürte, wie sich wieder etwas in mir öffnete, das ich verborgen hielt und vergrub meinen Kopf an seinem Hals. Atmete seinen sanften Geruch ein und wünschte mir, dass wir einfach die Zeit zurückdrehen würden. Wie sollten wir das Viktor sagen? Er war doch sein Zwilling. Und seine Eltern erst. Wie sollte man erklären, dass ihr Sohn tot war? Dann kam noch dazu, dass er noch immer ein Wolf war. Wie sollte man das erklären?
Nate schob mich liebevoll von sich und strich meine Strähnen aus dem Gesicht. „Alles gut?“
Ich fühlte zwar einen kleinen Schwindel, doch der war, wegen dem Aufprall. Ein Baum war nicht gerade weich...
Ich nickte und blickte hinab zu Ferenc. „Was sollen wir tun?“
Adrian blickte sich teilnahmslos das Chaos an und tippte etwas in sein Handy. Danach ging er einige Meter weiter weg und telefonierte.
„Ferenc wird sich erst in ein paar Stunden verwandeln. Glaubst du sollen wir ihn derweilen hier weg bringen?“
Nate schüttelte den Kopf. „Nein. Hier her wird keiner kommen. Dafür ist das Gebiet zu abgelegen und es gehört auch keinem Privatbesitzer. Wir müssen nur aufpassen, dass nicht noch mehr von denen kommen.“
Ich nickte und betrachtete die Toten auf dem Boden. Nate und ich fingen an, die vier uns unbekannten wegzuschaffen, während Adrian mit irgendjemand zu streiten anfing.
„Kannst du hören was er spricht?“
Nate blickte auf und warf einen kurzen Blick zu Adrian. „Nein, er ist zu weit weg und redet nicht in unsere Richtung. In einem Haus ist es noch einfach den Schall zu hören, doch nicht in einem Wald der sämtliche Geräusche verschluckt.“ Ich nickte verstehend und ließ den Kerl, dem ich die Lunge durchbohrt hatte, neben dem Truck sinken. Sollten sich doch die Einheimischen darum kümmern.
„Denkst du nicht, dass wir auch Rick Bescheid geben sollten?“ Nate wirkte nicht sonderlich angetan von dem Gedanken, doch war es sein Rudelmitglied. Sein zweiter Alpha. Einer der Stärksten. Er hatte zwei andere Wölfe mit in den Tod gerissen und vermutlich weitere verletzt. Er sollte es erfahren.
Missmutig griff er zu seinem Handy und rief diesen an. Er versprach sofort mit Viktor zu kommen.
„Das wird eine lange Nacht.“ Meinte Adrian. Ich nickte und wischte mir das trockene Blut am Nachtkleid ab. Er schüttelte den Kopf, als er das sah und zog seinen Pullover aus, dann nahm er meine Hände und trocknete sie vom vielen Blut, das daran klebte. Vorsichtiger, diesmal wischte er auch mit einem Ärmel Blut von meiner Stirn und betrachtete die Platzwunde.
„Du hast unzählige Kratzer im Gesicht, eine Platzwunde über deinen Augen und bestimmt eine Gehirnerschütterung. Warum bist du immer noch hier?“
Ich zischte, als er auf die Wunde drückte, die bereits heilte. „Die Wölfe interessieren dich nicht und du hasst sie. Warum bist du noch hier?“
Vorsichtig tupfte er noch über einige Kratzer, die in meinem Gesicht etwas brannten und lächelte. „Irgendjemand muss sich doch um deine Wunden kümmern.“
Jetzt lächelte auch ich. „Vollpfosten.“ Ich wandte mich ab und ging zu Nate, der gerade die letzten Leiche weggeschafft hatte und mich stirnrunzelnd anblickte.
„Alles in Ordnung?“ Ich machte eine wegwerfende Hand Bewegung. „Nichts was nicht heilen würde.“
„Darf ich dich etwas fragen?“
Jetzt warf ich ihm einen runzelnden Blick zu. „Kommt darauf an...“
Er lächelte und blickte zu Adrian, der sich am Waldrand nach Spuren umsah. „Es ist nichts schlimmes, nur... du bist vorhin ziemlich schnell gelaufen. Und damals, als wir dich an Vollmond gejagt haben ebenfalls. Du bist viel schneller als wir Wölfe gewesen und wir hatten es echt schwer dir als Wölfe zu folgen. Was...“
Ich unterbrach ihn und hob drohend den Finger. „Lass es einfach, Nate. Es ist nichts dass du verstehen würdest.“
Ein vorsichtiger Blick zu ihm sagte mir, dass er aufgab. In dieser Sache gab es nichts aufzudecken.
„He, Schirin. Komm her.“ Ich blickte auf und lief zu Adrian. Er zeigte mir einige Reifenspuren, die vom Wald in eine der beiden kleineren Ortschaften führten.
„Meinst du sie verstecken sich dort?“ Adrian nickte und zählte nach. „Es waren drei Autos. Am Kennzeichen von diesem kann ich erkennen das es ein gemietetes ist.“
„Also sind sie her gekommen, weil sie etwas wollen. Da es drei Autos sind, sind es mindestens drei. Vier liegen hier tot. Ich schätze dann gibt es noch einen Rudelführer und mindestens zwei Betas die immer an seiner Seite sind.“
Adrian fasste zusammen. „Das heißt wir haben ein Rudel aus mindestens Sieben Wölfen, jedoch auf mindestens drei dezimiert.“
Ich deutete, auf die verschiedenen Fußspuren, die zu den geparkten Autos führten, und machte an jedem Fußabdruck ein anderes Zeichen hin.
„Ich kann neun verschiedene Fußabdrücke erkennen.“ Adrian deutete auf ein Paar, das sich anscheinend nicht bemerkt hatte. „Zehn. Der Alpha hat sich alles in Ruhe angesehen. Schirin wir haben ein Problem. Es sind sechs noch übrig und wir wissen nicht wie viele Alpha es sind.“
Ich nickte und überschlug in meinem Kopf die Zahlen. „Sie haben vier verloren und wir nur einen. Wir sind zu siebent und sie zu sechst. Das können wir schaffen. Stellen wir Fallen auf, dann fangen wir zumindest einen noch.“
Adrian nickte gedankenverloren, während er wahrscheinlich darüber nachdachte wo und welche Fallen wir benutzen sollten.
„Warte... Sieben? Was rechnest du?“
Ich biss mir auf die Unterlippe. Verdammt ich hatte Joleen und Susi auch mitgerechnet. „Schirin... Mittlerweile finde ich da überhaupt nicht mehr witzig.“
Ich hob die Schultern und band mein immer noch offenes Haar zu einem Zopf zusammen, bevor ich merkte, dass ich überhaupt kein Band mit hatte. Genervt öffnete ich es wieder und betrachtete genervt meine Spitzen, während mir Adrian eine Predigt hielt.
Männer nerven...
„Halt dein Maul, Adrian. Es gibt noch Rick, der ein Leitwolf ist, Viktor, ein Alpha, dann noch Nate, Susi, Joleen und wir beide. Das schaffen wir, ohne dass wir noch jemanden verlieren.“
Nate knurrte hinter uns. „Schirin! Joleen wird nicht kämpfen. Sie ist noch nicht so weit.“
Ich nickte verstehend. „Gut dann steht es sechs gegen sechs. Das ist fair.“
Adrian blickte mit einer drohenden Ausstrahlung zwischen uns hin und her, doch fand sich damit ab, dass niemand von uns beiden etwas sagen würde.
„Und wir haben Heimvorteil!“ Bemerkte Nate, etwas beruhigter, da Adrian nicht nachfragte.
„Und sie haben einen hinterhältigen Erstschlag gemacht. Das heißt wir mähen sie nieder!“
Nate schlug in meine ausgestreckte Hand ein. Plötzlich veränderte sich sein Blick und auch meine Sinne sagten mir, dass Wölfe kamen.
Gleichzeitig drehten sich Nate und ich um und betrachteten den schönen dunklen und den graugescheckten wie sie durch das Dickicht traten. Gefolgt von einem weißen Wolf.
„Verdammt!“ Nate lief auf die drei zu und zog den weißen Wolf am Genick mit sich. Sie währte sich zwar, doch Nate war älter und stärker, selbst in seiner menschlichen Gestalt.
„Was war das? War der Wolf weiß?“ Adrian ging zu den Wölfen, doch ich hielt ihn zurück, so gut es ging. Er war wie ein Esel. Wenn er gehen wollte, ging er, wenn nicht, dann nicht.
„Adrian, lass es gut sein. Das war nur ein grauer Wolf, das kam dir in der Dunkelheit so vor. Komm jetzt. Wir müssen uns um Ferenc kümmern.“
Adrian, schien sich wieder zu beruhigen und sah zwischen mir und der Stelle hin und her wo sie verschwunden waren. Anscheinend konnte er sich nicht entscheiden, was wichtiger war. Oder eher ihm persönlich?
„Adrian? Hörst du mir überhaupt zu? Wir haben andere Pflichten.“
Sein Blick blieb nun etwas länger an mir hängen. Seine Hand glitt zu seiner Sonnenbrille, als würde er kämpfen sie herunter nehmen zu wollen. Aber was war der Grund? Er hatte meinen Eltern und den Lehrern erzählt, dass er unter einer schweren Augenerkrankung litt. Jedes Fünkchen Licht brannte in seinen Augen und nahm ihm etwas an Sehkraft.
Ich hatte mich zwar gefragt, ob das stimmte, doch es war nicht möglich. Kein Jäger durfte mit einer Angeborenen oder Erworbenen Erkrankung, die ihn in irgendeiner Hinsicht einschränkte, seiner Arbeit nachzugehen. Und die waren ziemlich streng, was das anging.
„Adrian. Es ist gut. Willst du heim? Wir können das den Wölfen überlassen...“ Er schüttelte den Kopf und hielt immer noch seine Sonnenbrille umklammert. Vorsichtig legte ich meine mittlerweile kalte Hand auf seine immer noch warme und löste seine angespannten Finger vor der Brille, bevor er sie noch zerbrach. Selbst wenn die Geschichte mit den überempfindlichen Augen gelogen war, wird es doch bestimmt einen Grund geben, weshalb er sie trug.
Ach wenn es nur etwas Symbolisches darstellen sollte.
Langsam legte ich seine zitternde Hand, auf meine Wange und lächelte sanft. „Siehst du. Ich bin es. Es ist alles in Ordnung.“
Langsam hörte seine Hand auf zu zittern und ich konnte beinahe fühlen, wie er in die Realität zurückkam.
Ich biss mir auf die Unterlippe und fragte mich, was ihm so Dramatisches passiert war. Wieso hatte er auf den weißen Wolf so voller Panik reagiert? Danach war er auch noch irgendwo mit seinem Geist verschwunden, wohin ich ihm nicht folgen konnte und das man so etwas konnte, machte mir etwas Angst. Wieder kam die Frage in mir hoch... Was war ihm passiert?
„Adrian...“ Seine angespannten und Blutleeren Lippen formten sich plötzlich zu einem traurigem lächeln.
„Es tut mir Leid, wenn ich dich erschreckt habe. Ich dachte nur an ein Dèjà vu. Es geht mir wieder gut.“ Sein Daumen glitt über meine Schläfe und erinnerte mich daran, wie nahe wir uns waren.
Ernst dreinblickend meckerte ich „Gut, dann hör auf dich vor der Arbeit zu drücken. Los, jetzt mach schon und beweg dich. Das gibt’s doch nicht, dass du immer so trödelst!“
Kichernd ließ er sich von mir zu dem mittlerweile zurückverwandelten Ferenc schieben.
Ferenc sah furchtbar aus. Er bestand alleine aus Brüchen, Prellungen und offenen Verletzungen, die zu Teil verheilt und zu Teil neu waren.
„Ach, zum Teufel. Die sind auf alle Fälle nicht hier um ein neues Territorium zu bekommen. Das war eine Hetzjagd. Die haben ihn mehrere Kilometer durch den Wald gejagt, auf ihn eingeschlagen und wieder laufen lassen. Diese Schweine mache ich auf der Stelle kalt.“ Viktor geriet in eine Art halb Verwandlung und brüllte seinen Schmerz in den Wald. Nate der mittlerweile wieder alleine war und sogar Rick, zuckten erschrocken zurück.
„So habe ich Viktor noch nie erlebt...“ Flüsterte Nick und Joleen, die ich überhaupt nicht gesehen hatte, legte ihm eine Hand auf die viel zu hohe Schulter.
„Er trauert. Gib ihm Zeit.“
Noch bevor wir neben ihnen standen, war Viktor im Wald verschwunden, doch ich wagte nicht zu hinterfragen, warum sie ihn nicht aufhielten.
„Was machst du hier?“ Zischte ich zu Joleen.
Rick legte sofort einen Arm um sie, als er Adrian sah und knurrte. Sie trug zwar eine Mütze in der sie ihre Haare versteckte, doch wusste ich nur zu genau, was passierte, wenn sie die Kontrolle abermals über ihren Körper verlor.
„Ich trauere meinem Wolfsbruder nach. Und was macht der Jäger hier?“ Mein Blick zuckte zu Rick, dessen Blick auf einmal auf etwas, weit hinter Nate, gerichtet war und schüttelte den Kopf. Nate schien ebenfalls überrascht zu sein, doch schwieg darüber.
„Er wohnt bei uns am Dachboden. Er hat Nate ebenfalls kommen gehört. Aber trotzdem, du weißt das es nicht sicher für dich ist!“
Sie verschränket abweisend ihre Arme vor dem Oberkörper und rümpfte die Nase so, wie ich es immer tat.
„Ich bin alt genug, um nicht auf dich hören zu müssen.“ Was ging denn jetzt mit ihr ab?
Ich warf Rick einen vorwurfsvollen Blick zu. „Rick! Was soll das? Warum nimst du sie zu so einem Ort mit? Sie ist noch ein Kind!“
Rick ignorierte mich und wandte sich an Nate. Nate zuckte die Achseln, als er meinen entsetzten Blick auffing und hörte Rick zu, wie er seine Anweisungen herum brüllte. Entnervt zog ich Joleen von Rick weg, der zornig knurrte, doch ich zeigte ihm bloß den Mittelfinger. Am Waldesrand, wo uns niemand hören konnte, begann ich mit ihr zu streiten. Ich tat alles um sie zu verstecken und zu beschützen, und was tat sie? Sie lief einfach, ohne nachzudenken, vor einem Jäger herum. Fehlte nur mehr, dass sie sich vor ihm verwandelte und herausfordernd mit dem Schwanz wedelte.
„Joleen. Was ist los mit dir? Was soll das alles. Adrian ist ein Jäger! Hast du vergessen was ich dir darüber gesagt habe?“
Sie verschränkte trotzig wie eine dreizehnjährige, die sie auch war, die Arme und blickte in den Wald. Was ihr wohl gerade durch den Kopf ging?
„He, ich finde das überhaupt nicht lustig! Du weißt dass ich mich, wenn er es herausfindet und die anderen benachrichtigt, nicht gegen ihn stellen kann. Sollten sie entscheiden, dass du zu gefährlich bist, dann kann ich absolut nichts für dich tun! Joleen? Verstehst du das?“
Ich rüttelte sie, bis sie mich mit Tränen in den Augen ansah. „Ja ich verstehe das. Aber ich setzte das gerne aufs Spiel, wenn es darum geht einen meiner Wolfsbrüder zu beerdigen. Er hat es verdient, dass sein ganzes Rudel bei ihm ist. Wir hätten ihm helfen müssen! Wir hätten ihn beschützen sollen, als Rudel. All die Jahre haben wir hier ohne Probleme leben können. Wir haben uns gestritten, wir haben uns voneinander entfernt. Die Insel ist nicht groß genug um mehrere Rudel zu beherbergen. Wenn ein Wolf herkam, ist er nach ein paar Tagen wieder gegangen.
Aber diese hier wollen bleiben. Sie haben sich nicht an die alte Tradition gehalten. Dafür werden sie bezahlen. Das schwöre ich.
Ich bin froh dass ich jetzt diese Kräfte habe. Ich werde sie in den Erdboden stampfen!“
Das reichte. Ein Geräusch das nach Schmerzen klang, zerriss die Ruhe der Umgebung. Joleen hielt sich die Wange und blinzelte mich entsetzt an.
„Sag so etwas noch einmal und du kannst nicht einmal bis drei Zählen, so schnell bin ich von dieser beschissenen Insel unten.
Auch wenn du ein Wolf bist... Du hast weder das Alter, noch das Gemüt so etwas Barbarisches zu sagen. Du bist der, verdammt noch einmal, unschuldigste Wolf auf dem ganzen Planeten. Höre ich noch ein einziges Wort von dir, das so klingt, als würdest du deine reine Seele wegwerfen wollen... Gnade dir die Gezeiten!“
Ich drehte mich weg und verschwand im Wald. Ich hatte keinen Bock mehr auf das alles.
In meinem, bis jetzt, kurzem Leben, war ich schon oft kurz davor gewesen, einfach den Dienst zu quittieren. Doch niemals hätte ich mir vorstellen können, dass einmal ein Wolf daran schuld sein würde…

Tag 13 Dienstag

Lektion 7: Einem Silver wird genau soviel Respekt entgegen gebracht wie einem jedem anderen Sucher und Jäger!

 

 

Als ich zuhause ankam, schlief meine Mutter noch. Ich ging in mein Zimmer, klopfte auf die losen Holzbretter und zog meine Tasche mit den Fallen heraus. Nach einer kurzen Dusche und einem Kleidungswechsel, da es wohl nicht ratsam wäre, auch am Tag im Nachtkleid herum zu laufen, hinterließ ich meiner Mutter einen Zettel, dass ich heute länger wegbleiben würde, da ich mit einer angeblichen Freundin für die Schularbeit lernen würde. Keine Ahnung, ob sie es mir abkaufen würde, doch ich brauchte Zeit für mich. Zeit, um einen Plan zu entwickeln, und derweilen würde ich Fallen aufbauen. Mir war bewusst, dass die Wölfe nicht auf dieselben Fallen mehrmals hereinfallen würde, also brauchte ich möglichst tödliche Fallen und andere, gewieftere, die sie am Leben ließen.
Den ganzen Vormittag verbrachte ich damit, meine Fallen anzubringen und neue zu erfinden. Meine Ideen waren zwar beinahe grenzenlos, doch die Ausführung war nicht immer sonderlich leicht. Natürlich konnte ich auch nur im tiefen Wald diese Fallen aufbauen, da ansonsten vielleicht Kinder, oder Wanderer in die Fallen laufen konnten. Als ich zu Mittag eine Pause auf einem Baum einlegte, ärgerte ich mich nichts zu essen mitgenommen zu haben. Ich brauchte zwar nicht viel um über den Tag zu kommen, doch gegen eine Kleinigkeit war ja dann doch nichts einzuwenden. Nach Hause laufen, würde sich auch nicht lohnen, daher ging ich in die benachbarte Siedlung um mich etwas umzusehen. Mich als Sucher würden sie nicht erkennen, einen anderen Wolf würden sie bereits an den Siedlungsgrenzen wittern und sich verstecken.
Ich setzte mich in eine abgelegene Bar und bestellte einen Burger mit Pommes. Ich wartete bis um drei, bis ich ging.
Danach besorgte ich mir eine Zeitung und trödelte durch das Dorf. Ich tat immer wieder so, als würde ich mich nach etwas erkundigen und wurde daher von einer Richtung in die andere geschickt. Nirgendwo nahm ich die Anwesenheit, eines Wolfs war. Also waren sie entweder im Wald, oder im anderen Dorf.
Nach fünf fuhr ich ins andere Dorf, dass sich wie unsere Kleinstadt am Meer befand. Auch hier setzte ich mich wieder in ein heruntergekommenes Lokal mit schlechten essen. Sie würden es bestimmt nicht wagen, sich in einem besseren Restaurant oder Ähnlichem sehen zu lassen, da sie dort Gefahr laufen müssten, dem ansässigen Rudel über den Weg zu laufen. Nach einer halben Stunde, kamen dann tatsächlich drei Wölfe herein. Es waren zwei weibliche und ein Kind. Seltsam. Warum hatten sie bei einem Clanstreit ein Kind dabei?
Ich beobachtete sie und hörte sie darüber reden, dass sie eine wilde Jagd hinter sich hatten und sich auch darüber lustig machten. Könnte ich, würde ich ihnen sofort den Gar ausmachen.
Ich zog mein Handy aus der Tasche und schrieb Rick eine Textnachricht. >Habe zwei Alpha und ein Kind gefunden. Werde ihnen in deinem Namen eine Nachricht hinterlassen, damit sie eingeschüchtert sind.<
Seine Antwort kam sofort >Lass das. Wo bist du? Ich werde das auf meine weise klären!<
Kopfschüttelnd schrieb ich auf eine frische Serviette eine Nachricht mit einer schmierigen Handschrift, sodass es nicht nach einer Frau aussah. >Wir wissen, wo wir euch finden. Ihr werdet für den hinterhältigen und nicht an die Traditionen anschließenden Angriff auf meinen Schützling mit dem Leben bezahlen. Verschwindet sofort mit der nächsten Fähre von hier, oder wir werden schon sehr bald in eurem Blut baden! Leitwolf.<
Ich bezahlte und ging noch auf die Toilette, wo ich die Serviette mit einem Deo einsprühte, damit sie meinen Geruch nicht aufnehmen konnten. Lächelnd gab ich der Kellnerin noch Trinkgeld und bestellte zwei Getränke für die Wölfinnen und einen Orangensaft für das Kind. Ich wies der Kellnerin an, die Serviette auffällig herunter hängen zu lassen, und verschwand durch die Hintertüre. Die Wölfinnen waren so sehr mit ihrem Geschwafel abgelenkt, das sie mich überhaupt nicht bemerkten. Dafür dass sie nicht in ihrem eigenen Revier waren, waren sie sehr unvorsichtig. Sie mussten sich ihrer Sache sehr sicher gewesen sein.
Mit dem nächsten Bus fuhr ich nach Hause, doch stieg gleich bei der ersten Station aus. Sollten sie mich doch bemerkt haben, so würden sie nun meine Spur endgültig verlieren.
Zur Sicherheit lief ich noch einen großen Umweg durch geruchsstarke Gegenden und fand mich an meiner Ausgangsposition wieder.
An einer meiner Fallen machte sich gerade Adrian zu schaffen und zog das Seil straffer.
Leise schlich ich mich an und lehnte mich dann an einen Baum. „Hallo, Sonnenbrillenmann.“
Erschrocken zuckte er zusammen und murrte etwas. „Schirin, erschreck mich doch nicht so!“
Ich kicherte und half ihm bei der neuen Ausrichtung meiner Falle. „Wenn ich ein Wolf gewesen wäre, dann wärst du jetzt tot.“
Er deutete auf einen Mechanismus, den ich auslösen sollte und er pfiff zufrieden, als die Sprengfalle ausgelöst wurde.
„Wenn du ein Wolf gewesen wärst, dann hätte ich dich schon längst getötet. Reich mir bitte die richtige Sprengfalle.“
Ich kramte in meiner Tasche und warf sie ihm zu. Die erste, die ich nur als Attrappe hinein getan hatte, um zu sehen, ob es auch funktionieren würde, war mit Druckluft gefüllt. Wenn sie losging, dann blies sie höchstens einige Blätter weg. Die scharfe Munition wollte ich eigentlich jetzt am Abend anbringen, bevor die Sonne unter ging.
„Und wie kannst du mich von einem Wolf unterscheiden? Vielleicht bin ich ja tatsächlich einer und gebe mich nur als Mensch aus. Vielleicht bin ich ja verwandelt worden und davon weiß niemand.“
Adrian lachte laut auf, als wäre das, dass Witzigste, was er jemals gehört hatte. „Schatz, wenn du verwandelt worden wärst, dann wüsste ich das bereits. Glaube mir.“
Konnte er etwa so wie ich Wölfe spüren? Wenn ja, warum hatte er dann letzte Nacht nicht Rick gespürt, als er in der Nähe war? Wölfe spürten, hörten und rochen ihresgleichen immer, wenn sie nahe genug waren. Ich hatte beinahe dieselbe Fähigkeit. Ich wusste es einfach, wenn es ein Wolf war, der in meiner Nähe war. Es war einfach so etwas wie ein Bauchgefühl.
„Das heißt, du fühlst Wölfe?“ Adrian verstummte und schüttelte den Kopf.
„Nicht ganz. Wenn du nicht in meiner Nähe wärst, dann würde ich viel schneller erkennen wer ein Wolf ist. Somit muss ich immer auf die alten Tricks zurückgreifen.“
Das verwirrte mich aber jetzt. „Wir sind doch auf der selben Seite, warum sollte meine Nähe einen Unterschied machen?“
Adrian seufzte und räumte das Werkzeug wieder ein. „Besprechen wir das ein anderes Mal. Ich habe jetzt keine Lust auf Rätselraten. Pack zusammen, wir sehen uns deine anderen Fallen an.“
Murrend folgte ich ihm. Ich hasste es, wenn andere die waren wie ich, Rätsel um ihre Fähigkeiten machten. Es würde alles etwas vereinfachen, wenn wir einfach ohne Scham über unsere Fähigkeiten zusammen arbeiten könnten. Dadurch könnten sehr mächtige Gruppen entstehen. Ob sie wohl davor Angst haben? Das sich Gruppen bilden, die den Wölfen nachjagen könnten? Oder Schlimmeres?
Gedankenverloren folgte ich Adrian zu meinen anderen Fallen, die ich Rund um die Kleinstadt geordnet hatte. Nun brauchten wir die Nacht nur mehr am Strand verbringen. Dort war es tagsüber zu gefährlich, um Fallen auf zu stellen. Nachtjogger könnten ebenfalls in einer dieser Fallen geraten, was uns in eine missliche Lage wiederum bringt.
„Woher kommst du eigentlich gerade?“ Irritiert blickte ich auf und erzählte Adrian genau was ich heute getan hatte. Lächelnd steckte er die zugespitzten Pfeiler in das Loch und schraubte sie fest.
„Und du hast Rick nicht gesagt, dass du es trotzdem getan hast?“
Ich hob die Schultern und grinste, während ich ihm dabei zusah. „Warum sollte ich? Er ist nicht mein Leitwolf und ich möchte das Rudel beschützen. Wenn er zu stolz ist sich von einem Mädchen“ ich zwinkerte unschuldig mit den Wimpern, „helfen zu lassen, dann weiß ich auch nicht weiter.“
Er zog sich gerade das Hemd aus, was mich etwas ablenkte und warf es mir zu. Seine Haut glänzte unter der Sonne vom Schweiß und ich überlegte, ob er gut aussah. Mit seinem wuscheligen Haar hatte er etwas von einem Kerl, dem es nicht interessierte, wie er aussah. Jedoch die Markenkleidung, die er immer trug, bewies das Gegenteil. Er rasierte sich jeden Morgen und cremte seine Hände, so wie sein Gesicht immer ein, wenn niemand hinsah. Ich fragte mich, ob er etwa etwas eitel war, oder ob er nur den Schein erwecken wollte. Als ich das letzte Mal kurz nach ihm im Bad war, hatte er sein Shampoo und alles vergessen. Es waren zwei verschieden Pflegespülungen und eines für kräftiges Haar gewesen. Anfangs hatte es mich nicht interessiert, doch jetzt wo ich so daran zurückdachte, musste ich darüber lächeln.
Adrian, der anscheinend gerade mit mir sprach, wedelte mit den Händen. „Was?“
Er lächelte und legte den Hammer zur Seite. „Was ist? Siehst du etwa etwas was dir gefällt?“
Ich nickte. „Ja, eigentlich schon, ich mochte solche Spießfallen schon immer gerne. Es freut mich sogar, das du sie so ähnlich wie ich ausrichtest.“
Er verzog das Gesicht, was mich vermuten ließ, dass er mit den Augen rollte. „Das meinte ich nicht. Du hast mich nur gerade so angestarrt, seit ich das Hemd ausgezogen habe. Außerdem hast du mir die ganze Zeit nicht zugehört.“
ich kicherte und setzte mich auf den Rand der Grube, die mehr als zwei Meter tief war. „Nein, das war nicht der Grund. Zumindest nicht direkt. Ich habe mich nur gerade daran erinnert, dass du ziemlich eitel bist.“
Er sog entsetzt die Luft ein und lächelte dabei. „Wie kommst du den darauf?“
Ich zählte ihm auf, was mir so beiläufig aufgefallen war und sein Lächeln wurde noch breiter. „Okay... Nun, ja in einigen Dingen hast du wohl recht. Die Cremen verwende ich um den Hundegeruch zu überdecken, der mir ständig in der Nase klebt, die Shampoos habe ich, weil sie gut für meine Haare sind. Solange ich in keiner Provinz leben muss, versuche ich sie so gut wie möglich zu pflegen, denn man weiß ja nie was der nächst Tag bring. Und was meine Markenkleidung angeht, da geht es mir nur um die Haltbarkeit der Kleidung.“
Ich lachte laut auf, das glaubte er doch selbst nicht! „Oh, ist das süß. Du bist schwul. Ich dachte mir doch, dass du vom anderen Ufer bist. Deswegen stehst du auch nicht auf mich. Kein Wunder!“
Natürlich machte ich nur spaß, doch er schien das ziemlich ernst zu nehmen, was mich noch mehr erheiterte.
„Nein das bin ich nicht. Ich bin hundert Prozent Hetero. Aber du scheinst sehr an deinen Wölfen zu hängen, was war da eigentlich zwischen dir und dem toten Wolf?
Ich dachte zurück an Ferenc und sah automatisch wieder sein in Blut getränktes Fell. „Ferenc… war in mich verliebt denke ich. Er ist ein netter Wolf und ein Weiberheld. Ich mochte ihn sehr, als Freund.“ Fügte ich hinzu, als ich bemerkte, wie ich zum trauern anfing. Auch wenn ich mich von Ferenc habe küssen lassen, hatte ich ihm doch hoffentlich deutlich genug gesagt, dass ich mich nicht in Wölfe verliebe, oder?
„Und die anderen? Sie vertrauen dir sehr. Sie sehen dich als ihre Freundin.“ Adrian schien ehrlich interessiert zu sein. Jedoch musste ich immer auf der Hut sein, denn selbst ein lächelnder Jäger, konnte dir ohne irgendwelche Gedanken an dich zu verschwenden den Kopf abhacken.
„Sie sind eben sehr Jung. Ich weiß noch nicht einmal ob sie überhaupt Wolfseltern haben, da ich sie nie getroffen habe. Aber für ihr alter verhalten sie sich ausgesprochen reif und ordnungsgemäß. Sie sind ein starkes Rudel, wenn sie einmal nicht gerade wieder streiten.“ Scherzte ich und zwinkerte lachend.
Adrian lachte ebenfalls. „Ja, das sie viel streiten ist nicht zu übersehen, aber Rick scheint seine Wölfe gut unter Kontrolle zu haben.“
„Wesentlich besser, als du deine Haare.“ Ich deutete auf diese und er richtete sie, nur um sich dabei Erde hinein zu schmieren.
„Wenn es dich glücklich macht, dann schmeiße ich eben das alte Zeug weg und kaufe mir billigeres. Mir ist es ja egal.“
„Ach, habe ich dich etwa im Stolz verletzt? Ich würde wahrscheinlich auch so reagieren, wenn mich jemand ständig kritisiert. Aber keine Sorge, ich sage niemanden etwas.“ Natürlich spielte ich damit auf ihn an. Das wusste er auch.
Adrian stieg auf die Klappleiter, die er mitgebracht hatte, bis er auf meiner Höhe war. „Vergiss es. Da gibt es nichts zu verheimlichen, da ja überhaupt nichts geheim ist. Und hör auf mich zu ärgern.“
Da erinnerte ich mich plötzlich an den Abend an der Bar. „Aber ich ärgere dich doch nicht. Ich möchte nur wissen in wie weit man dich reizen kann.“
Adrians Kopf zuckte zu mir und ein Lächeln stahl sich wieder auf seine Lippen.
„Du bist ein Biest!“
Kichernd erwiderte ich. „Aber ich hoffe doch das ich ein kluges Biest bin... und nicht allzu hässlich.“
Plötzlich verlor ich das Gleichgewicht, da es Adrian mir wegnahm, indem er meine Hand wegzog und zu ich landete in seinen Armen. „Nun, ja. Vielleicht klug und nicht hässlich, aber auf alle Fälle lassen deine Reaktionen zu wünschen übrig.“
Adrian klemmte mich zwischen die Leiter und seinen Körper, während er mich spöttisch angrinste. „Na, ja. Als würde ich damit rechnen, dass sich einer der auf meiner Seite steht, mich plötzlich austrickst.“
Adrian deutete mit dem Kopf Richtung Wald. „Aber das musst du. Du musst als Sucher und sogar als Jäger immer damit rechnen, dass sich jemand, egal wie nahe du dieser Person stehst, sich plötzlich gegen dich stellt.“
Ich positionierte mich etwas gemütlicher auf die Leiter, da ich mir bereits dachte, dass das eine längere Diskussion werden würde.
„Das klingt aber ziemlich einsam. Ständig achtsam sein und in der Angst zu leben, dass ein jeder einem hinterrücks abstechen könnte.“
Ich spürte eine Hand an meinem Zopf und entzog ihn ihm wieder. Ich hasse das...
„Aber die Angst und das Ungewisse, machen das Leben doch erst lebenswert, oder nicht?“
Sein Gesicht war ganz ruhig, so als wäre er davon überzeugt dass er recht hatte und das ich ihm das auch glauben würde. Doch so einfach würde ich ihn nicht gewinnen lassen.
„Ich bin da doch eher für die allgemeine Meinungsfreiheit. Ich denke das Leben ist erst Lebenswert, wenn man sich Ziele und Aufgaben setzt. Wenn man etwas aus sich herausholen muss um das zu bekommen was man will. Angst macht einem das Leben nur schwerer. Es behindert uns am Vorankommen.“
Bei dieser Bemerkung lehnte er sich so weit zu mir herunter, dass unsere Gesichter ganz nah waren. Als sein Atem über mein Gesicht strich, prickelte meine Haut und mein Herzschlag beschleunigte sich. Adrian hob die Hand und strich mein Haar zurück, danach ließ er seine Hand über meine Wange gleiten und zeichnete mit dem Daumen meine Unterlippe nach. Überrascht über seine plötzliche Nähe, die mir viel zu deutlich bewusst wurde und vor allem das mein Körper so stark auf ihn reagierte, schnappte ich nach Luft.
Seine Hand wanderte zu meinem Hals und strich einige Strähnen weg, bevor er sich vor beugte und mit den Lippen darüber strich. Ich rang nach Luft und genoss seine weichen Lippen auf meiner empfindlichen Haut. Mein sowie so bereits erhitzter Körper wurde noch heißer und ich klammerte mich an seine Schultern, da mir schwindelig wurde. Seine Küsse glitten über mein Kinn hinauf und fanden meine Lippen. Gierig nach mehr zog ich ihn an mich und übernahm die Führung. Zufrieden seufzend ließ er sich nun ganz gegen mich sinken und schob mein Shirt hoch, um meinen Bauch zu berühren. Seine Hände glitten über meinen Rücken und meine Haut war an seine geschmiegt. Ich spürte, wie sich etwas hinter seinem Gürtel regte, und legte ein Bein um ihn. Er packte es und ich klammerte mich mit beiden Beinen um ihn. Langsam ließ er uns die Leiter heruntergleiten und drückte mich gegen die kalte schmutzige Erde. Kurz abgelenkt von der überraschenden Kälte ließ ich mit den Küssen von ihm ab und sah ihn an. Seine Lippen waren geschwollen von den wilden küssen und sein Atem ging schnell. Meine Hände waren in seinen Haaren verschwunden und seine Hände hielten meinen Hintern. Unfähig irgendetwas zu sagen, da mein Gehirn noch nicht ganz wieder eingesetzt hatte, versuchte ich durch seine Brille irgendetwas zu erkennen. Was empfand er gerade dabei? Was empfand ich überhaupt selbst?
Seine Stirn senkte sich gegen meine und mein Atem beruhigte sich.
„Schirin...“ Ich unterbrach ihn, indem ich ihn küsste. „Verdammt halt einfach den Mund, ich versuche zu denken.“
Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen und er senkte den Blick, bevor er zu seiner Sonnenbrille griff. „Du brauchst nicht denken.“
Mit einer flüssigen Bewegung schob er die Brille in seine Haare und ich konnte nicht anders auf seine geschlossenen Augen zu starren. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, wie sehr es mich gestört hatte, sie nicht sehen zu können.
Seine von Wimpern umrahmten Augenlider hoben sich und ich zuckte zurück. Wenn er mich nicht gehalten hätte, wäre ich nun mit dem Hintern am Boden gelandet. So schnell ich konnte, richtete ich meine Kleidung und ließ mich absetzen.
„Ähm... Ich wusste nicht das du ein...“ Mit zitternden Beinen ging ich zur Leiter zurück und kletterte sie hoch. Verdammt warum war mir das nicht schon vorher bewusst gewesen.
„Schirin, jetzt lauf doch nicht weg.“ Ich ging zwischen zwei Bäumen hin und her und hoffte diesen Anblick wieder aus dem Kopf zu bekommen. Das konnte doch nicht möglich sein. Von all den vielen Suchern und Jägern, die es bei uns gab, musste ich einen Silver erwischen.
„Schirin, bitte bleibe jetzt stehen, du machst mich ganz nervös!“ Ich schlug seine Hand weg und brüllte ihn an.
„Und du kotzt mich an. Warum hast du mir nicht gesagt, dass du ein Silver bist?“
Er blickte bedrück zu Boden, bevor er mich wieder ansah und seufzte. „Genau wegen dieser Reaktion. Du bist jetzt eine der Handvoll, die wissen, dass ich ein Silver bin und ich würde dich darum bitten, dass du es niemanden verrätst.“
Ich spukte zu Boden, um ihm zu zeigen, was ich davon hielt. „Ich habe noch andere Arbeit zu erledigen bevor die Sonne unter geht. Bye.“
Ohne mich noch einmal umzudrehen, verschwand ich zur nächsten Falle und nahm meine Ausrüstung mit. Ich wollte keine Sekunde länger als nötig in der Nähe von so einem Ding verbringen. Ich verstand so wie so nicht, warum sie solche Leute auch in unsere Reihen aufnahmen. Waren Sucher und Jäger denn nicht genug? Und ich hatte ihn auch noch geküsst. Ich hatte mich sogar etwas gehen lassen. Hatte etwas empfunden dabei.
Ich brauchte dringend eine gute Mundspülung.

Tag 14 Mittwoch

Lektion 8: Bei Rudelkämpfen wird nachdrücklich empfohlen, sämtliche Menschen außenvor zu lassen und an deren Sicherheit zu allererst zu denken.

 

 

Kurz vor Sonnenaufgang läutete mein Handy und ich meldete mich schroffer als gewollt. „Was ist?“
„Alles in Ordnung?“ Nates stimme ließ mich mir selbst auf den Kopf greifen. Ich musste mich dringend abreagieren.
„Tut mir Leid. Was ist denn?“
„Rick sagte dass wir uns alle am Strand treffen sollen. Ich schätze die Fallen sind alle aktiv?“
Ich nickte, bevor ich erkannte, dass er mich ja nicht sehen konnte. „Ja. Ich komme gleich.“
Nach wenigen Minuten stieg ich in mein eigenes Zimmer ein und holte meine Waffen. Meine Ausrüstung fand ich in einem ausgehöhlten Zweitboden unter meinem Kleidungskasten. Sie war am Hals verstärkt durch einen Kragen und hatte überall kleine Silbernieten. Sogar Armschützer waren dabei. Die Hosen waren an den Oberschenkeln und an der empfindlichen Ferse gestärkt, während mich das Material selbst warm hielt. Sogar wenn ich in kaltes Gewässer fallen sollte, würde ich einige Zeit länger darin überleben können, bevor mein Körper steif würde.
Über meinen Rücken trug ich ein Breitschwert, das ich immer unter meinem Mantel verborgen hielt, währenddessen ich an beiden Hüften einen kleinen Morgenstern hielt. Zufrieden schwang ich beide und erfreute mich an dem Klang, als es in der Wand landete und diese ohne Mühe zertrümmerte.
Diejenigen die mich nicht kannten, würden mich wohl für einen Freak nun halten. Obwohl ich das wohl auch war. Die meisten Sucher rüsteten sich mit Fernkampfwaffen aus. Doch in dieser Situation würde es mir nichts bringen.
„Schirin? Bist du da?“
Seufzend packte ich noch Wurfsterne ein und sprang ohne Mühe aus dem Fenster. Da sich mein Gewicht nun verdoppelt hatte, erschütterte der Aufprall meine Beine, doch das spürte ich überhaupt nicht. Schnell und in schwarz gehüllt lief ich zum Strand, musste jedoch einen größeren Bogen laufen, um zu überprüfen, ob sie schon in der Nähe waren. Da ich keinen Wolf spürte, atmete ich einmal tief durch, bevor ich den Strand entlang ging. Diejenigen die ich spürte, waren die Wölfe, die ich kannte und noch drei, die ich noch nicht gefühlt hatte. Unsicher wie ich reagieren sollte, zog ich meinen linken Morgenstern und warf ihn mir über die Schulter. Als ich ins Licht trat, weiteten sich die Augen der versammelten Wölfe. Die drei, die ich nicht kannte, waren erwachsene Wölfe. Eine alte Dame die neben Rick stand und ein Paar, das neben Viktor in schwarzer Trauerkleidung stand. Da ich nicht wusste, was ich sagen sollte, blieb ich einfach schweigend neben Joleen stehen.
Adrian stand auf der anderen Seite der Gruppe und ich konnte seinen Blick auf mir spüren. Er hatte dieselbe Kleidung an, wie ich nur trug er andere Waffen. Hinter seinem Rücken trug er ebenfalls ein Schwert, nur nicht so ein schweres wie meines. Es sah eher wie ein Katana von meinem Blickwinkel aus. Ansonsten sah ich die Griffe von Pistolen unter seinem Mantel hervorstechen.
Joleen griff nach meiner Hand und ich warf ihr nur einen kurzen Blick zu.
„Was haben wir nun vor Rick?“
Er war der Leitwolf und es waren seine Wölfe. Sie hatten ihn herausgefordert und ich hätte eigentlich überhaupt kein Recht, mich einzumischen, außer er bat mich um Hilfe.
„Wenn du ein Zeichen erhältst, dann mischt du dich ein. Vorher nicht.“
Ich nickte und packte meinen Stern zurück. Die Spitzen klopften gegen das verstärkte Leder meiner Hose und ich genoss das gewohnte Gefühl.
„Für dich gilt das selbe, Jäger. Joleen du hältst dich überhaupt heraus. Egal was passiert, verstanden?“
Sie nickte und griff wieder nach meiner Hand... ins Leere. Ich ging weg und setzte mich auf eine Bank. Mein Schwert legte ich unter die Bank und setzte meine Kapuze auf. Ich würde hier warten, bis sie mich riefen.
Adrian schritt neben dem Meer auf und ab, während Joleen auf Rick einredete.
So verbrachten wir bis Mitternacht. Irgendwo in der Ferne erklang ein Knallen von einem, meiner Fallen.
Im nächsten Moment erklang ein Geheul. Rick und sein Rudel stimmten darauf ein. Anscheinend schickten sie ihnen eine Warnung.
Ich betrachtete noch eine Weile das Geschehen, bevor ich mich niederlegte und etwas döste. Es würde noch etwas dauern, bis sie hier waren.
„Hi!“ Joleen stand neben mir und blickte unsicher lächelnd zu mir herab. Ich öffnete lediglich ein Auge, bevor ich es wieder schloss.
„Ich wollte mich entschuldigen und bedanken, Schirin.“
Jetzt war ich neugierig geworden. „Was meinst du?“
Ich setzte mich wieder auf und Joleen nahm neben mir Platz. Unsicher spielte sie mit dem Saum ihres Kleides und betrachtete das Meer.
„Für gestern im Wald. Ich habe mich wieder beeinflussen lassen von meinem Wolf. Ich wollte dir keine Angst machen.“
Ich nickte und fragte mich, wie der Wolf sie wohl beeinflusste. Ob sie auch aktiv mit ihr sprechen konnte? Wölfe waren ja klug aber sie verstanden doch nicht, was man ihnen sagte, oder?
„Wie geht es Viktor?“ Joleens Blick zuckte kurz in dessen Richtung, bevor sie die Schultern hängen ließ. „Er war die ganze Nacht fort und ist erst am späten Nachmittag gekommen. Seine Eltern haben sich große Sorgen gemacht. Er hat erzählt dass er die Wälder abgesucht hatte um das Rudel zu finden. Erfolglos.“
Ich kicherte. „Denkt ihr den wirklich, sie würden sich in einem Fremden Wald verstecken? Unter den Menschen die Witterung zu verbergen ist wesentlich einfacher als im Wald. Ich habe sie im Nachbardorf getroffen und ihnen eine Nachricht hinterlassen. Anscheinend wollen sie tatsächlich dieses Land.“
Joleen blickte mich verblüfft an. „Du weißt ziemlich viel über uns. Manchmal finde ich es unheimlich wenn du mehr weist als wir selbst.“
Das verstand ich. Zur Zeit fühlte ich mich ebenfalls so. Mein Blick glitt zu Adrian, der meinen Blick fühlte und ebenfalls zu mir sah.
„Weißt du. Manchmal ist es gut wenn manche mehr wissen als ihr. Solange sie auf deiner Seite sind. Woher hättet ihr es denn auch lernen sollen. Die Eltern von Viktor und die Großmutter von Rick sind einheimische. Ihre Familien leben wahrscheinlich schon seit Jahrhunderten hier. Vermutlich dachten die anderen Wölfe, das ihr hier ein leichtes Ziel währt, da ihr nur mehr wenige seid.“
Joleen ließ lächelnd ihre Hand auf meine sinken. „Wenigstens haben wir dich jetzt. Das ist schon viel wert.“
Ich betrachtete unsere Hände, bevor ich meine wegnahm. „Joleen, ich werde abreisen.“
Sie blickte mich entsetzt an und ihr Mund blieb für kurze Zeit offen stehen, bevor sie mühsam schluckte.
„Warum?“ War alles, was sie heraus bekam.
„Ich bin hier eigentlich fertig mit meinen Job. Adrian wird das schon alleine meistern. Ihr werdet auch mit ihm fertig, wenn er zu mühsam wird und ich habe hier eigentlich alles erledigt. Ich habe sogar schon eine neue Jobanfrage bekommen. Morgen packen wir und dann sind wir auch schon weg, im Großen und Ganzen.“
Das stimmte nicht ganz, doch während ich hier gesessen bin und nachdenken konnte, machte es eigentlich für mich keinen Sinn, mehr hier zu bleiben. Im Gegenteil. Es schadete mir sogar, da ich mich zu sehr mit den Wölfen angefreundet hatte. Sogar der Tod von Ferenc war mir nahe gegangen. Heute würden auch bestimmt wieder welche sterben.
Das Risiko war einfach zu groß, dass mich ihre Nähe zu sehr beeinflusste.
„Ich verstehe. Ich..“
Joleen kam nicht mehr zum Weitersprechen, denn ich spürte plötzlich einen Wolf aus der Kleinstadt heraus laufen.
„Dort!“ Ich zeigte auf eine dunkle Gasse und schon stand ein wie wild knurrender Wolf mit etlichen Schürfwunden im Fell. Sie heilten nur langsam, daher nahm ich an, dass er in eine Silberfalle geraten war.
Der Wolf stürmte wie tollwütig auf uns zu und griff Viktor direkt an, da er am nächsten stand.
Der Alphawolf warf ihn sich über die Schulter und kugelten den bissigen Wolf die Schultern aus. Mit einem üblen Knacken ging er zu Boden und blieb wild keuchend liegen, während er sich langsam zurückverwandelte.
Im nächsten Moment lag ein mit dem Bewusstsein kämpfende Teenager vor uns und blickte drein, als würde sie um Hilfe bitten.
Ich konnte sie nicht hören, doch Viktor hob sie auf und trug sie in die Nähe des Meeres.
Als Nächstes lösten sich zwei weitere Schatten, die ebenfalls in ihrer Wolfsform Nate angriffen. Viktor kam ihm wieder zu Hilfe und sie schlugen auch diese Wölfe bewusstlos.
Dann wurde es plötzlich still. Die erwachsenen Wölfe standen mit verschränkten Hände unter einer Laterne und warteten geduldig. Viktor und Nate wischten sich den Schweiß von der Stirn und suchten das Ufer mit den Augen ab.
Der Leitwolf Rick, stand alleine am weitesten von uns entfernt. Seine Autorität strahlte bis zu Joleen und mir. Er machte mir am meisten sorgen, da ja die Angriffe alle ihm gelten sollten.
„Wo bleibt der Leitwolf?“ Fragte mich Joleen flüsternd.
Ich zuckte mit den Schultern und spürte eine Hand auf meiner Schulter. Meine Sinne hatten mich bereits gewarnt, dass jemand näher kam, daher erschrak ich nicht, das Adrian mich ansprach. „Ich denke nicht dass dies hier nach den Traditionen geht. Die Wölfe greifen einfach Ziellos an. Sie sind nur Kanonenfutter und der Leitwolf der anderen ist ebenfalls nicht zu sehen. Was denkst du haben sie vor.“
Das fragte er mich? Ein Silver stand einem richtigen Wolf viel näher als es ein Jäger, oder Sucher jemals wieder sein konnte. Ein Silver war ein Wolf, der seine Fähigkeiten freiwillig aufgegeben hatte, um menschlich zu sein. Sie kannten nicht mehr alle Geheimnisse der Wölfe, und hatten sich willentlich von ihrem Wolf trennen lassen. Das bedeutete, dass er nicht mehr wandeln konnte und sämtliche Fähigkeiten mit ihm genommen wurden. Eine Prozedur, die nur eine Woche dauerte, doch den Körper für immer schädigte.
Das einzige das einen Silver von optisch von Sucher und Jäger unterschied, war ein leerer silberweiser Kreis um die Pupillen, die einem jeden zeigte, dass dieser Wolf einen Teil seiner Seele hatte nehmen lassen.
Es war so ziemlich das Schlimmste, was ein Wolf machen konnte und selbst wir Sucher und Jäger, fanden dies nicht sonderlich gut. Im Einklang mit der Natur zu leben bedeutete auch sich nicht einzumischen.
Das er also ein Teil von sich selbst so zu sagen heraus geschnitten hatte, war so ähnlich wie seine eigene Seele an den Teufel zu verkaufen. Zumindest in den Augen der meisten. Ebenso in meinen.
„Mich fragst du? Du bist doch ein Verräter, du solltest es wissen.“
„Schirin! Das ist jetzt wirklich unnötig.“
Empört fuhr ich in die Luft. Buchstäblich. Vorm Zorn gepackt, sprang ich von der Holzbank und schlug nach seinem Gesicht. Zu meinem bedauern verfehlte ich, auch wenn mein Schlag gut platziert gewesen wäre. „Was wirklich unnötig ist, ist dass du hier bist. Weder brauche ich Hilfe bei dieser Mission, und gar noch weniger von einem missratenen Monster wie dir! Du hast mir die ganze Zeit etwas vor gespielt und versucht meine Geheimnisse zu lüften. Aber hier geht es um wesentlich wichtigeres als um die Missionen einer Sucherin! Adrian! Sieh dich um. Wir sind auf einer Insel. Mitten im Ozean! Unsere Organisation, für die wir so gedankenlos arbeiten und uns einlullen lassen von Aufgaben, Traditionen und Familie, ist nichts weiter als ein haufen Scheiße!“
„Schirin, ehrlich ich verstehe kein Wort.“
Frustriert erklärte ich ihm, was die letzten Wochen passiert ist. „Seitdem hat sie weiße Haare und kann sich manchmal nicht kontrollieren. Jetzt wandern tausende von Wölfe auf diese verfluchte Insel wenn sie schlafen und ich habe keine Ahnung wie ich ein kleines Mädchen davor beschützen kann. Und noch weniger vor was ich sie beschütze.“
Adam schien in sich zu kehren und über etwas nach zu denken. Eigentlich hätte ich ja mit Zorn seiner seits gerechnet, doch dieses verhalten missfiel mir noch mehr.
„Also… ist das kleine Mädchen hier eine Göttin?“
Joleen nickte und nahm ihre Haube ab, die so überhaupt nicht zu ihrem sonst so süßen Outfit passte. Überrascht sog Adrian die Luft ein.
„Du bist es wirklich…“ Wie in den Bann gezogen von ihr, nahm er seine Brille ab und fiel vor ihr auf die Knie. Was sollte das jetzt?
„Oh, große Wolfsgöttin. Bitte nimm meinen Körper an, als deinen Diener. Verzeih die Selbstverstümmelung die ich mir angetan habe. Verzeih dass ich mich von den alten Traditionen los gesagt habe und vor allem den Glauben in dich verloren habe.“
Ich wieder holte innerlich denselben Satz noch einmal. Was sollte das jetzt? Hatte Adrian jetzt endgültig eine an der Waffel? „Adrian? Was machst du da?“
Joleen schien verstört zu sein wie ich und blickte hilfesuchend zu mir. „Ja, bitte steh auf, das ist mir peinlich!“
Er kam wieder auf die Beine, doch ließ den blick gesenkt. „Entschuldigt… Auch wenn ich nur mehr ein Silver bin, hänge ich noch sehr an den Geschichten mit denen ich groß geworden bin.“ Entschuldigte er sich. „Es überrascht mich nur, dass ihr nicht wisst, was es mit der Wolfsgöttin auf sich hat und dass sie nicht wirklich eine Göttin ist.“
„Ist sie nicht?“ Fragte ich.
„Bin ich nicht?“ Fragte Joleen.
Lächelnd blickten wir uns an und sie griff nach meiner Hand, die ich sofort sanft drückte.
„Natürlich nicht. Schirin, du kennst doch die Geschichte über die Entstehung von den ersten Wolfsmenschen, oder?“
Ich nickte und selbst Joleen schien bereits von Nate davon gehört zu haben, so wie dieser von Ferenc.
„Die Geschichte handelt von der Stammestochter die in ihrem Schmerz ihr eigens Volk dazu verdammt hat im Einklang mit der Natur leben zu müssen. Sie hatte einzigartige Fähigkeiten und man sagt sie soll damals als Einzelgänger in den Tiefen der Wälder verloren gegangen sein. Jedoch wird seit dieser Zeit alle paar Generationen eine weiße Wölfin geboren, die die Macht hat die anderen Wölfe zu beherrschen. Sie kann ebenfalls Wölfen ihren Kontakt zu der Natur nehmen und Sucher so wie Jäger wieder in ihre ursprüngliche Gestalt stecken so wie es der Fluch vorgesehen hatte.“
Also waren unsere Gaben tatsächlich nichts anderes als Flüche. Dadurch das wir Sucher und Jäger uns aus dem Fluch haben herauswinden können, habe wir trotz allem es nicht geschafft, uns endgültig von unserer wölfischen Herkunft abzuwenden.
Die Fähigkeit zum Wandeln war uns zwar verloren gegangen, doch waren Sucher immer noch dazu verpflichtet die Geheimnisse der Wölfe von den Menschen zu verheimlichen und die Jäger erfüllten ihre Aufgaben, in dem sie die Kräfte der Wölfe imitierten und Kriege verhinderten.
Ebenso einen Krieg, der kurz nach Joleens Verwandlung entstanden war, dessen ausmaß wir nicht einmal verstehen konnten.
„Bedeutet dass, das ich also trotz allem eine normale Wölfin bin?“
Adrian zuckte mit den Schultern. „Deine Ahnin hat uns aus Zorn zu dem gemacht was wir sind. Deine Gefühlsausbrüche müssen also deiner Wölfin gehören und nicht dir selbst. Sie ruft ihre Wölfe, da ihr alle einmal ein Rudel wart. Normalerweise töten die Jäger sofort die Ahnin, da sie sämtliche Wölfe so mächtig machen könnte, wie sie einst waren und vor allem wieder wild.“
„Wieder wild? Was soll das bedeuten?“ Hakte ich nach.
„Ich schätze dieser Teil der Geschichte bezieht sich auf die ersten Wölfe, denn sie waren ja ebenfalls einfach wilde Wölfe mit dem Intellekt eines Menschen. Heutzutage könnten solche Wölfe tatsächlich mehr Schaden anrichten, als jemals zuvor, da westlich weniger Wälder als damals ihnen zur Verfügung stehen würde.“
„Aber, wenn ich Sucher und Jäger ihre ursprüngliche Form wieder geben könnte… was würde das für euch bedeuten?“
Ich dachte an die vielen Sucher, die bereits der Wildheit der Wölfe verfallen waren. „Für manche von ihnen würde es bedeuten, an der Seite desjenigen zu leben, den sie lieben.“ Mein Gedanke zuckte zu meiner Mutter… sie könnte… „Wir müssen sie beschützen… unter allen Umständen!“
Beschloss ich und blickte Adrian stur in die Augen. Mit Mitleid in den Augen blickte er mir entgegen und zog mich plötzlich an sich. „Schirin, es wird ihr nicht helfen. Selbst wenn sie einer würde, könnten wir dies niemals erklären. Sie würden ein Opfer fordern, sie würden Joleen entdecken… Ich würde dich verlieren…“ Den letzten Satz murmelte er leise in mein Ohr und mein Herz setzte endgültig aus. Mich verlieren? Weil ich Joleen beschützt habe und ein besseres Schicksal für meine Mutter wünschte. So wie für meinen Stiefvater, der sich ebenfalls in eine Wölfin verliebt hatte und dafür alles Hinschmeißen hatte wollen wie sie. Wie konnte man denn so grausam sein? Es hatte mich ein ganzes Jahr gekostet, diesen Schmerz zu verarbeiten und nach vorne zu sehen. Selbst heute tat es noch weh, daran zu denken, dass sie für einen Wolf ihre Karriere aufgab als Sucher. Sogar mich hätte sie zurückgelassen und das war alleine meine Schuld. Hätte ich damals nur anders reagiert. Hätte ich sie nicht auffliegen lassen, dann wäre sie mit ihm in die Wälder gegangen und ich wäre alleine zurückgeblieben.
Wie sehr bereute ich es, dass sie diese Liebe niemals hatte ausleben können. „Ich war so selbstsüchtig und… habe sie ans offene Messer laufen lassen. Es ist alleine meine Schuld, dass sie so leiden muss. Diese unendliche leere… und dieses… Gefühl in ihrer Nähe…“
Adrian tröstete mich, so gut er konnte, und streichelte sanft meinen Kopf. Es tat viel besser, das er hier war, als das es sein durfte. Im Grunde war er doch auch ein Wolf. Bedeutete dies also, dass ich nicht besser, war als meine Mutter?
Joleen reichte mir ein Taschentuch, in dem ich meine Tränen verschwinden ließ und atmete tief durch.
„Entschuldigt… Ein Problem nach dem anderen. Zu aller erst müssen wir das Problem mit diesen Wölfen klären und danach wie wir weiter machen.“
Adrian und Joleen nickten wie eine Einheit.
„Ich sollte Rick davon erzählen.“ Meinte sie und wollte sich sofort auf den Weg machen, doch ich hielt sie zurück.
„Warte noch, bis es vorüber ist. Du kannst deinen Leitwolf nicht während so etwas dermaßen ablenken. Wir klären dies später auf.“ Versprach ich und beobachtete Joleen sehnsüchtigen Blick.
„Das ist so gemein. Er ist so nahe und doch… kann ich ihn nicht berühren.“ Das kleine Mädchen neben mir wirkte bei diesem Satz, genauso wie ich mich gerade fühlte. Woher kam nur dieses Gefühl? Die letzten Tage hatte ich versucht, Adrian zu meiden und seine Nähe zu ignorieren, doch seit er mich geküsst hat, und ich wusste wer, oder eher was er war, machte es mir das alles nicht gerade leichter. Silver waren ehemalige Wölfe, die jedoch nun eine Beziehung mit einem Sucher oder Jäger haben konnten. Sogar mit normalen Menschen war es ihnen gestattet und doch… waren sie noch immer ausgestoßene.
Das verfahren, wie der Mensch vom Wolf getrennt wird, ist streng geheim und nur die wenigsten wissen es. Jedoch war bekannt, dass es schmerzhaft und traumatisch sein soll. Also kam hier nun die Frage in mir auf. Aus welchem Grund hat er sich so etwas angetan?
„Ist er dein Partner?“ Fragte Adrian und brachte mich so auf das eigentliche Thema zurück.
„Ja…“ Gab sie nun zum ersten Mal ehrlich zu und war über sich selbst überrascht. „Ehrlich gesagt… Ja, ich denke er ist mein Partner. Schon seit ich ihn das erste mal gesehen habe, habe ich mich zu ihm hingezogen gefühlt. Ich dachte einfach, es wäre weil er mein Leitwolf einmal sein würde und er stark und Kraftvoll ist. Aber… es ist auch etwas anderes. Ich kann keinen Augenblick seit meiner Verwandlung nicht an ihn denken. Als meine… Wölfin die Kontrolle übernahm und so ausgetickt ist da Rick in mein Haus einfach eindrang, das war einfach fürchterlich. Ich konnte fühlen wie verwirrt sie über ihn war. Seine Autorität, sein Aussehen, seine Güte. Er hat mich nie verachtet, sich um mich gekümmert und mir immer wieder Süßigkeiten geschenkt als ich noch jünger war. Aber alles immer wenn es niemand gesehen hat. Ich denke er wusste es lange vor mir, doch hat es für sich behalten. Rick hat sogar meinen Kakao getrunken, und hat sich danach übergeben… nur um mir nahe sein zu können.“
Viele Details dieser Erinnerungen waren mir neu, doch ich musste darüber lächeln. Rick soll so liebevoll zu kleinen pubertären Kindern sein? Das entsprach überhaupt nicht seinem Typ. Im eigentlichen schien nichts von diesen Erzählungen zu Rick zu passen. Doch ließ es mein Herz weich werden und mich lächeln. Ja, Rick ist tatsächlich ihr Partner.
Als würde er ihren Blick spüren, zog es seinen eigenen ebenfalls zu ihr und er nickte schwach. Sie winkte ihm und wandte sich wieder ab. Mit rotem Gesicht sah zwischen Adrian und mir hin und her, als wäre es ihr peinlich, dass sie das alles laut gesagt hat.
„Werdet ihr es ihm sagen?“ Sie wollte also, das wir schwiegen? Als wäre das nötig.
„Ich denke kaum, dass Schirin und ich etwas sagen müssen. Wenn du älter bist und es das Gesetz erlaubt, dann wird er automatisch zu dir kommen, ohne zu zögern.“ Versprach Adrian und entlockte mir ebenfalls ein Lächeln dabei.
Auch wenn mich seine silberblauen Augen sehr verwirrten, verstand ich plötzlich, was er meinte.
„Hast du das denn auch getan? Für jemanden?“
Adrian lächelte beschwichtigend und winkte ab. „Nein, es war meine freie Entscheidung. Ich wollte einen Weg einschlagen, der mich weg von meinem Rudel geführt hat. Ich war schwach und eigensinnig. Und ein Sucher hat mir diese Chance gegeben. Er meinte damals, dass ich mich ihnen anschließen könnte, aber das es fürchterlich sein würde. Das war es auch für zirka zwei Jahre, danach hatte ich mich daran gewöhnt alleine zu sein. Das Gefühl meines Verlustes ging weg und… ich blieb alleine zurück. Jetzt bin ich eben gezeichnet als Silver und das ist in Ordnung so.“
„Würdest du denn zurück wollen? Könnten wir rein hypotetisch alles klären und Joleen wäre einverstanden, dann könnte sie dich zu einem Wolf machen. Du könntest wieder…“
Er ließ mich nicht ausreden, sondern schüttelte entschlossen den Kopf. „Nein, Schirin. Es gibt Wolfsmenschen, die sind nicht stark genug Wölfe zu sein. Ihnen fehlt der Instinkt und das können. Außerdem fühlen sie sich immer ausgeschlossen, egal was die anderen Wölfe sagen und tun um dies zu verhindern.“
Verstehend nahm ich dies zur Kenntnis und war seltsam erleichtert. Also würde er ein Jäger bleiben. Ein Jäger als ehemaliger Wolf, irgendwie ironisch.
„Und… wie wird es nun weiter gehen? Wirst du jemandem von Joleen erzählen?“
„Nein, natürlich nicht. Aber wir können sie nicht lange verbergen, nicht wenn Joleen alle Wölfe anzieht.“
Da war etwas wahren daran. Joleen war nicht nur eine Gefahr für alle anderen, indem sie sie aus Versehen zu sich lockte, sondern auch für sich selbst, denn es würde sie zerstören, wenn die Wölfe um sie herum starben, egal wie nahe sie diesen stand.
„Aber was kann ich tun, damit ich sie nicht weiter anlocke? Ich kann nicht einmal über meinen Wolf gebieten, oder in Ruhe mit ihm alles klären.“
Fragend sah ich zu Adrian, der selbst in Gedanken versunken war. Im Grunde interessierte ich mich ja dafür wie diese Koexistenz mit Wolf und Mensch funktionierte, doch mein Interesse dafür endete an einer bestimmten Stelle, und zwar genau hier.
„In, Ordnung, wisst ihr, da ihr beide euch sehr gut mit so etwas auskennt, verschwinde ich einige Meter dort hinüber.“ Ich deutete auf die kleine Gruppe an erwachsenen, die bei meinem erscheinen skeptisch dreinsahen.
Unsicher was ich ihnen sagen sollte, stellte ich mich einfach daneben und blickte die Umgebung ab. Ich fühlte noch immer die Anwesenheit von anderen Wölfen, doch aufgetaucht waren sie immer noch nicht. Es schien so, als würden sie auf etwas warten.
Mit einem zuckenden Lächeln nickte ich Rick zu. Im selben Moment, als er erkannte, dass ich vorhatte die Wölfe etwas aufzumischen, knurrte er mahnend zu uns hinüber. Winkend lief ich los und suchte die Dorfgrenze ab. Jedes mal, wenn ich näher zu einem der Wölfe kam, machten sie einen großen Bogen um mich, um mir nur nicht zu nahe zu kommen. Verwirrt über deren Reaktion, ging ich die Grenze zurück, mit demselben Ergebnis.

Tag 15 Donnerstag

Lektion 9: Es ist Suchern, so wie Jägern strengstens untersagt, zwischenmenschliche Beziehungen mit Wölfen herzustellen. Denken Sie immer daran! Halbwölfe sind verfluchte Monster. Vertrauen Sie ihnen niemals, oder sie fallen Ihnen in den Rücken.

 

 

Kapitel 9 Tag 16 Donnerstag
Mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht richtig deuten konnte, betrachtete Adrian mich aus dem Augenwinkel. Ich tat so, als würde ich es nicht bemerken, während ich der vollkommen sinnlosen Diskussion meiner Mutter und ihrem neuen Ehemann lauschte, wie sie unnötigerweise darüber stritten, wo sie ihre Flitterwochen verbracht hätten. Im Grunde hatte ja niemand von ihnen recht, da sie niemals welche gehabt hatten. Trotzdem war es überraschend beruhigend zu wissen, dass zumindest irgendetwas das ich kannte, normal klang. Meine Mutter hatte das ungeahnte Talent ihren Kopf selbst durch eine Stahlwand zu bewegen. Somit gewann sie die Diskussion, und mein Stiefvater verschränkte, beleidigt die Arme vor dem Brustkorb, während er dem Finale, irgendeines Spieles folgte, welches im Radio durchgesagt wurde. Ich leerte meinen Teller, indem ich unbemerkt Adrian meine Erbsen hinüber leerte, der neben mir saß und verkündete, dass ich fertig sei. Artig trug ich meinen Teller zur Spüle, bevor ich in mein Zimmer hochlief. Kaum war sie geschlossen, klopfte es daran. Natürlich wusste ich, wer es war... trotzdem fragte ich völlig unschuldig. „Wer ist da?“
„Krampus, ich bin da, um ein unartiges Mädchen zu bestrafen, dass seine Erbsen nicht aufgegessen hat.“ Ich musste über seine Provokation sofort lächeln, doch wollte nicht, dass Adrian wusste, wie sehr er mich doch noch beeinflussen konnte. „Oh, und ich dachte schon, du willst mir, wie Rick, ebenfalls auf die Nerven gehen, nur weil ich ein paar Wölfe aufmischen wollte.“
Ohne auf mein >herein< zu warten, öffnete Adrian die Türe und schloss sie geräuschvoll wieder hinter sich. „Im Gegensatz zu dir finde ich das nicht witzig!“ Beschwerte er sich und riss sich die Brille aus dem Gesicht. Seine fast kalten silbernen Pupillenringe, verursachten mir einen Schauder im Nacken. An so etwas... unnatürliches würde ich mich wohl niemals gewöhnen können. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und funkelte beleidigt zurück. „Sie sind ohnehin abgehauen. Die meisten meiner Fallen waren unnötig aufgestellt und wer weis, wie viele heute nachkommen werden. Also haben wir die Nacht völlig umsonst draußen verbracht.“ Wir hatten völlig unnötig die Nacht am Strand verbracht, angespannt und voller Tatendrang, doch nichts ist weiter passiert. Als ich heute Morgen, gegen halb Sieben in mein Zimmer einstieg, hatte meine Mutter mich gehört und gedacht, ich sei einfach früh wach, wegen der Schule. Ich jedoch, hatte das Blaue vom Himmel gelogen, gesagt heute sei ein freier Tag und kämpfte seitdem um einige Stunden ruhe. Wie gesagt... wenn meine Mutter sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann lief sie sogar durch Wände dafür.
„Es war nicht umsonst!“ Verbesserte Adrian mich. „Da wir keine Geheimnisse mehr haben, können wir zusammenarbeiten. So wie Sucher und Jäger es früher immer getan haben.“
Ich wandte mich ab und sammelte meine Kleidung und die Waffen ein, um sie zu verstauen, während ich schlief. Nicht dass meine Mutter zufällig darüber fiel, wenn sie mir meine gewaschene Kleidung brachte. Dies würde mich ein wenig in Erklärungsnot bringen.
„Als Partner waren sie immer unschlagbar. Selbst wenn die Situation unmöglich schien... Hörst du mir denn überhaupt noch zu, Shirin?“
Ich stöhnte genervt. „Ich versuche, dich auszublenden, aber solange du anwesend bist, kann ich mich nicht umziehen und ins Bett fallen, so gerne ich auch möchte.“ Beschwerte ich mich und schlug den zweiten Boden, meines Kleiderschranks, etwas zu heftig zu. „L-Liegt es an meinen Augen? Ist es das, was dich so sehr stört und weshalb du mich nicht mehr ansiehst?“
Ich verdrehte genervt die Augen, doch wandte mich nicht zu Adrian um. Wenn er es doch wusste... wieso wollte er es dann noch einmal unbedingt von mir hören? „Was denkst du wohl? Außerdem, hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Ich bin erschöpft, Adrian. Geh jetzt einfach.“ Ich wollte mich nicht rechtfertigen, ich war zu müde, um ihn abzuweisen. Wieso beließ er es nicht einfach bei dem, wie es war und... ließ mich mein Leben in Frieden weiterleben?
„Findest du es etwa... auch >krank< was ich bin? Denkst du, wie viele andere, dass ich >eingeschläfert< gehöre?“
Vor Jahren hatte ich das gedacht. Vor Wochen war es mir noch egal, was Silver machten, solange sie mir nicht zu nahe kamen. Wenn ich jedoch hörte, wie kalt Adrian klang, bei diesen Worten, die er mit Sicherheit sein ganzes Leben hatte ertragen müssen, in dem Wissen, dass wenn er etwas dagegen sagte, es nur schlimmer gemacht hätte, würde ich am liebsten jeden dafür eine Sprengfalle in den Ar... „Mir ist es egal was andere denken, oder sagen. Heute bin ich nur noch mir selbst treu. Das...“
„Mein Vater war ein Jäger, wie meine Mutter. Er wusste nicht, dass ich nicht von ihm bin. Und meine Mutter starb, noch bevor ich in die Pubertät kam und sie mir alles erklären konnte.“
Überrascht von diesen Informationen, drehte ich mich um und sah seine Schulter an. Höher konnte ich einfach nicht blicken, in diesem Moment. „Als ich an diesem Morgen aufwachte und meine silbernen Augen sah... dachte ich, jetzt würde er mich totprügeln.“ Erzählte er vorsichtig weiter. „Ich hinterließ meinem Vater einen Brief, auf meinem Bett, indem stand, dass ich für ein Wochenende mit einem Kumpel in die Berge fahre. Ich blieb weg... fünf Tage lang. Als ich wiederkam, hatte ich mir Kontaktlinsen besorgt und alles über Silver recherchiert, was ich nur konnte. Ich habe weiter den Jäger gespielt. Meinem Vater habe ich vorgelogen, ich hätte bei einem Unfall im Wald, mein Augenlicht zum Teil eingebüßt, da ich die Kontaktlinsen nicht so gut vertrug. Natürlich musste ich dem Vorstand berichten, was ich bin, das tat ich auch und sie halfen mir zu verschleiern, woher ich komme. Einfach nur, weil der Name meiner Familie rein bleiben solle. Bis zu seinem Tod, dachte er, ich sei sein Sohn, sagte mir am Sterbebett, wie stolz er auf mich sei, dass ich unserem Namen alle Ehre gemacht hätte, bis jetzt...“
Ich konnte mir sehr wohl vorstellen, Adrian bei den Worten seines Vaters empfand. Mir ging es genauso, wenn ich mit meiner Mutter zusammen war, wenn sie stolz meine Noten verkündete, oder sagte, was ich doch für ein hübsches, nettes Mädchen sei. Wie Adrian hatte ich gewählt, sie anzulügen, doch wusste genauso wenig, wie er damals, was für ein Ausmaß eine Einzige... kleine... Lüge erreichen konnte.
„Wenn du auf Mitleid aus bist, dann bist du bei mir an der falschen Adresse. Ich bin nicht einmal ansatzweise die Tochter meiner Mutter, das perfekte Mädchen, wie sie mich immer darstellt. Ich habe meine Familie nicht über das Gesetz gestellt.“
„Ich weiß.“ Überrascht blickte ich in Adrians Augen, die mir erneut einen Schauder einjagten.
„Wie? Du weißt?“
„Ich war an diesem Tag dabei.“ Verwirrt hob ich die Augenbrauen. „Du warst blutverschmiert, doch es war bereits getrocknet. Deine Weste war ebenfalls an mehreren Stellen gerissen und deine Mutter saß, schluchzend, draußen auf dem Gang. Ohne anzuklopfen, bist du einfach in das Büro des Direktors gerannt. Wütend... und enttäuscht. Du hast gleichzeitig geschrien und geweint, als du deine Mutter verraten hast. Und so wie du sie heute ansiehst... denke ich, dass du begriffen hast, was für Auswirkungen eine einzige, kleine Lüge haben kann. Selbst wenn diese Lüge von einer anderen Person gekommen ist.“ Ich knirschte mit meinen Zähnen. Er ist da gewesen? Wieso hatte ich ihn dann nicht bemerkt? Aber... wenn Adrian bloß Fakten zusammenzählte und eine selbstsichere Stimme benutzte, damit es so klang, als wäre er dort gewesen... woher wusste er dann so viele Details?
Damals bin ich so... enttäuscht gewesen. Meine Mutter sagte, sie müsse sich nur kurz nach einem Rudel erkundigen, einem Rudel, dem es sehr schlecht ginge. Ich kam zu dieser Zeit, aus einem Trainingscamp, in der Nähe. Ich dachte mir, sie könne mich ja mit dem Auto mitnehmen, so würde ich mir die Buskosten ersparen, doch... Als ich sie in dieser Hütte fand.... Eng umschlungen im Bett, mit diesem... diesem verdammten Wolf...
Zwar hat sie versucht, mir alles zu erklären, mir zu beweisen, wie sehr sie ihn doch liebt und dass sie ihn niemals wieder treffen würde, nur wegen mir... Aber mir hatte es nicht gereicht. Das war einfach nicht fair! Wie konnte sie meinen Vater bloß so kaltherzig belügen? Uns hintergehen? „I-I-Ich habe es einfach nicht verstanden u-und ich wollte es auch nicht glauben. Wie kann man nur jemanden lieben, der nicht einmal ganz Mensch ist? Ich habe mich verraten und hintergangen gefühlt.... und... Ich konnte nicht einmal ihren Anblick ertragen. Diese Schmerzen, den Spott den mein Vater, meine Großeltern und ich danach ertragen mussten... ich habe es eine sehr, sehr lange Zeit auf sie projiziert. Für mich war sie an allem Schuld, egal ob ich gehänselt, oder beleidigt wurde. Für mich war sie die Wurzel allen Übels, dss ab diesen Tag, über mich hereinbrach.“
Adrian kam auf mich zu, doch als er versuchte, mich zu berühren, wehrte ich ihn ab. „Du... Du hast es deinem Vater wenigstens Frieden gebracht, Adrian. Er konnte sterben, ohne je zu wissen, was ihm seine Frau angetan hat, was sie >dir< angetan hat. A-Aber ich? Nicht Mama war schuld... Sie hat es vertuscht, vielleicht wäre es ja auch einfach bloß bei einer dummen Affäre geblieben, die sie irgendwann bereut hätte, aber ich habe das alles dermaßen... aufgepuscht. Manchmal habe ich das Gefühl, als wären nicht die Wölfe die Monster, sonder wir. Sieh nur, was wir allen antun! Unsere erste Aufgabe wäre es, die Wolfsgöttin, Joleen, ein unschuldiges, nettes Mädchen, zu töten, nur... weil wir nicht akzeptieren können, was sie ist, oder was wir einmal waren. S-Soll... Soll ich denselben Fehler schon wieder tun? Wie bei meiner Mutter? Soll... Muss ich wirklich für ihren Tod verantwortlich sein, bloß um es allen rechtzu...“
Adrian schob meine Hände grob zur Seite und umfasste mein Gesicht, mit beiden Händen. „Shirin, du musst nichts tun! Du musst nichts tun, was du nicht auch selbst willst. Hast du das verstanden? Weder >sie< noch sonst jemand, kann dich dazu zwingen Joleen zu töten.“
Trotzig starrte ich Adrian entgegen. „Wenn ich es nicht tue, dann schicken sie jemand anderen. Somit geht es trotz allem auf meine Kappe.“
Verbissen, knirschte er mit den Zähnen. „Sie werden niemanden schicken, Shirin! Niemand wird irgendetwas tun, weil niemand erfahren wird, dass sie hier ist. W-Wir können... Den Tod von Ferenc nutzen!“ Verblüfft hob ich eine Braue. „Was soll das bringen?“
„Wir vertauschen einfach die Namen. Wir sagen, dass es die kleine Schwester des Beta-Wolfs war, die gestorben ist.“
D-Das ging? Durfte es denn so einfach sein? Bisher hatte ich in meinem Bericht lediglich den Tod eines Wolfs erwähnt, doch hatte seitdem zu viel stress, um genauer darauf einzugehen. „Das... löst vielleicht momentan unser Problem, aber danach?“ Fürs Erste, würden wir Joleen verbergen, doch der Fluss der Wölfe würde nicht einfach so stoppen.
Adrian zog sich wieder zurück und raufte sich die ungleichen Haare. „Du machst mich fertig...“ Stöhnte er erschöpft.
Was habe ich nun schon wieder getan? „Wieso das denn?“
Er kicherte leise. „Du windest dich von einem Thema zum anderen... Und wenn ich denke, dass wir... In solchen Momenten wäre ich viel lieber mehr Wolf, als Mensch.“ Ich hatte lediglich Fragezeichen im Kopf. „Oh... Du meinst wegen dem Thema mit meiner Mutter?“
„Würdest du darüber mit mir sprechen wollen?“ Demonstrativ verschränkte ich meine Arme vor der Brust und wandte mein Gesicht ab. „Hör zu, Shirin. Wir werden auf jeden Fall einen Ausweg finden. Irgendwie... schaffen wir es schon, Joleen zu beschützen und deine Mutter den Frieden finden zu lassen, den sie braucht.“
Wie konnte er denn so etwas versprechen? „Weißt du was... Halt dich einfach aus meinen Familienproblemen raus. Halt dich generell einfach aus meinem Leben raus, sprich besser nur mehr, wenn es um die Arbeit geht, mit mir und... geh jetzt bitte aus meinem Zimmer. Mein... Kopf dreht sich, ich bin müde und brauche etwas Schlaf.“
Ich fühlte seinen zornigen Blick im Rücken. Wir hatten noch kein einziges Thema richtig abgehakt und das würde auch nicht so schnell passieren. Wenn ich müde war, wurde ich immer sentimental und Sentimentalität konnte ich mir nicht leisten... noch weniger in der Nähe eines Silvers den ich so gar nicht leiden konnte.
„Das werde ich nicht!“ Murrte Adrian und verließ mein Zimmer. Kopfschüttelnd zog ich mich aus und warf mich ins Bett. Das mich jedoch silberne Augen in meinen Träumen verfolgten, halfen nicht wirklich bei der Erholung.

- - - - -

 

Viel Schlaf erhielt ich nicht. Als eine laute Stimme mich aus meinen silbernen Träumen riss, in denen ich von Wölfen gehetzt wurde, musste ich für einen Moment lächeln. Ich drehte mich auf den Rücken und blickte staunend in blaue Augen, deren, in der Mitte sitzende Pupille, durch einen silbernen Ring, eine bestimmte Ausstrahlung erhielt. Meine Lippen verzogen sich erleichtert zu einem Lächeln, da ich in diesem Moment noch zwischen Traum und Realität stand. Adrian hatte mich gerettet. Die gruseligen, entstellten Wölfe mit ihren silbernen Augen und menschlichen Gesichtern, waren verschwunden und er hielt mich scheinbar im Arm, als würde er mich beschützen wollen. Ich streckte meine Hand aus und streichelte meinem Retter über die Wange.
„Adrian...“ Seufzte ich und erhielt dafür einen Blick, von dem ich mir nicht sicher war, ob ihm etwas peinlich war, oder beschämte, auf eine gute Art und Weise, die er mir noch ewig vorhalten würde.
„Shirin? Ist alles in Ordnung?“ Die besorgte Stimme meiner Mutter, riss mich aus diesem Halbtraum und die Wolfs-Menschen-Gesichter, verschwammen zu einer blassen Erinnerung, die mich noch für den Rest meines Lebens verfolgen würden.
Räuspernd kam ich hoch und blickte mich verwirrt um. „Ähm... Ja?“ Das war nicht wirklich eine Antwort, doch meine >Eltern< schienen erleichtert zu sein. „Was ist passiert?“
„Du hattest wohl einen Albtraum und hast geschrien.“
Fast hoffnungsvoll blickte Adrian mir in die Augen. „Ich hatte... Wir hatten schon Angst, dass dir jemand etwas antut.“ Als er seine Hand nach mir ausstreckte, drückte ich sie demonstrativ weg und kam auf die Beine.
Wieso lag ich am Boden? „Jetzt nicht mehr... Ich meine, es war nur ein Albtraum. Es geht schon wieder.“
„Willst du einen Tee, Schätzchen?“ Fragte meine Mutter und drückte mich sanft in eine ungewollte Umarmung.
„J-Ja, das wäre schön, Mama. Danke.“ Sie eilte die Treppe hinunter, vermutlich um Kamillentee aufzusetzen.
„Wovon hast du denn geträumt, Engelchen?“ Fragte >mein Vater< besorgt und strich mir einige wild abstehende Strähnen zurecht. Ich stand noch unter Panik, daher ließ ich diese Berührung über mich ergehen. „D-Da waren... Wölfe... So viele... Und sie haben mich durch den Wald gehetzt. Aber es waren keine richtigen Wölfe, sie hatten silberne Augen und ein menschliches Gesicht, aber auch das eines Wolfes. Sie sahen so... brutal und entstellt aus.“ Ein Schauder glitt über meinen Rücken, doch diesmal, weil Adrian mich am Unterarm berührte, während er seine Brille wieder an Ort und Stelle rückte.
„Könntest du ihr ein Glas Wasser hohlen, Onkel?“
Er nickte. „Selbstverständlich, ich komme gleich wieder. Pass auf sie auf, Adrian, ja?“
Ich starrte an die Stelle, durch die der Mann meiner Mutter verschwunden ist und wünschte ihn mir wieder herbei. Adrians Finger an meinem Ohr, als er mein Haar zurückstrich, ließ meinen Körper erstarren. „Denkst du, es war Intuition, oder bloß... ein Albtraum?“
Ich zuckte mit den Schultern und wich einige Schritte zur Seite. „Ich hatte noch nie einen intuitiven Traum. Vermutlich war es bloß ein Albtraum, durch die vergangenen zwei Wochen.“
Adrian schwieg einen Moment. Erst als er meinen Stiefvater die Treppe hochkommen hörte, ging er an mir vorbei und sprach laut genug, sodass ich ihn hören konnte. „Verzeih mir, dass ich dir so große Angst gemacht habe.“ Mit diesen Worten verschwand er aus dem Zimmer und mein Stiefvater blickte ihm verwirrt hinterher.
„Geht es dir besser?“
Eine einzelne Träne lief meine verschwitzte Wange hinab. „Bald.“ Versprach ich und nippte am Glas. Bald würde es mir wieder besser gehen. Wenn ich von hier fort bin, wenn ich weit weg von Adrian bin und wenn ich wieder meinem normalen Leben nachgehe. Von dem überzeugte ich mich, innerlich.

 

- - - - -

 

Gegen halb acht, rief Nate mich an. Er fragte mich, ob ich zu ihnen kommen würde. Adrian soll angeblich bereits seit Stunden mit seiner Schwester üben, jedoch was und seit wann, wusste ich nicht einmal. Wann er wohl abgehauen ist?
Ich selbst war in diesen Stunden ebenfalls aktiv gewesen. Ich hatte einen Flug gebucht. Natürlich erzählte ich das weder Nate noch sonst irgendjemanden, den ich traf. „Hi, Leute.“
Viktor saß, gedankenverloren, am Fenster und starrte in einen leeren Garten. Einen Ausdruck, der mir beinahe das Herz zerriss, war darin zu lesen. Rick saß neben Nate, mit verschränkten Armen, auf dem Sofa und Nate selbst, winkte mir halbherzig zu. „Feiert ihr eine Party, oder wieso seit ihr so gut Gelaut hier?“ Spottete ich und fing mir einen verärgerten Blick von Rick ein.
„Dein Kumpel ist dort oben, mit Joleen .Wenn er ihr etwas antut...“ Knurrte er wütend.
„Keine Sorge, er wird sie schon nicht anbaggern.“ Versuchte ich, Rick zu beruhigen, der sogar noch wütender wurde, über diesen Gedanken. Offenbar hatte er mit >antun< wirklich etwas anderes gemeint. Nun, ja wenigstens musste sich Rick keine Sorgen darum machen, dass Adrian sein Herz an die süße Joleen verlieren könnte, denn das hatte er bereits anderwertig verschenkt... An jemanden, der bloß darauf herumtrampelt... „Sie hat ohnehin bloß Augen für einen Typen.“ Sprach ich weiter, um Rick von der aufkommenden Idee abzubringen, Adrian an die Kehle zu fahren.
„Shirin!“ Beschwerte sich Nate und setzte sich für seine Schwester ein.
„Für wen?“ Knurrte der Alpha nun mich an. Als ginge es darum, dass dem armen Mädchen bereits irgendjemand weh getan hätte.
„Was ist das für eine Frage? Natürlich...“
„Shirin!“ Unterbrach Nate mich nun lautstark.
„Was? Du weißt auch davon? Sagt es mir!“ Rick sah aus, als würde er sich jeden Moment verwandeln.
„Weshalb brüllt ihr denn so?“ Susi kam aus der Küche, mit einem Haufen von belegten Broten und blickte verwirrt zwischen uns hin und her.
„Rick hat noch immer nicht begriffen, in wen Joey verliebt ist.“ Erklärte ich, als wäre es etwas Belangloses, wie das Wetter.
„Nicht? Wie blind bist du eigentlich?“ Fragte Susi ihren Alpha, der kurz vor einer Explosion stand.
„Währed ihr einmal so freundlich, mich einfach einzuweihen, anstatt über mich zu spotten?“ Verlangte er nun.
„Auf...“ Begann Susi, doch Nate schnellte vor und schlug ihr die Hand vor den Mund.
„Wage es nicht, Susi! Oder ich erzähle jedem von deinem Kleiderschrank.“
Sie knurrte beleidigt, doch deutete ihm, dass sie verstanden hätte und schwieg.
Ich stand offensichtlich immer noch auf der Leitung, ähnlich wie Rick. „Was ist denn so schlimm daran, wenn er es wüsste?“
„Das fragst du auch noch?“ Nate sah so aus, als würde er auch mir gleich den Mund verbieten wollen. „Meine Schwester ist dreizehn!“ Als ob ich das nicht wüsste. „Nur weil sie jetzt auf einen Typen steht, heißt das nicht, dass sich das nicht ändern wird, immerhin gibt es tausend bessere dort draußen.“
Rick knurrte noch lauter, sodass sogar Viktor aufsah. „Auf wen denn?“
„Das bezweifle ich. Sie himmelt ihn doch anscheinend bereits seit Jahren an. Außerdem sind sie füreinander geschaffen, das kannst du schlecht abstreiten.“
Nate schien strickt gegen diese Idee zu sein. „Dann gehe ich sie eben selbst fragen.“ Entschied Rick und trampelte bereits zur Treppe. Susi und Nate sprangen gleichzeitig auf ihn zu und klammerten sich an ihn, damit er nicht weiterkam. Kopfschüttelnd schnappte ich mir ein belegtes Brötchen und biss hinein.
Ich verstand nicht, wieso er es nicht wissen sollte, da er ganz offensichtlich auf dem Holzweg war, doch vielleicht hatte Nate recht. Weder ich, noch sonst jemand sollte sich da einmischen. Es ist eine Sache, die alleine zwischen Rick und Joleen zu klären war.
Wenn man vom >klären< sprach... „Was ist denn hier los?“
Zwei Beta-Wölfe kullerten zusammen mit einem Alpha auf dem Boden herum und alle drei kämpften darum, wer nun recht hätte, oder vielleicht kämpften sie auch einfach bloß noch, um etwas Dampf abzulassen, was wusste ich schon?
„Nur etwas Training.“ Erklärte ich zwischen zwei Happen.
Adrian, gefolgt von Joleen, umrundete die drei Wölfe und kam zum Tablett, mit den Brötchen darauf. Joleen selbst, blieb am Treppenabsatz stehen und musterte dir drei mit hochgezogenen Augenbrauen. „Seit wann vertragen sie sich denn?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Seit es darum geht, auf wen du stehst.“ Kicherte ich, woraufhin Joleen dunkelrot im Gesicht wurde und panischen zwischen mir und den Wölfen, hin und her sah.
„H-Hat es...“
„Nein, niemand hat etwas verraten, Joey.“ Schwor ich und klopfte neben mich auf die Bank, damit sich dort Adrian nicht hinsetzen konnte.
Erleichtert seufzte sie und kam meiner Aufforderung nach.
Erst jetzt schien Rick Joleen zu bemerken und trotte auf sie zu. Sofort warfen sich die beiden Beta wieder auf ihn und kniffen ihn spielerisch ins Fell, oder Ohr. Verzweifelt versuchte er, näher zu kommen, doch scheiterte, solange er sich nicht ernsthaft wehrte.
„Und, was habt ihr gemacht?“ Fragte ich Joleen neugierig.
Joleen stöhnte frustriert. „Ich habe versucht, mit meiner Wölfin zu sprechen, doch sie weigert sich stur.“
„Und was heißt das?“
„Joleen ist kein eigener Wolf, sie besitzt einen alten Geist einer Wölfin, die über Generationen weitergegeben wurde. Solange Joleen sich nicht unterwirft, wird die Wölfin auch keine richtige Verbindung zu ihr eingehen.“ Erklärte Adrian, was mich nur noch mehr verwirrte.
„Okay, versuch du es Joleen. Was habt ihr gemacht?“
Joleen lachte erheitert. „Ich versuche, mich mit meiner Wölfin anzufreunden. Aber sie ist alt... sehr, sehr alt. Und sie mag mich nicht sonderlich.“
Gut! Das verstand ich schon viel eher, was Adrian seinerseits, die Augen verdrehen ließ. „Musst du dich denn mit ihr anfreunden?“
Die Jungwölfin nickte. „Natürlich. Ansonsten lebe ich den Rest meines Lebens mit einer unkontrollierbaren, gespaltenen Persönlichk...“ Überrascht zuckte Joleen zusammen, als Rick sie mit der Schnauze anstieß. Verunsichert ließ sie ihre Hand über seinen Kopf wandern. Winselnd legte er sein Haupt auf ihrem Schoß ab und blickte tröstend zu ihr hoch. „Danke, Rick.“
Für einen Moment betrachtete ich den stummen Austausch, zwischen den beiden, doch wandte mich dann ab, um ihnen Zeit für sich zu geben. Nate ließ sich neben mir, auf die Bank sinken und seufzte erschöpft.
Susi nahm, unfreiwillig, neben Adrian platz, doch rückte so weit ab, wie sie konnte. „Hat eure Meditation nun eigentlich etwas gebracht?“
Joleen schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe keinerlei Fortschritte gemacht. Ich denke... Sie vertraut mir einfach nicht. Aus ihren Erinnerungen weiß ich, mit welchen Persönlichkeiten sie gekämpft hat und... um ehrlich zu sein, denke ich, dass ich ihren Anforderungen nicht gerecht werden kann.“
Ein kühler Windzug kam auf und wehte die Zeitung vom Tisch, während Rick sich wieder in einen Menschen verwandelte. Auf knien blickte er zu Joleen hoch und umfasste mit Zeigefinger und Daumen ihr Kinn, damit sie ihren Blick nicht abwenden konnte. „Von wegen ihren Anforderungen! So eine alte Wölfin braucht keine Anforderungen zu stellen. Sie sollte froh sein von so einer jungen, starken Wölfin, wie dir akzeptiert zu werden. Lass dir von ihr nicht einreden, dass du nicht gut genug für sie bist!“
Joleens Gesichtsausdruck wechselte von einem Moment, auf den anderen, von verlegen, zu wütend. „Wie kannst du es wagen? Gerade du, als lächerlich, junger Anführer eines Haufens von Halbwüchsigen! Du hast keine Ahnung von der Welt, oder was es bedeutet, ein richtiger Alpha zu sein!“
Knurrend starrten sich die beiden Wölfe an.
„Ich nehme an, das ist nicht mehr Joleen?“ Erkundigte sich Adrian und lehnte sich zu Susi hinüber, welche automatisch weiter abrückte.
„Nein. Ihre Wölfin.
„Warte nur, bis sie noch wütender wird.“ Flüsterte Nate. „Dann zwingt sie ihn wieder, sich zu verwandeln.“
Rick gab sich gar nicht erst die Mühe, so zu tun, als würde er die drei nicht hören. „Pah! Als ob diese Großmutter-Wölfin dies jemals schaffen würde!“
„Ich bin eine Göttin! Du, winziger, schwacher Wolf, hast keine Ahnung, mit welchen Mächten du dich da anlegst! Zügle besser dein Mundwerk, oder ich werde sie zu deinen letzten Worten machen!“
Höhnisch lachte Rick. „Und Joleen deiner >gütigen< Führung überlassen? Niemals! Vorher werde ich dir in deinen schneeweißen Arsch treten!“
Okay, langsam reichte es mir. „Rick! Reiß dich zusammen, dass ist Joleens Körper! Und wenn dir dein Leben etwas Wert ist, wirst du ihr nicht einmal ein Haar krümmen!“
Knurrend zog sich Rick ein Stückchen zurück. „Gib uns Joleen wieder, alte Hexe!“
Mit einem letzten, tödlichen Blick, schnaufte die weiße Wölfin. „Aber bloß, weil ich mir ihre Heulerei nicht mehr anhören möchte. Behaltet euch euren Schwächling. Ich warte einfach auf eine würdigere Nachfolgerin. Eine starke Anführerin.“
Unerwartet begann Joleen zu weinen. Nate sprang sofort an ihre Seite, um sie zu trösten, während Rick plötzlich nicht mehr wusste, was er tun sollte. „Joleen... Ist alles in Ordnung mit...“
Er streckte seine Finger nach ihr aus, doch Joleen schlug sie einfach weg. „Du bist nicht besser als sie! Wegen dir ist sie nun noch wütender auf mich! Danke! Jetzt werde ich dank dir niemals eine richtige Wölfin!“ Stürmisch lief sie hinauf in ihr Zimmer und knallte dort die Türe lautstark zu. Als Rick ihr hinterhergehen zu wollen schien, hielt Nate ihn zurück. „Lass ihr Zeit. Ich gehe zu ihr.“
Ich fand jedoch, dass keiner der beiden hinauf gehen sollte. „Lass es, ich gehe schon. Pass besser auf deinen großmäuligen Chef auf.“
Nate knurrte mir hinterher. „Er ist niemals mein Chef!“
Mir egal, jedoch wie es Joleen ging, war mir keinesfalls egal. Lautlos tapste ich die teppichbelegte Treppe hoch und klopfte sanft an ihre Türe. „Joleen? Ich bin es. Darf ich hinein?“
„Willst du sie auch noch wütend machen?“
„Ich will nicht einmal mit ihr sprechen. Diejenige um die ich mir sorgen mache, bist alleine du.“
Als Joleen nichts mehr sagte, probierte ich, die Türe zu öffnen und schloss sie genauso leise wieder hinter mir. Joleen lag in ihrem kindischen Himmelbett und starrte betrübt an die Decke. Da ich nicht wirklich wusste, wie ich mit ihr sprechen sollte, legte ich mich einfach neben sie ins Bett und betrachtete die hübsche Malerei an der Decke. Schmunzelnd musste ich daran denken, wie ich ausgebildet wurde und wie dämlich ich mich anfänglich angestellt hatte. Schon in der ersten Woche habe ich jemanden mit einem Hammer die Zehe gebrochen, da er mir aus der Hand gefallen ist und meiner ehemaligen besten Freundin, fehlte die Fingerkuppe... dank einer Kartoffel. „Pubertät ist scheiße, nicht wahr.“
Plötzlich lachte Joleen und blickte mich verblüfft an. „Dasselbe dachte ich eben auch gerade eben.“
Für einen Moment starrten wir uns einfach kichernd an und waren... bloß Freundinnen. Seltsam, wie eine Neunzehnjährige und eine Dreizehnjährige sich so gut verstehen konnten, trotz des Altersunterschieds.
Joleen kuschelte ihren Kopf an meine Schulter und trocknete ihre Tränen, mit ihrem Handrücken. „Weißt du... Für einen Moment dachte ich wirklich, ich würde Rick näher sein, als bisher.“
„Bist du doch auch, oder? Näher als irgendjemand anders.“ Stellte ich überrascht fest.
„Nein... Nicht auf dieselbe Art, wie ich es mir wünsche. Ich bin...“
Fragend schielte ich zu ihr, als sie nicht weitersprach.
„Bloß ein kleines Kind, von dem er denkt, er müsse es beschützen. Ich will aber nicht von ihm beschützt werden, sondern so akzeptiert, wie ich bin.“
Ich streckte meine Hand nach ihrer Wange aus und streichelte sie liebevoll. „Ist es nicht besser, wenn er dich jetzt lieber beschützt?“
Fragend blickte sie mich an.
„Joleen... du bist erst dreizehn und Rick ist neunzehn. Selbst wenn ihr euch eure Gefühle gestehen würdet... gesetzlich wäre eine Beziehung zwischen euch nicht vertretbar. Rick würde sich auf viele Arten schuldig machen und dir auch die Chance nehmen, dich selbst zu erfinden, dich zu erkunden und selbst herauszufinden, wer oder was du einmal sein möchtest.“
Überrascht lächelte Joleen mich nun an. „Du klingst wie ein altes Mütterchen.“
Lachend stieß ich sie mit dem Arm sanft hinein. „Jetzt werd mal nicht frech, junges Fräulein.“ Lachend verzog sie das Gesicht, bevor sie ihren Kopf an meinen schmiegte.
„Ich gebe nur ungern zu, dass du recht hast, doch selbst wenn er mir persönlich sagen sollte, er will erst etwas mit mir anfangen, wenn ich achtzehn bin und bis dahin soll ich mir so viele Jungs suchen, wie ich will...“
„Was er niemals machen würde.“ Erinnerte ich sie scherzend. So eifersüchtig wie Rick ist, würde er bestimmt jeden den Hals dafür umdrehen.
„Stimmt. Trotzdem würde ich keinen anderen Jungen jemals in meinem Leben akzeptieren, außer Nate natürlich.“
Ich drückte ihre Hand. „Ja, Nate ist toll. Er ist ein fürsorglicher Bruder und ein aufrichtiger Kerl.“
Joleen drehte sich zur Seite, sodass sie nun mein Profil im Blick hatte. „Wieso dann nicht Nate für dich? Ich hätte dich zu gerne als Schwester in meiner Familie.“
Tief seufzend rang ich um eine Antwort. „Joey, ich bin eine Wolfssucherin. Meine Aufgabe ist es, euch aufzuspüren, jeden einzelnen des Rudels und seinen Stand ausfindig zu machen und zum Schluss den Jägern Entwarnung, oder ein Zeichen geben. Das Letzte was ich mir erlauben dürfte, wäre einem Wolf nachzugeben, denn dann würde mich keiner von euch jemals wiedersehen können. Man würde meine jetztige Existenz... umändern.“
„Adrian ist aber kein Wolf.“ Grinste das kleine gehässigste Wesen, das mir jemals über den Weg gelaufen ist.

 

- - - - -

 

Nein... Adrian ist kein Wolf mehr, das hatte er selbst beschlossen, vor einigen Jahren. Trotzdem änderte es nichts daran, dass mich jedes Mal ein Schauder überlief, wenn ich bloß daran dachte, dass er ebenfalls einmal ein zweites Gesicht gehabt hatte, dass er ebenfalls zum Mond, mit seinem Rudel geheult hat und nun unter der fürchterlichen Qual lebte, sich selbst etwas beraubt zu haben. Ein Teil seiner Seele weggegeben zu haben.
Andererseits, war auch ich nicht unbedingt ein Kind von Traurigkeit. Ich bin meiner Mutter eiskalt in den Rücken gefallen, habe ihr das beraubt, von dem ich damals noch überhaupt nichts verstanden hatte und nun Maße ich mich an, einen Silver zu verurteilen, bloß weil er... menschlich sein möchte? Zudem er auch noch gegen jegliche Logik versuchte, mir den Gefallen zu tun und die Gesellschaft, für die wir beide Arbeiten zu hintergehen.
Nachdem ich meine Koffer fertig gepackt hatte, verließ ich mein Zimmer und schloss die Türe hinter mir. Mehr unsicher was ich an meinem letzten Abend hier tun sollte, als verplant, blickte ich den Gang auf und ab. Aus dem Badezimmer vernahm ich Geräusche, daher wusste ich, dass sich Adrian gerade darin befand. Meine Eltern hatten ihr eigenes, unten im Erdgeschoss. Bestimmt saßen sie gerade gemeinsam um den Tisch und spielten ein Kartenspiel, oder waren spazieren.
Ich jedoch, wurde von Unruhe und dem nagenden Wissen geplagt, hier einige gebrochene Herzen zurückzulassen. Ich als Sucher konnte hier nichts mehr ausrichten. Weder bei der kleinen Joleen, noch weniger im Kampf mit der weisen Wölfin.
Deutlich vernahm ich das Geräusch der sich öffnenden Badezimmertüre. Adrian, gehüllt in einen dicken warmen Bademantel, trat heraus und blickte mich forschend an, bevor er das Lich ausschaltete. „Wann geht dein Flieger?“
Etwas überrascht, dass er davon wusste, antwortete ich ihm wahrheitsgemäß. „Morgen früh gegen sechs Uhr.“
„Wirst du ihn nehmen?“
Mein Blick glitt Adrian fort, auf den Boden. Natürlich würde ich ihn nehmen. Egal wie schwer diese Entscheidung auf meinem Gewissen lastet, egal wie heftig mein Herz dabei schmerzte und egal wie lange es dauern würde über diese völlig fehlgeleiteten Gefühle hinwegzukommen. „Ich bin eine Sucherin. Ich bekomme meine Aufgabe, führe sie aus, berichte. Danach folge ich meiner nächsten Aufgabe.“ Das ist es, was ich tue. „Sie sind nicht meine Freunde, bloß Mittel zum Zwecke.“ Wiederholte ich mit einer langsam brechenden Stimme die Sätze, welche sich in meiner Kindheit eingebrannt hatten. „Sie sind mein Feind, der nicht ausgelöscht werden kann, jedoch kontrolliert und ordnungsmäßig ausgegrenzt. „Wölfe können für Menschen wie mich zu einer großen Bedrohung werden. Sie geben vor menschlich zu sein, besitzen jedoch ein leicht reizbares Biest in sich. Ein Verrat an meinem Prinzipien, ist ein Verrat an der Menschheit und wird ausnahmslos bestr...“
„Shirin...“ Ich hatte sein Näherkommen auf mein Plappern hin, überhaupt nicht bemerkt. Plötzlich stand Adrian einfach vor mir, legte seine Finger unter mein Kinn und zwang mich, ihm in seine verfluchten, silbernen Augen zu sehen. „Es ist weder Verrat an dir, noch an der Menschheit, wenn du Gefühle hast.“
Gefühle, schön und gut. Aber nicht solch Falschen. „Nein! Es ist nicht richtig, Adrian. Ich darf und kann sie mir nicht leisten. Sie machen mich schwach und vorhersehbar.“
Mit einem tiefen Seufzen, ließ er mein Kinn los und lehnte sich neben mich an die zugemachte Zimmertüre. „Weißt du, was mich an dir so beeindruckt?“
Fragend blickte ich ihm in die Augen und prägte mir dabei ganz genau, ein jedes Detail ein. Nach diesem Auftrag... wollte ich ihn niemals wiedersehen. „Wenn du jetzt einen dummen Scherz über meinen geilen Hintern machst, trete ich dich dafür aus dem ersten Stock.“
Schmunzelnd strich er meine Haarsträhne hinters Ohr. „Den finde ich auch ganz toll, aber eigentlich meinte ich deine Loyalität.“
Meine Loyalität? „Dir muss irgendetwas entgangen sein, denn bisher hat meine Loyalität zu wünschen übrig gelassen.“ Belehrte ich ihn.
„Das sehe ich nicht so.“ Widersprach Adrian mit einem frechen Lächeln. „Du hast deine Mutter gemeldet, nachdem sie zu weit gegangen ist. Trotzdem lebst du jetzt immer noch bei ihr, obwohl bereis selbständig bist. Die Wölfe hättest du ebenfalls längst verraten können. Jedoch sind sie dir ans Herz gewachsen und du tust alles, um Joleen zu verstecken.“ Ich bemerkte kaum, wie nahe Adrian mir bereits war, so nahe, dass ich sogar bereits seine Finger an meinen fühlen konnte, wie sie nach mir tasteten, um sich mit ihnen zu verbinden. „Und über mich hättest du ebenfalls bereits berichten können. Chancen gibt es ja genug. Aber du tust es nicht.“
Endlich fand seine Hand meine und er zog mich sanft an sich. „Vielleicht werde ich das noch, sobald ich in diesem Flieger sitze.“ Drohte ich bissig.
Adrian lächelte stolz. „Ich würde es dir nicht einmal übel nehmen, Shirin.“ Gestand er, während seine Arme langsam um meinen Körper schlang.
„Wieso glaubst du mir das nicht? Ich habe auch meine Mutter hintergangen und habe vor die Wölfe zu verlassen, die mich bereits ins Herz geschlossen haben.“
Mittlerweile fühlte ich seine Hand in meinem Nacken und wusste, ich sollte mich längst zurückziehen, ihm für seine unpässliche Nähe eine verpassen und mich einfach bis morgen früh in meinem Zimmer einsperren, dann wäre nämlich alles endlich vorbei.
„Egal was du tust... selbst, wenn du dich entschließt sämtliche Wölfe auf dieser Insel von Jägern wie mir abschlachten zu lassen, könnte dies nichts an meinen Gefühlen rütteln. Dafür bist du mir einfach zu wichtig.“
Sein aufrichtiges Geständnis, überraschte mich so sehr, dass ich glatt zu Atmen vergaß. Adrian... liebt mich wirklich so sehr? Obwohl er bereits alles über mich weis? Immerhin... würde ich morgen früh nicht bloß die Wölfe, sondern auch ihn zurücklassen. Ich wollte ihn niemals wiedersehen! „Du bist doch krank...“ Flüsterte ich, nicht mehr Herr meiner Gefühle. „Du kannst niemanden Lieben, der so ist wie ich. Ich werde auch dir in den Rücken fallen... irgendwann einmal, ich werde morgen früh gehen und versuchen dich aus meinen Erinnerungen löschen, dich hassen für das... was du mir gerade antust!“
Sein Lächeln verblasste und wurde zu einem Versprechen, welches sich niemals ändern würde lassen. „Mir ist es egal, ob du morgen früh gehst, mich verachtest und mir nichts weiter als Abscheu entgegen bringst, Shirin. Ich werde mich weiterhin, jede Sekunde meines Lebens nach diesen verfluchten Küssen sehenen. Nach deinem spöttischen Lächeln, deinem scheinbar unschuldigen Augenaufschlag und natürlich nach deinem störrischen Mundwerk.“
Auf diese Beleidigungen hin, musste ich doch glatt noch lachen. Mein Herz sang aus Freude und die Schmetterlinge in meinem Bauch ließen mich abheben... oder Moment! Waren dies nicht meine eigenen Füße, welche mich anhoben? Trotzdem fühlte es sich an, als würde ich gerade eben schweben. Direkt auf diese... vollen... herrlichen... Lippen zu, welche mir bereitwillig entgegenkamen, mir schworen mich mehr zu lieben, als jeden anderen auf dieser Welt.
Aber... ich bin keine Frau zum Heiraten... „Ich bin aber nichts, dass man auf ewig für sich einnehmen kann.“
Sanft stieß Adrians Nase gegen meine. „Auf ewig habe ich ohnehin nicht vor zu existieren. Mir reicht völlig ein ganzes Leben mit dir...“
Es war, als würde irgendetwas meinen Schalter umlegen. Plötzlich war alles fort, aus meinem Kopf radiert, als wäre es ohnehin ohne Bedeutung. Jeder Grund zu gehen, vergessen. Jedes, jahrelang eingeprägte Gesetz, unwichtig geworden. Jede Strafe... als erträglich angesehen.
Mit einem Mal wollte ich bloß noch das, was fürchterlich schlecht für mich wäre, den Familienruf, welchen ich so mühsam wieder aufgebaut hatte, erschien mir fast gleichgültig. Ich wollte bloß... „Adrian...“
Noch war ich mir nicht sicher, ob diese Gefühle bereits die gesamte Zeit in mir gewesen waren. Natürlich, hatte ich ihn als sexy, klug und witzig angesehen, zumindest für einen Jäger. Aber innerlich, trug er einen verletzten Kern, ähnlich wie ich, der bloß darauf wartete, von der richtigen Person getröstet und geheilt zu werden. Und Adrian war für mich diese eine Person. Dieser besondere Mensch, der wusste, wie er mich zu handhaben hatte, auch wenn es mir vollkommen verschwendet für ihn vorkam.
Wie konnte er bloß so viel für mich empfinden? So viel für mich opfern wollen, obwohl wir uns überhaupt nicht kannten? Die paar... was waren es? Tage? Und schon fühlte es sich an, als hätte Adrian schon immer zu mir gehört, sei ein lebensnotwendiger Teil von mir, den ich bisher versucht hatte zu ignorieren. Ob es sich für Joleen so anfühlte? Und für Rick? Diese Sehnsucht, etwas direkt vor der Nase zu haben, für das mein sein gesamtes Leben lassen würde und doch... ist es unerreichbar.
Panisch geworden, bei diesen Gedanken, schob ich Adrian von meinem empfindlichen Hals fort. Keuchend und voller Leidenschaft in den Augen, blickte er meinen Körper hinab, seine eine Hand unter meinem Shirt an meiner Brust und seine zweite an meinem Hintern, mich an sich pressen. Den Morgenmantel fand ich auf dem Boden liegend wieder, wodurch Adrian fast völlig in seiner Pracht vor mir stand. Das einzige, was nicht wirklich viel verbarg, aber er trotzdem noch trug, war seine Unterhose, von welcher ich einen Moment lang nicht mehr meinen Blick abwenden wollte. Jedoch als meine Hände langsam über seinen herrlichen Bauch hochstrichen, über seinen sich hektisch bewegenden Brustkorb hinweg, bis zu seinen Schultern, folgte ich ihnen sehnsüchtig.
Nein... Adrian ist nicht vollkommen unerreichbar für mich. Das Einzige was ich tun musste... war nachzugeben. Ein Akt der Laune, welchen ich niemals gelernt hatte. „I-Ist das möglich?“ Fragte ich ebenso außer Atem, wie er. „Wir sind... Wir sind Jäger und Sucher. So etwas... finden wir nicht. So eine Bindung existiert bloß bei...“
„Werwölfen, ja.“ Gab Adrian zu, welcher zwar meinen Gedanken nicht gefolgt sein konnte, doch offensichtlich verstand, was mir eben erst schockierend bewusst wurde.
„Aber ich war einer, Shirin. Ich wurde als einer von ihnen geboren und bin, wenn auch bloß für eine recht kurze Zeit, mit ihnen gelaufen. Also, ja. Es ist für mich möglich, jedoch ungewöhnlich für einen Sucher.“
Aber das... bedeutete ja dann, dass jeder der einen dieser Wölfe liebt... ebenfalls ein solches Band erhalten hatte. „M-Meine Mutter... Habe ich...“
Adrian umfasste mein Gesicht. „Sch! Sch! Nicht... Denk das nicht! Du kannst dir deshalb unmöglich sicher sein. Vielleicht... war es eine Art der Liebe, eine aufrichtige ja vielleicht. Aber so ein Band, das was du gerade fühlst dass... Es kommt so selten vor und besonders nicht in einer bestimmten Erbfolge. Es ist... Es ist ein Geschenk, Shirin. Eines, das ich niemals eintauschen würde! Niemals...“
Erleichtert lehnte ich mich gegen Adrian und stahl ihm noch einen weiteren Kuss. „Ich auch nicht...“ Gab ich bloß leise zu, doch er hörte es trotzdem.
„Schon gut... wir bekommen das hin. Versprochen.“ Sanft wiegte Adrian mich in seinen Armen, während ich mich an seine Schulter kuschelte und genüsslich seinen Geruch einnahm.
Was wusste ich schon von einer solchen Verbindung? Ich wusste zumindest, dass man niemals nur einen Gefährten töten durfte, denn der zweite würde verrückt werden und den Täter bis ans Ende der Welt jagen und dabei eine ganze Leichenspur hinterlassen. Sie ist intensiv und unmöglich abzustreiten, unausweichlich. Wie eine Welle kann eine solch besondere Bindung ganz plötzlich in deine Welt fallen, dich für sich einnehmen, ohne überhaupt etwas dafür tun zu müssen, und du weist einfach... er oder sie ist der oder die Richtige.
Zudem, ist es bloß den Wölfen vorbehalten. Nur unter ihnen, diejenigen welche noch einen wahrhaftigen Bezug zur Natur hatten und das zweite Gesicht besaßen, ist eine solche Bindung möglich. Jäger und Sucher hatten sich dieses Geschenk verwehrt, indem sie ihr zweites Gesicht vor Generationen abgelegt hatten.
„Wie lange weißt du es schon?“
Adrian gluckste belustigt. „Ich könnte jetzt sagen, du hast mich bereits bei unserem ersten Treffen beeindruckt, oder ich wusste, dass da etwas ist, seit wir uns das erste Mal berührt haben. Aber ganz sicher, bin ich mir erst, seit wir uns geküsst haben. Da wurde mir schlagartig klar, was ich gefunden hatte, obwohl ich doch mein Anrecht darauf freiwillig abgelegt habe.“
Sanft hauchte ich ihm einen Kuss auf die Schulter. „Ich habe aber trotzdem vor, morgen früh zu gehen. Egal was uns verbindet.“
Adrians Hand wanderte wieder tiefer, bis zu meinem Po und umfasste ihn besitzergreifend. „Und ich habe vor dir überall hin zu folgen.“
„Wie mein braves Hündchen?“ Fragte ich neckend.
„Nein... wie ein Jäger.“
Ich lachte bitter an seiner Schulter und umfasste ihn fester. Adrian... mein Gefährte... Wie konnte so etwas bloß möglich sein?
„Solltest du dich trotz all deiner Überzeugungen doch entschließen hierzubleiben, kannst du dir meiner Unterstützung sicher sein, Shirin. Das weist du doch, oder?“
Ich nickte schwach. „Scheint so, als würde ich dich nicht so leicht loswerden können.“

Tag... der Zukunft

Lektion 10: Scheiß auf die Regeln! In bestimmten Situationen ist es besser auf seine eigenen Instinkte zu hören, denn sie deuten dir den richtigen Weg.

 

 

Fünf Uhr, zeigte die Anzeige auf dem Nachtkasten an.

Mein Wecker klingelte eindringlich und ich starrte ihn, wie bereits die letzten zehn Minuten, weiterhin bloß an. Laut schallte sein Ton durch mein Zimmer, ließ mich bei jeder Wiederholung dieses nervigen Tons, zusammenzucken und machte mir damit eindeutig klar, was von mir erwartet wurde.
Nur noch eine Stunde, dann ging mein Flieger. Eigentlich eine Stunde und fünfzehn Minuten. Jedoch diese fünfzehn Minuten zählte ich nicht, denn diese benötigte ich zu dem kleinen Flughafen, von welchem ich starten würde.
Bloß am Rande nahm ich wahr, wie leise meine Türe geöffnet wurde. Mit beinahe lautlosen Schritten kam er zum Rand meines Bettes, streckte seine Hand aus und drückte den Ausschaltknopf, da mein Wecker bereits zum wiederholten Male diesen nervigen Ton ausstieß.
„Du musst los, Shirin.“ Erinnerte er mich, als hätte mir das mein blöder Wecker nicht bereits mehrfach klargemacht. Oder meine Gedanken, wiederholt und rastlos in dieser Nacht.
„Ich weis das. Mein Kopf weis das... aber er will es meinen Beinen nicht sagen.“ Beklagte ich mich.
„Soll ich dir aufhelfen? Oder mit dir warten?“
Ich musste los. Wenn ich jetzt nicht losfahre, dann würde ich meinen Flug verpassen, oder musste mich zumindest sehr beeilen, um ihn noch zu erwischen.
Mit einem tiefen Seufzer, den ich überhaupt nicht deuten wollte, kletterte Adrian über mich hinüber, schob die Decke zur Seite und kuschelte sich an meinen Rücken, da ich keine Anstalt machte, mich zu bewegen. Liebevoll schlang er seine Arme um mich und küsste meine Schulter.
„Wieso hast du nicht gesagt, dass du nicht willst, dass ich gehe?“ Fragte ich, nachdem er gemütlich hinter mir lag und dabei zärtlich meine Hand streichelte.
„Das Dümmste, was ich tun könnte, Schirin, währe dich zu etwas zu zwingen. Das werde ich niemals tun und erhoffe mir von dir ein ebenso großes Vertrauen. Immerhin sind wir Jäger und Sucher. Wir werden von Zeit zur Zeit getrennte Wege gehen müssen. Ich werde auf der einen Seite der Welt gebraucht, du hast auf der anderen deine Aufgabe zu erledigen. So läuft es nun einmal bei uns. Aber dafür wird es immer umso schöner sein, dich wiederzusehen. Dich im Arm zu halten, so wie jetzt.“ Dieses Mal, seufzte Adrian glücklich und atmete tief meinen Geruch ein.
Geborgen in seinen Armen schloss ich meine Augen, vor der Zeitanzeige und meiner Pflicht, von der sich mein Körper weigerte sie zu erfüllen. „Wenn ich also nun vorhätte... etwas Verbotenes zu tun, würdest du mich unterstützen?“
„Das sollte überhaupt keine Frage sein, mein Schatz.“
Mein Herz machte einen überraschenden Sprung, bei diesem Kosewort und ein Lächeln stahl sich über meine Lippen. „Du wirst mich hassen, wenn ich dir meinen Plan verrate.“
Adrian drängte sich noch näher an meinen Körper, sodass nichts und niemand mehr zwischen uns passte. Perfekt lag dabei mein Rücken an seinem Brustkorb an und unsere Füße umschlangen einander, als würden sie schon immer zusammengehören. „Ich bin mir sicher, dir fallen genug Möglichkeiten ein, um das wiedergutzumachen, egal was es sein wird.“
Lachend vergrub ich mein Gesicht im Kopfpolster.

- - - - -

 

„I-Ich soll... Ich meine, sie soll was?“ Erschrocken blickte Joleen zwischen Adrian und mir hin und her, so als würde sie bloß darauf warten, dass einer von uns beiden zum Lachen begann.
„Bitte, Joey. Ich will bloß... etwas wiedergutmachen.“
Ihr Gesicht verzog sich voller Mitgefühl und ihr Bruder Nate strich ihr tröstend über die Schulter. „Joleen kommt ja noch nicht einmal mit ihrer Wölfin aus. Wieso denkt ihr, dass sie euch dabei helfen würde?“
„Weil sie zu ihrem Rudel gehören. Es sind tausende, von Wölfe auf dem Weg hierher. Die einen, um sich ihrem Rudel anzuschließen, andere... eher feindlich gesonnene, welche sie für sich beanspruchen wollen.“
„Die werde ich eigenhändig auslöschen!“ Knurrte Rick, welcher hinter Joleen bisher am Sofarand gelehnt hatte und dem Gespräch als stiller Beobachter verfolgte.
„Wirst du das, Rick?“ Mischte sich nun Adrian ein. „Denkst du wirklich, dass du Joleen mit gebrochenen Knochen gegen jede einzelne Welle von hinterhältigen Eroberern verteidigen kannst?“ Rick knurrte mahnend. „Es wird dich nicht bloß einer nach dem anderen herausfordern, oder auf dich Rücksicht nehmen. Sie werden deine Schwächen ausnutzen. Jede Einzelne davon!“
Ricks knurren brach ab und er blickte beleidigt in die Küche, in welcher sich niemand befand. „Und was schlagt ihr vor, dass ich tun kann für Joleen?“
Joleen wurde schlagartig rot und rieb verlegen ihre Hände ineinander. Mit einem mitfühlenden Lächeln, bedachte ich sie und wünschte ihr genug Stärke, um ihre intensiven Gefühle noch die letzten paar Jahre zu ertragen. „Ich denke, dass eine Sucherin und ein Jäger, gemeinsam am besten dazu geeignet sind, um eine Wölfin auf den richtigen Weg zu führen.“ Entschied ich streng.
Adrian tastete unter dem Tisch nach meiner Hand und umschloss sie mit seiner eigenen. „Zudem wendet sich die Wolfsgöttin bloß von Joleen ab, da sie sie für verängstigt und schwach hält. Shirin und ich sind da völlig anderer Meinung.“ Neugierig blickte Joleen zu uns auf. „Wärst du nicht stark, würdest du nicht einmal ein solches Geschenk in dir tragen.“ Versicherte Adrian ihr, woraufhin sie dankbar lächelte.
„Rick, ich habe etwas, das du derweilen für mich erledigen könntest.“ Aus meiner Hosentasche zog ich einen gefalteten Zettel. „Das sind einige Kräuter und da du hier ansässig bist, dachte ich, du könntest sie für mich besorgen, während wir das mit Joleen erledigen.“
Rick drückte Nate den Zettel in die Hand. „Vergiss es! Ich bleibe bei Joleen und Nate besorgt die Sachen.“
„Joleen ist aber meine Schwester!“ Protestierte dieser unwillig sich Befehle erteilen zu lassen. „Geh du einkaufen und ich passe auf meine Schwester auf, wie es sich gehört!“ Rick weigerte sich strickt dagegen, die Liste wieder entgegenzunehmen.
Seufzend nahm ich die Sache in die Hand. „Na gut, dann wirst du aber auch dabei sein müssen, wenn Joleen sich später ausziehen.“
Plötzlich wurde es ganz still. Joleen, ohnehin bereits erschreckend rot im Gesicht wirkte, als würde sie jeden Moment das Bewusstsein verlieren. Nate starrte mich derweilen mit offenen Mund an und Rick erstarrte zur Salzsäule.
Adrian schien mich etwas Fragen zu wollen, doch hielt sich noch zurück, solange es dermaßen still war.
Einen langen Moment später, entriss Rick Nate die Liste und ging, ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren. Erst in der Spiegelung der Türe erkannte man, wie rot er geworden war und ich begann heiter zu lachen, sobald sie sich hinter ihm schloss.
„W-Wieso muss ich denn nackt sein?“ Fragte Joleen sichtlich überfordert.
Adrian schmunzelte neben mir und schüttelte erheitert den Kopf. „Shirin wollte bloß Rick loswerden. Keine Sorge du kannst deine Kleidung ruhig anlassen.“
Nun kicherte auch Joey und Nate wirkte belustigt selbstzufrieden. „Den Trick merke ich mir für später einmal.“ Nahm er sich halb scherzend vor.
„Gott! Ich dachte nicht, dass das funktionieren würde.“ Lachte ich lauthals, mit Tränen in den Augen.
„Du weist schon, dass das auch schlimm für mich hätte ausgehen können, wenn er logisch nachgedacht hätte.“ Erinnerte Adrian mich.
Stimmt, daran hatte ich nicht gedacht. „Ich glaube Rick hatte in diesem Moment etwas besseres zu tun, als an andere Jungs im Raum zu denken.“
Joleen blickte betreten zu Boden. „Wie ist eigentlich die Verbindung?“
Verwirrt stoppte ich meinen Lachanfall und musterte Joleen für einen langen Moment, da ich nicht verstand, was sie meinte.
„Sieh mich nicht so an.“ Kicherte sie. „Gestern hast du Adrian noch verflucht und gesagt, dass selbst wenn er der letzte Typ auf Erden wäre, keine Chance bei dir hätte. Vorher würdest du eher in einen Vulkan springen, wenn ich mich richtig erinnere.“
Ich wurde leicht rot. Ja... so etwas Ähnliches hatte ich vor meinem Abgang wohl erwähnt.
„Ach so?“ Fragte Adrian, ließ meine Hand los und legte stattdessen seinen Arm um mich. „Das hast du also gesagt?“
Verlegen lächelte ich ihn an. „Tja... das hat man davon, wenn man mich verärgert.“
Nun lachte auch er und hauchte mir einen Kuss auf die Schläfe. „Es war recht spontan, Joleen. Fall das deine Frage beantworten sollte.“
Joleen dachte noch nicht einmal daran, ihre Fragen hier bereits aufzugeben, und stützte sich mit ihren Ellenbogen auf den Schenkeln ab. „Was hat sich denn so >spontan< geändert?“
Mist... wie ich so etwas hasse! „Das wirst du in frühestens drei bis vier Jahren herausfinden.“ Beendete nun ich dieses nervige Gespräch und kam zum Wesentlichen. „Adrian...“ Forderte ich den Jäger auf.
Er stand auf und deutete Joleen sich gemeinsam mit ihm auf den Boden zu setzen. „Wir machen jetzt dasselbe, wie gestern, ja. Schließ einfach deine Augen und konzentriere dich auf deine innere Wölfin.“
Es dauerte keine Minute, da verzog Joleen auch bereits das Gesicht und eine einzelne Träne lief ihre Wange hinab. „Joey?“ Fragte ich besorgt, da es mir selbst schmerzen bereitete, das arme Mädchen, an welche mir bereits so viel lag, auf diese Weise leiden zu sehen.
„Halt den Mund, Abschaum!“ Kam es plötzlich von Joleen, doch sie öffnete ihre Augen nicht. Stattdessen knurrte sie abweisend. „Ich habe euren Plan gehört und ich spiele da bestimmt nicht mit!“
„Wieso nicht?“ Fragte ich ganz ruhig.
„Ich muss mich vor dir nicht rechtfertigen!“
Adrian stöhnte genervt. „Es hat ja doch keinen Sinn, Shirin. Die Göttin hat recht. Sie wird sich keine Blöße geben wollen, obwohl sie ja bloß ein paar Jahre mit einem klugen und fleißigen Mädchen herumschlagen müsste.“
Natürlich schloss ich mich Adrians Spiel sofort an. „Stimmt. Wäre ja nicht so, als könne man Joleen in dem jungen Alter noch beeinflussen.“
Zornig schnappte die Wölfin nach mir, als ich vorbei ging, um mich neben Adrian zu setzen. „Ich weis ganz genau, was ihr beide da vorhabt, aber es wird nicht funktionieren!“
„Ja, weil sie feige ist.“ Stimmte Adrian ihr, an mich gewandt zu.
„Was soll das?“ Fragte Nate von hinten, doch wurde einfach ignoriert.
„Ach ja... Stimmt ja. Ihr habt überhaupt keine Eltern mehr, oder, Nate?“
Er blickte mich skeptisch an, als wäre ich plötzlich die Wölfin und würde ein falsches Spiel spielen. „Wieso fragst du das auf einmal?“
„Weil das bedeutet, dass du und Joleen die letzten in der Erbfolge seit. Und da... du ganz offensichtlich kein Mädchen bist, bleibt der alten Wölfin nichts anderes, als Joleen übrig.“
„Richtig!“ Stimmte Adrian mir stolz zu. Wir hatten ewig im Bett verbracht und uns darüber unterhalten, wie wir am besten die Wölfin zu einer Kooperation zwangen. „Und da wir uns auch nicht sicher sein können, ob Nate jemals ein Kind bekommt...“
„...oder gar, ob es ein Mädchen wird!“ Ergänzte Adrian erneut.
„Stimmt! Wer weis... Vielleicht weigert er sich ja, sein Erbe fortzuführen, wenn du und Joleen keinen gemeinsamen Weg findet.“
In Nates Gesicht zauberte sich endlich die Erkenntnis. „Sollte diese Wölfin meiner Schwester auch nur ansatzweise irgendetwas, auf irgendeine Art und weise antun, gehe ich sofort zum nächsten Arzt und lasse von ihm verhindern, dass auch bloß ein einziges Kind von mir entspringen kann!“
Na endlich! Und ich dachte schon, er würde noch ewig brauchen, bis er unseren Plan durchschaute.
„Joleen hat einen Gefährten!“ Rief die Wölfin wütend aus. „Sie wird mit ihm Junge haben und diese tragen dann mein Erbe weiter!“
Adrian zückte sein Messer. „Ich jedoch bin ein Jäger... und ihr Gefährte ist im Moment nicht hier. Zudem bin ich mir sicher, dass Nate und Shirin Joleen lieber tot sehen würden, als für immer gebrochen unter einer verrückten Alten zu leben, die sie zu Dinge zwingt, die sie nicht tun will!“
In die Ecke gedrängt, überfordert mit der Situation und am Ende ihrer Möglichkeiten, starrte sie einen jeden von uns dreien abwechselnd an. Selbst Nate behielt unter ihrem bohrenden Blick einen entschlossenen Gesichtsausdruck, für den ich ihn bewunderte. Bestimmt würde er es nicht zulassen, dass Adrian, oder ich Joleen irgendetwas tun, was wir natürlich niemals würden. Aber die Wölfin konnte sich in dieser Sache nicht sicher sein.
Adrian nahm seine Sonnenbrille ab, welche er zu beinahe jeder Zeit trug und reichte sie mir. Fast schon automatisch nahm ich sie entgegen und steckte einen der Träger in meinen Ausschnitt, damit ich meine Hände ebenfalls frei hatte. „Deine letzte Chance Wölfin. Entweder, ich beende euer beider Existenz hier und jetzt, oder du findest einen Weg und kooperierst mit der Jungwölfin, welche dich in sich trägt. Vergiss nicht... Noch ist sie ein kleines Kind. Sie wird auf dich hören, auch wenn sie auch jetzt noch nicht so stark ist, wie du es dir wünscht.“
Wütend jaulte die Wölfin auf, was jedoch nach einem langgezogenen Moment, zum Schluchzen eines kleinen Mädchens wurde. Rasch streckte ich meine Hände aus und Joleen fiel mir erleichtert in die Arme.
„Shirin! Ich hatte so angst!“ Murmelte sie an meiner Schulter und ich tröstete sie liebevoll.
„Schon gut... Es ist jetzt alles Gut, oder? Was hat sie dir gesagt?“
„Sie sagt, sie sei ab jetzt meine Gouvernante.“
Ich und die beiden Jungs im Raum, seufzten erleichtert.
„Was ist eine Gouvernante?“
Lächelnd zog ich sie wieder in meine Umarmung. „Etwas wesentlich Besseres, als tot zu sein, meine Kleine.“ Versuchte ich sie zu beruhigen und tatsächlich ließ sie das Thema fallen. Eine strenge Erzieherin zu haben... die auch noch in einem lebt, als weise Wölfin? Nichts das ich mir allzu prickelnd vorstellte.
Joleen ließ mich los und fiel nun auch ihrem Bruder, nach Trost suchend, um den Hals.
Aber wenn ich wählen müsste, das Leben meiner besten Freundin, oder sie von einer Art tierischen Gouvernante erziehen zu lassen? Nun ja. Jetzt hoffte ich bloß noch, dass die letzten Punkte auf meiner heutigen Aufgabenliste noch rechtzeitig abgehakt werden können.

- - - - -

 

Vorsichtig klopfte ich an die Zimmertüre meiner Mutter, welche verschlafen, da sie Nachtschicht gehabt hatte, diese öffnete und mich verwirrt ansah. „Was ist denn los, meine Süße?“ Fragte sie verschlafen.
„Mama... Ich muss mit dir reden... Bitte.“
Sofort besorgt, nickte sie und folgte mir in die Küche, wo wir uns zu zweit an den Esstisch setzten. Ich zog eines von zwei kleinen Fläschchen aus meiner Jackentasche und stellte es vor meiner Mutter auf den Tisch.
„Was ist das?“
„Es ist etwas... dass dir das zurückgibt, was ich dir vor einigen Jahren genommen habe.“
„W-Wovon redest du?“
Ich streckte meine Hände nach ihren aus und umschloss sie sorgsam. „Vor sieben Jahren... hast du etwas getan, das von der Organisation, in welcher wir beide arbeiteten als >Falsch< angesehen wird. Als ein >Verbrechen an der Menschheit<. I-Ich weis nicht, was dich geritten hat. Aber... ich war enttäuscht und wütend auf dich. Es hat sich angefühlt... als würdest du mich aufgeben wollen.“ Tränen rannen meine Wangen hinab, während in dem Gesicht meiner Mutter nichts weiter, als Verwirrung und Sorge stand. „Heute aber weis ich es besser. Und ich will mich aufrichtig bei dir entschuldigen. Es tut mir leid, Mama. Alles was ich damals zu dir gesagt habe, das ich dir keine Chance gegeben habe und wie ich dich die letzten Jahre habe fallen lassen.“
„Schatz! Was hast du denn getan? Wovon redest du denn da überhaupt?“
Ich ließ mit einer Hand los und schob ihr das kleine Fläschchen mit der klaren Flüssigkeit darin, hin. „Bitte... tu mir diesen letzten Gefallen und trinke das für mich. Du musst meine Entschuldigung nicht annehmen, und du kannst mich danach so viel hassen, wie du möchtest. Aber ich will... dass du weißt, dass es für mich heute anders ist. Egal was du tun möchtest. Es wird für mich in Ordnung sein, aber bitte... lass Adrian und mir einen Vorsprung, okay?“
Kopfschüttelnd versuchte sie, die für sie sinnlosen Worte zu verstehen. „Was meinst du Shirin...“
Ich wehrte jede weitere Frage mit einer erhobenen Hand ab und öffnete das Flässchen für sie. „Bitte Mama. Trink es, dann wirst du es verstehen.“
„Was ist das denn?“
„Ein Kräutergemisch, das deine Amnesie aufhebt. Du wirst dich an alles erinnern können, was man in den letzten Jahren in dir blockiert hat. In Ordnung?“
„Meine Amnesie? Was...“
Drängend hielt ich ihr das Fläschchen hin. „Mama... Bitte, tu mir den Gefallen. Ich will bloß alles wiedergutmachen, ja.“
Auf meinen hartnäckigen Wunsch hin, nahm mir meine Mutter das Fläschchen ab und führte es sich an die Lippen, um den Inhalt zu kosten. Als sie jedoch nichts Seltsames feststellte, schenkte sie mir noch einen letzten, verwirrten und gleichzeitig besorgten Blick, bevor sie alles hinunterstürzte.
Erleichtert atmete ich durch. „Wie fühlst du dich?“ Ich wusste ja, das Serum benötigte einige Sekunden, bis Minuten bis es wirkt und dann dauerte es noch etwas, bis sämtliche Erinnerungen neu geordnet waren, trotzdem war ich jetzt bereits ungeduldig! Ich wollte wissen, dass es ihr gut geht. Ich wollte hören, was sie mir nach all den Jahren zu sagen hatte und mich endlich meinen Taten stellen!
An meiner Schulter fühlte ich eine Hand, nach dessen Besitzer ich mich nicht einmal umsehen musste. Dankbar drückte ich Adrians Hand zurück, während ich im Gesicht meiner Mutter beobachtete, wie sie verwirrt blinzelte.
„Lass ihr etwas Freiraum, Schatz.“ Von dem Kosewort etwas abgelenkt, ließ ich mich von Adrian einige Schritte wegführen. Dann hieß es... warten.
Eine Minute verging und meine Mutter griff sich an den Kopf, als wäre ihr schwindelig.
Eine weiter verging, in welcher ich bereits nervös von einem Fuß auf den anderen trat und Adrian mich ständig in eine tröstende Umarmung zog, oder etwas Beruhigendes versuchte zu sagen.
Dann verging die letzte Minute. Langsam... unendlich langsam, verschwamm der Blick meiner Mutter, wurde völlig tränennass und ein Ausdruck breitete sich in ihrem Gesicht aus, der mir das Herz in tausend Teile zerspringen ließ. Sie erinnerte sich. An alles von den letzten Jahren. An jegliche Beschimpfung, die Verbannung und natürlich meine darauffolgenden Lügen. „Es tut mir alles so leid...“ Schniefte ich fast lautlos, wartend darauf, dass sie mich endlich anschreien würde, mich ohrfeigen oder Schlimmeres. Ich hatte ihr Leben zerstört! Ich hatte ihr ja noch nicht einmal die Chance gelassen, sich zu verteidigen oder gar zu fliegen.
„Oh mein Gott...“ Flüsterte sie plötzlich leise. Wimmernd suchte ich Schutz vor den unendlichen Schmerzen, welche in meinem Brustkorb wüteten, durch Adrians liebevollen Armen, doch sie konnten auch nicht viel ausrichten dagegen.
„Shirin...“ Abgehakt atmete meine Mutter durch und ihr Blick fixierte mich mit einer Eindringlichkeit, die mir einen Schauder über den Rücken jagte.
„Es tut mir so leid, Mama! Wirklich! Alles. Ich hätte das niemals...“
„Nicht!“ Unterbrach sie mich barsch.
Am gesamten Leib zittern, blickte ich sie beschämt an. Wie konnte sie mich nach alledem überhaupt noch ansehen? Im Glauben im Recht zu sein, für das allgemeine Wohl zu handeln und um sie zu bestrafen, hatte ich ihr alles genommen.
„Oh... Komm her meine Kleine!“ Unerwartet streckte meine Mutter ihre Arme aus und deutete mir zu ihr zu kommen.
„Was?“ Fragte ich verblüfft und selbst Adrian blickte verwirrt zwischen uns hin und her.
„Es ist alles gut, ich verstehe was du getan hast. Komm her, meine Süße! Lass dich endlich umarmen!“ Dicke Tränen liefen nun auch ihre Wangen hinab und tropften vor ihr auf den Boden. So schnell ich konnte, warf ich mich zum ersten Mal, seit sechs Jahren, in die Umarmung meiner Mutter, welche mir früher schon so viel bedeutet hatte.
„Du bist nicht... böse?“ Ich musste es einfach hinterfragen.
„Nein! Natürlich nicht. In deiner Situation hätte ich es doch genauso gemacht, mein kleiner Liebling.“ Tröstend strich sie mir durchs Haar und drückte mich so fest an sich, dass ich fast Angst bekam, sie würde mich zerquetschen wollen. Aber nein... sie hatte nicht vor mir etwas anzutun, sich zu rächen. Meine Mutter wollte bloß das nachholen, was wir bereits so lange Zeit vernachlässigt hatten.
„Es tut mir so leid, Mama... Ich habe alles kaputt gemacht!“
„Nein, überhaupt nicht. Ich hätte diese dumme Affäre überhaupt nie anfangen sollen!“
Ich schüttelte den Kopf. „Aber ich hätte dir zuhören müssen!“
„Was hätte ich denn groß erzählen können, meine Süße? Es war bloß ein Wolf, der zum richtigen Moment einfach da gewesen ist. Bloß eine... Affäre, während einer emotionalen Kriese, Mäuschen. Du hast also überhaupt nichts falsch gemacht. Wein bitte nicht mehr.“ Sie selbst weinte ebenso sehr wie ich, daher konnte ich einfach nicht aufhören. Sie so zu sehen... erleichtert, mich wieder bei einem klaren Verstand in ihren Armen halten zu können.
„Ich habe dich so vermisst, Mama!“
„Adrian...“ Ich hörte meine Mutter bloß Murmeln und spürte, wie sie die Hand nach ihm ausstreckte. Mit seinen typisch lautlosen Schritten trat er langsam an uns heran. Als meine Mutter ihn zum Packen bekam, zog sie ihn kurzerhand ebenfalls in eine Umarmung, zusammen mit mir und wir lachten für einen Moment. „Ein Silver... Hm?“ Fragte meine Mutter nach einem langen Moment.
Rot werdend kuschelte ich mich für einen glücklichen Moment an ihn, bevor der nächste Schock kam. „Nein... mein Gefährte.“
„Was? Aber... Du bist eine Sucherin.“ Erinnerte sie mich, als wüsste ich das nicht längst.“
„Und ich ein ehemaliger Wolf. Irgendwie... muss diese besondere Fähigkeit in mir erhalten geblieben sein und sich mitentwickelt haben.“
Verblüfft stieß sie einen anerkennenden Pfiff aus, den ich ebenfalls, bereits seit Jahren nicht mehr gehört hatte. „Das so etwas... möglich ist. Erstaunlich! Das könnte... wirklich alles unter uns Jägern und Suchern verändern!“
„>Wenn< sie es erfahren.“ Korrigierte ich konsequent.
„Du.... wirst es aber melden müssen, Shirin. Oder denkst du, ihr werdet euch für immer davor verstecken können?“
„Jäger und Sucher haben sich seit jäher vermischt. Es ist sogar notwendig, um das Verständnis der jeweils anderen Partei aufrecht zu erhalten.“ Das stimmte... Würden wir nicht zu arrangierten Ehen gedrängt werden, würden sich Jäger und Sucher alleine wegen ihrer Einstellung zu den Wölfen niemals vertragen und jeder für sich kämpfen. Das wiederum würde zu zwei völlig unterschiedlichen Organisationen führen. Eine zu Nachsichtige, und eine zu Brutale.
„Also... habt ihr meine Bestrafung gelöst, um mich um euren Segen zu bitten?“ Riet meine Mutter weiter.
Plötzlich wurde es fühlbar unbehaglich in der Küche. Adrian und ich wurden gleichzeitig völlig rot im Gesicht und begannen wie wild zu stammeln. Ich? Heiraten? „Niemals!“
„Jetzt ist es noch viel zu früh... Moment, niemals?“
„Niemals!“ Wiederholte ich streng.
„Ich will dich aber heiraten!“ Widersprach Adrian, was die Situation im Moment jedoch nicht viel besser machte.
„Und ich werde mich bestimmt nicht auf diese Geldverschwendung einlassen.“
„Wir müssen ja nicht groß heiraten. Bloß... die Familie und Freunde.“
„Ja! Klar!“ Meckerte ich. „Weil es ja auch so klug wäre, Wölfe zu einer Sucher und Jägerhochzeit einzuladen.“
Adrians bisher empört aufeinandergebissenen Lippen, entwickelten sich rasch zu einem selbstzufriedenen Lächeln. „Du hast also schon darüber nachgedacht?“
Trotzig schob ich ihn weg, als er mich in seine Arme schließen wollte. „Nein! Ganz bestimmt nicht! Ich weigere mich, zu heiraten, Kinder zu bekommen und ein braves Hausmütterchen, mit Sucherfähigkeiten zu werden!“ Entschied ich und das war auch mein letztes Wort! Zumindest für die nächsten paar Jahre...
„Wirklich? Denn wenn du tatsächlich noch diesen einen Schritt weitergehen möchtest, schuldest du mir etwas, Süße.“
Beleidigt wandte ich den Kopf ab, als ich nicht weiter flüchten konnte und in Adrians Armen gefangen war. „Niemals!“
Meine Mutter kicherte und wirkte irgendwie... stolz!
„Na gut. Für heute lassen wir es, aber irgendwann sprechen wir noch einmal ein ernstes Wort darüber!“
„Verpiss dich.“
Lachend gab er mir einen beschwichtigenden Kuss, bevor er mich drängte, meiner Mutter auch noch die letzte Neuigkeit zu erzählen.
Seufzend zwang ich mich, meine zukünftigen Pläne zu erläutern. „Mama, sagen dir die Legenden über die weise Wölfin noch irgendetwas?“
Sie nickte bestätigend. „Natürlich. Sie ist furchterregend, so wie wunderschön.“
„Und wahr.“ Stimmte ich zu. Verwirrt blickte sie Adrian und mich, abwechselnd an. „Alles was über die Wölfin gesagt wurde, stimmt. Sie existiert und wurde erst vor kurzer Zeit wiedergeboren, in einer Freundin von mir.“
„S-Sie... Ernsthaft? Es gibt sie wirklich? Und ist sie tatsächlich so schneeweis, wie es gesagt wird?“
Ich nickte bestätigend. „Und überheblich.“
„Und eigensinnig.“ Fügte Adrian hinzu.
„Habt ihr sie bereits gemeldet?“
Ich schüttelte dieses Mal den Kopf. „Nein... um ehrlich zu sein, werden wir mit ihr zusammen weggehen, bis wir eine Möglichkeit gefunden haben, um den Jägerverein an sie zu gewöhnen.“ Ich sah meiner Mutter dei großen Zweifel, welche wir genauso hegten, deutlich an. „Hier.“ Ich reichte ihr ein zweites Fläschchen, mit derselben klaren Flüssigkeit. „Wir gehen heute Abend fort, mit Joey und werden sie verstecken. Wir werden uns um sie kümmern, bis sie alt genug ist, ihre Fähigkeiten richtig einzusetzen und mit ihrer Wölfin in den Einklang gekommen ist. Mama... Sie ist einmalig. Sie kann zum Beispiel Silver...“ Ich griff nach der Hand meines Gefährten. „Sie kann denen, die es wollen, das zweite Gesicht nehmen, ohne dass sie so lange leiden. Und sie kann Jägern und Suchern das wiedegeben, was sie vermissen. Du kennst das doch.“
Zögerlich nickte sie. Es gab immer wieder Leute unter uns, die sich den Wölfen mehr verbunden fühlten, als den Menschen. Die ihre Zeit lieber in den Wäldern verbrachten. Und andersherum war es genauso. Wölfe die einfach nicht dazu gemacht waren, mit den anderen zu laufen.
Mein Blick glitt zu Adrian, welcher mir einen Blick voller Liebe und Dank schenkte.
„Dann begleite ich euch. Beschütze mit euch zusammen die Wölfin, denn ihr werden alle folgen, das weist du doch, oder?“
Nein, sie konnte nicht mit. Für sie hatte ich andere Pläne. „Später vielleicht, Mama. Vorerst jedoch, brauche ich dich hier. Dich und deinen... falschen Mann.“ Scherzte ich, was sie zum Schmunzeln brachte.
„Was soll ich tun?“ Es erfüllte mich mit einer ungeahnten Freude, sie so zuversichtlich zu sehen. Natürlich... Sie ist eine Sucherin und das konnte man ihr mit aller Amnesie der Welt nicht nehmen. Wenn sie irgendwo gebraucht wurde... ging sie dorthin.
„Es gibt hier noch ein paar Wölfe... Rick ist ihr Alpha, zwar noch recht jung, aber entschlossen. Er ist Joleens Gefährte, also der Wirtin der weisen Wölfin.“
„Oh, oh.“ Kam es bereits von meiner Mutter, da sie ahnte worin ihre Aufgabe Bestand. „Gefährten zu trennen, kann recht... unschön ausgehen.“
Ich nickte bestätigend, denn das hatte ich bereits einmal gesehen. „Ich weis. Deshalb brauche ich dich auch hier. Rick darf sich nicht von seinen Emotionen leiten lassen, bloß weil sie nicht mehr da ist. Sie sind zwar noch nicht verbunden, da sie erst dreizehn ist, aber trotzdem gehört sie zu seinem Rudel. Sie sind sich sehr nahe, auch wenn es ihm... noch nicht wirklich klar ist.“
„Okay, um Rick kümmere ich mich schon. Aber was ist mit Joleen. Die wird sich sicher nicht von ihm trennen lassen wollen.“
„Es ist notwendig. Sie weis das. Außerdem, sobald sie achtzehn ist, kann sie wieder hierher kommen. Bis dahin übernehmen Adrian und ich die Verantwortung für sie.“ Unser >Probekind<.
„Und ihre Familie?“
„Sie hat bloß noch einen Bruder. Der ist bereits eingeweiht. Nicht begeistert... aber er sieht sonst ebenfalls keine Lösung. Wir werden über ihn in Kontakt bleiben.“
Meine Mutter sog jede Information auf, wie eine richtige Sucherin. Irgendwie erfüllte es meinen Körper mit einer erwartungsvollen Energie, mich mit ihr nach Jahren wieder auf diese Weise unterhalten zu können.
„Okay, noch etwas worauf ich achten sollte?“
„Nichts das jetzt wichtig wäre. Nate werden wir dir später am Flughafen vorstellen und er führt dich und deinen Mann ins Rudel ein.“
Sie nickte lächelnd. „Tja... Dann sollten wir uns wohl einmal an die Arbeit machen.“ Entschied meine Mutter zuversichtlich.

 

- - - - -

 

Der Abschied am Flughafen, war nicht einmal ansatzweise so einfach, wie gedacht. Meine Mutter, mein Stiefvater und Nate, wirkten, als würde eine Welt über ihnen zusammenbrechen, was es auch ungefähr traf.
Adrian und ich hatten uns offiziell von dem Fall zurückgezogen, ihn abgeschlossen mit der Angabe, dass der Territorialkampf uns nichts weiter anginge, während meine Mutter und ihr Mann, beide wieder bei Sinnen, undercover hierbleiben würden, um auf die Kids aufzupassen, und gleichzeitig unsere Spione wurden.
Gerade als wir eincheckten, ließ uns ein wütendes Brüllen herumfahren. Joleen war wohl von uns allen die am Verblüffteste. „Du wirst bestimmt nicht weggehen!“
„I-Ich...“ Begann sie und wusste plötzlich nicht mehr, wohin sie sehen sollte, vor lauter Alphagehabe.
„Du wirst hierbleiben, an meiner Seite. Ich lasse dich ganz bestimmt nicht von ihnen verschleppen!“
Mein Blick glitt zu Nate, welcher mir bloß einen entschuldigenden Blick zuwarf. „Besser jetzt, als später.“ Sagte er, was ich jedoch nicht wirklich verstand.
„Ich werde doch nicht verschleppt! Shirin und Adrian werden auf mich aufpassen, während die Wölfin und ich lernen, wie wir miteinander umgehen können. Sie werden mich alle drei trainieren und dann komme ich älter, stärker zurück.“ Ihre feste Stimme, stand völlig im Gegensatz zu ihrem nervösen Auftreten.
„Das musst du nicht! Joleen, du bist perfekt, so wie du bist, außerdem bin ich dein Alpha und werde dich mit meinem Leben vor allem und jedem Beschützen!“ Mittlerweile hatte er uns bereits erreicht.
Ich wollte ihm bereits die Meinung geigen, dann ich fand nicht, dass er so über sie bestimmen sollte, doch Adrians Hand umfing meine Taille und hielt mich zärtlich zurück. „Lass sie das regeln.“ Aber... Joleen. Das kleine, schüchterne Mädchen, sollte sich gegen einen eigensinnigen Alpha durchsetzen?
„Und wenn du nicht mehr da bist, Rick? Wer soll dann auf mich aufpassen?“
„Ich werde immer da sein!“ Rief er wütend aus, was Joleen nur noch dunkler im Gesicht werden ließ.
Plötzlich lächelte sie und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen, bevor sie Rick umarmte. „Dann sei da, wenn ich wiederkomme, ja?“
Der Alpha wirkte, als würde er jeden Moment aus seiner Haut platzen, als sie ihre Arme um ihn schlang, doch beruhige sich genauso rasch wieder. „Ich will aber nicht, das du weggehst. Du bist noch... so jung. Ich muss auf dich aufpassen.“ Sanft schloss auch er seine Arme um Joleen und atmete tief ihren Geruch ein, um ihn sich einzuprägen.
„Ja, ich bin vielleicht jung. Aber ich kann selbst meine Entscheidungen treffen und daher entscheide ich, dass es nicht gut für dich, oder mich wäre, wenn ich länger hierbliebe.“
„Wieso?“ Seine Worte waren bloß noch ein Flüstern in ihren Haaren.
Joleen vergrub ihr Gesicht an Ricks Brust, damit er nicht sehen konnte, wie schwer ihr der Abschied fiel. „Seit ich endlich erwacht bin, tut es bloß noch weh... Ich wünschte, ich könnte die ganze Zeit bei dir sein... Rick.“ Er schloss seine Arme noch fester um sie. „Aber das ist noch nicht richtig. Und die Wölfin in mir machen diese verwirrenden Gefühle völlig verrückt. Deshalb muss ich erst einmal selbst erwachsen werden... bevor ich mich dir stelle.“
So schnell, dass nicht einmal ich ihrer Bewegung folgen konnte, entwandt sich Joleen der festen Umarmung von Rick und sie stürmte an Adrian und mir vorbei, direkt auf das Gate zu. Von Nate hatte sie sich bereits verabschiedet, zudem würde sie ohnehin mit ihm in Kontakt bleiben. Aber Rick... er war derjenige, der ihr Herz in diesem Moment zum Brechen brachte.
Selbst den Tränen nahe, schwor ich mir, alles zu tun was möglich war, um sie so bald wie möglich zu ihrem Gefährten zurückzubringen.
„Wenn ihr auch nur...“
Beschwichtigend drückte ich Ricks Hand. „Niemand wird sie jemals finden.“ Schwor ich ihm aufrichtig. Er jedoch beachtete mich überhaupt nicht, sondern starrte bloß das Gate an, in welchem Joleen längst verschwunden war.
Adrian und ich ließen uns noch etwas Zeit, um uns von allen richtig zu verabschieden. Meine Mutter versprach, uns einmal besuchen zu kommen, doch je weniger von unserem Aufenthaltsort wussten, umso sicherer war es.
Schlussendlich ging auch ich in den Flieger, vor allem jedoch um die völlig aufgelöste Joey zu trösten. Sie weite den gesamten Flug noch und verbrachte mehrere Tage alleine, in der Hütte im Wald, in welcher wir Unterkunft fanden, einige Zeit später.
Sie gehörte Adrians Mutter, von der scheinbar niemand wusste. Hier gab es genug zu Essen, genug Waffen und kaum Zivilisation in der Nähe, was uns vor Entdeckung schützte.
An unserem ersten Abend, an dem Adrian und ich die Nacht vor dem Kamin verbrachten, reichte er mir einen verschlossenen Zetteln. Darauf stand Joleens Name. „Von Rick.“ Stellte ich sofort fest.
Adrian nickte. „Er sagte, wir sollen ihn ihr an ihrem sechtzehnten Geburtstag geben.“
Schmunzelnd ließ ich ihn wenig später unter meinen Sachen verschwinden, bevor ich Nate entwarnung gab, dass alles bei uns in Ordnung sei. Wie es jedoch Joleen die nächste Woche, oder die folgenden Monate ging, erwähnte ich nicht. Das brauchte ich auch überhaupt nicht. Vermutlich sah er es selbst an Rick.
Ich jedoch... empfand mehr Glück, als das ich für möglich gehalten hatte. Das Training... ließ zu wünschen übrig, aber auch wenn ich nicht prahlen wollte... denke ich, dass Adrian und ich das recht gut mit Joleen hinbekommen hatten. Wir erzogen sie, trotz unseres eigenen jungen Alters, zu einer erfolgreichen und geschickten Jägerin, der es an Selbstvertrauen kaum fehlte.
Nun, ja... Zumindest die nicht, bis sie achtzehn wurde. Sie lernte sogar uns selbst herumzukommandieren, auch wenn wir strickt protestierten. Aber die Wölfin in ihr war stark präsent, färbte mit ihren eigenen Charakter sehr auf meine beste Freundin ab, was sie zu einer Art... Super-Shirin machte. Adrian fand diese Bezeichnung natürlich lächerlich, besonders da er es unfair fand, dass er als Mann bei uns beiden starken Frauen ständig unterlag.
Jedoch schien es... auch wenn sich viel an Joleen geändert hatte, unter anderem ihr Haarschnitt, ihr Kleidungsstil und ihr Äußeres, doch noch einiges beim alten geblieben zu sein. Besonders ihre Nervosität in der Nähe von Rick, brachte sie ganz schön auf die Palme und sie behauptete ständig, sich lächerlich vor ihm zu machen, was ihn jedoch keineswegs abzuschrecken schien.
„Tja... Dann wird es jetzt wohl Zeit für ein neues Kind, wenn unsere älteste schon Flüge geworden ist.“ Witzelte Adrian, einen Abend zuvor, bevor wir uns Jahre später, der Befragung wegen unseres Aufenthaltes stellen mussten.
Hach... Männer... Man sollte meinen, irgendwann gewöhnt man sich an sie. Aber nein! Dann finden sie irgendetwas Neues, um einen zu ärgern. „Ich hasse dich, Adrian.“ Fluchte ich, als er mir einen Kuss stahl.
„Und das wird sich auch niemals ändern.“ Grinste er frech, nachdem wir endlich wieder zuhause waren und er das Licht ausschaltete, damit es niemand wagte, uns noch zu störten.

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Tag der Veröffentlichung: 05.12.2014

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