Mit einem breiten Lächeln im Gesicht saß ich auf der Wohnzimmerbank und stopfte Popcorn in mich hinein, während ich dem leidenschaftlichen Gespräch meiner zwei Lieblingscharaktere, in meiner Lieblingsserie folgte. Würde sie ihn verwandeln und zu sich in die Dunkelheit mitnehmen, oder würde er ihr den Pflock ins Herz rammen? Grinsend bereitete ich mich auf die letzten Minuten des Staffel-Finales vor.
„Gehst du dann endlich ins Bett. Du musst morgen wieder in die Schule.“ Erschrocken blickte ich in die streng blickenden Augen meiner Mutter und seufzte schwer.
„Mama, nur noch zehn Minuten, dann ist das Finale vorbei.“
Meine Mutter warf einen Blick auf den Fernseher und seufzte. „Gut, dann bleibe ich und kontrolliere, ob du auch in genau zehn Minuten ins Bett gehst.“ Grinsend hielt ich ihr die halbleere Schüssel mit Mikrowellen Popcorn hin und sie griff großzügig zu, ohne ihre eiserne Maske abzulegen. Ich wusste, sie liebt diese Serie genauso sehr wie ich, doch da sie eine Erwachsene ist und ich erst vierzehn, würde sie es niemals vor mir zugeben.
„Du wirst mich nicht töten. Dafür liebst du mich zu sehr!“ Beteuerte die Vampirkönigin, die mit ihrem bleichen Gesicht und ihrem dunklen Haar damit wie eine altmodische Porzellanpuppe aussah.
„Lieber würde ich dir diesen Pflock ins Herz rammen, als jemanden so verdorbenen wie dich zu lieben.“ Begeistert klatschte ich in die Hände, während der finale Kampf startete.
Zehn Minuten später ging ich schwärmend und mit klopfenden Herzen zurück in mein Zimmer. Es war einfach toll! Sie ließ sich von ihm töten, doch biss ihn mit ihrem letzten Atemzug, damit er ihr eigenes Leid nachempfinden konnte. Also war es beinahe so etwas wie ein >Open End.< Ob sie noch eine vierte Staffel planten? Persönlich gefiel mir das Ende, dennoch war ich enttäuscht, dass er sich ihr nicht hingab. Ich dachte an die letzten Monate zurück, in denen ich meine Mutter angefleht hatte, die ersten beiden Staffeln zu kaufen, damit ich in der dritten, die es gerade erst im Fernsehen ausgestrahlt wurde, verstand, wie es zu allem kam. So toll! Ich hätte mir niemals gedacht mich einmal von so einer altmodischen Serie mitreißen zu lassen.
Mit strahlenden Augen ließ ich mich ins Bett fallen. Wie cool wäre es, wenn es Vampire nicht nur im Fernsehen gäbe? Natürlich nicht die blutrünstigen, sondern die lieben, die sich für ihre Freunde einsetzen und mit erstaunlichen romantischen Gesten einem seine Liebe gestanden. Genauso wie in den Filmen... Jedoch gab es natürlich wie bei den Menschen immer das Gute und das Böse. Leider schloss das eine das andere niemals aus. Traurig werdend, stellte ich mir vor, wie es wäre selbst in so eine Lovestory zu stecken und schlief leider beinahe sofort ein. Dafür waren jedoch meine Träume umso süßer.
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Mein viel zu gemeiner Wecker läutete gerade, als ich davon träumte mit meinem gesichtslosen Traummann über den Wolken zu fliegen und ich schälte mich aus meiner viel zu verdrehten Decke. Mühselig und völlig übermüdet schleifte ich mich ins Badezimmer, wo gerade mein älterer Bruder stand und sich die Zähne putzte. „Morgen.“
„Ja, wäre mir schon lieber. Da ist Samstag.“ Grinsend blickte ich zu ihm hoch, während er mir meine Zahnbürste reichte. Irgendwo im Erdgeschoss hörte ich die kreischende Stimme unserer kleinen Schwester. Sie war gerade einmal zwei Jahre alt und hielt uns alle ständig auf Trab. Sie stand um Punkt sechs Uhr auf und schlief zwischen ein Uhr und drei Uhr. Danach blieb sie bis um Zehn Uhr auf, wo sie wieder volle Aufmerksamkeit forderte.
„Kathi ist schon wieder aktiv?“ Fragte ich und er nickte nur. Seufzend steckte ich meine Zahnbürste in den Mund.
Nur noch zwei Monate! Zwei Monate und endlich war die Schule vorbei. Nur mehr zwei Monate bis zu meinem Geburtstag. Wie sehr freute ich mich schon. Endlich raus aus der regulären Schule und hinein ins Studium. Zumindest hoffte ich das. Bisher war meine Bestätigung noch immer nicht angekommen, doch die sozialen Stunden, die ich immer in einem Altersheim in meinen Sommerferien absolviert habe und mein Einser durchschnitt, mussten reichen für eine Aufnahme. Zumindest hatten sie für meinen Bruder Rees gereicht.
Ich spukte aus und wusch mir das Gesicht. „Soll ich dich fahren?“ Fragte Rees, doch ich schüttelte den Kopf. An schönen Tagen ging ich den Kilometer alleine zur Schule, da ich die ruhige Atmosphäre draußen genoss. Wenn es regnete oder stürmte, dann ließ ich mich von meinem Bruder mitnehmen. Unser Vater fuhr schon viel früher als wir zu Schule, da er der Direktor war, außerdem war es mir lieber, wenn man mich nicht allzu sehr mit ihm in Kontakt brachte, um nicht Gerüchte aufkommen zu lassen, das mein Vater womöglich mein Zeugnis fälscht, oder was ihnen sonst noch einfiel.
Mein Bruder studierte gerade und wollte ebenfalls Lehrer werden, doch lieber in einer Volksschule, >da er dort noch nicht mit der Pubertät zu kämpfen hat<, scherzt er immer. Von Vater bekam er immer einen mahnenden Blick, doch dieser war nur liebevoll gemeint.
Mama war zuhause mit Kathi. Obwohl wir beide schon älter sind, ist Mama noch einmal schwanger geworden und das mit vierzig! Sie war selbst überraschter als wir, besonders da sie sich nicht mehr danach fühlte noch ein Kind groß zu ziehen. Doch seit die Kleine auf der Welt ist, schien sie mehr zu strahlen als sonst. Hin und wieder nahmen wir ihr Kathi natürlich auch ab, doch das war dann meistens ich. Aber nur weil ich musste und nicht, weil ich wollte. Rees hatte so eine Art von Vorahnung und fühlte sich plötzlich kränklich oder zu beschäftigt. Typisch Kerle eben.
Zurück in meinem Zimmer zog ich mich um und holte noch mein Pausenbrot aus der Küche und wich dabei geschickt den gespuckten Essensresten aus.
Lecker... Schwarzbrot mit Marmelade. Gut durchgespeichelt. Wild lachend machte sich Kathi über mich lustig, als ich über einen angebissenen Apfel hinweg sprang und unsere Mutter schüttelte den Kopf. „Viel Spaß in der Schule.“
Ich grinste breit. „Den werde ich haben.“ Sie warf mir noch einen verärgerten Blick zu, den ich immer bekam, wenn ich sarkastisch wurde, und verschwand durch die Eingangstüre. Nachdem ich die Gartentüre hinter mir geschlossen hatte, schlug ich meinen Weg nach rechts ein, der mich direkt hinunter auf die Hauptstraße führte, welche wiederum an meiner Schule vorbei führte.
Dort angekommen, dauerte es noch fünfzehn Minuten, bis die Schule aufgesperrt wurde und ich winkte wie jeden Morgen dem Hausmeister freundlich.
Meinen Vater sah ich kaum, da er immer in Haufen von Papier festsaß. Nur hin und wieder kam ich zu ihm in die Direktion um ihn zu besuchen und gegebenenfalls etwas zu Essen zu bringen, da er es gerne zuhause vergaß. Heute jedoch ließ ich diesen Höflichkeitsbesuch aus und traf mich mit meiner Clique. Wir waren sieben Mädchen, die wie ein Ei dem andern glichen. Wir trugen immer dieselben Sachen, die was wir uns am Vortag absprachen, trugen dieselbe Frisur, nur das einzige, was uns trennte, waren unsere verschiedenen Klassenzimmer. Ich ging in die vierte Klasse D, drei in die A und der Rest in die C- Klasse.
Der Unterricht war für mich langweilig. Es gab nichts, was ich nicht bereits durch meinen älteren Bruder kannte, abgesehen von den Kochstunden und den Handwerksstunden. Wir Mädchen wurden zu diesen Stunden von den Jungs getrennt. Sie hatten Werken mit Metall und Holz, während wir im Keller saßen, strickten und nähten.
Die anderen Stunden hatten wir alle gemeinsam, nur in den Hauptfächern wurden wir wiederum in Leistungsgruppen unterteilt. Dort sah ich jedoch meine Freundinnen wieder nicht, da sie jeweils in den zweiten und dritten Gruppen waren, während ich mich in der ersten Gruppe langweilte. In den Pausen jedoch trafen wir uns immer an denselben Plätzen. Wenn uns jemand anging, dann zogen wir über diese Personen her.
In dieser Pause belächelten wir einen Jungen, der mit seinen viel zu dünnen Beinen in kurzen Hosen steckte. Es erinnerte mich irgendwie an ein Strichmännchen, dass man in viel zu große Kleidung gesteckt hat. Andererseits, tat er mir irgendwie leid. Er konnte doch nichts für seinen Körperbau. Vermutlich würde er später einmal viel größer und Muskulöser sein, doch nun in diesem Alter, sah er irgendwie noch seltsam aus.
„Meinst du nicht Candy.“ Candy... mein Spitzname seit ich in dieser Clique war. Ich war immer freundlich und hilfsbereit, selbst wenn jemand etwas von mir brauchte, über den ich noch vorher in der Pause gelästert habe. Als sie merkten, dass ich nicht nur hübsch, sondern auch hilfreich war, bekam ich diesen dämlichen Spitznamen. Irgendwie war ich dadurch zu der süßen Candy geworden die man immer um Rat und Hilfe fragen konnte. Etwas anstrengend mit hundert anderen Schülern und ihren Problemchen, doch ich mochte es, wenn ich anderen Helfen konnte. Ich fühlte mich geradezu berufen genau das zu tun. Helfen.
Jedoch musste auch ich mit der Jugend gehen.
„Ja und wie. Wenn ihr ihm noch ein Seil um die Beine hängt und ihn dort aufhängt, könnte er glatt als eine gebrechliche Piñata durch gehen.“ Scherzte ich und alle sechs Mädchen fingen lauthals zu lachen an. Sofort wurde daraus so etwas wie ein gemeiner Spitzname und ich kam mir richtig schäbig vor. Vielleicht konnte ich es ja irgendwann wieder gut machen, denn ich machte mich nicht mit Absicht über andere lustig. Es war schon beinahe so, als würde man mir diese Wörter in den Mund legen und ich würde sie einfach laut aussprechen. Natürlich gefiel das Meinen Freundinnen, und wir waren so zu sagen die Zickengruppe der gesamten Schule. Jedoch eine die man bewunderte.
Etwas Betrübter als heute Morgen ging ich heim. Wir aßen zusammen und erzählten von unserem Tag. Mein Bruder von der Uni, mein Vater von der Schule, ich vom Unterricht und Mutter von dem Frauenquatsch den Müttern eben so machten den ganzen Tag. Es interessierte uns alle nicht, was sie in ihrer Muttergruppe taten, doch sie hörte sich auch immer unsere Sorgen an. Somit beteiligten wir uns, wenn auch nur halbherzig an ihrem Tag.
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Nach dem Essen ging ich hinauf in mein Zimmer und machte meine Hausaufgaben. Ein letztes Referat stand nächste Woche an, das ich ebenfalls an diesem Wochenende fertig machte. Zeit, um mich mit meinen Freundinnen zu treffen, nahm ich mir trotzdem. Auch wenn es jedes Mal chaotisch war. Wir saßen am Sportplatz und beobachteten die Sportler, gingen Schoppen oder setzten uns in ein Lokal um zu Essen und Trinken. Natürlich alles nur kalorienarm, wir wollten ja nicht aus unserer Kleidung platzen.
So verging auch die nächste Woche, ohne eine Antwort auf meine Anfrage an der Uni meiner Träume, die sich am anderen Ende des Landes befand. Selbst mein Bruder hatte eine Zusage bekommen, jedoch hatte er sich schlussendlich umentschieden, um in der Nähe der Familie und seiner Freunde zu bleiben.
Seufzend entschied ich, an einem Mittwoch anzurufen, nur um daraufhin eine telefonische Absage zu bekommen. Der Brief folgte tatsächlich einen Tag später und ich verbrannte ihn weinend.
Wieso? Mein Bruder bekam immer so leicht Stellen! Wir hatten denselben Notendurchschnitt und beide die gleiche Zeit an Sozialstunden absolviert. Ich hatte keinen einzigen Eintrag in meiner Schulakte und verstand mich mit jedem Lehrer. Furchtbar frustriert überstand ich somit meinen Abschluss. Wir machten eine kleine Feier, wo alle Klassen zusammen fanden und wir aßen mit unseren Eltern in einem Restaurant, das einer Mutter meiner Freundinnen gehörte. Wir hatten Spaß und am Ende der Feier weinten alle bitterlich. Es gab Abschlussfotos mit den Lehrern und Gruppenfotos mit Freunden und Verwandten. Im Großen und ganzen war es ja toll... aber trotzdem hatte ich das ungute Gefühl im Magen, dass ich einfach noch nicht gehen wollte.
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Somit kam der Sommer. Wir flogen direkt nach dem Schulende in eine warme Gegend und ich fand so etwas wie einen Sommerflirt, den ich jedoch beinahe erleichtert wieder gehen ließ. Vor meinen Freundinnen gab ich selbstverständlich an, wie hübsch und klug er doch sei, doch verheimlichte ich, wie sehr er mich gelangweilt hatte. Ich mochte einfach keine Jungs, die so waren wie ich. Sich anpassten und immer mit dem Strom schwammen. Andererseits einen Jungen der rebellierte und immer nach ärger suchte, machte mir irgendwie Angst. „Ob ich jemals jemanden finde, der mir wirklich gefällt?“ Fragte ich meine Mutter, die neben mir auf dem Sofa gerade am Einschlafen war. „Was sagst du?“ Fragte sie verschlafen.
Lächelnd winkte ich ab. „Ich habe nur laut gedacht. Ich geh schlafen. Gute Nacht.“ Juli und mein Geburtstag stand vor der Türe. Aber was sollte ich machen? Alle meine Freundinnen waren bereits in ihren höheren Schulen. Sie hatten angefangen zu lernen und konnten sich nicht einfach so frei nehmen. Hätte mich meine Traumschule genommen, dann wäre ich vermutlich bereits für meinen Geburtstag verplant. „Kailee, wie sieht es eigentlich mit deinem Geburtstag aus? Was hast du geplant? Muss ich mich zu meiner Freundin verdrücken?“ Ich warf Rees einen verärgerten Blick zu und verließ die Küche hinaus in den Garten. Mama hatte dort Gemüse gepflanzt, von dem sie jeden Tag etwas verbrauchte. Als Salat, Suppe oder sonst etwas.
Ich ging zum Zaun, der uns von unseren Nachbarn trennte, die jedoch bereits vor kurzem verstorben waren und biss herzhaft in eine Tomate. Wie nebenbei ließ ich meinen Blick über den Zaun schweifen und staunte nicht schlecht.
Unsere Nachbarn, die hinter uns wohnte, waren ein altes Pärchen gewesen, welches sich hauptsächlich nur noch im Haus aufgehalten hatte. Vor einigen Monat, war deren Begräbnis und seitdem stand es leer. Jedes Mal wenn ich darüber sah, kam es mir seltsam gruselig vor. Als würden die Seelen des alten Paares immer noch über dem Haus liegen. Doch heute war es kein heruntergekommener Garten, in den ich blickte. Es waren eisblaue Augen, die mir erschrocken entgegen starrten, währenddessen Hände, die zu einem männlichen Körper in meinem Alter gehörten, etwas das aussah, wie ein leerer Korb auf der Mauer abstellten.
„Äh... Hi.“ Ich hielt mir eine Hand vor den Mund, da ich immer noch ein Stück der Tomate in meinem Mund hatte und schluckte schnell hinunter. Wie hatte der sich denn in diesen alten gruseligen Garten verirrt?
„Ich wollte nur den Korb zurückgeben. Danke von meiner Familie.“ Die eisblauen Augen wandten sich wieder ab und er schlenderte zurück zum Haus. War er der Sohn der neuen Besitzer? Seit wann war überhaupt wieder jemand in dem Haus? Und waren sie Familienangehörige? Vermutlich, wer sonst würde so schnell in ein Haus einziehen, in dem erst vor kurzem jemand verstorben war? Verwirrt nahm ich den Korb von der eineinhalb Meter Steinmauer, die wir kurz nach unserem Einzug gebaut hatten, da meinem Vater der grobe Maschendrahtzaun zu unpersönlich war. Mit verwirrenden Gedanken, besonders weshalb jemand so schnell in so ein altes Haus zog, ging ich zurück hinein ins Haus und stellte meiner Mutter den leeren Korb auf den Tisch. „Woher hast du den?“ Fragte diese etwas verwirrt.
„Ähm... der Nachbarsohn hat ihn mir gegeben. Er meinte, wir hätten ihnen den gegeben.“ Sie schlug sich lachend auf den Kopf. „Ach, ja. Stimmt. Wir haben seit gestern Abend neue Nachbarn. Das wollte ich euch noch sagen, das habe ich vollkommen vergessen. Dann habe ich beim Einkaufen, diesen Korb gesehen und mir gedacht, es wäre nur angebracht ihnen etwas zum Einzug zu schenken. Immerhin sind wir nun Nachbarn.“
Ich nickte verstehend und ging zurück in mein Zimmer, wo bereits mein Handy ungeduldig läutete. „Hallo?"
„Hi, Candy. Entschuldige, aber es ist so etwas Tolles passiert, ich musste dich einfach als Erstes anrufen...“ Seufzend ließ ich mich rückwärts in mein Bett sinken und lauschte eine dreiviertel Stunde der Stimme meiner Freundin, die gerade begeistert erzählte, dass sie einen neuen Freund hätte. Den dritten diesen Sommer... Ja, was sagt das wohl über sie aus? Abgesehen davon, dass sie sehr aufgedreht ist. Sie schien ständig mit einem Finger in einer Steckdose zu stecken und sich vor Energie beinahe zu überladen. Lachend stimmte ich auf ihre gute Laune ein und lief danach wieder hinaus in den Garten. Ich setzte mich auf die Gartenschaukel und sah unauffällig hin und wieder hinüber zu unseren neuen Nachbarn, die sich größte Mühe geben die Kisten und Kästen schnell ins Haus zu bringen. Es war offenbar ein junges Pärchen, denn sie wechselten sich mit dem hinein tragen ab. Den Jungen jedoch sah ich nicht noch einmal, vermutlich packte er drinnen aus.
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Vermutlich würde es schon heute Nacht endlich einmal wieder regnen. Mit einem neuen Plan für den heutigen Tag lief ich wieder hinein und traf meine Mutter in der Küche. „Mama, würde es dich stören, wenn ich hinüber gehe und einmal frage, ob sie etwas brauchen, oder ich...“
„Ich hatte gerade dieselbe Idee...“ Unterbrach sie mich und drückte mir eine Kanne mit gekühltem, frisch gepressten Saft und einer Kanne mit kaltem Wasser in die Hand. Dazu noch fünf Plastikbecher und schickte mich über die Mauer. Meinen Bruder schickte sie mit ein paar geschnittenen Obstscheiben hinterher, der wie immer einen genervten Gesichtsausdruck trug.
Winkend trat ich an die Mauer und der Besitzer des Hauses kam etwas verwundert auf mich zu. Ein junger Mann, der irgendetwas zwischen dreißig und vierzig sein musste. Er hatte mittelbraunes Haar und einen Bartschatten, so wie bereits müde Augen, als wäre seine Nacht nicht besonders ruhig gewesen.
„Hallo, Entschuldigung wenn wir etwas aufdringlich erscheinen, aber wir wollten fragen, ob Sie vielleicht ein paar Erfrischungen braucht, oder vielleicht Hilfe beim hinein tragen?“ Er öffnete dankend uns die Türe, die bereits etwas von der Natur eingenommen wurde von seiner Seite aus und wir halfen beim hinein tragen. Meine Mutter kam mit unserer kleinen Schwester ebenfalls nach.
Die Eltern des Jungen waren wirklich freundlich, auch wenn sie etwas Scheu zu sein schienen und in unserer Gegenwart nervös. Irgendwie taten sie mir beinahe leid, an eine so soziale Familie wie unsere geraten zu sein. Keiner von uns kann einfach tatenlos daneben stehen und nichts Tun, während sich andere Abmühen. Wir mussten bei jedem Fest und jeder Vorbereitung unsere Finger im Spiel haben.
Genauso wie jetzt.
Die Mutter des Jungen und ich trugen Geschirr und kleinere Kisten hinein, während mein Bruder und der Vater des neu zugezogenen sich mit den schweren Kisten und Kästen abmühten. Am Abend schloss sich ebenfalls mein Vater an, der verwundert zu sein schien, dass wir alle auf der anderen Seite des Zaunes abhingen, was bisher nie passiert ist.
Zusammen grillten wir noch am selben Abend, doch der Junge von heute Morgen ließ sich nicht mehr blicken. Das machte mich langsam stutzig. Und mit Neugierde konnte ich kein bisschen umgehen.
„Haben Sie nicht auch noch einen Sohn?“ Fragte ich einfach einmal gerade heraus, da er den ganzen Tag nicht ein einziges Mal zur Sprache gekommen ist.
„Ja? Ja! Tatsächlich haben wir einen. Laith, ist jedoch ein sehr... einzelgängerischer Junge. Diesen Umzug haben wir eigentlich nur wegen ihm getan. Er hatte es nie wirklich leicht in einer Schule, da er sich immer von anderen zurückzieht und etwas... grob geschliffen ist. Daher hatte Laith eigentlich die meiste Zeit seines Lebens Heimunterricht.“ Die Mutter von Laith schien noch ausgesprochen Jung zu sein, sogar jünger als meine Mutter. Sie musste Laith bereits mit achtzehn bekommen haben, wenn ich sie richtig einschätzen konnte. Vielleicht sogar Früher.
Moment... erwähnte sie gerade, dass er an mehreren Schulen bereits war? „Sind Sie denn schon öfter umgezogen.“
„Kailee! Hör auf die arme Frau so auszufragen! Das gehört sich nun wirklich nicht!“ Schimpfte meine Mutter, was mich zum Lächeln brachte, da ich wusste, dass sie genauso neugierig war wie ich.
„Entschuldigen, Sie. Ich bin von Natur aus sehr neugierig. Wenn ich zu viel Frage stelle, oder zu lästig werde, dann sagen Sie das bitte sofort.“ Beteuerte ich, doch sie winkte lachend ab.
„Das geht schon in Ordnung. Immerhin haben wir nichts zu verheimlichen.“ Kicherte sie und legte eine Hand auf die ihres Mannes. „Aber, wenn wir schon dabei sind Fragen zu stellen, dann hoffe ich, es macht Euch allen nichts aus, wenn wir für heute den Tag beenden und morgen weiter reden? Es war heute ein langer Tag für uns.“
Wir stimmten alle darauf ein und verabschiedeten uns am Zaun. Während ich den Abwasch machte und nebenbei noch etwas von dem Kräuterbaguette naschte, fragte ich mich, was wohl mit dem Jungen nicht stimmte. Als ich ihn sah, schien er überrascht zu sein, dass ich ihn überhaupt bemerkt hatte. Hatte er etwa versucht, sich heimlich heranzuschleichen? Oder wollte er seine Aufgabe einfach nur schnell beenden? Was es auch war, es ging mich nichts an. Vermutlich hatte er nur irgendeinen seltsamen Tick.
Müde vom Möbelschleppen ging ich hinauf unter die Dusche und setzte mich noch im Pyjama auf mein Fensterbrett, von wo aus ich deren und unseren Garten sehen konnte, wenn nicht gerade der Lichtschutz unten war. Wie jeden Abend telefonierte ich noch mit einer meiner Freundinnen und ging spät schlafen, nur um am nächsten Morgen lange auszuschlafen.
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Jedoch funktionierte dies heute nicht. Meine Mutter war so frei gewesen die Nachbarsfamilie auch zum Frühstück einzuladen, da bei ihnen erst heute Mittag die Küchenmöbel geliefert wurden, daher hatte sie ein Großfamilienessen arrangiert. Sehr zu meinem Leidwesen.
Zu meiner eigenen Überraschung war sogar der Sohn der Familie anwesend. Er stand in der Ecke der Küche, wo er kaum auffiel, und trank etwas das entweder Kaffee oder Kakao war, während er in der freien Hand eine Wurstsemmel hielt. Igitt... Frühstück.... Ich hasste nichts mehr als Frühstücken. Besonders nach dem Zähneputzen erzeugte das einen besonders üblen Geschmack im Mund, den ich liebend gerne vermied. Minzgeschmack und normale Nahrung passten einfach nicht zusammen. Höchstens mit Schokolade! Rief ich mir in Erinnerung. Minze mit Schokolade schmeckte lecker... aber nicht zum Frühstück.
Meine Eltern und mein Bruder schienen das jedoch überhaupt nicht so zu sehen. Sie frühstückten immer ausgiebig, was ich jedoch nicht nachempfinden konnte. Ich griff in eines der Hängeregale und nahm mir ein Glas heraus, das ich mit Wasser füllte, um zumindest irgendetwas in der Hand zu haben. Etwas ungut zumute, betrachtete ich das bunte Treiben, das normalerweise von Kathi angeführt wurde, doch heute saß sie ausnahmsweise einmal ruhig in den Armen unserer Mutter und ließ sich nur hin und wieder mit ein paar Schlucke Orangensaft von ihrem forschenden Blick, mit dem sie die drei neuen Leute betrachtete, unterbrechen. Grinsend setzte ich mich auf den Tresen, nur um eine Minute später wieder hinunter geschubst zu werden.
„Wir schneiden hier das Essen, du Schwein. Ich brauch kein Essen, dass nach deinem fetten Hintern schmeckt.“ Ich blickte meinen Bruder erbost an. Vermutlich hatte er schon wieder Streit mit seiner Freundin und ließ das abermals an mir aus.
Jedoch gehörte es sich nicht, vor Gästen zu streiten, daher streckte ich ihm lediglich die Zunge heraus und stellte mich zu dem scheinbar unnahbaren Laith. „Hi, na. Wie war die erste Nacht im neuen Haus.“ Fragte ich und setzte dabei mein liebstes Lächeln auf. Er blickte mich einmal von oben bis unten und wieder hinauf an und nippte danach einfach wieder an seinem Kaffee, zumindest roch es in seiner Nähe nach Kaffee, und blickte wieder weg, als würde er hoffen, dass ich mich dadurch einfach in Luft auflöse.
Okay, das war schon einmal seltsam.
„Deine Mutter sagte bereits, dass du nicht sonderlich gesprächig bist. Du musst auch nicht mit mir sprechen, wenn du nicht willst. Ähm... möchtest du vielleicht etwas von dieser Gegend wissen? Du kannst mich fragen, was du willst und dann...“
„Nein, danke.“ Bestimmt und höflich. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Ob er vielleicht eine Behinderung hatte? Zumindest war es nichts, was man ihm äußerlich anmerken würde.
„Okay, wie du willst. Wenn du etwas brauchst, dann kannst du es mir ruhig sagen. Du weißt ja, wo ich wohne.“ Scherzte ich, doch er wandte einfach abermals den Blick ab und biss in seine Semmel. Ob er das nur tat, um zumindest irgendetwas zu tun? Man sah ihm definitiv an, wie wenig gefallen er daran hatte hier zu sein.
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Nach einer Stunde ging die Familie wieder zurück in ihr Haus. Mein Vater und mein Bruder halfen ihnen am Nachmittag wieder mit den Möbeln, doch ich verdrückte mich. Ich log etwas von einem Notfall bei einer Freundin und machte mich auf den Weg zum Sportplatz. Ich wusste, irgendjemanden würde ich bestimmt antreffen, auch wenn draußen alles nass war. Geschickt hüpfte ich über Pfützen und mied den Schlamm, der angespült worden war letzte Nacht. Wenn es wieder trocken war, würde es jemand hinunter kehren und der Kreislauf würde von vorne anfangen. Sie viel Mühe gab man sich an diesem Sportplatz nicht, das war schon immer so. Er war an einer Grenze zwischen >herunter gekommen< und >gepflegt genug< um als ein Sportplatz durch zu gehen.
An einer überdachten Hütte nahm ich Platz und zog meine Beine hoch. Die große mittägliche Sommerhitze war zwar noch nicht zu spüren, doch ich wusste sie würde bald kommen. Darauf wartend, dass jemand kam, blickte ich durch die Gegend.
Jedoch kam bis zu Mittag niemand. Nicht eine einzige Person. Es war schon beinahe so unheimlich hier, dass sich mir eine Gänsehaut bildete und ich meine Weste etwas enger zog, obwohl ich beinahe schwitzte. Vermutlich hatten alle etwas Besseres zu tun, als Vormittags hier herum zu hängen, so wie ich.
„Wieso bist du hier, wenn es so gruselig ist?“ Ich schrie erschrocken auf und hielt mir eine Hand vor den Mund, als mir bewusst wurde, dass jemand in meiner Nähe war. Doch die Stimme kannte ich, auch wenn ich sie nur ganz kurz gehört hatte.
„Laith! Bist du wahnsinnig. Du kannst mich doch nicht so erschrecken! Was tust du denn hier?“
Ein kleines Lächeln legte sich auf die Lippen des sonst so stillen Jungen und mir wurde schlagartig bewusst, wo genau er sich befand. Er lag auf dem Dach der Hütte und musste mich wohl schon eine Weile beobachtet haben, denn ich hatte ihn nicht hinauf klettern gesehen.
„Nein, meine Eltern haben ein Attest zuhause, der das Gegenteil beweist. Das bin ich nicht. Und nein ich wollte dich nicht erschrecken... Es war nicht mit Absicht.“ War das etwa eine Entschuldigung oder eine Rechtfertigung?
Außerdem, Attest? Was soll das heißen? „Was meinst du...“
„Wegen meiner Eigenheit. Ich kann nicht gut mit anderen Menschen, besonders wenn sie in Gruppen sind.“
„So eine Art Phobie?“ Sein Kopf verschwand wieder auf das Dach und ich konnte ihn nicht mehr sehen. Sofort sprang ich auf und versuchte auf das Dach zu blicken indem ich mich rückwärts langsam davon entfernte.
Da es ein weites Vordach besaß, war es, schwer etwas zu erkennen, doch ich gab mir größte Mühe.
„Ich bin hier!“ Rief er plötzlich. Ich lief um das Gebäude und sah gerade noch, wie er von ein paar angelehnten Ästen hinunter sprang, die man im Frühjahr abgeschnitten und dort liegen gelassen hatte.
„Wieso warst du überhaupt auf dem Dach?“ Fragte ich staunend darüber, dass mir das nicht aufgefallen war, dass man über die Äste hinauf klettern konnte.
„Ich wollte die Umgebung besser sehen. Als du dich aber dort hingesetzt hast, konnte ich nicht hinunter, da ich dachte, dass noch andere kommen würden und dann würde ich vielleicht Stress bekommen.“ Weil er auf einem ungesicherten Dach herum kletterte, das niemals gewartet wurde?
Kopfschüttelnd zog ich ihm ein Blatt aus den Haaren, ohne groß nachzudenken, und ließ es auf den Boden fallen. „Du bist ja wirklich Lebensmüde. Ich sagte dir doch, dass ich dir gerne alles erzähle, was du wissen willst.“
Er zuckte lediglich etwas steif mit den Schultern und setzte sich auf den Platz, auf dem ich bis gerade eben noch gesessen bin. „Und, willst du jetzt etwas quatschen, wo wir alleine sind?“ Er schüttelte den Kopf und schien schon wieder in seiner eigenen Welt zu versinken.
„Nein, ich will nur die Ruhe genießen.“
Mit tausend Fragen im Kopf nahm ich auf einem Klappsessel Platz und zog wieder meine Beine an. Während er in die Ferne blickte, betrachtete ich ihn genauer. Seine zarten Gesichtszüge, die ihn etwas femininer wirken ließen, die schwarzen Haare, die ihm ins Gesicht fielen, beinahe wie ein Schutz vor den Blicken der anderen erregten stark meine Aufmerksamkeit. Seine langen grazilen Finger, die aussahen, als würden sie den ganzen Tag ein Buch halten, oder auf Tasten herum klimpern, seine eingezogene Unterlippe, auf der er offenbar ständig herum zu kauen schien und selbst das Schattenspiel der Sonne und seiner Haare schienen mich in ihren Bann zu ziehen. Es war, als hätte er zwei Gesichter in einem. Ob ich ihn berühren sollte um heraus zu finden, ob er noch lebte? Kopfschüttelnd tat ich den Gedanken ab. Ja, er hätte glatt als Puppe durchgehen können, wenn er nicht geatmet hätte. Nun ja zumindest war er kein Vampir, wie mein Filmschwarm.
Grinsend blickte ich in die Richtung, in die er sah und erkannte einen Hund, der an einer Leine sein Herrchen hinterherzog. Das arme Tier. Es wollte so dringend ins Wasser, doch sein Herrchen erlaubte es nicht. „Kann ich dich etwas fragen?“ Ich unterdrückte ein Schnauben, doch nickte. „Was... Wie...Also....“Geduldig wartete ich auf eine ganze Frage, doch er winkte ab. „Ich sollte wohl heim, deine Freundinnen kommen.“
Fragend blickte ich mich zum Eingang des Sportplatzes um, doch sah niemanden. Als ich wieder zu ihm zurücksah, war er schon verschwunden, als wäre er niemals hier gewesen. Plötzlich kamen vom Eingang laute Schreie, als Iris und Maggie um die Ecke kamen und mich sahen. Wieso hatte er das gehört? Und wieso war er so schnell geflüchtet? Zählten etwa drei Leute für ihn schon zu einer großen Gruppe? Der Typ war wirklich seltsam. Lachend lief ich ihnen einfach entgegen und wir umarmten uns. Ich wusste doch, dass eine von ihnen hier auftauchen würde. Vermutlich hätte ich nicht so lange warten müssen, wenn ich gleich jemanden angerufen hätte, doch jetzt war es auch schon egal. Sie waren hier und nur das zählte.
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Meinen Geburtstag, auch wenn es mein Fünfzehnter war, ließ ich aus. Ich holte mir nur das Geld von meiner Verwandtschaft und ließ mich von meinen Eltern verwöhnen. Der Alltag kam so wie so viel zu schnell wieder. Und genauso schnell kam auch die Schule.
Da ich mich nur an einer einzigen höheren Schule beworben hatte, blieb mir nichts anderes übrig als mein letztes Schuljahr in einer Regulären abzusitzen. Und so kam mein erster Schultag, den ich am liebsten vermieden hätte. Als ich am heutigen ersten Schultag aus der Haustüre ging, führte mich mein Weg zum ersten Mal nach links, anstatt nach rechts. Es war seltsam ungewohnt, doch ich freute mich auch schon etwas auf die neue Schule. Niemand den ich kannte, besuchte sie ebenfalls. Zumindest niemand von meinen alten Freundinnen. Ich konnte vielleicht endlich einmal ich selbst sein. Seufzend kam ich am Eingang der Schule an, durchquerte den kurzen Tunnel, der in den Vorderhof führte und staunte nicht schlecht. Auch wenn es nur ein reguläres neuntes Schuljahr war, war die Schule einfach riesig. Ob wirklich so viele Leute hier zur Schule gingen?
Staunend blickte ich hinauf bis in den dritten Stock. Jeder Klassenraum schien bewohnt zu sein, doch nicht jeder Klassenraum, war auch wirklich einer. Während der Führung wurden wir von Werkstätten, durch eine Küche und wieder zurück zu einer Bastelwerkstatt geführt. Grinsend dachte ich darüber nach, welchen Arbeitsweg ich wohl einschlagen würde. Natürlich wollte ich so wie meine ganze Familie etwas mit anderen Menschen machen, doch wenn ich mir hier so die Möglichkeiten durch den Kopf gehen ließ... ich konnte mich vollkommen neu erfinden. Ein ganzes Jahr konnte ich einfach einmal das ausprobieren, was mir Spaß machte.
„Ja, Miss Elton?“
„Und es geht wirklich nur ein Monat, wo wir alles einmal durchgehen können? Wieso können wir nicht das gesamte Jahr jedes Fach haben.“
Der Lehrer lachte und erklärte uns, dass das für eine Person zu viele Stunden und vor allem zu viel Stoff wäre. Ich hätte überhaupt nicht die Zeit jedes Werk fertig zu bekommen und nebenbei auch noch dem Schulstoff zu folgen. Enttäuscht ließ ich den Kopf hängen, doch er versicherte mir, dass ich schon meinen Weg finden würde. „Es heißt ja nicht, dass dir ein jedes Fach gefallen wird. Du wirst schon sehen, was dir gefällt. Bis dahin probiere einfach alles durch.“ Ein Monat und dann sollte ich wissen, was ich möchte? Das erschien mir unmöglich.
„Candy! Hi! Ich wusste, ja nicht dass du auch hier bist.“ Iris! Verdammt... Also doch wieder zurück ins alte Muster. Der heutige Tag fing ja schon einmal gut an...
Im Klassenzimmer setzte ich mich mit Absicht direkt in die letzte Reihe, um etwas Luft zu bekommen. Wenigstens musste ich nicht mit ihr in eine Klasse gehen, während uns die Lehrer abwechselnd irgendwelche Formulare austeilten und uns über unseren Schulalltag informierten.
In unserer ersten Pause beanspruchte mich Iris sofort. Sie textete mich zu, wie sie eine Absage bekommen hatte und dass sie nun nur an diese schreckliche Schule gehen konnte. „Ja, ich verstehe das. Ich hatte genau dasselbe Problem. Endlich hätte ich weg von meinen Eltern gekonnt und dann so etwas. Das ist...“
„Kailee! Kann ich kurz mit dir sprechen?“ Überrascht blickte ich auf zu Laith. Er war auch hier? Wieso war er mir nicht aufgefallen?
„Laith! Wie schön! Du bist auch an dieser Schule.“ Gehetzt wirkend, packte er meinen Arm und zog mich einfach mit sich, ohne auf meine indirekte Frage zu antworten. Geschweige denn auf ein >Ja ich habe Zeit< von mir zu warten. „Warte! Wo willst du denn hin?“ Er zog mich in eine Ecke, in der sich einige Raucher versteckten, doch als wir kamen, löschten sie ihre Zigaretten gleichzeitig und verschwanden ohne ein Wort zu sagen. „Laith. Ist denn alles in Ordnung? Du siehst so gestresst aus.“ Zwar war ich irritiert, dass die Jungs so schnell verschwanden und sich ertappt fühlten, da heutzutage viele in meinem Alter rauchten, doch überwog meine Sorge um Laith. Irgendetwas schien ihm große Sorgen zu machen und meine ersten Gedanken führten mich natürlich zu seinem Problem, das er offenbar ein eher ein Einzelgänger zu sein schien. Doch inwieweit betraf dies mich?
Als sie endlich um die Ecke fortgeschlendert waren, blickte er mich an und seufzte schwer. „Es tut mir leid, das war nicht sonderlich nett von mir... Ich... es war nur schwer gerade. Es waren so viele Leute und so viele Stimmen und ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten.“ Er atmete schwer und hielt sich mit einer Hand den Kopf, während seine andere Hand immer noch mein Handgelenk festhielt. Besorgt griff ich ihm mit meiner freien Hand an die Stirn, doch heiß war er nicht.
„Bist du krank? Oder...“ Probierte ich es, da es das Erste war, was mir einfiel.
„Nein, es ist kein körperliches Leiden. Können wir nur... ein paar Minuten hier einfach stehen?“ Ich nickte und wartete, bis sich sein hektischer Atem beruhigt hatte und sein gehetzter Blick langsam ruhe fand.
Ob das wohl ein Tick seiner Phobie war? Aber wieso zog er mich dann hinter sich her, wenn er doch so aussah, als würde er alleine sein wollen? Und... Mein Blick wanderte zu meinem Handgelenk, das langsam zu schmerzen begann... Wieso hielt er es immer noch? Hatte er Angst, dass ich einfach wegging? Sollte ich vielleicht etwas sagen? Ihn vielleicht beruhigen? „Laith, ich....“ Anstatt weiter zu sprechen, brach ich ab, da er mir plötzlich so nahe kam, dass sein eigener Geruch mir in die Nase schoss. Von einem Moment auf den anderen legte er seinen Kopf auf meiner Schulter ab und atmete geradezu erleichtert durch. Schockiert von seiner Plötzlichen, vollkommen ungewohnten, Nähe, stand ich einfach nur starr da und wusste nicht, was ich tun sollte. Niemand sah uns, daher musste ich mir auch keine Gedanken darüber machen, was wohl die anderen dachten. Aber wenn ich nicht darüber nachdenken musste, dann machte ich mir automatisch Gedanken darüber, was >ich< denken sollte. Was sollte diese plötzliche Nähe? Wieso hatte er mich hier her gezogen und vor allem... wieso legte er seinen Kopf auf meine Schulter? Was versprach er sich davon?
„Entschuldige, wenn ich dich etwas schockiere.“ >Etwas< ist noch überhaupt kein Ausdruck dafür, wie verwirrt ich bin! „Aber in deiner Nähe ist alles so leise. Ich kann sogar mich selbst endlich wieder hören. So still...“ Er schien mehr mit sich selbst zu sprechen als mit mir. Verwirrt versuchte ich etwas über seine Schultern zu sehen, doch das Einzige was ich konnte, war hören. Am Schulhof war es noch unglaublich laut, da sich jeder mit jedem austauschte. Ich hörte Gespräche in der Nähe und auch die die etwas weiter entfernt waren. Zwar verstand ich nicht jedes Wort, doch alles drehte sich um die neue Schule und die Fächer.
Der Lärm der Leute störte ihn und die Nähe von vielen Personen. Er hatte definitiv eine seltsame Phobie, doch leider konnte ich ihm auch nicht dabei helfen. Ich wusste nicht wie. Aber wenn ihm der Lärm störte... vielleicht konnte ich ihm ja das etwas erleichtern. Vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken, legte ich meine Handflächen auf seine Ohren und spürte, wie er überrascht zusammen zuckte. „Ich... weiß nicht, wie ich dir sonst helfen soll. Aber wenn dich der Lärm stört, dann kann ich dir zumindest die Ohren zuhalten, oder?“ Er sagte nichts dazu, doch bewegte sich auch nicht weg. Daher nahm ich das einfach einmal als ein >Ja< und legte meine Wange gegen seinen Kopf. Seine Haare kitzelten mich etwas, doch das störte mich nicht. Sein Atem auf meiner Schulter, der Wind, der mich mit seinen Haaren kitzelte, die Geräusche um uns herum die langsam leiser wurden. Es war richtig angenehm. Beinahe magisch. Lächelnd schloss ich die Augen und fragte mich ernsthaft, in welche seltsame Situation ich da hinein geraten bin? Ich kannte ihn doch eigentlich überhaupt nicht und hatte mehr Fragen an ihn, als Antworten von ihm. Vielleicht ist er auch einfach nur ein verrückter Kauz, den ich einfach nicht verstehen konnte, doch seltsamer weise unbedingt helfen wollte.
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Am Ende des ersten Unterrichttages, fing ich Laith ab und überredete ihn gemeinsam mit mir nach Hause zu gehen.
Nun, ja mehr oder weniger überreden. Ich gesellte mich einfach an seine Seite und winkte breit lächelnd unter seine Kapuze, damit er mich bemerkte.
„Geht es dir wieder besser?“
Erkundigte ich mich, auf die peinliche Situation von der Mittagspause bezogen. „Mir ging es nie schlecht, daher nein, es geht mir nicht besser.“ Ich stieß ihn lachend in die Seite. Jetzt war nicht gerade der beste Zeitpunkt für falschen Stolz.
„Komm, schon. Sei wenigstens ehrlich, wenn du mich schon ohne Erklärung in eine Ecke verziehst und versuchst dich zu beruhigen.“
Er wandte mit geröteten Gesicht den Kopf ab und ich lachte noch lauter. Um ihn etwas zu ärgern, lief ich rückwärts vor ihm her. „Laith! Komm schon. Sei wenigstens zu mir ehrlich. Ich werde dich schon nicht beißen.“ Sein stechender blauer Blick lag wieder auf mir und er schnaubte abweisend.
„Beißen wirst du mich vermutlich bestimmt nicht, aber vielleicht ungut über mich sprechen, wenn du wieder mit deinen Freundinnen unterwegs bist.“ Das verletzte mich nun etwas. Vorhin hatte er mich noch mit einbezogen und jetzt stieß er mich wieder von sich. Wieso? Zudem hatte ich kein einziges Wort über sein Verhalten verloren. Vor niemandem.
„Jetzt wirst du aber gemein. Ich möchte doch nur verstehen, was deine Phobie auslöst, damit ich dir helfen kann.“
„Vielleicht will ich auch überhaupt keine Hilfe. Glaube mir, wenn ich dir sage, dass schon mehr als genug Leute mir helfen wollten, doch es nie geschafft haben. Und hör auf es als eine Phobie zu bezeichnen.“ Ich passte mich wieder seinen Schritten an und ging für ein paar Häuser schweigend neben ihm her.
Was war sein Problem? Wollte er jetzt meine Hilfe, oder nicht? „Du bist ein Idiot, weißt du das.“ Es war weniger eine Frage, las eine Bemerkung, daher wollte ich auch überhaupt keine Antwort darauf, sondern beschleunigte meine Schritte und wechselte die Straßenseite. Sollte er doch zu mir kommen, wenn er Hilfe wollte.
Ich verabschiedete mich auch nicht von ihm, als ich nach links bog zu meinem Haus und er nach rechts in eine Gasse hinein, die zu ihm nach hinten führte. Zuhause aß ich nichts, sondern machte nur meine Hausaufgaben und spielte Spiele auf meinem Handy.
Immer wieder ging mir durch den Kopf, was heute passiert ist und kam mir von Minute zu Minute schäbiger vor. Wahrscheinlich war ihm einfach nur seine Phobie peinlich und ich ging ihm auch noch so an. Das war überhaupt nicht fair von mir. Vielleicht sollte ich mir erst einmal anhören, was genau ihm fehlte. Ach was... ich war nicht zuständig für ihn. Vielleicht würde sich alles von selbst klären. Jedoch sah ich ihn unweigerlich noch am selben Tag wieder. Seine Eltern luden uns zum Abendessen ein, da wir ihnen die letzten beiden Tage so viel geholfen hatten. Seufzend zog ich eines meiner gemütlichen Kleider über und ließ meine Haare offen. Normalerweise trug ich sie nur im Winter offen, da sie ein guter >Windschutz< waren, doch heute entschied ich mich sie als >Sichtschutz< zu verwenden.
Das Abendessen entpuppte sich als relativ lustig. Laith saß den gesamten Abend neben mir, was seine Eltern überaus zu überraschen schien. Mehrmals fragten sie ihn, ob es ihm auch wirklich gut ginge und ob er nicht vielleicht doch auf sein Zimmer möchte. Meine Familie warf sich währenddessen verwirrte Blicke zu, daher entschied ich mich, ihnen später zu erzählen, dass er ja diese Phobie hatte und selbst in der Schule lieber auf Abstand von den anderen ging, bevor sie noch auf dumme Gedanken kamen.
Immer wieder versuchte ich, Laith in ein Gespräch zu verwickeln, doch er antwortete auf jede einzelne Frage nur kurz und abweisend. Langsam nervte es mich etwas, doch ich probierte es trotzdem weiter. Irgendwie war es mir wichtig, dass er sich mir noch einmal so öffnet wie in der Mittagspause. Ich musste es einfach verstehen. Blöde Neugierde!
Auf einmal schien es so, als würde er in seiner eigenen Welt versinken, und hielt dabei seine Gabel einige Zentimeter von seinem Mund entfernt. Ist er eingeschlafen? Vorsichtig nahm ich ihm die Gabel aus der Hand und legte sie auf den Teller zurück. Laith erwachte aus seiner Starre und folgte mit seinem Blick meinen Arm hinauf und sah mich fürchterlich irritiert an.
„Ist alles okay, Laith? Willst du dich ausruhen?“ Fragte ich ihn vorsichtig, da ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte.
Sein Blick zuckte verärgert zu seiner Mutter, die mit einem Glas versuchte, ein Grinsen zu verstecken, dann sah er wieder zu mir und schüttelte den Kopf. „Nein, danke mir geht es gut.“
„Sicher? Du warst gerade wieder so abwesend.“ Irgendwie schien sich niemand wirklich darum zu sorgen, wenn er abwesend dreinsah. Mir persönlich machte es angst, was wäre, wenn ihm das mitten auf einer Straße passierte, oder während er neben einem Fluss ging, oder schwamm.... Mir vielen plötzlich so viele Möglichkeiten ein, was ihm zustoßen könnten, dass ich den Blick von ihm abwenden musste. Vielleicht schluckte er ja Medikamente dagegen. Oder passierte ihm das wirklich nur, wenn er irgendwo in einem geschlossenen Raum war?
Plötzlich kam mir eine Erkenntnis. War ihm das etwa auch in der Mittagspause passiert? Hatte er mich deshalb als Stütze genommen? Immer mehr Fragen sammelten sich in meinem Kopf an und ich konnte einfach nicht anders, als ihn wieder zu bemitleiden, und mein Herz wurde etwas schwer. Es musste wirklich schwer sein, mit so einer Phobie leben zu müssen.
Laith zog mich sanft am Ellenbogen zu sich und flüsterte so leise, dass nur ich ihn hören konnte, während meine kleine Schwester vor Begeisterung wie wild herum schrie. „Mach dir nicht so einen Kopf. Du musst es nicht verstehen. Aber, wenn ich etwas nicht mehr ertrage, dann gehe ich so wie so, ohne etwas zu sagen.“ Das war danach auch der letzte Satz, den er mit mir sprach. Und zudem vermutlich auch die drei längsten Sätze, die ich jemals von ihm gehört hatte. Später wieder zurück in unserem Haus, schien niemanden aus meiner Familie aufgefallen zu sein, dass sich Laith seltsam benimmt. Als ich sie darauf ansprach, winkten sie ab und sagten nur so Sachen wie >Jeder ist wie er ist< und >muss wohl an seiner Phobie liegen.<
Der erste Monat verging relativ schnell. Hin und wieder entlockte ich Laith ein paar Wörter, doch so richtig von sich aus sprechen, tat er nie. Ich hatte ihm sogar einmal mitten im Klassenraum ein Zöpfchen in die Haare geflochten in der Mittagspause, doch es schien niemand richtig bemerkt zu haben, während er mir dafür böse Blicke dafür zu warf, doch sich kein einziges Mal dagegen wehrte. Überhaupt alles was ihn betraf, schien niemand wirklich zu merken. Er bekam ein Mitarbeitspuls, obwohl er niemals aufzeigte. Wurde nie im Unterricht etwas gefragt, musste nicht an die Tafel und verschwand in den Pausen spurlos. Niemand sprach mit ihm und wenn ich jemanden etwas über ihn fragte, kamen immer nur eintönige Antworten. Es schien sogar beinahe so, als würde niemand richtig bemerken, dass er überhaupt da war. Obwohl, als wüssten sie das er da war, doch nie verstanden wo mein Problem lag. >Jeder ist wie er ist.< Das war alles was ich, als Antwort bekam.
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Jedoch bemerkte ich noch etwas und das war jemanden, der mir unglaublich gut gefiel. Er war leider nicht bei mir in der Klasse, doch absolut mein Typ. Ein offenherziger Mensch, freundlich jedem gegenüber und sah echt schnuckelig aus, groß, machte in jedem Outfit ein gutes Bild und vor allem sein Lächeln!
„Na, schaust du schon wieder deinem Schatz hinterher.“ Lächelnd blickte ich zu Iris auf, mit dieser ich wohl oder übel in dieselbe Gruppe gekommen bin und konnte trotzdem nicht aufhören zu grinsen.
„Vielleicht. Aber er ist nicht mein Schatz. Dafür sieht er viel zu gut aus.“ Bemerkte ich beinahe traurig darüber ihm nie aufgefallen zu sein.
„Dann gehen wir zu ihm und sprechen mit ihm. Ich glaube kaum, dass er dich wegschicken wird.“
Ich schüttelte entsetzt den Kopf. Niemals würde ich mit ihm reden können. Dafür war ich viel zu schüchtern. „Sicher nicht! Das ist viel zu peinlich!“
Iris, jedoch schien mich überhaupt nicht mehr zu hören, sondern machte mit winken auf uns aufmerksam. Wie peinlich!!„Iris! Hör auf!“ Das war ja so etwas von peinlich.
„Ja, ja.“ Schimpfte sie an mich gewandt, doch lächelte breit, als sie sich an die Gruppe von Jungs wandte, in der auch der süße Junge stand. „Das ist meine beste Freundin Candy.“
Ich wusste zwar nicht, wie genau sie ihn so plötzlich in ein Gespräch verwickelt hatte, doch er schien überhaupt nicht genervt oder verärgert zu sein. Im Gegensatz. Er lud uns sogar für heute Nachmittag ein. Oh! Ich hatte so etwas wie ein Date, auch wenn es ein Gruppentreffen war!
Lächelnd freute ich mich schon den gesamten Schultag darauf, dass die Schule endlich aus war. Tatsächlich warteten er und ein Freund von ihm, nach der Schule auf uns. Wir verstanden uns gut und tauschten sogar Telefonnummern aus.
So aufregend!
Iris und ich ließen uns sogar noch über eine Stunde, am Rückweg, Zeit um über unsere Eindrücke zu sprechen. Sie erwähnte immer wieder, dass er bestimmt auf mich stand, doch ich konnte mir das einfach nicht vorstellen. Für einen aktiven Jungen wie ihn musste ich doch regelrecht langweilig wirken. Er hatte so viele Hobbys, spielte Gitarre und Schlagzeug, schien jeden zu kennen und sich mit wirklich jedem anzufreunden. Zuhause setzte ich mich sofort wieder auf mein Fensterbrett und blickte hinauf zu dem, immer dunkler werdenden Himmel. Konnte es denn wirklich sein, dass sich ein süßer Typ wie Daniel tatsächlich für mich interessierte? Das wäre einfach zu schön. Vermutlich wären wir das Traumpaar der Schule.
Ein Licht, das vom Haus unserer Nachbarn wie wild blinkte, erschreckte mich. War das... War das etwa Laith? Ich winkte ihm und er deutete mir, in den Garten zu kommen. Fragend zog ich mir meine Sandalen an und ging hinunter in den Garten. Wollte er vielleicht endlich etwas wissen? Um was es wohl ging?
Meine Gedanken fingen sofort an sich wieder im Kreis zu drehen, doch ich beruhigte mich, indem ich mir dachte, dass ich es ja so wieso gleich erfahren würde. Tatsächlich wartete Laith bereits auf der anderen Seite der Mauer und kletterte darauf. „Hi, Laith. Was gibt’s?“
„Ich höre mich vielleicht jetzt seltsam an, aber... du sagtest doch, dass ich mich an dich wenden kann, wenn ich etwas brauche, oder?“
Ich nickte sofort. „Natürlich, Laith! Auch wenn du einfach nur reden möchtest, oder besorgt bist.“
Laith seufzte sichtlich genervt. Was nervte ihn denn? Dass ich versuchte ihm zu helfen, oder dass er sich an mich wenden musste? „Gut, dann bitte hör endlich auf über mich zu denken als wäre ich ein Pflegefall. Ich bin geistig noch ganz da, ich rede einfach nur nicht gern mit anderen.“
Überrascht von seinem wütenden Unterton ging ich einen Schritt zurück. „Was? Nein, das verstehst du falsch. Ich versuche dir doch nur zu helfen, damit du es einfacher hast.“
Laith seufzte abermals. „Danke, das ist sehr nett von dir. Trotzdem... frage ich mich... Vertraust du mir, wenn ich dir etwas sage?“
Ich zog die Augenbrauen hoch. Ich sollte ihm bei etwas Vertrauen? Nachdem er mich so oft einfach ignoriert und sich seltsam verhielt? Nun, ja er vertraute mir offensichtlich nicht wirklich, vielleicht wenn ich ihm hier entgegenginge, würde er sich mir mehr öffnen. Entschlossen nickte ich. „Gut, ich werde es versuchen.“
Das schien ihm zu reichen. „Okay, du triffst dich doch seit neuesten mit diesem Kerl aus unserer Parallelklasse.“
„Daniel? Ja. Was ist mit ihm?“ Außerdem hatten wir uns noch überhaupt nicht getroffen, doch das behielt ich für mich.
„Ich denke nur, dass du ihm nicht vertrauen solltest. Er ist nicht so nett, wie du vielleicht denkst.“
Neugierig geworden, ging ich einen Schritt wieder auf ihn zu und blickte ihm ernst in die Augen. „Ist das dein ernst? Kennst du ihn etwa?“ Ich meinte es nicht so, als würde ich ihm nicht glauben, sondern ich war ernsthaft aufmerksam geworden. Wenn Laith etwas über ihn wusste, dann musste er es mir sagen, ich wollte nicht an eine falsche Person geraten.
„Nun, ja. Er ist vielleicht nett zu jedem, doch er spielt es nur vor und er kennt dich bereits länger. Ich denke aus eurer Schule zuvor.“ Daniel war ein Junge, mit dem ich davor zur Schule gegangen bin? Unmöglich.
„Wieso hat er dann nichts gesagt?“
„Weil du ein dummes Gerücht über ihn verbreitet hast und er dir das immer noch nach trägt.“ Ein dummes Gerücht? Ich hatte doch nie ein Gerücht verbreitet. So war ich überhaupt nicht. Das bedeutete dann... Laith hatte es sich nur ausgedacht.
Enttäuscht darüber, dass er sich mir gegenüber so verhielt, ließ ich den Kopf hängen. „Ich hätte mir ehrlich mehr erwartet... Nachdem... Ich weiß nicht, was dich gerade geritten hat, aber das war so ziemlich das Gemeinste, dass du jemals gesagt hast. Ich habe mir so viel Mühe gemacht, dass wir uns anfreunden und ich hatte gehofft dass... Vergiss es einfach.“ Ohne ihn noch einmal anzusehen, ging ich zurück ins Haus und ließ sofort den Lichtschutz hinunter, von meinem Fenster herunter, ohne noch einmal nach unten zu blicken. Wieso war Laith nur so gemein? Was hatte ich ihm denn getan, dass er so eine Dummheit erzählte.
Ein paar Wochen später, in denen mich Laith des Öfteren warnte, doch ich es immer wieder ignorierte, kam ich mit Daniel zusammen. Er war lieb und charmant, schenkte mir hin und wieder etwas und wir verbrachten beinahe jeden Tag zusammen. Ja, wir waren tatsächlich das Traumpaar der Schule. „He, hast du vielleicht heute Lust auf Kino. Morgen haben wir doch einen schulfreien Tag, ich dachte... wenn es deine Eltern erlauben und du nicht lernen musst, dass wir uns doch heute Abend etwas länger sehen könnten. Wir könnten doch fortgehen und die ganze Nacht auf bleiben, spazieren gehen, was immer du möchtest.“ Er wollte, dass wir die ganze Nacht zusammen verbrachten. Wir zwei. Alleine. Was das heißt, wusste ich ja?
„Oh! Warte, nein das klang vermutlich jetzt etwas zweideutig. Ich wollte nicht... also du weißt schon, das wir das Tun. Ich wollte einfach nur einmal mehr als nur ein paar Stunden mit dir verbringen.“
Lächelnd beruhigte ich ihn und wir machten uns einen Treffpunkt vor dem Kino aus. Ich war so aufgeregt, als ich mit Iris darüber sprach, dass ich ganz vergaß, dass es meine Eltern ja niemals erlauben würden. „Aber... denkst du, sie erlauben es? Du bist immerhin erst fünfzehn. Und du möchtest die ganze Nacht mit einem Jungen verbringen, das wird sie bestimmt auf falsche Gedanken bringen.“
Erschrocken sog ich die Luft ein. Sie hatte vollkommen recht damit. Ich brauchte eine Ausrede.
„Iris! Was soll ich tun? Ich will unbedingt mit ihm die ganze Nacht fortbleiben. Was ist, wenn das meine einzige Chance ist, den Mann meines Lebens für mich zu behalten?“ Ja, ich wusste, dass ich übertrieb, doch das war mir egal. So einen tollen Kerl wie ihn wollte ich auf keinen Fall wieder gehen lassen. „Schon gut, schon gut. Sag einfach deinen Eltern, dass du bei mir übernachtest und dann passt das schon.“ Das klang eigentlich nach einer guten Idee. Iris kannten sie ja breites und wir waren ewig befreundet. Das könnte klappen.
- - - - -
Gesagt getan.
Meine Eltern erlaubten es, ohne zu murren, und ich versteckte meine Handtasche im Garten, mit den Sachen die ich heute Nacht anziehen würde, während ich derweilen vor den Augen meiner Eltern eine Tasche packte, mit der ich vorgeben würde, zu Iris zu gehen.
Als ich mich hinunter schlich um die Tasche zu verstecken, die ich für heute Nacht brauchen würde, wartete bereits Laith auf der Mauer. Verdammt! Was wollte er denn? „Laith! Was suchst du hier?“
„Ich versuche dich, bloß noch ein letztes Mal zu warnen. Bitte triff dich nicht mit ihm, ich weiß, dass er etwas ausheckt.“ Sein Gesichtsausdruck war gequält und etwas in mir wollte ihm glauben. Aber der andere Teil, der sich zu Daniel hingezogen fühlte, hielt ihn einfach nur für eifersüchtig.
„Okay, was ist dann dein Beweis? Hat er es dir etwa gestanden, dass er mich nur verarscht? Hat er mit jemanden darüber gesprochen? Was ist es, was dich so sicher macht?“
„Nein, als ob er so etwas laut herum posaunen würde.“ Meinte er vorlaut, als wäre ich hier der Depp. „Vertrau mir doch einfach, dass ich die Wahrheit sage.“
Die Wahrheit. Als ob... „Laith, weißt du was. Vergiss es einfach. Ich werde mich...“ Ich blickte auf meine Armbanduhr und stöhnte gereizt. Jetzt kam ich auch noch in Zeitdruck! „... in einer Stunde mit Daniel vor dem Kino treffen. Wir werden uns gemütlich einen Film ansehen und danach noch etwas unternehmen. Vielleicht habe ich ja Glück und es passiert heute mehr, als nur >das<, aber das geht wohl dich an aller wenigsten an. Und wenn du noch einmal versuchst mir und Daniel dazwischen zu funken, dann erzähle ich ihm von deinen Lügen.“ Okay, das war nun wirklich übertrieben und ich hatte überhaupt nicht vor jetzt schon mit jemanden zu schlafen, doch ebenfalls verspürte ich das Bedürfnis vor Laith zu übertreiben und ihn zu verletzen. Die Tasche warf ich einfach in eine Ecke des Gartens und ging wieder ins Haus zurück.
Dieser Idiot! Was bildete er sich denn ein, wer er ist? Einfach so irgendwelche Lügen zu erzählen. Wenn er auf mich stand, dann konnte er es doch einfach sagen, oder? Das würde doch jeder normale Kerl tun und nicht hinterrücks irgendwelche falschen Gerüchte verbreiten. So etwas war einfach falsch! Eine Stunde später, ging ich wieder in den Garten um meine Taschen auszutauschen und erschrak, als mein Handy läutete.
>Treffen uns doch vor dem Friedhof. Muss noch etwas erledigen.< lächelnd schüttelte ich den Kopf. Nun, ja. Der Friedhof war wenigstens näher, als das Kino, daher würde ich wohl doch nicht zu spät kommen.
>Gut. Bis gleich.< Schrieb ich ihm zurück und mein Herz begann aufgeregt zu hämmern.
Wie aufregend! Daniel wartete bereits auf mich vor dem Friedhof und winkte mir aus der Ferne. Die letzten Meter lief ich auf ihn zu und gab ihm einen Kuss. „Hi, Süße. Na, auch schon da.“
„Ja, natürlich, wieso sollte ich nicht.“
Daniel zuckte mit den Schultern und deutete auf den Friedhof. „Nun, ja. Nach meiner Nachricht, dachte ich, nicht dass du dich her trauen würdest. Welches Mädchen trifft sich schon mit einem Jungen vor einem Friedhof.“
Ich legte beide Arme um ihn und zog ihn für einen weiteren Kuss zu mir hinunter. „Vielleicht ein Mädchen, dass ihrem Freund vertraut.“
Seine Augen blitzen belustigt auf. „Na, dann wollen wir mal sehen, wie weit du mir wirklich vertraust. Komm mit.“ Er zog mich kurzerhand hinein in das Innere der Friedhofsmauer und ein Schauder befiel mich. „Ähm... Daniel, wollten wir nicht ins Kino?“
„Ja, aber es gibt ja noch eine Mitternachtsvorstellung. Ich wollte schon immer mal nachts auf einen Friedhof. Bist du nicht neugierig?“
Nach den ganzen Vampirfilmen, auf die ich so stand, konnte ich das eine oder andere ausschließen, was so auf einem Friedhof passieren konnten. Doch wir waren trotzdem alleine. Was wäre, wenn uns ein Betrunkener überfiel?
Es dauerte einen Augenblick, bis ich bemerkte, dass ich alleine war. „Daniel? Wo bist du?“ Daniel war irgendwo vor mir auf dem dunklen Friedhof verschwunden. Wenn das jetzt ein Scherz sein sollte, so fand ich ihn nicht lustig. „Daniel, ernsthaft. Wir sollten gehen. Hier ruhen unsere Vorfahren, wir sollten nicht so respektlos sein.“
Irgendwo links von mir hörte ich Schritte und unterdrückte einen Aufschrei. Komm schon, Kailee. Beruhige dich! Hier sind nur Daniel und ich.
Plötzlich kam mir Laith wieder in den Sinn. Was wäre, wenn er recht hätte? Was wenn mir Daniel wirklich einen Streich spielen wollte? Verdammt was dachte ich da eigentlich? Was dachte ich da über meinen Freund, mit dem ich bereits eine Woche glücklich zusammen war.
Trotzdem blieb mir ein unheimlicher Gedanke.
„Worauf wartest du denn.“ Daniel umarmte mich von hinten und ich schrie auf vor Schreck. „He, he. Bin ja nur ich. Keine Sorge. Du vertraust mir doch, oder?“ Beruhigt legte ich meine Hände auf seine und ließ mich in seine Umarmung fallen. „Natürlich tue ich das.“ Versprach ich. „Gut, dann mach jetzt deine Augen zu. Ich habe ein Geschenk für dich.“
Ein Geschenk? An so einem Ort? Das erschien selbst mir unheimlich. Trotzdem schloss ich meine Augen, nur um im nächsten Moment einen explodierenden Schmerz an meinem Hinterkopf zu spüren zu werden. Alles um mich herum wurde schwarz. Was war hier nur los?
- - - - -
Als ich nach einer ungewissen Zeit aufwachte, war mir eiskalt und meine Glieder schmerzten. Benommen hob ich den Kopf und bereute es zugleich. Alles drehte sich und mein Hinterkopf schmerzte höllisch. Irgendetwas musste mich dort getroffen haben. „Daniel... Daniel! Wo bist du?“ Ob es ihn auch getroffen hatte?
„Na, sieh an. Wer ist denn da endlich wach?“ Wach? Es klang nicht so, als wäre er übermäßig besorgt um mich.
Ich fing ihn mit meinem Blick ein. Daniel stand an einen Grabstein gelehnt und spielte mit meinem Handy herum, während vier andere Jungs in meiner Tasche herum wühlten. „Daniel. Was soll das. Bin ich etwa...“ Sie hatten mich gefesselt! Ich kniete unter einer Laterne, deren Licht direkt auf mich fiel, sodass, jeder der zum Friedhof kam, mich sehen konnte. Mit was sie mich angebunden hatten, wusste ich nicht recht, doch es schnürte mir das Blut ab, wenn ich mich zu sehr bewegte. „Was zur Hölle soll das? Wieso machst du so etwas? Bitte mach mich sofort los.“
„Dich losmachen? Nachdem du mir das letzte Schuljahr so versaut hast? Weißt du eigentlich, wie viele Leute du dir zum Feind gemacht hast. Du und deine Clique. Ich habe wirklich jeden einzelnen von euch Tussen die letzten Monate aufgesucht und ausgefragt, wieso sie so gemein zu uns Außenseiter waren und jede sagte dasselbe. Dass sie das nur getan haben, um mit dir befreundet zu bleiben.“
Um mit mir befreundet zu bleiben? Was war das denn für ein Schwachsinn? Wie kam er überhaupt auf die Idee, dass ich zu den Außenseitern gemein gewesen wäre? Das war absurd. „Egal was du denkst zu wissen, das ist Unsinn...“
„Ja, ich weiß. Du bist ja so unschuldig. Davor haben mich deine ach so guten Freundinnen aus unserem letzten Jahr bereits gewarnt. Ich glaube dir kein Wort.“
Meine Freundinnen aus unserem letzten Jahr? Laith! Er hatte recht! Das wurde mir schlagartig bewusst. „Wir waren in derselben Schule? In welcher Klasse warst du?“
„Erinnerst du dich an den Jungen, den du einmal als eine Piñata bezeichnet hast?“
Was? Das soll Daniel gewesen sein? Ich kannte seinen Namen nicht, doch... „Das sollte nur ein Scherz sein und nicht gleich als Spitznamen durch gehen. Bitte verzeih mir, das ist ein Missverständnis.“ Bettelte ich ihn an und fühlte, wie Tränen meine Wangen hinab liefen.
„Ja, und genau so ist es wohl ein Missverständnis, dass du mich nicht einmal erkannt hast. Los Jungs gehen wir.“
„Was? Warte! Ihr könnt mich doch nicht einfach so hier lassen! Daniel! Daniel bitte warte!“ Doch er war schon fort. Sie hatten meine Sachen mit genommen und würden es bestimmt irgendwo in den Fluss werfen, oder in den Mist. Niemand würde mich suchen. Meine Eltern dachten ich, wäre bei Iris. Iris dachte ich, wäre bei Daniel. Niemand würde hier her kommen. Nicht um diese Uhrzeit. Und an alldem war ich selbst schuld.
Aber Laith... Laith hatte es gewusst. Er hat mich immer wieder gewarnt. Sogar noch bevor ich losgegangen bin. Ich bin so ein Idiot. Wieso konnte ich nicht auf ihn hören? War es, wirklich einfacher zu denken, er wäre einfach eifersüchtig, als das mein Freund... Exfreund ein psychopathischer Arsch ist?
Im Nachhinein wusste ich wenigstens, dass Laith es nicht aus Eifersucht gesagt hatte. Er hat sich einfach Sorgen um mich gemacht.
Berechtigt.
- - - - -
Ich wusste nicht recht, wie viel Zeit vergangen war. Eine Stunde? Eine Minute? Dämmerte es etwa bereits? Die Kälte saß wie eine zweite Haut in meinen Knochen und ich bibberte. Entweder würde ich eine Lungenentzündung bekommen, oder einfach nur stark krank werden. Ich hoffte auf Schnupfen. Aber wieso tat Daniel mir das an? Nur weil er einen dummen Spitznamen wegen mir bekommen hatte? Wäre ja nicht so, als hätte ich es böse gemeint. Ich musste doch... meine Freundinnen...
Waren es überhaupt >Freundinnen<, wenn sie mich verpetzen? Wenn sie mich eigentlich Tag für Tag nur ausnutzen und mich für alles verantwortlich machten? Ich soll die Chefin unserer Clique gewesen sein? Wie lächerlich war das denn? Ich habe niemals gesagt, sie sollen es verbreiten und auch niemals, dass andere ebenfalls solche Spitznamen bekommen sollen. Wieso sollte ich so etwas tun? Ich hing doch immer nur mit ihnen ab, weil sie meine Freundinnen sind... meine Freundinnen, die jetzt nicht hier waren.
Niemand war hier.
Ich war ganz alleine auf diesem Friedhof. Meine Jacke hatten sie mitgenommen, meine Schuhe und mich nur in Unterwäsche hier gelassen. Die Kälte fraß sich durch meine Haut, meine Haare waren schon etwas steif. Würde ich Erfrierungen bekommen? Es hatte bestimmt nur noch fünf Grade. Hier in dieser Gegend konnte es Nachts, in diesen Monaten regelrecht eisig werden. Vor morgen Früh wird niemand kommen und mich von diesem dummen Masten losbinden. Das war doch einfach nicht fair!
Tränen liefen mir über die Wangen und ich versuchte gegen die Schnüre anzukämpfen. Erreichte jedoch nichts, außer dass mir stellenweise warmes Blut über die Handgelenke hinab lief. Scheiße. Nein! Und das hatte ich nun davon. Davon dass ich immer versuchte es jedem recht zu machen. Dazu zu gehören. Hier sollte nicht ich hängen. Das war doch nicht ich... ich war nicht schuld...
„Kailee! Kailee! Hörst du mich?“ Erschrocken riss ich meinen Kopf hoch und staunte nicht schlecht.
„Laith? Was... Wies bist du hier?“ Doch... ich hatte doch einen Freund. Jemand der hier war. Mich rettete...
„Oh, mein Gott, was haben sie dir angetan?“ Sein Blick war entsetzt und ich konnte mir vorstellen, wie ich aussehen musste. „Warte ich mache dich los!“ Er hob einen Stein vom Boden auf und rieb so lange an den Schnüren, bis sie abging. Sofort schlang ich meine Arme um ihn und dankte ihm so oft ich konnte. Er war da. Ich war nicht mehr allein! „Ist schon gut...“ Laith versuchte mich, über mein Schluchzen hinweg zu beruhigen. Doch hatte keinen Erfolg. Ich konnte einfach nicht aufhören zu weinen, oder zittern. Was nützte es nett zu sein, wenn man doch danach immer nur Schlechtes erfuhr. Was hatte das alles überhaupt für einen Sinn? Wieder kam mir in den Sinn, dass nicht ich hier hängen sollte, doch ich wusste auch nicht, wem ich sonst verantwortlich machen konnte.
Sie hatten recht. Ich hatte diesen dummen Spitznamen aus Versehen in die Welt gesetzt. Aber die restlichen Vorwürfe...
„Hörst du mir überhaupt zu?“ Laith schob mich etwas von sich und öffnete seine Jacke, um sie auszuziehen und mir über zu ziehen. Dankend schloss ich sofort den Zip und mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich war gerade eben noch halbnackt an eine Laterne angekettet gewesen. Laith hatte mich losgemacht, aber... was tat er hier?
„Komm, ich bringe dich nach Hause.“
Ich weiß ich sollte nicht so misstrauisch sein, da er mich ja gerettet hatte. Aber... ich wusste einfach nicht mehr, was ich denken sollte. Immerhin war er hier. Am Friedhof, wo sonst nie jemand war. Das konnte doch kein Zufall sein. „Wieso bist du hier? Wieso wusstest du, dass ich hier bin? Bist du etwa dafür verantwortlich....“
Er schlug mir halbherzig auf die Schulter und lachte nur. „Dummerchen. Ich habe dir de ganze Zeit gesagt, dass er es nicht ernst mit dir meint. Ich habe immer wieder Andeutungen gemacht, dass etwas mit ihm nicht stimmt, doch du hast ja nicht gehört. Als du gesagt hast, dass ihr ausgeht, wollte ich euch folgen, doch du hast mir einen falschen Treffpunkt gesagt.“
Das stimmte. Wir wollten ins Kino, doch er hat mir vorher noch eine Nachricht geschickt, dass wir uns vor dem Friedhof treffen...
„Laith... es tut mir...“
„Schon gut. Du weißt einfach nicht, was du denken sollst. Komm, gehen wir nach Hause.“ Nach Hause... Ich blickte an mir hinab und musste nun ebenfalls lächeln. „Ja, ich kann mir schon vorstellen, wie das wird. Ich kann doch nicht sagen das...“
„Ich werde das klären. Immerhin habe ich gehört, was sie vor hatten und getan haben. Ich werde das alles mit dir klären.“ Ich nickte nur und Laith legte einen Arm um mich. Ob ihm nicht auch kalt war? Zumindest hatte er seine Weste noch.
„Du hast mich gefunden.“ Erkannte ich plötzlich und realisierte was es überhaupt bedeutete, als wir durch das Tor des Friedhofes gingen. Laith zog mich noch etwas fester zu sich und nickte.
„Immer... Ich werde dich immer finden.“ Es klang beinahe wie ein Versprechen. Ob ich mich auch darauf verlassen durfte? Aber das war jetzt auch egal. Vermutlich wollte er mir damit einfach nur Zuversicht geben, damit ich erst einmal meinen Schock verarbeite. Immerhin hatte ich nicht vor noch einmal so etwas durchzumachen.
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Zuhause angekommen, bekam meine Mutter beinahe einen Herzinfarkt. Sie trug Kathi hinauf in ihr Kinderzimmer und holte meinen Vater herunter. Laith blieb bis tief in der Nacht an meiner Seite. Selbst als die Polizei kam und es ihm immer unangenehmer wurde, da immer mehr Leute in die Küche kamen, blieb er da.
Nachdem sie mir einige Proben und natürlich auch meine Aussage genommen hatten, durfte ich hinauf duschen. Laith wartete unten bei meinen Eltern, bis ich ihn hoch rief. Er war zwar nicht sonderlich begeistert, dass ich wollte, dass er noch hochkam, doch er tat es. Ich kuschelte mich unter meine Bettdecke und genoss die Wärme, die durch meinen Körper schoss dank der herrlich heißen Dusche. Endlich war ich wieder aufgewärmt. Und vor allem frisch angezogen.
„Wie geht es deiner Wange.“ Er streckte die Hand nach meinem Bluterguss aus, doch hielt mitten in der Bewegung inne. Für eine Sekunde zögerte ich, da ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte, doch lies diesen von ihm anfassen, auch wenn es etwas weh, tat. „Gebrochen ist nichts, oder?“
Ich schüttelte lediglich vorsichtig den Kopf. „Nein, sonst würde ich anders reagieren, wenn du darauf greifst.“ Lächelnd ließ er sich auf den Bettrand sinken und senkte den Blick.
„Wie genau hast du mich jetzt eigentlich gefunden. Und...“
„... wieso ich wusste, dass sie dir einen Streich spielen wollen? Ich habe dich ständig gewarnt. Ich... Ich kann einfach nicht verstehen, wieso du mir kein Einziges mal geglaubt hast. Ich habe dir so oft gesagt, dass sie etwas planen.“
Etwas deprimiert ließ ich mich zurück auf meinen Kopfpolster sinken. Er hatte recht. Ich musste ihm mehr glauben. „Kailee. Ich weiß du weißt von... meiner Phobie, aber deshalb bin ich noch lange nicht psychisch behindert oder sonst etwas. Ich denke klarer als den meisten bewusst ist auch,...“
„Du lässt einfach niemanden an dich heran.“ Unterbrach ich ihn. Vielleicht war heute meine einzige Chance, um ihm zu vermitteln, dass ich ihm helfen wollte. „Laith... ich habe dich in den letzten Monaten so oft angesprochen, versucht dich mit den anderen anzufreunden. Und sogar einige Geheimnisse aus dir heraus zu kitzeln. Ich weiß nicht, was ich sonst noch machen soll. Ich will dir ehrlich nichts Böses. Ich will dir nur helfen."
„Ich will aber deine Hilfe nicht. Du hilfst mir alleine schon damit, dass ich in deiner Nähe bleiben darf. Ich weiß... du verstehst nicht, was ich damit meine, aber glaube mir zumindest, wenn ich dir sage, dass ich, seit ich hier bin öfters in der Schule gewesen bin, als mein restliches Leben davor.“ Überrascht riss ich die Augen auf. Er ist so alt wie ich und wir hatten bisher nur drei Monate Schule. Und da war er häufiger... Die Rechnung ging in meinem Kopf nicht wirklich auf. Es müssten ja dann Fehlstunden in seinen Akten stehen, oder... Natürlich, der Heimunterricht.
„Nein, ich habe keine Fehlstunden. Ich halte einfach die vielen Gedanken nicht aus... Sie sind... einfach alle so laut. Aber seid ich hier bin, habe ich in der Nähe der anderen nicht so ein großes Problem.“
In meiner Nähe? „Soll das jetzt etwa ein Liebesgeständnis werden. Wenn ja, dann hast du dir den denkbar schlechtesten Moment ausgesucht.“
Nun blickte er überrascht auf und fing an herzhaft zu lachen. Fasziniert lauschte ich seiner Stimme. Man merkte, dass er nicht viel lachte, und man sah ihm auch an, dass er mein Kommentar ziemlich witzig empfunden hatte. Wie gemein.
„Entschuldige. Aber... Das war gerade eben einfach zu albern. Es tut mir leid, nein so hatte ich das wirklich nicht gemeint. Aber...“ Sein Lächeln erstarb und ich vermisste es bereits wieder. Vorher war mir überhaupt nicht aufgefallen, wie gut er aussah, wenn einmal sein ganzes Gesicht erhellt war. Er wirkt normalerweise immer so... dunkel, abweisend und von allem distanziert, dabei war er eigentlich wirklich hübsch.
„Okay! Bitte! Hör sofort auf das zu denken! Das ist jetzt wirklich peinlich!“
Was? Was meinte er? „Wovon redest du...“
„Ich meine genau das, was ich sage. Kailee.... du glaubst ja... zumindest siehst du gerne das Übernatürliche wie Vampire und den ganzen Blödsinn, oder?“
„Das ist kein Blödsinn! Aber ja...“ Gab ich kleinlaut bei.
„Gut, denn... ich kann nicht sagen, dass meine Familie übernatürlich ist, aber wir sind auch nicht ganz normal. Wir sind... eher außergewöhnlich.“
Nun musste ich mich einfach wieder aufsetzten und ein Lachen unterdrücken. Er machte sich doch gerade über mich lustig, oder?
Lächelnd schlug ich die Bettdecke etwas zurück, um bequemer zu sitzen.
„Nein, das tue ich nicht. Ich meine es ernst, was ich sage.“ Unsicher wie ich jetzt über ihn denken sollte, wandte ich den Blick ab. Er verarscht mich wirklich... dabei reichte die Aktion von heute Abend alleine schon aus, dass ich mich schlecht fühle.
„Kailee... Sieh mich an.“ Er griff nach meinem Kinn und ich blickte ihm das erste mal, seit unserem zufälligen Blickkontakt über den Zaun, bei unserer ersten Begegnung wieder richtig in die Augen. Sie waren blitzblau und schienen direkt in meine Gedanken und Gefühle zu blicken. Ein Schauder zog sich über meinen Rücken. „Ich sage dir das jetzt nur, da ich will, dass du aufhörst mir zu helfen. Aber nur weil du endlich verstehst, dass man mir nicht helfen kann, nicht weil du wütend auf mich bist.“
Nicht wütend! Wenn er nicht wollte, dass ich wütend auf ihn bin, dann sollte er mir gefälligst einfach die Wahrheit sagen. „Dann hör auf mich zu verarschen und sag endlich was für eine Phobie, oder Krankheit, oder sonst was du hast.“
„Das versuche ich ja gerade, aber du überhörst ja immer, was ich sage. Ich dachte gerade du, gerade du! Würdest es mir glauben. Zum Teufel, denk einfach an irgendetwas. An irgendetwas was ich unmöglich wissen kann.“
An etwas denken, was er nicht wissen konnte? Das bedeutete, alles was gewesen ist, bevor er hier her kam, und nichts das meine Eltern wissen konnten und eventuell verraten haben konnten. Nun, ja als würden sie jemals mit ihm sprechen...
Plötzlich kam mir etwas in den Sinn... Als ich dreizehn war, erkannte ich, dass mein Vater eine Affäre mit einer Lehrerin hatte. Als ich dies erfuhr, begann ich mich zu ritzen. Er schwor mir sie zu versetzen und tat dies auch prompt...
„Du hast auf deinem Handgelenk, vier feine Narben. Du hast dich gerizt, als du erfahren hast, dass dein Vater eine Affäre mit einer braunhaarigen Lehrerin gehabt hatte. Sie hieß... Irgendetwas mit -hauer. Er hat sie noch in derselben Woche an eine andere Schule versetzen lassen und ihr habt es niemals deiner Mutter gesagt. Du dachtest, deine Familie würde auseinanderbrechen. Du hattest angst, dass du sie alle verlieren würdest.“
Woher.... Das Bild in meinem Kopf spulte einfach weiter, als wäre ich wieder genau in dieser Situation. Es war unheimlich, doch auch klar und alte Gefühle kamen hoch. Gefühle, die ich bereits vergessen hatte. Mein Unterarm fing wieder an zu schmerzen und Laith griff einfach nach ihm. Er schob meinen Ärmel hoch und strich sanft über die beinahe gänzlich verblassten Narben. Nein, das konnte er nicht wissen. Ich musste es genauer prüfen, denn das war unmöglich. Meine ersten Worte zu Kathi. Ich dachte nicht die Situation, sondern nur an die Worte. „Und du bist sicher mit uns verwandt?“
Mein Blick zuckte von meinem Arm zurück zu seinem Gesicht, das sich längst wieder verfinstert hatte. Doch dieses mal ließ ich es nicht zu. Ich wollte wirklich die Wahrheit wissen. Wie machte er das?
Ich entzog ihm meine Hand und strich ihm seine Haare aus dem Gesicht. Gerade jetzt wollte ich Laith unbedingt in die Augen sehen, wenn er mir nun die Wahrheit sagte. „Du kannst Gedanken lesen?“
„Ja... schon seit ich drei bin. Zumindest stellten es da meine Eltern das erste mal fest. Jeder in meiner Blutlinie hat irgend eine Gabe, doch meine ist bisher die schmerzhafteste.“
„Was... was können dann deine Eltern?“
„Meine Mutter kann Schmerzen von anderen lindern, aber nur, wenn sie diese Berührt. Deshalb ist sie Krankenschwester. Mein Vater ist nicht aus dieser Erblinie, er ist >normal<.“
„Und... und die davor. Hast du andere...“ Er schüttelte den Kopf, noch bevor ich meine Frage beendet hatte.
„Mein Großvater kann Telekinese und mein Großonkel konnte die Luft um sich herum manipulieren. Jeder in dieser Linie konnte so etwas. Jedoch entschied meine Mutter, kein Kind zu bekommen. Sie wollte dieses Erbe nicht weiter führen.“
„Bis sie deinen Vater traf?“ Fragte ich und dachte dabei an eine romantische Story.
„Nein! So war es nun auch nicht. Mein Vater ist Sozialarbeiter damals gewesen. Sie hatten sich zufällig kennen gelernt, hatten einen One-Night-Stand und trafen sich wenige Monate wieder. Ihre Wege kreuzten sich ständig und er erkannte, dass ich sein Sohn war. Sie ließen einen Test machen, auch wenn meine Mutter wusste, dass ich seines bin. Er wechselte seinen Namen, seinen Beruf und lief mit ihr gemeinsam weg. Sie wollten mich weit weg von meinen Vorfahren aufziehen, da meine Gabe... Ich hätte leicht ausgenutzt werden können.“
Das konnte ich nur zu gut verstehen und nickte, doch musste trotzdem lächeln. Also war es doch etwas romantisch.
„Das ist nicht romantisch, das ist einfach nur dumm.“ Bemerkte er etwas angespannt und ich ließ endlich sein Gesicht wieder los. Sofort richtete er seine Haare, sodass sein Gesicht wieder hinter einem dunklen Schatten verschwand. „Und... was meinst du jetzt damit, dass du dich in meiner Nähe wohl fühlst... oder, ich weiß nicht, was du damit vorher meintest?“ Sein Blick glitt aus dem Fenster und ich folgte ihm.
„Das... ist kompliziert. Ich sollte außerdem heim, meine Mutter ruft nach mir. Sie will wissen, wieso die Polizei hier war.“
„Was! Selbst über diese Entfernung kannst du sie hören?“ Ein leichtes Lächeln zog sich wieder über seine Lippen, doch so dass ich es sehen konnte. „Du würdest dich wundern, was ich alles so höre. Den Rest können wir auch wann anders besprechen. Ich bin sicher, du willst zuerst noch etwas nachdenken.“ Laith stand auf, ohne auf eine Antwort zu warten, doch ich sprang beinahe aus dem Bett und erwischte noch seinen kleinen Finger, an dem ich ihn wieder zurückzog. „Warte! Nein, ich habe...“
Laith kam ins Straucheln und fiel über sein Bein, da ich ihn etwas zu stark gezogen hatte. Von einer Sekunde auf die andere, war er neben meinem Bett auf den Knien und ich stütze mich an seiner Schulter etwas über ihn. So nahe wie wir uns nun waren, konnte ich spüren wie sein überrascht, ausgestoßener Atem über meinen Hals strich und meine Stirn lag an seiner. So nahe! Kam es mir durch den Sinn und er sah genauso aus, als würde er sich dasselbe denken.
Konnte das alles wahr sein? Hatte er die letzten Monate auch meine Gedanken gelesen? Wieso hat er es mir nicht früher gesagt? Wieso... wieso hat er die Typen nicht davon abgehalten mir etwas anzutun? Er hätte so viele Chancen gehabt, mir alles zu erzählen. Als ich mich nicht zurückzog, sondern ihm nur weiterhin in die Augen blickte und mir tausend Fragen durch den Kopf schossen, die ich ihm am liebsten alle auf einmal fragen wollte, wandte er den Blick ab und ich erkannte, dass es ihm peinlich war. Bei jedem mal, wenn ich aus atmete, bewegten sich leicht seine Haare und ich musste daran denken, was für einen Eindruck er noch vor ein paar Minuten auf mich gemacht hatte, als ich sein Gesicht das erste mal seit Monaten wieder im vollen Schein eines Lichtes gesehen hatte.
„Kann ich jetzt wieder aufstehen, oder willst du mich noch länger nur anstarren.“ Und da war er wieder. Der unerreichbare Junge, der jeden von sich stieß. Anstatt einer Antwort, ließ ich mich einfach vom Bett neben ihn auf den Boden gleiten und legte meine Stirn auf seine Schulter, so wie er es vor wenigen Monaten im Schulhof bei mir gemacht hatte. „Gib mir nur eine Minute, um einen klaren Kopf zu bekommen.“ Laith sagte nichts, sondern strich mir nur sanft, beinahe beiläufig über den Kopf.
Ja... Laith war definitiv der Typ Junge, der viel mehr Fragen aufwarf, als beantwortete. Ich hörte ihn belustigt die Luft ausstoßen, doch wagte es nicht aufzusehen. Alleine das er hierblieb und geduldig wartete, bis ich mich zurück ins Bett legte, reichte mir schon.
- - - - -
„Wie fühlst du dich heute Liebling?“ Gähnend zuckte ich mit den Schultern. Wie sollte es mir schon gehen? Nach dieser unglaublich aufwühlenden Nacht und den vielen Geständnissen, hatte ich die nächsten Jahre genug von sämtlichen Konversationen.
„Besser. Stört es dich, wenn ich mich etwas zum Nachdenken hinaus setze?“ Fragte ich meine Mutter, die überrascht zu meinem Vater blickte und mir lediglich riet, mich warm anzuziehen. Ihr zuliebe zog ich mir noch eine Weste über und setzte mich hinaus in den Garten. Fragend kuschelte ich mich in den Gartenstuhl. Ob Laith bereits wach war? Ob er überhaupt schlief, wenn er ständig irgendwelche Gedanken im Kopf hatte, oder konnte er sie auch ausblenden?
Mein Handy piepste und ich blickte irritiert darauf. Eine unbekannte Nummer.
>Lass mich schlafen, Nervensäge< Kein Name und kein Anzeichen dafür, wer es geschrieben haben könnte. Jedoch wusste ich es sofort, als ich hinauf zu dem Fenster unserer Nachbarn blickte, in dem ich Laiths Zimmer vermutet. Er winkte verschlafen hinunter und entlockte mir dabei ein amüsiertes Lächeln. Kannst du meine Gedanken immer hören, auch wenn sie nicht an dich gerichtet sind? Mein Handy läutete erneut. >Ja. Besonders deine. Weiß nicht wieso.<
Grinsend packte ich mein Handy ein und lief wieder zurück ins Haus, hinauf in mein Zimmer. Laith schrieb genauso, wie er antwortete, wenn er einmal antwortete. Kurz und knapp. Und wenn ich in meinem Zimmer bin?
>Gedämpft. Wenn dein Fenster gekippt ist, so wie meines, dann höre ich deine Gedanken, als würdest du neben mir sitzen und dich mit mir unterhalten.<
Überrascht blickte ich aus dem Fenster und staunte nicht schlecht. Selbst von hier konnte er meine Gedanken hören. Das muss doch fürchterlich stören.
>Ja, es nervt, besonders da ich dich einfach nicht ausblenden kann. Jetzt lass mich schlafen. Geh irgendwo hin.<
Ich erkannte aus dieser Entfernung, wie er sich vor dem Fenster müde die Augen rieb und den Vorhang zu zog, wie als würde das seine Worte noch unterstreichen. Erstaunt blickte ich noch eine weile seinen Vorhang an, bis ich mich dazu entschloss tatsächlich etwas aus zu gehen. Vermutlich würde es mir guttun, etwas Abstand zu allem zu bekommen. Vielleicht wenn ich dieses Wochenende zu meinen Großeltern fuhr? Meine Mutter würde nach dieser Woche bestimmt zustimmen. Gerade als ich hinunter laufen wollte um meine Eltern zu frage, läutete mein Handy wie verrückt. Wieder die Nummer von der aus mir Laith geschrieben hatte. Ich nahm ab und hielt mein Handy sofort einige Zentimeter von mir weg.
„Wieso willst du mich schon in aller Früh quälen? Weißt du eigentlich, wie du nerven kannst?“ Es war definitiv Laiths Stimme, doch er schrie so laut, dass mein Trommelfell dabei unangenehm zog.
„Moment... Was? Wovon sprichst du?“
„Davon, dass du wegfahren willst. Ich meinte nur, dass du für eine Stunde spazieren gehst, und nicht dass du mich gleich ein ganzes Wochenende wieder den unglaublich dummen Gedanken der verdammten Leute um mich herum aussetzte.“ Eigentlich verstand ich absolut nicht, was er damit meinte, oder inwiefern mich das jetzt plötzlich betraf.
„Wovon redest du? Ich dachte nur, da...“
„Ja, ich weiß, was du dachtest, aber bitte....“ Er schwieg, doch auch ohne dass er weiter sprach, wusste ich, was er sagen wollte. Ich sollte hierbleiben. Bei ihm. Okay... in welcher Schnulze bin ich jetzt gelandet?
„Kailee... ich sagte doch schon, dass ich das so nicht meine... Treffen wir uns beim Zaun in zehn Minuten, sonst bekomme ich noch so einen Hals.“ Vermutlich deutete er gerade, was er meinte, doch über das Telefon konnte ich es nicht erkennen.
Ich versprach dort zu sein und ging jedoch gleich hinaus, ohne noch einmal nach oben zu gehen, und meine Weste zu holen. Über den Gartenstuhl kletterte ich auf die Mauer und legte mich hin, bis Laith kam. Er kletterte einfach, ohne Stuhl hoch und setzte sich neben meinen Kopf.
„Hi.“ Flüsterte ich, unsicher ob ich überhaupt jemals wieder mit ihm sprechen sollte, da er ja so wie so hörte, was ich dachte.
„Hi.“ Gab er kleinlaut zurück. War er etwa unsicher?
„Wie viele wissen eigentlich von deiner Gabe?“
„Meine Eltern und jetzt du.“
„Bin ich die Erste, abgesehen von deinen Eltern, denen du es erzählt hast?“ Als ich meinen Kopf etwas drehte um ihn zu sehen, erkannte ich dass ich von dieser Position aus, ausnahmsweise einmal einen guten Blick auf sein Gesicht hatte und musste darüber grinsen. Er schnaubte genervt und drehte den Kopf weg.
„Ja bist du und hör auf mich ständig anzustarren, wie einen Affen im Käfig.“ Ein Affe im Käfig? So würde ich ihn nicht gerade sehen.
„Entschuldige. Ich weiß nur nicht... was ich jetzt über dich denken soll. Bevor du mir gesagt hast, was du kannst, habe ich dich einfach immer als einen Jungen mit einer seltsamen Phobie angesehen.“
Er lächelte und blickte zu mir hinunter. „Wohl eher als seltsamen Jungen mit einer Phobie.“ Ich lächelte zurück und blickte wieder hinauf in den Wipfel der Bäume, die immer noch nicht alle ab gefallen waren. Der richtige Winter hatte es dieses Jahr nicht gerade eilig und darüber war ich mehr als erleichtert.
„Ja, vielleicht. Aber jetzt...“
„Findest du mich einfach nur mehr seltsam.“ Mein Blick zuckte etwas verärgert zu ihm zurück.
Ich hasste es wenn mir jemand unterstellte, ungut über jemanden zu denken. „Nein! Ich finde dich nicht seltsam, sondern einzigartig. Ich wünschte, ich hätte auch so eine Gabe.“
„Nein, das würdest du dir nicht wünschen, wenn du wüsstest, wie es damit ist.“ Laith wurde abermals wütend. „Du bist immer ein Außenseiter. Egal was für eine Fähigkeit du hast. Du bist und wirst immer anders sein.“ Ich erkannte die Traurigkeit, die dahinter steckte und empfand Mitleid mit ihm. Er muss schon so unglaublich viel mitgemacht haben.
„Laith...“
„Vergiss es einfach. Mitleid ist das letzte, das mir weiter hilft. Kailee, ich kann nichts tun, als dich noch einmal daran zu erinnern, dass ich nicht möchte, dass du mir hilfst. Ich habe dir das nur erzählt, damit du endlich aufhörst dir ständig Gedanken über mi... meine Situation zu machen.“
Jetzt war ich aber verwirrt... Vorhin sagte er noch etwas anderes. Ich setzte mich auf und drehte mich so, dass ich erkennen konnte, ob er log oder nicht. „Aber... Vorhin habe ich darüber nachgedacht, dass ich dieses Wochenende zu meinen Großeltern fahre, damit ich etwas auf andere Gedanken komme. Jedoch hast du mich sofort angeschrien und gesagt, dass...“
„Ja ich erinnre mich, was ich gesagt habe.“ Als er nicht weiter sprach, stieß ich ihn auffordernd an der Schulter an, damit er endlich mit dem letzten Detail heraus rückte.
„Jetzt komm schon. Jetzt wo du mir bereits gesagt hast, was du kannst, kannst du mir ja den Rest auch noch erzählen.“ Laith seufzte schwer, doch gab klein bei. Er wusste, dass ich nicht so schnell aufgeben würde. Lächelnd legte ich den Kopf schräg und wartete, dass er mir alles erzählte. „Du nervst... Gut, es ist so, dass ich, wenn sich die Leute mit mir in einem Raum befinden, ich ihre Gedanken hören kann, als würden sie sie direkt neben mir laut aussprechen. Befinden sie sich in einem anderem Raum, werden sie immer leiser. Jedoch, bei dir ist es ganz anders. Du scheinst... alle meine Sinne anzuziehen. Also... Lach nicht... ich... Kailee!“ Ich musste loslachen, da es für mich unglaublich lächerlich klang. Zumindest so wie er es sagte. Wären wir in einem meiner Vampirfilme, dann wäre das vermutlich der Moment wo sich die beiden Hauptcharaktere ihre Liebe gestehen.
„Hör auf, an so einen Unsinn zu denken. Das ist das Letzte, dass ich jemals in meinem Leben machen würde. Nicht einmal wenn wir beide die letzten verblieben Menschen auf der Erde wären.“
Immer noch grinsend tat ich so, als hätte mich dies zutiefst getroffen. „Tz, so etwas von eingebildet junger Mann. Das hat doch glatt meine Gefühle verletzt.“
Er stieß nun mich hinein, sodass ich beinahe von der Mauer fiel, doch es brachte mich nur dazu, noch weiter zu lachen. „Komm, schon. Sag mir jetzt endlich, was es damit auf sich hat.“
Laith wandte beleidigt den Kopf ab. „Komm schon, bitte. Sonst nerve ich dich ewig damit, dass ich deine einzig wahre, große Liebe bin.“ Nun sah er mich wieder, an und verzog das Gesicht.
„Ja, gut. Aber wehe dieser dumme Gedanken setzt sich in dir fest, dann...“ Er dachte für einige Sekunden nach, doch wandte dann wieder den Kopf ab, so als wolle er etwas überspielen, weil er es nicht konnte.
„Laith.“
„Okay... Also, du kennst ja das Gefühl, wenn viele im selben Raum mit dir sind und sich unterhalten. Dann setzt du dir Kopfhörer auf und drehst die Musik auf. Alle Gespräche um dich herum sind dann leise, und du bekommst sie über den Ton der Musik kaum mit. Ungefähr so ist es, wenn du in meiner Nähe bist. Und... wenn ich dich berühre, dann höre ich niemanden anderen. Das Einzige was ich höre, sind deine Gedanken und meine eigenen. Und normalerweise höre ich meine eigenen Gedanken nur, wenn ich mich weitab von allen Dörfern befinde.“
Einerseits war ich fasziniert, anderseits machte es mir angst. Er konnte meine Gedanken wirklich die ganze Zeit hören? Ich war so etwas... wie ein Kanal für ihn, wodurch er alles ausblenden konnte.
Ein Frösteln zog sich über meinen Rücken und ich zog die Beine an, um mich etwas selbst zu wärmen. „Ich habe dir jetzt Angst gemacht.“ Es war keine Frage, denn er kannte die Antwort selbst, daher schwieg ich weiterhin. „Ich kann nicht sagen, ob es gut ist, dass ich nur deine Gedanken so stark empfange, denn es macht mir selbst Angst. Ich wollte... Ich wollte nur, dass du verstehst, wieso ich in deiner Nähe sein möchte. Ich kann aber auch verstehen, wenn es dir zu unangenehm ist. Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich mich selbst wegschicken.“
Erschrocken blickte ich zu ihm auf. Ja, ich hatte Angst, aber noch mehr Angst hatte ich davor, dass er deshalb wegginge. „Nein! Ich möchte nicht das du weggehst. Ich... Ich kann noch nicht verstehen... oder eher nachvollziehen, was du durch machst, aber ich will auch nicht, dass du jetzt so plötzlich verschwindest.“
Laith sah mich völlig verständnislos an, und genauso fragte ich mich selbst gerade, wieso ich so empfand. Betreten blickte ich zu Boden. Er hörte, was ich dachte, daher musste ich ihm nicht erklären, dass ich selbst nicht verstand, wieso ich so reagiere. Es war seltsam, neben einem Jungen wie ihm zu sitzen, in dem wissen, dass er meine tiefsten Gedanken hörte, das wahrnahm, was ich wahrnahm. „Kannst du auch... sehen was ich sehe?“
Er schüttelte den Kopf. „Zum Glück nicht. Jedoch auch nicht fühlen, was du fühlst, keine Sorge. Ich kann nur das hören, was du denkst, oder überlegst. Bilder und Gefühle nehme ich nicht wahr.“
Nun, wenigstens dies war ein Trost. Nicht nur, dass ich mir jetzt beim Baden und duschen in Zukunft keine Gedanken machen brauchte, sondern auch für ihn musste es doch unglaublich anstrengend sein. Alleine die Gedanken von anderen zu hören, jedoch dann auch noch das zu empfinden was sie empfanden, würde ihn vermutlich vollkommen aus der Bahn werfen.
„Das hat meine Mutter auch gesagt. Wenn ich nachts wach lag und weinte, weil ich wieder etwas Grauenhaftes gesehen habe, oder etwas nicht Verstand, dann sagte sie immer, dass es noch schlimmer hätte kommen können. Ich sollte froh sein, dass ich nur Gedanken höre und nicht auch noch die Emotionen der anderen wahrnehme.“
Nun, ja das eine war ja bereits ohne das andere schlimm genug. „Und... hast du schon einmal versucht, alle auszublenden, oder nur Einzelne?“
„Ja, aber es funktioniert nicht. Meine Eltern kann ich mittlerweile ausblenden, jedoch hat es Jahre gedauert, bis ich das konnte. Heute gehe ich an ihnen vorbei und bemerke nicht einmal mehr, wenn sie versuchen, mir positive Gedanken zu übermitteln.“
„Wieso nicht? Es ist doch schön, zu wissen, das beide sich so sorgen um dich machen und hinter dir stehen.“ Laith wandte den Blick wieder ab.
Oder nicht? War es etwa nicht schön für ihn.
„Du verstehst es nur nicht, das ist alles.“ Das war es? Das ist alles, was er dazu zu sagen hatte?
„Einen Penny für deine Gedanken, wie man so schön sagt.“ Gab ich etwas murrend von mir, doch anstatt eines Genervten seufzen, hörte ich ein Lachen.
„In meinem Fall wäre es doch wohl eher umgekehrt, oder?“ Nickend stimmte ich ihm zu. Ja. Es war seine Last, die er trug. Sie ging mich nicht direkt etwas an. Er stöberte ja auch nicht mit Absicht in meinem Kopf herum. Es war einfach so, dass er es hörte, aber nicht darauf anlegte.
„Also...“ Begann ich um uns beide auf andere Gedanken zu bringen. „... wenn du mich immer hören kannst... dann könnte ich doch in der Schule im Unterricht mit dir schummeln?“
Lächelnd nickte er. „Wohl, oder übel, ja. Dafür müsstest du aber auch meine Gedanken lesen können.“ Stimmt... das war wohl doch eher einseitig.
„Und wenn ich einmal Schoppen gehe und deine Meinung möchte, wirst du mir dann per Nachricht schreiben, wie du die Klamotten findest?“
Laith legte den Kopf schräg und seufzte nun doch genervt. „Als ob ich das machen würde. Außerdem kann ich ja nicht sehen, was genau du gerade an hast, woher soll ich dann wissen, ob es dir steht?“
„Ich könnte es beschreiben.“ Nervte ich ihn weiter.
„Ich würde dich im Schlaf ersticken.“ Gab er missmutig zurück, doch ich ließ mich davon nicht unter kriegen. Er meinte es ja nicht böse, das verstand ich.
„Gut... wenn du so unpraktisch für mich bist, dann wäre unsere Freundschaft schon etwas einseitig.“ Überrascht blickte ich zu ihm auf, als er sich versteifte und mich ansah, als hätte ich ihn gerade um seine Hand gefragt, jedoch war er eher negativ darauf zu sprechen.
„Entschuldige... ich... Was... Kailee, ich verstehe dich nicht und das, obwohl ich deine Gedanken ganz klar hören kann. Wieso denkst du, sind wir Freunde?“ Ich fühlte plötzlich Blut in meinen Kopf steigen und schämte mich, ihn einen Freund genannt zu haben. War es, denn etwa so schlimm für ihn mit mir befreundet zu sein?
„Ich dachte nur... weil wir immer zusammen herum hängen. Du hast mir auch geholfen, bei Daniel. Du hast mich gewarnt und... wir stehen uns ja auch irgendwie nahe... Daher, nahm ich an, dass wir zumindest Freunde wären.“
Laith gab einen belustigten Laut von sich. „Also wenn du mich als so einen Freund bezeichnest, wie die die ständig hinter dir reden, jedoch weiterhin mit dir herum hängen um dir sämtliche Schuld in die Schuhe zu schieben, dann nein danke. Dann möchte ich bestimmt nicht zu deinen Freunden zählen.“ Meine Freunde... Stimmt. Sie waren es, die das über Daniel gesagt haben. Sie waren es auch die mich, als alleinigen Sündenbock stehen ließen. Sie waren diejenigen, die mich jeden Tag ausnutzten, mich anschnorrten, oder für etwas einteilten, was ich nicht wollte. Aber Laith... er war kein einziges Mal so. Er hat mich gewarnt und beschützt. Ich bin auch eigentlich diejenige, die ihm immer hinterherläuft. Er sagt mir, dass ich ihn nerve und dass er nichts wissen möchte. Er hat mich eigentlich schon von Anfang an von sich gestoßen, obwohl er doch in meiner Nähe sein wollte um den Druck der anderen auszuweichen. Vielleicht, wenn ich... Was denke ich denn da überhaupt.
„Wie weit reicht deine Fähigkeit?“
„Was?“
„Wie weit muss ich von dir weggehen, um alleine mit meinen Gedanken zu seinß“
Laith dachte darüber nach. „Wenn du dich auf den Spielplatz setzt, ist alles wieder um mich herum laut. Also schätze ich so auf... Kailee?“
- - - - -
Ich sprang von der Mauer und lief, so schnell ich konnte. Meine treuen Beine trugen mich in Rekordgeschwindigkeit quer durch den Garten, hinaus auf die Straße, die Gasse hinab, bis zur Hauptstraße. Ich hielt mich an ihr, bis ich sie überqueren musste, und lief hinab zu den Feldern. Mit der Abkürzung über den Wald wäre ich vermutlich schneller gewesen, doch mir war danach unter vielen anderen Leuten zu sein. Ich wollte zwar alleine mit meinen Gedanken sein, doch nicht ausgeschlossen von den anderen.
Ich weiß einfach nicht, ob ich das kann. Laith ständig in meinem Kopf zu haben ängstigte mich, jedoch war er wohl der Einzige, der mich wirklich richtig kannte. Verstand wieso ich das tat was ich tat. Ich konnte doch nicht einfach so alles hinter mir lassen. Nur weil mir ein paar Jungs einen Streich gespielt haben, heißt das noch lange nicht, dass alle so waren. Es war doch nur >sein< Wort. Daniel sagte, dass sie so über mich dachten.
Aber sie sind meine Freunde. Welche Freunde würden denn so etwas jemanden antun? Sich hinter meinem Rücken über mich lustig machen...
So waren sie nicht. Niemand von ihnen. Niemals! Niemals hätte ich gedacht, alleine bei diesen Gedanken solche Schmerzen zu bekommen.
Mein Atem ging stoßweise und meine Lungen brannten. Konnte es denn sein, dass die letzten fünf Jahre meines Lebens einfach eine Lüge war? Dass ich einfach blind gewesen bin, weil ich in die Fußstapfen meiner Familie treten wollte?
Aber was war mit Laith? Wo stand er bei alldem? Ist er vielleicht einfach nur ein perverser, der sich einen Spaß erlaubte und mir falsche Gedanken in den Kopf setzte?
Laith...
Die letzten Meter zum Fußballfeld ging ich gemächlich hinab. Unten spielten einige Jungs zum Spaß gegeneinander. Einige waren aus unserer Kleinstadt, jedoch nicht alle von ihnen. Ich erkannte auch >ihn< wieder. Daniel war Stürmer und preschte an allen vorbei, als würde das Feld ihm alleine gehören. Jedoch verfehlte er.
Dicke Tränen liefen meine Wangen hinab, während ich aus der Ferne zu sah, wie sich die Jungs gegenseitig ausspielten und tricksten. Sie lachten miteinander und zogen sich gegenseitig auf. Sie ließen Dampf ab.
Schniefend blickte ich hinauf zum immer dunkler werdenden Himmel. Bald würde es regnen. Bald würde ich nach Hause müssen, in meine eigene persönliche kleine Hölle.
Die ersten Tropfen fielen und die Jungs packten zusammen. Sie sahen mich nicht, als sie in die Gegengesetze Richtung zurück in die Kleinstadt gingen. Sie bemerkten auch nicht, wie sich meine Tränen mit den immer größer werdenden Tropfen vermischte. Niemand bemerkte mich, wenn ich alleine war. Nicht einmal Daniel hatte mich bemerkt, bevor Iris ihn auf mich aufmerksam machte. Seine Freunde ebenfalls nicht, bis er mich direkt vor sich schob und sagte, dass wir aus gingen.
Die Kellner, wenn wir trinken waren, fragten mich immer als letztes, wenn wir bestellten. Manchmal vergaßen sie auch, mir meine Rechnung zu geben, damit ich zahlen konnte. War ich alleine, musste ich drei mal rufen, um bestellen zu können. Die einzigen die mich bemerkten, waren meine Eltern. Sie waren immer da und achteten auf mich. Achteten darauf, wie ich mich kleidete, wie ich mich verhielt, jedoch konnten sie kein Auge auf mich werfen, wenn ich in der Schule war.
Dort war ich hoffnungslos unscheinbar, wenn ich dies wollte. Bei den Klassensprecher Wahlen, bemerkten sie meine erhobene Hand überhaupt nicht. Wenn ich ein Buch verlor, fragten sie, wem es gehöre und brachten es dem Lehrer, da sie niemand meldete. Sie kannten nur Candy. Für alle war ich einfach nur die süße nette Person, die da war, wenn sie etwas brauchten.
Da verstand ich nun das erste Mal, dass ich überhaupt keine >Freunde< besaß.
„Kailee... es regnet schon seit einer halben Stunde! Du hast kaum etwas an.“ Ein roter Regenschirm erschien über mir und dunkle Haare kitzelten mich im Gesicht, als sich jemand über mich beugte um mir eine Jacke über zu ziehen. „Komm schon, du holst dir noch eine Erkältung.“ Und Hände, die mich bereits einmal gehalten hatten, lagen nun auf meinen Oberarmen und rieben sie, damit sie wieder warm wurden. Er hatte ja so recht gehabt und dafür machte ich ihm auch noch Vorwürfe...
„Du hast recht. Ich... Ich bin total falsch. Es können ja nicht nur die Leute um mich herum sein. Ich habe ja ebenfalls schuld. Aber... wieso können alle anderen Freunde haben... Wieso ich nicht?“
„Kailee! Jetzt mach dir doch nicht so einen Kopf darum. Ich hatte noch nie einen Freund oder eine Freundin. Das wird so wie so überbewertet. Du siehst ja, wie stressig das alles ist. Wenn du wirklich etwas ändern willst, dann bitte mach das, wenn du trocken zuhause bist und im Warmen sitzt.“
„Ich bin mitten am Feld gestanden. Zumindest einer hätte mich im Augenwinkel erkennen müssen. Irgendjemand...“ Mit Tränen erfüllten Augen blickte ich zu ihm auf. Seufzend gab er auf und hob den Regenschirm auf, den er fallen gelassen hatte. Nun traf mich kein einziger Tropfen mehr, auch wenn es so wie so schon zu spät war, da ich triefend nass war.
Laith legte seine freie Hand, die unglaublich warm zu sein schien, auf meine Wange, sodass ich ihn genau in die Augen sehen musste. „Kailee, sieh mich an. Nicht jeder Mensch kann im Mittelpunkt stehen. Nicht jeder Mensch kann so sein wie der andere, was auch gut so ist. Würde es ständig nur eine Sorte Mensch geben, würden wir uns vermutlich noch schneller gegenseitig umbringen. Das hätte überhaupt keinen Sinn. Außerdem, wenn sie dich nicht so akzeptieren, wie du wirklich bist, dann sind sie es so wie so nicht wert, dass du sie als Freunde bezeichnest.“
Das bedeutete dann also dass ich absolut keine Freunde jetzt mehr hatte... Aber was soll ich dann tun, wenn niemand mit mir redete, oder... „He, das bedeutete jetzt nicht das du von heute auf morgen den Kontakt zu ihnen abbrichst. Rede mit ihnen, verhalte dich normal, als wäre nichts geschehen, und finde von dir aus heraus, wie sie zu dir stehen.“
„Ach... jetzt soll ich ihnen eine Freundschaft vor spielen, aber dann wäre ich ja überhaupt nicht besser als sie.“
Laith schnaubte abfällig, doch legte seine Stirn gegen meine. Ob er wieder in mich hinein hörte? Alles ausblendete, was die anderen in ihren Häusern dachten?„So weit funktioniert meine Gabe nicht. Höchstens zweihundert Meter. Außerdem, du kannst ihnen ja sagen, dass ich ihre Gedanken die letzten Monate gehört habe und dir alles erzählt habe. Jedoch komme ich dich sicher nicht in einer Irrenanstalt Besuchen.“ Der Gedanke daran, wie wohl die andern mich dann wahrnehmen würden, brachte mich zu lachen.
Ja, wenn ich das sagen würde, würden sie mich bestimmt alle bemerken. „Gut, dann werde ich am Montag sehen, wie sie sich verhalten und wenn es mir nicht passt, dann werde ich ihnen den Rücken kehren.“
Laith nickte zufrieden und wollte gerade aufstehen und mich mit sich ziehen, doch ich zog ihn wieder auf die Knie und fixierte ihn mit meinem Blick. „Aber nur unter einer Bedingung.“ Ich konnte es nicht laut aussprechen, da es mir peinlich war, so an ihm zu hängen, doch er wusste bereits, was ich wollte.
„Ja, ich verspreche, dass ich da sein werde und dich unterstütze. Solange ich weiterhin in deiner Nähe bleiben kann und etwas von den Gedanken der anderen abgeschottet bin, bin ich für beinahe alles zu haben.“
Lächelnd war nun ich, diejenige die aufstand und ihn hochzog. „Dann gehen wir wohl einmal heim.“
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Unter dem Regenschirm gingen wir nebeneinander her und hingen unseren eigenen Gedanken nach. Obwohl ich mir nicht sicher war, ob er nicht auch etwas meinen lauschte. Erst als wir an einigen Gasthäusern vorbei kamen, die Laith umgehen wollte, redeten wir wieder. „Sie sind viel zu laut. Ich ertrag das heute nicht mehr. Gehen wir über die kleineren Gassen hinten.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, es wird schon gehen, komm.“ Ich verschränkte meine Finger mit seinen und lehnte meinen Kopf an seine Schulter.
„Du weißt schon, dass wenn uns jemand sieht, er das falsch verstehen wird?“ Ja, für andere sahen wir aus wie ein Pärchen, dass sich gerade wieder versöhnt hatte.
Doch das war mir egal. Ich wollte schnell heim und Laith war ebenfalls fürchterlich müde, das sah man ihm an. „Ist egal. Wir klären dass einfach an einem anderen Tag. Die Menschen hier glauben ja ohnehin nur das, was sie glauben wollen.“ Kopfschüttelnd gab er nach und gähnte ausgiebig. „Ja, du hast recht. Ich mache das an einem anderen Tag.“
„Was machst du?“ Fragte ich, während wir an dem ersten Gasthaus vorbei gingen und die Stimmen darin laut lachten. „Ihre Gedanken beeinflussen.“ Gab er zu.
Überrascht blickte ich ihn an und kam dabei ins Stolpern. „Was? Das kannst du?“
Er nickte sichtlich genervt, dass ich schon wieder begann ihn mit Fragen zu quälen. „Ja, offensichtlich kann ich das.“
„Hast du mich auch schon einmal beeinflusst.“ Fragte ich neugierig geworden. Das war doch total cool. Jedem das tun lassen können, was man wollte. Zumindest wenn man jemanden einen Streich spielen möchte, war es lustig. Oder eine bessere Note... Wie gemein!
Sofort wurde ich neidisch, doch Laith antwortete nicht auf meine Frage. „Also hast du! Wann?“
„Was? Nein, ich kann dich nicht beeinflussen. Ich habe es zwar versucht, schon seit du mich das Erste mal gesehen hast, da du mich fürchterlich nervst, doch es funktioniert aus irgendeinem Grund nicht. Und je öfter ich es an dir versuche umso unbrauchbarer wird diese Fähigkeit.“
„Das bedeutet, du kannst niemanden mehr beeinflussen?“ Ich wollte ihn lediglich weiter nerven.
„Nein! Sie funktioniert, ohne Probleme. Nur... Als ich sie das Erste mal an dir anwendete, schien es ein bisschen zu wirken, doch du hast dich relativ schnell davon gelöst. Ich habe dir auch öfters den Willen gesandt, mich nicht mit Fragen zu löchern, doch jedes mal hielt die Wirkung kürzer an, bis hin zu heute, da hast du nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendet einfach mitzukommen.“ Langsam wurde es wieder unheimlich.
Also habe ich so etwas wie eine Immunität dagegen entwickelt. Nur wieso? „Denkst du, meine Familie führt entfernt auf deine zurück, denn das würde erklären, wieso deine Fähigkeit so anders auf mich reagiert.“
Laith schüttelte den Kopf. „Nein, unsere Ahnenreihe ist von Beginn an aufgezeichnet. Jedes Kind, das jemals geboren wurde, ist aufgezeichnet und dessen Fähigkeit.“
„Aber... wenn deine Eltern dich verstecken, dann...“
„Meine, mehr oder weniger Verwandten wissen dass ich existiere, doch kennen meine Fähigkeit nicht, wie ich aussehe oder welches Geschlecht ich habe. Es ist zu meiner Sicherheit.“
Seiner Sicherheit? Das klang, als kämen seine Eltern aus einer Schwerverbrecherfamilie. „So in etwa. Mit Macht kommt immer die Gier neben her. Nicht jeder in meiner Familie... ist so wie meine Mutter. Sie ist gütig und liebevoll. Sie sorgt sich mehr um andere, als um sich selbst. Ihr Vater ist wiederum anders. Mit seiner Macht, beeinflusst er andere, macht ihnen Angst und erpresst sie. Natürlich leben auch welche aus meiner Familie friedlich unter anderen Menschen, doch... es ist einfach eine komplizierte Familie.“ Gab er Schluss endlich auf zu erklären, doch ich verstand, was er meinte.
Die einen nutzen ihre Macht aus, die anderen lebten wie gewöhnliche Menschen einfach weiter, ohne auffallen zu wollen. „Wie viele von deiner Familie gibt es denn noch?“
Laith hob fragend die Schultern. „Ich weiß nicht. Wir besitzen eine Familiendatenbank, auf die jeder zugreifen kann, wenn wir es brauchen, doch wir haben sie bisher niemals benutzt, um nicht auf uns aufmerksam zu machen. Ich denke es werden... ein Dutzend sein, vielleicht mehr.“ Das war überraschend wenig.
„Und haben alle so komplizierte Gaben?“ Betroffen schüttelte den Kopf. „Nicht das ich wüsste. Die Gabe meiner Mutter kennst du ja, meine ist eher... kontraproduktiv. Geschäftlich wäre ich vermutlich unglaublich nützlich. Mein Großvater, beherrscht Telekinese und kann sogar einen Lastwagen anheben.“ Erstaunt klappte mir der Mund auf. Das war echt cool! Jedoch nicht in der Hand eines Menschen, der das so ausnutzte. Doch wer war ich schon, der entscheiden durfte, was ein einzelner Mensch mit seinen Fähigkeiten anstellte. „Sein Bruder hatte ebenfalls eine starke Gabe. Dann gab es da noch Irimir. Meine Cousine. Sie hatte, konnte die Sprache der Tiere mit Leichtigkeit verstehen. Das war fürchterlich für sie. Sie stürzte sich in den Tod.“ Nachdenklich legte Laith die Stirn in Falten. „Hm... rückblickend betrachtend, merke ich erst jetzt, wie viele sich in meiner Familie umgebracht haben.“
Selbstmord ist wohl so etwas wie ein Familienerbe. Scherzte ich innerlich, doch bekam einen vorwurfsvollen Blick von Laith. „Entschuldige, das war unhöflich.“ Nein, das einzige Gen, welches wirklich in seiner Familie ist, war jenes, das sie alle so einzigartig machte und von der Masse spektakulär hervorhob. Jedoch offensichtlich nicht zum Gunsten des Einzelnen. Vermutlich war es, sogar sicher in seiner Familie eine eher passive Gabe zu besitzen.
Schlussendlich empfand ich diese Überlegung sogar eher als traurig, als aufmunternd...
„Meine Gabe ist aber auch passiv. Sie nützt mir absolut nichts im Kampf.“
Ich hob meinen freien linken Arm, als ob ich etwas wichtiges zu sagen hätte „Vielleicht nicht in einem körperlichen Kampf, doch in einem Wortgefecht kannst du niemals den kürzeren ziehen.“
Die Augen verdrehend blickte Laith auf und deutete vor uns. „Deine Eltern machen sich bereits sorgen. Sie warten beim Hintereingang, damit sie sofort sehen, wenn ich heimkomme.“
Überrascht blickte ich auf. Vermutlich hatten sie mit bekommen, dass ich aufgebracht weggelaufen bin. Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal und machte mich alleine auf den Weg zu meiner eigenen persönlichen Hölle. So leise wie ich konnte, öffnete ich die Eingangstüre und stahl mich still die Treppen hinauf zu meinem Zimmer. Dort angekommen, griff ich nach frischer Kleidung und einem Handtuch uns sperrte mich im Badezimmer ein. Wenigstens konnte ich somit erklären, weshalb ich nass bin.
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Montag. Der Tag, vor dem ich mich am aller meisten gefürchtet hatte. Der Tag, an dem ich meine eigenen Freunde testen würde. Ich würde ihnen auf den Zahn fühlen, bis sie mit der Wahrheit heraus rücken und sie mit Konsequenzen konfrontieren.
Besonders ihn!
Daniel werde ich besonders meine Meinung mitteilen. Immerhin hatte er mich halbnackt auf einem Friedhof zurückgelassen! Ich hatte Angst gehabt und hätte bestimmt eine Lungenentzündung bekommen, wenn mich Laith nicht gefunden hätte.
„Candy! Wieso kommst du so spät, hatten wir nicht ausgemacht, wir treffen uns schon früher, damit du uns von deinem Date erzählen kannst.“
Iris! Mit ihr würde ich anfangen. „Entschuldige, ich habe dieses Wochenende ein neues Handy bekommen, also egal, was du mir geschrieben hast, das habe ich nicht bekommen.“ Das ist die Wahrheit, nur dass es kein neues Handy war, sondern das von meinem Bruder. Er hatte sich ein Neues gegönnt und mir seines gleich in mir die Hand gedrückt, da meines bei meinem morgendlichen Duschen auf dem Rasen etwas nass wurde.
„Oh, wirklich zeig her. Du musst mir sofort deine... Candy?“ Ich ließ Iris hinter mir zurück und lief auf die andere Straßenseite, um Daniel abzufangen. Mit ihm hatte ich das größte Hühnchen zum Rupfen.
„Na, wie war es am Donnerstag?“ Fragte ich gerade heraus und lächelte dabei mein typisches freundliches Lächeln. „Candy! Wie schön dich zu sehen. Ich dachte, du würdest mit einer schlimmen Verkühlung im Bett liegen.“ Meinte er vielsagend, doch in einem heiteren Ton.
Lachend legte ich meine Hand auf seinen Unterarm. „Du bist einfach zu witzig. Wieso sollte ich denn sterbenskrank im Bett liegen... Hm... mir fällt einfach kein Grund ein, dir etwa?“ Oh, ich habe wohl doch eine bösartige Seite, die ich perfekt ausspielen kann. Überlegte ich über mich selbst überrascht.
Er lachte ebenfalls, nur deutlich schlechter gespielt als ich, während er sich unsicher zu seinen Freunden umsah. Stimmte ja. Die Kerle, die er dabei hatte, waren nicht von meiner Schule und sie sahen auch alle etwas älter aus.
„Vielleicht liegt es daran, dass du mir eine Nachricht geschrieben hast, in der steht, dass du krank im Bett liegst. Deswegen haben wir uns ja auch überhaupt nicht gesehen am Donnerstag.“ Ah! Daher wehte der Wind.
„Wirklich?“ Fragte ich gespielt verblüfft. „Wie seltsam... Dabei habe ich ja eine neue Nummer, da mein Handy zufällig am Donnerstagnachmittag kaputt gegangen ist, als ich von der Schule heimkam und meine Sachen in die Waschmaschine schmiss. Die wird wohl aus Versehen vom vielen Spülmittel geschickt worden sein.“ Seiner Miene nach zu urteilen, schien es ihm zu nerven, dass sein Alibi für diesen Abend wohl geplatzt ist.
Natürlich war das meinerseits ebenfalls gelogen, doch ich wollte unbedingt sehen, wie er reagierte. „Nun, ja. Deine Schrift war auch nicht gerade die beste an diesem Tag, vielleicht lag es ja am vielen Wasser, dass ich etwas falsch verstanden habe.“
Als hätte er gerade etwas Wichtiges erwähnt hob ich den Finger und deutete auf Iris. „Stimmt ja... Meine Schrift... per Nachricht über das Handy...“ Ich betonte meinen Sarkasmus extra, damit selbst Iris, die nun hinter mir erschien, mir folgen konnte „Könnte es vielleicht sein, dass du aus Versehen meine Nummer mit der von Iris vertauscht hast, denn wie wir drei wohl sehr gut wissen, können Waschmaschinen nicht schreiben. Weder per Feder und noch weniger per Handy.“ Gab ich zu bedenken.
„Okay, Candy. Du hast gewonnen, was willst du?“ Das war es nun, doch Iris zischte ihn genervt an.
„Was? So einfach gibst du nach? Du Idiot... Komm sofort mit.“ Iris zog ihn hinter sich her und fuhr ihn so an, dass sogar ich vor ihrem Gesichtsausdruck bammel bekam. Wer war dieses Mädchen und weshalb zählte ich sie noch einmal zu meinen Freunden?
Laith, kannst du hören was sie sagen? Mein Handy läutete einen Moment darauf und Laiths Nummer erschien. „Ja?“
„Sie schimpft ihn dafür, dass er überhaupt sein Gesicht gezeigt hat an diesem Abend. Dann sind noch so Sachen darüber, wie unfähig er ist, nutzlos, ein Idiot...“zählte er belustigt auf.
„Okay, okay. Danke ich habe es verstanden. Und sonst noch etwas? Irgend ein Geständnis, das ich vielleicht gehört haben könnte?“ Laith verstummte und schien noch etwas zu lauschen.
Wo befand er überhaupt, dass er das mit hören konnte? „Ne, nicht wirklich. Außerdem, würdest du jetzt vorbei gehen, dann würden sie sofort das Gespräch abbrechen. Und ich kann nicht vorbei gehen, sonst sehen sie mich.“
„Aber...“ Ich blickte mich um, ob mich auch wirklich niemand hören konnte. Das Letzte was ich brauchte, war jemand, der mich in die Irrenanstalt steckte. „... du hast doch gesagt, dass du Gedanken auch manipulieren kannst. Wieso machst du das jetzt nicht?“
Ich hörte ein genervtes Seufzen von der anderen Seite der Leitung und machte mich schon einmal auf eine straf predigt gefasst. „Ich predige nicht!“ Beschwerte sich Laith, doch ließ mich nicht darauf antworten. „Und, ja das kann ich, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Ich kann ihre Gedanken etwas lenken, aber sie nicht so beeinflussen, dass sie wie Marionetten gegen Wände laufen.“
So schön ich die Idee auch finden würde, dass die beiden gegen Wände laufen, so wenig konnte ich das ausgerechnet jetzt brauchen. Wenn sie es nicht zugeben konnten, dass es Iris Idee gewesen ist und er es umgesetzt hat, dann steht meine Aussage gegen deren beiden. Enttäuscht ließ ich den Kopf hängen. Das war doch einfach nur furchtbar.
„Kailee. Bist du noch dran?“ Ich nickte, doch erinnerte mich, dass er es ja nicht sehen konnte.
„Ja, klar. Ähm... sag einmal. Wieso nennst du mich immer Kailee und nicht Candy, so wie alle anderen?“
Ein Schnaufen erklang auf der anderen Seite der Leitung. „Weil es dein Name ist. Ich halte nichts von Spitznamen, sie sind... ich finde es einfach lächerlich.“
Wieso sollte man so etwas lächerlich finden? Ein Spitzname, oder eher ein Kosename, zeigte doch, dass einem eine Person am Herzen lag. So wie unsere Mutter manchmal zu uns Schätzchen sagt. „Und wie würdest du es finden, wenn ich anfange dich Laithi zu nennen?“
„Dann trete ich dir in den Arsch.“ Ein Besetzt-Ton erklang und ich wusste, er hatte aufgelegt. Laut lachend machte ich mich auf den Weg zurück zur Schule. Es war viel zu leicht ihn zu ärgern, auch wenn ich seine Beweggründe oftmals nicht verstand, mochte ich ihn. Er war wirklich ein guter Kerl, wenn er es wollte.
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In der Klasse wurde ich sofort auf die Hausaufgabe der letzten Woche angesprochen. „Hausaufgaben? Wir hatten doch ein verlängertes Wochenende, ich denke da solltet ihr doch genug Zeit gehabt haben um alles zu schaffen, oder?“ Ich benutzte meine freundlichste Stimme und trank etwas aus meiner Wasserflasche, während ich die vollkommen verwirrten Blicke von drei meiner Klassenkollegen betrachtete. „Also... ähm... Ich habe... Ja, schon gut.“ Die erste Person ging völlig aufgelöst, blieben nur noch zwei. „Ich habe da einige Punkte nicht verstanden und dachte...“
„Dann frag doch die Lehrer, dafür sind sie doch da, oder etwa nicht? Jetzt entschuldigt mich bitte, ich muss noch das Buch weiter zusammen fassen, das wir letzten Montag angefangen haben.“
„Was! Hast du es etwa schon aus gelesen?“
Lachend nickte ich. „Natürlich. So schwer ist es doch überhaupt nicht. Und die Story ist ebenfalls total spannend.“ Nun verschwanden ebenfalls die anderen beiden und beide vertieften sich in ihren Büchern.
Eine Hand auf meiner Schulter erschreckte mich zutiefst. Es war jedoch nur Laith. „Das hast du gut hinbekommen. Zwei von dreien hast du nicht vergrault.“
Zwei von dreien nur? „Du meinst wohl zwei von fünf.“ Korrigierte ich ihn.
„Der Typ und das komische Mädchen waren nicht wirklich Freunde von dir, sie haben dich einfach nur ausgenutzt.“
Überrascht blickte ich zu Laith auf. >Der Typ< und das >komisch Mädchen<.
„Du nervst.“ Murmelte er, doch ich konnte ein kleines Schmunzeln erkennen. „Also zähle ich jetzt doch zu deinen Freunden?“ Fragte ich, erwartete jedoch keine Antwort. Mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht deuten konnte, verschwand Laith wieder in die letzte Reihe. Ich deutete dies einfach einmal als ein >Ja< und freute mich darüber.
Die nächsten Wochen erkannte ich endlich welche dieser gleichaltrigen Leute hier, sich wirklich für mich als Person interessierten und welche mich einfach nur ausgenutzt hatten. Somit teilte sich in den nächsten Monaten das Klassenzimmer in zwei Gruppen. Die einen waren immer bei mir und Laith, der jedoch nur abseits saß und sich langweilte. Der Rest war bei Iris und Daniel, die die ganze Zeit versuchten mir, eines aus zu wischen. Laith hatte die Typen dazu manipuliert, dass sie vor Gericht die Wahrheit sagen, somit bekamen diese auch eine Strafmilderung, während Iris und Daniel sozial Stunden leisten mussten. Erschöpft ließ ich mich auf mein Zimmersofa fallen, nachdem ich abermals ein dummes Gerücht an seiner Ausbreitung hindern konnte. Iris ließ wirklich nichts anbrennen, wenn es darum ging mich zu ärgern. Trotzdem verstand ich mich seit dieser großen Offenbarung mit Laith besser als jemals zuvor.
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„He, du hast ja neue Filme. Wieso sagst du nichts?“ Laith verlor sich sogleich an meiner Sammlung von Filmen, von denen ich immer wieder neue kaufte. Seit neuesten nahm ich sogar Krimis mit auf, da ich erfahren hatte, dass diese Laith es besonders faszinierten.
Somit verbrachten wir auch mehr Zeit miteinander, auch wenn ich lernte, während er einen seiner >Detektiv-Filme< ansah. Jedoch jedes mal wenn ich sie so bezeichnete, fing ich mir einen wütenden Blick ein. „Und, weißt du schon, wer der Mörder ist?“ Gähnend legte ich mich neben Laith auf mein Bett und schloss die Augen. Er saß beinahe jeden Tag stundenlang bei mir im Zimmer und sah sich verschiedene Filme an. Danach durchforstete er noch die Extras, oder herausgeschnittene Szenen, während ich kurz vor dem einschlafen war.
„Kailee. Nerve ich dich, wenn ich ständig bei dir herum hänge?“
Überrascht riss ich die Augen auf. „Ich dachte, du hättest es geschafft mich ebenfalls aus deinen Gedanken auszuschließen.“ Zumindest hatte er mir das vor einigen Wochen triumphierend erzählt.
„Nun, ja. Wenn wir uns berühren, dann funktioniert das nicht.“ Stimmt... Wenn wir uns berührten, zog ich ihn direkt in meinen Kopf hinein. Dagegen war er machtlos. Gähnend drehte ich mich um und zog meine Decke zwischen uns, damit ich nicht mehr aus Versehen bei ihm ankam. In letzter Zeit passierte es immer häufiger das wir uns berührten und er unweigerlich in meine Gedanken gezogen wurde. Nun, ja wenigstens wussten wir jetzt, dass er Personen zu denen er engeren Kontakt hatte, nach einiger Zeit ausblenden konnte. So etwas wie >Verdrängung< wenn man so wollte.
„Du hast nicht geantwortet.“ Stellte Laith fest.
„Ich bin einfach nur müde. Ich brauche immerhin mehr Schlaf als du.“ Laith hatte mir erklärt, dass er durch den ständigen Lärm in seinen Kopf gelernt hatte, nicht mehr als drei Stunden am Tag zu schlafen.
„Tut mir leid. Aber...“
„Du bist es nur gewohnt, dass wenn du bei mir bist, es endlich leise in deinem Kopf ist.“ Ergänzte ich seinen Satz, so wie er so oft die meinen. Eigentlich wollte ich es überhaupt nicht sagen, es war mir einfach so heraus gerutscht.
„Jetzt ließt du aber meine Gedanken.“ Scherzte er halblaut.
Fragend wandte ich mich zu ihm um. „Es tut mir leid. Ich wollte es eigentlich nicht laut sagen.“
„Schon gut.“ Beteuerte Laith. „Es ist ja die Wahrheit.“ Lächelnd drehte ich mich wieder auf den Bauch und merkte überhaupt nicht mehr, ob Laith ging, oder weiter den Film ansah. Es war mir auch eigentlich egal, solange er mich nicht aus Versehen wach hielt.
Irgendwann, kurz nach Sonnenaufgang wurde ich von dem störenden surrenden Geräusch meines Laptops genervt, der seltsamerweise immer noch an war. Es lief ständig die Titelmelodie des Filmes, welches sich Laith zuletzt angesehen hatte und brachte mich zum Lächeln. Hatte er etwas vergessen es aus zu machen? In dem Moment, in dem ich mich aufsetzen wollte, um den Laptop auszuschalten, fühlte ich, dass etwas meinen Bauch beschwerte.
Da ich eigentlich immer nur mit einer dünnen Decke schlief und keine Stofftiere im Bett hatte, kam mir ein anderer Gedanke. „Laith?“
Fragte ich leise und fühlte im selben Moment wie ein warmer Atem sanft über meinen Nacken strich. Ja. Er war es definitiv. Schmunzelnd drehte ich mich zu ihm um und betrachtete sein schlafendes Gesicht. Es war lange her, seit ich ihn das letzte Mal so gesehen hatte. Das erste Mal war es gewesen, als er mir endlich sein Geheimnis offenbart hatte. Ein Geheimnis, dass mir aus einer bizarren Situation geholfen hatte und dank dem ich jetzt auch zum ersten Mal richtige Freunde hatte.
Jetzt wo ich ihm endlich einmal ins Gesicht sehen konnte, ohne dass er sich sofort wieder abwandte, erkannte ich auch, wie lange Wimpern seine eisblauen Augen umrahmten. Die geschwungenen Linien seiner Lippen, wobei seine Unterlippe etwas rau aussah, da er immer nervös darauf herum kaute.
Mein Blick glitt weiter zu seiner Hand, die mittlerweile von meinem Bauch hinunter gerutscht war und neben seinem Gesicht lag. Er besaß wirklich eine zarte, beinahe zerbrechliche Statur, sodass er mich eher an ein Mädchen erinnerte, als an einen missmutigen Jungen in meinem Alter. Auch sein Teint war mir nicht entgangen. Dadurch das er immer Pullover oder Westen trug und seine Haare sein Gesicht versteckte, traf ihn kaum die Sonne und er erinnerte mich ein wenig an die Märchenfigur Schneewittchen. Natürlich in einer wesentlich männlicheren Ausführung.
Oh, je. Für diesen Gedanken würde ich bestimmt tausend Tode sterben müssen, bevor er es mir verzieh.
Am liebsten würde ich ihm länger so beim schlafen zusehen, doch wusste, das er nur wieder schimpfen würde, sobald er aufwachte und meine Gedanken las. Außerdem machten sich bestimmt seine Eltern bereits sorgen.
Sanft berührte ich ihn am Oberarm und schüttelte ihn etwas. „Laith, wach auf.“ Dieses Mal sprach ich etwas lauter und tatsächlich öffnete er sofort die Augen. Sein eisiges Blau traf auf mein langweiliges hellbraun so intensiv, dass mein Herz mir beinahe aus der Brust sprang und für einen leichten Schwindel in meinem Kopf sorgte. „Du... bist eingeschlafen.“ Erklärte ich, als er sich langsam aufsetzte und sich verwirrt umsah.
„Oh... entschuldige.“ Meinte er und lächelte verlegen. „Du hast recht, ich muss dringend heim, sonst schimpft mein Vater und unterstellt uns noch was weiß ich was.“
Lachend blickte ich ihm hinterher, als er aufstand und seine Haare wieder vor sein Gesicht schob. Schade eigentlich, denn ich verstand nicht, wieso er nicht, einmal wenn wir alleine waren, sein Gesicht zeigte. So hässlich war er doch überhaupt nicht und zu verstecken brauchte er sich ja nun vor mir nicht mehr. Ich würde ihn doch niemals für irgendetwas verurteilen, oder mies machen. Dafür lag mir einfach viel zu sehr an ihm.
Plötzlich wurde mir bewusst, wie wichtig mir Laith überhaupt in den letzten Monaten geworden war. Es gab tatsächlich kaum einen Tag, an dem wir uns nicht sahen, meine Hand fand seine, wenn wir nachmittags nach Hause gingen wie von selbst und ich fühlte mich kein bisschen so, als müsste ich irgendetwas vor ihm verstecken. Auch abends wenn er zu mir kam, um noch Filme anzusehen, fand ich es beruhigend, seine Wärme an meinem Rücken zu spüren, selbst wenn wir uns nicht einmal berührten. Alleine seine Anwesenheit reichte mir, damit mein Herz mich flatternd in meine Träume trieb und wenn ich morgens aufwachte... fühlte ich mich leer...
Die Erkenntnis traf mich genau in dem Moment, als Laith den Mund öffnete, um mir zu sagen dass ich noch ein wenig schlafen sollte, doch er verharrte mitten im Satz und blickte mich schockiert an, als würde ich ihn eben die Klippen hinunter stoßen. Ich hatte mich in Laith verliebt!
Panisch verdrängte ich den Gedanken und verfluchte zum ersten Mal seit Monaten diese verdammte Verbindung zwischen uns. Verdammt wieso? Wieso musste mir das ausgerechnet jetzt auffallen?
„Äh...“ Begann Laith um etwas zu sagen, doch er schien nicht zu wissen was genau.
„Nein! Sag überhaupt nichts! Bitte... Ich will nicht... Du sollst nicht denken, dass du... Also... Du weißt schon.“ Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Einerseits wollte ich nicht, dass sich unsere Freundschaft plötzlich änderte, aber abstreiten konnte ich meine Gefühle genauso wenig.
Nur wieso musste mir es ausgerechnet jetzt bewusst werden?
„Ja... Es wäre so wie so absurd. Mach dir nicht zu viele Gedanken, sonst kann ich nicht weiter schlafen.“ So wie er die Worte aussprach, ohne mich anzusehen, spürte ich wie Stück für Stück mein Herz brach, genau in dem Moment, in dem ich feststellte, dass ich mich verliebt hatte.
Ich bin ja so dumm!
Laith verließ mein Zimmer ohne ein weiteres Kommentar und das war auch gut so. Ich wollte nicht, dass er meine Tränen sah, oder wie sehr mich sein Korb getroffen hatte. Vermutlich hätte mir das einfach früher bewusst werden müssen. Weinend verkroch ich mich unter der Decke und wünschte mich ganz weit fort.
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Einige Wochen später, nachdem wir alle unsere letzten Prüfungen gut überstanden hatten, traf ich mich noch mit zwei Mädchen, die sich mit mir treffen wollten, obwohl ich ihnen kein Geld borgte, und wenn, dann gaben sie es mir immer zurück. Sie liehen sich Sachen, und die bekam ich zurück, oder sie wurden mir ersetzt. Sie erzählten mir Geheimnisse, die ich für mich behielt und offenbarte ihnen welche von mir, die mir seit einiger Zeit völlig unwichtig erschienen waren.
Laith sah ich plötzlich in diesen Wochen nur noch hin und wieder. Lediglich in der Schule, denn ich hatte es auf gegeben. Hatte aufgegeben ihm helfen zu wollen, obwohl er keine Hilfe wollte.
Ohne recht zu wissen, weshalb ging ich ihm aus den Weg, so gut ich konnte, und fuhr mit Freundinnen beinahe jeden Tag ins Schwimmbad, damit ich ja weit aus seinem Radius war. Meine Mutter machte sich zwar langsam sorgen, dass ich die falschen Freunde haben könnte, doch ich wusste die Wahrheit.
Dank Laith hatte ich endlich richtige Freunde gefunden. Freunde die für mich da waren, auch wenn sie manche Dinge nicht ganz verstanden.
Eines Abends, auf der Rückfahrt mit dem Bus, vom Schwimmbad, fragte mich sogar eine meiner neu erworbenen Freundinnen, ob ich Liebeskummer hätte, da ich mich etwas anders verhielt als normalerweise. Sie meinte auch, dass ich nie anderen Jungs hinterher sehe, wenn sie stolz vor uns herum turnten. Ich war höflich zu ihnen, doch flirtete nicht. Damit sie zufrieden war, erzählte ich ihr, dass es da jemanden gab, für den ich angefangen hatte zu schwärmen, doch noch bevor mehr daraus werden konnte, hatte er mich auch schon zurückgewiesen.
Tröstend hatte sie mich in den Arm genommen und gemeint „Wenn da wirklich nichts gewesen wäre Candy, dann würden dir jetzt nicht die Tränen in den Augen stehen.“ Erschrocken über mich selbst hatte ich sie weggewischt und darüber gelacht, doch was sollte ich sonst tun? Laith ignorierte mich vollkommen.
„Kailee.“ Meine Mutter rief mich zu sich hinunter Ich fragte mich was sie wohl wollte?
„Da bist du ja doch. Ich dachte, du wärst bei Laith.“
Fragend blickte ich zu ihr über das Wasserglas hinweg. „Was? Wieso sollte ich?“
„Ihr seid doch gute Freunde, oder?“ Ich antwortete nicht, sondern blickte zur Seite. Meine Mutter verstand anscheinend, das etwas nicht stimmte und redete daher nicht weiter.
„Wieso hast du gedacht, ich würde bei ihm sein?“ Ich hatte mich bereits seit Wochen nicht mehr mit ihm getroffen und nur ausweichend auf ihre Fragen geantwortet.
„Weil er doch morgen Vormittag ins Internat fährt. Seine Mutter sagte... Kailee?“ Ich war schon aus der Türe, noch während sie das Wort aussprach. Internat! Warum? Wieso? Wir hatten doch bald Schulschluss. Wie konnte er dann jetzt schon wegfahren?
Hektisch klopfte ich an die Haustüre und wartete, bis Laiths Vater die Türe öffnete. „Es ist das Erste links.“ Laiths Vater deutete nach oben und ich lief die Stiegen hinauf. Zwar war ich noch nie hier oben gewesen, doch das Haus war so ähnlich aufgebaut wie unseres, auch wenn sie völlig unterschiedliche Fassaden hatten.
Ich fand sofort sein Zimmer und blickte ihn zornig an. „Wieso hast du nichts gesagt?“ Schrie ich ihn an. Laith legte gerade eine Hose zusammen, damit sie faltenfrei in einen Koffer passte, der auf seinem Bett lag.
„Wofür hätte es gut sein sollen? Wir sprechen doch nicht mehr miteinander.“ Damit er mich endlich ansah, riss ich ihm die Hose aus der Hand und warf sie auf den Boden.
„Trotzdem! Du hättest es mir sagen sollen. Immerhin mache ich mir sorgen um dich.“
Laith seufzte auf seine typisch genervte Art und Weise und hob die Hose wieder auf. „Kailee, mach jetzt bitte kein Theater. Ich habe mich bereits entschieden und werde morgen als Quereinsteiger an einer Uni lernen.“
An einer Uni? Wo? Warum so weit weg? Wieso hatte er es mir nicht gesagt? So gerne ich ihn auch ausfragen wollte, so wusste ich, dass ich überall dieselbe Antwort bekommen würde. Weil es mich nichts anging.
Zornig trat ich gegen seinen Koffer und alles, was er bereits sorgsam ein geschlichtet hatte, fiel wieder heraus. „Was... Was soll denn das? Ich war schon fast fertig und kann jetzt wieder von vorne anfangen!“ Nun schrie er ebenfalls, doch sah mich endlich an.
Auch wenn sein wütender Blick mir mehr Schmerzen verursachten, als das ich gedacht hatte, hielt ich seinem Blick stand, während mein Herz beinahe schrie vor Schmerz. „Was das soll? Das fragst du auch noch. Ich... Ich weiß nicht wie oft ich dir noch sagen soll, das du mir nicht egal bist. Die ganzen Wochen habe ich mich von dir ferngehalten, weil es das war, was du wolltest. Ich habe... Ich habe immer versucht, es dir so einfach wie möglich zu machen. Und... Und... Du schuldest mir etwas!“
Plötzlich war mir Laith so nahe, dass sein Gesichtsausdruck mir angst machte. „Siehst du. Genau das wollte ich nicht. Irgendjemanden irgendetwas schuldig zu sein. Ich habe ja nur darauf gewartet, dass du es irgendwann einmal aussprichst.“
Es aussprichst? Aber... das er mir etwas schuldig sein soll, das habe ich doch nur gesagt, weil ich wütend bin und nicht, weil ich irgendetwas von ihm erwarte. „Du bist so ein Volltrottel! Du kannst doch in meine Gedanken sehen, ob du es nun willst oder nicht, also musst du auch sehen können, dass ich es nicht so meine. Das Einzige was ich ernst meine, ist, dass ich dir gerne geholfen habe. Die einzige Gegenleistung, die ich jemals erwartet habe, war, dass du ehrlich zu mir bist. Mehr wollte ich im Austausch dazu nicht.“
Laith trat einen Schritt zurück und begann, erneut seine Sachen ein zu räumen. Mein Herz raste gerade wie verrückt und meine Gedanken drehten sich im Kreis. Was lief hier gerade nur so unglaublich falsch. Ich freute mich doch für ihn, dass er sich ein Herz nahm und zu einer Uni ging. Studierten und Leute kennen lernen. Das war doch toll. Ich selbst hatte auch schon beschlossen, diesen Sommer Recht zu studieren. Vielleicht würde ich irgendwann einmal Anwältin werden, oder Richterin?
„Ich war die ganze Zeit ehrlich zu dir. Ich habe dich gewarnt, als du nichts davon hören wolltest. Ich habe dir gesagt, dass ich deine Hilfe nicht will und dass du falsche Freunde hast. Ich habe dir sogar mein Familiengeheimnis anvertraut. Mein Geheimnis...“
„Und wieso stößt du mich dann immer noch von dir weg? Du sagst auch, dass wir keine Freunde sind, doch wir hängen zusammen herum und haben auch Spass. Zumindest... dachte ich das eine Zeit lang.“
„Das hatten wir auch.“ Gab Laith zu. Es war so frustrierend. Was auch immer es war, das ihn dazu veranlasste mich wegzustoßen, musste eine tiefe Narbe in seinem Herzen hinterlassen haben. Eine Narbe, die wohl niemals heilen würde.
„Was ist dann passiert? Eine Zeit lang... waren wir doch normale Freunde.“
Es dauerte etwas bis er darauf antworte, doch was er sagte, zerriss mir das Herz endgültig. „Bis du erkannt hast, dass du dich in mich verliebt hast. Das war es, wo ich beschloss, diese Freundschaft zu beenden. Es hatte ja so wie so keinen Sinn.“
Tränen standen mir in den Augen und ich wollte in diesem Moment wirklich nichts sehnlicher, als mir die Augen aus zu heulen. Wie konnte er nur so gemein sein? Laith hätte doch mit mir sprechen können. Wir hätten über alles sprechen können und... einen Weg finden. Ich wollte ihn nicht verlieren. Nicht so!
Plötzlich traf mich etwas Weiches im Gesicht. Es war ein Shirt von ihm, das erkannte ich alleine schon am Geruch und wie es sich anfühlte. Für ein paar Sekunden versteckte ich meine Tränen dahinter, als ich plötzlich von den Beinen gerissen wurde. Mit einem überraschten Aufschrei fiel ich rückwärts ins Bett und wollte mir das Shirt aus dem Gesicht reißen, um ihn wütend anzufahren, doch Laith hielt meine Arme fest. „Laith! Was soll das?“
Laith fixierte meine Hände neben meinem Kopf und plötzlich lag seine Stirn an meiner. Gerade einmal sein Shirt trennte uns. „Das Einzige, weshalb ich nicht wollte, dass du mir hilfst, ist, dass ich dich so sehr mag, dass ich es nicht ertragen könnte, dass du wegen mir in diese verrückte Familie hinein gezogen wirst. Ich weiß dass irgendwann, jemand aus meiner Familie uns finden wird und mich versuchen wird auszunutzen. Ich würde es mir niemals verzeihen, wenn du meinetwegen verletzt werden würdest.“
Das Schlucken fiel mir schwer, da sich ein Kloß in meinem Hals gebildet hatte. Er wollte mich lediglich davor beschützen? Laith stieß mich nicht weg, weil ich ihn nervte, oder er mich hasste.
Laith liebte mich ebenfalls...
In diesem Moment war ich froh, dass er mein Gesicht nicht sehen konnte. Ich wusste einfach nicht, ob ich mich freuen sollte, oder ihn anschreien. „Du kannst doch so etwas nicht alleine entscheiden, Laith.“
„Es ist ja nicht nur das. Ich merke selbst, wie sehr ich mich daran gewöhnt habe, dass du mich vor den Gedanken der anderen abschirmst. Das sollte ich nicht tun. Wie ich schon sagte, es ist mein Fluch, nicht deiner.“ Bevor ich ihn korrigieren konnte, spürte ich einen Druck auf meinen Lippen und hielt überrascht die Luft an. Laith küsste mich... durch sein Shirt hindurch.
Mich!
Er ließ meine Arme los und ich legte sie sofort auf seinen Rücken. Laith... du Idiot! Ich spürte, wie er ein Lachen unterdrückte und sich zurückzog. Sofort zog ich das Shirt von meinem Gesicht und richtete mein zerzaustes Haar.
Und jetzt? Wie geht es jetzt weiter?
„Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass ich überhaupt nicht wollte, dass du noch herüber kommst. Und ich werde definitiv morgen zur Uni fahren. Ich habe die letzten Wochen so viel nachgedacht und weiß nun, dass ich meine Fähigkeit nutzen will um anderen zu helfen.“
Er hatte sich wieder von mir abgewandt und mir den Rücken gekehrt, als würde er sich selbst dazu zwingen müssen, dass er auch bei seiner Entscheidung blieb.
Lächelnd kniete ich mich hinter ihn und legte beide Arme um ihn. „Und ich will, dass du gehst. Ich will, dass du zur Uni gehst und alles dafür gibst, dass du deinen Traum auch wirklich ausleben kannst.“
„Und was ist mit dir?“ Fragte er kleinlaut und erstarrte in seiner Bewegung.
„Ich werde ebenfalls Studieren, nur wo ganz anders.“
Die nächste Frage, die kam, konnte ich jedoch nicht beantworten. „Und was ist mit uns?“
„Ich weiß nicht. Ich würde sagen...“ Plötzlich kam mir etwas in den Sinn, das er mir vor beinahe einem Jahr einmal erzählt hatte. „Ich würde sagen, dass wir einfach einmal sehen, was die Zukunft uns bringt. Manche Menschen treffen sich eben immer zweimal im Leben.“
„Du denkst nicht gerade, an die Geschichte, von meinen Eltern, oder?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Gerade du müsstest doch am besten wissen, was ich denke.“
An diesem Abend ging ich, lediglich mit dem Gedanken an unseren indirekten Kuss nach Hause. Schon alleine der Gedanke daran, brachte mein Herz zum raßen und zauberte mir ein verliebtes Lächeln auf die Lippen. Wie könnte ich ihm da noch böse sein?
Den nächsten Tag schwänzte ich die Schule, damit ich Laith verabschieden konnte. Meine Mutter störte es nicht, sondern fand es sogar angebracht. Auch hier verabschiedeten wir uns nur mit einer Umarmung. Ich vertraute darauf, dass wir uns irgendwann einmal wieder sehen würden. Vielleicht an Feiertagen, wenn wir unsere Eltern besuchten, oder vielleicht trafen wir uns ja zufällig einmal auf der Straße. Doch das war auch gut so. Das Leben steckte doch voller Überraschungen und dieser Überraschung konnten wir beide gleichermaßen freudig entgegensehen.
Laith:
Zumindest dachte sie es. Genauso wie meine Mutter und mein Vater. Ich hatte sie alle angelogen. Aber ich konnte einfach nicht mehr länger bleiben. Zwei Jahre hin oder her, waren doch bereits egal. Mit sechzehn schaffte ich es, Jobs zu finden und ich war auch nicht mehr auf Kailee angewiesen. Zumindest wollte ich nicht weiter auf sie angewiesen sein, denn ich wusste, dass es ihr viel zu viele Schmerzen bereiten wird.
Dadurch das ich ununterbrochen ihre Gedanken hörte, wusste ich auch, dass sie kein bisschen darüber nach gedacht hatte, dass sie keinerlei Privatsphäre hatte, nicht einmal wenn sie nur darüber nachdachte, ob sie in mich verliebt war oder nicht. Ich hörte auch, wie sie sich freute, wenn ich zu ihr kam, oder wie sie enttäuscht war, wenn ich ging.
Um fair zu sein... ich fühlte doch genauso. Gerade deshalb, wollte ich es schnell beenden zwischen uns, bevor sich mehr entwickelt. Kailee jedoch die Hoffnung nehmen, dass jemals etwas zwischen uns sein könnte? Das brachte ich nicht fertig. Dafür liebte ich sie einfach viel zu sehr.
Lieber stieg ich in das verdammte Taxi, das mich zum Flughafen bringen sollte, von wo aus ich weiter in einen anderen Staat flog. Einen weit Entfernten. Ich änderte so ziemlich alles, bis auf meinen Vornamen, der war mir egal. Ich wollte weiterhin Laith sein, doch alles andere ließ ich hinter mir. Auch meine langen Haare ließ ich schneiden und besorgte mir Kontaktlinsen, sodass mein stechender Blick niemandem auffiel.
Dafür passierte etwas ganz anderes. Die Mädchen dachten plötzlich viel mehr an mich. Ich fiel ihnen auf. So sehr es mich auch ehrte, dass sie sich von mir angezogen fühlten, fand ich es sogar nach drei Jahren noch ziemlich erschreckend. Mit meiner Kraft wimmelte ich alle ab und überwand mein Heimweh mehr als gut. Ich kam alleine besser klar, als sonst jemals. Jetzt konnte ich nur hoffen, dass es meine Eltern auch halbwegs gut überwanden. Immerhin kannten sie mich gut genug, sodass sie wussten, dass ich niemals auf eine schiefe Bahn geraten könnte. Wie denn auch? Dafür hatten sie mich trotz meines >kleinen< Problems viel zu gut erzogen.
„Laith? Ist alles abgeladen?“ Ich nickte meinem Chef zu und warf meine Arbeitshandschuhe in den Spind, bevor ich den Baumarkt verließ.
Die Jahre waren an mir vorbeigeflogen, als wären sie vollkommen gleichgültig. Ein Jahr nach dem anderen, an dem ich alleine in meiner WG die Kerzen auspustete. Ein Jahr nach dem anderen in dem ich alleine in meinem Zimmer einschlief und eine Schmerztablette nach der anderen schluckte.
Ja, ja. Die Großstadt war definitiv kein Ort für mich, doch ich verdiente hier mehr als gut. Sobald ich genug gespart hatte, würde ich zurückgehen, um meine Eltern zu besuchen.
Natürlich hatte ich sie bereits hin und wieder angerufen, doch nur von Telefonzellen, wenn ich Lieferdienste hatte und die Gespräche dauerten nie mehr als drei Minuten. Mehr schaffte ich einfach nicht. Ich wollte am liebsten nach Hause und mich unter der Bettdecke vergraben. Und ja, mittlerweile erachtete ich das Haus meiner Eltern als >mein Zuhause<. Das Einzige was ich jemals besessen hatte, denn dort lebt auch... der Grund, weshalb ich nicht zurückgehen würde. Niemals!
Zumindest nicht für lange, doch da ich meinen Eltern, bevor ich abgehauen bin einiges an Geld gestohlen hatte und ihnen das unbedingt zurückzahlen wollte, musste ich zumindest einmal nach Hause zurückkehren. In der Hoffnung, sie bloß nicht anzutreffen.
Am nächsten Morgen wartete ich eben auf den Bus, mit dem ich zur Arbeit fuhr, als mir etwas auffiel. Es war nichts, dass mir aufgefallen wäre, wenn es eine beleuchtete Tafel mit extra Blinklichter und Pfeilen gehabt hätte, wo oben stand >Laith sieh her< oder Ähnliches. Es war einfach nur die dezente Schrift, die das umwerfendste Lächeln verpackte, welches ich jemals in meinem Leben gesehen hatte.
„Tauscht die Faust gegen eine helfende Hand. Das schönste Lächeln gegen die Gewalt in den Straßen und unseren eigenen vier Wänden.“ Las ich die Werbeaktion für eine groß läufige Spendenaktion an der Bustafel ab und ließ vor Schreck sogar meinen Cofé-to-go fallen. Mein Herz raste so schnell, dass ich sogar auf das Atmen vergaß, so sehr traf mich ihr Anblick.
Nichts war mehr da von dem kleinen süßen Mädchen mit dem herzförmigen Gesicht, den immer präsenten Lächeln, das man nicht einma ein Streich gänzlich verblassen hatte lassen können. Und dieser Blick! Okay, der Blick war der einzige, der sich nicht verändert hatte. Aber ihr fehlte alles Kindliche. Keine wilden Locken mehr, kein schüchternes Lächeln, keine bunten Farben an ihrer Kleidung oder die Schmetterlings-Haarspange, die sie so oft getragen hat.
Gewichen war diesem damals süßen Engel einer Frau mit Stolz und einem gewinnenden Lächeln. Ihr Haar trug sie plötzlich im Winter hochgesteckt und das Bild legte die Hauptbetrachtung auf ihre vollen Lippen, die meiner Meinung nach, viel zu viel betont worden waren, doch nicht weniger eindrucksvoll auf mich wirkten.
Du Idiot!
Ja, das war ich. Genau das hatte sie einmal zu mir gesagt. Und andere Beschimpfungen, doch so richtig wütend war sie niemals auf mich gewesen. Enttäuscht, traurig, verletzt, ängstlich und schüchtern. Kailee war so vieles, aber Zorn gab es in ihren Gesichtszügen einfach nicht. Das war einfach unmöglich, dafür ist sie viel zu nett.
Aber was suchte sie denn auf einer solchen Werbung?
„Oh, Sie scheinen interessiert an der neuen Spendenaktion zu sein.“ Erschrocken zuckte ich zusammen und erkannte frustriert, dass mein Bus eben ohne mich wegfuhr, doch eine ältere Frau, die eben ausgestiegen war, blieb neben mir stehen und lächelte mich durch ihre alten klugen Augen an.
„Spendenaktion?“ Fragte ich und betrachtete das Bild noch einmal. Offenbar zeigte es Kailee als... “Für was sammelt sie denn Spenden?“
Soweit ich mich erinnerte, wollte sie doch Jura studieren gehen. Das ergab überhaupt keinen Sinn. War sie denn etwa bereits fertig?
Geistig zählte ich die Jahre, die sie für das Studium bräuchte und schüttelte den Kopf. Nein, sie konnte unmöglich fertig sein.
„Miss Elton sammelt gegen Gewalt in der Stadt. Ihr Gesicht ist bereits überall abgebildet, da sie die Mengen ungemein anspricht. Sogar ich habe etwas aus meinem Ersparten für sie gespendet. Sie ist ein wahrlich guter Mensch. Und das sage ich nicht über jeden, den ich nicht persönlich kenne!“ Betonte sie noch, als ich sie schräg anblickte und klopfte mir großmütterlich auf die Schulter, da sie ein gutes Stück kleiner ist als ich und gebückt ging.
„Ist sie wirklich so... bekannt?“ Fragte ich vorsichtig, da ich es nicht glauben wollte.
„Ja, natürlich. Miss Elton hat alles innerhalb eines Jahres auf die Beine gestellt und bereits mehrere hunderttausend für Gewaltopfer gesammelt. Außerdem organisiert sie regelmäßig Aufklärungen gegen Mobbing an Schulen. Ich verfolge jeden ihrer Taten in den Nachrichten. Sie ist ein Engel.“ Schwärmte die alte Frau und klang fürchterlich stolz, dass es auch noch gute Menschen auf der Welt gab.
Ein Engel? Gut dass sie die Kailee mit fünfzehn nicht kannte, dann würde sie das nicht sagen, denn jetzt sah sie kein bisschen mehr wie der goldige Engel von damals aus. Selbst ihre blonden Haare waren mit Strähnchen durchzogen, wodurch sie noch heller wirkten. „Sie ist ein Idiot, das ist alles.“ Murrte ich und wandte mich von dem Bild ab um davon zu stapfen.
„Wissen Sie, junger Mann. Manche Menschen brauchen die Sicherheit und das Vertrauen, die sie in diesem Gesicht sehen. Sie sollten nicht voreilig urteilen.“
Ich nicht urteilen? In ihren Gedanken erkannte ich, dass sie dachte, dass ich einfach nur Angst davor hatte, selbst zu einer schlimmen Vergangenheit zu stehen und verdrehte die Augen. Ja, meine Vergangenheit war mehr als schlecht, doch von Misshandlung weit entfernt. Ich hatte in meinen ersten Lebensjahren mehr gelernt, als in der Schule, alleine nur weil die Gedanken der Menschen um mich herum auf mich eingestürzt sind.
Das hatte meine Eltern beinahe in die Verzweiflung getrieben, da sie nicht wollten, dass ich als unschuldiges kleines Kind bereits wusste, was das Leid dieser Welt bedeutet. Und ehrlich... ich bezweifelte, aus Erfahrung, mehr als alle anderen, dass sich jemals etwas verändern würde. Nicht einmal mit diesem Gesicht.
Mit einem letzten Blick auf das Plakat, drehte ich mich endgültig weg und ließ die alte Frau mit ihren Gedanken alleine. Ich war leider niemals richtig alleine mit meinen Gedanken. Nur mit Kailee war ich so etwas wie alleine. Alleine mit ihr...
Erneut setzte ein längst vergessener Herzschmerz ein und brachte mich dazu auf meine Unterlippe zu beißen, bis ich blutete. Aber das war mir egal. Alles war mir lieber als die Gedanken an sie. Leider war das leichter gesagt als getan. Wieso war sie hier? Wieso musste sie sich ausgerechnet diese große Stadt aussuchen, um diese Kampagne zu starten? Wusste sie etwa, dass ich hier bin? Tat sie es um mich zu Ärgern?
Aber wie hat sie mich denn gefunden? Wussten etwa meine Eltern, wo ich bin, und haben es ihr gesagt? Dabei war ich doch immer so sicher gewesen, nichts zu verraten. Mist!
Vielleicht wenn ich mit ihr redete? Aber nein, dann würde ich nur einen alten Schmerz hochholen, von dem ich doch überhaupt nichts mehr wissen möchte. Es war einfach zu absurd, dass sie das nur tat, um mir weh zu tun. Bestimmt wusste sie nicht einmal, dass ich hier bin. Das war alles nur Wunschdenken, da jede andere Erklärung besser war, als dieser eine Gedanke.
Schicksal.
Das war es, wie Kailee es genannt hatte. Das war es, wie es meine Eltern sahen. Das Schicksal, es ist unaufhaltsam.
Aber nicht für mich. Das klang einfach viel zu unwirklich, als dass ich daran glauben würde. Das Schicksal ist einfach etwas, was sich irgendjemand ausgedacht hat. Ein Begriff, kein Naturereignis. Es beruht nicht auf logischen Erklärungen und physikalischen Gesetzen. Es ist Erfindung. Nicht mehr und nicht weniger.
- - - - -
In der WG rief ich meinen Chef an und nahm mir einen freien Tag. Zur Arbeit würde ich es ohnehin nicht mehr pünktlich schaffen, und in der Laune zu arbeiten war ich noch weniger. Meine Gedanken hingen einfach der Vergangenheit nach, egal wie sehr ich mich auch dagegen sträubte. Gegen Mittag schrieb ich meinem Mitbewohner, ob ich seine Konsole ausleihen durfte um zu spielen, und schaltete den Fernseher ein. Im Fernsehen lief eben eine Kinderserie und ich verdrehte die Augen, während ich auf meinem Handy die Anleitung las, wie ich die Konsole umsteckte.
Gerade als ich mit der Fernbedienung die nötige Einstellung suchte, kam ich wohl auf den Programmknopf und es schaltete zufällig auf einen anderen Sender. Genervt stöhnte ich. Langsam denke ich, daas man es nicht Schicksal, sondern Fluch nennen sollte.
Mit einem aufrichtigen Lächeln saß sie in einer Mittagstalkshow und strahlte regelrecht ihre Zuversicht aus.
„...Prozent gestiegen. Sie scheinen die Herzen der Menschen im Sturm zu erobern, Miss Elton. Wo waren sie nur so lange?“ Der Sprecher entlockte ihr ein herzhaftes Lachen, das ich immer so gern gehört hatte.
„Bisher? Nun, ja ich bin in einer sehr sozialen Familie groß geworden. Mein Bruder ist Lehrer, mein Vater Direktor einer Schule, meine Mutter, Vorstand eines Mutterverbandes des Dorfes, von dem ich komme. Wir hatten überall unsere Finger im Spiel. Jede Theateraufführung, jedes Straßenfest, bei jeder Party waren wir dabei. Ich glaube, es gibt niemanden dort, der meine Familie nicht kennt.“ Scherzte sie und strich sich verlegen durchs Haar.
Ich konnte nicht anders als darüber zu lächeln, denn das entsprach tatsächlich der Wahrheit.
„Also waren Ihre Eltern so etwas wie Ihr Vorbild?“ Fragte der Sprecher.
„Ja, ja. Natürlich. Sie sind großartig und haben mir eine Menge Werte mit gegeben. Ich bin stolz auf sie und sie sind es nun auf mich.“ Gab sie zu und wurde etwas rot.
„Und wie genau sind Sie dann ausgerechnet auf eine Spendenaktion für Misshandelte Menschen gekommen? Diesen Zusammenhang verstehe ich noch nicht so richtig.“
Kailee schien genau zu wissen, was sie sagen musste, denn sie stammelte nicht und klang zielsicher. „Nun, ja ich wollte Jura studieren, doch merkte noch im ersten Jahr, dass es nicht so wirklich mein...“
Ich schaltete ab und stellte die Konsole zurück an ihren Platz. Verärgert dass mich sogar der Fernseher zum Narren hielt, warf ich die Fernbedienung zurück auf den Couchtisch und stampfte gerade aus dem Wohnzimmer, als der Fernseher wieder anging und Kailees Stimme wieder erklang.
„... traf ich meinen jetzigen Verlobten. Er war sofort angetan von meiner Idee und half mir zusammen mit seinem Onkel an der Umsetzung...“
Verlobten? Erschrocken zuckte ich zusammen und fühlte, wie mein Herz geradezu in Stücke gerissen wurde.
Ein genauerer Blick auf ihre Hand versicherte mir, dass was ich gehört hatte. Ein Ring. Gut sichtbar trug sie ihn an ihrem Finger und er schien mich geradezu verhöhnen zu wollen. Der Stein darauf schien unglaublich viel Wert zu sein, doch ich hatte keine genaue Ahnung davon.
Zum Glück. Aber wieso hatte sie...
„Verdammt noch einmal!“ Fluchte ich laut und schaltete den Fernseher noch einmal aus. Definitiv kein Schicksal. Ein Fluch. Anders konnte ich es mir einfach nicht erklären.
Kailee hatte vor irgendeinen reichen Sack zu heiraten. Ein Typ, der sie unterstützt und ihr das Gefühl gibt etwas in ihrem Leben wirklich zu erreichen. So war also das Ende da, obwohl nicht einmal einen Anfang zwischen uns gegeben hatte und das aus gutem Grund. Ich wollte es doch überhaupt nicht. Niemals wollte ich sie dem Risiko aussetzen in das Blickfeld meines Großvaters zu gelangen und somit auf der Jagdliste so wie ich zu sitzen. Das wollte ich so. Das musste ich mir nur in Erinnerung rufen.
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Kailee:
„Wie bitte? So viel gleich?“ Fragte ich und betrachtete das Chaos direkt vor mir.
„Du wolltest doch so viele, oder Schatz?“ Marcel zwinkerte mir kichernd zu und hauchte mir einen Kuss auf die Wange, bevor er aus meiner Reichweite sprang und mich dem Chaos in der Küche überließ.
„Was mache ich jetzt mit so vielen Untersetzern? Was denkst du für, wie viele Leute ich kochen werde?“ Schimpfte ich mit ihm meinem Verlobten und betrachtete im selben Moment den hübschen Ring an meinem Finger. Unsere Verlobung war zwar erst fünf Monate her, trotzdem kam es mir bereits wie ein Jahr vor. Seit einem Monat richteten wir unser gemeinsames Haus ein, das wir uns gebaut hatten und in nicht weniger als drei Monaten stand unsere Hochzeit vor der Türe. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn wir würden uns auf unserem Grundstück trauen lassen.
Schwelgerisch träumte ich bereits von meinem Hochzeitskleid, das natürlich bereits sicher verstaut im Laden hing und nur darauf wartete, dass ich es endlich anzog. Also... ein weiteres Mal und damit dann auch das letzte Mal. Eigentlich traurig für einen einzigen Tag ein so teures Kleid zu kaufen. Aber wie oft im Leben heiratete man schon? Da konnte man sich schon etwas leisten.
Zumindest gehöre ich zu den immer seltener werdenden Menschen, die sich vorstellen konnten, nur ein einziges Mal trauen zu lassen.
„Bist du immer noch nicht fertig?“ Schimpfte nun Marcel und zog beide Augenbrauen hoch.
„Ich? Nein, ich muss noch einmal in den Baumarkt. Ich hätte noch gerne solche Neonlichter über der Theke.“ Ich deutete ihm, was ich wollte und er nickte.
„Okay, wie du wünscht mein Liebling.“ Säuselte er und legte beide Arme um mich. „Wie lange wirst du fort sein?“
„Ich bin rechtzeitig wieder da.“ Versprach ich und drehte mich in seinen Armen um, sodass ich zu ihm auf sehen konnte. Zärtlich hauchte er mir einen Kuss auf die Lippen und ließ mich nur widerwillig gehen.
Im Vorbeigehen schnappte ich mir die vielen Untersetzer und streckte Marcel die Zunge heraus. Gespielt beleidigt verdrehte er die Augen, doch sagte nichts dazu.
- - - - -
Laith:
Blöde Nachrichten. Blöde Werbung. Blöde Gespräche. Blöde... Einfach alles soll zur Hölle gehen! Ich hielt es kaum noch aus in der Stadt. Seit ich Kailees Gesicht wieder gesehen hatte, schien es geradezu überall aufzutauchen und alleine ihr Name stachelte mich zur schlechten Laune an.
Immer mehr dachte ich daran, endlich von hier abzuhauen. Eine Stadt war einfach nichts für einen Gedankenleser, aber eine Stadt, die ausgerechnet über meine alte Flamme sprach... Ein Horror.
Frustriert fuhr ich mit dem Stapelwagen vom Außenbereich nach innen und brachte ihn zurück ins Lager. Dort wurde mir sofort der nächste Auftrag gegeben und führte mich damit in die Küchenabteilung. Ich musste den Keramikteil nach sortieren, da dieser heute sehr vergriffen worden schien. Gerade versuchte ich einen viel zu großen Karton, ohne Stapler mit der Leiter herunter zu bekommen, da sie so wie so bereits beinahe leer war, als mich eine Kundin ansprach.
„Sagen, Sie. Haben Sie eventuell noch einige dieser roten Weihnachtsmann Tassen auf Lager? Sie scheinen mir nämlich Ideal für das Weihnachtsfest, nur konnte ich boß noch fünf Stück ergattern.“
Mit Mühe und Not schaffte ich es gerade so, mit der instabilen Kiste die Leiter hinab, als von einem Moment auf den anderen eine eisige Leere in meinem Kopf sich ausbreitete.
Verwirrt konzentrierte ich mich etwas genauer, doch das einzige in meinem Kopf was ich hörte, war meine Verwirrung und die nervigen Gedanken der Frau direkt unter mir, die sich alleine um das Weihnachtsgeschirr drehte, obwohl es bis dahin noch mehrere Monate waren.
„Hallo? Sie arbeiten doch hier, oder?“
Genervt warf ich der Blondine einen verärgerten Blick zu, da es doch offensichtlich sein musste, dass ich beschäftigt war, mit diesem ober peinlichen grünen Anzug und der Kiste die ich mit mir herum schleppte, während ich hoffte sie nicht fallen zu lassen. Noch trennten mich fünf Sprossen vor dem sicheren ebenen Untergrund.
„Ja, ja.“ Murrte ich und hoffte dass sie bemerken würde dass ich hier ein weitaus größeres Problem hatte als sie, denn wenn mir die aus der Hand rutschte verlor ich beinahe einen ganzen Monatslohn.
„Kann ich Ihnen vielleicht helfen? Das sieht ja sehr instabil aus.“ Ohne auf meine Antwort zu warten, streckte sie sich der Kiste entgegen und stützte sie von unten, während ich erleichtert durch schnaufte. Eigentlich durfte mir überhaupt kein Kunde helfen, doch solange es niemand bemerkte, sah ich kein Problem bei einer so kleinen Sache.
„Danke. Ich hab es. Moment...“ Ich stellte endlich meine Beine fest am Boden ab, als mir über den Kartonrand hinweg ein altbekanntes Gesicht höflich entgegen lächelte.
Vor Schreck sprang ich glatt einen Schritt zurück und fühlte mich in die Situation zurückversetzt, als ich sie das erste Mal getroffen hatte. Ausgerechnet in dem Moment, in dem ich kurz davor gewesen bin diesen verdammten Korb auf der Mauer abzustellen, musste sie das Haus verlassen. Alles schien von selbst um sie herum still zu werden. Je näher ich ihr kam, umso stiller wurde es in meinem Kopf und umso mehr Angst bekam ich vor ihr. Was wenn sie eine aus meiner Familie ist? Mit besonderen Fähigkeiten? Und dann stand sie auch noch ausgerechnet mit einer Tomate im Mund vor mir. Das einzige an was ich denken konnte, war, dass sie wieder weggehen sollte, doch sie tat genau das Gegenteil. Sie bemerkte mich. Mich!
Sie blickte mir über die alte moosbewachsene Steinwand hinweg direkt in die Augen und dann war plötzlich alles einfach Still. Für Sekunden schien alles erstarrt zu sein und so unglaublich ruhig, dass weder ich noch sie einen einzigen Gedanken denken konnten.
Das war so ziemlich der schönste Moment in meinem Leben gewesen. Zum ersten Mal war wirklich alles leise und dies sollte in Zukunft nicht der einzige Moment gewesen sein. Später in der Schule, der indirekte Kuss. Und sogar als ich neben ihr aus Versehen eingeschlafen war... so gut hatte ich seitdem nie wieder geschlafen.
Und nun war es wieder soweit. Ihre hellbraunen, gütigen Augen musterten mich genau, als würden sie etwas suchen. Etwas was sie nicht finden würde, denn ich hatte es bereits seit Jahren versteckt. Irritiert runzelte sie die Stirn, bevor sie bemerkte, dass ihr die Kiste zu schwer war und sie eilig abstellte.
„Entschuldigen Sie... wenn ich sie... Ähm... Kennen wir uns?“
Sofort schüttelte ich den Kopf und wünschte mir meine Haare zurück, die mir bis über die Augen gereicht hatten, hinter denen ich mich eingeschlossen hatte.
„Sicher? Sie kommen mir so bekannt vor.“ Bemerkte sie und lächelte etwas unsicher. Eine sanfte Röte überzog ihre Wangen und alles in mir schrie ihr einen Hinweis zu geben. Ein einziger Satz und... sie würde mich erkennen. Für mich da sein. Mir Helfen und all das, was ich nicht wollte.
„Ich bin nur jemand, der im Lager arbeitet. Fragen Sie jemanden, der sich auskennt.“ Murrte ich unhöflich, packte die Kiste vom Boden und verschwand im nächsten Gang. Nein. Sie durfte mich nicht erkennen. Noch einmal würde ich es nicht schaffen sie von mir zu weisen. Ich konnte das unmöglich... Sie war einfach zu...
„Huch! Laith was hat dich denn gestochen? Du bist ja ganz blass. Sicher dass du schon wieder arbeitstauglich bist?“ Mein Arbeitskollege, der mich am Ende des Ganges überrascht abfing, nahm mir die Kiste ab und spähte hinein. „Du weißt schon dass du damit...“
„Laith? Du bist es...“ Erklang eine zittrige Stimme hinter mir. Viel zu nahe.
Wie vom Blitz getroffen rammte ich meinem Arbeitskollegen geradezu die Kiste in die Hand. „Ich kündige.“ Dann eilte ich so schnell von den beiden fort, wie es meine Beine erlaubten, ohne dass ich rannte. Angetrieben von dem einzigen Gedanken den ich aufbringen konnte. Ich wollte nach Hause. Ich musste nach Hause. So weit fort von dieser Person, wie es mir möglich war. Bisher hatte ich es bereits einmal geschafft weit von ihr wegzukommen. Ein zweites Mal war es bestimmt genauso möglich. Zumindest für meinen Körper, einen meiner unscheinbarsten Muskeln, hatte sie leider bis heute bei sich behalten.
- - - - -
Ich holte lediglich meine Wechselkleidung und schälte mich aus dem kratzigen Arbeitsshirt, dass mir viel zu locker gesessen hatte und wollte eben aus der Hose schlüpfen, als hinter mir die Umkleidetüre noch einmal geöffnet wurde.
„Laith! Lauf jetzt ja nicht... Oh...“
Entsetzt wandte ich mich Kailee zu, die mir doch tatsächlich in die Umkleide gefolgt war. Was dachte sie sich nur dabei? Dumme Frage... Ich weiß. Gerade ich sollte es doch am besten wissen und das tat ich auch. Ihre ganzen Gedanken lösten sich in ein Gewirr über Fragen über mein plötzlich verändertes Aussehen und die Frage, ob ich immer noch ihre Gedanken hören konnte.
„Dumme Frage, Kailee.“ Schimpfte ich und entschloss mich ihr keinen Grund mehr zu geben auf meine Körper zu starren, in dem ich mir mein normales Alltagsshirt darüber zog. „Was denkst du? Dass ich es plötzlich nicht mehr kann? So etwas vergeht nicht einfach, es ist keine Krankheit.“ Schimpfte ich mit ihr und hörte wie sie sich ermahnte ruhig zu bleiben.
„Deswegen musst du nicht gleich die Stimme erheben. Ich wollte lediglich...“
„Wissen wieso ich weggegangen bin? Beide Male? Weil es nichts gibt, was ich dir zu sagen habe.“
„Aber...“
„Ich weiß sie machen sich sorgen, aber das hat dich nicht zu interessieren. Es ist wie es ist.“
Defensiv verschränkte sie die Arme vor dem Brustkorb. Ist es, denn wirklich so schlimm wieder nach Hause zu gehen? Sie haben sich alle große Sorgen gemacht.
Vorwurfsvoll sah ich sie an. „>Sie<? Du etwa nicht?“ Die Frage rutschte mir, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte, von der Zunge und bereute es sofort. Natürlich kannte ich die Antwort.
Frag keine Dinge, auf die du so wie so Antworten hast. Wie du gut wissen musst habe ich mein Leben auch gut ohne dich weiter gelebt. Keine Sorge.
Wieder erklang ihre Stimme lautstark in meinem Kopf, als wären es meine eigenen Gedanken. Resigniert seufzte ich und öffnete den Gürtel meiner Hose, wobei ich jedoch zu gut ihren Blick auf mir spürte. „Dann sind wir ja schon zwei. Ich komme auch recht gut alleine zurecht.“
Sie riss ihren Blick von meinen Bewegungen los und wurde etwas rot, während sie sich innerlich schimpfte. „Das sehe ich. Du hast dich stark verändert. Ich bin schon alleine überrascht, dass du Haut freiwillig zeigst und sogar deine Haare geschnitten hast. Aber was soll der Unsinn mit deinen Augen?“
Also war es ihr aufgefallen? „Kontaktlinsen.“ Gab ich zu und sie nickte. Das hatte sie wohl schon erahnt.
Betreten ließ sie sich auf eine Sitzreihe sinken. In ihren Gedanken herrschten die seltenen Momente, in denen sie mich sehen hat können. Sie dachte an die Zeit, wie oft sie sich danach gesehnt hatte, dass ich mich ihr anvertraue und zumindest ihr gegenüber mein Gesicht zeigte, doch... demonstrativ schob sie diese Gedanken bei Seite. Das ist nicht mehr meine Kailee von damals. Das hätte ich viel früher wissen müssen. Natürlich wusste ich es, aber es dann doch mit eigenen Augen zu sehen... Das rief mir nur in Erinnerung wie sehr ich sie vermisste.
„Der neue Look steht dir.“ Gab sie zu, da sie wusste, dass ich ihre Gedanken bereits kannte.
„Dir steht der Ring. Wie lange noch?“
Überrascht von meiner direkten Frage zuckte sie zusammen und fühlte sich irgendwie ertappt. „Drei Monate.“
„Also eine Hochzeit im Herbst?“ Fragte ich höhnisch.
„Der Herbst ist eine schöne Zeit.“ Verteidigte sie sich, doch aus ihren Gedanken wusste ich, dass nicht sie die Zeit ausgesucht hatte.
„Du weißt, dass du mich nicht anlügen musst.“
„Und ich müsste mich auch nicht rechtfertigen, wenn du aus meinen Kopf verschwinden würdest.“ Meinte sie etwas gereizt und fühlte sich sofort schuldig. „Wie geht es dir eigentlich... zur Zeit... du weißt schon.“ Stammelte sie und klang zum ersten Mal wieder nach der kleinen Kailee Elton, dem Engel, der neben mir gewohnt hat.
Ich ließ mich neben sie auf die Bank sinken und hob gleichgültig die Schultern. „Wie soll es mir schon damit gehen. Mitten in einer Stadt.“
Dich hier zu treffen hat mich wirklich sehr erschreckt. Gab sie zu. Hier hätte ich dich am wenigsten erwartet.
„Bist du deshalb hierher gekommen? Weil du dachtest, dass du mir bestimmt nicht über den Weg läufst.“
„Nein!“ Ja... Korrigierte ihre innere Stimme sie. Unter anderem. Gab Kailee schlussendlich zu. Eigentlich dachte ich, die Wahrscheinlichkeit dich in einer so großen Stadt zu treffen sei unwahrscheinlich. Noch dazu kommt, dass es hier oft Gewaltopfer gibt und sie daher Ideal ist, um Leuten zu helfen. Zumindest... anfänglich dachte ich so. Mittlerweile liebe ich diese Stadt, als würde sie mir gehören. Schwärmte sie und wurde etwas rot.
„Nun, ja da ich überall dein Gesicht sehen mu... Also, da so viele Werbekampagnen von dir im Umlauf sind, dachte ich mir schon, dass wir uns früher oder später über den Weg laufen werden. Ich werde daher bald wieder umzieh...“
„Was?“ Stieß sie erschrocken hervor und griff ohne es zu merken nach meiner Hand. „Nein, jetzt habe ich dich erst gefunden. Ich meine... deine Eltern. Ich werde es ihnen sofort sagen, sobald ich zuhause bin. Sie müssen wissen, wo du bist, sie machen sich schreckliche Sorgen.“ Ihre zarten Finger lagen sanft auf meinen viel zu langen und drückten sie vorsichtig. Ich konnte nicht anders als gebannt auf diesen winzigen, unbedeutenden Hautkontakt, zu starren, der dennoch mein Herz aus dem Ruder laufen lies.
Räuspernd entzog ich mich ihrer Hand und kratzte mich unter dem Auge, da es unangenehm juckte.
„Ist es denn so schlimm bei uns...“
„Nein, natürlich nicht. Ich habe ihnen doch gesagt, wieso ich gegangen bin. Sollte mich mein Großvater jemals finden, dann will ich nicht, dass er irgendetwas gegen mich benutzen kann, damit ich ihm helfe, bei was auch immer.“
Oder wen auch immer. Korrigierte sie mich und blickte mich besorgt an.
Zustimmend nickte ich und kratzte fester unter meinem Auge. Verdammt was war das nur? Meine Kontaktlinsen fühlten sich plötzlich viel zu kratzig an und ich lief fluchend ins Badezimmer.
„Laith? Alles in Ordnung?“ Während ich mich über das Waschbecken beugte und versuchte meine Kontaktlinsen heraus zu holen, legte Kailee mir ihre Hand auf die Schulter und streichelte sie sanft. Das war bereits beinahe zu viel.
Frustriert holte ich die Kontaktlinsen heraus und ließ sie achtlos in den Müll landen. Ich hatte nichts hier um sie sauber zu halten, und hinein tun wollte ich sie jetzt nicht wieder.
Um mir Abkühlung zu verschaffen und meine Hände im Nachhinein zu waschen, drehte ich den Wasserhahn auf und spritzte mir einen Schwall kalten Wassers ins Gesicht. Erleichtert und ruhiger geworden, betrachtete ich meine hellblauen Augen im Spiegel, während Kailee neben mir scharf die Luft einsog.
Wow... Ihr ganzer Körper erstarrte neben mir und wir sahen uns durch den Spiegel in die Augen. Ihre hellbraunen schienen geradezu zu glitzern, während sie versuchte ihre Tränen zu unterdrücken und ich mir Mühe gab sie nicht trösten zu wollen. Eigentlich brauchte sogar ich jetzt jemanden, der mich genauso tröstete, während Kailee unweigerlich zurück in die Vergangenheit versetzt wurde. Sie dachte daran, wie es gewesen war, als sie mich das erste Mal sah und für einen seltsamen Jungen hielt. Dann für einen Jungen mit einer seltsamen Phobie dem sie sich verpflichtet gefühlt hatte und dann... ihr bester Freund. Wir hatten Händchen gehalten, ich hatte sie mehr als einmal getröstet. Die Abende, die wir zusammen verbrachten. Der gemeinsame Schulweg.
Dieses Jahr kam mir plötzlich so kurz vor, als wäre es in nur einer Woche passiert. Und trotzdem lagen seitdem mehr als sieben Jahre zwischen uns.
„Es hat sich wohl nicht alles verändert?“ Ihre Frage klang brüchig, als würde sie sich zwingen müssen diese Frage laut zu stellen.
„Nein... nicht alles. Du tust immer noch dasselbe mit mi... meiner Fähigkeit.“ Etwas beschämt von meinem Versprechen wandte ich mich vom Spiegel ab und drehte mich ganz Kailee zu, was es jedoch nicht wirklich besser machte. Der direkte Augenkontakt ließ mich nur noch deutlicher erkennen, was da wohl immer noch zwischen und knisterte.
„Wirklich? Und hast du... andere getroffen?“ Ihre Frage war ihr sichtlich peinlich, doch ich wusste aus ihren Gedanken, was sie meinte.
„Nein, niemanden wie dich.“ Gab ich zu und bemerkte zu spät, wie das klang.
Ihr Blick zuckte vom Boden wieder zu meinen Augen und sie versank abermals in ihnen, so wie ich in ihren.
Mein Herz begann einen anderen, holprigeren Ton zu spielen, während mein Atem auf die Idee kam eine Pause einzulegen. Eine vieldeutige Pause entstand zwischen uns, während keiner von uns wagte etwas zu sagen. Oder einfach nicht wusste, wie wir uns aus dieser sonderlichen Situation retten sollten, welche bloß die Wahrheit hervorbrachte.
Eine unangenehme Stille senkte sich über uns beide, was mir kein bisschen gefiel, besonders da ich somit ihre Gedanken nur wieder klarer wahrnahm.
„Kailee...“
„Schon gut!“ Unterbrach sie mich, obwohl ich selbst noch nicht einmal wusste, was ich eigentlich hatte sagen wollen. „Ich meine... Ich sollte langsam einmal gehen. Ich denke... ich werde dich hier nicht mehr finden?“
Ich zwang mich dazu langsam den Kopf, von links nach rechts und wieder zurückzubewegen. „Du weißt wieso. Daran ist bisher nichts zu ändern gewesen.“
„Doch!“ Beharrte sie. „Du weißt doch nicht einmal, ob er noch lebt. Vielleicht hat sich...“
„Etwas geändert? So ein Unsinn. Ich weiß, was meine Mutter durch machen musste. Er hat seine eigene Tochter dazu gezwungen, andere Leute zu quälen. Den Schmerz, den sie nehmen kann, kann sie auf andere wieder geben. Immer und immer wieder. Dabei war sie kaum älter als sechs. Während andere in der Schule lernten, zwang er sie, Folter zu lernen. Nein. Diesem Mann will ich in seinen Lebtagen nicht begegnen. Dafür riskiere ich auch, dass ich vollkommen abgeschottet lebe.“
Kailee nahm meine Hände in ihre, ohne auf meinen Versuch zu achten, sie ihr wieder zu entziehen, und zwang mich somit ihr in die Augen zu sehen. „Laith! Das musst du nicht. Du kannst bei deinen Eltern leben. Selbst meine Eltern vermissen dich. Ich vermisse dich. Als Freund.“ Ich gab auf ihr meine Hände entziehen zu wollen und konnte nicht anders, als sie entgeistert anzusehen. „Ich werde dich hassen, wenn du jetzt wieder verschwindest. Ist das klar!“ Ihre strenge Stimme entlockte mir ein Lächeln, das ich sofort bereute. Sie hielt es für einen Sieg.
„Sieh mich jetzt nicht so an. Ich bleibe bestimmt nicht hier in der Stadt. Ich muss meinen Eltern nur das Geld zurückgeben, das ich ihnen geklaut habe, danach werde ich auf einen anderen Kontinent ziehen.“
Ihr strahlendes Gesicht wandelte von einem Moment auf den anderen in ein unglaublich trauriges. „Dann habe ich doch überhaupt...“ keine Chance dich jemals wieder zu sehen.
„Das ist auch der Sinn der Sache. So muss sich meine Mutter auch keine Sorgen mehr machen, dass mich mein Großvater doch noch findet. Ich kann ein neues Leben beginnen, abseits von allem.“
„Aber... aber...“ Begann Kailee, doch ich unterbrach sie.
„Nein Kailee. Ich mache das, was ich will und du wirst mich mit keinen Mitteln davon abhalten können.“ Beschloss ich stur und entzog ihr meine Hände nun mit einem groben Ruck. Ohne weiter auf sie zu achten, ging ich zurück zu meinem Spind und warf ihn mit einem Ruck zu. „Schönes leben noch Nervensäge.“ Die Worte lösten sich beinahe liebevoll aus meinem Mund, wofür ich mir verärgert auf die Unterlippe biss, bevor noch etwas noch Dümmeres heraus kam.
Mit geschulterten Rucksack wollte ich den Raum verlassen, doch Kailee sprang mir in den Weg, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte und brachte mich damit zum Stolpern. Ungelenk fiel ich über ihr Bein, und schaffte es gerade noch mich an der Wand abzustützen, was Kailee jedoch nicht davon abhielt mich weiterhin fest zu umarmen.
„Mist... Wenn du so weiter machst, passiert mir wirklich noch irgendetwas Schlimmeres.“ Dabei dachte ich an den Moment, als ich sie patschnass nach Hause gebracht hatte und zum ersten Mal in ihr Zimmer gegangen war. Die Sorge hatte mich beinahe dazu gebracht uneingeladen hinein zu gehen, doch besann mich Besseres. Ich hatte artig gewartet, bis ich mich endlich zu ihr ans Bett setzen hatte können und wir einfach nur redeten. Das hatte so gutgetan und sich so richtig angefühlt...
Und als sie dann auch noch nach mir griff, bevor ich ging und ich hinfiel... Dieser Moment. Ich bin sogar heute noch stolz auf mich, dass ich es geschafft hatte sie nicht zu küssen. Diese verdammten zwei Zentimeter, die sie mit ihrer Nase von meiner entfernt gewesen war, waren die Verführung pur gewesen.
„Du musst noch auf meine Hochzeit kommen. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass du dort zumindest für eine Minute erscheinst. Bitte.“ Flüsterte sie an meiner Schulter und drückte mich noch fester.
Langsam ließ ich nun meine Hände doch sinken und schloss sie in meine Arme. „Ich hasse dich.“
Sie lachte leise in mein Shirt, doch umarmte mich so fest, als würde sie mich nie wieder loslassen wollen. „War das ein >Ja<?“ fragte sie scherzend, doch kannte die Antwort bereits. Wie konnte ich denn so eine Bitte ablehnen? Und dann auch noch von einer Braut?
Sanft, aber bestimmt löste ich ihre Arme von mir und ging ohne noch etwas darauf zu erwidern. Ich konnte ihr doch unmöglich ein Versprechen geben, von dem ich nicht wusste, ob ich es halten könnte.
Manche Dinge konnten Menschen zerstören. Selbst wenn es nur eine winzige, scheinbar unwichtige Sache ist.
- - - - -
Kailee:
„Samantha! Ich habe ihn gefunden. Ich habe ihn... ich habe mit ihm geredet. Er lebt.“ Schrie ich hibbelig ins Telefon und hörte nur nebenbei, wie die angesprochene scharf die Luft einsog. „Ihm geht es gut. Er ist hier in der Stadt und er kommt zu euch.“
Ich konnte direkt vor meinen inneren Auge sehen wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, so wie jedes Mal wenn sie anfing über ihren Sohn zu sprechen. Normalerweise vermied ich jedes Thema, welches sich um Laith drehte, doch sie musste es wissen.
„Er lebt? Es geht ihm gut? Was... Was sagt er? Wie sieht er aus? Wo hast du ihn getroffen! Oh mein Gott Lucas! Kailee hat Laith getroffen. Er lebt! Er ist in Sicherheit!“ Die letzten Sätze galten nicht mehr mir, sondern ihrem Mann, der sie bestimmt jetzt fest in den Armen hielt.
So fest wie Laith mich gehalten hatte? Was für ein dummer Gedanke!
„Oh, danke Kailee. Du weißt, wie viel mir das bedeutet.“
Ich nickte, doch merkte dann erst, dass sie es überhaupt nicht sehen konnte. „Ja, ich weiß Sam. Ich bin so glücklich, das ich ihn gefunden habe.“ Nun fühlte ich auch die ersten Tränen aufsteigen und wünschte noch einmal so gehalten zu werden wie vorhin in der Umkleide.
„Wie geht es ihm denn? Wie sieht er aus? Er ist bestimmt ganz mager und seine Haare? Hat er damit...“
Lachend unterbrach ich sie. „Keine Sorge. Ihm geht es hervorragend. Er lebt unter einem falschen Namen und sieht... richtig toll aus...“ Rutschte es mir schwärmerisch heraus, aber es war mir nicht peinlich. Nur es laut zu sagen, verdeutlichte mir nur, was ich bereits gesehen hatte. „Er sieht richtig erwachsen aus. Er ist auch nicht mehr so dünn wie früher. Man kann sogar sein Gesicht sehen und er trägt jetzt grüne Kontaktlinsen. Deshalb habe ich ihn beinahe nicht erkannt. Erst als ihn ein Arbeitskollege angesprochen hat, war ich mir sicher wen ich da vor mir habe.“
Stolz erklang aus Sams Stimme. „Er arbeitet? Wo denn? Ich muss ihn sofort sehen! Ich komme zu dir in die Stadt und dann..“
„Nein, Sam. Er hat gekündigt, weil ich ihn gefunden habe. Er wollte wieder abhauen und...“ mich erneut zurücklassen. „Ich habe es ihm ausgeredet und ihm das Versprechen abgenommen, das er auf meine Hochzeit kommt. Außerdem hat er so etwas erwähnt, wie dass er euch das Geld bringen möchte, das er euch gestohlen hat.“
Lachen erklang nun auf der anderen Leitung und gehörte definitiv zu Lucas. „So ein Idiot.“ Schimpfte er scherzend über seinen Sohn, doch ich hörte die Sorge in seiner Stimme.
„Das Geld ist uns doch egal! Uns ist nur unser Baby wichtig. Mein süßer Laith... es geht ihm gut.“ Baby? Wenn Laith das hörte, würde er bestimmt ganz schnell wieder abhauen. Ich stimmte auf ihre beschwingte Stimmung mit ein, bis ich zuhause ankam.
„Ich bin gleich zuhause. Kommt ihr zu uns rüber?“ Bat ich Sam, die sofort begeistert darauf einstimmte.
Eine Stunde später, warteten bereits Samantha und Lucas in der Einfahrt mit meinen Eltern und meiner kleinen Schwester Kathi. Sie war die Erste, die mir in die Arme fiel, bevor sie irgendetwas von der Schule vor sich her plapperte, was sie scheinbar unbedingt loswerden wollte. So leid es mir auch tat, ignorierte ich sie und ließ mich von Samantha und Lucas stürmisch umarmen.
Die nächstens Stunden musste ich ihnen immer und immer wieder erzählen wie er aussah, da sie es mir nicht glauben wollten. Zudem wollten sie jedes Wort wissen, was er gesagt hat, was er für einen Eindruck auf mich gemacht hatte und ob ich mir auch wirklich sicher war, dass er vorbei kommen würde.
Auch wenn er mir nur eine wage Antwort gegeben hat, so wusste ich es dennoch. Laith würde kommen. Ich musste daran glauben, ansonsten würde ich tatsächlich anfangen ihn zu hassen.
- - - - -
Die Wochen zu meiner Hochzeit vergingen zu dieser Zeit sogar noch langsamer als jemals zuvor. Zwar hatte ich mich bisher immer darauf gefreut und es war alles genauestens durch geplant, trotzdem machte mich der Gedanke fertig, dass Laith mir nicht eine klare Antwort gegeben hatte. Jedenfalls habe ich ihm einen Tisch reserviert, zwischen seinen Eltern und auch zur Trauung hatte er eine Einladung. Jetzt war es nur noch wichtig, ob er auch kam... Natürlich ist auch mein Bräutigam wichtig. Mehr als wichtig sogar. Ich liebe Marcel und das würde ich nur wegen Laith jetzt nicht plötzlich vergessen. Zumindest nahm ich es mir fest vor.
„Schon aufgeregt vor heute Abend?“ Lächelnd blickte ich auf zu meinem Verlobten, der mir das Frühstück ans Bett brachte und schmunzelte glücklich. „Ja, viel mehr als vor der Hochzeit.“ Gab ich zu und bis herzhaft in das Buttercroissant.
„Also hast du nicht so viel Angst vor der Hochzeit, als vor unserem Empfang heute Abend?“ Der Empfang, den wir in unserem neuen Haus gaben und morgen Mittag würden wir dann im Garten heiraten.
„Ja, auch wenn es dumm klingt. Heute kommen all unsere Familien um sich kennen zu lernen und morgen... morgen liegt dann einfach die Aufmerksamkeit auf uns. Das ist alles. Heute jedoch geht es darum, das sich alle vertragen. Glaubst du, das geht gut?“
Lächelnd legte er sich zu mir ins Bett und ich stellte schnell das Tablett auf den Boden um mit ihm kuscheln zu können. „Natürlich wird alles gut gehen. Wir kommen doch nicht aus Schlägerfamilien... oder?“ Scherzte er und blickte mich fragend an.
Dafür streckte ich ihm die Zunge heraus, wofür er mich herzhaft kitzelte. „Freches Ding.“ Schimpfte er und gab mir einen zärtlichen Kuss.
Nervensäge... Erschrocken zuckte ich zusammen und löste mich aus Marcels Umarmung. Jetzt war nicht unbedingt der passendste Moment um >daran< zu denken.
„Alles in Ordnung?“ Fragte Marcel, während ich mir frustriert die Schläfen rieb. „Ja, ja. Natürlich.“ Log ich. Und das enttäuschte mich. Ich hasste es zu lügen.
„Du bist bereits seit einigen Wochen so. Kaum denke ich, dass wir uns wieder einmal näher kommen...“
„Ich weiß.“ Unterbrach ich ihn. Ich weiß...
„Willst du denn... willst du überhaupt noch... du weißt schon.“
„Ja.“ Antwortete ich, doch klang nicht sonderlich überzeugt. „Das ist es, was ich immer wollte. Einen liebevollen Mann, heiraten, etwas erreichen und Kinder bekommen. Das ist es, was ich mir gewünscht habe.“ Um Marcel, und auch ein bisschen mich selbst davon zu überzeugen, küsste ich ihn leidenschaftlich, bevor ich unter die Dusche sprang um mich fertig zu machen.
Meine Eltern kamen noch gegen Mittag mit Samantha und Lucas, um mir bei den Vorbereitungen zu helfen. Mittlerweile waren wir so etwas wie eine große Familie, nur dass meine Eltern nichts von der Gabe, die Sam besaß, wussten.
Alles schien perfekt zu sein. Marcel verstand sich hervorragend mit meinen Eltern. Seine engeren Verwandten trudelten ebenfalls am Nachmittag ein, sobald alles fertig war, gefolgt von meinen.
„Wann sagtest du kommt die Großonkel?“ Fragte ich ihn bereits zum dritten Mal.
„Schatz, mach dir nicht solche Sorgen. Sein Flug kommt erst um sieben an. Du musst keine Panik schieben.“ Nun, ja da sein Großonkel ihn aufgezogen hatte und die Spenden, die ich einnahm, ihm zu verdanken hatte, war ich natürlich nervös. Zwar hatte ich ihn natürlich bereits getroffen, als wir das Geschäftliche durch gingen, doch ob er mich auch als die Frau seines geliebten Großneffen akzeptierte? Trotz seines höflichen auftreten und seines Altes, war er keinesfalls ein dummer alter Mann. In seinen Augen sah man, dass man es sich nicht mit ihm verscherzen sollte, aber solange man in seinen Gunsten stand, er wie ein netter Großvater für einen da sein würde.
Zumindest behauptete das Marcel. „Komm, ich hole dir etwas zu trinken...“
„Nein! Bloß nicht. Wenn ich jetzt anfange, dann bin ich betrunken bis er kommt und mache irgendeinen Unsinn.“
Mein Verlobter lachte begeistert und küsste mich auf die Wange. „Na, gut. Aber iss ein bisschen etwas. Zwar sehe ich dich ständig mit dem Essen hantieren, aber bisher ist nichts in deinem Mund gelandet.“ Mahnte er mich und deutete hinüber zu den Häppchen.
Ergeben holte ich mir etwas und die Spannung in meinem Magen löste sich etwas. Erleichtert seufzte ich.
- - - - -
Wie versprochen kam Marcels Großonkel tatsächlich geradezu überpünktlich, da sein Flieger etwas früher gelandet war und umarmte mich, als wäre ich bereits seit Jahrzehnten ein Teil seiner Familie. Freudig schmatzte er mir links und rechts einen Kuss auf die Wange, bevor er Marcel aufzog, dass ich viel besser zu ihm selbst passen würde. Sie schäkerten eine Weile herzhaft herum, sodass ich mich gleich viel leichter fühlte. Sogar meine Eltern fühlten sich mehr als nur Wohl bei dem älteren Herren, da sie offenbar auf derselben Wellenlänge waren und tauschten sofort die Kontakte aus.
Samantha und Lucas hatten sich zwei Stunden davor abgemeldet, da sie nach Hause mussten, um sich mit Laith zu treffen. Das Laith sich bei ihnen tatsächlich gemeldet hatte, ließ mein Herz sogar noch weicher werden und ich freute mich noch mehr auf den morgigen Tag. Nur noch ein paar Stunden dann würde ich es endlich geschafft haben. Eine große Familie. Etwas verändern. Glücklich sein. Mehr konnte man sich doch überhaupt nicht wünschen.
„Alles in Ordnung, Kind?“ Überrascht zuckte ich zusammen, als Marcels Großonkel mich ansprach, als ich gerade vom Balkon hinab in den Garten blickte. Alles konnte man von der niedrigen Erhöhung nicht erkennen, doch trotz der Dunkelheit, sah er bereits festlich aus.
„Ja, ich denke nur ein wenige nach.“
„Eine nachdenkliche Braut? Das klingt nach kalten Füßen.“ Scherzte er und reichte mir ein Glas mit Sekt.
„Über die Hochzeit erlaube ich mir erst morgen nachzudenken, um nicht zu nervös zu sein.“ Gab ich zu und nahm einen großen Schluck.
„Also, wenn es sich nicht um die Hochzeit dreht, um was geht es dann? Keine so schöne Frau wie du sollte einen Tag vor ihrer Hochzeit so traurig wirken.“ Meinte er tröstend und wirkte tatsächlich besorgt um mich.
„Ich denke eigentlich nur über die Vergangenheit nach. Was ich schon erreicht habe und... was ich nicht erreicht habe.“ Ich leerte das Glas und stellte es hinter mir auf einem unscheinbaren Tischchen ab. „Ich werde etwas frische Luft schnappen, bevor der Alkohol wirkt.“ Scherzte ich und gab ihm damit zu verstehen, dass ich alleine gelassen werden wollte. „Ich komme in ein paar Minuten zurück, ich muss einfach noch einmal die Stühle... und alles überprüfen.“ Da ich überhaupt nicht wusste, was genau ich suchte, ging ich eine kleine Runde durch den Garten. Ich wollte einfach nur fort von den ganzen Fragen und Scherzen, der langsam betrunkenen Familienmitgliedern. Eigentlich war bisher alles richtig gut verlaufen. Jeder hatte Spaß, jeder vertrug sich und viele tanzten bereits zu den schnelleren Liedern. Bestimmt würde der Player auch bald mit den langsameren anfangen.
Einige Meter weiter, um das Haus herum ließ ich mich auf die Hollywoodschaukel sinken und schaukelte sanft vor und zurück. Im Haus hörte ich meine Mutter lachen, als mein Vater offenbar etwas peinliches passierte und musste selbst ein wenig lächeln. Es war schön, sie so herzhaft zu erleben. Mein Bruder Rees war schon mit unserer kleinen Schwester Kathi nach Hause gefahren, da sie müde und das einzige Kind dort war. Rees wollte natürlich auch so schnell nach Hause zu seiner Frau, wie es möglich war. Sie erwartete bereits das zweite Kind von ihm und genau das wollte ich auch. Natürlich nicht von ihm, aber von Marcel.
Immerhin hatte ich fünf verdammte Jahre damit verschwendet zu warten. Ich hatte gewartet, obwohl ich wusste, dass Laiths Worte einfach nur Wunschdenken gewesen waren. Ich dachte, wirklich bei uns wäre es wie bei seinen Eltern. Liebe die sich einfach nicht abstreiten ließ. Vielleicht hin und wieder >bestreiten< doch füreinander bestimmt und so rein dass es beinahe einem Märchen glich. Aber offensichtlich galt dies für uns beide nicht.
Aber was soll es auch schon? Es ist einfach eine wunderbare Erinnerung einer verliebten Teenagerin, nicht mehr und nicht weniger. Jetzt bin ich erwachsen und habe den Mann, mit dem ich mein Leben verbringen möchte, gewählt. Komme was wolle.
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„Sollten die Braut und der Bräutigam nicht eigentlich getrennt sein in der Nacht vor der Hochzeit?“ Erklang die sarkastische Stimme meiner Kindheit und trieb mir willkürlich Tränen in die Augen. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Besorgt kam Laith über den Seiteneingang zum Garten auf mich zu und hockte sich vor mir ins Gras.
Sofort schüttelte ich den Kopf. „Nein, schon gut.“
Abschätzig musterte er mich, bevor er mir ein Taschentuch reichte, um meine Tränen zu trocknen. „Ich kann hören wie deine Gedanken hin und her wirbeln, Kailee. Wenn es etwas gibt, dass ich noch für dich tun kann...“
Dreh die Zeit zurück! Lass mich wieder fünfzehn sein und nicht aus dieser verdammten Türe kommen. Lass mich nicht über den Zaun blicken und diesen... Jungen sehen, dessen blauen Augen mich sogar heute noch zu verfolgen scheinen. Bettelte ich innerlich und schniefte noch fester als zuvor.
„Ich werde morgen nicht kommen.“ Verkündete Laith bestimmt, lenkte das Thema um und biss sich nervös auf die Unterlippe so wie er es bereits als Kind gemacht hatte. Als er meine Gedanken hörte, unterließ er es und seufzte.
„Wieso nicht? Ich will diesen Tag mit meiner ganzen Familie verbringen. Du gehörst dazu wie Samantha und Lucas.“
Lächelnd blickte er nun zu mir hoch und brachte damit mein Herz aus dem Rhythmus. „Mein Vater sagte mir bereits, dass ihr euch sehr nahe steht. Das ist auch gut so. Ich will, dass du auf sie weiterhin aufpasst. Bitte, versprich mir das.“
Ich nickte und biss mir selbst auf die Zunge, um still zu bleiben. Ich konnte ihn schlecht dazu zwingen zu meiner Hochzeit zu kommen, wenn er nicht wollte. Oder zu bleiben... Das würde mir vermutlich mehr weh tun, als es gut für meine Gefühle war. „Aber... dann schuldest du mir einen Tanz. An meinem Hochzeitstag werde ich mit jedem männlichen Gast tanzen müssen und am Schluss bei meinem Mann ankommen. Und da ich bereits für dich reserviert habe... schuldest du ihn mir.“
Laith sah nicht so aus, als würde er es tun wollen, doch stand so schnell auf, dass die Schaukel ordentlich Schwung bekam. „Na gut, aber nur einer. Dann muss ich wieder fahren, da mein Flieger morgen sehr früh geht.“
So schnell wie es meine Beine zuließen, sprang ich auf und griff nach Laiths ausgestreckter Hand. Bereits die erste Berührung sendete eine elektrische Spannung durch meinen Körper, die anhielt, bis er mich langsam zu sich gezogen hatte, sodass uns nur noch einige Zentimeter trennten und er seinen zweiten Arm vorsichtig auf meinen Rücken legte.
„Zu diesem Lied möchtest du wirklich tanzen?“ Fragte er und sein Atem glitt beinahe wie eine Liebkosung über mein Gesicht. Sofort errötete ich bei dem Gedanken. Um mich abzulenken, lauschte ich welches Lied eben aus den Boxen drang.
...die Sterne über mir glänzen, alles dunkel um mich. Mein Herz ist am Boden, mein Herz ist zerbrochen...
Ich merkte, wie unpassende es ist, doch ich zuckte nur mit den Schultern. „Besser das als irgendein viel zu Schnelles.“ Entgegnete ich und legte beide Arme um seinen Nacken, wodurch wir uns noch näher kamen.
...Deine Blicke, deine Worte, die alles zerstörten. Was soll ich jetzt denn nur tun? Ich sehe kein Licht. Ich kämpfe mit meinem Schmerz und du spürst davon nichts...
Lächelnd dachte ich über die Worte nach, während ich meinen Kopf auf Laiths Brust ablegte und seinem holprigen Herzschlag lauschte. Er war wohl mindestens genauso nervös wie ich, doch ließ es sich weit weniger anmerken.
Sanft wiegte er uns zum Takt der langsamen Melodie, während ich mich fragte, wieso ich so ein Lied in die Playlist eingefügt hatte. Vielleicht hatte ich es mit einem anderen vertauscht?
… doch du bist alles, was ich will. Ich liebe dich...
Da erinnerte ich mich, wieder wieso ich das Lied ausgewählt hatte, und ohrfeigte mich innerlich. Ich hatte wohl nur den Titel gelesen und nicht hinein gehört.
Laiths Arme schlossen sich fester um mich, als das Lied weiter ging und ich fragte mich, was wohl in seinem Kopf vor ging. Ich hatte es nicht mit Absicht aus gewählt aber trotzdem... bereute ich es kein Stück.
… keine Hoffnung, keine Liebe, mein Herz an dir klebt. Mein Verstand spielt verrückt, meine Seele verloren. Ich will dich noch einmal berühren, einen Kuss von dir, will dich umarmen, dich fühlen. Das schuldest du mir...
Okay, langsam wurde es tatsächlich unangenehm. Der Text ging definitiv in die falsche Richtung.
Trotzdem beendete Laith den Tanz nicht, sondern blieb artig standhaft, so wie er es versprochen hatte. Das Lied und der Text schienen wie eine unausgesprochene Drohung über uns zu hängen und keiner von uns beiden wagte es dem anderen in die Augen zu sehen oder gar den Tanz zu beenden.
Das wollte ich auch überhaupt nicht. Ich wollte weiterhin mit Laith so tanzen. Bis morgen früh... bis morgen Mittag... und dann weiter.
Sein Geruch, seine Nähe, sein Atem der meinem Nacken ein angenehmes Frösteln entlockte. Es gab niemanden mit dem ich lieber jetzt, oder jemals wieder so tanzen wollte.
...du hältst mich fest und du sagst, du willst mich zurück. Ich kann es fast nicht glauben, du bereust deinen Schritt. Deine Augen sind am Tränen, du fühlst meinen Schmerz. Führst meine Hand an dein Herz...
Plötzlich veränderte Laith etwas. Noch eben, Körper an Körper geschmiegt im langsamen Takt des Liedes wiegend, löste er meine rechte Hand aus seinem Nacken und führte sie stark verunsichert an seinen Brustkorb. Zuerst nahm ich seine angenehme Wärme wahr. Dann rückte er meine Hand noch ein Stück hinunter, bis ich den festen, viel zu schnellen Herzschlag direkt unter meiner Handfläche fühlen konnte und hauchte mir einen Kuss auf den Scheitel.
… unsere Seelen sind verbunden in jedem Leben...
Da wurde mir bewusst, wie viel ihm dieses Lied bedeutete! Hatte er es etwas selbst ausgewählt? Oder war es etwa ein Wink des Schicksals?
Verdammt! Jedes Lied hätte es jetzt spielen können. Ich hatte über tausend Lieder in der Playlist und dann kam ausgerechnet dieses? Von allen Jungen die dort über die Mauer hatten sehen können... von jedem anderen Moment in denen ich zufällig hätte hinaus gehen können, um mir eine Tomate zu stehlen...
„Ich glaube kein bisschen an das Schicksal, Kailee.“ Seine Stimme erklang heißer an meinem Ohr und seine Lippen streiften bei jeder Bewegung meine Wange. Das ließ mein Herz vollkommen aus seiner Ruhe kommen und lief mindestens so schnell wie seines. „Aber ich weiß, dass mir das hier... dieser Moment sehr wichtig ist. Und besonders das ich ihn mit dir verbracht habe. Ich denke... es ist so etwas wie ein Abschluss... für uns beide. Und das ist auch gut so.“
Für uns beide? Ein Abschluss? Wer sagt denn, dass ich etwas abschließen wollte? Etwas worauf ich fünf Jahre lang stur gewartet hatte, obwohl es so weh tat? Und jetzt sieben Jahre später wusste ich die Antwort endlich so klar in mir, dass ich mich fragte, wie ich überhaupt auf die Idee kam jemanden zu heiraten? Das ist so absurd. Unmöglich! Panik machte sich in mir breit.
„Du musst aber. Du hast es verdient mit jemanden, der dich so anhimmelt wie dein Verlobter, zusammen zu sein. Es ist egal, was du jetzt sagst, oder denkst, ich fliege morgen früh. Selbst wenn meine Eltern mich anketten würden, denn das haben sie tatsächlich vor.“ Scherzte er und ich musste selbst lächeln, da ich Samantha sogar so einschätzte, dass sie ihren Jungen selbst in den tiefsten Brunnen stecken würde, nur damit sie sich weiterhin um ihn kümmern kann, wissend dass es ihm gut geht.
„Aber wieso nimmst du deine Eltern dann nicht mit? Sam ist doch wie du... wenn du nur Angst hast, dass dein Großvater dich findet und sie benutzen würde um dich zu irgendetwas zu zwingen, dann besteht...“
„Stell dich nicht so dumm, Kailee. Ich geh nicht nur wegen dem alten Spinner!“ Seine Stimme klang beinahe schon verärgert, doch wir entfernten uns keinen Zentimeter voneinander. Im Gegensatz, ich klammerte mich an sein abgetragenes Hemd und drückte ihn noch fester an mich. Ich fühle doch genauso, Laith... Habe ich schon immer und es wird sich nicht ändern. Egal ob du an das Schicksal glaubst oder nicht... es muss Schicksal sein... Ich kann >das< einfach nicht anders erklären. Das zwischen uns.
Und ich wusste, dass es Laith genauso ging. Nur deshalb ist er noch einmal gekommen. Nur deshalb verabschiedete er sich. Selbst nach sieben Jahre hatte sich nichts an der Anziehung zwischen uns geändert und ich bezweifelte stark, dass noch weitere siebzig Jahre vergehen mussten, bevor es auch nur ansatzweise geschehen würde. Nicht das ich vor hatte so lange zu leben. Andererseits... hundert Jahre mit Laith verbringen zu dürfen, erschienen mir jetzt sogar noch viel zu wenig.
Das nächste Lied begann, doch spielte in einer anderen Sprache, sodass ich den Text nicht verstehen konnte. Trotz der romantischen Situation zog sich Laith zurück und schob mich bis auf eine Armlänge von sich fort. Erwartend versank ich in seinen unglaublich eisblauen Augen und wollte nicht verstehen, wieso er mich schon wieder verließ. Natürlich erwartete ich nicht, dass er mir sagt, dass er mich liebt und mich heiratet, aber... ich erwartete, dass er mich nicht einfach wieder mit meinen Gefühlen alleine ließ.
Natürlich wusste er, wie immer ganz genau was ich dachte.
„Tut mir leid, Kailee. Außerdem, dein Verlobter sucht dich. Er kommt gleich die Veranda hinunter."
Erschrocken wandte ich mich um, doch fühlte mich kein bisschen schuldig. Genauso wenig wie ich Eifersucht bei Marcel fühlte. Oder sexuelle Anziehung.
Frustriert drehte ich mich von Laith fort, und zwang meine Beine endlich dieselben Schritte zu tun, die er vor sieben Jahren gemacht hatte.
- - - - -
Laith:
Es zerriss mich innerlich. Jeder einzelne Schritt den sie von mir weg tat... Nein, zu dem sie sich zwang, ihn zu machen, ohne sich zu mir umzudrehen, stach mir ein weiteres Messer ins Herz.
Immer und immer wieder wiederholte ich in meinem Kopf, dass es besser so war. Geliebt von einem guten Mann und unterstützt zu werden, ist wichtig für sie und wichtig für mich zu wissen. Ich ließ sie doch nicht weinend und gebrochen zurück. Nein, Kailee ist stark, sie würde so etwas nicht tun. Nicht schon wieder und nicht wegen mir.
Kailee war bereits um die Ecke gebogen, doch ich fühlte immer noch die Anziehung, die sie auf mich hatte. Dieses Vertraute ziehen in ihren Kopf, als gäbe es nichts Wichtigeres als jeden einzelnen kostbaren Gedanken von ihr zu folgen.
Als plötzlich ein sarkastisches Klatschen hinter mir erklang, erschreckte ich mich so sehr, dass ich vor Schreck sogar einen Satz nach vorne machte. Wild nach Luft schnappend, griff ich mir aufs Herz und versuchte, es wieder zu beruhigen. Bestimmt hatte ich jetzt ein paar kostbare Minuten meines Lebens verloren.
Zornig betrachtete ich den alten Mann hinter mir, der sichtlich belustigt über meine Reaktion zu sein schien, was mich nur noch mehr verärgerte.
Plötzlich dämmerte mir etwas... ich hörte den Mann nicht. Ich hörte ihn nicht, als er sich angeschlichen hatte und noch weniger konnte ich seine Gedanken hören! Wieso?
„Das war ein eindrucksvoller Abschied. Ich hätte beinahe geweint. Aber nur beinahe.“ Scherzte er und trat unter dem Schatten eines jungen Baumes hervor, hinter dem er sich versteckt hatte.
„Nicht witzig.“ Kommentierte ich beleidigt, während ich zu ergründen versuchte, wieso ich den Kerl nicht hören konnte. Das war regelrecht frustrierend.
„Entschuldige, bitte. Ich kenne den Humor unter den heutigen Kindern leider nicht. Meine Tochter war zwar ein Kind, das sehr viel gelacht hat, doch leider niemals vor mir. Ich nehme an, ihr Sohn ist genauso?“ Vielsagend blickte er mich an und trat ins Licht.
Erschrocken erstarrte ich, doch vermied es, mir etwas anmerken zu lassen. Charles Andrew Maxwell. Mein Großvater. Zum Glück erkannte ich nicht auf Anhieb irgendwelche äußeren Ähnlichkeiten zwischen ihm und mir. Er schien sogar ein Stück kleiner zu sein, die jedoch seine Ausstrahlung wettmachte. „Da ich Sie nicht kenne, oder Ihre Tochter, kann ich Ihre Fragen nicht beantworten. Tut mir leid, doch ich muss zurück zu meinem Großvater. Er macht sich bestimmt schon sorgen.“
Ich wollte an ihm vorbei gehen, doch er stellte sich mir in den Weg und alleine schon seine Autorität deutete mir, auf jeden Fall keinen Schritt an ihm vorbei zu machen. Und das tat ich auch nicht.
„Laith, ich sehe die Ähnlichkeit zu deiner Mutter. Das Haar, der sture Gesichtsausdruck, die Nase, deine Wangenknochen. Außer deiner Größe könntest du glatt das männliche Gegenstück zu ihr sein. Das macht mich sehr stolz, mein Sohn.“
Ich wollte ihn schon korrigieren dass ich nicht sein Sohn, sondern sein Enkel bin, aber unterließ es. Unter allen Umständen würde ich verhindern die Wahrheit vor diesem Schwein zu zugeben. „Ich weiß leider nicht, wovon Sie sprechen. Meine Mutter ist eine vierzigjährige Rothaarige. Wenn dann komme ich mehr nach meinem...“
„Laith! Wage es nicht deinen Großvater zu belügen. Es hat ja doch keinen Sinn. Jetzt stellt sich mir jedoch die wichtigste aller Fragen... Was ist deine Gabe?“
Ruhig legte er den Kopf schräg und blickte mich forschend von oben bis unten an. Als würde er jeden Zentimeter meines Körpers abmessen wollen, betrachtete er mich so genau, dass mir ein kalter Schauder über den Rücken glitt. Plötzlich hörte ich wie sich hinter mir die Hollywoodschaukel bewegte, doch wusste, dass sich niemand hinter mir befand. Ein Lüftchen hatte sie auch nicht in Bewegung gesetzt, daher konnte sie lediglich einen geistigen Schubs bekommen haben.
„Meine Gabe ist es alten Männern aus den Weg zu gehen und sie ins Altersheim zu führen, falls sie mir verwirrt erscheinen. Das ist alles...“ Plötzlich legte sich ein unsichtbarer Griff um meinen Hals und hob mich einen guten Meter hoch, als wäge ich überhaupt nichts.
„Junge, deine Mutter wäre nicht mit dir weggelaufen, wenn du keine Fähigkeit hättest. Außerdem solltest du wissen, dass ich die Mittel und Wege besitze um dich zum Reden zu bringen.“
Ächzend versuchte ich mich, aus dem nicht vorhandenen Griff zu befreien, während sich der alte Mann vollkommen sorglos, als wäre es ein ruhiges Gespräch unter zwei Bekannten, an die Hauswand lehnte und seine Fingernägel gelangweilt betrachtete.
Gerade als vor meinen Augen anfingen, Sterne zu tanzen, verschwand der Griff und ich landete unangenehm auf den Beinen. Mein Rechtes knickte fort und von einem Moment auf den anderen explodierte ein Schmerz darin. Ich unterdrückte einen Aufschrei und hielt mir den Knöchel. „Siehst du. Jetzt musste ich sogar meinem Enkel bei unserer ersten Begegnung weh tun. Mein armes Kind.“ Plötzlich stand der alte Mann vor mir und legte mir beinahe zärtlich eine Hand ins Haar, bevor er mich an der Kopfhaut zurückriss, und ich in sein großväterlich lächelndes Gesicht blickte. „Deine Mutter muss dir ja furchtbare Sachen über mich erzählt haben. Aber nicht alle davon sind wahr. Ich bin ein großer Familienmensch. Ich liebe jeden in unserer Familie, solange sie eine nützliche Gabe besitzen. Und was ist schöner als eine große Familienzusammenführung? Weißt du, ich bin ein Visionist. Ein Imperator. Ein...“
„...Tyrann? Ein Diktator?“ Schlug ich ihm weiter vor, als er gerade ins schwärmen über sich selbst kam und einen verträumten Gesichtsausdruck bekam. Über meine barsche Unterbrechung schien er keinesfalls erfreut zu sein. Im Gegenteil, er schien plötzlich fürchterlich beleidigt zu sein.
„Ich wusste doch, deine Mutter hat dir nur von meine schlechten Seiten erzählt.“ Charles, mein Großvater, griff sich ans Herz und tat als würde ihm dieser Gedanke schmerzen bereiten. „Meine wunderschöne, zerbrechliche Tochter. Ein Schande, dass ausgerechnet sie mit einer solch machtvollen Kraft gesegnet wurde.“ Wieder lächelnd, senkte er den Blick auf mich. „Aber du bist ihr Ebenbild. Ich weiß, dass du eine Gabe besitzt, das liegt einfach in unseren Genen. Also sag mir, für die Weiterführung unseres Stammbaumes, was deine ist?“
Demonstrativ schüttelte ich den Kopf und kam ungelenk wieder auf die Beine. Verdammter Knöchel. „Ich habe keine.“ Gab ich in einem so sturen Ton wieder, sodass ich, doch eine Ähnlichkeit zu meinem Großvater fand und das schockierte mich ein wenig.
Abschätzig schnalzte dieser mit der Zunge, dann winkte er ab. „Ich verstehe. In deinen Augen bin ich der Böse. Aber ich bin genauso ein liebender Großvater, wie ich ein gewissenloser Mörder sein kann. Deshalb möchte ich dich für übermorgen Mittag zum Essen einladen. Natürlich ist deine Mutter ebenso herzlich willkommen im Schoße der Familie wie du. Wenn sie wieder kommt, mit dir, dann verzeihe ich ihr den Schmerz, den sie unserer Familie zu gefügt hat. Es ist immerhin bereits Jahre her, oder?“
Es schien, als würde er mich umarmen wollen, doch ich stolperte zurück und stieß gegen die Hollywoodschaukel, die nun dank mir Schwung bekam und gemütlich vor sich vor und zurück schaukelte. „Meine Mutter würde eher sterben als zu dir zu kommen.“ Stieß ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor, da mein Knöchel durch den Rückwärtsschritt wieder fürchterlich zu Schmerzen begann und humpelte weg von dem Psychopathen.
„Laith, sag deine Mutter sie soll es mir nicht so schwer machen. Sie weiß so gut wie ich, zu was ich fähig bin, wenn ihr übermorgen nicht kommt.“ Den Schmerz ignorierend, humpelte ich den Seiteneingang hinunter und schloss den Zaun hinter mir, als könne er mich vor dem Monster auf der anderen Seite, getarnt als einen lächelnden alten Mann mit weißem Haar, beschützen. Aber nicht nur ich wusste, dass die Dickste Mauer nichts gegen ihn nützen würde.
- - - - -
„Scheiße...“ Fluchte ich und stieg in mein Auto. „Verdammt, verdammt...“Frustriert schlug ich auf mein Lenkrad ein und unterdrückte die aufkommenden Tränen.
Nein!
Ich hatte weder beim ersten Mal, als ich Kailee verlassen habe geweint, noch jetzt. Da wird mich doch nicht mein verrückter Großvater dazu bringen.
„Kailee...“ Plötzlich erkannte ich erschüttert, dass mein Großvater offensichtlich Kailee kennen musste. Kannte er etwa davor schon die Verbindung von ihr zu mir? Hatte er es mit Absicht so arrangiert, dass ich auf ihn traf? Oder war es, so wie Kailee es sagen würde, ein Wink des Schicksals? Aber nach zwanzig Jahren?
Etwas sagte mir, dass er meine Mutter bereits gefunden hätte, wenn er es darauf angelegt, hätte und das machte mir mehr Angst als alles andere zuvor. Vermutlich sind wir niemals so frei gewesen, wie wir gedacht hatten?
Mit Vollgas fuhr ich aus der Parklücke und lenkte zur Autobahn hin. Nie und nimmer, würde ich jetzt zu meiner Mutter nach Hause fahren und meinen Großvater dort hinlenken. Stattdessen schrieb ich ihr eine Nachricht vom Handy.
>Mama, ich habe Großvater getroffen. Er will sich übermorgen mit uns beiden zum Mittagessen treffen. Komme heute nicht nach Hause, übernachte am Flughafen. Schick mir bitte meine Sachen hin, fliege trotzdem. Melde mich, wenn ich einen sicheren Platz gefunden habe, dann kommt ihr nach.< Ich zögerte, doch schrieb dann doch noch, wie sehr sie mir bedeuteten. >Ich liebe euch und haltet euch von Kailee fern, er ist in ihrem Bekanntenkreis.< Auch wenn es nicht fair Kailee gegenüber war, so war daran wohl oder übel, nichts zu ändern. Ich konnte schlecht zu Kailee gehen und ihr sagen, dass sie untertauchen sollte.
Aber... bestimmt würde sie mit mir kommen... weit weg auf einen anderen Kontinent, wo uns niemand finden würde... vielleicht in einer kleinen Hütte? Irgendwo in den Bergen?
Mein Herz begann sofort wieder zu weinen von der Vorstellung. Sie war unendlich schön und schrecklich zugleich. Nein, Kailee würde ich nichts sagen. Sie verdient ein schönes Leben mit einer großen Familie.
Ich drückte noch einmal aufs Gas und überholte die letzten nächtlichen Schwärmer, die wie Schildkröten vor mir her krochen. Fliegen. Das war es, was ich tun musste. So schnell wie möglich und so weit wie möglich.
Als ich im Hotel ankam, hatte mir meine Mutter bereits geantwortet und war sichtlich panisch. Sie versuchte mich mehrfach anzurufen, doch ich drückte sie kurzerhand einfach weg und schaltete mein Handy aus, nachdem ich ihr meine Hotelnummer geschickt hatte.
Für den Fall, dass uns Großvater findet, hatten wir schon immer einen Notfallplan gemacht. Den nächsten Flieger nehmen und auf die andere Seite der Welt fliegen. Nun mussten sich unsere Wege für einige Zeit trennen. Ich konnte nur hoffen, dass ich schnell eine geeignete Unterkunft finden würde.
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Am nächsten Morgen stand ich bereits mit meinem Ticket, und meinem Reisepass, am Schalter und wartete ungeduldig, dass der Mann hinter dem Bildschirm endlich meine Ankunft einscannte. Zwei Minuten vergingen und der Mann runzelte verwirrt die Stirn.
„Mister...“ Er blickte auf den Namen, auf den mein Pass und mein Ticket ausgestellt waren. „...Buckett. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass wir bereits seit zwei Tagen große Schwierigkeiten mit dieser Airline haben.“ Seit zwei Tagen? Was soll das heißen? „Aber Sie haben Glück. Heute Nachmittag wäre ein weiterer Flug und wir hätten noch einen Platz für eine Person...“
„Dann buchen Sie eben um. Aber bitte... beeilen Sie sich.“ Ich bemühte mich, meinen Ärger nicht an dem Angestellten auszulassen und wartete weitere zehn Minuten, bis er endlich dazu kam mir ein neues Ticket zu drucken.
Nervös wieso das so lange dauerte, trommelte ich mit den Fingern auf dem Schalter herum und biss mir auf die Unterlippe um kein dummes Kommentar von mir zu geben.
„Oh, wie es aussieht, habe ich hier technische Schwierigkeiten. Einen Moment, ich komme gleich wieder.“ Frustriert gab ich einen Laut von mir, der meine Laune kundtat und hörte wie hinter mir jemand hüstelnd ein Lachen unterdrückte.
Zornig wandte ich mich der rothaarigen Frau, ich schätzte sie auf knapp vierzig Jahre, um und schenkte ihr einen verärgerten Blick, doch sie gab sich nicht einmal die Mühe ihre Belustigung zu verbergen.
„Computer sind so eigenwillig, nicht wahr.“ Scherzte sie und lächelte mich aufrecht an.
„Ein Computer ist ein Computer, wenn es ein Problem gibt, dann ist es die Inkompetenz der Menschen, die sie bedienen.“ Stieß ich hervor und war froh endlich meine Meinung heraus lassen zu können.
„Mein Name ist Aghata.“ Sie reichte mir freundlich lächelnd die Hand und ich schüttelte sie leicht verunsichert. Eigentlich war ich nicht hier um Freundschaften zu schließen, doch die Frau schien nett zu sein.
„Laith.“ Stellte ich mich vor.
„Wo wollen Sie denn hin?“ Erkundigte sie sich und schien einfach nur Zeit vertrödeln zu wollen, während wir warten mussten.
„Zur Zeit? In den Norden. Hauptsache weit weg von hier.“ Es war nicht wirklich eine Lüge, nur dass ich auf einen anderen Kontinent in den Norden wollte. „Und Sie?“
Sie hob unwissend die Schultern. „Geschäftsreise.“ Meinte sie ausweichend. Offenbar wollte sie es mir nicht sagen und es das war mir herzlich egal. „Wie es scheint, will das Land nicht, dass sie fortgehen.“ Scherzte sie und deutete auf die beiden Techniker, welcher eifrig am Computer herum schraubten und in einer Sprache die ich nicht verstand leise fluchten.
„Scheint so...“ Gab ich zu und verfluchte abermals das Schicksals.
„Laufen Sie vor etwas davon? Sie scheinen ziemlich hektisch zu sein.“
Ich nickte. „Familienprobleme.“ Meinte ich ausweichend.
„Ah! Verstehe. Aber egal was es ist, vor der Familie kann man niemals fortlaufen. Ich weiß das, ich habe es versucht, aber schlussendlich überwiegt das Heimweh.“
Gut das ich so ein Gefühl nicht besaß. Das einzige was ich als >Heimweh< bezeichnen konnte, war der stechende Schmerz in meiner Brust des >Herzschmerzes< als ich daran dachte Kailee hier alleine zu lassen. „Für Sie gilt das vielleicht, aber nicht für mich. Es gibt mehr Gründe zu verschwinden, als hierzubleiben.“
„Hat Ihr Grund auch einen Namen?“ Mit wissenden Augen sah sie mich an und schmunzelte, als sie in meinen Augen erkannte, dass sie richtig geraten hatte.
„Da gibt es nichts zu wissen. Ich gehe. Punkt aus.“ Außerdem wird sie jemanden heiraten. Und das ist alleine meine Schuld.
„Und was ist mit Ihrem Mittagessen? Ich dachte, Familienfeier sind wichtig?“ Überrascht zuckte ich zusammen und sog frustriert die Luft ein.
„Sie gehören zu meinem Großvater?“
In ihrer Tasche vibrierte es und sie blickte erst auf das Handy, bevor sie es breit grinsend wieder zurücksteckte. Sämtliche Freundlichkeit war aus ihren Augen verschwunden und stattdessen keimte so etwas wie Wahnsinn in ihnen auf. „Dein Großvater ist vielleicht etwas anstrengend, aber ein guter Mann. Er hat große Zukunftsvisionen. Du solltest sie dir zumindest an...“
„Nein!“ Rief ich etwas zu laut aus. „Ich will kein Wort des alten Spinners hören.“
„Und ich werde hier nicht weggehen, bevor du nicht in dein Auto steigst und artig zu deiner Mami fährst.“ In ihrer Stimme lag so etwas wie Spott und sie kam einige Schritte auf mich zu. Weit zurückweichen konnte ich nicht, aber versuchte in ihren Gedanken, den Willen zu formen, nicht noch näher zu kommen. Und sie blieb tatsächlich stehen.
„Damit er weiß, wo er sie findet? Sie wieder ausnutzt? Nein! Das würde ich meiner Mutter niemals antun.“
„Bist du dir da sicher? Wenn du nämlich nicht sie verrätst, wirst du jemanden anders verraten müssen.“ Meinte sie vielsagend. Plötzlich, so schnell dass ich ihren Gedanken nicht einmal folgen konnte, packte sie mich am Kragen und zog mich einfach zu sich hinab. Meine Lippen trafen auf ihre und Übelkeit überkam mich, als sie mir einfach ihre Zunge leidenschaftlich in den Hals steckte.
Angewidert versuchte ich, sie fortzuschieben, doch sie klammerte sich, ohne Rücksicht, einfach auf mich.
Plötzlich wurde ich aus ihren Gedanken gezogen und fühlte die alte vertraute Leere, die ich nur in den seltensten Momenten erleben hatte dürfen. Sofort wusste ich, um wen es sich handeln musste.
Ich erstarrte, im Versuch mich von der alten Klette zu befreien, und blickte über sie hinweg in die entsetzt aufgerissenen hellbraunen Augen von Kailee.
Als dir rothaarige bemerkte, dass ich erstarrt war, ließ sie endlich von mir ab, trat einen Schritt zurück, als wäre niemals irgendetwas passiert.
„Kailee...“ Flüsterte ich. Nein! Nein... was dachte sie denn da? Sie stand viel zu weit weg und in einem ungünstigen Winkel, sodass sie das Alter der Frau die mich abgeknutscht hatte, unmöglich einschätzen konnte. Sie hielt sie für meine Flamme...
„Ein Geschenk deines Großvaters, da du dich nicht kooperativ gezeigt hast.“ Säuselte die Schreckschraube feierlich und wirkte ungemein stolz auf sich selbst.
„Kailee!“ Mir war es egal. Mir war egal was sie mit mir anstellen. Egal wie weit sie gingen, um mir mein Geheimnis zu entlocken, aber das...
Kailee wandte sich ab und lief so schnell aus dem Flughafenbereich, dass ich ihr, mit meinem schmerzenden Bein, überhaupt nicht hinterherkam. All ihre Gedanken dröhnten wie ein schreckliches Gewitter auf mich ein.
Verschinde! Komm mir nicht hinterher, du Schwein! Schrie sie mir entgegen und entfernte sich immer weiter und weiter, bis sie außerhalb meiner Reichweite war. Erst da wurde mir bewusst, was eben geschehen war. Sie ist gekommen... Zum Flughafen! Kailee war gekommen um mich am Fliegen zu hindern, sie hatte sogar die Hochzeit bereits abgesagt und dann sah sie mich wild knutschend mit irgend so einer Schlampe!
Kein Wunder dass sie mich für das letzte hielt.
Das Schlimmste daran... nun wollte ich überhaupt nicht mehr gehen. Ich konnte mir einfach nicht mehr vorstellen von ihr wegzugehen. Nicht nach diesem Blick. Nicht nach diesen Gefühlen... „Scheiße!“ Frustriert schlug ich auf eine Säule ein, die neben mir aufragte und rieb mir die Knöchel wund, sodass dicke Tropfen Blut meine Fingerspitzen hinunter liefen, doch das war mir egal. Kein Schmerz der Welt war vergleichbar mit dem, den ich empfand, nachdem mir klar wurde, dass ich sie endgültig verloren hatte. Nun war sie für immer unerreichbar für mich.
Alles um mich herum zerfiel. Jeder Gedanke in mir schien unwichtig geworden zu sein und sämtliche Stimmen waren aus meinem Kopf verschwunden. Kurz gesagt... Gähnende Leere herrschte in mir. Ich fühlte so viel, dass ich nicht einmal ein Gefühl einzeln beschreiben konnte. Fühlte mich wie betäubt.
Ich konnte gerade einmal erkennen, wie mich eine Hand sanft nach draußen führte und hin und wieder auf mich einsprach. Was sie sagte verstand ich nicht, aber es war mir auch egal. Es spielte keine Rolle mehr. Mein gesamtes Leben fühlte sich in diesem einem unglücklichen Moment an, als wäre es einfach zu Ende. Ohne Aussicht auf eine Fortsetzung.
- - - - -
Kailee:
Die Türe wurde hinter mir zu geschlagen und Marcels Arme schlossen sich um mich. Ohne zu fragen, tröstete er mich und trocknete meine unaufhörlich laufenden Tränen. Wie konnte er nur? Wieso hat er … Alleine das Bild an diesen Moment, als ich Laith an den Lippen dieser Frau gesehen hatte, bescherte mir Übelkeit.
Nein. Das konnte ich ihm niemals verzeihen!
Andererseits...
Ich löste mich ruckartig aus Marcels Arme, der kein bisschen dagegen protestiert hatte, als ich gesagt habe, dass ich die Hochzeit einfach nicht durchziehen konnte.
Marcel war einfach verständnisvoll gewesen und hatte gesagt, dass er sich so etwas bereits gedacht hatte. Danach hatte er mich ohne es zu hinterfragen, zum Flughafen gebracht, mit der Limousine seines Großonkels, der mich nun ebenfalls betroffen ansah.
Wieso wusste jeder über meine Entscheidungen vor mir bescheid? Das ist doch nicht fair! Ich verliebte mich in Laith... er verschwand. Ich erkannte, dass er mich ebenfalls liebt... er verlässt alle, die ihm nahe stehen. Jetzt wollte ich jemand anderen heiraten... und er liebt mich nur umso mehr. Laith machte mir keine Vorwürfe. Er verachtete mich nicht... Schimpfte nicht...
Welches Recht hatte ich denn ihn zu verachten, wenn er dasselbe tat wie ich?
Plötzlich fröstelnd zog ich die Weste enger um mich und starrte auf meine verwaschene Jeanshose, die ich einfach eilig aus dem Kleiderkasten gezogen hatte.
„Kind, wenn dir vielleicht der Rat eines alten Mannes etwas nützt...“ Charles, der Großonkel von Marcel, ergriff meine Hände und drückte sie liebevoll. „Was nicht sein soll, das soll nicht sein. Ich kenne nicht alle Details eurer Vergangenheit, doch ich habe euch gestern Abend tanzen gesehen.“ ertappt zuckte ich zusammen, doch fühlte keine Schuld. Nein, für Laith würde ich mich niemals schuldig fühlen. „Manche Leute tun sich einfach nicht gut. Sie sind schlecht für einen und da verhindert das Schicksal so gut es kann, dass sie zusammen kommen.“
Das Schicksal? Verhindert es wahrlich, dass wir zusammen kommen? Aber es gab doch so vieles... hatte ich mir das alles nur eingebildet? Diese unkontrollierbare Anziehung, das Glänzen seiner Augen, sein zärtlicher Atem auf meiner Haut... der Tanz!
Das ist also wirklich ein Abschied gewesen? Das war der Abschluss, den er gebraucht hat, um mit seiner Freundin etwas festes zu beginnen? Wieso hatte ich denn dann fünf Jahre gebraucht, bis ich mich überwand doch wieder einmal auszugehen und mir dann einfach den Erstbesten nahmen, den ich finden konnte?
„Ich bin so ein Idiot!“ Seufzte ich unter Tränen. Wie konnte ich es nur wagen auf Laith wütend zu sein und mich hintergangen zu fühlen? Was ich getan habe, war doch viel schlimmer. Natürlich durfte er frei wählen, in wen er sich verliebt. Oder wen er küsst...
Mich hatte er nie geküsst, nun ja, bis auf das eine Mal durch das Shirt, aber das war doch nicht dasselbe. Als ich wusste, dass ich mich in ihn verliebt hatte, hat er mich gemieden, als wäre ich einfach irgend ein beliebiger Mensch. Kein direkter Kuss. Keine Warnung dass er die nächsten sieben Jahre verschwand. Kein Wort, als er mich nach sieben Jahren wieder sah.
Zum ersten Mal in meinem Leben wurde mir bewusst, dass ich definitiv etwas anderes für Laith empfand als er für mich.
„Kailee.. wir sind da.“ Fragend sah ich mich um, doch konnte nur verschwommen etwas wahrnehmen. Schniefend wischte ich mir die Tränen aus den Augen und erkannte endlich, dass wir uns vor einer großen Villa befanden.
„Wo sind wir?“ Erkundigte ich mich staunend, denn als ich genauer hinsah, wirkte es mehr, wie ein riesiges Herrenhaus.
„In meinem Haus. Es ist seit Jahrhunderten in unserem besitzt und das Grundstück selbst beherbergt gut sechs Hektar.“ Klärte mich Charles stolz auf.
Überrascht klappte mir der Mund auf. Sechs? Unmöglich! „Wirklich?“ Niemand besaß ein so großes Grundstück.
„Ja, vielleicht ein paar Meter Plus und Minus, aber meine Schwester und ich sind hier bei unserem Großonkel aufgewachsen ...“
„... nachdem eure Mutter verstorben ist. Ja, das hast du mir bereits erzählt. Auch dass es ein großes Grundstück ist, aber wer rechnet denn da schon mit einem... halben Schlossareal.“
Beide Männer lachten, als ich die gepflasterte Auffahrt hinauf ging und nicht wusste, wohin ich zuerst sehen sollte. Was zum Teufel verdient dieser Kerl? Dass er mir einen finanziellen Vorschuss gegeben hat, dürfte ihn nicht einmal angekratzt haben.
„Erinnere mich daran, dass ich das Nächste mal deinen Großonkel um ein paar Millionen erleichtere.“ Scherzte ich und ließ mich von Marcel in das Maxwell Anwesen führen.
„Nicht einmal die würden mich stören, Liebes.“ Bemerkte Charles vielsagend, woraufhin ich ihn geradezu entsetzt anblickte. Ich konnte nicht glauben das, dass sein ernst sein soll.
Altväterlich sah er zu mir und kicherte vor sich hin. Und ich sammelte, wie eine Verrückte Spenden, während Charles auf einem regelrechten Schatzkeller saß. Wie gemein! Trotzdem lächelte ich zurück. Charles jedenfalls schien keinesfalls eitel oder überheblich zu sein. Selbst Marcel hatte in einer bequemen Wohnung gelebt, mit einfachen Möbeln, als wir uns kennen lernten. Machten sie sich etwa nichts aus all dem Geld?
Im Eingangsbereich wurden uns sofort die Jacken abgenommen, dann führten uns Charles in eines der drei Teezimmer. Nur eine Minute später, hatte jeder von uns eine warme Tasse in der Hand, nur ich war die Einzige, die nicht daran nippte.
„Geht es dir schon besser?“ Durch den plötzlichen Reichtum um mich herum und den vielen bedeutsamen Sammlerwerken, hatte ich vollkommen das wichtigste Vergessen. Laith...
„Ja, ein wenig.“ Nun nippte ich doch, um irgendetwas zu tun.
„Was genau ist denn eigentlich am Bahnhof passiert? Ich weiß es geht mich nichts an, aber meist hilft es, über das zu sprechen, was einem bedrückt.“ Charles lehnte sich neugierig vor und tätschelte sachte mein Knie.
„Eigentlich... überhaupt nichts. Ich wollte zu ihm um ihm zu sagen, wie ich fühle, und dass er nicht gehen soll, doch... dann hat er... er hat...“ Schon alleine das Wort löste Übelkeit in mir aus. Nein, ich konnte es nicht sagen! „Das gestern war ein Abschluss für ihn. Ich habe zu spät reagiert, jetzt hat er eine Freundin, mit der er fortfliegen wird. Das ist alles.“ Ich sprach die Worte so schnell aus, dass nicht einmal ich selbst mir glauben würde.
Nein, das war noch lange nicht alles.
„Und Laith hat dich auch wirklich gesehen?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich glaube ja. Zumindest habe ich ihn rufen gehört.“ Das war eigentlich eine Lüge, denn ich war bereits so nahe, dass Laith mich hatte spüren müssen. Jedoch als er seinen Blick auf mich lenkte, immer noch an den Lippen dieser Schlampe... da hatte ich nicht mehr nachgedacht, sondern bin einfach gelaufen.
Erschrocken riss ich mich von den Gedanken an die rothaarige Frau los und blickt überrascht zu Charles. Hatte er etwa eben >Laith< gesagt?
„Woher kennst du seinen Namen?“ Fragte ich etwas barscher als beabsichtigt.
„Sagen wir einmal... wir sind alte Bekannte.“ Charles stellte seine Tasse ab und blickte vielsagend zu seinem Großneffen.
„Inwiefern?“ Fragte ich nun endgültig davon überzeugt etwas nicht mitbekommen zu haben.
„Wie du zweifellos weißt, ist Marcel, der einzig verbliebene seiner Blutlinie. Mein Bruder starb sehr früh und ließ eine Tochter zurück. Auch sie ereilte dasselbe Schicksal, im selben Alter. Sie hinterließ mir Marcel. Er jedoch stellte sich als... beständiger heraus, als gedacht. Dasselbe gilt für Laiths Mutter. Sie ist ein hervorragendes Kind gewesen. Talentiert, kräftig,...“
„Sie sind Sams Vater?“ Bisher hatte mir Samantha nicht den Namen ihres Vaters anvertraut, daher fiel mir die Ähnlichkeit auch erst jetzt wie Schuppen von den Augen. „Aber... dann sind Sie Laiths... Sie wussten... Ich war Ihre Falle!" Das erkannte ich plötzlich und kam mir fürchterlich naiv vor.
„Weniger eine Falle, als ein glücklicher Zufall. Ich wollte, dass du Marcels Kinder austrägst, aus genetischen Gründen und...“
Ich verstand sofort, was er sagte. „Es liegt daran, dass sie in meiner Gegenwart keine Telekinese einsetzen können!“ Stieß ich hervor und ließ die Tasse auf den teuren Teppich fallen. Mehr absichtlich, als aus Versehen.
„Laith hat dich eingeweiht?“ Das schien Charles nun seinerseits zu überraschen.
„Natürlich hat er mir über seine verrückte Familie erzählt!“ Immerhin bin ich so aufdringlich gewesen, bis er überhaupt keine Wahl mehr gehabt hatte.
„Wieso muss die jüngste Generation mich nur unbedingt immer für verrückt halten?“ Die Frage ging an Marcel, der nicht besonders begeistert aussah.
„Keine Sorge Großvater. Das ist nur, weil sie nicht das große ganze sehen sehen. Aber ich sehe es, keine Sorge.“ Beschwichtigte er seinen Großonkel und ließ mich verächtlich die Augen verdrehen.
„Du bist wahrlich ein Heuchler!“ Stieß ich angewidert hervor und warf ihm einen eindeutigen Blick zu.
„Ich, ein Heuchler? So scheinheilig wie du tust, bist wohl eher du die Heuchlerin.“
Eingeschnappt verschränkte ich die Arme vor dem Oberkörper. „Arschkriecher!“ Ich weiß, ich klang im Moment nicht sonderlich erwachsen, doch die Abneigung die ich plötzlich verspürte und vor allem der Zorn auf mich selbst... Ich hatte doch Laith erst in diese Lage gebracht. „Wenigstens konnte er von euch wegfliegen! Sam wirst du auch nicht bekommen!“ Meiner Sache sicher stand ich auf und blickte hochnäsig auf den alten Mann herab. Eher würde die Hölle zu frieren, als dass ich zulassen würde, dass er Sam erwischte.
„Sam, so ein unsittlicher Name. Meine dumme Tochter hat ihn ändern lassen. Und dann auch noch so etwas wie... Samantha.“ Er stieß den Namen voller Abneigung hervor.
„Ihr Name ist wunderschön. Genauso wie sie klug und einfühlsam ist und weiß, was das Richtige ist. Sie könnten viel von Ihrer Tochter lernen.“ Verteidigte ich meine langjährige Freundin.
Charles wollte wieder dagegen ansetzen, doch Marcel fiel ihm ins Wort. „Großonkel! Es geht jetzt nicht um deine Tochter, sie hat bereits vor zwanzig Jahren klar gestellt, wo sie hingehört. Aber Laith, dein Enkel, er muss eine Gabe haben. Und ich weiß auch schon wer uns helfen kann herauszufinden, welche es ist.“ Beide Männer blickten mich vielsagend an, doch ich streckte ihnen innerlich die Zunge heraus. Solange Laith nicht da ist, konnten sie mich schwer zu irgendetwas zwingen. „Das spielt wohl jetzt so wie keine Rolle mehr. Laith ist fort. Ihr werdet es niemals erfahren. Zudem weiß ich es selbst nicht, er hat sich mir nur bis zu einem gewissen Grad anvertraut und auch nur, weil er mein bester Freund ist.“ Nun, ja so mehr oder weniger.
„Es tut mir leid, doch Laith musste wohl oder übel seinen Flug verpassen. Wir wollten lediglich, dass er kooperiert und das du so dringend zu ihm wolltest, ist uns gelegen gekommen.“ Marcel wirkte erheiterter darüber, als dass es die Situation zu ließ.
„Was soll das heißen? Ich habe doch gesehen wie er mit dieser... Schlampe... Meine Augen haben mich nicht belogen!“ Oder doch? Charles sah nicht so aus, als ob sein Großneffe gelogen hätte.
„Aber vielleicht dein Blickwinkel. Du hast nur gesehen, wie eine Frau an den Lippen deines Angebeteten hing. Nicht wer diese Frau war, oder ob es Laith überhaupt gefallen hat, oder?“
Das entsprach wohl oder übel der Wahrheit. Laith hatte nicht die Arme um die Frau geschlungen und besonders leidenschaftlich hatte der Kuss ebenfalls nicht gewirkt. Täuschte ich mich etwa? War das alles bloß ein Trick? Doch zu welchem Zweck?
Marcel zog sein Handy hervor und bekam einen seltsamen Ausdruck im Gesicht. „Sie kommt her.“ Verkündete er vielsagend.
„Hier her? Wieso?“
Marcel hob die Arme unwissend. „Sehe ich aus, als ob ich wüsste, was in ihrem Kopf vor geht? Ich bin nicht ihr Mann.“ Etwas genervt wandte er sich ab und ging zum Fenster, um hinaus zu sehen.
„Kümmere dich, dass er ein Zimmer bekommt. Kailee, komm mit mir hinauf.“ Charles setzte sich in Bewegung und ich folgte ihm. Vielleicht erfuhr ich ja zufällig, was geschehen würde? Zur Sicherheit hielt ich etwas Abstand zu ihm, da es mir unangenehm war, hinter ihm die Treppe hinauf zu steigen, während mein Blick ständig nach Laith suchte.
Er war es, doch den man hier her brachte, oder? Er musste es sein.
Im obersten Stockwerk angekommen, stellte sich Charles mit mir ans Geländer und deutete mit einem nicken hinab in den Eingangsbereich.
„Ich will kein Wort von dir hören, ansonsten werde ich diesen Kronläuchter auf Laith fallen lassen.“
Erschrocken über seine plötzlich eiskalte Stimme blickte ich ihn an. „Aber... Das würde doch auch...“ Marcel treffen, doch das war ihm vollkommen egal.
„Marcels Mutter wird Laith auf sein Zimmer bringen, aber ich möchte nicht, dass du auch nur ein einziges Wort von dir gibst, verstanden?“
Ich nickte, doch stutzte dann. „Marcels Mutter?“ Fragte ich irritert. Ich dachte, er sei ein Waise?
„Genetisch bedingt ist sie seine Mutter, hat aber eine vollkommen unnütze Gabe. Jedoch hat sie, um nicht zu früh zu sterben, ein Kind bekommen. Marcel. Er beherrscht die Teleportation, was ausgesprochen nützlich ist, auch wenn er nur sich selbst teleportieren kann. Etwas später hat sie noch ein Kind bekommen, als wüsste sie, immer wenn ihre Zeit gekommen ist. Sie ist richtig nervig. Ich weiß nicht wie ich so eine Verwandtschaft haben kann.“
>Zu früh sterben< das war wohl der Grund. Nicht altersbedingt, oder genetisch. Sie wurden einfach umgebracht, wenn Charles keinen Nutzen aus ihnen zog. Wie grausam und kaltherzig! Und aus so einer Familie entstammen zwei so liebevolle Menschen?
„Jetzt keine Fragen mehr.“ Ein Befehl, der keinerlei Widrigkeiten zuließ, daher konzentrierte ich mich auf etwas anderes. Laith.
Er konnte mich spüren, sobald er in meine Nähe kam, bestimmt wollte er sich sofort entschuldigen, sobald er mich sah. Laith... bitte ignoriere mich. Tu so als wäre ich nicht her. Er will dich testen.
Ich wiederholte diese Sätze so oft, bis die rothaarige von vorhin durch den großen Eingang trat, gefolgt von einem Laith, dessen Hände in Handschellen lagen und sogar seine Augen sind mit einem dunklen Tuch umwickelt worden, sodass er nichts sah.
Erschrocken sog ich die Luft ein. Was hatte sie ihm nur angetan?
Ihr roter Mantel bauschte hinter ihr auf, als der Windzug sie traf und ihre Haare flogen wild um ihren Kopf. Sie sah beinahe gespenstisch aus, wie sie so mit erhobenen Kopf vor ihrem Sohn stand und ihn geradezu mit Abscheu von oben herab behandelte. Wie einen Handlanger...
„Bring ihn in sein Zimmer und schick mir jemanden für ein Bad. Ich muss mir die Verwandtschaft aus dem Gesicht waschen.“
Wutendbrand knirschte ich mit den Zähnen und bohrte meine Fingernägel in die Handfläche. Was fiel dieser... Person ein, so über Laith zu sprechen! Sie sind doch seine Familie!
Marcel nahm Laith an den Handschellen und zog ihn grob durch einen Flur, wohin dieser jedoch führte, konnte ich nicht sagen.
- - - - -
„Wieso hast du nicht nach ihm gerufen?“ Charles blickte mich durchdringend an, als er mein verbissenes Gesicht sah.
„Damit er eine Dummheit begeht? Der Kronleuchter wäre auf seinem Kopf gelandet, noch bevor ich meinen Satz hätte fertig aussprechen können. Was denken Sie denn, was ich tue? Ihn Ihnen freiwillig ausliefern?“ Meine Stimme klang nun ebenfalls eiskalt, mit einer Spur Selbstvertrauen. Vermutlich in einer solchen Gegenwart keine besonders gute Idee.
„Wie hat Laith Sie überhaupt davon überzeugen können, dass seine Familie außergewöhnlich ist?“
Sofort musste ich an Sam denken. „Nachdem ich Laith traf, traf ich auch seine Familie. Ich wurde zum Essen eingeladen, da seine Eltern sehr höfliche Menschen sind, und bot an beim Essen zu helfen. Ich schnitt mich ziemlich tief und Sam nahm mir den Schmerz, bevor ich vor Laith losheulen konnte. Seitdem sind wir beste Freunde.“
„Nur beste Freunde?“ Traurig geworden wandte ich den Blick ab. Vermutlich reichte das als Antwort... Charles ging an mir vorbei und deutete mir, ihm die Treppe hinab zu folgen. Ich tat wie geheißen und schmollte weiter vor mich hin. Ja, wieso waren wir eigentlich nicht mehr? Nur wegen diesem eiskalten alten Mann? Er ist das Einzige was zwischen uns stand. Und Laiths Angst, mich in etwas hinein zu ziehen, vor dem er mich nicht beschützen konnte. Aber so ist doch eigentlich das Leben, oder? Voller Gefahren und Herausforderung. Egal in welchem Alter, egal mit welchen Krankheiten, egal, in welchem Beruf und vor allem egal, in welcher Familie man groß wurde.
Laiths Großvater führte mich durch das Maxwell Anwesen und hielt vor einer Türe, vor der ein Bär von einem Mann stand. Vollkommen in Schwarz gekleidet und mit grimmigen Gesichtsausdruck, machte er mir irgendwie Angst. Zwar nicht so viel wie Laiths Großvater, aber doch genügend, sodass ich stehen blieb.
„Hier ist dein Zimmer. Du kannst dich frisch machen und etwas für das Abendessen anziehen. Dort darfst du Laith wieder treffen, solange ihr beide keinen Unsinn macht. Verstanden?“ Ich nickte gehörig, doch verkniff mir zu hinterfragen, was dieser Aufzug eigentlich bringen sollte.
Trotzdem wagte ich mich nicht an dem großen Wächter vorbei, was er sichtlich unbeeindruckt bemerkte. Kurzerhand schob mich Charles mit einer Kraft, die ich ihm in seinem Alter nicht zu getraut hätte, ins Zimmer und schloss sie hinter mir ab. Durch dir Türe hörte ich ihn noch eine Anweisung geben.
„Versucht sie etwas Dummes, dann binde sie von mir aus fest. Vergiss aber nicht, dass sie ein Familienmitglied werden wird, also sei vorsichtig mit ihr.“
Ein Familienmitglied? Ich? Aber... wieso? Was? Panisch wich ich von der Türe zurück und sah mich in dem schmalen Raum um.
- - - - -
Es gab nicht vieles. Nur ein gemütliches Doppelbett, einen Kleiderkasten und eine Türe, die in ein kleines Badezimmer mit Dusche führte. Dafür war der Kasten umfangreich mit Frauenkleider bestückt, sodass ich mich vor Seide und Satin kaum noch halten konnte.
Nun, ja ich bin immerhin auch nur eine Frau.
Entschlossen mich nicht kaufen zu lassen, riss ich mich von dem atemberaubenden Anblick los und beschloss mein Gesicht zu waschen. Als ob es irgendetwas bringen würde. Mein gehetzter Gesichtsausdruck blieb, die schwarzen Ringe unter meinen Augen, nach der unruhigen Nacht und dem weinerlichen Vormittag, ließen sich auch nicht einfach wegwaschen und mein Herz schmerzte nur noch mehr, als ich mich so zerbrechlich im Spiegel entdeckte.
Mein Gesicht trocknete ich in einem wohlig warmen Handtuch, das sogar angenehm beheizt wurde. Seufzend beneidete ich Sam, dass sie hier aufgewachsen ist. Obwohl... abgesehen von den Vorteilen, hatte das Leben hier sichtlich große Nachteile. Man konnte niemals wissen, wann man starb und nicht mehr gut genug für den großen Boss war. Irgendwie unheimlich. Ich wollte mir überhaupt nicht ausmalen, was Sam hier alles gesehen haben muss.
Das Rascheln eines Schlüssels an der Türe ließ mich erschrocken herum fahren und instinktiv griff ich nach dem nächsten, was ich erwischen konnte. Leider ein kalter Lockenstab, doch immer noch besser als nichts, besonders wenn dieser bullige Bär plötzlich in meinem Zimmer stand, welcher Wächter vor meiner Türe spielte.
Angriffsbereit stellte ich mich in die Badezimmertüre und hielt drohend meine >Waffe< hoch. Jedoch zu meiner Überraschung, traten weder Charles oder Marcel ein, noch der der bullige Typ vor meiner Türe.
Es war schlicht und einfach... „Laith!“ Unter seinem verwirrten Blick zwischen dem Lockenstab und mir, ließ ich sie einfach fallen und seufzte, als mir ein großer Stein vom Herzen fiel.
„Dir geht es gut.“ Stellte ich erleichtert fest.
Bedrückt nickte er. „Ja, mehr oder weniger. Hat er... dir etwas getan? Oder jemand anderes?“
Ich schüttelte den Kopf, als mir die seltsame Stimmung, die sich zwischen uns aufbaute, bewusst wurde. „Nein, eigentlich war er bis auf ein paar spöttische Worte sehr zuvorkommend. Ich habe sogar ein Gefängnis... ohne Fenster, dafür mit gepolsterten Doppelbett und einer vermutlich funktionierenden Dusche.“ Ich deutete hinter mich und bemerkte, wie dumm sich diese Konversation anhörte.
Offenbar wusste das Laith ebenfalls. „Kailee, ich habe nie...“
„Es tut mir leid!“ Unterbrach ich ihn und fühlte, wie mir schon wieder Tränen aufstiegen.
„Was?“ Laith schien schockiert zu sein. Er kam mit meinen Gedanken nicht mit.
„Ich hätte das niemals glauben dürfen, was ich dachte zu sehen... oder auch wirklich gesehen habe. Auch wenn es im Nachhinein ziemlich ekelhaft ist.“
Laith griff sich an den Mund, als hätte er dort immer noch einen ekelerregenden Geschmack und verzog das Gesicht über diese Erinnerung.
„Bitte... lass mich das einfach vergessen, das war so ziemlich das Schlimmste was ich jemals erlebt habe.“ Ein Frösteln ging über seinen Körper, als wäre ihm schlecht alleine bei dem Gedanken daran. Nun, ja er war immerhin mit ihr verwandt.
„Kailee! Bitte... erinnere mich nicht mehr daran. Ich habe mir im Zimmer gegenüber gerade eben drei Mal den Mund gespült und die halbe Zahnpasta leer gemacht. Ich will... das einfach nur verdrängen.“
Ich fühlte, wie sich ein Lächeln über meine Lippen zog, bei der Vorstellung, das er das tatsächlich getan hat. Er hatte recht, er hatte definitiv Mitleid verdient, auch wenn ich es ihm immer noch übel nahm, dass er mich zurücklassen wollte.
„Willst du immer noch fliegen?“
Laith schüttelte den Kopf. „Nicht wenn sie dich am Radar haben, oder deine Familie. Ich kenne diesen... Großkotz nicht gut, aber ich weiß, dass er vor nichts halt machen würde. Das habe ich in Aghatas Kopf gehört.“
Sofort dachte ich an die Rothaarige, da ich irgendwie wusste, dass er sie meinte, und verzog beleidigt das Gesicht.
„Weißt du... es ist wirklich erstaunlich, dass man dich erst dazu zwingen muss jemanden zu küssen. Ist das wirklich so schrecklich für dich?“
Laith sah regelrecht entsetzt aus. „Natürlich! Denkst du, ich mag es von meiner Verwandtschaft so … Oh, so meintest du das...“ Laith erkannte dass ich eigentlich etwas ganz anderes gemeint hatte und wurde leicht rot im Gesicht.
Nicht einmal mich hatte er küssen wollen. Nicht vor sieben Jahren, nicht in der Umkleide, nicht als wir so eng getanzt haben... Und diese miese kleine Schlange... zwang sich ihm einfach auf. Das ist nicht fair!
Ich schrie ihm regelrecht meine Worte entgegen, sodass sich sein entsetzter Gesichtsausdruck in einen geradezu beschämten verwandelte. „Es ist nicht, so dass ich es nicht wollte... aber... es ist einfach kompliziert mit meiner Familie.“
Jemanden zu mögen und küssen zu wollen, hat noch lange nichts mit der Familie zu tun. Nur wegen irgendwelchen Psychopathen in der Familie muss man doch nicht alle um sich herum derart verletzten, zumindest sah ich das so. Und ich habe es satt darauf zu warten, dass sich irgendetwas ändert, oder dass du dich meiner irgendwann doch erbarmst. Du wolltest mich hier zurücklassen, ohne jemals wieder zu kommen. „Bist du auch nur ein einziges Mal auf den Gedanken gekommen, mich zu fragen, ob ich mit dir kommen würde?“ Ich weiß, eigentlich sollte ich mir mehr Gedanken darüber machen, wie wir hier wieder hinaus kommen, doch eben in diesem einen schockierenden Moment, gewann meine Eifersucht die Oberhand.
„Ich... Mitkommen? Ich weiß nicht. Natürlich habe ich mir ausgemalt, wie es wäre, wenn wir irgendwo zusammen... also wenn ich nicht alleine gehen würde. Das wir in einer Hütte zusammen wohnen in den Bergen, unser eigenes Grundstück hätten und vielleicht... irgendwann einmal mehr... oder so...“ Seine Stimme brach zum Ende hin, als er erkannte, dass er das alles eben laut gesagt hatte und meine Eifersucht verschwand wie eine Rauchschwade. Er hatte sich tatsächlich Gedanken darüber gemacht. Laith hatte es sich gewünscht...
„Aber es hätte keinen Sinn gemacht. Irgendwann hättest du mich gehasst, weil du deine Familie verlassen hättest. Du hättest es gehasst, dass wir alleine sind. Du hättest... mich gehasst.“ Ich wies Laith nicht darauf hin, dass er sich wiederholte, sondern verstand, wieso er es zwei Mal erwähnte. Aber wie könnte ich jemanden hassen, den ich so sehr liebe dass es wehtut, bloß weil ich ihn nicht haben kann?
Ich konnte regelrecht sehen wie dieser Gedanke über meinen Kopf hinaus, in seinen eindrang und ihm vor Schreck beinahe die Augen heraus fielen. Jetzt wusste ich wenigstens, weshalb Laith sein Gesicht immer hinter einem Vorhang aus Haaren versteckt hatte. Weil man in seinem Gesicht jedes Gefühl sehen konnte. So wie normale Menschen ein offenes Buch für ihn waren, so war es sein Gesicht für alle anderen.
Ein gequälter Ausdruck glitt über seine Züge, als er sich beherrschte nichts darauf zu erwidern, obwohl ich mir nichts sehnlicher wünschte. Wieso konnte er es nicht auch sagen? Ich sah es ihm doch an. Ich konnte es spüren. Ich wusste es!
Auch wenn ich anfänglich sehr lange dafür gebraucht hatte es zu begreifen, wusste ich es nun seit über sieben Jahren, dass er die Liebe meines Lebens ist und ich die seine. Egal wie sehr wir uns entfremden. Wie viele Kontinente zwischen uns lagen. Wie sehr wir uns verleugnen, um uns zu beschützen. Niemals konnte ein anderer Mann, oder eine andere Frau das in uns hervorrufen, was wir füreinander empfanden.
Zornig dass er es immer noch nicht zugeben konnte, ging ich auf ihn zu und schlang meine Arme um ihn, während er sich zu mir hinab beugte um meinem Mund entgegenzukommen. Ohne zögern. Ohne Scham. Wir küssten uns.
Endlich! Nach so langer Zeit fand ich endlich die Lippen, die ich so sehr begehrt hatte. Der minzige Geschmack der Zahnpasta breitete sich in meinem Mund aus, als ich meine Lippen erwartend öffnete, um den Kuss zu vertiefen.
Geradezu selig seufzend zog er mich an sich, sodass mein Körper, noch enger als beim Tanz, an seinem anlag, während seine Finger meinen groben Zopf fanden und ihn öffneten, um in meinen Haaren zu wühlen.
Glücklich über seine stürmische Liebesbekundung, war ich ihm auch überhaupt nicht mehr böse, dass es so lange gedauert hat. Immerhin spielte es keine rolle, wie lange man auf seine Liebe wartet. Was man durchmachen muss um das zu bekommen, was man sich so sehnlich wünscht, dass man dafür oft nächtelang kein Auge zu getan hat. Alleine das Ergebnis zählt.
Als ich mir sicher war, dass Laith sich nicht so schnell von mir lösen würde, nahm ich meine Hände aus seinem Nacken und ließ sie über seinen Körper wandern. Früher hatte ich nur Händchen mit ihm gehalten und ein einziges Mal, als er aus Versehen in meinem Bett einschlief, hatte er mich im Arm gehalten. Das waren wundervolle Momente gewesen. So wundervoll, dass ich immer noch gerne abends, vor dem Schlafengehen daran dachte, um mir selbst schöne Träume zu bescheren. Doch jetzt durfte ich ihn richtig berühren. Den Körper meines Laiths spüren. Endlich konnte ich über seine Arme streichen, die nicht mehr länger einfach nur lang aussahen, sondern maskuliner geworden sind in den letzten sieben Jahren, vermutlich dank der schweren Arbeit. Strich über seine flachen Brustmuskeln, die er bestimmt von der Arbeit im Lager erhalten hatte und tiefer, bis ich sein Hemd ein Stück hochziehen konnte um meine Handflächen auf seine nackte Haut zu legen.
Gleichzeitig seufzten wir erleichtert und auch Laiths Hände wanderten über meine Hüfte, hoch unter mein Shirt. „Zieh es aus.“ Bat ich, als er seine Küsse auf meinen Hals ausbreitete.
Ich hatte ihn vor drei Monaten bereits einmal ohne Shirt gesehen und musste seitdem immer wieder daran denken, dass ich ihn nicht hatte anfassen dürfen. Diesem überwältigenden Gefühl, nicht nachgeben zu dürfen. Ein Horror!
Laith löste sich wenige Zentimeter von mir und erfüllte mir den Wunsch, doch das Shirt kam nicht einmal dazu den Boden zu berühren, da hatte Laith schon wieder den Besitz über meine Lippen übernommen, sodass ich nicht einmal die Chance bekam, ihn noch einmal anstarren zu könnten, wie in der Umkleide. Stattdessen gab ich mich damit zufrieden meine Hände, über seinen tollen Körper wandern zu lassen, und zog ihn am Ansatz zur Hüfte wieder eng an mich. Ich gebe dich niemals wieder her. Das war weder ein Wunsch noch eine Bitte. Es war ein Schwur. Nichts auf der Welt würde mich jemals wieder dazu bringen auch nur einen Tag von ihm entfernt zu verbringen.
„Ich habe auch nicht mehr vor auch nur einen Schritt aus der Haustüre zu machen, wenn du dann wieder so eifersüchtig wirst.“ Laith sprach so schnell, dass er etwas ins Stolpern geriet, während er gierig nach Luft schnappte und brachte mich wieder zum Lachen.
Ich und eifersüchtig? Okay, Eifersucht stand mir wirklich nicht. So einfühlsam und neugierig wie ich sein konnte, so ausgeprägt war wohl auch meine Eifersucht, obwohl es heute das erste Mal gewesen ist, dass ich dieses Gefühl gehabt hatte. Und das nur wegen dieser... rothaarigen!
Aber es war nicht nur sie. Sie hatte mir erst bewusst gemacht, was mir Laith die ganze Zeit vorenthalten hatte. Die Situation am Flughafen hatte mir zudem gezeigt, dass in diesen sieben Jahren mehr als genug Frauen zeit gehabt hatten, um ihn anzufassen, ihn zu küssen, ihn zu lieben und noch weiter zu gehen. Das brachte mich beinahe wieder zur Weißglut! Ich wollte die Einzige sein, die er an sich heranließ, die er im Schlaf hielt, mit der er Händchen hielt, die er liebte.
Ich schob Laith etwas von mir um etwas Spielraum zu bekommen und legte meine Lippen sanft an seinen Hals an, während er an meinem Hemd herum fummelte. Meine Weste musste bereits irgendwann vor dem Hemd verschwunden sein. Zärtlich strich ich über seine empfindliche Haut unter seinem Ohrläppchen und zog eine Spur aus Küssen zu seinem Hals um dort meine Lippen anzulegen. Kurzerhand begann ich zu saugen.
Überrascht lachte Laith. „Was tust du denn? Das kitzelt.“ Ein Schauder glitt über seinen Körper und in diesem Moment war ich froh, dass er meine Gedanken lesen konnte, denn das erleichterte es mir mit ihm trotzdem noch zu sprechen.
Nach was sieht es denn aus?
„Nach etwas, was sich wohl schwer kaschieren lassen wird.“ Gab er zu.
Das ist auch der Sinn der Sache. Ich will so etwas, wie am Flughafen niemals wieder sehen. Ich saugte etwas stärker und entlockte ihm ein Stöhnen. Damit würde jede Frau sehen, dass er bereits vergeben ist, auch wenn es vielleicht etwas zu kindisch für mein Alter war.
Statt zu protestieren, oder mich zu beschwichtigen, legte er beide Arme um mich und streichelte sanft meinen Kopf, während ich an meinem gut sichtbaren Knutschfleck arbeitete. Beinahe zu tränen gerührt, dass er mich nicht dafür Verurteilte, so eifersüchtig zu sein hauchte ich ihm einen Kuss auf mein >Meisterwerk< und betrachtete es zufrieden. Jetzt sollte es noch einmal jemand wagen ihm zu nahe zu kommen.
„Du kannst ja doch furchteinflößend sein. Dabei dachte ich, Engel sind die Freundlichkeit in Person.“ Ich und ein Engel? Beschämt über das Kompliment biss ich mir auf die Lippe und bekam einen süßen Kuss auf die Nasenspitze. „Übrigens, bevor wir es vergessen...“ Laith stellte sich aufrecht hin und strich mit dem Daumen zärtlich über meine vom Küssen geschwollenen Lippen. „Ich liebe dich auch.“
Mein Herz wurde so warm, dass es sich anfühlte, als würde es zerspringen vor Glück, daher zog ich ihn wieder hinunter und küsste ihn noch einmal. Und noch einmal. Und noch einmal... Das könnte ich den ganzen Tag machen. Seufzte ich innerlich und Laith vertiefte den Kuss wieder. Seine Hände glitten wieder unter mein Hemd, wodurch sich die restlichen Knöpfe öffneten und ich endlich seinen nackten Oberkörper an meinem fühlen konnte. Schnell breitete sich ein Gefühl in mir aus, das Liebe sehr nahe kam und ließ unseren Kuss eilig hitziger werden. Kurzerhand verschwand mein Hemd auf Nimmerwiedersehen und ich machte langsam einen Schritt rückwärts.
Laith folgte mir sofort, sodass sich unsere Körper nicht einmal einen Millimeter trennten. Ich machte noch einen Schritt und stieß dabei mit der Wade gegen das Bettende. Langsam ließ ich mich zurücksinken, bis ich saß und zog Laith mit mir über die Tagesdecke, sodass er sich über mich stützte und sein Blick glücklich über meinen Körper glitt.
„Viel schöner als meine Vorstellung.“ Säuselte er verliebt und schien nicht einmal zu bemerken, dass er das eben laut gesagt hatte.
Liebestrunken von unseren Gefühlen betrachtete ich auch seine Statur über mir und fühlte mich, als wäre ich endlich dort angekommen, wo ich hingehöre. Wo ich schon immer hätte sein sollen.
„Laith?“
Sein eisblauer Blick glitt über meinen Körper hinauf zu meinen Augen und verloren sich darin, so wie meine in den seinigen. „Hm?“ Fragte er und gab mir einen Kuss.
„Sag es noch einmal.“
Laith verstand sofort. „Ich liebe dich.“
Zärtlich fuhr ich mit den Fingern über den unübersehbaren Fleck, den ich ihm gemacht hatte und lächelte frech. „Ich liebe dich auch.“
Um mein spöttisches Lächeln im Keim zu ersticken presste er seine süßen Lippen wieder auf die meine und brachte mich wieder fort von meinen eifersüchtigen Gedanken zu wesentlich wichtigeren. Seinem Körper.
Fordernd zog ich ihn wieder auf mich und schloss beide Beine um seinen Rücken, sodass sein Oberkörper wieder an meinem anlag. Hitze beflügelte mich, als ich Laiths >Freude< über meinen Anblick und unsere geteilte Lust zwischen meinen Beinen fühlte und bog ihm meinen Oberkörper entgegen, als seine Lippen zärtlich meine Oberkörper erkundeten. Sofort nutze er die Chance, um ungeübt meinen BH zu öffnen, und streifte ihn eilig von meinen Schultern.
Es fühlte sich viel zu gut an. Sündig gut. Mit jedem Kuss und jeder Berührung sandte er mehr hitzige Wellen in mir aus, sodass ich mich unruhig und voller Erwartung streckte, bis er sich endlich gnädig zeigte und den Knopf meiner Hose öffnete. Lächelnd darüber, dass ich so ungeduldig auf ihn wartete, ließ sich Laith neben mich fallen und schob mich höher, auf die Kopfkissen, während er seine Hand unter meinen Hosenbund gleiten ließ.
Zärtlich, beinahe vorsichtig begann Laith seine Berührungen, liebkoste mit seinen Lippen meine Brüste und bewegte seine Finger immer leidenschaftlicher in meiner Hose, bis ich das still liegen kaum noch aushielt. Ich wollte mehr. Brauchte mehr.
Laith! Bitte... Stöhnte ich in Gedanken, als ich es kaum noch aushielt und ließ fordernd meine Hand in seiner Hose verschwinden.
„Wir sollten das wirklich nicht hier machen.“ Laiths Stimme klang plötzlich viel rauer als zuvor und das machte mich nur noch mehr an.
„Aber wir haben doch Zeit, oder?“ Es konnte bestimmt nicht mehr als eine halbe Stunde vergangen sein, seit man mich hier abgeliefert hatte.
„Darum geht es nicht. Aber... ich habe nichts dabei und ich bezweifle, dass sie etwas zum Schutz in die Laden getan haben.“
Für einen Moment dachte ich darüber nach, dass hier bestimmt niemand damit rechnen würde, dass zwei, mehr oder weniger, Gefangene plötzlich auf die Idee kamen Sex zu haben, doch dann verwarf ich den Gedanken, denn im Grunde war es mir egal.
Es ist nicht wichtig. Sandte ich Laith.
„Doch ist es! Du hast etwas Besseres verdient als einen Quickie im Anwesen meines Großvaters, der mich vermutlich sogar umbringen möchte, wenn ich ihm nicht bald sage, was ich kann.“ Laith klang geradezu frustriert, daher gab ich ihm einen quälend langen Kuss, bevor ich sprach.
„Egal wie oft, egal wo und egal um welche Uhrzeit. Jedes Mal wird es etwas Besonderes mit dir sein. Und um Verhütung möchte ich mir an deiner Seite keinerlei Sorgen machen. Du bist die Liebe meines Lebens. Du bist der Einzige, dessen Kinder ich bekommen möchte... Und du bist der Einzige für den ich sogar fünf oder zehn übernatürliche Kinder bekommen würde.“ Mit diesen Worten traf ich wohl genau den Punkt, vor dem er Angst hatte. Die Kinder, die er zeugte, würden niemals normale Menschen sein. Sie werden übernatürliche Gaben besitzen so wie seine Mutter, sein Großvater, seine Cousinen und er selbst,, vor ihnen. Jeder würde auf seine ganz eigene Art und Weise einzigartig sein und uns bestimmt mehr als nur einen oder zwei Nerven kosten. Trotzdem konnte ich mir nichts Schöneres vorstellen.
Laith, der meine Gedanken sehr wohl hören konnte, biss sich auf die Unterlippe, bevor er sich vor mir zurückzog.
Verwirrt sah ich ihm nach, als er sich neben mir am Bett aufsetzte und die Stimmung auf einen Flug einfach verschwand.
- - - - -
„Laith? Wenn du keine Kinder willst, dann verstehe ich das vollkommen. Dein Wille wird meiner sein. Für mich...“
„Nein, um das geht es nicht. Natürlich möchte ich Kinder.“ Meinte er ausweichend.
„Aber?“ Hakte ich nach, als er nicht weiter sprach. Hatte ich etwa etwas falsch gemacht? Ich verstand überhaupt nichts mehr. Das einzige was ich wollte, war endlich mein Leben mit ihm zu verbringen.
„Halt mich für altmodisch, wenn du möchtest... aber...“
Erwartend blickte ich ihn an. Worauf wollte er hinaus?
„Kailee Elton... hast du mir eben einen Heiratsantrag gemacht?“ Mit einem umwerfenden Lächeln im Gesicht blickte er mich so durchdringend an, dass mein Herz einen Komplettausfall bekam. Dieser Idiot! Mich so zu erschrecken!
Da meine Hose bereits zu meinen Knien hinunter gerutscht war, zog ich sie über meine Knöchel aus und setzte mich rittlings über Laith. Liebevoll blickte er nun zu mir auf und schlang seine Arme um mich, während ich sein Gesicht mit meinen Handflächen umfasste, sodass sein unglaublich blauer Blick auf meinem lag. „Laith... Maxwell?“ Fragte ich und er nickte bestätigend. „Du bist die Liebe meines Lebens. Der Mann meiner Träume. Der zukünftige Vater meiner Kinder. Würdest du mir die Ehre geben...“
„Ja!“ Schrie er aus, bevor ich meine Frage fertig stellen konnte. Lachend schubste ich ihn mit dem Bauch an.
„Lass mich die Frage fertig stellen!“ Forderte ich und er lachte belustigt.
„Okay.“
„Laith Maxwell, willst du...“
„Ja, verdammt!“ Unterbrach er mich wieder und küsste zärtlich meine Lippen.
„Laith!“ Schimpfte ich und drückte ihn. „Willst du mich hei...“
„Ja!“
„Heiraten, verdammt!“
„Jaaa!“ er zog das Wort in die Länge, als wäre ich schwer von Begriff, dabei wollte er mich doch einfach nur ärgern. „Außerdem flucht man bei so einer Frage nicht!“ Korrigierte er mich, doch lenkte mich mit Küssen ab, bevor ich mich an ihm für seine Frechheit rechen konnte.
- - - - -
Laith:
Es war das erste Mal, dass ich neben meinem blonden Engel erwachte. Das erste Mal, dass ich ihr schlafendes Gesicht betrachten konnte. Na gut, eigentlich das zweite Mal, doch das erste Mal zählte für mich persönlich nicht, immerhin war ich aus Versehen eingeschlafen und Kailee hatte mich wecken müssen. Schmunzelnd strich ich ihr die widerspenstigen Strähnen aus dem Gesicht, die sich dort hingestohlen hatten, als sie sich umgedreht haben musste und ließ meine Hand dort liegen.
Jetzt durfte ich es auch. Endlich, nach so vielen Jahren!
Gähnend streckte sich Kailee in meinen Armen und öffnete blinzelnd die Augen. „Wie lange habe ich geschlafen?“ Ich hob unwissend die Augen und schielte über meine Schulter auf die Uhr an der Wand.
„Nur eine halbe Stunde.“ Gab ich ihr zur Antwort und ließ meinen Kopf wieder neben ihren auf unseren, geteilten Kopfpolster sinken. Sofort lagen ihre Lippen auf meinen und sie umarmte mich fest. Seufzend erwiderte ich ihren Kuss und schmunzelte über ihr strahlendes Gesicht. Wie konnte man nur noch schöner werden?
„Das war viel zu lange!“ Beschwerte sich Kailee halblaut und kuschelte ihre Nase an meine.
„Was war zu lange?“ Verlangte ich zu wissen, da ich ihren Gedanken gerade nicht folgen konnte. Zu verzaubert war ich von ihrem Anblick.
„Ich habe viel zu lange geschlafen. Eigentlich wollte ich überhaupt nicht einschlafen. Ich wollte wach bleiben und jede Sekunde genießen.“
Dafür verdiente sie sich einen weiteren süßen Kuss. „Du hast auch im Schlaf ausgesehen, als würdest du jede Sekunde genießen.“ Beruhigte ich sie und streichelte ihre Seite. Plötzlich veränderte sich Kailees Gesichtsausdruck und sie rutschte mit ihren Beinen seltsam hin und her. Fragend blickte ich sie an. „Alles in Ordnung?“
Sie nickte und wich meinen Blick aus. Also log sie. Blut. Las ich in ihren Gedanken und schob eilig die Decke zur Seite. Tatsächlich hatte sich zwischen ihren Beinen ein kleiner, aber gut sichtbare Blutfleck gebildet.
„Verdammt! Ist alles in Ordnung? Tut dir etwas weh?“ Ich weiß, eigentlich sollte ausgerechnet ich das wissen, aber in solchen Momenten vergaß ich offenbar, dass ich solche Fragen nicht stellen musste, denn ich kannte die Antworten, im selben Moment, in denen sie sie dachte. „Das war... Kailee! Wieso hast du mir das nicht gesagt... oder zumindest gedacht? Mist und ich habe es nicht einmal gemerkt!“ Fluchte ich.
Ich sprang vom Bett und lief ins Badezimmer, um ein Handtuch zu befeuchten. Als ich zurückkam, saß sie bereits, mit geröteten Gesicht, aufrecht und blickte mich beschämt an. „Entschuldige.“ Murmelte sie und meinte es auch ehrlich. Dankend nahm sie das Handtuch entgegen und machte sich zwischen den Beinen sauber.
Ich dachte nicht, dass dich das so treffen würde. Ich wollte doch nur... Sie sprach nicht weiter, aber ich wusste, was sie dachte. Sie wollte nur endlich die Zeit mit mir verbringen, die wir schon seit Jahren vor uns her schoben. Die bisher keiner von uns an jemand anderen verschwendet hatte. Zumindest wurde mir das jetzt bewusst. Ich hatte es bisher ebenfalls nicht getan. Nicht weil ich es nicht gewollt habe, oder keine Chancen dafür gehabt hätte. Es war nur nie... die Richtige.
Seufzend kniete ich mich neben das Bett, während Kailee ihre Beine reinigte, und hauchte ihr eine Kuss auf das Knie. „Ich bin nicht böse oder enttäuscht. Ich fühle mich nur schrecklich, weil... Nun, ja.“ Ich deutete vielsagend in das Zimmer. „Das hier, ist weder der richtige Ort, noch die richtige Zeit für so etwas. Hätte ich es gewusst, dann... hätte ich mir etwas Schönes für dich einfallen lassen. Das hast du wirklich verdient, nach... alldem was ich bereits verbockt habe.“
Kailee hörte auf, ihre Beine zu säubern und lächelte plötzlich zu Tränen gerührt. „Das einzige was ich mir jemals für mein erstes Mal gewünscht habe, war doch dabei. Daher gibt es nichts, was ich bereue, oder wünschte, dass es besser gewesen wäre.“
Zweifelnd hob ich die Augenbrauen. „Kailee! Wir befinden uns im Haus meines Großvaters, ich weiß nicht wie ich uns beide hier unversehrt hinaus bekomme und vor allem... habe ich Angst, dass er dir schlimme Dinge antun wird. Ich habe auf dem Weg hier her die Gedanken meiner Großcousine gehört... Sie ist zwar nicht mehr ganz klar im Kopf und redet die ganze Zeit eigentlich nur Unsinn, aber dazwischen konnte ich auch hören, wie sie an das Gespräch zwischen ihm und ihr dachte.“
Kailee blickte mich unsicher an. Offenbar wurde ihr erst eben erst wieder klar, wo sie sich befand. „Was dachte sie denn?“
„Das...“ Und ja, das sagte ich ihr jetzt nur sehr ungern, denn alleine nur für diese Vorstellung, fand ich noch einen Grund mehr, wieso mein Großvater sterben musste. „Das er dich von Marcel unter Drogen setzenlassen will und... nun, ja. Du sollst dessen Kinder austragen.“ Schon alleine der Geschmack, der dieser Satz in meinem Mund auslöste, ließ mir Übelkeit aufsteigen.
„Ja, ich weiß. Er hat so etwas angedeutet.“ Gab Kailee plötzlich zu und wirkte genauso angeekelt wie ich. „Als ob ich mich jemals von ihm besteigen lassen würde um ihm wie eine Hündin ein Kind nach dem anderen zu werfen. Dieser alte Perversling. Er denkt nur an sich und das Imperium, das er haben möchte. Das ist abartig!“ Schimpfte sie und würgte dabei frustriert, ihr blutverschmiertes Handtuch.
Beruhigend legte ich meine Hand auf die ihren. „Mein Schatz.“ Flüsterte ich und küsste sie zärtlich, bevor ich sie ernst ansah. „Ich werde niemals zulassen, dass man dich zu so etwas missbraucht. Dafür bist du viel zu kostbar. Ich lieb dich, hörst du? Für dich würde ich eine ganze Armee, oder gar einen gesamten Staat opfern, wenn es nötig sein würde.“
Gerührt von meinem Versprechen, trocknete sie ihre Tränen mit der Decke, bevor sie ihre Arme um mich legte und wieder zu sich ins Bett zog. „Ich liebe dich auch, Laith!“ Gab sie flüsternd zurück, bevor wir beide in den nächsten Minuten wieder nicht zu sprechen kamen. Erst als Kailee wieder ihre Beine um meine Hüften schlang, beendete ich die aufkeimende Leidenschaft und deutete auf das Badezimmer. „Du solltest jetzt lieber duschen gehen.“ Dabei wollte ich nichts lieber als ihr dorthin zu folgen, doch dafür würden sich bestimmt noch ganz andere Gelegenheiten bieten.
Ich hörte, wie sich der Wächter vor Kailees Türe mit dem, der vor meiner, ein Stück weiter hoch den Flur austauschte, bevor er wieder seine Position bezog. „Wir haben nicht mehr viel Zeit. Mein Großvater ist auf dem Weg hier her.“
Leicht nervös geworden, ging ich zu meiner Hose und reichte auch Kailee ihre Sachen. Schnell verschwand sie im Badezimmer, während ich versuchte, das Bett unberührt aussehen zu lassen. Zumindest so gut wie es möglich war. Zumindest konnte ich den Blutfleck verstecken. Ausgerechnet jetzt brauchte ich es nicht, dass Kailee für meinen Großvater noch ein bisschen interessanter wurde.
Als Kailee frisch geduscht wieder aus dem Bad kam, öffnete ich die Türe, die aus ihrem kleinen Gefängnis hinaus führte und deutete ihr, mir zu folgen. Den beiden Wächtern schickte ich den Willen uns einfach zu übersehen und zu denken, dass wir uns immer noch in unseren zugeteilten Zimmern befanden. Eng an meinen Rücken gepresst, sah sie sich nun ebenfalls um und ich spürte, wie schnell ihr Herzschlag ging. Sie hatte Angst. Aus gutem Grund. Ich wollte mir nicht einmal ausmalen, was passieren konnte, wenn man uns erwischte.
„Wo gehen wir denn hin?“
Ich zuckte unwissend mit den Schultern. „Ich bin mir nicht sicher. Aus Marcels Kopf weiß ich, dass er sich große Gedanken über sein Erbe gemacht hat.“
„Was zum Teufel hat das mit unserer Flucht zu tun?“ Schimpfte Kailee gedämpft hinter mir.
„Ich... habe da nur so einen Gedanken.“ Gab ich zu. Es war nicht wirklich ein Plan, oder Ähnliches. Eher ein... sich selbst entwickelnder Gedanke.
„Laith! Ich denke wirklich, dass wir von hier verschwinden sollten, solange wir die Möglichkeit dazu haben.“
Das wünschte ich auch, dass wir das könnten. „Es geht nicht. Es sind viel zu viele Wachen und ich kann höchstens zwei oder drei gleichzeitig manipulieren. Mein Großvater hat hier wortwörtlich eine Armee im Garten. Eigentlich geradezu überall. Auf dem Dach, leerstehende Zimmer, im Garten, auf Bäumen. Ich würde sie niemals rechtzeitig alle finden und uns sicher hier hinaus bringen.“
Nun schien sie noch verunsicherter als zuvor zu sein. „Aber...“ Begann Kailee, doch schien es sich dann anders zu überlegen und mir nicht zu widersprechen. Sie vertraute mir einfach. „Was hast du vor? Weih mich ein.“
Staunend wie gut sie mit dieser verrückten Situation umging, küsste ich sie noch einmal und führte sie eine Treppe hinauf. „Ich werde Großvater ausschalten, bevor er die Chance erhält, uns beiden ernsthaft zu schaden.“
Ich hörte, wie sich ungläubig ihre Gedanken überschlugen. „Du willst ihn doch nicht ernsthaft umbringen?“ Ihr Entsetzten, war geradezu fühlbar.
„Kailee, ich muss es tun. Auch wenn ich alles andere als stolz darauf bin, aber ich weiß aus den Köpfen meiner Mutter, Aghata und Marcel, wie Großvater ist. Aghata besitzt kaum Empathie. Sie hat bloß Kinder bekommen, um weiterleben zu dürfen. Ihre Gabe besteht darin, Elektronik zu manipulieren, was mein Großvater als...“
„Ja, das habe ich ebenfalls schon gehört. Nicht den Teil, mit ihrer Fähigkeit, doch dass sie immer zur rechten Zeit ein neues Kind bekommen hat.“
Ich nickte zustimmend. „Ja, Marcel weiß nicht einmal das sie seine Mutter ist.“
Nun überraschte ich sie doch. Das... Das wusste ich nicht. Wieso? Das ist doch... Wer tut so etwas seinem Kind an? Es zuerst bekommen und dann von so einem... Tyrannen aufziehen lassen.
„Das kann ich dir auch nicht sagen. Wir müssen leise sein.“ An die Wand gedrückt, spähte ich um die Ecke, in der ich Großvaters Büro vermutete. Zwar konnte ich seine Gedanken nicht empfangen, was ich auf seine eigene mentale Gabe schob, doch dank den Gedanken der Wächter, hatte ich eine Art Lageplan im Kopf. Sein Büro befand sich im ersten Stock, in dem wir ebenfalls bereits waren. Sieben Wächter waren um ihn herum eingeteilt, ich die Fernschützen in ihren Verstecken, außerhalb des Gebäudes nicht erreichen konnte.
- - - - -
An den Fenstern, deutete ich Kailee sich zu ducken, lenkte die Gedanken der Wächter, von uns ab und schlich so leise an die Türe heran, wie es uns beiden möglich war.
Ist es hier? Fragte Kailee in ihren Gedanken.
Ich nickte.
Egal was du vorhast, ich stehe hinter dir, Laith. Selbst wenn wir hier alle abmetzeln müssen. Liebevoll blickte ich auf das behütete Mädchen zurück, welches noch nie in ihrem Leben, die wahren Gedanken von widerlichen Menschen aufnehmen musste. Sie ist für mich der Gegenpol zu der unendlichen Grausamkeit, die ich erfahren habe dürfen und das bereits, seit ich lebe. Die wunderschöne, sanfte Lilie, zwischen all den bösartigen Ranken.
Laith! Tadelte sie mich innerlich, als ich schon wieder verleitet war sie zu küssen. Kopfschüttelnd sammelte ich meine mentale Stärke. Nun würde ich den Krieg erklären. Nicht meiner gesamten Familie, doch der Grausamkeit, welche ihrer innewohnte. Ich würde sie zerschlagen, ausschlachten, bis bloß noch Reste von ihr übrig waren und sie dann wieder aufbauen. Für meine Mutter, für meine Verlobte, für meine zukünftige Familie und vor allem für diejenigen, die mein Großvater bereits verletzt hat.
Sanft küsste ich Kailees Hand, bevor ich mich aus der Hocke erhob und ihr deutete direkt hinter mir zu bleiben. Sie tat es artig und ermunterte mich mit ihren Gedanken, dass sie alles tun würde, um unsere Zukunft zu sichern. Spätestens jetzt war ich mir sicher, dass ich kurz vor dem Ziel stand. Dem Ziel, welches Kailee und ich zurecht verdient hatten.
„Kommt ruhig herein.“
Erschrocken fuhr nicht bloß Kailee zusammen, als durch die angelehnte, viereckige Doppeltüre die Stimme meines Großvaters erklang. Unsicher tauschten wir einen verwirrten Blick aus, doch sahen beide ein, dass es keinen Sinn mehr machte, uns zu verstecken.
Mit erhobenen Kopf und gespielt selbstsicher, trat ich in den... Monitorüberwachungsraum. „Das hätte ich mir eigentlich denken können.“ Fluchte ich, auch Kailee seufzte enttäuscht.
„Eine interessante Gabe besitzt du, mein liebster Enkel.“ Niemand der Wächter wusste von den Videokameras, deshalb hatte ich auch nicht von dessen Existenz in ihren Köpfen erfahren. Durch ihre Winkel, die ich an den Monitoren erkennen konnte, schienen sie zwischen Bildern und Skulpturen versteckt zu sein. Zu dumm dass ich nicht auch diese beeinflussen konnte.
Mittels einer bewegbaren Wohnwand, ließ mein Großvater die Monitore wieder verschwinden, sodass dieser Raum wieder wie ein ganz normales Büro wirkte. „Jetzt wäre Aghatas Fähigkeit praktisch gewesen.“ Reizte ich meinen bärtigen Großvater. Sein fein gestutzter Bart, den er um sein Kinn und seinen Mund herum trug, ließ ihn etwas jünger wirken, als das er es tatsächlich war. Auch seine Haare waren gefärbt grau und aus seinen Gedanken wollte ich lieber nicht wissen, wie oft er sich schon hatte Liften lassen. Mein Großvater schien generell ein sehr eitler Mann zu sein. Er trug anscheinend immer feine Anzüge, seine Haare waren perfekt frisiert, seine Hände manikürt und die Augenbrauen wirkten gezupft, und nicht so buschig, wie sie in diesem alter sein sollten.
„Sie besitzt eine völlig nutzlose Fähigkeit.“ Winkte mein Großvater ab.
„Aber anscheinend ist sogar der große Allmächtige Charles Maxwell auf die moderne Technik angewiesen.“ Spottet ich und hörte, wie mich Kailee in ihren Gedanken tadelte, ihn nicht zu reizen.
„Genug von meiner unfähigen Nichte. Viel wichtiger ist doch, was deine Fähigkeiten sind. Du hast dich an gut ein dutzend, ausgebildeten Wächtern vorbei geschlichen... mit deiner kleinen Freundin.“ Kailee drückte meine Hand ängstlich fester, da dieser Mann sie alleine mit seiner Ausstrahlung einschüchtern konnte.
„Ich besitze keine wichtige Fähigkeit, zumindest keine die dich interessieren könnte.“
Das sah mein Großvater, gerechtfertigterweise, anders. Tadelnd wackelte er mit seinem Zeigefinger, was etwas seltsam bei ihm wirkte. „So einfach kommst du mir nicht davon, mein Junge.“ Mein Großvater erhob sich von dem braunen Bürosessel, auf dem er bisher gesessen hatte und kam geschmeidig um den Tisch herum. Okay, was hatte dieser alte Mann nicht an sich machen lassen? Selbst sein Schritt wirkte wie der eines gesunden Vierzigjährigen, obwohl er schon fast achtzig Jahre alt sein musste, was ich von meiner Mutter wusste. „Deine Fähigkeit ist etwas Besonderes, etwas das mich interessiert, da du ungesehen, sogar mit mindestens einer weiteren Person an perfekt trainierten Soldaten vorbeikommst. Also, ja! Deine Fähigkeit interessiert mich durchaus, besonders wenn ich sehen möchte, was sich hinter den Mauern meiner Feinde abspielt.“
So etwas hatte ich bereits befürchtet, doch wüsste er, inwiefern meine Fähigkeit tatsächlich funktioniert wären wir weit mehr im... Nun, ja wir säßen nicht bloß in der Patsche, sondern würden knapp vor einem Krieg stehen.
„Du kannst tun und sagen, was du möchtest. Es ist mir vollkommen egal. Ich werde eher zum Teufel gehen, als dir zu helfen.“
Die Augen verdrehend, wandte sich der alte Mann von mir ab und griff sich an die Stirn. „Junge, du bist noch so naiv. Du kannst einfach nicht das große Ganze sehen, nicht so wie es Marcel sieht. Er ist ein guter Neffe, jemand der mich stolzer machte, als meine eigene Tochter.“ Ich versteifte mich und wünschte mir umso mehr, endlich jemanden gegen eine Wand laufen zu lassen, als noch vor sieben Jahren. Und diese Person gehörte Widerwillen zu meiner eigenen Verwandtschaft. „Doch ich bin mir sicher, dass ihr Sohn, mein wertgeschätzter Enkelsohn und seine... was auch immer, die Sünden seiner Mutter begleichen möchte. Andernfalls, wäre es alles andere, als meine Schuld, wenn sie selbst sie begleichen müsste. Mit all den Zinsen, der letzten zweiundzwanzig Jahre.“
Ich verstand die unterschwellige Drohung durchaus. Aber sie machte mich bloß wütender. Wie kam er bloß auf den Gedanken, dass ihm seine eigene Tochter, die die Hölle in ihrer Kindheit durchgemacht hatte, ihm auch nur ansatzweise irgendetwas schuldet?
„Meine Mutter, schuldet dir kein bisschen. Sie hat mir alles erzählt, jedes Detail, damit ich begreife, was für ein verrückter Imperator bist. Du willst diese Welt übernehmen, dich als ihren Diktator erheben und Angst und Schrecken verbreiten. Also nein! Weder ich, und noch weniger meine Mutter schulden dir irgendetwas.“
Meine Stimme war eiskalt, was auch Kailee dachte so, doch war zusätzlich stolz auf mich. Sie spornte mich innerlich an, dachte für mich, wie unschuldig, liebenswürdig und lebensfroh meine Mutter doch dank der Existenz meines Vaters und mir geworden ist. Sie ist stolz auf Samantha, und ich war es ebenfalls auf meine Mutter.
„Dann muss ich dich wohl erst dazu bringen.“ Hauchte mein Großvater herablassend, bevor er einen Knopf betätigte, den ich bloß hörte, aber nicht sah. Plötzlich, so schnell dass ich mich fragte, woher die ganzen Männer bloß kamen, standen dutzende, bewaffnete Männer im Raum und zielten mit scheinbar gefährlichen Waffen auf Kailee und mich. Jedoch da ich wusste, dass mein Großvater mich lebend benötigte, konnte ich mir vorstellen, dass es sich eher um Waffen handelten, die uns betäuben und nicht endgültig ausschalten sllten.
„Denkst du, dass mir deine Marionetten Angst machen?“ Fragte ich spöttisch und schob Kailee hinter mich, ein Stück weiter gegen die nächste Wand, damit sie niemand zu fassen bekam. „Bleib in der Nähe, aber fass mich bitte jetzt nicht an.“ Mahnte ich sie und hörte in ihrem Kopf, dass sie mich verstanden hatte.
Wenn sie mich berührt, wurde ich automatisch in ihren Kopf gesogen, wo ich keine Chance hatte, diese Männer zu manipulieren. Wenn sie so nahe war, wie jetzt, dann musste ich mich zwar stärker konzentrieren, doch war bloß halb so hilflos, wie sie vielleicht im Moment dachte.
Sei bitte vorsichtig, ich kann dich nicht wieder verlieren. Bettelte sie und zum ersten Mal, spürte ich das völlige Ausmaß, ihrer Liebe zu mir.
Äußerlich ließ ich mir nicht anmerken, wie sehr es mir bedeutete, dass sie zu mir stand, obwohl sie wusste, was jetzt passieren würde. Ich trat einen großzügigen Schritt von Kailee fort, um mehr Abstand zu erhalten, obwohl es nicht wirklich etwas nutzte. Gleichzeitig sandte ich meinen Willen auf drei der vordersten, in schwarz gehaltenen Soldaten, die ihre Waffen bereits entsichert hatten. In ihren Köpfen erkannte ich die Angst, die sie vor meinem Großvater hatten und schürte diese, zwang ihnen innerhalb von drei Sekunden auf, ihrer Angst nachzugeben, auf die Männer hinter ihnen zu richten und sie außer Gefecht zu setzen, denn dann würden wir alle sicher sein.
Mit einem wütenden Aufschrei, wandten sich die drei Männer an ihre Gefährten und schossen. Sie erwischten gut sieben von ihnen, bevor sie mit einem unnatürlichen Knacksen, der mir versicherte, dass sie ihr Leben ausgehaucht hatten, an der hohen Decke landeten, und leblos wieder nach unten ankamen.
„Oh, du hattest wohl Verräter in deinen Reihen.“ Spottete ich, damit ich von meiner eigenen Gabe ablenken konnte. Je mehr ich ihn ins Zweifeln brachte, umso einfach würde das hier für mich werden. „Das erleichtert mir natürlich meine Flucht.“
Während ich sprach, ließ ich die beiden Soldaten, welche direkt neben meinem Großvater standen, auf ihn zielen, doch noch während sie ihn ins Visier nahmen, knackte ihr Genick auf dieselbe Weise, wie die der drei Männer davor. Fünf Tot, sieben bewusstlos. Das sah nicht gut aus.
„Ich habe keine Ahnung, was hier los ist, aber ich bekomme immer mehr das Geühl, als hätte es etwas mit euch beiden zu tun.“ Murrte Charles so wütend, dass eine Ader an seiner Stirn bedrohlich zu pochen begann. Kailees Gedanken versanken in panischer Angst. Sie wollte weg, weg von diesem Monster, weg von den Toten, die es überhaupt nicht verdient hatten und ab in ein neues, ruhiges Leben mit mir.
„Ich habe es dir versprochen, Kailee. Keine Trennungen mehr.“ Damit strengte ich mich noch mehr an, ließ meine Konzentration völlig auf die Gedanken der Männer über gehen, zwang sie sich zu fürchten, ihre Angst meines Großvaters gegenüber, auszuleben und uns retten zu wollen, denn wir waren ja unschuldig. Noch mehr unschuldiges Blut wollten sie nicht. Zumindest nicht mehr, nachdem ich es ihnen aufgezwungen hatte.
Durchgedreht, flogen Betäubungspfeile durch die Luft, trafen die Männer, die überhaupt nicht mehr wussten, gegen wen sie jetzt eigentlich kämpfen, gegen ihre Männer, oder für ihren Anführer?
Wild schossen sie umher, die Kugeln flogen in einem Regen, dass Kailee mich hinter das Sofa ziehen musste, damit wir nicht getroffen werden und selbst mein Großvater errichtete eine unsichtbare Barriere um sich herum, welche die Kugeln von ihm ablenkten, oder zurückwarf.
Wir müssen hier raus! Schrie Kailee ängstlich über die Gedanken der verwirrten Männer hinweg.
„Zuerst beenden wir es!“ Entschied ich. Jetzt waren wir bereits so weit. Ich konnte jetzt nicht umkehren und weiter, zusammen mit Kailee und meiner Familie in Angst leben. Das hatte niemand von uns allen verdient.
„Greift meinen Enkelsohn und seine Freundin! Sofort!“ Donnerte die tiefe Stimme des alten Mannes durch den Raum. Sofort standen vier Männer, geduckt hinter Schildplatten, um die Kugeln abzuwehren, vor uns und versuchten mir Kailee zu entziehen. Eilig ließ ich ihre Hand los und sendete dem Soldaten den Willen, ihr seinen Schild zu überlassen. Verwirrt nahm sie ihn entgegen, doch verstand recht schnell, weshalb er dies tat, dann warf er sich auf seine Kollegen, mitten in den Kampf. Ich stahl mir ebenfalls eine dieser Schilder, von einem Bewusstlosen und duckte mich zusammen mit Kailee hinter die beiden.
Fest presste ich die Liebe meines Lebens an mich, beschützte sie vor jedem, der auf die Idee kam, sich hinter die Schilder zu stehlen um uns zu überraschen wartete geduldig das Chaos ab, das wir entfacht hatten.
Als es langsam ruhig wurde, da ein Knochen nach dem anderen brach, wagte ich es, dem Massaker einen Blick zu schenken. Was ich sah, war nichts, das ich Kailee zumuten wollte.
Großvater hatte alle bewusstlosen, so wie toten Männer, an den Rand geschoben. Wer was war, konnte ich bloß teilweise sagen, um nicht von ihrem festen Schlaf in deren Erinnerungen gesaugt zu werden.
Plötzlich wurde mir mein Schild entrissen und mit ihm, Kailees Körper. Mit einem Aufschrei flog sie durch die Luft. Panisch schrie ich ihren Namen, versuchte, an sie heranzukommen, doch etwas hielt meine Beine dort, wo ich eben noch gehockt hatte. „Kailee! Nein! Gib sie sofort zurück!“ Schrie ich erfolglos meinen Großvater an, wollte meinen Willen nach ihm schicken, doch prallte hart gegen eine mentale Barriere, die er selbst errichtet hatte.
„Was für eine Fähigkeit besitzt du? Sag es mir, oder ich lass deine kleine Schlampe sterben!“
Mein Herz raste, während ich in die gequälten braunen Augen sahen, welche normalerweise einen sanften und liebevollen Blick für mich übrig hatten. Jetzt jedoch, steckten sie voller Panik. Panik davor zu ersticken.
In ihren Gedanken flehte sie mich zwar an, es ihm nicht zu verraten. Ihm nicht unser so gut behütetes Geheimnis zu verraten, doch was nützte so eine Gabe, wenn die Person, welche ich am meisten auf dieser Welt liebte, getötet wurde, von einem Psychopathen?
Ich liebe dich, Laith. Bitte, behalte es für dich. Für uns! Bettelte sie in Gedanken, redete, während sie erstickte, über die Ziele, welche sie für uns hatte, die Träume, welche wir ausleben mussten und die Familie welche wir haben können.
Mit jeder Faser meines Herzens kämpfte ich dagegen an. Kämpfte, gegen die unsichtbare Fessel, an meinem Bein und drang so fest ich konnte, durch die Mauer in Charles Kopf. Aber dieses Unterfangen, war ungefähr so unmöglich, wie mit der Schulter eine Betonwand zu knacken. Das Einzige was ich erreichte, war, dass mir schwindelig wurde und meine Nase begann zu bluten. „L-L...th...“ Krächzte Kailee. Sie hatte keine Minute mehr übrig, keine Chance sich selbst zu befreien.
Aber so würde ich es nicht enden lassen. Nicht für eine dumme Gabe, die ich überhaupt nicht haben wollte. „Gedankenlesen! Verdammt lass sie endlich hinunter du Hurensohn!“ Schrie ich erschöpft, da ich keine Kraft mehr hatte, gegen diese verdammet Wand anzuspringen und Kailee keine Zeit.
Im selben Moment, die Worte meinen Mund verließen, kam Kailee unsanft auf dem Boden auf und schnappte erleichtert nach Luft. Laith! Nein, das hättest du nicht tun sollen!
Sie würde ihr eigenes Leben geben, um mich zu beschützen. Aber diese Dummheit beruhte leider auf Gegenseitigkeit. Nichts in dieser verdammten Familie konnte mir Kailee jetzt noch nehmen. Nicht wenn ich bei verstand bleiben sollte. „Mieses Schwein!“ Fluchte ich, als mein Großvater langsam auf Kailee zuging, doch mein Bein, weiterhin im festen Griff behielt.
- - - - -
„Aber nicht doch. Ihr ist doch nichts geschehen, oder? Wenn das so bleiben soll, dann verrätst du mir jetzt besser alles, was ich wissen möch...“
„Onkel? Ist alles... Was ist denn hier passiert?“ Aghata, seine Nichte, trat unvermittelt ins Zimmer und sah sich schockiert um. Aus ihren Gedanken erfuhr ich sofort, dass sie weniger die scheinbar toten Männer schockierten, als viel mehr die Tatsache, dass sie ihm Büro ihres Onkels lagen.
Was für Prioritäten hatte dieses Weib überhaupt? Sie benutzte ihre eignen Kinder, wobei sie mehrfach Fehlgeburten erlitten hatte, um am Leben zu bleiben, lief nicht mit ihnen fort um sie zu beschützen, da sie nichts für diese >Bälger< empfand. Den einzigen den sie wirklich anhimmelte, war ihr Onkel. Er war so etwas wie ein Vaterersatz, jemand zu dem sie aufsah, der sie scheinbar >behütete< auch wenn er sie bloß loswerden wollte.
„Oh, das zeige ich dir lieber, alter Mann!“ Ich nahm sämtliche Ängste von Aghata, stachelte ihre Wut an, ihre Verbitterung und drang dabei ganz einfach durch ihren eigenen Willen. Er war so schwach, das ich ihn wie einen Vorhang zur Seite schieben konnte. Oder lag diese Stärke etwa an mir?
Mit einem Wink auf meinen Großvater, zog meine Großcousine eine Waffe, welche sie am Gürtel getragen hatte, stürzte sich mit einem Aufschrei auf diesen und lenkte ihn somit ab. Mein Bein kam frei, als er sich mehr darum kümmerte, dass seine Nichte austickte. Sofort nickte ich Kailee zu, als sie mir ihren Plan schickte. Unerwartet vereint, kämpfte diese kleine Familie zusammen. Aghata wurde von Charls gepackt, gegen die Wand geschleudert und sank besinnungslos, oder vermutlich eher tot, wieder daran hinab, auf den restlichen Haufen an Soldaten. Kailee griff so fest nach Charles Hand, dass sie blutig ihre Nägel in sein Fleisch schlug und somit lag er frei. Der Schmerz, die Überraschung die Kurzweile Konzentration, auf eine potenzielle Gefahr, hatten mir durchaus ein Schlupfloch geöffnet, durch das ich einfach hinein kam.
Gedankenkontrolle! Zuckte durch die Sinne meines Großvaters und seine Augen wurden vor Schreck groß.
„Großonkel!“ Hörte ich durch Charles Ohren und wusste, dass es sich um Marcel handelte, der panisch versuchte, die Situation zu begreifen.
Laith! Kailees Liebe spornte mich an, ließen mein letztes Zögern, die Zurückhaltung, da es sich ja um meinen Großvater handelte, den ich eben töten sollte, verschwinden und verdeutlichte mir bloß noch besser, was ich verlor, wenn ich diesen Schritt nicht tat.
Mit einem wütenden Aufschrei sammelte ich alles, was ich finden konnte. Alle Träume, Ängste und Wut der Männer um uns herum, nahm sogar Kailees Angst, mich zu verlieren, Marcels Hilflosigkeit und überflutete meinen Großvater regelrecht damit.
So stark sein Wall auch gewesen sein mochte, so schwach war sein Innerstes. Ich überanstrengte seine Wahrnehmungen, seine Gedanken und Sinne so sehr, dass etwas platzte. Etwas überflutete sich in einem blutigen Schwall und ließ ihn, vollkommen schwarz geworden, einfach nach hinten sinken.
Unsicher zog Kailee ihre Hand zurück, blickte auf den toten Mann zurück, dessen Leben ich nun wortwörtlich auf dem Gewissen trug, wischte sich angeekelt das bisschen Blut von den Fingern, welches ihre Nägel entlockt hatten.
Genauso verunsichert, ob der ganze Spuk, auch wirklich sein Ende gefunden hatte, kam ich auf die Beine, beobachtete, wie schwarzes Blut aus seinen Ohren, seiner Nase und den Augen lief. Hirntot, war nicht einmal ansatzweise das, was er war. Es war eher breiartig, zerquetscht wie ein nerviges Insekt, genau das, was er verdient hatte.
„I-Ist er... Ist er tot?“ Stammelte Kailee und rutschte großzügig von dem Monster fort.
„Ja, sein Hirn ist...“ Ich sprach nicht zu ende, denn das konnte sie sich auch selbst denken.
„Was zur Hölle habt ihr getan? Wofür hat er das verdient?“ Marcels Stimme überschlug sich regelrecht vor Schrecken, Wut und Trauer. Gemischt war dies beinahe wie eine Bombe, die drohte hoch zu gehen.
Immer noch überwältigt, von dem Schall an Gedanken, der eben wie ein Güterzug durch meinen Kopf gerast war, stütze ich mich an einem Regal ab, dessen Nutzung ich überhaupt nicht mehr einschätzen konnte.
Ich war erschöpft, so erschöpft, wie ich es bisher noch nie gewesen war, während mir vor Anstrengung Blut aus der Nase lief.
„Wofür?“ Kailee fand ihre eigne Kraft wieder. „Das fragst du auch noch? Er hat deine Mutter wie eine lästige Fliege an die Wand geschlagen! Er wollte mich benutzen, damit du mir Kinder aufzwingen kannst und damit er Laith unter Kontrolle bekommt. Und was er Laiths Mutter, deiner Großcousine angetan hat, will ich dir nicht einmal aufbürden! Er ist ein Tyrann... gewesen.“ Das letzte Wort, klang mehr wie eine Erleichterung, als eine Belehrung.
Eilig kam sie zu mir, um endlich den nötigen Abstand zu dem toten Mann zu bekommen, den sie brauchte und legte ihre Hände an mein Gesicht. „Wie fühlst du dich? Du siehst gerädert aus.“
Erleichtert grinste ich schwach. „Da war eben ein Güterzug in meinem Kopf.“
Selbst lächelnd, tupfte sie meine Nase trocken. „Wir sind ein gutes Team, Laith.“ Stellte sie fest und küsste sanft meine müden Lippen.
„Das waren wir doch schon immer.“ Bestätigte ich. Nur mit dem Unterschied, dass sie zu lange gebraucht hat, es zu begreifen und ich so dumm gewesen war vor dieser Verbindung zu flüchten.
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Kailee:
Der Spuk war vorbei. Die Männer, zumindest die, welche überlebt hatten, trugen noch immer die Angst in ihren Köpfen, welche Laith ihnen eingepflanzt hatten und sagten vor der Polizei aus, was für ein furchterregender, psychisch gestörter Mensch Laiths Großvater gewesen sei.
Marcel trafen wir nicht mehr. Er verschwand, mittels seiner Teleportation, doch wussten wir nicht wohin.
Laiths Eltern, Samantha und Lucas, betraten zum ersten Mal das Anwesen, seitdem sie zusammen fortgelaufen sind. Da Charles so dumm gewesen ist, darauf zu vertrauen, dass seine Tochter, zurückkommen und sich im unterwerfen würde, hatte er all sein Erbe ihr vermacht. Wirklich alles! Sämtliche Familienimmobilien, alle Geldspeicher, Einrichtungsgegenstände, einfach alles was bisher unter Charles Andrew Maxwell Schreckensherrschaft gelebt und gelitten hatte.
„Er ist wirklich fort!“ Wiederholte Sam zum gefühlten hundertsten Mal, mit freudigen, doch auch traurigen Tränen in den Augen. Trotz allem hatte sie niemals die Hoffnung aufgegeben, dass zumindest ein bisschen Liebe in diesem Mann gesteckt hatte.
Laith hatte gelogen, er hatte behauptet, dass sein Großvater, für seine Tochter als einziges so etwas wie Liebe empfunden hatte. Ich jedoch wusste es besser. Ich hatte es gesehen, als er alle Gedanken zusammen, wortwörtlich, in einen Topf geworfen hatte, bekam ich, genauso wie Laith selbst, einen kleinen Eindruck von dem Wahnsinn, welcher in diesem jahrelang gepflegten Kopf gelebt hatte. So etwas wie Liebe konnte Charles Maxwell unter keinen Umständen empfunden haben. Lediglich Selbstliebe, falls man es so nennen konnte.
Lait wurde endlich von dem Sanitäter, der ihn wegen des Blutverlustes, untersucht hatte, entlassen. Ich warf mich ihm in die Arme, was meinen Geliebten etwas schwanken ließ, doch zusammen fingen wir uns und fanden auch unsere Lippen.
Sanft, da er noch zu schwach war sich richtig anzustrengen, zog er meinen Körper an seinen und drängte seine verspielte Zunge zu meiner. Seufzend floss ich regelrecht in seine Umarmung, ertrank in seiner Liebe und genoss jede Sekunde. Dies hatte ich mir fest vorgenommen.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir hier standen, uns küssten und einfach gedanklich anhimmelten, doch Lucas Stimme riss uns aus dieser scheinbaren unberührbaren Zweisamkeit.
„Laith, Sam kommt her. Ich denke ich habe hier etwas interessantes Gefunden.“ Laith und ich verschränkten unsere Finger ineinander und schritten wie ein einziger Körper, zu seinen Eltern. Sam setzte sich auf den Schoß ihres Mannes und starrte mit offenen Mund auf den Bildschirm. „Das kann doch nicht wahr sein!“ Stieß sie ungläubig hervor.
Langsam beugte ich mich vor um etwas zu sehen, denn Laith sah, dank unserer Berührung, bloß das, was sich in meinem Kopf abspielte. „Es gibt mehr?“ Fragte ich ungläubig.
„Nicht nur das.“ Bemerkte Lucas, schob seine Angebetete etwas zur Seite und öffnete zahllose andere Dateien. „Stammbäume, Kinder. Das sind dutzende von Stammbäume, aus den verschiedensten Arten von Familien. Es gibt noch viel, viel mehr von Leuten wie euch. Auf der gesamten Welt!“ Laith schien in eine Art Schockstarre gefallen zu sein, genauso wie seine Mutter. „Sie besitzen nicht bloß vielfältige Gaben, manche haben sich sogar auf eine bestimmte Sache manifestiert. So gibt es Familien, die bloß Natur gebundene Hexen zur Welt bringen, Leute die Sekten gegründet haben. Familien die... versteckt leben um in Ruhe ihre Gaben auszuleben. Wisst ihr was das bedeutet?“
Tausend über tausende. Es gab sie überall auf der Welt und sie besaßen die vielfältigsten Gaben. Generationen, die bis zu den Pharaonen, Königen und bis ins Steinzeitalter zurückreichten. Mächte über das Wetter, die Natur, das Leben selbst trugen sie in ihren Gaben, teils verängstigt, teils wütend auf die Welt.
Da Laith und Sam viel zu perplex waren, um etwas Sinnvolles zustande zu bringen, sprang ich ein. „Wir müssen sie finden. Sie alle!“
„Danke, Schatz.“
Sanft drückte er mir einen Kuss auf die Wange, nachdem er mir das Glas mit Wasser gereicht hatte und ließ seine Hand zärtlich über meinen sanft geschwollenen Bauch gleiten. „Wenn unsere kleine Prinzessin Tee wünscht, bekommt sie den auch.“ Säuselte er auf meinen Bauch und drückte auch dorthin einen Kuss.
„Sie kann dich noch nicht hören.“ Tadelte ich ihn.
„Wer weiß? Immerhin sind alle in unserer Familie besonders.“ Grinste er mich an und bedeckte meine Augen mit seinem eisblauen Blick. „Und du bist unser Herzstück.“ Lobte er mich und strich sanft eine meiner Strähnen aus meinem Gesicht.
„Wären wir nicht bereits verheiratet, würde ich dich glatt noch einmal...“
Ein spitzer Aufschrei riss uns beide, aus unserer seltener, gewordenen Zweisamkeit. Laith war so schnell aus der Türe, dass ich noch nicht einmal meine Beine auf dem Boden abstellen konnte.
Mühsam, da mein Rücken wie bei der vorherigen Schwangerschaft, fürchterlich schmerzte, kam ich hoch und watschelte, denn anders konnte man es nicht mehr bezeichnen, in das Zimmer gegenüber.
Ashley, Aghatas Tochter, die wir adoptiert hatten und Laith, der endlich zu meinem Ehemann wurde, standen schockiert im Kinderzimmer, unserer Zwillinge und schienen etwas abfangen zu wollen.
Ein kräftiger Windstoß traf auf meine Haare und nahm mir für einen Moment die Sicht. Als ich auch schon unwillentlich in die Höhe gehoben wurde. „Ah! Was ist denn hier los?“ Laith ,der sich an der Mauer festgeklammert hatte, fing mich ab und presste mich, zusammen mit sich auf den Boden zurück, während Ashley mühsam durch den Raum schwebte, auf ihren zweijährigen Bruder zu.
„Sie haben ihre Fähigkeiten entdeckt.“ Erklärte mir Laith. Offenbar hatte einer der beiden gelernt die Erdanziehung irgendwie >auszuschalten< denn so gut wie jeder Gegenstand, und natürlich auch jede Person, schwebte gemütlich vor sich hin. Der zweite saß gemütlich in seinem Gitterbett, lachte so laut, dass ihm bereits aus den eisblauen Augen die Tränchen kamen, während er wild mit seiner Hand hin und her fuchtelte, damit alle Gegenstände in Bewegung blieben.
„Jetzt ist es aber genug!“ Tadelte ich in einer festen, mütterlichen Stimme. Enttäuscht ließen die beiden Zwillinge alles zu Boden sinken und Ashley schaffte es gerade noch, den schwebenden Zwilling aufzufangen, bevor er unsanft auf dem Boden aufkommen konnte.
Seufzend steckte sie ihren Adoptivbruder zurück ins Bett, während ich ihnen eine predigt hielt, dass ihre Fähigkeiten nicht zum Spielen gedacht waren. „Gute Nacht, meine Süßen.“ Sie murmelten erschöpft irgendetwas, dann waren sie auch bereits eingeschlafenen.
„Gute Nacht, Tante Kailee.“ Ashley gab mir einen Kuss auf die Wange. „Gute Nacht, Onkel Laith.“ Ihn drückte sie kurz, dann verschwand sie auch schon in ihr Zimmer.
„In zehn Minuten ist es aber aus!“ Mahnte er seine Adoptivtochter durch die geschlossene Türe, da er offenbar ihre Gedanken belauscht hatte.
„Raus da!“ Rief sie verärgert durch die Türe. Ja, Teenager waren nicht einfach. Besonders nicht, wenn sie über Elektrizität herrschen.
„Hier wird es niemals langweilig.“ Grinste ich, als Laith ins Schlafzimmer kam und seine Arme liebevoll um mich schlang.
Sanft schob er meine Haare zur Seite, um meinen Nacken küssen zu können und drang ohne Mühe in meinen Kopf ein. Du wolltest ja keine >normale< Familie. Zog er mich auf.
Nein, ich habe mir schon immer eine riesige gewünscht. Gab ich zu, dass diese Familie jedoch über alle Kontinente, Länder und Meere verteilt leben würde, hatte ich mir nicht einmal in meinen kühnsten Träumen ausmalen können.
Tag der Veröffentlichung: 07.11.2014
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